Inhalt

OLG München, Beschluss v. 10.10.2023 – 31 Wx 189/21
Titel:

Keine Anfechtbarkeit der "lenkenden Ausschlagung" bei Irrtum über die Erbfolge

Normenkette:
BGB § 119 Abs. 1, § 1947, § 1953, § 1954
Leitsätze:
Ein Inhaltsirrtum kann zwar auch darin gesehen werden, dass der Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen erzeugt, sondern solche, die sich davon unterscheiden. Ein derartiger Rechtsirrtum berechtigt aber nur dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt (BGH v. 5.7.2006 – IV ZB 39/05, BGHZ 168, 210, ZEV 2006, 498 mAnm Leipold, Rn. 19, stRspr). Dagegen ist der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum (BGH v. 22.3.2023 – IV ZB 12/22, ZEV 2023, 372 m. Anm. Muscheler, Rn. 15). (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein lediglich innerer Bedingungsvorbehalt stellt, zumindest dann nicht, wenn der Bedingungszusammenhang nicht einmal andeutungsweise in der Ausschlagungserklärung zum Ausdruck gekommen ist, keine Bedingung im Sinne des § 1947 BGB dar. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Der erkennbare Wille, die Ausschlagung vom Anfall an den Bezeichneten abhängig zu machen, stellt eine unzulässige Bedingung dar, die entweder in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung des § 1947 BGB zur Nichtigkeit führt. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
4. Im Falle einer sogenannten „lenkenden Ausschlagung“ stellt ein Irrtum darüber, wem der Erbteil infolge der Ausschlagung anfällt, einen Irrtum über die mittelbaren Rechtsfolgen und damit einen unbeachtlichen Motivirrtum dar. (Rn. 20 – 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausschlagung der Erbschaft, Bedingung, Anfechtung der Ausschlagung, Motivirrtum, lenkende Ausschlagung, Irrtum über Rechtsfolgen
Vorinstanz:
AG München, Beschluss vom 26.01.2021 – 619 VI 15303/20
Fundstellen:
ZEV 2024, 707
BeckRS 2023, 51827
LSK 2023, 51827

Tenor

1. Die Beschwerde des Beteiligten zu 2) gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 26.01.2021, Az. 619 VI 15303/20, wird zurückgewiesen.
2. Der Beteiligte zu 2) trägt die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Die Festsetzung des Geschäftswerts bleibt vorbehalten.

Gründe

I.
1
Der Beteiligte zu 2) wendet sich mit der Beschwerde gegen die Zurückweisung seines Erbscheinsantrags durch das Amtsgericht.
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Der Beteiligte zu 2) ist das einzige Kind der am ...2020 verstorbenen Erblasserin. Der Beteiligte zu 1) ist deren Ehemann. Die Beteiligte zu 3) ist das einzige Kind der bereits vorverstorbenen Mutter der Erblasserin.
3
Der Beteiligte zu 1) nahm die Erbschaft an. Mit notarieller Urkunde vom 23.11.2020 schlug der Beteiligte zu 2) die Erbschaft aus. Zugleich erklärte er in dieser Urkunde zusammen mit seiner Ehefrau N. R. auch für den gemeinsamen minderjährigen Sohn die Ausschlagung.
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Nachdem das Amtsgericht dem Beteiligten zu 1) sodann mitteilte, es müsse nunmehr prüfen, ob neben dem Ehegatten noch Erben 2. Ordnung vorhanden sind, erklärten der Beteiligte zu 2) und seine Ehefrau mit notarieller Urkunde vom 15.12.2020 die Anfechtung der Ausschlagungen wegen Irrtums. Ziel der Erbschaftsausschlagungen sei gewesen, dass der Erbteil des Beteiligten zu 2) auf dessen Vater, also den Beteiligten zu 1) übergeht. Eine Aufklärung des Notars darüber, dass bei Vorhandensein von Erben zweiter Ordnung oder von Großeltern der Beteiligte zu 1) nicht Alleinerbe werde, sei nicht erfolgt.
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Der Notar erklärte dazu in der Urkunde wörtlich „Ich, der amtierende Notar, bestätige die vorstehenden Ausführungen vollinhaltlich. Ich habe das gesetzliche Erbrecht der Erben zweiter Ordnung und von Großeltern im vorliegenden Fall schlicht übersehen“.
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Zugleich wurde mit der notariellen Urkunde die Erteilung eines Erbscheins aufgrund gesetzlicher Erbfolge zu je ½ für den Beteiligten zu 1) und 2) beantragt.
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Das Amtsgericht – Nachlassgericht – München wies den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 2) mit Beschluss vom 26.01.2021 zurück. Die Anfechtung der Ausschlagungserklärung sei mangels Anfechtungsgrundes unwirksam. Der Ausschlagende sei sich darüber im Klaren gewesen, dass er mit der Ausschlagung sein Erbrecht verliere. Durch fehlerhafte Aufklärung sei er davon ausgegangen, dass aufgrund der Ausschlagung der Beteiligte zu 1) Alleinerbe werde. Der Irrtum eines Miterben, dass sein Erbteil durch die Ausschlagung einem anderen Miterben zufalle, stelle lediglich einen unbeachtlichen Motivirrtum dar.
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Gegen diesen Beschluss legte der Beteiligte durch notariellen Schriftsatz vom 24.02.2021 Beschwerde ein. Das Amtsgericht habe sich bei seiner Entscheidung zu Unrecht auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts München vom 04.08.2009 (= NJW 2010, 687) berufen. Diese Entscheidung habe das Oberlandesgericht wiederum auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf FamRZ 1997, 905 gestützt. Das OLG Düsseldorf vertrete diese Auffassung zwischenzeitlich nicht mehr (OLG Düsseldorf ZEV 2018, 85). Vielmehr vertrete es nunmehr die Auffassung, dass zu den unmittelbaren und wesentlichen Wirkungen der Ausschlagung auch gehöre, dass die Rechtsstellung des Erben dem Nächstberufenen anfällt. Auch in der einschlägigen Kommentarliteratur werde mittlerweile diese Auffassung vertreten.
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Das Amtsgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 16.04.2021 nicht ab und legte die Akten dem Oberlandesgericht München zur Entscheidung vor.
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Mit Schriftsatz vom 15.03.2021 zeigte der Notar die mit notarieller Urkunde erfolgte schenkweise Überlassung des Erbteils, der im Falle der Unwirksamkeit der Anfechtung der Beteiligten zu 3) zufallen würde, an den Beteiligten zu 1) an.
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Der Senat wies die Beteiligten mit Beschluss vom 15.06.2021 auf die Entscheidungen KG ZEV 1010, 152 und OLG Frankfurt a.M. NJW-RR 2021, 800 hin.
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Der Beschwerdeführer vertiefte sein Beschwerdebegründung sodann mit Schriftsatz vom 30.06.2021. Auf die Streitfrage einer sogenannten lenkenden Ausschlagung wegen Inhaltsirrtums komme es für die Entscheidung über den Erbscheinsantrag nicht an. Die hier zu beurteilenden Ausschlagungen seien schon deshalb unwirksam, weil sie unter der zulässigen Gegenwartsbedingung erfolgt seien, dass die Erbschaft infolge der Ausschlagungen dem Beteiligten zu 1) anfalle. § 1947 BGB stehe dem nicht entgegen.
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Halte man dagegen die Ausschlagungen für wirksam, müsse man der im Vordringen befindlichen Auffassung den Vorzug geben. Danach sei die Anfechtung der Ausschlagung immer dann zulässig, wenn die Ausschlagung mit einer entsprechenden (zulässigen) Gegenwartsbedingung hätte verbunden werden können.
II.
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Die gem. §§ 58 ff FamFG zulässige Beschwerde erweist sich in der Sache als unbegründet.
15
1. Zunächst folgt der Senat nicht der Auffassung des Beschwerdeführers, dass die Ausschlagungen unter der zulässigen Gegenwartsbedingung standen, dass sein Vater (der Beteiligte) mit den erklärten Ausschlagungen auch insoweit Erbe wird und dass die Ausschlagungen deshalb im Ergebnis unwirksam sind.
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Gemäß § 1947 BGB können die Annahme und die Ausschlagung nicht unter einer Bedingung oder einer Zeitbestimmung erfolgen.
17
Die Ausschlagung wurde schon nicht unter einer Bedingung erklärt. In der notariellen Urkunde vom 23.11.2020 finden sich keine Hinweise darauf, dass sie unter einer Bedingung erklärt wurden. Es wurde weder ausdrücklich eine Bedingung erklärt, noch lässt sich durch Auslegung dieser Urkunde ermitteln, dass die Ausschlagungen unter der Bedingung erklärt wurden, dass der Erbteil des (bzw. der) Ausschlagenden dem Vater des Beteiligten zu 2) zufallen soll. Ein lediglich innerer Bedingungsvorbehalt reicht zumindest dann nicht aus, wenn – wie hier – der Bedingungszusammenhang nicht einmal andeutungsweise in der Ausschlagungserklärung zum Ausdruck gekommen ist (vgl. BGH DNotZ 2023, 539; Eickelberg ZEV 2018, 489; jeweils zitiert nach beck-online). Dass in der späteren Urkunde vom 15.12.2020, mit der die Anfechtung erklärt wurde, unter Ziffer II dargelegt wurde, das Ziel der Ausschlagung sei gewesen, dass der Vater des Beteiligten zu 1) Alleinerbe wird, macht die Ausschlagung im vorliegenden Fall nicht nachträglich zu einer solchen unter einer Bedingung, sondern erläutert lediglich das Motiv der Ausschlagung.
18
Im Übrigen gilt, dass selbst dann, wenn die Ausschlagung ausdrücklich unter der Bedingung erfolgte wäre, dass die Ausschlagung dem Vater zufallen solle, eine solche Bedingung unzulässig wäre. Denn im Zeitpunkt der Ausschlagung stand keineswegs fest, wer stattdessen Miterbe wird, vielmehr musste das Nachlassgericht erst ermitteln, wer als Erbe 2. Ordnung in Betracht kommt. Dass der Ausschlagende die Rechtslage falsch einschätzte, ändert im vorliegenden Fall nichts. Der Wunsch, der Erbteil möge stattdessen dem Vater zugutekommen, stellt hier lediglich ein Motiv bzw. Beweggrund des Ausschlagenden dar (vgl. Burandt/Rojahn/Najdecki, 4. Aufl. 2022, BGB § 1947 Rn. 7). Der erkennbare Wille, die Ausschlagung vom Anfall an den Bezeichneten abhängig zu machen, führt nach hM zu einer unzulässigen Bedingung, die entweder in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung des § 1947 BGB zur Nichtigkeit führt (vgl. Eickelberg ZEV 2018, 489, beck-online).
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2. Die Ausschlagungserklärung ist auch nicht wirksam gem. § 1954 ff. BGB angefochten worden. Es liegt lediglich ein Motivirrtum vor, der nicht gem. § 119 Abs. 1 BGB zur Anfechtung berechtigt.
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Die Frage, ob im Falle einer sogenannten „lenkenden Ausschlagung“, bei der es dem Ausschlagenden gerade um den Eintritt des Anfalls an einen bestimmten Dritten ankommt, ein Irrtum darüber, wem der Erbteil infolge der Ausschlagung anfällt, einen Irrtum über die mittelbaren oder unmittelbaren Rechtsfolgen darstellt, war in der jüngeren Vergangenheit in der obergerichtlichen Rechtsprechung umstritten. Nach der einen Auffassung sei der Irrtum über die nächstberufene Person stets als ein Irrtum über die unmittelbaren Rechtsfolgen der Ausschlagung und damit als ein beachtlicher Inhaltsirrtum anzusehen (vgl. z.B. OLG Düsseldorf ZEV 2019, 469 Rn. 22; OLG Brandenburg ZEV 2022, 716; beck-online). Nach einer anderen Auffassung sei diesen Fällen hingegen nur von einem Irrtum über die mittelbaren Rechtsfolgen der Ausschlagung und damit von einem unbeachtlichen Motivirrtum auszugehen (vgl. z.B. OLG München NJW 2010, 687; OLG Frankkfurt a.M. ZEV 2020, 152; OLG Hamm FGPrax 2011, 236; jeweils zitiert nach beck-online).
21
Der Bundesgerichtshof hat sich nunmehr der zweiten Auffassung angeschlossen (vgl. BGH, Beschluss vom 23.3.2023, Az. IV ZB 12/22, DNotZ 2023, 539; beck-online).
22
Ein Inhaltsirrtum kann zwar auch darin gesehen werden, dass der Erklärende über Rechtsfolgen seiner Willenserklärung irrt, weil das Rechtsgeschäft nicht nur die von ihm erstrebten Rechtswirkungen erzeugt, sondern solche, die sich davon unterscheiden. Ein derartiger Rechtsirrtum berechtigt aber nur dann zur Anfechtung, wenn das vorgenommene Rechtsgeschäft wesentlich andere als die beabsichtigten Wirkungen erzeugt (vgl. BGHZ 168, 210 Rn. 19; st. Rspr.). Dagegen ist der nicht erkannte Eintritt zusätzlicher oder mittelbarer Rechtswirkungen, die zu den gewollten und eingetretenen Rechtsfolgen hinzutreten, kein Irrtum über den Inhalt der Erklärung mehr, sondern ein unbeachtlicher Motivirrtum (vgl. BGH DNotZ 2023, 539 Rn. 15, beck-online).
23
Die Ausschlagung bewirkt, dass der Ausschlagende die ihm zugedachte Rechtsstellung aufgibt (§ 1953 Abs. 1 BGB) und diese Rechtsstellung dem Nächstberufenen anfällt (§ 1953 Abs. 2 BGB). Die unmittelbaren Rechtsfolgen der Ausschlagung beruhen mithin nicht auf der Willensentschließung des Ausschlagenden, sondern ergeben sich aus § 1953 BGB (vgl. BGH DNotZ 2023, 539 Rn. 24, beck-online). Der Irrtum über die weitere Rechtsfolge beruht vorliegend lediglich auf einer fehlerhaften Anwendung der Vorschriften über die gesetzliche Erbfolge, ein Irrtum über die wesentliche und unmittelbare Rechtswirkung der Ausschlagung liegt jedoch nicht vor.
III.
24
Die Kostenentscheidung hinsichtlich der Gerichtskosten ergibt sich bereits aus dem Gesetz, § 22 Abs. 1 GNotKG. Eine Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten war nicht veranlasst. Anwaltlich vertreten war nur der Beschwerdeführer. Im Übrigen haben die übrigen Beteiligten keine gegenläufigen Interessen geltend gemacht. (vgl. Sternal/Weber, 21. Aufl. 2023, FamFG § 81 Rn. 31; beck-online).
IV.
25
Die Rechtsbeschwerde war nicht gem. § 70 Abs. 2 FamFG zuzulassen, da die Voraussetzungen für die Zulassung nicht vorliegen. Wie oben ausgeführt, ist die entscheidungserhebliche Rechtsfrage höchstrichterlich geklärt.