Titel:
Krankenhausrecht, Genehmigung von Schiedssprüchen, Mehrleistungsabschlag, Analogie (verneint)
Normenketten:
KHEntgG § 4 Abs. 2a
KHEntgG § 5 Abs. 4
Schlagworte:
Krankenhausrecht, Genehmigung von Schiedssprüchen, Mehrleistungsabschlag, Analogie (verneint)
Fundstelle:
BeckRS 2023, 51773
Tenor
I. Die Bescheide vom … … 2021 werden in Nr. 4 aufgehoben.
Der Beklagte wird verpflichtet, den Schiedssprüchen vom … 2018 in den berichtigten Fassungen vom … 2019 insoweit die Genehmigung zu versagen.
II. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin, eine Fachklinik für …, begehrt die Aufhebung zweier Bescheide des Beklagten, mit denen dieser zwei Schiedssprüche aus den Jahren 2015 und 2016 genehmigt hat.
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Mit zwei Schiedssprüchen, jeweils vom … … 2018, berichtigt durch zwei Beschlüsse, jeweils vom … … 2019, setzte die Schiedsstelle B* … zuletzt u.a. einen Mehrleistungsabschlag in Höhe von – … € für das Jahr 2015 und einen Mehrleistungsabschlag in Höhe von – … € sowie einen Abschlagsbetrag „nach § 5 Abs. 4 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) in analoger Anwendung“ in Höhe von - 3,82% (ganzjährig) für das Jahr 2016 fest. Es sei anerkannt, dass Ausgleiche grundsätzlich auch noch in späteren Jahren abgerechnet werden dürften. Die Umsetzung erfolge in diesem Fall durch Übertrag des Volumens in einen späteren Abrechnungszeitraum. Die zusammengefassten Ausgleiche würden letztendlich in einem der folgenden Entgeltzeiträume durch Zu-/Abschlag nach § 5 Abs. 4 KHEntgG ausgeglichen. Dies entspreche der ständigen Spruchpraxis der Schiedsstelle B* … So habe sie in ihrer Entscheidung vom … … 2016 darauf hingewiesen, dass sie eine Umsetzung des Mehrleistungsabschlags auch nach Ablauf des Vereinbarungszeitraums noch für zulässig halte. Als Rechtsgrundlage komme eine analoge Anwendung des § 5 Abs. 4 KHEntgG in Betracht. An dieser Auffassung habe die Schiedsstelle auch in ihren Schiedssprüchen vom … … 2016 und … … 2018 festgehalten. Der nur mündliche Vortrag der Klägerin, dass es gegenteilige Schiedssprüche anderer Schiedsstellen gebe, veranlasse nicht, von dieser ständigen Spruchpraxis abzuweichen.
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Die Klägerbevollmächtigten beantragten beim Beklagten mit Schriftsätzen jeweils vom … … 2020, die berichtigten Schiedssprüche nicht zu genehmigen.
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Mit zwei Bescheiden, jeweils vom … … 2021, wurden die Anträge der Klägerin abgelehnt und u.a. ein Mehrleistungsabschlag nach Nr. II der berichtigten Schiedssprüche sowie der Abschlag nach § 5 Abs. 4 KHEntgG nach Nr. II.2 des berichtigten Schiedsspruchs für das Jahr 2016 genehmigt.
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Nach der Systematik und dem Sinn und Zweck des Mehrleistungsabschlags stelle sich ein Leistungszuwachs grundsätzlich dann als im Sinne von § 4 Abs. 2a Satz 1 KHEntgG in der ab dem 18. Oktober 2014 geltenden Fassung (im Folgenden: a.F.) „zusätzlich“ im Erlösbudget berücksichtigte Leistung dar, wenn er auf eine Veränderung der Art der zu erbringenden Leistungen oder deren Menge zurückzuführen sei. Die Verhandlungen der Vertragsparteien für das Budgetjahr 2015/2016 seien nicht, wie es das Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) und das KHEntgG an sich vorsehen würden, prospektiv erfolgt. Gemäß § 4 Abs. 2a Satz 4 KHEntgG a.F. sei der Vergütungsabschlag durch einen einheitlichen Abschlag auf alle mit dem Landesbasisfallwert vergüteten Leistungen des Krankenhauses umzusetzen. Fraglos sei das Kalender- und Budgetjahr 2016 vorüber. Von daher könne der Mehrleistungsabschlag nicht mehr als Vergütungsabschlag für die Fallpauschalen des Jahres 2016 umgesetzt werden. Der von der Schiedsstelle festgesetzte Vergütungsabschlag sei daher ein fiktiver Zuschlag, der tatsächlich nicht umgesetzt werde. Wie bei Ablauf des in Rede stehenden Budgetjahres mit dem Mehrleistungsabschlag bzw. dem nicht durch einen Vergütungsabschlag umgesetzten Abschlagsvolumen umzugehen sei, sei in § 4 Abs. 2a KHEntgG a.F. nicht geregelt. In verschiedenen neueren Ausgleichen, z.B. dem Zuschlag nach § 4 Abs. 8a KHEntgG, befinde sich die Regelung, dass § 5 Abs. 4 Satz 5 KHEntgG zum vollständigen Ausgleich von entstehenden Mehr- oder Mindererlösen entsprechend gelte. Eben jener Passus sei in § 4 Abs. 2a KHEntgG a.F. nicht enthalten. Gleichwohl sei das Minderleistungsabschlagsvolumen im folgenden Budgetjahr im gemeinsamen Ausgleich nach § 5 Abs. 4 KHEntgG zu berücksichtigen. Selbst in § 5 Abs. 4 KHEntgG und in § 15 Abs. 3 KHEntgG fehle es an einer Regelung für diejenigen Fälle, in denen die Pflegesatzvereinbarung nicht während des neuen, sondern erst im folgenden oder in einem noch späteren Kalenderjahr abgeschlossen werde. Aus der Existenz des Spitzausgleichs nach § 5 Abs. 4 Satz 5 KHEntgG und aus der Verteilung des Ausgleichs auf mehrere Jahre nach § 5 Abs. 4 Satz 3 KHEntgG sei zu schließen, dass Ausgleiche grundsätzlich auch noch in späteren Jahren abgerechnet werden dürften. Eine auf das Zukünftige gerichtete Entgelt-/Pflegesatzvereinbarung gebe es heutzutage in der Praxis kaum mehr. Von daher wäre es geradezu widersinnig, wenn durch Ablauf des in Rede stehenden Budgetjahres kein Mehrleistungsabschlag mehr berücksichtigt werden könnte. Um diesem zu entgehen, müssten die Krankenhäuser lediglich den Ablauf des Budgetjahres abwarten und die Verhandlungen erst im Folgejahr aufnehmen. Dies würde zu einer Ungleichbehandlung all jener Kliniken führen, die die Entgeltvereinbarung für 2015 bzw. 2016 spätestens im Kalenderjahr 2015 bzw. 2016 geschlossen hätten. Dies könne vom Gesetzgeber nicht gewollt sein. So sehe es auch die Rechtsprechung. Auf eine Entscheidung des Sozialgerichts Dresden vom 16. Oktober 2013 (S 25 KR 401/12) wurde hingewiesen. Nach § 4 Abs. 2a Satz 5 KHEntgG vereinbarten die Vertragsparteien nähere Einzelheiten der Umsetzung des Mehrleistungsabschlags. Bei den Vereinbarungen, die der Behörde zur Genehmigung vorgelegt würden, entspreche es der gängigen Praxis, dass nicht durch Vergütungsabschlag umgesetzte Volumen von Mehrleistungen in das Folgejahr übertragen würden und in den gemeinsamen Zu- bzw. Abschlag nach § 5 Abs. 4 KHEntgG einflössen. Bei allen vergleichbaren Anträgen auf Genehmigung von Krankenhäusern werde gleich verfahren, sofern die Vereinbarung dem KHEntgG und sonstigem Recht entspreche. Wie die Schiedsstelle ausführe, entspreche es der ständigen Spruchpraxis, dass bei Abschluss von Pflegesatzvereinbarungen im folgenden Kalenderjahr oder einer entsprechend späten Schiedsstellenfestsetzung Ausgleiche auch noch in späteren Jahren berücksichtigt würden. Das Mehrleistungsabschlagsvolumen sei auch rechnerisch richtig ermittelt worden. Für den fiktiven Zuschlag habe die Schiedsstelle zutreffend das ermittelte Abschlagsvolumen ins Verhältnis zu den mit den Fallpauschalen vergüteten Leistungen des Budgetjahres 2015 bzw. 2016 gesetzt. Nachdem der Mehrleistungsabschlag fiktiv sei und nicht mehr als Vergütungsabschlag auf die Entgelte 2016 berechnet werden könne, werde das Volumen bei den gemeinsamen Ausgleichen nach § 5 Abs. 4 KHEntgG berücksichtigt.
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Hiergegen erhob die Klägerin am … … 2021 beim Bayerischen Verwaltungsgericht … Klagen und beantragte mit Schriftsätzen ihrer Prozessbevollmächtigten, jeweils vom … … 2021,
die Ablehnungsbescheide vom … … 2021 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts den Schiedssprüchen der Schiedsstelle B* … nach § 18a KHG vom … … 2018 in der berichtigten Fassung vom … … 2019 für die Entgeltzeiträume 2015 bzw. 2016 die Genehmigung zu versagen.
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Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass der Schiedsstelle, die als Teil der Exekutive an die bestehende Rechtslage gebunden sei, keine Befugnis zur Rechtsfortbildung im Rahmen der Eingriffsverwaltung (Abschläge auf zukünftige Budgets als Sanktionsmechanismus des KHEntgG) und damit auch keine Analogiebildung zukomme. Unabhängig davon werde aus § 5 Abs. 4 KHEntgG ein Erlösausgleich auf alle, auch die nicht mit Fallpauschalen bewerteten Leistungen erstreckt. Damit würde durch eine „analoge Anwendung“ des § 5 Abs. 4 KHEntgG auf den Mehrleistungsabschlag des § 4 Abs. 2a KHEntgG eine Erweiterung des Anwendungsbereiches der Kürzungsbeträge vorgenommen und damit ein Widerspruch zu § 4 Abs. 2a Satz 4 KHEntgG begründet. Deswegen handele es sich bei der fehlenden Berücksichtigung des § 4 Abs. 2a KHEntgG in der vom Beklagten angenommenen Normverweisungskette der § 5 Abs. 4, § 4 Abs. 3 KHEntgG erkennbar um keine planwidrige Regelungslücke, sondern um eine enumerative Verweisungskette, die den Mehrleistungsabschlag durch Ausklammerung unbeachtet lasse. § 4 Abs. 3 KHEntgG habe einen abschließenden Verweis auf die Abs. 1 und 2 und nicht auf den von der Schiedsstelle zugrunde gelegten Abs. 2a. Damit sei sie bereits daran gehindert gewesen, eine – aus ihrer Sicht planwidrige – Regelungslücke durch eine Analogie zu schließen. Die Entscheidung der Schiedsstelle orientiere sich nicht an den materiell-rechtlichen Vorgaben. Die Erwägung zur etwaigen Ungleichbehandlung aller Krankenhäuser, die der offenbar geübten Verwaltungspraxis gefolgt seien, überzeuge nicht. Der Ausgleich könne grundsätzlich nur gesondert neben dem Krankenhausbudget vereinbart werden, um eine Anwendung auf ausschließlich mit dem Landesbasisfallwert bewertete Leistungen sicherzustellen. Auf zwei Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts wurde hingewiesen. Die Nachprüfung durch die Gerichte beschränke sich deswegen darauf, ob die Schiedsstelle die widerstreitenden Interessen der Vertragsparteien ermittelt, alle für die Abwägung erforderlichen tatsächlichen Erkenntnisse gewonnen und die Abwägung frei von Einseitigkeit in einem fairen und willkürfreien Verfahren, inhaltlich orientiert an den materiell-rechtlichen Vorgaben, vorgenommen habe.
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Der Beklagte beantragte,
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und nahm zur Begründung insbesondere auf die Begründung der streitgegenständlichen Bescheide Bezug. Auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. April 2021 (3 C 4/19) wurde hingewiesen.
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Die Klägerbevollmächtigten erwiderten mit Schriftsatz vom … … 2022, es habe zum Prüfumfang der Genehmigungsbehörde gehört, ob eine Schiedsstelle eine ihrer Auffassung nach bestehende Gesetzeslücke durch analoge Rechtsanwendung schließen könne. Der Klägerin entstehe durch die rechtsfehlerhafte Anwendung im Rahmen des Schiedsspruchs, den die Behörde genehmigt habe, ein Rechtsnachteil. Es liege auch kein Fall einer verfassungskonform einschränkenden Auslegung einer Vorschrift vor, sondern eine Erstreckung auf Ausgleichsregelungen des KHEntgG, die der Gesetzgeber auch aus systematischen Gründen auszuschließen gehabt habe. Im Übrigen wurde auf die Klagebegründung verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und die vorgelegte Behördenakte sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung am … … 2023, in der die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden wurden, Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Entscheidungsgründe
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Die Verfahren … und … konnten aufgrund ihres Sachzusammenhangs gemäß § 93 Satz 1 VwGO zur gemeinsamen Entscheidung verbunden werden.
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Die Klagen sind zulässig und begründet. Die Genehmigungsbescheide vom … … 2021 sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Schiedsstelle hat die Festsetzung des Mehrleistungsabschlags für die Jahre 2015 und 2016 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut vorzunehmen (vgl. BVerwG, U.v. 26.9.2002 – 3 C 49/01 – juris).
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1. Für die hier streitgegenständlichen Jahre 2015 und 2016 ist das Krankenhausentgeltgesetz in seinen Fassungen vom 25. März 2009 und 18. Oktober 2014 anzuwenden, sofern nicht eine andere Fassung genannt wird.
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2. Gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 und 2 KHEntgG in der Fassung vom 1. Januar 2019 erteilt die zuständige Landesbehörde die Genehmigung des von der Schiedsstelle nach § 13 KHEntgG festgesetzten landesweiten Basisfallwerts nach § 10 KHEntgG, des Erlösbudgets nach § 4 KHEntgG, der Entgelte nach § 6 KHEntgG, des Pflegebudgets nach § 6a KHEntgG und der krankenhausindividuell ermittelten Zu- und Abschläge, wenn die Festsetzung den Vorschriften dieses Gesetzes sowie sonstigem Recht entspricht. Die Genehmigung stellt einen Akt der gebundenen Verwaltung dar, der ausschließlich auf eine Rechtskontrolle beschränkt ist (vgl. BVerwG, U.v. 21.1.1993 – 3 C 66/90 – juris; OVG NRW, U.v. 27.10.2017 – 13 A 2563/17 – juris Rn. 24 f. m.w.N.; VGH BW, U.v. 19.9.2006 – 9 S 1383/04 – juris Rn. 24). Auch die gerichtliche Kontrolle der Genehmigung ist Rechtskontrolle, eine Gestaltungskompetenz kommt dem Gericht dabei ebenso wenig wie der Genehmigungsbehörde zu (vgl. Kaeding in PdK-Bu-H10, KHG 02.2022, § 18 S. 220 m.w.N.). Der gerichtliche Prüfungsumfang entspricht dem der Genehmigungsbehörde (vgl. BVerwG, U.v. 26.2.2009 – 3 C 7/08 – juris Rn. 24).
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3. Gemessen an diesen Grundsätzen stellt sich die Entscheidung, die Genehmigung der Festsetzung des Mehrleistungsabschlags (vgl. Nr. 4 der streitgegenständlichen Bescheide) für die Entgeltzeiträume 2015 und 2016 zu erteilen, als rechtswidrig dar. Insbesondere liegen die Voraussetzungen einer analogen Anwendung des § 5 Abs. 4 KHEntgG auf die nachträgliche Festsetzung des Mehrleistungsabschlags nicht vor.
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3.1 Nach § 4 Abs. 2a Satz 1 KHEntgG gilt für Leistungen, die im Vergleich zur Vereinbarung für das laufende Kalenderjahr zusätzlich im Erlösbudget berücksichtigt werden, ab dem Jahr 2013 ein Vergütungsabschlag von 25% (Mehrleistungsabschlag). Dieser ist durch einen einheitlichen Abschlag auf alle mit dem Landesbasisfallwert vergüteten Leistungen des Krankenhauses umzusetzen. Die näheren Einzelheiten der Umsetzung des Mehrleistungsabschlags vereinbaren die Vertragsparteien (§ 4 Abs. 2a Sätze 4 und 5 KHEntgG). Dabei ist für die Umsetzung des Abschlags ein pauschales Verfahren anzuwenden, indem das auf der Grundlage der zusätzlich vereinbarten Leistungen (zusätzliche Erlöse für bundeseinheitlich kalkulierte Fallpauschalen und Zusatzentgelte) ermittelte Abschlagsvolumen in Form eines einheitlichen Abschlags für sämtliche mit dem Landesbasisfallwert vergüteten Leistungen des Krankenhauses umgesetzt wird. Hierzu kann das ermittelte Abschlagsvolumen ins Verhältnis zu dem Erlösvolumen für die mit Fallpauschalen vergütenden Leistungen gesetzt werden (vgl. BT-Drs. 17/3040, S. 34).
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Die Vereinbarung der Vertragsparteien ist für einen zukünftigen Zeitraum zu schließen (§ 11 Abs. 1 Satz 2 KHEntgG). Der Vereinbarung des Erlösbudgets liegt der sogenannte Prospektivitätsgrundsatz zu Grunde. Das Erlösbudget kann auch retrospektiv bestimmt werden, dann ist auf tatsächlich erbrachte Krankenhausleistungen abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 4.5.2017 – 3 C 17/15 – juris Rn. 32 ff.; OVG Sachsen-Anhalt, B.v. 19.7.2023 – 1 L 116/22 – juris). Der Mehrleistungsabschlag kann in einer späteren Pflegesatzvereinbarung vereinbart werden, auch wenn diese erst nach Abschluss des Kalenderjahres abgeschlossen wurde (vgl. SG Dresden, U.v. 16.10.2013 – S 25 KR 401/12 – juris Rn. 54). Die Schiedsstelle hat dieselben rechtlichen Grenzen zu beachten, die auch für die Vertragsparteien selbst im Falle der Regelung durch Vereinbarungen gelten; innerhalb dieser Grenzen hat die Schiedsstelle die ansonsten den Vertragsparteien zukommenden Gestaltungsmöglichkeiten (vgl. BVerwG, U.v. 8.9.2005 – 3 C 41/04 – juris Rn. 18 m.w.N.). Besteht ein Beurteilungsspielraum für die Vertragsparteien, so kann auch die Schiedsstelle diesen nutzen (vgl. BVerwG, U.v. 25.10.2018 – 3 C 22/16 – juris).
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3.2 Gemessen an diesen Grundsätzen sind die Festsetzungen der Schiedsstelle vorliegend rechtswidrig. Zwar konnte die Schiedsstelle grundsätzlich den Mehrleistungsabschlag auch noch nach Ablauf der streitgegenständlichen Kalenderjahre festsetzen (s.o. Rn. 20). Jedoch ist die Art und Weise der Festsetzung mittels einer analogen Anwendung des § 5 Abs. 4 KHEntgG nach Auffassung des Gerichts rechtswidrig, da die Analogievoraussetzungen nicht gegeben sind.
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(1) § 5 Abs. 4 Satz 1 KHEntgG sieht vor, dass die Erlösausgleiche nach § 4 Abs. 3 und § 15 Abs. 3 KHEntgG sowie ein Unterschiedsbetrag nach § 4 Abs. 5 KHEntgG über einen gemeinsamen Zu- und Abschlag auf die abgerechnete Höhe der Diagnosis Related Groups (DRG)-Fallpauschalen und die Zusatzentgelte sowie auf die sonstigen Entgelte verrechnet und unter der Bezeichnung „Zu- oder Abschlag für Erlösausgleiche“ gesondert in der Rechnung ausgewiesen werden. Die Höhe des Zu- oder Abschlags ist anhand eines Prozentsatzes zu berechnen, der aus dem Verhältnis des zu verrechnenden Betrags einerseits sowie des Gesamtbetrags nach § 4 Abs. 3 Satz 1 KHEntgG andererseits zu ermitteln und von den Vertragsparteien zu vereinbaren ist; wird die Vereinbarung erst während des Kalenderjahres geschlossen, ist ein entsprechender Prozentsatz bezogen auf die im restlichen Kalenderjahr zu erhebenden Entgelte zu vereinbaren. Weicht die Summe der für das Kalenderjahr tatsächlich abgerechneten Zu- oder Abschlagsbeträge von dem zu verrechnenden Betrag nach Satz 2 ab, werden die Mehr- oder Mindererlöse vollständig ausgeglichen, indem sie über die Gesamtsumme und den Zu- oder Abschlag für das nächstmögliche Kalenderjahr verrechnet werden (§ 5 Abs. 4 Sätze 2 und 5 KHEntgG). Der Zuschlag wird nicht auf Zu- oder Abschläge berechnet (vgl. BT-Drs. 16/10807, S. 29).
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(2) Es kann dahinstehen, ob im Bereich der Eingriffsverwaltung – wie von der Klägerseite vorgetragen – ein Analogieverbot anzunehmen ist. Denn jedenfalls liegen die Analogievoraussetzungen nicht vor, da weder eine planwidrige Regelungslücke noch eine vergleichbare Interessenlage gegeben ist.
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Die analoge Anwendung der von einer Norm angeordneten Rechtsfolge auf Sachverhalte, die dieser Norm nicht unterfallen, setzt eine planwidrige Regelungslücke voraus. Der Anwendungsbereich der Norm muss wegen eines versehentlichen, mit dem Normzweck unvereinbaren Regelungsversäumnisses des Normgebers unvollständig sein. Eine derartige Lücke darf von den Gerichten im Wege der Analogie geschlossen werden, wenn sich aufgrund der gesamten Umstände feststellen lässt, dass der Normgeber die von ihm angeordnete Rechtsfolge auch auf den nicht erfassten Sachverhalt erstreckt hätte, wenn er diesen bedacht hätte (vgl. u.a. BVerwG, U.v. 31.1.2017 – 6 C 2/16 – juris Rn. 29; U.v. 25.4.2013 – 6 C 5/12 – juris Rn. 33; U.v. 28.6.2012 – 2 C 13/11 – juris Rn. 24).
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Im Hinblick auf die Festsetzung des Mehrleistungsabschlags nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres ist nicht davon auszugehen, dass der Anwendungsbereich des § 5 Abs. 4 KHEntgG wegen eines versehentlichen Versäumnis des Gesetzgebers unvollständig ist. Zwar ist der Fall der nachträglichen Vereinbarung bzw. Festsetzung des Abschlags in § 4 Abs. 2a KHEntgG – wie vom Beklagten zutreffend ausgeführt – nicht geregelt. Jedoch ist nicht ersichtlich, dass diese Regelungslücke auf einem Versehen des Gesetzgebers beruht. Es sind insbesondere keine Anhaltspunkte gegeben, dass der Gesetzgeber bei seiner Aufzählung der vom gemeinsamen Zu- oder Abschlag nach § 5 Abs. 4 KHEntgG erfassten Beträge versehentlich den Abschlag nach § 4 Abs. 2a KHEntgG übersehen hat.
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Bereits bei der Bildung des Gesamtbetrags nach § 4 Abs. 3 KHEntgG, der in den Zu- oder Abschlag nach § 5 Abs. 4 KHEntgG einfließt, wird eine Abgrenzung dahingehend vorgenommen, dass lediglich das nach den Abs. 1 und 2 vereinbarte Erlösbudget und nicht der Mehrleistungsabschlag nach Abs. 2a berücksichtigt wird. Gegen die Planwidrigkeit spricht im Übrigen auch der Gesetzeswortlaut des § 4 Abs. 2a Satz 5 KHEntgG, wonach die näheren Einzelheiten der Umsetzung des Mehrleistungsabschlags den Vertragsparteien überlassen werden. Auch die Gesetzesbegründung zum Mehrleistungsabschlag greift diesen Gesichtspunkt auf und gibt lediglich vor, dass für die Umsetzung des Abschlags ein pauschales Verfahren anzuwenden ist, indem das auf der Grundlage der zusätzlich vereinbarten Leistungen (zusätzliche Erlöse für bundeseinheitlich kalkulierte Fallpauschalen und Zusatzentgelte) ermittelte Abschlagsvolumen in Form eines einheitlichen Abschlags für sämtliche mit dem Landesbasisfallwert vergüteten Leistungen des Krankenhauses umgesetzt wird (vgl. BT-Drs. 17/3040, S. 34). Es liegt demnach nahe, dass der Gesetzgeber die Gestaltungsfreiheit der Vertragsparteien und somit auch der Schiedsstelle in diesem Fall bewusst weit versteht und keine weitergehenden Regelungen erlassen wollte, die die Gestaltungsfreiheit der Vertragsparteien beschränken könnten. Da somit bereits für den Regelfall der prospektiven Umsetzung des Mehrleistungsabschlags kaum gesetzliche Vorgaben bestehen, ist nicht davon auszugehen, dass der Gesetzgeber den vorliegenden Sonderfall der nachträglichen Vereinbarung bzw. Festsetzung des Mehrleistungsabschlags, welcher in besonderem Maße einer Gestaltung bedarf, der Freiheit der Vertragsparteien entziehen wollte.
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Auch der Umstand, dass von Seiten des Gesetzgebers in anderen Vorschriften explizit auf eine entsprechende Anwendung von § 5 Abs. 4 KHEntgG verwiesen (vgl. den zum 1. Januar 2019 eingeführten § 4 Abs. 8a Satz 8 KHEntgG) oder hinsichtlich der Abrechnung auf den Zu- oder Abschlag nach § 5 Abs. 4 KHEntgG Bezug genommen wird (vgl. § 15 Abs. 3 Satz 2 KHEntgG), führt – entgegen der Auffassung des Beklagten – nicht zur Annahme eines gesetzgeberischen Versehens im Hinblick auf den vorliegenden Sachverhalt. Vielmehr zeigen die genannten Vorschriften, dass der Gesetzgeber sich der Möglichkeit einer entsprechenden Anwendung des § 5 Abs. 4 KHEntgG auf gewisse Sachverhalte bewusst war, jedoch nicht sämtliche nach dem KHEntgG zu berechnende Beträge in den gemeinsamen Zu- oder Abschlag nach § 5 Abs. 4 KHEntgG einbeziehen wollte. Die Ausführungen des Beklagten, dass selbst in § 5 Abs. 4 und § 15 Abs. 3 KHEntgG eine Regelung für diejenigen Fälle fehle, in denen die Pflegesatzvereinbarung – wie hier – nicht während des neuen Kalenderjahres abgeschlossen werde, führen zu keinem anderen Ergebnis. Insbesondere ist die dem Vortrag des Beklagten zu entnehmende Schlussfolgerung, die Existenz von Regelungen wie denen der § 5 Abs. 4 Sätze 3 und 5 KHEntgG zeige, dass das Mehrleistungsabschlagsvolumen im folgenden Budgetjahr im gemeinsamen Ausgleich nach § 5 Abs. 4 KHEntgG zu berücksichtigen sei, nicht nachvollziehbar. Denn selbst bei einer retrospektiven Festsetzung des Mehrleistungsabschlags, von deren Zulässigkeit das Gericht ausgeht (s.o. Rn. 21), liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor, dass der Gesetzgeber die Gestaltungsfreiheit der Vertragsparteien bzw. der Schiedsstelle dahingehend beschränken wollte, dass die Abwicklung des Mehrleistungsabschlags über den gemeinsamen Zu- oder Abschlag nach § 5 Abs. 4 KHEntgG erfolgen sollte. Von einer Planwidrigkeit der Regelungslücke ist somit im vorliegenden Fall nicht auszugehen.
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Im Übrigen ist aber auch keine vergleichbare Interessenlage ersichtlich. Eine solche Vergleichbarkeit kann schon dem Wesen der unterschiedlichen Zu- bzw. Abschläge nach nicht angenommen werden. Denn – wie von den Klägerbevollmächtigten zutreffend ausgeführt – hat der Gesetzgeber mit § 4 Abs. 2a Satz 4 KHEntgG a.F. die ausdrückliche Vorgabe gemacht, den Mehrleistungsabschlag nur auf alle mit dem Landesbasisfallwert vergüteten Leistungen zu erheben. Im Gegensatz dazu bezieht § 5 Abs. 4 KHEntgG gerade nicht nur mit dem Landesbasisfallwert vergütete Leistungen in den gemeinsamen Zu- oder Abschlag ein, sondern umfasst z.B. auch Zusatzentgelte nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KHEntgG sowie sonstige Entgelte nach § 6 Abs. 1 und 2a KHEntgG. Der gemeinsame Zu- oder Abschlag nach § 5 Abs. 4 KHEntgG aus den verschiedenen Entgeltbereichen ist – im Unterschied zum Mehrleistungsabschlag – auf sämtliche Entgeltbereiche zu verteilen (vgl. Gierth in PdK Bu H-10c, KHEntgG 05.2021, § 5 S. 107). Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass der Mehrleistungsabschlag vorliegend im Nachhinein festgesetzt werden muss.
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Nach alledem sind die streitgegenständlichen Bescheide aufzuheben. Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).