Inhalt

VGH München, Beschluss v. 04.05.2023 – 11 ZB 23.30138
Titel:

Verwaltungsgerichte, Ablehnung eines Beweisantrags, Klärungsbedürftigkeit, Eigene Sachkunde, Zulassungsantrag, Volkszugehörigkeit, Gruppenverfolgung, Rechtliches Gehör, Änderung der Rechtsprechung, Weiteres Sachverständigengutachten, Bewilligung von Prozesskostenhilfe, Zulassungsverfahren, Berufungsverfahren, Anwaltsbeiordnung, Hinreichende Erfolgsaussicht, Rechtsmittelführer, Kostenentscheidung, Inländische Fluchtalternative, Einheitlichkeit der Rechtsprechung, festgestellter Sachverhalt

Schlagworte:
Zulassung der Berufung, Grundsätzliche Bedeutung, Verfahrensmangel, Gruppenverfolgung, Verfolgungsdichte, Rechtliches Gehör, Beweisantrag
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 11.01.2023 – AN 4 K 22.30914
Fundstelle:
BeckRS 2023, 51708

Tenor

I. Die Anträge auf Zulassung der Berufung und auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Zulassungsverfahren werden abgelehnt.
II. Die Kläger tragen die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

1
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Aus der Begründung des Zulassungsantrags ergibt sich nicht, dass die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) oder wegen eines Verfahrensmangels (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 VwGO) zuzulassen wäre.
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1. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu.
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a) Grundsätzliche Bedeutung ist – bei entsprechender Darlegung durch den Rechtsmittelführer – zu bejahen, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Tatsachen- oder Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende obergerichtliche Klärung im Berufungsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 124 Rn. 36; Seibert in Sodan/Ziekow, VwGO, 5. Aufl. 2018, § 124 Rn. 127). Dementsprechend verlangt die Darlegung der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung nach § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG, dass eine konkrete Tatsachen- oder Rechtsfrage formuliert und aufgezeigt wird, weshalb die Frage im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts klärungsbedürftig und klärungsfähig, insbesondere entscheidungserheblich, ist; ferner, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung dieser Frage besteht (vgl. Happ, a.a.O. § 124a Rn. 72; Rudisile in Schoch/Schneider, VwGO, Stand August 2022, § 124a Rn. 102 ff.; Berlit in GK-AsylG, Stand März 2023, § 78 Rn. 80, 88, 153 ff. m.w.N.). Die konkrete Frage ist so eindeutig zu bezeichnen, dass im Zulassungsverfahren beurteilt werden kann, ob sie in einem zuzulassenden Berufungsverfahren klärungsbedürftig und klärungsfähig ist. Sie darf einerseits nicht so allgemein gehalten sein, dass sie etwa im Kern auf eine nicht fallbezogene, abstrakte Klärung allgemeiner Verhältnisse im Herkunftsstaat zielt, und andererseits nicht so konkret gefasst werden, dass sie der Sache nach auf eine Überprüfung der Rechtsanwendung, namentlich der einzelfallbezogenen Feststellung und Würdigung des Sachverhalts, durch das Verwaltungsgericht hinausläuft (Berlit, a.a.O., § 78 Rn. 593 f. m.w.N.). Ferner muss der Rechtsmittelführer bei einer auf tatsächliche Verhältnisse gestützten Grundsatzrüge Erkenntnisquellen zum Beleg dafür angeben, dass die Feststellungen, Erkenntnisse und Einschätzungen des Verwaltungsgerichts unzutreffend oder zumindest zweifelhaft sind (stRspr, vgl. BayVGH, B.v. 10.11.2022 – 15 ZB 22.31008 – juris Rn. 3; B.v. 17.20.2021 – 23 ZB 19.33385 – juris Rn. 80; B.v. 1.6.2017 – 11 ZB 17.30602 – juris Rn. 2; OVG NW, B.v. 30.6.2022 – 1 A 188/21.A – juris Rn. 3 jeweils m.w.N.; Berlit, a.a.O. § 78 Rn. 609 ff.).
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b) Hiervon ausgehend ist die Berufung nicht zur Klärung der Frage zuzulassen, ob für die Mitglieder der Volksgruppe der Pamiri in Tadschikistan die Gefahr der Gruppenverfolgung herrscht, ob ihnen also die Gefahr der willkürlichen Verhaftung, der körperlichen Gewalt oder der Tötung durch staatliche Organe allein wegen ihrer Zugehörigkeit zur besagten Volksgruppe droht, ohne dass es weiterer Merkmale bedarf.
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aa) Eine alle Gruppenmitglieder erfassende gruppengerichtete Verfolgung wegen eines asylerheblichen Merkmals setzt eine bestimmte „Verfolgungsdichte“ voraus, welche die „Regelvermutung“ eigener Verfolgung allein aufgrund der Gruppenzugehörigkeit rechtfertigt. Hierfür ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in asylrechtlich geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Darüber hinaus gilt auch für die Gruppenverfolgung, dass sie im Herkunftsland landesweit drohen muss, also keine innerstaatliche bzw. inländische Fluchtalternative besteht. Um zu beurteilen, ob die Verfolgungsdichte die Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertigt, müssen Intensität und Anzahl aller Verfolgungshandlungen auch zur Größe der Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Die bloße Feststellung „zahlreicher“ oder „häufiger“ Eingriffe reicht nicht aus. Denn eine bestimmte Anzahl von Eingriffen, die sich für eine kleine Gruppe von Verfolgten bereits als bedrohlich erweist, kann gegenüber einer großen Gruppe vergleichsweise geringfügig erscheinen, weil sie – gemessen an der Zahl der Gruppenmitglieder – nicht ins Gewicht fällt und sich deshalb nicht als Bedrohung der Gruppe darstellt (BVerwG, U.v. 5.7.1994 – 9 C 158.94 – BVerwGE 96, 200 = juris Rn. 23; U.v. 18.7.2006 – 1 C 15.05 – BVerwGE 126, 243 = juris Rn. 20).
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bb) Aus den vom Bevollmächtigten der Kläger benannten und vorgelegten Erkenntnismitteln geht nicht hervor, dass für Pamiri in Tadschikistan die für eine Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsintensität und -dichte landesweit vorläge. Abgesehen davon, dass sich die beschriebenen und auch vom Verwaltungsgericht berücksichtigten (vgl. UA S. 5 f.) gewaltsamen Übergriffe von Sicherheitskräften der tadschikischen Zentralregierung bis hin zu willkürlichen Inhaftierungen und Tötungen auf die Region Berg-Badachschan (GBAO) beschränken und das Auswärtige Amt die Lage als „derzeit ruhig“ beschreibt (https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/laender/tadschikistan-node/tadschikistansicherheit/206756?view=), gibt es keine Hinweise darauf, dass für alle ethnischen Pamiri allein wegen ihrer Zugehörigkeit zu dieser Volksgruppe die Gefahr eigener Betroffenheit durch staatliche Übergriffe bestünde. Die Zahl der in Tadschikistan lebenden Pamiri wird mit etwa 135.000 angegeben (https://de.wikipedia.org/wiki/Pamiri). Die von den Klägerbevollmächtigten benannten Quellen sprechen – ohne dass diese Zahl überprüfbar wäre – von mehr als 2.000 inhaftierten Pamiri (Anlage 6 zum Zulassungsantrag vom 16.2.2023). Auch wenn es ohne Zweifel insbesondere im Zeitraum November 2021 bis Mai 2022 zu asylrelevanten Menschenrechtsverletzungen gegenüber Teilen der ortsansässigen Bevölkerung in der Region Berg-Badachschan unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung gekommen ist (vgl. u.a. die von den Klägerbevollmächtigten vorgelegte Entschließung des Europäischen Parlaments zur Lage in der Autonomen Provinz Berg-Badachschan in Tadschikistan – 2022/2753(RSP)), wird nirgendwo beschrieben, dass die Maßnahmen landesweit auf alle Gruppenmitglieder zielen und in quantitativer und qualitativer Hinsicht ein solches Ausmaß annehmen, dass jeder Angehörige der pamirischen Minderheit im gesamten Staatsgebiet ohne weiteres gefährdet wäre.
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c) Die Berufung ist auch nicht zur Klärung der Frage zuzulassen, ob in Tadschikistan Angehörigen der pamirischen Minderheit, die Anhänger der regierungskritischen Bewegung in nicht herausgehobener Stellung (etwa regelmäßige Demonstrationsteilnehmer) sind, die Gefahr der Verfolgung durch staatliche Organe in Form willkürlicher Verhaftung, körperlicher Gewalt oder Tötung droht.
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Diese Frage hat sich so für das Verwaltungsgericht nicht gestellt und würde sich – von dem erstinstanzlich festgestellten Sachverhalt ausgehend, gegen den die Kläger keine durchgreifenden Rügen erhoben haben – in einem Berufungsverfahren auch nicht stellen, weil der Kläger zu 1 zu keinem Zeitpunkt angegeben hat, „Anhänger der regierungskritischen Bewegung“ zu sein. Zwar hat auch das Verwaltungsgericht als zutreffend unterstellt, dass der Kläger zu 1 an (mindestens) einer Demonstration teilgenommen hat (UA S. 6). Allerdings hat er, anders als nunmehr im Zulassungsantrag behauptet, nicht davon berichtet, seit 2014 politisch aktiv gewesen zu sein. Vielmehr hat er bei seiner Anhörung beim Bundesamt am 30. Mai 2022 erklärt, er sei bei keiner Kundgebung gewesen und habe die jungen Leute lediglich beruhigen wollen. Auch den weiteren Beschreibungen der Vorkommnisse durch den Kläger zu 1 lässt sich nicht entnehmen, dass er – ungeachtet der von ihm geschilderten Übergriffe, wobei das Verwaltungsgericht dies allerdings als widersprüchlich und unglaubhaft angesehenen hat – politisch aktiv gewesen wäre. Vielmehr beschränkt sich sein öffentlich wahrnehmbares Auftreten nach seiner eigenen Darstellung auf eine Versammlung anlässlich der Inhaftierung seines mit ihm befreundeten Nachbarn, wobei er in Anwesenheit von 35 bis 40 Personen vor dem Polizeipräsidium eine Rede gehalten habe. Daraus geht jedoch nicht hervor, dass er Anhänger einer regierungskritischen Bewegung gewesen wäre.
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Dass der Kläger zu 1 politisch aktiv war, ergibt sich auch nicht aus der Einlassung seiner Ehefrau, der Klägerin zu 2, die beim Bundesamt angegeben hat, ihr Mann habe in Tadschikistan Probleme mit der Regierung gehabt, weil er keine Arbeit gehabt habe und das Leben für Menschen ohne Arbeit in Tadschikistan sehr schwierig sei. Er sei „raus aus Tadschikistan, um ein besseres Leben für seine Familie zu ermöglichen.“ Unabhängig von der vom Kläger zu 1 nachfolgend beschriebenen Festnahme für eine Dauer von 16 Stunden, was allerdings mit der Angabe seiner Ehefrau beim Bundesamt, er sei nie verhaftet worden und nie länger als zwei bis drei Stunden weg gewesen, nicht in Einklang zu bringen ist, und dem ebenfalls beschriebenen Vorfall am 7. September 2021, bei dem ihn Personen aufgefordert hätten, in deren Auto zu steigen, was er allerdings verweigert habe, lässt sich dem eigenen Vorbringen somit nicht entnehmen, dass der Kläger zu 1 „Anhänger der regierungskritischen Bewegung“ gewesen wäre.
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Damit geht die als klärungsbedürftig bezeichnete Frage von einem Sachverhalt aus, den das Verwaltungsgericht so nicht festgestellt hat. Im Übrigen gilt auch hier, dass selbst bei unterstellter oder dem Kläger zu 1 von den staatlichen Organen zugeschriebener Anhängerschaft einer regierungskritischen Bewegung, dass sich die Gefahr landesweiter Repressionen außerhalb der Region Berg-Badachschan aus den vorliegenden Erkenntnismitteln nicht ergibt.
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2. Ebenfalls ohne Erfolg machen die Kläger eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör durch prozessrechtswidrige Ablehnung ihrer Beweisanträge geltend (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO).
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In der mündlichen Verhandlung hat der Klägerbevollmächtigte beantragt, zum Beweis der Tatsache, dass in Tadschikistan für Volkszugehörige der Pamiri Verfolgung in Form von willkürlicher Verhaftung, körperlicher Gewalt und/oder Tötung schon allein aufgrund der Volkszugehörigkeit droht, und zum Beweis der Tatsache, dass in Tadschikistan pamirische Oppositionelle und Aktivisten oder solche Personen, denen dies unterstellt wird, die sich für die Rechte der pamirischen Minderheit in der Region BergBadachschan engagieren, auch bei nicht herausgehobener Position in der Protestbewegung staatliche Verfolgung in Form von willkürlicher Verhaftung, körperlicher Gewalt und/oder Tötung droht, eine sachverständige Stellungnahme der Schweizerischen Flüchtlingshilfe oder durch Amnesty International einzuholen.
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a) Die Verfahrensgarantie des rechtlichen Gehörs gemäß Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO gebietet dem Gericht, formell ordnungsgemäßen, prozessrechtlich beachtlichen Beweisanträgen zu entscheidungserheblichen Fragen nachzugehen (Funke-Kaiser in GK-Asyl, § 78 Rn. 355). Die Ablehnung eines Beweisantrags verletzt das rechtliche Gehör folglich nur dann, wenn sie im Prozessrecht objektiv keine Stütze findet (BVerwG, B.v. 28.6.2018 – 10 B 20.17 – juris Rn. 9 m.w.N.; BVerfG, B.v. 22.1.2001 – 1 BvR 2075/98 – NJW-RR 2001, 1006 = juris Rn. 16; B.v. 30.1.1985 – 1 BvR 393/84 – BVerfGE 69, 141 = juris Rn. 10 m.w.N.). Dabei ist die prozessrechtliche Frage, ob das vorinstanzliche Verfahren an einem Mangel leidet, vom materiellrechtlichen Standpunkt des Gerichts aus zu beurteilen, selbst wenn dieser Standpunkt verfehlt sein sollte (stRspr, vgl. BVerwG, B.v. 17.6.2013 – 10 B 8.13 – juris Rn. 8; Happ in Eyermann, VwGO, § 124 Rn. 48).
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Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darf das Tatsachengericht einen auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens oder einer amtlichen Auskunft gerichteten Beweisantrag insbesondere in asylgerichtlichen Verfahren, in denen regelmäßig eine Vielzahl amtlicher Auskünfte und sachverständiger Stellungnahmen über die politischen Verhältnisse im Heimatstaat zum Gegenstand des Verfahrens gemacht werden, im Allgemeinen nach tatrichterlichem Ermessen mit dem Hinweis auf eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen und die Gefährdungsprognose im Einzelfall auf der Grundlage einer tatrichterlichen Beweiswürdigung eigenständig vornehmen. Eine solche Würdigung findet ihre Grundlage im Prozessrecht und verletzt weder das rechtliche Gehör noch die richterliche Aufklärungspflicht, wenn die in das Verfahren eingeführten Erkenntnisse zur Beurteilung der geltend gemachten Verfolgungsgefahren ausreichen und dies spätestens im Rahmen der in der Entscheidung vorzunehmenden Beweiswürdigung dargestellt und belegt wird; dann kann das Gericht einen Beweisantrag auf Einholung weiterer Auskünfte unter Berufung auf eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen. Das gerichtliche Ermessen bei der Entscheidung über Beweisanträge verdichtet sich nur dann zur Pflicht der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens, wenn sich die in bisher vorliegenden Gutachten behandelten Fragestellungen auf Grund tatsächlicher Entwicklungen oder wegen einer Änderung der Rechtsprechung oder der Rechtslage als unzureichend erweisen (BVerwG, B.v. 27.3.2013 – 10 B 34.12 – NVwZ-RR 2013, 620 Rn. 4).
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Es hängt von den Umständen des Einzelfalls, insbesondere den jeweils in tatsächlicher Hinsicht in dem Verfahren in Streit stehenden Einzelfragen, ab, wie konkret das Gericht seine eigene Sachkunde nachweisen muss. Der Nachweis muss jedenfalls plausibel und nachvollziehbar sein. Schöpft das Gericht seine besondere Sachkunde aus vorhandenen Gutachten und amtlichen Auskünften, so muss der Verweis hierauf dem Einwand der Beteiligten standhalten, dass in diesen Erkenntnisquellen keine, ungenügende oder widersprüchliche Aussagen zur Bewertung der aufgeworfenen Tatsachenfragen enthalten sind. Ist dies der Fall, steht die Einholung eines (weiteren) Gutachtens bzw. einer (weiteren) Auskunft auch dann im Ermessen des Gerichts (s.a. § 98 VwGO i.V.m. § 412 Abs. 1 ZPO), wenn die Erkenntnisquellen, aus denen das Gericht seine eigene Sachkunde schöpft, nicht in dem jeweiligen Verfahren eingeholt oder gerade auch nach § 411a ZPO in das Verfahren eingeführt worden sind; die Ablehnung eines hierauf gerichteten Beweisantrags setzt dann auch nicht voraus, dass das im Antrag angebotene Beweismittel schlechterdings untauglich oder völlig ungeeignet sei (vgl. zu alldem BVerwG, B.v. 17.9.2019 – 1 B 43.19 – BayVBl 2020, 201 Rn. 45 f.; B.v. 19.9.2001 – 1 B 158.01, 1 PKH 23.01 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 315 = juris Rn.10; Funke-Kaiser, a.a.O. § 78 Rn. 389 ff.).
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b) Vorliegend hat das Verwaltungsgericht die Ablehnung beider Beweisanträge damit begründet, dass dem Gericht ausreichende Erkenntnisse vorliegen, um die unter Beweis gestellten Tatsachen zu beurteilen. Dies ist nicht zu beanstanden.
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Mit seinem Einwand im Zulassungsantrag, er habe in der mündlichen Verhandlung in seiner Gegenvorstellung auf Mängel des vom Gericht herangezogenen Länderberichts des österreichischen Bundesamts hingewiesen, kann der Bevollmächtigte der Kläger nicht durchdringen. Abgesehen davon, dass das Verwaltungsgericht hierzu in seiner Entscheidung zutreffend ausgeführt hat, dass der genannte Länderbericht insbesondere auch die Ereignisse vom November 2021 umfasst, hat das Verwaltungsgericht bei seiner Entscheidung darüber hinaus eine Reihe weiterer Erkenntnisquellen berücksichtigt, darunter auch die vom Bevollmächtigten der Kläger mit Schriftsatz vom 3. Januar 2023 übermittelten Berichte, die es dem Protokoll zufolge ausdrücklich zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht hat und die auch auf die Ereignisse vom Mai 2022 eingehen (insbesondere die im Urteil – UA S. 9 – ausdrücklich erwähnte Entschließung des Europäischen Parlaments vom 7.7.2022). Da diese Erkenntnismittel dem Gericht bereits vorlagen, geht auch die Kritik im Zulassungsantrag ins Leere, das Gericht habe diese Quellen nach (nochmaliger) Vorlage im Termin nicht gesichtet und die Verhandlung nicht nennenswert unterbrochen.
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Abgesehen davon ist das Verwaltungsgericht den vorgenannten Maßstäben aber auch gerecht geworden. Es hat die Ablehnung des Beweisantrags Nr. 1 in seinem Beschluss nach § 86 Abs. 2 VwGO und in den Entscheidungsgründen des Urteils nachvollziehbar begründet und angegeben, dass die vom Gericht in das Verfahren eingeführten Erkenntnismittel sowie die klägerseits vorgebrachten ergänzenden Erkenntnisse übereinstimmend von Demonstrationen, Gewalt und staatlichen Maßnahmen gegen Dissidenten in der Region Berg-Badachschan berichten, aber keinen Ansatzpunkt für eine hinreichende Verfolgungsdichte als Voraussetzung einer Gruppenverfolgung bieten. Einen belastbaren Anhalt dafür, dass diese Erkenntnisquellen unzureichend wären und für alle Volkszugehörigen der Pamiri ohne Weiteres und im gesamten Staatsgebiet die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit bestehen könnte, weist der Zulassungsantrag – wie oben ausgeführt – nicht auf, kann der Senat aber auch anhand der vorliegenden Berichte nicht erkennen.
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Die Ablehnung des Beweisantrags Nr. 2 hat das Verwaltungsgericht in seinem Beschluss nach § 86 Abs. 2 VwGO und in den Entscheidungsgründen des Urteils ebenfalls nachvollziehbar begründet und angegeben, dass der tadschikische Staat nach den vorliegenden Informationen zwar in erheblichem Umfang gegen Demonstrationsteilnehmer vorgeht, die vom Gericht eingeführten Erkenntnismittel sowie die von der Klägerseite vorgelegten Erkenntnisse aber keinen Hinweis darauf bieten, dass unterschiedslos jeder Teilnehmer einer Demonstration mit asylrelevanten Verfolgungsmaßnahmen zur Verantwortung gezogen werden solle. Vielmehr wiesen die in den Erkenntnissen genannten Verhaftungszahlen deutlich auf das Gegenteil hin. Belastbare Zahlen, die auf eine Unzulänglichkeit dieser Erkenntnisse hindeuten und eine andere Einschätzung möglich erscheinen lassen, zeigt der Zulassungsantrag nicht auf. Damit haben sich die vorliegenden Erkenntnisquellen nicht auf Grund tatsächlicher Entwicklungen oder wegen einer Änderung der Rechtsprechung oder der Rechtslage als unzureichend erwiesen mit der Folge, dass sich das gerichtliche Ermessen zur Pflicht der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens verdichtet hätte.
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3. Da sich aus dem Vorbringen des Bevollmächtigten der Kläger kein Grund ergibt, aus dem die Berufung zuzulassen wäre, war auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung für das Zulassungsverfahren mangels hinreichender Erfolgsaussicht abzulehnen (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 114 Abs. 1 Satz 1, 121 Abs. 1 ZPO).
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4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
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5. Dieser Beschluss, mit dem das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig wird (§ 78 Abs. 5 Satz 2 AsylG), ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).