Titel:
Übertragung der sog. Dreijahreslösung von Energieversorgungsverträgen auf den Bankensektor hinsichtlich des Kontoführungsentgeltes
Normenkette:
BGB § 133, § 157, § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1
Leitsätze:
1. Aufgrund der vergleichbaren Interessenlage im Banken- und Energiesektor kann die für Preisanpassungsklauseln bei Energieversorgungsverträgen entwickelte Dreijahreslösung auf die Zahlung von Kontoführungsgebühren übertragen werden. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
2. Diese Dreijahreslösung besagt, dass der Kunde die Unwirksamkeit von Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Girokonto, Rückzahlung, Kontoführungsgebühren, Preisanpassungsklauseln, Energieversorgungsverträge, Dreijahreslösung, Übertragbarkeit der Rechtsprechung, Banken- und Energiesektor, vergleichbare Interessenlage
Vorinstanz:
AG Ingolstadt, Endurteil vom 11.08.2022 – 13 C 1691/21
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Urteil vom 19.11.2024 – XI ZR 139/23
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2023, 51651
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Ingolstadt vom 11.08.2022, Az. 13 C 1691/21, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Ingolstadt ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 192,00 € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
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Der Kläger begehrt die Rückzahlung von Kontoführungsgebühren für ein bei der Beklagten geführtes Girokonto.
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Der Kläger unterhält seit den 1980er ein Konto bei der Beklagten. Dies wurde zunächst kostenlos geführt. Für das Girokonto wurde sodann 2018 das Kontomodell „Giro@direkt“ vereinbart. Mit Informationsschreiben aus dem Oktober 2017 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dass das Kontomodell ab 1.1.2018 mit einer anderen Kosten- und Preisstruktur geführt wird.
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Von Januar 2018 bis Dezember 2021.
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Im Übrigen wird auf die Feststellungen des Erstgerichts Bezug genommen.
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Das Amtsgericht Ingolstadt hat die Klage mit Endurteil vom 21.07.2022 abgewiesen. Gegen das ihm am 08.09.2022 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 07.10.2022 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 07.11.2022 begründet.
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Die Berufungsklagepartei ist der Auffassung, dass die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur ergänzenden Vertragsauslegung bei Energieversorgungsverträgen auf die hiesige Fallkonstellation nicht übertragbar sei.
- 1.
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Das Endurteil des Amtsgerichts Ingolstadt vom 11.08.2022 Az. 13 C 1691/21 wird aufgehoben.
- 2.
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Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag von 192,00 EUR zu bezahlen.
- 3.
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Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger jeden weiteren künftigen Schaden wegen der Einbeziehung nicht vereinbarten Bankgebühren nach 2021 zu ersetzen.
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Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Sie ist der Auffassung, dass die Dreijahreslösung der Rechtsprechung zu übertragen ist. Im Übrigen sieht in der Weiterunterhaltung der Kontoverbindung und Durchführung von Zahlungsverkehr eine konkludente Zustimmung zur neuen Preisstruktur.
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Das Gericht hat am 11.04.2023 mündlich verhandelt und sodann nach Zustimmung der Parteien mit Beschluss vom 05.05.2023 den Übergang ins schriftliche Verfahren angeordnet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze sowie die zu den Akten gereichten Urkunden und Unterlagen.
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Die zulässige Berufung ist unbegründet.
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1. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 360,00 EUR aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB. Die Kammer hält die umfassend begründete Entscheidung des Amtsgerichts unter Berücksichtigung der mit der Berufung geltend gemachten Einwände für zutreffend.
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Zutreffend hat das Amtsgericht unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (S. 6 des Urteils) ausgeführt, dass zunächst in der Weiternutzung des Kontos und in der nur teilweisen Ausübung eines Gestaltungsrechts keine konkludente Zustimmung zu erkennen ist. Das Amtsgericht hat vielmehr ausgeführt, dass der Kläger sich nicht auf eine Unwirksamkeit der Preiserhöhung seitens der Beklagten berufen kann.
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Im Grundsatz hat der Bundesgerichtshof zwar mit Urteil vom 27.04.2021 (XI ZR 26/20, NJW 2021, 2273) festgestellt, dass Klauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Banken und Sparkassen, die ohne inhaltliche Einschränkung die Zustimmung des Kunden zu Änderungen der Allgemeinen Geschäftsbedingungen und Sonderbedingungen fingieren, gemäß § 307 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam sind.
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Allerdings kann die vom Bundesgerichtshof bei Unwirksamkeit von Preisanpassungsklauseln in Energieversorgungsverträgen entwickelte Dreijahreslösung dergestalt herangezogen werden, dass die Grundsätze der ergänzenden Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) die entstandene Lücke schließen, mit der Folge, dass sich der Kläger hinsichtlich Zahlung des Kontoführungsentgelts nicht auf die Unwirksamkeit der Preiserhöhung berufen Diese Dreijahreslösung besagt, dass der Kunde die Unwirksamkeit von Preiserhöhungen, die zu einem den vereinbarten Anfangspreis übersteigenden Preis führen, nicht geltend machen kann, wenn er sie nicht innerhalb eines Zeitraums von drei Jahren nach Zugang der jeweiligen Jahresabrechnung, in der die Preiserhöhung erstmals berücksichtigt worden ist, beanstandet hat (BGH Urt. v. 19.12.2018 – IV ZR 255/17, BeckRS 2018, 33784 Rn. 23, beck-online unter Hinweis auf BGHZ 209, 337 = NJW 2017, 320 Rn. 21; NJW-RR 2017, 557 Rn. 12, jew. mwN).
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Mit dem Amtsgericht geht die Kammer von einer im Kern vergleichbaren Interessenlage im Banken- und Energiesektor, die die Übertragbarkeit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs rechtfertigt, wenngleich die Kammer anerkennt, dass die Rechtsfrage ist in Literatur und Rechtsprechung lebhaft umstritten (siehe Darstellung bei Maier VuR 2023, 163, 171; Bunte/Zahrte, AGB Banken 06/2021 2. Teil. Rn. 36k, beck-online, stellt fest, dass die Gerichte sich überwiegend für eine Übertragung der Dreijahreslösung entschieden haben). Gegen die Entscheidung des LG Trier (LG Trier Urt. v. 25.11.2022 – 1 S 69/22, BeckRS 2022, 42353 Rn. 28, beck-online) ist die Revision beim Bundesgerichtshof unter Az. XI ZR 336/22 anhängig.
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Die Kammer sieht ebenfalls eine im Grundsatz vergleichbare Lage und hält die Übertragung der Rechtsprechungsgrundsätze für möglich.
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Ähnlich wie Energieversorgungsverträge stellen Zahlungsdienstrahmenverträge Dauerschuldverhältnisse im Massengeschäft mit langfristigem Charakter dar (Omlor, NJW 2021, 2243, 2247 Rn. 32; im Kern zustimmend Lang BKR 2022, 78; ablehnend Schultess VuR 2023, 141, 146 in der Anmerkung von LG Trier Urt. v. 25.11.2022 – 1 S 69/22 (Vorinstanz: AG Trier Urt. v. 17.6.2022 – 32 C 286/21). Nach Art. 2 BaySpkG ist der Aspekt der Versorgungssicherheit jedenfalls für die Sparkassen Teil ihrer öffentlichen Aufgabe. Nicht erst die Bankenkrise 2008 hat zu der Erkenntnis geführt, dass ein funktionierendes Bankenwesen Systemrelevanz besitzt. Dies setzt indes eine hinreichende Finanzierung voraus, so dass an einer sicheren Finanzierung ein gesteigertes Bedürfnis besteht. Soweit der Berufungskläger in der Berufungsbegründung ausführt, dass der Bankensektor anders als der Energiemarkt keine vergleichbaren Schwankungen unterläge, überzeugt dies nach Auffassung der Kammer nicht. Nicht nur die weltweite Bankenkrise 2008, sondern auch die Corona-Pandemie als auch geopolitische Konfliktlagen wie der Angriffskrieg gegen die Ukraine belegen die zumindest zeitweise Anfälligkeit des Kapital- und Bankenmarkt. Gleiches gilt für eine anhaltende Niedrigzinsphase die klassische Bankgeschäfte wie Immobilienfinanzierungen weniger ertragreich gestaltet und Geschäften mit höheren Ausfallrisiken zwingt, um die (laufende) Finanzierung sicherzustellen. Auf diesen Aspekt hat auch das Amtsgericht zu Recht abgestellt.
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Systematisch betrachtet ist dem Recht der Zahlungsdienste zudem ein Ausschluss von Ansprüche nach Fristablauf nicht fremd (Omlor NJW 2021, 2243, 2247). Nach § 676b Abs. 2 S. 1, Abs. 3, Abs. 4 S. 1 BGB greift im Falle von fehlerhaften oder nicht autorisierten Zahlvorgängen eine von Amts wegen zu beachtende Ausschlussfrist.
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Anders als das Landgericht Trier (aaO) ausführt, steht zuletzt die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Preisanpassungen bei privaten Krankenversicherungen aus Sicht der Kammer nicht entgegen. In der Entscheidung hat sich Bundesgerichtshof keineswegs allgemeingültig gegen die Übertragbarkeit seiner Rechtsprechung oder zur restriktiven Handhabung aufgefordert, sondern diese für den Einzelfall begründet abgelehnt. Der Bundesgerichtshof hat letztlich ohne nähere Begründung eine vergleichbare Interessenlage mangels Gesamtnichtigkeit abgelehnt. Ob der Bundesgerichtshof, wie zuvor das LG Potsdam die fehlende Abhängigkeit vom Leistungsaustausch für maßgeblich hielt, ist aus den Entscheidungsgründen nicht ersichtlich.
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Im Übrigen schließt sich die Kammer den umfassenden Ausführungen des Amtsgerichts Ingolstadt an.
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2. Nachdem sich die Klagepartei nicht rechtzeitig auf die Unwirksamkeit berufen hat, kann sie auch keine Feststellung hinsichtlich zukünftiger Schäden begehren.
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1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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2. Die Revision war zuzulassen. Nach § 543 Abs. 2 ZPO ist die Revision zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzlich Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Die Revision war vorliegend zuzulassen, da zu klären ist, ob die vom Bundesgerichtshof entwickelte Dreijahreslösung auf die hiesige Fallkonstellation übertragen werden kann.