Titel:
Arzthaftung bei Pneumothorax
Normenketten:
BGB § 630e, § 630f Abs. 1 S. 2
ZPO § 286
Leitsatz:
Allein die kausale Verursachung eines Schadens begründet noch keinen Behandlungsfehler. Entscheidende Voraussetzung ist vielmehr ein dem Sorgfaltsstandard des § 630a Abs. 2 BGB widersprechendes Verhalten des Behandlers, welches die Klägerseite beweisen muss. (Rn. 35) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Pneumothorax, Behandlungsfehler, Aufklärung, Risiko, Dokumentation, Arzthaftung, Beweiswürdigung, Lebenserfahrung, Schmerzen
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 06.09.2023 – 24 U 2894/23 e
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 24.06.2024 – VI ZR 308/23
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 15.07.2024 – VI ZR 308/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 51594
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 117.450,68 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über Ansprüche aufgrund einer ärztlichen Heilbehandlung am 12.01.2017.
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Die Klägerin suchte am 12.01.2017 die Praxis des Beklagten im MVZ Klinikum ... auf. Grund hierfür war ein vorangegangener Sturz der Klägerin auf einer Eisplatte (wobei das Datum dieses Sturzes zwischen den Parteien streitig ist). Die Klägerin verspürte deswegen Schmerzen im Schulter-, HWS- und BWS-Bereich und konnte den Kopf schlecht drehen.
3
Die Klägerin erhielt von einer Arzthelferin einen Anamnesebogen für Neupatienten ausgehändigt. Dort beantwortete sie die Fragen auf Seite 1 und unterschrieb den Bogen auf der letzten Seite. Die Kreuzchen auf der letzten Seite des Bogens vor bzw. unter den Punkten „Einverständniserklärung“ und „Erklärung über Einwilligung“ wurden nicht von der Klägerin gesetzt.
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Die Klägerin wurde anschließend in das Behandlungszimmer zum Beklagten gebracht. Der Beklagte untersuchte die Klägerin klinisch. Es wurden Röntgenaufnahmen der Halswirbelsäule und des Thorax angefertigt, anhand derer eine knöcherne Verletzungsfolge ausgeschlossen werden konnte. Zur weiteren Abklärung war eine MRT-Untersuchung beabsichtigt.
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Zudem führte der Beklagte bei der Klägerin eine paravertebrale Spritzentherapie zur Schmerzlinderung durch. Bei der Injektion im Bereich am Übergang von der Halszur Brustwirbelsäule stach der Beklagte versehentlich die Lungenhülle an. Dies merkte der Beklagte sofort und brach die Behandlung ab.
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Zur weiteren Abklärung wurde durch den Beklagten umgehend eine Röntgenuntersuchung der Lunge durchgeführt. Diese bestätigte einen Mantelpneumothorax. Dieser entwickelte sich im weiteren Verlauf zu einem Spannungspneumothorax. Es wird insoweit auf den Arztbrief des weiterbehandelnden Pneumologen Dr. ...vom 26.01.2017 (Anlage B 3) Bezug genommen.
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Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor:
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Der Sturz, der zur Vorstellung beim Beklagten geführt habe, sei am 10.01.2017 passiert. Dies habe die Klägerin auch so dem Beklagten mitgeteilt.
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Eine ordnungsgemäße Aufklärung vor der Injektion habe nicht stattgefunden. Die Einwilligung der Klägerin sei daher unwirksam und die Behandlung selbst rechtswidrig.
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Der Anamnesebogen, der der Klägerin übergeben wurde, habe lediglich aus zwei Seiten bestanden. Der Bogen habe kein Blatt mit der Überschrift „Informationen zur Vorbereitung auf die ärztliche Behandlung“ enthalten. Auch Risiken einer Spritzenbehandlung seien in dem Bogen nicht erwähnt worden.
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Im Behandlungszimmer habe ihr der Beklagte nur gesagt, dass er ihr für die Behandlung der Schmerzen Spritzen geben müsse. Über die damit verbundenen Risiken oder Komplikationen habe der Beklagte nichts gesagt. Es sei auch nicht zutreffend, dass sie zunächst die Spritze abgelehnt habe und dann nach Verlassen des Behandlungszimmers sich umentschieden habe und doch noch in die Gabe der Spritze eingewilligt habe.
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Die Behandlungsdokumentation des Beklagten sei fehlerhaft und unwahr. Es bestehe der Verdacht, dass diese im Nachhinein ergänzt wurde.
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Bei der Spritzenbehandlung selbst habe es zwei Einstiche gegeben. Beim ersten Einstich habe die Klägerin ein äußerst schmerzhaftes elektrisierendes Zischen im gesamten rechten Arm verspürt. Beim zweiten Einstich musste die Klägerin husten. Sie habe das Gefühl gehabt, dass Luft entwichen wäre.
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Der Einstich in die Lunge sei als Behandlungsfehler anzusehen und beruhe auf fehlender ärztlicher Sorgfalt.
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Eine ausführliche Instruktion und Information der Klägerin habe nicht stattgefunden. Der Beklagte habe ihr gesagt, dass sie sich am nächsten Tag bei den Pneumologen vorstellen solle, was sie dann auch getan habe.
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Nach der Diagnose eines Spannungspneumthorax am 16.01.2017 durch den Pneumologen ... sei die Klägerin sofort in das Klinikum ... eingewiesen worden. Dort sei ihr unter Vollnarkose eine Thoraxdrainage rechts angelegt worden. Die Klägerin sei am 20.01.2017 aus der stationären Behandlung entlassen worden.
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Hinsichtlich der geltend gemachten gesundheitlichen Folgen wird auf den Vortrag auf Seite 5/6 der Klageschrift vom 07.09.2021 verwiesen.
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Die Klägerin beantragt,
I. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes, der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld zu bezahlen, mindestens jedoch 10.000,00 EUR nebst Zinsen hieraus iHv 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.12.2020.
II. Der Beklagte wird ferner verurteilt, an die Klägerin materiellen Schadensersatz iHv 970,68 EUR nebst Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 01.12.2020 sowie als Nebenforderung 1.966,36 EUR (vorgerichtlich entstandene anwaltliche Vergütung) nebst Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.12.2020 zu bezahlen.
III. Der Beklagte wird ferner verurteilt, an die Klägerin einen Haushaltsführungsschaden iHv 65.360,00 EUR nebst Zinsen iHv 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 45.580,00 EUR seit Klageerhebung sowie aus weiteren 19.780,00 EUR zu bezahlen.
IV. Schließlich wird der Beklagte dazu verurteilt, der Klägerin ab Juni 2023 jeweils vierteljährlich im Voraus eine monatliche Rente iHv 860,00 EUR (Haushaltsführungsschaden) zu bezahlen, und zwar jeweils bis spätestens zum 3. Werktag eines Quartals.
V. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin jeglichen weiteren, ihr aus der streitgegenständlichen ärztlichen Falschbehandlung im Jahr 2017 zukünftig noch entstehenden im-/ materiellen Schaden zu ersetzen, dabei den materiellen nur, soweit ein solcher nicht kraft Gesetzes auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist bzw. übergeht.
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Der Beklagte beantragt
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Der Beklagte trägt im Wesentlichen vor:
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Die Klägerin habe bei ihrer Vorstellung in der Praxis des Beklagten angegeben, dass der Sturz am 26.12.20216 passiert sei.
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Die Klägerin sei ordnungsgemäß aufgeklärt worden. Der ausgehändigte Bogen habe aus drei Seiten bestanden, so wie als Anlage B 2 vorgelegt. Auf Seite 2 sei auf die Risiken, insbesondere auch über die Möglichkeit des Anstechens der Lunge, hingewiesen worden. Die Klägerin sei durch die Mitarbeiterinnen des Beklagten darauf hingewiesen worden, dass sie dies lesen solle.
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Auch der Beklagte selbst habe alle möglichen Behandlungsoptionen erläutert und Fragen der Klägerin umfassend geklärt. Er habe über die Möglichkeit einer lokalen Injektionsbehandlung zur Schmerzlinderung aufgeklärt und diese anhand eines Wirbelsäulenmodells erklärt. Es sei insbesondere die räumliche Nähe zur oberen Lungenspitze (Lungenfell) bei der vorgesehenen Schmerzinfiltration an der unteren HWS angesprochen worden. Der Beklagte habe dabei auch über die Komplikation der Punktion des Lungenfells aufgeklärt. Für den Fall, dass eine Injektionsbehandlung nicht gewünscht werde, habe der Beklagte Physiotherapie und/oder orale Schmerzmedikamentation empfohlen.
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Die Klägerin habe sich nach dieser umfassenden Aufklärung zunächst gegen eine Spritze entschieden. Daraufhin habe der Beklagte zunächst ein Rezept über eine manuelle Therapie ausgestellt. Nach Verlassen des Behandlungszimmers habe sie sich umentschieden, sei zurückgekommen und wollte eine Spritze gegen die Schmerzen haben.
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Es habe lediglich einen Einstich mit der Spritze gegeben.
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Die Punktion der Lunge stelle keinen Behandlungsfehler dar. Bei der Injektion sei korrekt vorgegangen worden. Ein Sorgfaltsverstoß liege nicht vor.
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Der Beklagte habe die Klägerin sofort umfassend über den möglichen Pneumothorax informiert und diese in die Obhut der Lungenfachärzte übergeben, die im gleichen Gebäude und auf dem gleichen Stockwerk wie der Beklagte praktizieren.
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Das Gericht hat am 10.05.2023 mündlich zur Sache verhandelt. Das Gericht hat die Klägerin und den Beklagten informatorisch angehört. Es wurde Beweis durch uneidliche Vernehmung der Zeugin T erhoben. Es wurde ferner das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. ... vom 19.09.2022 (Bl. 72/94 d.A.) zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.
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Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf des gesamte schriftsätzliche Vorbringen der Parteien samt Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Klägerin stehen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Schadensersatzansprüche gegen den Beklagten zu.
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Die Klägerin ist beweisfällig dafür geblieben, dass ihre Behandlung durch den Beklagten gegen die zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden, allgemein anerkannten fachlichen Standards verstoßen hat.
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Das Gericht macht sich insofern die überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. ... nach eigener kritischer Prüfung zu eigen. Der Sachverständige hat die gesamten Anknüpfungstatsachen, insbesondere die vorgelegte Dokumentation, umfassend ausgewertet. Einwände gegen die Begutachtung wurden von den Parteien nicht erhoben.
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1. Es ist zwischen den Parteien unstreitig, dass durch den Beklagten bei der Injektion das Lungenfell der Klägerin tangiert wurde. Nach den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. ... (Bl. 89 d.A.) wurde hierdurch der Pneumothorax bei der Klägerin, der sich zu einem Spannungspneumothorax entwickelte, verursacht.
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Allein diese kausale Verursachung begründet aber noch keinen Behandlungsfehler. Entscheidende Voraussetzung ist vielmehr ein dem Sorgfaltsstandard des § 630a Abs. 2 BGB widersprechendes Verhalten des Behandlers. Ein solches kann die Klägerin hier aber nicht nachweisen. Es handelt sich bei dem Pneumothorax um eine seltene, aber typische Komplikation von paravertebralen Injektionen. Auch bei korrekter Ausführung der Injektion ist die Verursachung eines Pneumothorax nicht sicher ausschließbar. Folglich kann auch nicht vom Auftreten dieser Komplikation auf eine fehlerhafte Durchführung rückgeschlosen werden (Bl. 92/93 d.A.). Anhaltspunkte für ein sorgfaltswidriges Handeln konnte der Sachverständige nicht feststellen (Bl. 92 d.A.). Insbesondere verlangt der Facharztstandard nicht, dass die Injektion unter sonografischer oder radiologischer Kontrolle stattfinden muss (Bl. 92 d.A.).
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2. Auch ein sonstiger Behandlungsfehler konnte vom Sachverständigen nicht festgestellt werden. Dies gilt somit auch für den klägerischen Vortrag auf Seite 11 und 12 der Klageschrift, wo ein Behandlungsfehler durch unterlassene Kautelen (Sterilität, Pulsoxymetrie etc) bzw. eine fehlerhafte Nachbehandlung zumindest in den Raum gestellt wird. Der Beklagte hat auf den Verdacht eines Pneumothorax korrekt reagiert, indem er unstreitig sofort eine Röntgenthoraxaufnahme anfertigte und eine Weiterbehandlung in Form einer Vorstellung beim Pneumologen veranlasste (Bl. 89 d.A.). Dies gilt selbst unter Zugrundelegung des klägerischen Vortrags, dass eine Vorstellung beim Pneumologen erst am nächsten Tag erfolgte. Der Sachverständige ist bei seiner Bewertung von diesem Sachverhalt ausgegangen (Bl. 82/83 d.A.).
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Die Klägerin hat wirksam in die streitgegenständliche Injektionstherapie eingewilligt.
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Das Gericht ist im Sinne des § 286 ZPO davon überzeugt, dass der Beklagte die Klägerin entsprechend den Vorgaben des § 630e BGB vor der Behandlung aufgeklärt hat. Insbesondere hat der Beklagte über die Möglichkeit der Verletzung der Lunge und die damit einhergehenden Folgen aufgeklärt.
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Diese Überzeugung bildet sich das Gericht anhand der folgenden Erwägungen:
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1. Das Gericht misst im vorliegenden Fall dem Aufklärungsbogen (Anlage B 2) keinerlei Indizwirkung für die Durchführung und den Umfang der Selbstbestimmungsaufklärung zu. Dies gilt unabhängig von der streitigen Frage, ob der Klägerin hier alle drei Seiten des vorgelegten Bogens, also insbesondere Seite 2 mit den aufgeführten Risiken, vorgelegt wurde.
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Denn bereits das unstreitige Prozedere hinsichtlich der Vorlage und des Ausfüllens des Bogens ergibt, dass das Vorgehen im konkreten Fall nicht geeignet war, der Klägerin die erforderlichen Informationen und Risiken adäquat zu vermitteln. Der Bogen erklärt zwar auf Seite 2 die Durchführung einer Injektionsbehandlung zur Schmerzlinderung und weist auf entsprechende Nebenwirkungen und Komplikationen hin. Zu dem Zeitpunkt, als der Klägerin dieser Bogen ausgehändigt wurde, wusste diese aber noch gar nicht, ob bei ihr überhaupt eine Injektionsbehandlung vorgenommen werden sollte. Es kann von einem Patienten nicht erwartet werden, dass er sich in völliger Unkenntnis der erforderlichen oder möglichen Therapie bereits vorab gewissenhaft über mögliche abstrakte Risiken gewisser Behandlungen in dem Maße informieren kann, um dann eine selbstbestimmte Entscheidung für oder gegen die Behandlung zu treffen.
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2. Das Gericht bildet sich seine Überzeugung aufgrund der glaubhaften Aussage des Beklagten im Rahmen seiner informatorischen Anhörung. Daraus ergibt sich, dass der Beklagte die Klägerin vor der Spritzentherapie – wie vom Gesetz vorgesehen (§ 630e Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BGB) mündlich – umfassend, insbesondere über die Risiken, aufklärte.
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Das Gericht berücksichtigt dabei, dass der Beklagte als Partei ein eigenes Interesse an dem Ausgang dieses Verfahrens hat. Dennoch hält es seine Aussage für glaubhaft. Es ist sehr gut nachvollziehbar, dass sich der Beklagte auch sechs Jahre später und trotz zahlreicher zwischenzeitlich erfolgten Behandlungen gleicher Art konkret an die streitgegenständliche Behandlung erinnert. Bei der vorliegenden Komplikation handelt es sich, wie auch der Sachverständige in seinem Gutachten ausführte, um ein Risiko, das sich einerseits nur selten verwirklicht, andererseits durchaus erheblich, gar dramatisch ist. Der Beklagte gab in der mündlichen Verhandlung am 10.05.2023 an, dass dieser Vorfall auch für ihn eine Rarität sei. Der Vorfall ragt daher aus dem normalen Praxisgeschehen so heraus, dass dieser verständlicherweise im Gedächtnis des Arztes bleibt.
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Für die Glaubhaftigkeit spricht ferner, dass der Beklagte einerseits einräumte sich an einige Punkte nicht mehr zu erinnern, z.B. ob auf dem Aufklärungsbogen bereits die Unterschrift der Klägerin vorhanden war oder wer ihm diesen übergab. Anderseits wies die Aussage aber im medizinischen Kerngeschehen Detailreichtum auf. So schilderte der Beklagte authentisch, wie er den Ablauf der Spritzenbehandlung anhand eines Modells erklärte oder dass die Klägerin zunächst ablehnend auf die vorgeschlagene Behandlung reagierte.
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Die Schilderungen des Beklagten sind widerspruchsfrei. Die Ausführungen des Beklagten in der mündlichen Verhandlung am 10.05.2023 sind auch konstant mit dem schriftsätzlichen Vorbringen im schriftlichen Vorverfahren. Dies gilt insbesondere für das Verhalten der Klägerin. Es erscheint dem Gericht ohne weiteres plausibel, dass diese nach der Risikoaufklärung zunächst von einer Spritzenbehandlung Abstand genommen hat und nach einer weiteren Überlegungszeit sich doch für diese entschieden hat. Gerade dieses Verhalten der Klägerin wurde vom Beklagten über die Dauer des Prozesses konstant vorgetragen.
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3. Das Gericht misst der vorgelegten Dokumentation einerseits keine positive Indizwirkung für die Frage der Aufklärung bei. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die EDVbasierte Dokumentation nachträgliche Änderungen den Anforderungen des § 630f Abs. 1 Satz 2 und 3 BGB sichtbar macht. Dies kann hier aber offen bleiben. Die Schilderung des Beklagten erfolgten anhand seiner eigenen konkreten Erinnerungen.
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Andererseits geht das Gericht hier aber auch nicht von einer „Manipulation“ der Dokumentation aus, woraus man im Rahmen der Beweiswürdigung den Schluss ziehen könnte, der Beklagte wolle etwas „vertuschen“. Soweit die Klagepartei in den Raum stellt, dass die Dokumentation nachträglich der Wahrheit zuwider ergänzt wurde, handelt es sich um eine bloße Vermutung. Substantiierte Anhaltspunkte hierfür konnte die Klägerin nicht vortragen. Dagegen spricht bereits, dass der Beklagte bei einer nachträglichen Ergänzung höchstwahrscheinlich auch die offenkundige Unrichtigkeit, die Infiltration sei links erfolgt, verbessert hätte. Das insofern klägerseits angebotene EDV-Gutachten war daher nicht einzuholen. Hierbei hätte es sich um einen reinen Ausforschungsbeweis gehandelt.
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4. Für die Richtigkeit der Einlassung des Beklagten spricht auch die Aussage der Zeugin T.
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Die Zeugin war zwar bei der streitgegenständlichen Behandlung der Klägerin nicht persönlich anwesend. Sie bestätigte aber, dass der Beklagte vor einer Spritzenbehandlung stets die Patienten selbst mündlich über die Art der Behandlung und Risiken aufklärte. Sie bestätigte auch die Angaben des Beklagten, dass er bei Injektionen im Bereich LWS anhand eines im Behandlungszimmer vorhanden Modells aufklärte.
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Soweit die Zeugin auf Frage des Klägervertreters Risiken nannte, über die der Beklagte aufgeklärt habe und die Klagepartei daraus den Umkehrschluss ziehen möchte, dass über die Gefahr eines Pneumothorax nicht aufgeklärt wurde, ist dem nicht zu folgen. Bereits an der Formulierung der Aussage der Zeugin zu bestimmten Risiken, über die aufgeklärt wurde, ist zu erkennen, dass die Zeugin hier nur beispielhaft einzelne Risiken nannte (“insbesondere“). Die Zeugin bestätigte auch, dass den Behandlungen jeweils verschiedene Körperregionen zugrunde lagen, an denen die Injektion erfolgt sind. Folglich – und dies ist auch für den medizinischen Laien ohne weitere nachvollziehbar – fiel die Aufklärung je nach Körperregion in einzelnen Punkten anders aus. Über welche Risiken der Beklagte bei einem Einstich im Bereich der Schulter bzw. des Rückens konkret aufklärte, konnte sich die Zeugin nicht mehr erinnern.
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Die Aussage der Zeugin ist auch glaubhaft. Das Gericht verkennt nicht, dass die Zeugin mehrere Jahre beim Beklagten angestellt war und deswegen ein Näheverhältnis zu diesem bestand. Die Aussage der Zeugin war jedoch nicht von einer Entlastungstendenz für den Beklagten geprägt. Das Gericht hatte auch nicht den Eindruck, dass die Zeugin in irgendeiner Form auf ihre Aussage in der mündlichen Verhandlung vorbereitet wurde. Vielmehr erfolgten ihre Schilderungen spontan und authentisch.
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5. Hingegen ist die Aussage der Klägerin wenig belastbar und vermag den Vortrag der Beklagtenseite zur Aufklärung nicht zu erschüttern.
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Die Aussage der Klägerin zur streitgegenständlichen Behandlung ist für das Gericht in den entscheidenden Punkten bereits wenig plausibel. Nach der Schilderung der Klägerin habe ihr der Beklagte nach der Diagnostik erklärt, dass er ihr noch etwas gegen die Schmerzen geben werde. Ohne weiteres Gespräch oder Nachfragen soll der Beklagte dann die Injektion vorgenommen haben. Es widerspricht jeglicher Lebenserfahrung, dass ein Arzt ohne dies auch nur mit einem Wort zu erwähnen, überfallartig eine Spritze setzt. Es erscheint auch wenig nachvollziehbar, dass die Klägerin, allein aufgrund des Satzes, ihr werde etwas gegen die Schmerzen gegeben, ohne Nachfragen eine Injektion in den Rücken vornehmen lässt. Hierzu im Widerspruch steht auch die Einlassung der Klägerin, dass sie ein sehr vorsichtiger Mensch sei und keinerlei Risiken eingehen wollte. Auch auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts und des Klägervertreters konnte die Klägerin diese Unplausibilität in der mündlichen Verhandlung nicht erklären.
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Die Einlassung der Klägerin ist zudem wenig konstant. Der Vortrag des Beklagten in der Klageerwiderung vom 03.02.2022 (Bl. 36 d.A.), dass die Untersuchung eine stark schmerzhaft eingeschränkte Beweglichkeit der HWS mit ausgeprägtem Druckschmerz der unteren HWS und oberen BWS ergab und dass am rechten Schulterblattrand starke Druckschmerzen provozierbar waren, blieb klägerseits schriftsätzlich – insbesondere in der Replik vom 24.02.2022 – unbestritten. In der mündlichen Verhandlung am 10.05.2023 sprach die Klägerin dagegen lediglich von nur moderaten Schmerzen. Bei dem Termin mit dem Beklagten sei es ihr im wesentlichen um die Befundung gegangen. Dies ist nicht nachvollziehbar und auch widersprüchlich, weil die Klägerin in der Klageschrift vom 07.09.2021 noch vortragen ließ, dass die persistierenden Schmerzen und Beschwerden sie bei ihrer täglichen Arbeit behinderten und sie deswegen den Beklagten aufsuchte (Bl. 3 d.A.).
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Mangels begründeter Hauptforderung waren auch die geltend gemachten Nebenforderungen abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung ergeht nach § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.