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LG Nürnberg-Fürth, Beschluss v. 19.12.2023 – II StVK 1122/22
Titel:

Vollstreckung einer ungarischen Freiheitsstrafe wegen Menschenschmuggels für zulässig erklärt

Normenketten:
EMRK Art. 6
IRG § 54, § 84, § 84a, § 84b, § 84d, § 84f, § 84g
Leitsatz:
Die Vollstreckung einer ungarischen Freiheitsstrafe ist für zulässig zu erklären, wenn der von der Verteidigung geltend gemachte Verstoß gegen Art. 6 EMRK bei der Verurteilung nicht positiv festgestellt werden kann. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Exequatur, Vollstreckung, Freiheitsstrafe, Ausland, Ungarn, Vollstreckungshindernis, Menschenrechtsverstoß
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Nürnberg, Beschluss vom 11.06.2024 – Ws 85/24
BVerfG Karlsruhe, Beschluss vom 06.08.2024 – 2 BvR 920/24
BVerfG Karlsruhe, Beschluss vom 22.01.2025 – 2 BvR 920/24
Fundstelle:
BeckRS 2023, 51590

Tenor

1. Die Vollstreckung aus dem rechtskräftigen Urteil des Bezirksgerichts Sopron vom 23.11.2021, Az.: B.270/2021/5., rechtskräftig seit 23.11.2021, wird für zulässig erklärt.
2. Entsprechend des Erkenntnisses aus Ungarn wird eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren festgesetzt.
3. Auf die Freiheitsstrafe von 3 Jahren ist die bereits in Ungarn gegen den Verurteilten vollzogene Untersuchungshaft von 2 Tagen anzurechnen.
4. Dem Verurteilten werden die Kosten des Verfahrens sowie der weiteren Vollstreckung auferlegt.

Gründe

I.
1
Der Verurteilte wurde durch Urteil des Soproner Bezirksgerichts, Az.: B.270/2021/5., vom 23.11.2021, rechtskräftig seit 23.11.2023, des einmaligen Verbrechens des Menschenschmuggels gemäß § 353 Absatz (1) und Absatz (2) Punkt b) schuldig gesprochen und deswegen zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren verurteilt.
2
Der Verurteilte befand sich vom 22.11.2021 bis 23.11.2021 in Untersuchungshaft in Ungarn.
II.
3
Am 28.09.2022 haben die ungarischen Behörden unter Beifügung der Bescheinigung nach Art. 4 des Rahmenbeschlusses 2008/909/JI des Rates vom 27. November 2008 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile in Strafsachen, durch die eine freiheitsentziehende Strafe oder Maßnahme verhängt wird, für die Zwecke ihrer Vollstreckung in der Europäischen Union, die deutschen Behörden ersucht, die vorgenannte Entscheidung anzuerkennen und die Vollstreckung der darin verhängten Freiheitsstrafe zu übernehmen.
4
Der Verurteilte wird durch die Rechtsanwälte … als Rechtsbeistände vertreten.
5
Dem Verurteilten wurde bereits durch die Staatsanwaltschaft N.-F. Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, sich zum Antrag der ungarischen Behörden zu äußern. Der Verteidiger des Verurteilten nahm in diversen Schriftsätzen Stellung und beantragte, die Vollstreckung der Freiheitsstrafe für unzulässig zu erklären.
6
Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass das Urteil des Soproner Bezirksgerichts aus Sicht der Verteidigung unter Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention zustande gekommen sei. Zudem habe das Gericht in Ungarn die Schuldfähigkeit des Verurteilten nicht geprüft. Auf die Schriftsätze wird Bezug genommen. Ferner führte RA… aus, der Verurteilte sei nicht haftfähig und beantragte die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage der Haftfähigkeit.
7
Die Staatsanwaltschaft N.-F. beantragte mit Verfügung vom 23.10.2023, die vorgenannte Freiheitsstrafe für in der Bundesrepublik Deutschland vollstreckbar zu erklären und in eine Freiheitsstrafe nach deutschem Recht umzuwandeln sowie zu beschließen, dass auf die festzusetzende Sanktion der Teil der Sanktion, der durch die Verbüßung der Auslieferungshaft bereits gegen den Verurteilten wegen der Tat vollstreckt worden ist, anzurechnen, §§ 54, 55 IRG, und dem Verurteilten die Kosten der weiteren Vollstreckung aufzuerlegen, § 57a IRG.
III.
8
Die Vollstreckung des ungarischen Urteils ist zulässig, §§ 84, 84a, 84b IRG. 1.
9
Das Bezirksgericht Sopron der Republik Ungarn, welche seit dem 01.05.2004 Mitglied der Europäischen Union ist, hat gegen den Verurteilten rechtskräftig eine Freiheitsstrafe verhängt, die auch vollstreckbar ist, § 84a Abs. 1 Nr. 1 lit. a) IRG.
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2. Die Taten sind sowohl nach dem Recht Ungarns als auch nach dem Recht der Bundesrepublik Deutschland als Einschleusen von Ausländern (§ 96 Abs. 1 Nr. 1 b AufenthG) strafbar und die verhängte Freiheitsstrafe überschreitet nicht das nach deutschem Recht vorgesehene Höchstmaß, § 84a Abs. 1 Nr. 2 IRG.
11
3. Der Verurteilte hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland, § 84a Abs. 1 Nr. 3 lit. a) IRG, zuletzt in N..
12
4. Das der verhängten Freiheitsstrafe zugrunde liegende Erkenntnis erging in Anwesenheit des Verurteilten, § 84b Abs. 1 Nr. 2 IRG.
13
Die Vollstreckung des der verhängten Freiheitsstrafe zugrunde liegenden Erkenntnis ist nach deutschem Recht nicht verjährt, § 84b Abs. 1 Nr. 4 IRG i.V.m. § 79 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 StGB. Anhaltspunkte für einen Verstoß gegen das Doppelverfolgungsverbot liegen nicht vor, § 84b Abs. 1 Nr. 3 lit. b) IRG. Eine mögliche Schuldunfähigkeit des Verurteilten nach § 84b Abs. 1 Nr. 1 IRG ist vorliegend nicht gegeben, denn der Verurteilte war zum Zeitpunkt der Tat Erwachsener. Eine weitergehende Prüfung der Schuldfähigkeit – wie etwa im Rahmen der § 49 IRG – ist aufgrund des hier anzuwendenden Prüfungsmaßstabs nicht durchzuführen.
14
Auch liegen keine Bewilligungshindernisse gemäß § 84d IRG vor.
15
Die seitens der Verteidigung geltend gemachten Argumente dringen nicht durch. Ein Verstoß gegen Art. 6 EMRK kann nicht positiv festgestellt werden. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen nach der EuGVVO soll die Zusammenarbeit der Justizbehörden der Union in Zivil- und Strafsachen erleichtern und den Aufbau eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in Europa fördern. Das ist unter dem Blickwinkel der Konvention berechtigt, doch dürfen die Modalitäten dieses Raums nicht einen offensichtlich unzureichenden Grundrechtsschutz zur Folge haben (NJOZ 2018, 1515, beck-online).
16
Der Gerichtshof in Györ, Strafvollstreckungsabteilung, nahm zu den Vorwürfen am 07.06.2023 Stellung.
17
Die Urteilsgründe lassen jedoch erkennen, dass in der Gesamtheit ein faires Verfahren einschließlich der Art und Weise der Beweiserhebung und -würdigung vorlag. Das Gericht hat dabei insbesondere auch Urkunden, die im Rahmen der Durchsuchung aufgefunden wurden, sowie weitere Zeugen als Beweismittel herangezogen. Ferner ist die Beweiswürdigung ureigenste Aufgabe des Gerichts.
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5. Die Zustimmung des Verurteilten ist nicht erforderlich, da er sich in Deutschland aufhält (Umkehrschluss aus Abs. 1 Nr. 3 lit. c).
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Die Vollstreckungsübernahme ist daher nach den §§ 84, 84a, 84b IRG möglich, sodass die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Nürnberg-Fürth die Vollstreckung nach §§ 84f, 84 g IRG für zulässig zu erklären hatte.
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6. Gemäß § 54 Abs. 1 IRG ist für die nach deutschen Recht festzusetzende Sanktion das ausländische Erkenntnis maßgebend. Die nach dem Recht Ungarns verhängte Freiheitsstrafe ist daher in drei Jahre Freiheitsstrafe nach deutschem Recht umzuwandeln. Zugleich war anzuordnen, dass auf die festzusetzende Sanktion die in Ungarn gegen den Verurteilten wegen der Tat vollzogene Untersuchungshaft als Teil der Sanktion anzurechnen ist, § 54 Abs. 4 IRG.
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7. Ein Grund für eine Verkürzung der Strafdauer von drei auf zwei Jahre ist nicht ersichtlich. Vielmehr kann hier in Deutschland die Vollstreckung der Strafe – spätestens – nach Verbüßung von Zweidritteln der Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden.
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8. Dass dem Verurteilten die Kosten des Verfahrens sowie die Kosten der weiteren Vollstreckung aufzuerlegen waren, ergibt sich aus § 77 IRG i.V.m. § 465 StPO sowie § 57a IRG.