Inhalt

LG Amberg, Endurteil v. 13.07.2023 – 24 O 165/21
Titel:

Vollstreckungsbescheid, Bezugsberechtigung, Bezugsberechtigter, Versicherungsnehmer, Versicherungsleistungen, Mahnbescheid, Entreicherung, Lebensversicherungsvertrag, Lebensversicherungsleistungen, Wegfall der Bereicherung, Rechtsvorgänger, Ungerechtfertigte Bereicherung, Elektronisches Dokument, Versicherungsschein, Kosten der Nebenintervention, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Zahlungsauftrag, Bösgläubigkeit, Informatorische Anhörung, Ehegatten

Leitsatz:
Wenn eine Lebensversicherungsleistung seitens der Versicherung irrtümlich an einen nicht Bezugsberechtigten ausbezahlt wird (Elternteil statt Ehepartner), kann die Versicherung Rückzahlung gem. § 812 Abs. 1 S. 1 1. Alt. BGB verlangen. Der Leistungsempfänger ist bösgläubig i.S.d. §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1 BGB, wenn er den Lebensversicherungsvertrag selbst abgeschlossen hatte und ihm auf Grund der Formulierungen zur Bezugsberechtigung im Antrag bekannt war, dass ein anderweitiges (gestaffeltes) Bezugsrecht besteht, diese Vertragsregelung durch Übersendung einer Zweitausfertigung des Versicherungsscheins nach einigen Jahren in Erinnerung gerufen wurde, dem Leistungsempfänger bekannt ist, dass ein Ehegatte vorhanden ist, und sich die mangelnde Bezugsberechtigung des Elternteils auch aus der Formulierung des Zahlungsauftrages seitens der Versicherung („Unterschrift des Ehegatten“) aufdrängen musste.
Schlagworte:
Vollstreckungsbescheid, Entreicherung, Verschärfte Haftung, Beweislast, Wegfall der Bereicherung, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Fundstelle:
BeckRS 2023, 51557

Tenor

1. Der Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts … vom 02.02.2021, Az: … wird aufrechterhalten.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten der Nebenintervention zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar. Die Vollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts … vom 02.02.2021, Az: … darf nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages fortgesetzt werden.
4. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Widerspruchsfrist gegen den Mahnbescheid vom 21.12.2020 wird zurückgewiesen.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 50.486,55 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Rückzahlungsansprüche im Zusammenhang mit der Auszahlung einer Versicherungsleistung. Die Klägerin nimmt den Beklagten als Alleinerben seiner Ehefrau, Frau A. R., verstorben am 05.08.2019, auf Rückzahlung aus ungerechtfertigter Bereicherung in Anspruch.
2
Unter dem 12.09.1987 beantragte die zwischenzeitlich verstorbene A. R. als Versicherungsnehmerin zugunsten ihres Sohnes, des damals 17-jährigen W. R., als Versicherten, den Abschluss einer Lebensversicherung bei der Rechtsvorgängerin der Klägerin, der … Lebensversicherung …. Die Versicherungspolice wurde unter dem 18.09.1987 ausgefertigt.
3
Es war ein Standardbezugsrecht vereinbart, wonach im Falle des Todes des Versicherten in aufgeführter Reihenfolge unter Ausschluss des jeweils nachfolgenden Berechtigten der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner, die ehelichen oder die ihnen gesetzlich gleichgestellten Kinder, die Eltern und als letztes die Erben bezugsberechtigt sein sollten.
4
A. R. erhielt unter dem 21.02.2012 als Versicherungsnehmerin einen Ersatzversicherungsschein, Anlage K 3, aus dem sich die Bezugsberechtigung ergibt.
5
Im Jahr 2017 informierte A. R. die Rechtsvorgängerin der Klägerin über den Tod des Versicherten, W. R. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin reagierte hierauf mit Schreiben vom 17.05.2017 (Anlage K 4), gerichtet an die Versicherungsnehmerin, die ihrerseits unter Beifügung der Sterbeurkunde und Verlusterklärung bzgl. des Originalversicherungsscheins um Auszahlung der Versicherungsleistung auf ihr Konto bat. Der Zahlungsauftrag vom 21.05.2017 wurde dabei unter der Rubrik „Unterschrift des Ehegatten“ sowie von Frau A. R. als auch von deren Ehemann, dem Beklagten, unterschrieben, Anlage K 5. In diesem Formular des Zahlungsauftrages, welches A. R. zur Verfügung gestellt wurde, war die „Unterschrift des Ehegatten“ erforderlich.
6
Demgemäß zahlte die Rechtsvorgängerin der Klägerin gemäß Abrechnungsschreiben vom 31.05.2017 einen Betrag in Höhe von 70.486,55 € an Frau A. R. aus (Anlage K6).
7
Dabei übersah diese, dass Frau A. R. nicht die in erster Linie bezugsberechtigte Ehefrau des verstorbenen Versicherten, sondern dessen Mutter, war.
8
A. R. war im Rahmen des vertraglich vereinbarten Standardbezugsrechts im Zeitpunkt des Todes des W. R. nicht (mehr) bezugsberechtigt. Dies war vielmehr dessen Witwe R. R.
9
Aufgefallen ist dieses Versehen im Haus der Klägerin erst im Zusammenhang mit einem Schreiben, mit welchem sich Frau R. R., die Ehefrau des verstorbenen Versicherten, unter dem 28.01.2018 meldete und ihre berechtigten Ansprüche als tatsächliche Bezugsberechtigte anmeldete (Anlage K 7).
10
Daraufhin wandte sich die Rechtsvorgängerin der Klägerin mit Schreiben vom 06.02.2018 (Anlage K 8) an A. R. und forderte diese vergeblich zur Zurückzahlung der irrtümlich an sie ausgezahlten 70.486,55 € auf.
11
A. R. zahlte an R. R. einen Betrag in Höhe von 20.000,00 €. Von der Klägerin wurde daraufhin noch die Zahlung der restlichen 50.486,55 € gefordert.
12
Die Klägerin beantragte den Erlass eines Mahnbescheides gegen A. R., welcher nicht zustellbar war, da die Schuldnerin zwischenzeitlich verstorben war. Alleinerbe von A. R. ist deren Ehemann, der Beklagte. Die Klägerin beantrage daraufhin den Erlass eines neuen Mahnbescheides gegenüber dem Beklagten.
13
Das Amtsgericht …, Az: … hat am 02.02.2021 aufgrund des am 21.12.2020 erlassenen und am 23.12.2020 zugestellten Mahnbescheids Vollstreckungsbescheid erlassen, der den Beklagten am 05.02.2023 mit folgendem Inhalt zugestellt wurde:
„…
I. Hauptforderung:

Ungerechtfertigte Bereicherung gemäß Schreiben vom 06.02.2018

50.486,55 €

II. Verfahrenskosten (Streitwert: 50.486,55 €):

Gerichtskosten

333,00 € …

Gesamtsumme

50.819,55 €

III. Zinsen:
hinzu kommen laufende Zinsen zur Hauptforderung l.:
Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz aus 50.486,55 € ab Zustellung des Mahnbescheides.
…“
14
Auf den Vollstreckungsbescheid, Bl. 4 f d.A., wird vollumfänglich Bezug genommen.
15
Der Beklagtenvertreter legte mit Schriftsatz vom 15.02.2021 gegen diesen Vollstreckungsbescheid Einspruch ein. Gleichzeitig beantragte er Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Widerspruchsfrist gegen den Mahnbescheid vom 21.12.2020 und legte insofern auch gegen den Mahnbescheid vom 21.12.2020, zugestellt durch Niederlegung am 23.12.2020, Widerspruch ein.
16
Die Klägerin macht den Anspruch aus § 812 ff. BGB geltend und geht davon aus, dass die Erblasserin die Leistung ohne Rechtsgrund erhalten habe.
17
Die fälschliche Auszahlung der Versicherungsleistung an A. R. sei nicht in Kenntnis der Nichtschuld gemäß § 814 BGB erfolgt, da die Mitarbeiter der Klägerin es in Anbetracht der Tatsache, dass der Zahlungsauftrag vom 21.05.2017 von A. R. unterschrieben war, verabsäumt hätten zu prüfen, ob es sich dabei tatsächlich um die bezugsberechtigte Ehegattin des Verstorbenen handelte.
18
A. R. sei im Zeitpunkt des Empfangs der Versicherungsleistung bösgläubig im Sinne des § 819 Abs. 1 BGB gewesen. Dass im Rahmen des vereinbarten Standard-Bezugsrechts nicht sie als Mutter, sondern ihre Schwiegertochter, R. R., als Ehefrau des Versicherten bezugsberechtigt war, habe sich eindeutig aus dem als Anlage K3 vorgelegten Ersatzversicherungsschein ergeben, der unter dem 21.02.2021 an A. R. als Versicherungsnehmerin verschickt wurde. Weiter stellt die Beklagte darauf ab, dass das Formular des Zahlungsauftrages, welches A. R. seitens der Rechtsvorgängerin der Klägerin zur Verfügung gestellt wurde, die Unterschrift des Ehegatten erfordert, womit nach Dafürhalten der Klägerin eindeutig festgestanden habe, dass nur diese und nicht etwa die Versicherungsnehmerin und Mutter als Zahlungsempfängerin in Betracht kam. Der Antrag auf Auszahlung der Versicherungsleistung lasse eindeutig erkennen, dass die Klägerin zweifelsfrei nach der Unterschrift des tatsächlich bezugsberechtigten Ehegatten und nicht nach derjenigen des Versicherungsnehmers gefragt habe. Der Verzicht auf die weibliche Form „Ehegattin“ sei möglicherweise nicht gendergerecht gewesen. Es habe sich daraus nichtsdestotrotz ableiten lassen, dass es sich um den Antrag des vertraglich berechtigten Leistungsempfängers handelte. Dies habe sich auch aus den Vertragsunterlagen als solches ergeben. A. R. sei als Geschäftsfrau auch nicht unerfahren und in der Lage gewesen, klar formulierte Vertragsbedingungen und/oder Antragsformulare richtig zu verstehen. A. R. habe angesichts des eindeutigen Vertragsinhaltes ohne weiteres erkennen können, dass sie nicht Anspruchsberechtigte gewesen sei.
19
Entreicherung sei nicht gegeben. Es fehle an Vortrag dahingehend, dass bzw. warum die Käufe ohne Auszahlung der streitgegenständlichen Versicherungsleistungen unterblieben wären. Bzgl. des für den Gemüsehandel angeschafften … Busses bzw. Kastenwagens müsse unterstellt werden, dass es sich hierbei um einen betrieblichen notwendigen Kauf gehandelt habe, der so oder so getätigt worden wäre. Auch wären insofern zumindest steuerliche Vorteile der vermeintlichen Bereicherung entgegenzurechnen. Es müsste angesichts des in der Vergangenheit florierenden Obst- und Gemüsehandels unterstellt werden, dass sie sich auch ohne die gegenständliche Versicherungsleistung automäßig gut versorgt und ansprechende Urlaubsreisen gegönnt hätten. Von Luxusaufwendungen könne keine Rede sein.
20
Die Klägerin beantragt,
den Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts … vom 02.02.2021 (Az: …) aufrecht zu erhalten.
21
Die Klägerin beantragte hilfsweise,
den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 50.486,55 € zzgl. 5 Prozentpunkten über den jeweiligen gültigen Basiszinssatz ab Zustellung des Mahnbescheides zu zahlen.
22
Der Beklagte beantragt:
1.
Der Vollstreckungsbescheid des Amtsgerichts … vom 02.02.2021, Az: …, wird aufgehoben.
2.
Die Klage wird abgewiesen.
23
Gleichzeitig beantragte der Beklagte bzgl. der Versäumung der Widerspruchsfrist gegen den Mahnbescheid vom 21.12.2020 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
24
Die Klägerin beantragte, den Antrag des Beklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückzuweisen.
25
Der Beklagte geht davon aus, dass er und seine Ehefrau nicht böswillig gehandelt hätten. Sowohl er als auch seine verstorbene Ehefrau seien bei der Unterschriftsleistung der festen Überzeugung gewesen, dass diese als Versicherungsnehmerin berechtigt gewesen sei, die Zahlung der Versicherungssumme an sich zu verlangen. Er und seine Ehefrau hätten bei der Unterschriftsleistung nicht gewusst, dass im Falle des Todes des Sohnes dessen Ehefrau bezugsberechtigt sei. Böswilligkeit im Sinne des § 819 Abs. 1 BGB habe nicht vorgelegen.
26
Der Beklagtenvertreter weist darauf, dass auch die Klägerin es übersehen habe, dass A. R. nicht in erster Linie bezugsberechtigte Ehefrau des verstorbenen Versicherten, sondern dessen Mutter, gewesen war. Dies hätte, so der Beklagte, bei entsprechender Überprüfung des Zahlungsauftrages (Anlage K5) der Klägerin auffallen müssen, da sich zweifelsohne neben dem Datum (21.05.2017) zwei Unterschriften befinden, einmal von A. R. und einmal offensichtlich von F. R., wobei es vorgedruckt unter der Unterschrift A. R. heißt „Unterschrift des Ehegatten“. Nach Auffassung des Beklagtenvertreters hätte es daher im Vordruck heißen müssen „Unterschrift der Ehegattin“. Auch verweist er darauf, dass das Schreiben der Klägerin vom 17.05.2017 (Anlage K4) an A. R., somit an die Versicherungsnehmerin, und nicht an die Witwe des verstorbenen Sohnes der Eheleute R., R. R., gerichtet ist. Nachdem sich neben der Unterschrift von A. R. noch eine weitere Unterschrift von F. R. befindet, hätte dies der Klägerin, so die Beklagte, auffallen müssen. Wenn es sich bei der Unterschrift von A. R. um die Witwe des Verstorbenen gehandelt hätte, würde, so der Beklagtenvertreter, die zweite Unterschrift mit F. R. keinen Sinn ergeben.
27
Der Geschäftsbetrieb sei, so der Beklagte, aus rein steuerlichen und rentenversicherungstechnischen Gründen auf A. R. überschrieben worden. Der Beklagte habe auch nach der Überschreibung des Betriebes alles, was damit zusammengehängt habe, praktisch alleine und in eigener Rechte geführt.
28
Die ausbezahlte Versicherungssumme sei auch nicht mehr vorhanden; das Geld sei ausgegeben. Der Beklagte geht daher von Entreicherung aus.
29
Man habe sich von dem Geld einen Pkw … angeschafft, der allerdings längst nicht mehr vorhanden sei, und einen … Bus bzw. … Kastenwagen für den Gemüsehandel. Es habe sich dabei um ein gebrauchtes Fahrzeug gehandelt, dass dann kaputt gegangen sei und ebenfalls längst nicht mehr vorhanden sei.
30
Auch seien von dem Geld eine bzw. mehrere Urlaubsreisen bestritten worden. Diese Dinge hätten sie sich, so der Beklagte, sonst nicht geleistet.
31
Zum weiteren Parteivortrag wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
32
Die Klägervertreterin verkündete mit Schriftsatz vom 20.05.2021 R. R. den Streit.
33
Mit Schriftsatz vom 28.09.2021 trat die Streitverkündete R. R. dem Rechtsstreit auf Seiten der Klagepartei bei.
34
Das Gericht hat keinen Beweis erhoben. Das Gericht hat den Beklagten informatorisch gehört.

Entscheidungsgründe

35
Der Klägerin steht gegen den Beklagten der im Vollstreckungsbescheid des AG… vom 02.02.2021 titulierte Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB zu, so dass der Vollstreckungsbescheid aufrechtzuerhalten war. Der Beklagte kann sich nicht auf Entreicherung gem. § 818 Abs. 3 BGB berufen. Überdies haftet er verschärft wegen Bösgläubigkeit gem. §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1 BGB.
A.
36
Der Vollstreckungsbescheid ist nach § 700 Abs. 1 ZPO einem Versäumnisurteil gleichgestellt.
37
Der Einspruch war zulässig, insbesondere binnen der Notfrist von 2 Wochen eingelegt, sodass zu prüfen war, ob der Vollstreckungsbescheid zu Recht ergangen und deshalb auch aufrecht zu erhalten war. Nachdem der Vollstreckungsbescheid rechtmäßig ergangen war, musste er aufrechterhalten werden.
38
I. Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 BGB zu.
39
1. Die Klägerin ist unstreitig Rechtsnachfolgerin der … Lebensversicherung … als der auszahlenden Stelle und damit aktivlegitimiert.
40
Der Beklagte war unstreitig als Erbe der verstorbenen A. R. gem. § 1922 Abs. 1 BGB passivlegitimiert.
41
2. A. R. als Erblasserin wurden seitens der Rechtsvorgängerin der Klägerin 70.486,55 € ausbezahlt, so dass diese etwas durch Leistung selbiger erlangt hat. 3.
42
Die Leistung erfolgte auch ohne Rechtsgrund, da A. R. als Mutter des Verstorbenen W. R. nicht bezugsberechtigt war, sondern vielmehr R. R. als Ehefrau des Verstorbenen.
43
4. Damit ist der Beklagte gem. §§ 812 Abs. 1 S. 1, 818 BGB zur Herausgabe des Erlangten verpflichtet.
44
II. Dem Anspruch steht nicht § 814 1. Alt. BGB entgegen, wonach das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden kann, wenn der Leistende gewusst hat, dass er zur Leistung nicht verpflichtet war.
45
Wie die Klägerin vorgetragen hat, handelte es sich bei der Auszahlung um einen Irrtum. Die Klägerin ging fälschlicherweise von einer Auszahlung an den Ehegatten aus. Dieser Vortrag ist zum einen unstreitig und zum anderen auch plausibel, da Auszahlungen seitens der Versicherung grundsätzlich nur an Bezugsberechtigte erfolgen und es keinerlei Anhaltspunkte dafür gibt, dass hier an einen davon abweichenden Adressaten ausbezahlt werden sollte, nachdem der Anspruch des tatsächlich Bezugsberechtigten auch weiterhin besteht und die Versicherung damit eine Doppelzahlung zu befürchten hätte.
46
Der Empfänger der Leistung ist darlegungs- und beweisbelastet, dass der Leistende die Leistung freiwillig in Kenntnis der Nichtschuld erbracht hat, insbesondere sich nicht über das Bestehen der Verpflichtung geirrt hat (Palandt/Sprau, BGB, 81. Aufl., 2022, § 814 BGB Rn. 11). Es mangelt insofern schon an einer hinreichend konkreten Behauptung des Beklagten.
47
III. Der Rückforderungsanspruch ist auch nicht gem. § 818 Abs. 3 BGB ausgeschlossen. Hiernach ist die Verpflichtung zur Herausgabe oder zum Ersatz des Wertes ausgeschlossen, soweit der Empfänger nicht mehr bereichert ist.
48
Überdies könnte sich der Beklagte wegen Bösgläubigkeit auch nicht auf das Vorliegen einer Entreicherung berufen, § 818 Abs. 4, 819 Abs. 1 BGB.
49
1. Der Beklagte erklärte in diesem Zusammenhang im Termin vom 21.06.2023, informatorisch gehört, unter anderem Folgendes (auf das Protokoll der Sitzung vom 21.06.2023, Blatt 160 ff. der Akte, wird Bezug genommen):
50
Das mit der Zahlung und wie es dazu gekommen sei, habe alles seine Frau abgewickelt, A. R. Er habe nur mal mitbekommen, dass das Geld gekommen sei, er wisse aber nicht, für was das gekommen sei. Er habe damit nichts mehr zu tun gehabt. Das seien ca. 70.000 € von der Versicherung gewesen. Seine Frau sei zu ihm gekommen und habe ihm ein Schreiben gezeigt und er habe dann gesagt, wenn dort A. R. stehe und nicht R. R., dann gehöre das Geld ihr.
51
Er selbst habe mit der Unterschrift damals nichts zu tun gehabt. Sie hätten von dem Geld einen Lkw und einen Pkw gekauft und seien in den Urlaub gefahren.
52
Den Lkw und Pkw hätten sie gebraucht gekauft. Der Lkw sei ein Vorführwagen gewesen und habe zwischen 50.000 € und 60.000 € gekostet. Wann dieser gekauft worden sei, wisse er nicht mehr. Dieser sei für die Auslieferungen im Früchtehandel gedacht gewesen. Der Pkw sei ein Vorführwagen gewesen und habe 35.000 € gekostet. Dieser sei auch für das Geschäft gewesen. Seine Frau sei damit fürs Geschäft gefahren. Vorher hätten sie schon einen Auslieferungswagen gehabt, ein älteres Fahrzeug, das hätten sie dann ausgetauscht. Vorher habe er auch schon einen Geschäfts-Pkw gehabt, der aber alt gewesen sei und dann auch ausgetauscht worden sei. Dieser sei dann auch in etwa in der Zeit vom Lkw gekauft worden.
53
Sie hätten verschiedene Reisen gemacht, nach Italien oder Spanien, seien einmal mit dem Auto gefahren und auch mal geflogen. Wann dies gewesen sei, dass sie in den Urlaub gefahren seien, wisse er nicht mehr. Es seien zwei bis drei Reisen insgesamt gewesen, normalerweise eine Reise im Jahr. Davor in den Jahren hätten sie sich keinen Urlaub leisten können.
54
Sie hätten sich die Autos nicht gekauft, wenn das Geld von der Versicherung nicht gekommen wäre. Sie hätten sich damals auch keinen Urlaub leisten können.
55
Die Autos sind nicht mehr vorhanden, seien verkauft worden. Der Mercedes sei kaputt gegangen.
56
2. Die Beweislast für eine Entreicherung nach § 818 Abs. 3 BGB liegt beim Bereicherungsschuldner. Er ist für die Unmöglichkeit der Herausgabe des rechtsgrundlos erlangten darlegungs- und beweispflichtig. Die Beweislast für eine verschärfte Haftung nach § 819 BGB liegt bei der Klägerin. Der Bereicherungsgläubiger hat im Fall des § 819 Abs. 1 BGB zu beweisen, dass sein Anspruchsgegner den Mangel des rechtlichen Grundes beim Empfang kannte. Dabei muss positive Kenntnis von der Rechtsgrundlosigkeit im Sinne zutreffen bei der Bewertung, nicht nur rein Kenntnis von der Tatsachenlage nachgewiesen werden und der Nachweis bloßer Zweifel reicht nicht aus. Eine Erleichterung für den Nachweis liegt aber darin, dass die erforderliche Kenntnis schon dann bejaht wird, wenn der Empfänger alle Tatsachen kennt, aus den sich die Ungewissheit des Geschäftes ergibt, sich dieser Einsicht aber bewusst verschließt. Dies wiederum wird am Maßstab des redlich Denkenden gemessen (zum Ganzen: Handbuch der Beweislast, Baumgärtel/Laumen/Prütting-Baack, 5. Aufl., 2023, § 818 Rn. 22, § 819 Rn. 1, 2).
57
3. Was die geltend gemachte Anschaffung der beiden Fahrzeuge anbelangt, so liegt schon kein Wegfall der Bereicherung vor. Wie der Beklagte, auch in seiner informatorischen Anhörung, vorgetragen hat, wurden von dem Geld zwei Fahrzeuge für das Geschäft angeschafft, ein Lkw und ein Pkw. Diese wurden für den Geschäftsbetrieb genutzt und sind zwischenzeitlich verkauft worden bzw. kaputt gegangen.
58
Wegfall der Bereicherung scheidet aus, soweit der Empfänger anstelle des Erlangten ein Surrogat erlangt hat, das er nach § 818 Abs. 1 herausgeben muss. Die Bereicherung bleibt bestehen, wenn der Empfänger mit Hilfe rechtsgrundlos erlangten Geldes Sachen mit Vermögenswert angeschafft hat (Münchener Kommentar zum BGB/Schwab, 8. Auflage, 2020, § 818 Rn. 187). Er konnte die Surrogate (Lkw und Pkw) für den Geschäftsbetrieb nutzen. Nutzungen, auch aus Surrogaten, sind gem. § 818 Abs. 1 BGB herauszugeben (Wendehorst, in: BeckOK BGB, Hau/Poseck, 66. Edition, Stand: 01.05.2023, § 818 Rn. 10). Pkw und Lkw konnten für den Geschäftsbetrieb genutzt werden. Dass diese Nutzungen weggefallen wären, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
59
Auch ist ein Verkauf der Fahrzeuge erfolgt; für eine Entreicherung bzgl. dieses Verkaufserlöses mangelt es schon an einem entsprechenden Vortrag. Soweit bzgl. des kaputten Fahrzeugs kein Verkauf erfolgt sein sollte, würde trotz Reparaturbedürftigkeit noch ein (Rest-)Wert bestehen. Für die Annahme einer kompletten Wertlosigkeit bedürfte es entsprechenden Vortrags, auch einschließlich entsprechender Anknüpfungspunkte für eine Wertbestimmung.
60
Überdies würde bzgl. der beiden Geschäftsfahrzeuge ein Wegfall der Berufung auf die Bereicherung bereits ausscheiden, da anzunehmen ist, dass der Empfänger die Ausgabe, wäre das rechtsgrundlos empfangene Geld nicht geflossen, aus anderen Mitteln bestritten hätte (hierzu: Münchener Kommentar zum BGB/Schwab, 8. Auflage, 2020, § 818 Rn. 190, 191). So kann nach Auffassung des Gerichts kaum angenommen werden, dass der Empfänger ohne den rechtsgrundlosen Vermögensempfang auf einen Ersatz der für die Aufrechterhaltung des Betriebes notwendigen Fahrzeuge, die ja bereits vorher in dieser Funktion vorhanden waren, verzichtet hätte.
61
4. Was die Urlaubsreisen anbelangt, scheidet Entreicherung bereits aus, da insofern ein hinreichender Zusammenhang mit der Auszahlung der 70.486,55 € nicht nachgewiesen ist, nachdem die geltend gemachten Anschaffungen für die beiden Fahrzeuge den ausgezahlten Betrag bereits weit überstiegen haben. Der Beklagte sprach von 50.000-65.000 € für den Lkw und 35.000 € für den Pkw, also mindestens 85.000 €, also schon mindestens knapp 15.000 Euro mehr als die Auszahlung. Damit war zumindest für die Urlaubsreisen aus dem Auszahlungsbetrag selbst gar kein Geld mehr übrig.
62
Überdies – ohne dass es hierauf noch ankommen würde – genügte der Beklagte auch insofern seiner Darlegungslast nicht.
63
Beim Verbrauch von rechtsgrundlos erlangtem Geld hat der Empfänger Aufwendungen erspart, wenn er ohne den Empfang dieses Geldes andere Ressourcen aus seinem Vermögen hätte angreifen müssen. Er muss darlegen und beweisen, dass er für diese Ausgaben nicht auf andere Ressourcen zurückgegriffen hätte, wenn der Vermögenszufluss ausgeblieben wäre. Die Überlegung, dass die Ersparnis von Aufwendungen die Bereicherung (ganz oder teilweise) bestehen lässt, zieht damit die Notwendigkeit einer Hypothese nach sich: Zu fragen ist, wie sich der Empfänger verhalten hätte, wenn der rechtsgrundlos erlangte Vorteil ihm nicht zugeflossen wäre. Wenn der Vorteil als solcher nicht (mehr) herausgegeben werden kann und die Annahme gerechtfertigt erscheint, dass der Empfänger sich in diesem Fall einen vergleichbaren Vorteil nicht anderweitig gegen Entgelt verschafft hätte, ist die Bereicherung weggefallen. (Münchener Kommentar zum BGB/Schwab, 8. Auflage, 2020, § 818 Rn. 190, 191). Vorliegend ist schon unklar, wann die Reisen stattfanden, wieviele es tatsächlich waren und was diese gekostet haben.
64
5. Selbst bei Annahme einer Entreicherung würde wegen Eingreifens der verschärften Haftung nach §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1 BGB der Erstattungsanspruch nicht entfallen.
65
Gem. § 819 Abs. 1 BGB haftet der Empfänger der Leistung verschärft, wenn er den Mangel des rechtlichen Grundes bei dem Empfang kennt oder ihn später erfährt.
66
a) Der Empfänger haftet verschärft, weil er weiß, dass er das Erlangte zurückgeben muss, weil ihm also jedes schutzwürdige Vertrauen fehlt. Daraus folgt zweierlei: Einerseits kann es nicht ausreichen, dass der Empfänger bloß die Tatsachen kennt, auf denen das Fehlen des Rechtsgrundes beruht, denn aus dieser Kenntnis wird er nicht immer auf den fehlenden Rechtsgrund schließen. Die „Kenntnis“ des Empfängers muss vielmehr die normative Bewertung umschließen, dass er das Erlangte nicht behalten darf. Die Anforderungen an die „Kenntnis“ dürfen andererseits nicht so hoch angesetzt werden, dass überhaupt nur noch Rechtskundige bösgläubig sein können. Vielmehr reicht es aus, wenn sich aufgrund der dem Empfänger bekannten Tatsachen das Fehlen des Rechtsgrundes so stark aufdrängt, dass es einem redlich denkenden Empfänger nicht verborgen bleiben konnte. Der BGH formuliert daher, dass Kenntnis vom Mangel des Rechtsgrundes bereits derjenige habe, der sich der Einsicht, das Erlangte nicht behalten zu dürfen, bewusst verschließe (BGHZ 133, 246, 249 f.). Hiernach muss selbst dem rechtlich nicht versierten Empfänger ein Minimum an wertender Reflexion zugemutet werden, ob ihm das Erlangte rechtlich zusteht (zum Ganzen: Münchener Kommentar zum BGB/Schwab, 8. Auflage, 2020, § 819 Rn. 2).
67
b) Im Antrag auf Lebensversicherung vom 12.09.1987 (Anlage K1), heißt es unter „4. Bezugsberechtigung“:
„… Sofern nichts anderes bestimmt ist, ist bezugsberechtigt:
- Bei allen Tarifen (ausgenommen Tarif A 32) beim Tode des Versicherten:
1. der überlebende Ehegatte, mit dem der Versicherte im Zeitpunkt des Ablebens verheiratet war, 2. die ehelichen und die ihnen gesetzlich gleichgestellten Kinder zu gleichen Teilen 3. die Eltern 4. die Erben …“.
68
Unterzeichnet ist dieser Antrag von A. R. und W. R.
69
Mit Schreiben vom 21.02.2012 wurde Frau A. R. der Versicherungsschein übersandt (Anlage K3). Dort heißt es im Versicherungsschein unter „Bezugsberechtigung“:
„Aus dieser Versicherung ist bezugsberechtigt
- bei Tod des Versicherten in der Reihenfolge der Ziffern unter Ausschluss der jeweils nachfolgenden Berechtigten
1. der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner, mit dem der Versicherte im Zeitpunkt seines Ablebens verheiratet war bzw. eine eingetragene Lebenspartnerschaft unterhielt
2. die ehelichen und die ihm gesetzlich gleichgestellten Kinder zu gleichen Teilen
3. die Eltern
4. die Erben. …“.
70
c) Mit Schreiben vom 17.05. (Anlage K 4) an A. R. wurde der Zahlungsauftrag auf beigefügter Anlage übermittelt. Dort heißt es:
„Zahlungsauftrag
Lebensversicherung Nr. …
Versicherungsnehmer A. R.
Eine aus der Versicherung zu erbringende Leistung soll überwiesen werden an:
Vorname und Name:
Straße:
PLZ und Ort:
Datum Unterschrift des Ehegatten“.
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Eingetragen wurde dann bei Name und Vorname R. A., mit Anschrift und Daten. Bei Unterschrift des Ehegatten ist mit „A. R.“ unterschrieben und daneben befindet sich die Unterschrift des Beklagten (Anlage K 5).
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d) An den o.g. Voraussetzungen gemessen lag bei A. R. in einer Gesamtschau die erforderliche Bösgläubigkeit vor. Sie selbst hatte die Versicherung abgeschlossen; ihr war unter dem 21.02.2012 der Ersatzversicherungsschein übersandt worden (Anlage K 3), aus dem sich die Bezugsberechtigung ergibt. Es war für sie auch aus dem Unterschriftsfeld mit „Unterschrift des Ehegatten“ hinreichend deutlich ersichtlich, dass damit nicht sie selbst gemeint sein konnte. Ihr war bewusst, dass ihr Sohn mittlerweile erwachsen und verheiratet gewesen war. Auch ergab sich aus der informatorischen Anhörung des Beklagten, dass es wohl sogar noch Diskussionen gab, wem das Geld gehört. Der Beklagte äußerte insofern, dass seine Frau sei zu ihm gekommen und ihm ein Schreiben gezeigt habe und er dann gesagt habe, wenn dort A. R. stehe und nicht R. R., dann gehöre das Geld ihr. Auch hieraus ist ersichtlich, dass die Bezugsberechtigung der Ehegattin des Verstorbenen durchaus im Bewusstsein von A. R. war, auch in Anbetracht dessen, dass ihr, wie ausgeführt, zumindest ein Mindestmaß an wertender Reflexion zuzumuten war, ob ihr das Erlangte rechtlich zusteht.
73
Damit musste sich A. R. aufgrund der ihr bekannten Tatsachen das Fehlen des Rechtsgrundes so stark aufdrängen, dass es ihr bei redlichem Denken nicht verborgen bleiben konnte. Es muss davon ausgegangen werden, dass sich A. R. angesichts der bekannten Gesamtumstände der Erkenntnis, das Erlangte nicht behalten zu dürfen, bewusst verschlossen hat.
B.
74
Der Beklagte hat gem. § 91 ZPO die Kosten zu tragen. Dies umfasst gem. § 101 ZPO auch die Kosten der Nebenintervention.
75
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergeht nach § 709 S. 1, S. 2 ZPO. Gem. §§ 700 Abs. 1, 709 S. 3 ZPO darf die Vollstreckung aus dem Vollstreckungsbescheid nur gegen Sicherheitsleistung fortgesetzt werden.
C.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bzgl. des Widerspruchs gegen den Mahnbescheid war zurückzuweisen, da der Vollstreckungsbescheid schon erlassen wurde. Gem. § 694 Abs. 2 ZPO wird ein verspäteter Widerspruch als Einspruch behandelt. Der Vollstreckungsbescheid als Vollstreckungstitel kann nur durch entsprechenden Einspruch beseitigt werden. Eine Wiedereinsetzung ist daher systematisch in einem solchen Fall nicht möglich.