Titel:
Herstellungsbeitragssatzung und Verbesserungsbeitragssatzung bei nichtigen früheren Herstellungsbeitragssatzungen, Rohrnetzkostenbeitrag, Flächenbegrenzung für übergroße, unbebaute Grundstücke, Nacherhebungstatbestand der Mustersatzung des StMI bei Grundstücken, für die ein Herstellungsbeitrag, jedoch weder eine Kostenerstattung noch ein Beitragsanteil für den Grundstücksanschluss im öffentlichen Straßengrund geleistet worden ist, Gegriffene Beitragssätze, Fehlende Beitragskalkulation
Normenketten:
VwGO § 47
KAG Art. 5
GG Art. 20 Abs. 3
Leitsätze:
1. Hat ein Einrichtungsträger in der Vergangenheit zu keinem Zeitpunkt über wirksames Herstellungsbeitragsatzungsrecht verfügt, kommt alleine der Erlass einer Herstellungsbeitragssatzung in Betracht, nicht dagegen der Erlass einer Herstellungsbeitragssatzung und einer Verbesserungsbeitragssatzung.
2. Die nach Art. 5 Abs. KAG erforderliche Flächenbegrenzungsregelung erfordert eine ausdrückliche Regelung des Satzungsgebers auch für unbebaute Grundstücke. Die in der Rechtsprechung des 23. Senats (Beschluss vom 22.8.2006 – 23 CS 06.1903 – BeckRS 2009, 40393) vorgenommene „gesetzeskonforme Auslegung“, dass auch ohne ausdrückliche Satzungsregelung bei einem unbebauten übergroßen Grundstück pauschal die jeweilige Mindestfläche zugrunde zu legen ist, wird nicht aufrechterhalten.
3. Ein Nacherhebungstatbestand im Falle einer nachträglichen Bebauung bei Grundstücken, für die ein Herstellungsbeitrag, jedoch weder eine Kostenerstattung noch ein Beitragsanteil für den Grundstücksanschluss im öffentlichen Straßengrund geleistet worden ist, verstößt regelmäßig gegen das Gebot der Belastungsklarheit und -Vorhersehbarkeit sowie gegen Art. 5 Abs. 2a KAG.
4. Sind einzelne Regelungen des Beitragsmaßstabes unwirksam, so führt eine fehlende Beitragskalkulation in der Regel zur Gesamtnichtigkeit der Beitragssatzung.
Schlagworte:
Herstellungsbeitragssatzung und Verbesserungsbeitragssatzung bei nichtigen früheren Herstellungsbeitragssatzungen, Rohrnetzkostenbeitrag, Flächenbegrenzung für übergroße, unbebaute Grundstücke, Nacherhebungstatbestand der Mustersatzung des StMI bei Grundstücken, für die ein Herstellungsbeitrag, jedoch weder eine Kostenerstattung noch ein Beitragsanteil für den Grundstücksanschluss im öffentlichen Straßengrund geleistet worden ist, Gegriffene Beitragssätze, Fehlende Beitragskalkulation
Weiterführende Hinweise:
Revision zugelassen
Fundstelle:
BeckRS 2023, 51508
Tenor
I. Die Beitragssatzung zur Wasserabgabesatzung des Zweckverbandes zur Wasserversorgung des Antragsgegners (BGS/WAS) vom 10. Dezember 2020 in Gestalt der Satzung zur Änderung der Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung vom 16. März 2021 und der Satzung zur 2. Änderung der Beitrags- und Gebührensatzung vom 22. Juli 2021 wird für unwirksam erklärt.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Antragsgegner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festgesetzten Kosten abwenden, wenn nicht der Antragsteller vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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1. Mit seinem Normenkontrollantrag nach § 47 VwGO begehrt der Antragsteller, die Beitragssatzung zur Wasserabgabesatzung des Zweckverbandes zur Wasserversorgung des Antragsgegners (BGS-WAS) vom 10. Dezember 2020 in Gestalt der Satzung zur Änderung der Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung vom 16. März 2021 und der Satzung zur 2. Änderung der Beitrags- und Gebührensatzung vom 22. Juli 2021, für unwirksam zu erklären. Der Antragsteller ist Eigentümer eines Grundstücks im Geltungsbereich der BGS-WAS.
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2. Der Antragsteller hat mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 15. Dezember 2021 einen Antrag nach § 47 Abs. 1 VwGO gestellt und zuletzt beantragt,
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die Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung des Zweckverbandes zur Wasserversorgung des Antragsgegners (BGS/WAS) vom 10. Dezember 2020 in Gestalt der Satzung zur Änderung der Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung vom 16. März 2021 und der Satzung zur 2. Änderung der Beitrags- und Gebührensatzung vom 22. Juli 2021, für unwirksam zu erklären.
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Der Antragsteller sei antragsbefugt, weil es nicht ausgeschlossen sei, dass er beitragsauslösende Maßnahmen wie Bauvorhaben, Nutzungsänderungen von Gebäudeteilen zu einer bedarfsauslösenden Nutzung oder die Installation von tatsächlichen Anschlüssen durchführe, die zu einer Veranlagung nach der derzeit gültigen BGS-WAS führen könnten. Konkret beabsichtige der Antragsteller die Errichtung eines Milchviehlaufstalles auf einem Grundstück im Außenbereich, das im vom Antragsgegner versorgten Gebiet liege. Eine entsprechende Baugenehmigung sei bereits erteilt worden.
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Der Antrag sei auch begründet. Der Beschluss der BGS-WAS und der Beschluss der Verbesserungsbeitragssatzung (VBS) seien am gleichen Tag erfolgt, in der gleichen Verbandssitzung, sodass beide Satzungen als Einheit gesehen werden müssten. Um den Grundsatz zu erfüllen, dass vor der Entstehung des Verbesserungsbeitrages, zuvor für die verbesserte Einrichtung auch aufgrund von gültigem Herstellungsbeitragsrecht Herstellungsbeiträge entstanden sind, sei es erforderlich, dass ein gewisser zeitlicher Abstand zwischen dem Erlass der Herstellungsbeitragssatzung und der Verbesserungsbeitragssatzung bestehe.
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Mit Blick auf den in § 5 der streitgegenständlichen Satzung normierten Beitragsmaßstab sei die Regelung hinsichtlich der Erfassung von Außenbereichsgrundstücken zu unbestimmt. Die wesentliche Einschränkung, dass bei Außenbereichsgrundstücken nur die Fläche, die im Umgriff der vorhandenen Bebauung liege, heranzuziehen sei, müsse sich aus der Satzung selbst ergeben. Dies sei nicht der Fall.
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Ausgehend von der Globalberechnung seien bisherige Beitragseingänge i.H.v. 2.525.584,00 Euro in Abzug gebracht worden. Gehe man davon aus, dass erstmalig mit der streitgegenständlichen BGS-WAS ein wirksames Herstellungsbeitragsrecht habe geschaffen werden sollen, hätte es mit Blick auf die vorherige Beitragserhebung einer Entscheidung bedurft, ob die damals erfüllten Tatbestände als abgegolten gelten sollten.
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Selbst wenn man die bisherigen Beitragszahlungen berücksichtige, sei aufgrund fehlerhaften Verwaltungshandelns eine Beitragsunterdeckung herbeigeführt worden. Die in der Globalkalkulation angegebene geringe bisherige Beitragsdeckungsquote von 39,6% lasse sich auf das (bewusste) Unterlassen des Antragsgegners zurückführen, beitragspflichtige Flächen zu veranlagen. Zudem seien weitere Beispiele bekannt, in denen keine Veranlagung erfolgt sei.
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Der Antragsgegner tritt dem Antrag entgegen und beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Im vorliegenden Fall sei der technische Abschluss der vorliegenden Verbesserungsmaßnahme noch nicht erfolgt. Die entsprechende Veranlagung von Außenbereichsgrundstücken nach Maßgabe der einschlägigen Rechtsprechung sei ohne Weiteres über die Regelungen der §§ 2 und 5 der BGS-WAS vom 10. Dezember 2020 gedeckt. Das Satzungsrecht könne selbstverständlich nur grundsätzliche Regelungen für die Beitragserhebung treffen und keine Detailregelungen zur Verfügung stellen, die jeden Einzelfall erfassten. Dies erst recht nicht bei der individuell auch unter Berücksichtigung des Anschlussbedarfs zu ermittelnden Umgriffsfläche bei grundsätzlich unbebaubaren und damit nicht beitragspflichtigen Außenbereichsgrundstücken. Hinsichtlich solcher Einzelfälle sei das Satzungsrecht nach Maßgabe beitragsrechtlicher Grundsätze, vor allem einer vorteilsbezogenen Beitragserhebung auslegungsfähig. Die BGS-WAS vom 10. Dezember 2020 habe das bisherige nichtige Satzungsrecht ersetzt. Es bestehe keine rechtliche Verpflichtung für eine Übergangsregelung für Altanschließer, vor allem wenn der bisherige Beitragsmaßstab nicht geändert werde. Auch der Vorhalt einer „bewusst unterlassenen Grundstücksveranlagung“ sei zurückzuweisen.
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Mit Beschluss vom 18. Juni 2024 wurde das Verfahren gegen den Gebührenteil der BGS-WAS abgetrennt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen. Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlungen wird auf die Sitzungsprotokolle verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Der Normenkontrollantrag ist zulässig und begründet.
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1. Der Normenkontrollantrag ist zulässig. Nachdem der Antragsteller in der Vergangenheit bereits zu einem Herstellungsbeitrag veranlagt wurde und diese Festsetzung bestandskräftig ist, war lediglich zweifelhaft, ob der Antragsteller über ein Rechtsschutzbedürfnis für die Unwirksamkeitserklärung der streitgegenständlichen Herstellungsbeitragssatzung verfügt. Denn ob ein Antragsteller ein Rechtsschutzbedürfnis für einen Normenkontrollantrag gegen eine Beitragssatzung hat, wenn er, wie hier, einen aufgrund der Satzung gegen ihn ergangenen Beitragsbescheid hat unanfechtbar werden lassen und den Beitrag gezahlt hat, hängt von den weiteren Umständen des Falles ab (BVerwG, B. v. 11.10.2016 – 3 BN 1.15 – juris Rn 4). Hier ist ein Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers aber zu bejahen, weil er nachvollziehbar dargelegt hat, dass es in der Zukunft zu weiteren Beitragsfestsetzungen nach Art. 5 Abs. 2a KAG i.V.m. § 5 BGS-WAS (2020) kommen kann.
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2. Der Normenkontrollantrag ist auch begründet, weil der Beitragsteil der Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung des Antragsgegners (BGS/WAS) vom 10. Dezember 2020 in Gestalt der Satzung zur Änderung der Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung vom 16. März 2021 und der Satzung zur 2. Änderung der Beitrags- und Gebührensatzung vom 22. Juli 2021 unwirksam ist.
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a) Denn der Antragsgegner verfügte bisher über kein wirksames Abgabenrecht für die Erhebung von Beiträgen zur Wasserversorgungseinrichtung und konnte auch mit Erlass der Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung und der Verbesserungsbeitragssatzung jeweils vom 10. Dezember 2020 erstmals wirksames Satzungsrecht für die Erhebung von Herstellungsbeiträgen und von Verbesserungsbeiträgen nicht begründen. Die BGS-WAS vom 10. Dezember 2020 sieht Beitragssätze vor, aufgrund welcher nur der bis zur Einleitung der Verbesserungsmaßnahmen angefallene Investitionsaufwand auf die Altanschließer verteilt werden sollte. Aufgrund bisher fehlender gültiger Herstellungsbeitragssatzung(en) stellt sich die Verbesserungsmaßnahme aber als weiterer Investitionsaufwand für die Herstellung der Wasserversorgungseinrichtung des Zweckverbandes dar. Diese weiteren Investitionskosten und die bisher angefallenen Investitionskosten hätten als Gesamtinvestitionsaufwand für die Wasserversorgungseinrichtung der Kalkulation für eine insgesamt neu zu erlassende, erstmals gültige Herstellungsbeitragssatzung zugrunde gelegt werden müssen mit der Folge, dass alle erschlossenen Grundstücke mit neu kalkulierten (erhöhten) Herstellungsbeiträgen heranzuziehen wären, Altanschließer jedoch unter Anrechnung tatsächlich geleisteter Beitragszahlungen oder unter Berücksichtigung einer angemessenen anderweitigen Übergangsregelung (BayVGH, B. v. 29.1.2018 – 20 CS 17.1824 – juris Rn 20; U. v. 29.4.2010 – 20 BV 09.2024 – juris, U. v. 1.3.2007 – 23 B 06.1668 – BeckRS 2007, 29336; U. v. 16.3.2005 – 23 BV 04.2295 – juris).
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b) Wirksames Satzungsrecht zur Erhebung von Herstellungsbeiträgen hatte der Antragsgegner vor Erlass der Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung und der Verbesserungsbeitragssatzung jeweils vom 10. Dezember 2020 nicht geschaffen. Soweit punktuell Änderungssatzungen erlassen wurden, waren diese nicht in der Lage nichtige Satzungen zu heilen, vielmehr wäre ein Neuerlass der jeweils gesamten Satzung erforderlich gewesen (BayVGH, U. v. 18. 2. 1999 – 23 B 97.2971 – juris m.w.N.).
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aa) Durch die Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserversorgung vom 12. März 1965 hatte der Beklagte kein gültiges Satzungsrecht bewirkt. Der in ihr enthaltene Maßstab des Rohrnetzkostenbeitrags war grundsätzlich nicht geeignet, den durch den Beitrag abzugeltenden Vorteil sachgerecht auf die Grundstücke im Beitragsgebiet zu verteilen (BayVGH, B. v. 17.5.2006 – 23 CS 06.928 – juris). Die konkrete Ausgestaltung der damaligen Satzungsregelung mit einer Kombination aus einem Grundbeitrag und einem flexiblen personen- und viehabhängigen Beitrag entspricht nicht dem im Beitragsrecht aufgrund des Gleichbehandlungssatzes allgemein gültigen Äquivalenzprinzips.
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bb) Die Satzung vom 21. Februar 1968 enthielt auch einen Rohrnetzkostenbeitrag und ist ebenfalls wegen des Verstoßes gegen das Äquivalenzprinzip unwirksam. Die Kombination von einheitlichem Grundbeitrag und variablem Zuschlag für Einwohner und je Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche ist nicht vorteilsgerecht. Bereits dieser Befund führt zur Unwirksamkeit des gesamten Beitragsteils, so dass es auf etwaige weitere Satzungsmängel nicht mehr ankommt.
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cc) Der Beitragsteil der Beitragssatzung vom 20. September 1975 war unwirksam, weil er in § 5 Abs. 2 mit der Anknüpfung an Geschosse eine unwirksame „Nebengebäuderegelung“ enthielt (BayVGH, U. v. 29.4.2010 – 20 BV 09.2010 – juris Rn. 52; B.v. 17.5. 2006 – 23 CS 06.928 – juris). Dies führt zur Nichtigkeit des gesamten Beitragsteils.
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dd) Die Beitragssatzung vom 7. November 2002 enthielt in § 5 Abs. 1 Satz 2 eine unzulässige Flächenbegrenzungsregelung. Danach wurde bei Grundstücken im unbeplanten Bereich die Grundstücksfläche auf das Fünffache der beitragspflichtigen Geschossfläche begrenzt, mindestens jedoch 2500 m². Diese Regelung bedeutet jedoch, dass bei unbebauten Grundstücken mangels Geschossfläche keine Flächenbegrenzung stattfindet. Die Vorschrift verstieß gegen Art. 5 Abs. 2 Satz 4 Satz 5 KAG a.F. i.V.m. dem allgemeinen Gleichheitssatz.
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§ 5 Abs. 1 Satz 2 der Satzung ist keine eindeutige Regelung, da sie ausdrücklich nicht zwischen bebauten und unbebauten Grundstücken unterscheidet. Die Auslegung der Regelungen anhand der anerkannten Auslegungsmethoden ergibt nach Überzeugung des Senats aber, dass nur bebaute Grundstücke eine Flächenbegrenzung erhalten sollen und für unbebaute Grundstücke keine Regelung getroffen wurde. Diese Regelungslücke kann ohne den ausdrücklich erklärten Willen des Satzungsgebers nicht geschlossen werden und führt deshalb zu einer Ungleichbehandlung.
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Maßgebend für die Auslegung einer Norm ist der in ihr zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Normgebers, wie er sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den sie hineingestellt ist (vgl. BVerfG, U.v. 30.3.2004 – 2 BvR 1520/01 – BVerfGE 110, 226). Für die Erfassung des objektiven Willens des Normgebers sind alle anerkannten Auslegungsmethoden heranzuziehen, das heißt die grammatikalische, systematische, teleologische und historische Auslegung. Diese Methoden ergänzen sich gegenseitig, wobei keine einen unbedingten Vorrang vor einer anderen hat. Ausgangspunkt der Auslegung ist der Wortlaut der Vorschrift. Dieser ergibt allerdings nicht immer hinreichende Hinweise auf den Willen des Gesetzgebers. Unter Umständen wird erst im Zusammenhang mit Sinn und Zweck des Gesetzes oder anderen Auslegungsgesichtspunkten die im Wortlaut ausgedrückte, vom Gesetzgeber verfolgte Regelungskonzeption deutlich, der sich der Richter nicht entgegenstellen darf (vgl. BVerfG, B.v. 26.8.2014 – 2 BvR 2172/13 – juris).
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Ausgehend davon spricht bereits der Wortlaut der Vorschrift dafür, dass die Regelung nur für bebaute Grundstücke gelten soll, denn § 5 Abs. 1 Satz 2 stellt ausdrücklich auf die beitragspflichtige Geschossfläche ab, welche nach § 5 Abs. 1 Satz 1 als Geschossfläche der vorhandenen Gebäude definiert ist. Ein Rückgriff auf die Regelung des § 5 Abs. 3 oder 4 für unbebaute Grundstücke verbietet sich schon aufgrund der systematischen Stellung des § 5 Abs. 1 Satz 2. Die Satzungsbestimmung entsprach zwar Art. 5 Abs. 2 Satz 4 KAG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 24. Dezember 1993 (GVBl S. 1063), wonach „bei übergroßen Grundstücken in unbeplanten Gebieten eine Begrenzung der beitragspflichtigen Grundstücksfläche auf ein bestimmtes Vielfaches der beitragspflichtigen Geschossfläche vorzunehmen” war. Im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Satzung zum 1. Januar 2003 (§ 16 Abs. 1) galt jedoch bereits Art. 5 Abs. 2 Satz 4 Satz 5 KAG – zwischenzeitlich Satz 6 (Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 25.7.2002 GVBl S. 322) -: „Für übergroße Grundstücke in unbeplanten Gebieten ist in der Beitragssatzung eine Begrenzung der beitragspflichtigen Grundstücksfläche vorzunehmen”. Diese Regelung ist eindeutig und verlangt auch eine Flächenbegrenzung für unbebaute Grundstücke im Innenbereich.
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Es kann zwar nicht davon ausgegangen werden, dass der Satzungsgeber entgegen der Gesetzeslage keine Flächenbegrenzung für übergroße, unbebaute Grundstücke vorsehen wollte, so dass insoweit eine planwidrige Regelungslücke besteht. Diese Regelungslücke kann jedoch nicht im Wege einer analogen Anwendung des § 5 Abs. 1 Satz 2 geschlossen werden, weil es sich bei den 2500 m² ausdrücklich um eine Mindestfläche und nicht um eine Höchstfläche handelt. Eine „gesetzeskonforme Auslegung“ dahingehend, bei unbebauten Grundstücken grundsätzlich von der Mindestfläche auszugehen (so der 23. Senat in seinem Beschluss im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes vom 22.8.2006 – 23 CS 06.1903 – BeckRS 2009, 40393), scheitert daran, dass dies nicht die einzig mögliche Methode der Flächenbegrenzung ist. In Betracht käme insoweit auch eine prozentuale Beschränkung unter Einbeziehung einer Mindestfläche und ähnliches. Aufgrund der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 3 GG) ist es den Gerichten aber jedenfalls dann untersagt, durch richterliche Rechtsfortbildung Satzungslücken zu schließen, wenn es mehrere zulässige Regelungsmöglichkeiten gibt. Vielmehr ist in solchen Fällen allein der Satzungsgeber der Exekutive im Rahmen seines Ermessens berufen und aufgerufen, etwaige Lücken zu schließen, was hier nicht erfolgt ist. Dies hat zur Folge, dass § 5 Abs. 1 Satz 2 BGS-WAS (2002) wegen Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 2 Satz 4 Satz 5 KAG a.F. i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG unwirksam ist, welches auch zur Gesamtnichtigkeit des Beitragsteiles der Satzung führt.
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ee) Die Beitragssatzung zur Wasserabgabesatzung vom 3. Dezember 2013 (BGS-WAS 2013) war ebenfalls nichtig, weil sie in § 5 Abs. 6 i.V.m. § 6 Abs. 3 einen Nacherhebungstatbestand enthielt, der gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit in seiner Ausprägung der Belastungsvorhersehbarkeit und -klarheit verstieß.
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Nach § 5 Abs. 6 sollte bei einem Grundstück, für das ein Herstellungsbeitrag, jedoch weder eine Kostenerstattung noch ein Beitragsanteil für den Grundstückanschluss im öffentlichen Straßengrund geleistet worden ist, im Fall einer nachträglichen Bebauung für die bereits veranlagten Grundstücks- und Geschossflächen ein zusätzlicher Beitrag entsprechend der in § 6 Abs. 3 (pro m² Geschossfläche 2,55 Euro) bestimmten Abstufung erhoben werden. Diese Regelung entspricht dem Muster einer Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung in der Fassung der Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 1. Dezember 2008, Az. IB4-1521.1-166 (AllMBl. S. 824; https://www.gesetze-bayern.de/Content/Document/BayVwV152977-1#BayVwV152977-8). Hintergrund der Regelung ist u.a. die Rechtsprechung des 23. Senats, wonach abgestufte Beitragssätze auf Grund der Änderung der Finanzierung der Grundstücksanschlüsse mit Art. 9 Abs. 1 KAG (Gesetz v. 28.12.1992, GVBl S. 775, der am 1.1.1993 in Kraft getreten und innerhalb einer Übergangsfrist bis 1.1.1997 umzusetzen war) erforderlich werden sollten. Diese Problematik stellte sich, wenn die Bebauung eines zuvor bereits beitragspflichtigen Grundstücks erst nach Anpassung der Abgabesatzung an die neue Rechtslage erfolgt, oder wenn nach diesem Zeitpunkt beitragsrechtlich relevante Grundstücks- oder Geschossflächenvergrößerungen vorgenommen werden (U. v. 14.2.1995 – 23 B 92.1426 – GK 1995 Rn. 249; U. v. 5.12.2002 – 23 B 02.2252 – GK 2003, Rn. 112 – BayVBl. 2003, 566). Sie sollen jedoch nur dann erforderlich sein, wenn Altanschließer, die die Kosten für ihre Grundstücksanschlüsse nach früherem Recht in voller Höhe zu tragen hatten, nunmehr im Falle einer Nacherhebung von (Teil-)Beiträgen mit einem Beitragssatz belastet würden, dessen Höhe sich in nicht unerheblichem Umfang aus den Kosten der Grundstücksanschlüsse für Neuanschließer bestimmt (BayVGH, U. v. 23. 11. 2004 – 23 N 04.1292 – GK 2005 Rn. 154). Dies führt zu reduzierten Beitragssätzen für Altanschließer, welche den Aufwand für den Grundstücksanschluss im vollem Umfang getragen haben (§ 6 Abs. 2 BGS-WAS 2013), was nicht zu beanstanden ist, weil lediglich Altanschließer bevorzugt werden und hierfür ein sachlicher Grund vorhanden ist.
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Anders ist die Regelung des § 6 Abs. 3 BGS-WAS 2013 zu bewerten, welcher auf den Zusatz zu § 5 der Mustersatzung des Innenministeriums beruht. Dort heißt es hierzu: „Bei Grundstücken, für die ein Herstellungsbeitrag, jedoch weder eine Kostenerstattung noch ein Beitragsanteil für den Grundstücksanschluss im öffentlichen Straßengrund geleistet worden ist, kann es umgekehrt zielführend sein, in der Satzung einen Nacherhebungstatbestand vorzusehen (vgl. Anmerkung 6 zu Alternative 1 zu § 5). Eine solche satzungsrechtliche Bestimmung wird in Abs. 3 vorgeschlagen. Damit wird der Beitragssatz für den beim Maßstab „tatsächliche Geschossfläche“ in § 5 Abs. 6 bzw. beim Maßstab „zulässige Geschossfläche“ in § 5 Abs. 9 letzter Spiegelstrich vorgesehenen Nacherhebungsfall festgesetzt.“ Es sollen also diejenigen Grundstückseigentümer belastet werden, die spätestens vor dem 1. Januar 1997 den Herstellungsbeitrag bezahlt haben, jedoch weder eine Kostenerstattung noch einen Beitragsanteil für den Grundstücksanschluss im öffentlichen Straßengrund geleistet haben.
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Eine solche Regelung verstößt jedoch gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit. Der verfassungsrechtliche Grundsatz der Rechtssicherheit verpflichtet dazu, sicherzustellen, dass Beiträge, die einen einmaligen Ausgleich für die Erlangung eines Vorteils durch Anschluss an eine Einrichtung schaffen sollen, unabhängig von einem Vertrauen des Vorteilsempfängers und ungeachtet der Fortwirkung des Vorteils zeitlich nicht unbegrenzt festgesetzt werden können. Die vorgenannten Grundsätze gelten für alle Fallkonstellationen, in denen eine abzugeltende Vorteilslage eintritt (BVerwG, B.v. 6.9.2018 – 9 C 5.17 – NVwZ-RR 2019, 386). Durch die Regelung des § 6 Abs. 3 BGS-WAS wird an die Vorteilslage des erstmaligen Anschlusses der betroffenen Grundstücke angeknüpft und zeitlich theoretisch unbegrenzt, bis zu einer nachträglichen Bebauung, hinausgeschoben. Dies ist mit dem Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit nicht vereinbar. Eine Beitragserhebung verstieße darüber hinaus in der Regel auch gegen Art. 13 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) bb) KAG.
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Des Weiteren setzt die Erhebung eines zusätzlichen Beitrags nach Art. 5 Abs. 2a Satz 1 KAG voraus, dass sich nachträglich die für die Beitragsbemessung maßgeblichen Umstände ändern und sich dadurch der Vorteil erhöht. Hier wird jedoch an eine Vorteilslage angeknüpft, die im Zusammenhang mit der erstmaligen Erschließung eines Grundstücks durch die Einrichtung steht, aber erst anlässlich einer nachträglichen Bebauung abgerechnet werden soll. Dies widerspricht Art. 5 Abs. 2a KAG, weil hinsichtlich des zusätzlichen Beitrags nach § 6 Abs. 3 BGS-WAS keine Erhöhung des Vorteils eingetreten ist, denn der Vorteil war bereits vor der nachträglichen Bebauung vorhanden.
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Grundsätzlich führt die Rechtswidrigkeit einer Vorschrift zu deren Ungültigkeit. Betrifft die Rechtswidrigkeit jedoch nur einen Teil der durch die Norm getroffenen Regelungen, kommt eine Teilnichtigkeit in Betracht. Sie setzt voraus, dass die verbleibende Regelung auch ohne den nichtigen Teil sinnvoll bleibt (Grundsatz der Teilbarkeit). Darüber hinaus muss aufgrund objektiver Anhaltspunkte mit Sicherheit anzunehmen sein, dass die Norm auch ohne den nichtigen Teil erlassen worden wäre (Grundsatz des mutmaßlichen Willens des Normgebers; zu beiden Voraussetzungen vgl. BVerwG, U. v. 27.1.1978 – 7 C 44.76 – Buchholz 401.69 Wohnungsbauabgaben Nr. 4 S. 15 und v. 26.6.2014 – 3 CN 1.13 – BVerwGE 150, 129 Rn. 44). Zwar ist die Regelung über den Beitragsmaßstab und den Beitragssatz grundsätzlich teilbar. Es bestehen jedoch keine objektiven Anhaltspunkte, dass die Zweckverbandsversammlung des Antragsgegners die BGS-WAS auch ohne die §§ 5 Abs. 6, 6 Abs. 3 BGS-WAS (2013) erlassen hätte. Hierbei muss zum einen berücksichtigt werden, dass diese Regelungen in der amtlichen Mustersatzung ohnehin nur vorgeschlagen wurden, um die erheblichen kalkulatorischen Auswirkungen der mit Wirkung vom 1. Januar 1993 in Kraft getretenen Änderung des Rechts der Grundstücksanschlusskosten aufzuarbeiten, wenn die Rechtslage bei der Finanzierung von Grundstücksanschlüssen eine Beitragsabstufung gebietet; also hat die Zweckverbandsversammlung beim Erlass der angegriffenen Satzung hier offenbar einen konkreten Handlungsbedarf gesehen, der nicht außer Acht gelassen werden kann. Zum anderen muss in die Beurteilung Ausschlag gebend einbezogen werden, dass der Antragsgegner nach eigenem Bekunden keine Kalkulationen durchgeführt hat und auch keine Unterlagen hierzu vorhanden sind. Durch das Fehlen einer Beitragskalkulation kann der mutmaßliche Wille des Satzungsgebers im Hinblick auf die Ausgestaltung des Beitragsmaßstabs grundsätzlich aber nicht ermittelt werden, so dass es bei dem Grundsatz der Gesamtnichtigkeit der Norm verbleibt.
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c) Nachdem der Antragsgegner somit vor dem Inkrafttreten der Beitrags- und Gebührensatzung zur Wasserabgabesatzung und der Verbesserungsbeitragssatzung jeweils vom 10. Dezember 2020 über keine wirksame Herstellungsbeitragssatzung verfügte, konnte er mit dem Erlass dieser Satzungen kein wirksames Satzungsrecht begründen. Aufgrund bisher fehlender gültiger Herstellungsbeitragssatzung(en) stellt sich die Verbesserungsmaßnahme aber als weiterer Investitionsaufwand für die Herstellung der gemeindlichen Wasserversorgungseinrichtung dar. Diese weiteren Investitionskosten und die bisher angefallenen Investitionskosten hätten als Gesamtinvestitionsaufwand für die Wasserversorgungseinrichtung der Kalkulation für eine insgesamt neu zu erlassende, erstmals gültige Herstellungsbeitragssatzung zugrunde gelegt werden müssen, was aber bei Erlass der angegriffenen Satzung unterblieben ist.
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3. Der Antragsgegner trägt gemäß § 154 Abs. 1 VwGO die Kosten des Verfahrens. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
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4. Die Revision wird nicht zugelassen.