Titel:
Keine Erstattung von Rechtsanwaltskosten der ersten Instanz in Höhe der hypothetischen Reisekosten des Klägers
Normenketten:
RVG § 59 Abs. 1 S. 1
ZPO § 126
Leitsatz:
Der Forderungsübergang auf die Staatskasse gem. § 59 RVG erfasst nur die Gebühren und Auslagen des Rechtsanwalts, mithin ausschließlich "seine" eigenen Ansprüche und gerade nicht andere erstattungsfähige Kosten seiner Partei, zB deren Reisekosten. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prozesskostenhilfe, Kostenfestsetzung, hypothetische Reisekosten, Kostenerstattung
Rechtsmittelinstanz:
LArbG Nürnberg, Beschluss vom 14.02.2024 – 7 Ta 12/24
Fundstelle:
BeckRS 2023, 51351
Tenor
1. Der Erinnerung vom 18.09.2023 wird abgeholfen.
2. Die vom Beklagten zu zahlenden Kosten werden auf 280,00 € festgesetzt. Hypothetische Reisekosten fallen nicht zur Zahlung an.
3. Für die Staatskasse wird die sofortige Beschwerde zugelassen.
Gründe
1
Die Parteien im vorliegenden Verfahren stritten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung. Der Kläger begehrte gleichzeitig mit Klageerhebung die Gewährung von Prozesskostenhilfe sowie die Erstreckung einer solchen auf einen möglichen Vergleich.
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Dem Kläger wurde mit Beschluss vom 04.05.2023 ab dem 28.02.2023 Prozesskostenhilfe für die I. Instanz bewilligt und Rechtsanwalt beigeordnet. Das Verfahren endete mit Urteil vom 19.07.2023, der Kündigungsschutzantrag war erfolgreich, dem Beklagten wurden die Kosten des Rechtsstreits auferlegt.
3
Die Staatskasse hat für die Beiordnung des Klägervertreters mit Beschluss vom 31.07.2023 einen Betrag in Höhe von 850,85 € verauslagt, der sich folgendermaßen zusammensetzt:
Gegenstandswert: 3.026,18 €
1,3 Verfahrensgebühr § 13 RVG, Nr. 3100 VV RVG 361,40 €
1,2 Terminsgebühr § 13 RVG, Nr. 3104 VV RVG 333,60 €
Pauschale für Post und Telekommunikation Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
Zwischensumme netto 715,00 €
19% Mehrwertsteuer Nr. 7008 VV RVG 135,85 €
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Mit Kostenrechnung vom 09.08.2023 setzte das Gericht folgende Kosten gegenüber dem Beklagten fest:
Gebühren für das Urteilsverfahren im ersten Rechtszug, Nr. 8210 KVGKG aus einem
Gegenstandswert von 3.026,18 € 280,00 €
Hypothetische Reisekosten 106,70 €
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Hiergegen legte der Prozessbevollmächtigte des Beklagten mit Schreiben vom 18.09.2023 Erinnerung ein und wendete sich gegen die Festsetzung der fiktiven Reisekosten.
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Weder der klägerische Anwalt noch der Kläger selbst hätten diese abgerechnet, seines Dafürhaltens nach können nicht existente Ansprüche auch nicht nach § 59 RVG auf die Staatskasse übergehen. Der Prozessbevollmächtigte des Beklagten verwies auf den Rechtsgedanken des Beschlusses des LAG Nürnberg vom 19.09.2019 – 6 Ta 82/19.
7
Nach Vorlage der Sache an den Bezirksrevisor und seiner Stellungnahme vom 05.10.2023 wurde der Erinnerung mit Beschluss vom 31.10.2023 nicht abgeholfen und die Sache der Vorsitzenden der Kammer 2 des Arbeitsgerichts Weiden zur Entscheidung vorgelegt.
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Dem Erinnerungsführer war im Ergebnis zu folgen. Ein Anspruch der Staatskasse gegen den Beklagten aus fiktiven Reisekosten in Höhe von 106,70 € besteht nicht. Die Voraussetzungen des Forderungsübergangs auf die Staatskasse nach §§ 59 RVG, 126 ZPO liegen nicht vor.
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§ 59 RVG sieht u.a. vor, dass, soweit im Falle der Bewilligung von Prozesskostenhilfe dem beigeordneten Rechtsanwalt wegen seiner Vergütung ein Anspruch gegen einen ersatzpflichtigen Gegner zusteht, dieser Anspruch mit der Befriedigung des Rechtsanwaltes durch die Staatskasse auf diese übergeht.
10
Die einschlägigen Kommentare gehen, soweit ersichtlich, einhellig davon aus, dass diese cessio legis entsprechend des Wortlauts der Vorschrift nur die Gebühren und Auslagen des Rechtsanwaltes, mithin ausschließlich „seine“ eigenen Ansprüche und gerade nicht andere erstattungsfähige Kosten seiner Partei, zB deren Reisekosten, betrifft (Riedel/Sußbauer RVG/Ahlmann, 10. Aufl. 2015, RVG § 59 Rn. 7-9; ebenso i. E. Schultzky in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, § 122 ZPO, Rn. 5). Vor diesem Hintergrund können – tatsächlich nicht angefallene – Reisekosten des Klägers schon deshalb nicht nach § 59 RVG auf die Staatskasse übergehen, weil diese Norm seine Ansprüche nicht erfasst.
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Weiterhin können Gebühren und Auslagen nach § 59 RVG ohnehin nur auf die Staatskasse übergehen, soweit und in der Höhe, in der sie tatsächlich im Rahmen der Prozesskostenhilfe befriedigt wurden, vgl. hierzu u.a. Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 26. Aufl. 2023, § 59 Rn. 3; Schultzky in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, § 126 ZPO, Rn. 1. Da vorliegend die Reisekosten der obsiegenden Partei durch diese nicht geltend gemacht und im Rahmen der Zahlung der Prozesskostenhilfe auch nicht durch die Staatskasse beglichen wurden, erfolgte auch kein Forderungsübergang nach § 59 RVG.
12
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass der Kläger im Kammertermin am 19.07.2023 aufgrund der gerichtlichen Anordnung persönlichen Erscheinens anwesend war und für diesen Termin auch nachträglich noch eigene Reisekosten abrechnen könnte. Soweit die fiktiven Reisekosten also auch für diesen Termin erhoben wurden, sind sie ebenfalls unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt auf die Staatskasse übergegangen, der Anspruch auf Erstattung dieser Auslagen steht weiterhin dem Kläger selbst zu.
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Die sofortige Beschwerde für die Staatskasse wurde zugelassen, da das Gericht vorliegend, soweit ersichtlich, von der bisherigen Verwaltungspraxis im Bezirk des LAG Nürnberg abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht.
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Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch die Vorsitzende alleine ergehen, §§ 59 II RVG, 128 III, 573 I 3, 572 I ZPO, 53 I ArbGG.