Titel:
Abschalteinrichtung, Elektronisches Dokument, Feststellungsantrag, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Elektronischer Rechtsverkehr, Feststellungsklage, Typgenehmigung, Rechtshängigkeit, Streitwertbemessung, Nebenintervention, Nebenforderungen, Minderung des Kaufpreises, Verwaltungsakt, Kostenentscheidung, Klageantrag, Örtliche Unzuständigkeit, Anderweitige Erledigung, Nutzungsentschädigung, Leistungsklage
Schlagworte:
Feststellungsklage, Zulässigkeit, Begründetheit, Minderung des Kaufpreises, Freistellung, Schadensersatz, Typgenehmigung
Rechtsmittelinstanz:
OLG München, Beschluss vom 18.07.2024 – 17 U 2072/23 e
Fundstelle:
BeckRS 2023, 51058
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits und der Nebenintervention.
Das Urteil ist für die Beklagten und die Streithelferin zu 1) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 125.930,50 EUR festgesetzt.
Tatbestand
1
Der Kläger verlangt Schadensersatz wegen des Erwerbs eines seiner Ansicht nach vom sog. Abgasskandal betroffenen Wohnmobils. Gegen die Beklagte zu 1) macht der Kläger Minderung wegen Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs geltend. Außerdem verlangt der Kläger von allen Beklagten Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten.
2
Der Kläger schloss am 16.10./29.11.2019 mit der Beklagten zu 1) einen Kaufvertrag über ein gebrauchtes Wohnmobil des Typs …/76 L. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor 2,3 L Multijet, der der Euronorm 6 entsprechen soll, ausgestattet. Bei dem Basisfahrzeug handelt es sich um einen … Das Fahrzeug hatte bei Übergabe einen Kilometerstand von 21950.
3
Der Kläger ließ nachträglich folgende Einbauten an dem Fahrzeug vornehmen:
- Rollerhaltung 2.000,00 EUR
- Mobile Sondermatratze 661,50 EUR
- Hubstützen 6.480,00 EUR
- Nano-Versiegelung 1.889,00 EUR
4
Die Beklagte zu 3) Herstellerin des Fahrzeugs …, das als Träger der Wohnkabine fungiert. Für das Fahrzeug existiert eine EU-Typgenehmigung der italienischen Behörde.
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Der Kläger trägt vor, in dem Fahrzeug sei minderwertige Hardware verbaut worden, die nicht geeignet sei, die Dauerhaltbarkeit im Sinne des Art. 4 Abs. 2 der VO (EG) 715/2007 zu gewährleisten. Um die minderwertige Hardware auszugleichen, verfüge das Fahrzeug über illegale Abschalteinrichtungen.
6
Der Motor sei mit einer Abschalteinrichtung ausgestattet, die nach Beendigung eines Testzyklus, der ca. 21 Minuten dauere, die Abgasreinigung ausschalte. Die Abgasreinigung funktioniere daher nur während der Zeit, in der sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand befinde, ordnungsgemäß. Die Abschaltung erfolge nach ca. 22 Minuten. Die Motorsteuerungssoftware enthalte zum Zweck der Abschaltung einen Timer und einen Mechanismus zur Prüfstandserkennung, die ab Motorstart liefe und bei Erreichen bestimmter eingestellter, das Fahrverhalten betreffender Werte das Emissionskontrollsystem beeinflusse. Danach werde die Abgasrückführungsrate bzw. die Regeneration des NOx-Speicherkatalysators verringert bzw. deaktiviert. Die zulässigen Stickoxid-Grenzwerte würden daher nur auf dem Prüfstand eingehalten werden, während sie im normalen Straßenbetrieb überschritten würden.
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Das Fahrzeug verfüge daneben auch über eine unzulässige Abschalteinrichtung in Gestalt einer temperaturgesteuerten Abgasrückführung (sog. Thermofenster) und eine manipulierte On-Board-Diagnose (OBD). Diese sei so programmiert, dass Warnmeldungen bei Schadstoffüberschreitungen unterdrückt würden.
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Aufgrund der unzulässigen Abschalteinrichtungen sei das Fahrzeug auch mangelhaft, da eine latente Gefahr der Betriebsuntersagung bestünde. Als Minderungsbetrag sei ein Betrag von mindestens 25% des Kaufpreises angemessen.
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Der Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtungen in der Motorsteuerung stelle eine sittenwidrige Handlung dar, denn die Beklagten zu 2) und 3) hätten im Interesse der Gewinnmaximierung bewusst gesetzliche Vorschriften verletzt. Die Beklagten zu 2) und 3) hätten mit Schädigungsabsicht gehandelt. Die Manipulationen beruhten auf einer grundlegenden strategischen Entscheidung der Beklagten. Repräsentanten und Vorstände beider Beklagten müssten aufgrund des Umfangs von den Manipulationen gewusst und diese gebilligt haben. Aufgrund der personellen Verflechtung innerhalb des Konzerns sei die Schädigungshandlung auch direkt auf die Beklagte zu 2) zurückzuführen. Leitende Mitarbeiter der Beklagten zu 2) hätten die Manipulationen angeordnet und die Tochtergesellschaften angewiesen, die Fahrzeugtypen genehmigen zu lassen und in den Verkehr zu bringen, um höhere Gewinne zu erzielen.
10
Die Beklagte zu 2) sei keine reine Holdinggesellschaft. Sie habe zwar mit der Konstruktion und dem Vertrieb des streitgegenständlichen Fahrzeugs nichts zu tun. Sie sei jedoch die Hauptverantwortliche für all diese Themen. Die Beklagte zu 2) habe faktisch die Konzernleitungsmacht über die Planung, Organisation und Kontrolle der Aktivitäten der Beklagten zu 3).
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Der Kilometerstand des Fahrzeugs betrage zum 17.07.2022 43.443 km.
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Der Kläger erhob zunächst Klage zum Landgericht Tübingen. Dieses erklärte sich mit Beschluss vom 25.08.2021 (Bl. 350 d. A.) für örtlich unzuständig und verwies den Rechtsstreit an das Landgericht München II.
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Mit Schriftsatz vom 21.01.2021 verkündete die Beklagte zu 1) den Firmen … und …den Streit. Die Fa. … trat mit Schriftsatz vom 25.01.2021 (Bl. 163 d. A.) dem Rechtsstreit auf Seiten der Beklagten zu 1) bei.
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Die Klagepartei beantragt zuletzt,
- 1.
-
die Beklagtenpartei zu 1) zu verurteilen, der Klägerpartei einen Betrag bezüglich des Fahrzeugs … 76L FIN…, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, jedoch mindestens € 28.725,00 betragen muss, zu bezahlen nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit;
- 2.
-
festzustellen, dass die Beklagtenpartei zu 1) verpflichtet ist, der Klägerpartei weiteren Schadensersatz, der über diesen Betrag hinausgeht, zu bezahlen für Schäden, die aus der Manipulation … 76L FIN… durch die Beklagtenpartei resultieren;
- 3.
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die Beklagtenparteien jeweils gesondert, nicht als Gesamtschuldner, zu verurteilen, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von jeweils € 2.325,80 freizustellen.
- 4.
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die Beklagten zu 2) und 3) zu verurteilen, an die Klägerpartei € 125.930,50 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszins seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, abzüglich einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs … 76 L FIN…, Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des vorgenannten Fahrzeugs;
- 5.
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festzustellen, dass die Beklagten zu 2) und 3) verpflichtet sind, der Klägerpartei darüber hinaus Schadensersatz zu leisten haben für weitere Schäden, die der Klagepartei dadurch entstanden sind oder noch entstehen werden, dass in das in Klageantrag Ziff. 4 genannte Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung eingebaut wurde;
- 6.
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festzustellen, dass die Beklagten zu 2) und 3) sich mit der Annahme des in Klageantrag Ziffer 4 genannten Fahrzeugs im Verzug befindet.
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Die beklagte Partei beantragt
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Die Beklagte zu 1) wendet ein, das streitgegenständliche Fahrzeug sei zum Zeitpunkt des Gefahrenübergangs und auch jetzt noch mangelfrei. Der Vortrag zu den behaupteten Abgasmanipulationen seit unsubstantiiert und beruhe nur auf Vermutungen. Außerdem scheide ein Anspruch schon deshalb aus, da kein taugliches Nacherfüllungsverlangen vorliege.
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Die Beklagte zu 2) wendet ein, sie sei weder Herstellerin noch Verkäuferin des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Sie sei eine reine Holdinggesellschaft … Darüber hinaus verfolge sie keinen anderen Zweck. Sie treffe keinerlei Entscheidungen darüber, welche Motoren und Abgassysteme in einem bestimmten Fahrzeug eingebaut würden. Derartige Entscheidungen träfen nur die jeweiligen produzierenden Gesellschaften der …
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Die Beklagte zu 3) wendet ein, sie habe zu keinem Zeitpunkt Hard- oder Software in den durch sie hergestellten Fahrzeugen eingesetzt, die Abgaswerte im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens manipuliere. Die Abgassteuerung in den Fahrzeugen der … arbeite im Rahmen des Typgenehmigungsverfahrens nicht anders als außerhalb des Verfahrens. Das streitgegenständliche Fahrzeug halte die NOx-Grenzwerte ein. Es enthalte keine unzulässigen Abschalteinrichtungen.
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Außerdem bestreite die Beklagte zu 3), dass der Kläger überhaupt Eigentümer des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei.
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Hinsichtlich der Einzelheiten des beiderseitigen Sachvortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
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Die Klage wurde der Beklagten zu 1) am 12.01.2021 zugestellt, der Beklagten zu 2) am 02.07.2021 und der Beklagten zu 3) am 01.04.2022.
Entscheidungsgründe
Hinsichtlich der Beklagten zu 1)
I. Zulässigkeit des Feststellungsantrags zu Ziffer 2.
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Der im Wege der Feststellungsklage geltend gemachte Anspruch ist schon deshalb unzulässig, da das Rechtsverhältnis, dessen Feststellung beantragt wird, nicht ausreichend konkret bezeichnet ist. Der Antrag lässt offen, welche Manipulation am streitgegenständlichen Fahrzeug vorgenommen wurde. Außerdem kann die Klagepartei die Schäden im Rahmen der Leistungsklage beziffern.
II. Anträge zu Ziffer 1. und 3.
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Die weiteren Anträge sind zulässig, insbesondere ist das angerufene Landgericht München II örtlich und sachlich zuständig. Die Klage ist jedoch unbegründet.
III. Begründetheit der Ansprüche
1. Minderung des Kaufpreises
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Der Kläger hat gegen die Beklage zu 1) keinen Anspruch auf Rückzahlung von 28.725,00 EUR aus §§ 434 a.F., 437 Nr. 2, 441 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4, 346 BGB.
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Der Kläger hat eine konkrete Beschaffenheitsvereinbarung nicht substantiiert dargelegt. Insbesondere ist nicht ersichtlich, wann die Vertragsparteien welche Abrede zu einer spezifischen Beschaffenheit, insbesondere zum Emissionsverhalten, die über die im Kaufvertrag geregelten Ausstattungsmerkmale des Fahrzeugs hinausgingen, getroffen haben sollten. Daher ist maßgeblich die übliche Beschaffenheit im Sinne des § 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB a.F. und, ob sich das Fahrzeug für die übliche Verwendung eignet. In diesem Zusammenhang ist ausschlaggebend, dass das Fahrzeug über eine wirksame Typgenehmigung der italienischen Behörde verfügt, die für die deutschen Behörden bindend ist. Somit droht für das Fahrzeug kein Widerruf der Zulassung. Ein Mangel liegt daher nicht vor.
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2. Anspruch auf Freistellung hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung. Die Klage war daher auch insoweit abzuweisen.
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Hinsichtlich der Beklagten zu 2) und 3)
I. Zulässigkeit des Feststellungsantrags zu Ziffer 5.
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Der im Wege der Feststellungsklage geltend gemachte Anspruch ist schon deshalb unzulässig, da das Rechtsverhältnis, dessen Feststellung beantragt wird, nicht ausreichend konkret bezeichnet ist. Der Antrag lässt offen, welche unzulässige Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug verbaut wurde. Außerdem kann die Klagepartei die Schäden im Rahmen der Leistungsklage beziffern.
II. Zulässigkeit der Anträge zu 3., 4. und 6.
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Die Klage ist insoweit zulässig, insbesondere ist das Landgericht München II nach Artikel 7 Nr. 2 EuGVVO international und örtlich, sowie nach §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sachlich zuständig. Nach Artikel 4 Abs. 1 VO (EG) 864/2007 ist deutsches Recht anwendbar. Die Klage ist jedoch unbegründet.
III. Begründetheit der Klage
1. Schadensersatz gemäß Ziffer 4.
31
Der Kläger hat gegen die Beklagten zu 2) und 3) keinen Schadensersatzanspruch in Höhe von 125.930,50 EUR aus §§ 823 Abs. 2, 826, 31 BGB.
32
Die Frage, ob im konkreten Fahrzeug unzulässige Abschalteinrichtungen vorhanden sind, kann offen bleiben. Jedenfalls verfügt das Fahrzeug unstreitig über eine Typgenehmigung der zuständigen italienischen Typgenehmigungsbehörde. Die Typgenehmigung ist eine in Anwendung der Richtlinien 2007/46/EG, 2002/24/EG und 2003/37EG erteilte Bestätigung, dass der zur Prüfung vorgestellte Typ eines Fahrzeugs, eines Systems, eines Bauteils oder einer selbständigen technischen Einheit die einschlägigen Vorschriften und technischen Anforderungen erfüllt. Mit der Erteilung der Typgenehmigung hat die Prüfbehörde dem Hersteller bestätigt, dass das streitgegenständliche Fahrzeugmodell die Anforderungen der einschlägigen Vorschriften, zu denen auch diejenigen der VO (EG) 715/2007 in Bezug auf Schadstoffemissionen zählen, erfüllt. Die Erteilung der Typgenehmigung durch die zuständige Behörde eines EU-Mitgliedsstaates ist als Verwaltungsakt für die Behörden anderer Mitgliedstaaten bindend (§ 26 Abs. 1 EG-FGV). Weiter sind die Zivilgerichte an die Tatbestandswirkung eines bestandskräftigen Verwaltungsaktes gebunden und deshalb grundsätzlich gehindert, die Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes in Frage zu stellen (vgl. zu alldem OLG Nürnberg vom 26.11.2020, Aktz.: 5 U 4001/19 m.w.N.).
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Da die deutschen Behörden an die italienische Typgenehmigung gebunden sind, droht auch kein Widerruf der Zulassung. Folglich besteht auch nicht die Möglichkeit eines Schadenseintritts.
34
Die Klage war daher insoweit abzuweisen.
2. Anträge zu Ziffer 5. und 6.
35
Die Nebenforderungen und der weitere Feststellungsantrag teilen das Schicksal der Hauptforderung.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 101 ZPO, die der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.
37
Der Streitwert bemisst sich gemäß § 3 ZPO nach der höchsten Forderung,