Titel:
Sittenwidrigkeit, Abschalteinrichtung, Klagepartei, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, Betriebsuntersagung, Kraftfahrt-Bundesamt, Rechtsmißbrauch, Unzulässigkeit, Weitere Beweisaufnahme, Rechtshängigkeit, Nebenforderungen, Kostenentscheidung, Nutzungsentschädigung, Substantiierter Vortrag, Zug-um-Zug, Sachverständigengutachten, Anspruch auf Schadensersatz, Kaufvertragsabschluß, Greifbare Anhaltspunkte
Schlagworte:
Schadensersatz, Vertragsverhandlungen, Abschalteinrichtung, Sittenwidrigkeit, Beweislast, Stoffgleichheit, Deliktische Ansprüche
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Beschluss vom 11.06.2024 – 4 U 140/23 e
Fundstelle:
BeckRS 2023, 51014
Tenor
1.Die Klage wird abgewiesen.
2.Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3.Das Urteil ist für die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Die Klagepartei begehrt von der Beklagten Schadensersatz insbesondere wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung bzw. deliktischem Handeln im Zusammenhang mit dem Kauf eines von der Beklagten entwickelten PKWs mit Dieselantrieb.
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Die Klagepartei erwarb am 15.12.2020 einen PKW … mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … von der … in … zu einem Kaufpreis von 34.500,00 €. Bei Abschluss des Kaufvertrages wies der Kilometerzähler einen Stand von 103.900 km aus.
3
Im vorgenannten Fahrzeug ist ein Dieselmotor des …, welcher durch die Beklagte hergestellt wurde, verbaut. Für diesen Motorentyp hat das Kraftfahrtbundesamt keinen Bescheid im Zusammenhang mit dem Vorwurf einer unzulässigen Abschalteinrichtung erlassen und auch keinen verpflichtenden Rückruf angeordnet. Auf Anordnung des Kraftfahrtbundesamtes führte die Beklagte eine Aktualisierung der Motorsteuerungssoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugtyps durch. Die entsprechende Aktualisierung ist bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug jedoch bereits am 22. August 2019, vor dem Kaufvertragsabschluss, erfolgt. Zuvor hatte das KBA das Software-Update für die Fahrzeuge des Typs … mit Bestätigung vom 7. August 2019 freigegeben. In dieser Freigabebestätigung hat das KBA ausdrücklich bestätigt, dass nach Durchführung des Software-Updates keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt. Zudem hat es bestätigt, dass nach Durchführung der angeordneten Maßnahme alle geltenden Grenzwerte bzgl. der Schadstoffemissionen sowie die sonstigen Anforderungen eingehalten werden.
4
Die Klagepartei trägt im Wesentlichen vor,
dass im streitgegenständlichen Fahrzeug eine Motorsteuerungssoftware zum Einsatz komme, die zu gesetzeswidrige Emissionsminderungsstrategien in der Abgasbehandlung führe. Diese Emissionsminderungsstrategien haben zur Folge, dass eine umfassende Abgasreinigung im streitgegenständlichen Fahrzeug nur unter bestimmten Voraussetzungen vorgenommen werde. Das streitgegenständliche Fahrzeug halte die gesetzlich vorgeschriebenen Abgaswerte im Straßenbetrieb nicht ein.
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Die Beklagte habe verschiedene unzulässige Abschalteinrichtungen im streitgegenständlichen Motor verbaut. Insbesondere ein sog. Thermofenster.
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Die Klagepartei meint, dass ihr daher gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidrige Schädigung gemäß § 826 BGB zustehe. Hilfsweise ergebe sich ein solcher Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB.
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Die Klagepartei beantragt zuletzt,
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite den Kaufpreis in Höhe von 34.500,00 € abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von8.583,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges …, Fahrzeug-Ident.-Nr. …
- 2.
-
Es wird festgestellt, dass die Beklagte sich mit der Entgegennahme des Fahrzeugs aus dem Antrag zu 1) in Annahmeverzug befindet.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Schadensersatz, welcher 5.175,00 € (15% des Kaufpreises) betragen sollte, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Beklagte weist daraufhin,
dass das Software-Update gerade vor Abschluss des Kaufvertrages durch die Klagepartei installiert worden sei, weshalb bereits aus diesem Grund ein Schaden der Klagepartei nicht bestehe und zudem kein sittenwidriges Verhalten der Beklagten im Zeitpunkt des Kaufvertragabschlusses angelastet werden könne.
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Zudem habe die Klagepartei das im vorliegenden Rechtsstreit streitgegenständliche Fahrzeug zu einem Zeitpunkt erworben, als die Beklagte ihre Vertragshändler bereits angewiesen hatte, Fahrzeuge des betreffenden Fahrzeugtyps, bei denen das Software-Update noch nicht aufgespielt wurde, nur nach vorheriger Aufklärung von Kaufinteressenten durch Übergabe eines Beipackzettels zu verkaufen. Aus diesem Grund bestehe kein Raum für den Vorwurf des sittenwidrigen Verhaltens seitens der Beklagten.
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Weiter meint die Beklagte, dass sämtliche Behauptungen der Klagepartei bloße Spekulationen und Mutmaßungen ins Blaue hinein seien. Im streitgegenständlichen Fahrzeug werde keine unzulässige Abschalteinrichtung verwendet, das Fahrzeug sei nicht manipuliert.
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Das Kraftfahrtbundesamt habe den streitgegenständlichen Motortyp eingehend überprüft und festgestellt, dass dort, insbesondere nach dem Update, keine unzulässige Abschaltung zum Einsatz komme. Dies gehe aus der Freigabeerklärung des KBA eindeutig hervor.
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Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist in vollem Umfang unbegründet und war deshalb vollumfänglich abzuweisen.
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Der Klagepartei steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch gegen die Beklagte auf Schadensersatz in Form der Erstattung des Kaufpreises für das Fahrzeug Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs und auch nicht der geltend gemachte Feststellungsanspruch bzw. die geltend gemachten Nebenforderungen zu.
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1. Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus § 280 Abs. 1 Satz 1, § 311 Abs. 3 BGB liegen nicht vor. Voraussetzung wäre, dass die Beklagte, die unstreitig nicht Vertragspartnerin geworden ist, in besonderem Maße persönliches Vertrauen für sich in Anspruch genommen und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst hätte. Dies wäre grundsätzlich nur der Fall, wenn der Dritte unmittelbar oder mittelbar – durch eine für ihn handelnde Person – an den Vertragsverhandlungen teilgenommen und dabei durch sein Auftreten eine über das normale Verhandlungsvertrauen hinausgehende persönliche Gewähr für die Seriosität des Geschäfts oder die Erfüllung des Vertrages übernommen hat (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Aufl., § 311 Rn. 63 mwN OLG München Endurteil v. 3.12.2019 – 18 U 4044/19, BeckRS 2019, 41966 Rn. 27, beck-online). Diese Voraussetzungen wurden nicht dargetan.
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2. Ein Anspruch der Klagepartei auf Schadenersatz besteht bereits unabhängig von der Frage unzulässiger Abschalteinrichtungen nicht, weil auf dem streitgegenständlichen Fahrzeug im Zeitpunkt des Erwerbs unstreitig bereits ein vom Kraftfahrtbundesamt genehmigtes Softwareupdate aufgespielt war. Daher besteht keine Grundlage für eine Haftung des Herstellers nach §§ 823, 826, 31 BGB.
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Unstreitig wurde vom KBA in der Freigabebestätigung ausdrücklich bestätigt, dass nach Durchführung des Software-Updates keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliegt. Zudem hat es bestätigt, dass nach Durchführung der angeordneten Maßnahme alle geltenden Grenzwerte bzgl. der Schadstoffemissionen sowie die sonstigen Anforderungen eingehalten werden.
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Mithin besteht bereits aus diesem Grund kein Anspruch der Klagepartei auf Schadenersatz wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (so auch OLG München 23.04.2020, 21 U 6010/19).
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3. Ein Anspruch der Klagepartei aus §§ 826, 31 BGB bzw. § 831 BGB, scheidet auch deshalb aus, weil das klägerseits behauptete Verhalten der Beklagten, soweit man überhaupt von einem substantiierten Vortrag ausgehen konnte, unter keinem Gesichtspunkt als sittenwidrig anzusehen ist. Soweit insbesondere die Klage auf eine angebliche unzulässige Abschalteinrichtung gestützt wird, erfolgte der Vortrag ins Blaue hinein, so dass bereits ein substantiierter Vortrag nicht vorlag und die Klage ohne weitere Beweisaufnahme abzuweisen war.
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a. Objektiv sittenwidrig wäre eine Handlung, die nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggründen und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, d.h. mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Ein Unterlassen wäre dann sittenwidrig, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Dass das Verhalten gegen vertragliche Pflichten oder das Gesetz verstößt, unbillig erscheint oder einen Schaden hervorruft, genügt nicht. Insbesondere ist die Verfolgung eigener Interessen bei der Ausübung von Rechten im Grundsatz auch dann legitim, wenn damit eine Schädigung Dritter verbunden ist.
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Hinzutreten muss nach der Rechtsprechung eine nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als „anständig“ Geltenden besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (vgl. mwN: Palandt/Sprau, BGB, 79. Auflage 2020, § 826 BGB, Rn. 4).
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b. Der Anspruchssteller ist für die einen Anspruch gem. § 826 BGB begründenden Tatsachen darlegungs- und beweisbelastet (BGH, Urt. v. 04.12.2012, Az. VI ZR 378/11).
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Die Ablehnung eines Beweises für eine beweiserhebliche Tatsache ist nur dann zulässig, wenn die unter Beweis gestellten Tatsachen zwar in das Gewand einer bestimmt aufgestellten Behauptung gekleidet, aber ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen aufs Geratewohl gemacht, gleichsam “ins Blaue” aufgestellt sind und sich deshalb als Rechtsmissbrauch darstellen (BGH, Urt. v. 23.04.1991, Az. X ZR 77/89; BGH, Beschluss vom 16.04.2015, Az. IX ZR 195/14).
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Ein Sachvortrag zur Begründung eines Anspruchs ist bereits dann schlüssig und erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet und erforderlich sind, das geltend gemachte Recht als in der Person der Partei entstanden erscheinen zu lassen. Die Angabe näherer Einzelheiten ist nicht erforderlich, soweit diese für die Rechtsfolgen nicht von Bedeutung sind (stRspr; vgl. BGH NJW 2015, 934 Rn. 43; WuM 2012, 311 = BeckRS 2012, 6244 Rn. 6 mwN; VersR 2019, 835 = BeckRS 2019, 7939 Rn. 11 mwN). Das gilt insbesondere dann, wenn die Partei keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen hat (BGH NJW-RR 2017, 22 Rn. 27). Das Gericht muss nur in die Lage versetzt werden, aufgrund des tatsächlichen Vorbringens der Partei zu entscheiden, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für das Bestehen des geltend gemachten Rechts vorliegen (vgl. etwa BGH WuM 2012, 311 = BeckRS 2012, 6244 mwN; VersR 2019, 835 = BeckRS 2019, 7939). Sind diese Anforderungen erfüllt, ist es Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (stRspr; vgl. BGH NJW 2015, 934; WuM 2012, 311 = BeckRS 2012, 6244; VersR 2019, 835 = BeckRS 2019, 7939, jew. mwN). Eine Behauptung ist erst dann unbeachtlich, wenn sie ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufgestellt worden ist (stRspr; vgl. etwa BGH NJW-RR 2004, 337; NZG 2016, 658 = WM 2016, 974 Rn. 20; Beschl. v. 9.11.2010 – VIII ZR 209/08, BeckRS 2010, 29314; VersR 2019, 835 = BeckRS 2019, 7939 Rn. 13, jew. mwN). Bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne ist Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur beim Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte gerechtfertigt werden können (BGH NJW-RR 2004, 337 mwN) (vgl. zu alldem mwN BGH, NJW 2020, 1740 Rn. 7, 8, beck-online.
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c. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist ein sittenwidriges Verhalten gem. § 826 BGB nicht dargetan bzw. erfolgte erkennbar ins Blaue hinein und war deshalb unbeachtlich, so dass eine Beweisaufnahme in Form des angebotenen Sachverständigengutachtens nicht zu erfolgen hatte.
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aa. Hinsichtlich des sogenannten „Thermofensters“ wäre, selbst wenn ein Verstoß anzunehmen wäre, ein Verschweigen des Einsatzes der Abschalteinrichtung in Gestalt eines sog. „Thermofensters“ bei Würdigung der Gesamtumstände auch unter Berücksichtigung eines durchschnittlichen Anstandsmaßstabs schon objektiv nicht als sittenwidrig zu bewerten. Insoweit unterscheidet sich die Fallgestaltung deutlich und entscheidend vom Einsatz einer Motorsteuerungssoftware, die zielgerichtet den Prüfstandslauf erkennt und dann in einen völlig anderen Betriebsmodus schaltet.
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Die Fallgestaltung eines sog. „Thermofensters“ unterscheidet sich damit signifikant von der Fallgestaltung einer „Schummelsoftware“ in Form einer Umschaltlogik, wie sie Gegenstand der im Jahr 2015 gerichtsbekannt aufgedeckten Geschehnisse ist. Dabei hat dieser Hersteller nämlich nicht nur gesetzliche Abgaswerte außer Acht gelassen, sondern mit der Abschalteinrichtung ein System zur planmäßigen Verschleierung seines Vorgehens gegenüber den Aufsichtsbehörden und den Verbrauchern geschaffen.
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Das von der Klagepartei für das hier streitgegenständliche Fahrzeug behauptete „Thermofenster“ würde im Falle seiner Unzulässigkeit zwar ebenfalls einen Gesetzesverstoß darstellen, wäre jedoch nicht mit den Grundbedürfnissen loyaler Rechtsgesinnung unvereinbar. Unstreitig ist, dass das sogenannte Thermofenster die Abgasreinigung bei sehr niedrigen und sehr hohen Temperaturen nicht mehr voll durchführen lässt bzw. ab einer gewissen Temperatur gänzlich ausschaltet. Dies ist im Prüflauf jedoch genauso wie im realen Straßenverkehr. Ein heimliches, planvoll angelegtes Vorgehen unter Ausnutzung eines eigenen Informations- und Wissensvorsprungs gegenüber dem nichtsahnenden Verbraucher kann darin nicht gesehen werden. Es wird auch nicht die Einhaltung der gesetzlichen Umweltstandards durch eine lediglich auf dem Prüfstand erfolgende Abgasreinigung bewusst „vorgespielt“, um damit ein dem gesellschaftlichen Zeitgeist der Umweltfreundlichkeit und Umweltverträglichkeit entsprechendes Fahrzeug zu vermarkten. Vielmehr ist unstreitig, dass die beworbene Umweltfreundlichkeit des Fahrzeugs zumindest innerhalb des „Thermofensters“ voll gegeben ist. Anders als in den Fällen, in denen eine effektive Abgasreinigung lediglich bei Erkennen des Prüfstands durchgeführt wird, ist auch nicht substantiiert dargetan und auch nicht ersichtlich, dass Gewinnstreben um jeden Preis Motivation auf Herstellerseite gewesen ist (so auch LG Schweinfurt, Urteil vom 17.01.2020, Az. 21 O 95/19).
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Zudem ist angesichts der äußerst kontroversen Diskussionen über die Zulässigkeit des „Thermofensters“ eine Auslegung dahingehend, dass ein „Thermofenster“ eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, jedenfalls nicht unvertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann ebenso nicht verwerflich sein (so auch LG Stuttgart, Urteil vom 03.05.2019, Az. 22 O 238/18, juris, Rn. 30 ff.; LG Limburg, Urteil vom 24.05.2019, Az. 2 O 50/19, juris, Rn. 25; LG Bonn, Urteil vom 17.05.2019, Az. 15 O 132/18, juris, Rn. 25 ff.; LG Schweinfurt, Urteil vom 17.01.2020, Az. 21 O 95/19).
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In der Gesamtschau kann deshalb selbst beim Vorliegen eines objektiv unzulässigen „Thermofensters“ nicht von objektiver Sittenwidrigkeit ausgegangen werden.
33
bb. Im Übrigen trägt die Klägerseite völlig „ins blaue Hinein“ zu einer angeblichen unzulässigen Abschalteinrichtung vor, so dass diesbezüglich ein Anspruch nicht substantiiert dargetan ist und eine Beweisaufnahme hierzu nicht zu erfolgen hatte.
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Im vorliegenden Fall konnte die Klagepartei weder substantiiert darstellen, dass im Motor seines Fahrzeugs eine unzulässige Abschalteinrichtung verbaut worden ist, noch dass seinem Fahrzeug eine Betriebsbeschränkung bzw. Betriebsuntersagung drohte oder droht.
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Die Klagepartei trägt zu einem verpflichtenden Rückruf oder zu einer Betroffenheit im Zusammenhang mit der Diesel-Abgasthematik nicht schlüssig vor. Durch die Klagepartei werden auch keine konkreten Umstände vorgebracht, die diese Einschätzung des KraftfahrtBundesamtes, die zu einer Zulassung geführt hat, erschüttern könnten.
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Nachdem auch über fünf Jahre nach Bekanntwerden von „Abgasmanipulationen“ kein Rückruf für das streitgegenständliche Fahrzeug der Klagepartei erfolgt ist, keine Ansatzpunkte dafür bestehen, dass diese in der Zukunft droht, bestand zu keinem Zeitpunkt die Gefahr der Betriebsuntersagung bzw. Betriebsbeschränkung für streitgegenständliche Fahrzeug der Klagepartei. Mithin bereits ein wesentlicher Umstand, durch den das sittenwidrige Verhalten begründet werden könnte.
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Für die streitgegenständlichen Motor hat das Bundesministerium für Verkehr und das Kraftfahrtbundesamt nach dem Vorbringen der Beklagten keinen Rückruf angeordnet bzw. die Androhung oftmals möglich in Aussicht gestellt. Die Klagepartei hat auch nicht behauptet, jedenfalls kein Beweis dafür angetreten, dass das streitgegenständliche Fahrzeug von einem Rückruf wegen Verwendung einer unzulässigen Umschaltsoftware betroffen sei. Die Beklagte hat substantiiert vorgetragen, dass das Kraftfahrtbundesamt den streitgegenständlichen Motortyp untersucht habe und dabei feststelle, dass dort keine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz.
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Wenn demnach das Bundesministerium für Verkehr das Kraftfahrtbundesamt davon ausgeht, dass bei Motoren des … eine unzulässige Abschaltung nicht festzustellen sei und nicht vorliege, so kann die gleichlautende Einschätzung durch die Beklagte zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Kaufvertrages auch aus heutiger Sicht nicht beanstandet werden.
39
Mithin besteht keine vorsätzliches sittenwidriges Verhalten der Beklagten.
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4. Der Klagepartei steht auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 Abs. 1 StGB zu.
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Es fehlt bereits an einer für einen solchen Anspruch erforderlichen Stoffgleichheit zwischen dem behaupteten Schaden des Klägers und einer möglichen Bereicherung der Beklagten. Der Kläger stützt seinen Anspruch letztlich darauf, ihm sei ein Schaden in Form der Eingehung einer ungewollten Kaufpreisverpflichtung entstanden. Bei der Beklagten, deren Bereicherung der mögliche Täter erstrebt haben könnte, ist eine solche jedoch allenfalls dadurch eingetreten, dass sie das Fahrzeug an den Erstkäufer ausgeliefert hat, nicht aber an die Klagepartei als Gebrauchtwagenkäufer (vgl. OLG Bamberg, Beschluss v. 23.01.2020, 1 U 308/19; OLG Stuttgart, Urteil v. 08.08.2019, 9 U 9/19; OLG Karlsruhe, Urteil v. 09.01.2020, 17 U 133/19).
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Der Vortrag der Klagepartei zum Vorliegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Gestalt eines „Thermofensters“ reicht darüber hinaus auch in subjektiver Hinsicht nicht aus, einen solchen deliktischen Schadensersatzspruch zu begründen, denn unabhängig davon, ob es sich bei dem „Thermofenster“ in objektiver Hinsicht überhaupt um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne der VO(EG) 715/2007 handelt (vgl. hierzu LG Stuttgart, VuR 2019, 148 mit abl. Anm. Wessel DAR 2019, 277; abl. auch OLG Stuttgart, ZVertriebsR 2019, 301 [306]), wäre das bloße Vorhandensein einer objektiv unzulässigen Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug nicht geeignet, deliktische Ansprüche der Klägerin auszulösen. Denn es ist nichts zu den subjektiven Voraussetzungen der deliktischen Anspruchsgrundlage von Substanz vorgetragen (siehe OLG Köln, ZVertriebsR 2019, 370 [371]): So hätten über die schlichte Kenntnis von der Verwendung des „Thermofensters“ hinaus auch Anhaltspunkte dafür vorgetragen werden müssen, dass dies bei der Beklagten zugleich mit dem Bewusstsein geschehen ist, möglicherweise gegen gesetzliche Vorschriften zu verstoßen, und dass dieser Gesetzesverstoß zumindest billigend in Kauf genommen wurde. Aus den vorgetragenen Umständen kann nicht geschlossen werden, dass ein solches Bewusstsein bei den Organen der Beklagten vorlag.
43
Vielmehr ist angesichts der äußerst kontroversen Diskussionen über die Zulässigkeit des „Thermofensters“ eine Auslegung dahingehend, dass ein „Thermofenster“ eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, jedenfalls nicht unvertretbar, so dass auch unter diesem Aspekt ein zumindest bedingt vorsätzliches Handeln der Beklagten fern liegt.
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5. Auch Ansprüche aus §§ 823 Abs. i.V.m. §§ 6, 27 Abs. 1 EG-FGV und Art. 5 Abs. 2 S. 1 lit. VO (EG) 715/2007 sind nicht gegeben.
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Ein solcher Anspruch scheidet jedenfalls dadurch aus, dass der Beklagten ein pflichtwidriges Verhalten durch welches der behauptete Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 vorsätzliche oder fahrlässig herbeigeführt wurde, nicht substantiiert vorgeworfen wurde.
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Aufgrund der äußerst kontroversen Diskussionen über die Zulässigkeit des „Thermofensters“ ist eine Auslegung dahingehend, dass ein „Thermofenster“ eine zulässige Abschalteinrichtung darstellt, jedenfalls nicht unvertretbar. Ein Handeln unter vertretbarer Auslegung des Gesetzes kann daher weder verwerflich noch pflichtwidrig und insbesondere auch nicht fahrlässig sein.
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6. Mangels Hauptanspruch unterliegen auch die geltend gemachten Nebenforderungen der Klageabweisung.
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Insgesamt war die Klage daher abzuweisen, so dass es keiner weiteren Stellungnahme mehr durch die Beklagte bedurfte.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
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Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.