Titel:
Genehmigung der freiheitsentziehenden Unterbringung eines Betreuten in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bzw. der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung
Normenketten:
FamFG § 324 Abs. 2 S. 1
BGB § 1831 Abs. 1
Leitsatz:
Die Genehmigung der freiheitsentziehenden Unterbringung eines Betreuten, der an einer psychischen Krankheit bzw. geistigen/seelischen Behinderung leidet, kann derart erfolgen, dass es dem Betreuer überlassen bleibt, den Betreuten in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses oder in der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung unterzubringen. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
geschlossenen Abteilung, beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung, psychische Krankheit, freiheitsentziehende Unterbringung
Rechtsmittelinstanzen:
LG Traunstein, Beschluss vom 15.09.2023 – 4 T 1560/23, 4 T 1565/23
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 15.05.2024 – XII ZB 490/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 51012
Tenor
1. Der Beschluss vom 22.05.2023 (Bl. 681/683) über die vorläufige freiheitsentziehende Unterbringung des Betreuten wird aufgehoben.
2. Die Unterbringung des Betreuten durch die Betreuerin in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bzw. der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung wird weiterhin bis längstens 01.05.2025 genehmigt.
3. Die Unterbringung ist nur mit Zustimmung der Betreuerin zulässig. Diese hat sie zu beenden, wenn die Voraussetzungen hierfür nicht mehr vorliegen. Die Beendigung ist dem Gericht unverzüglich mitzuteilen.
4. Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung wird angeordnet.
Gründe
1
Das Gericht hat mit Beschluss vom 22.05.2023 (Bl. 681/683) die vorläufige freiheitsentziehende Unterbringung des Betreuten bis 02.07.2023 genehmigt. Die ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen Herrn ... vom 23.05.2023 zur konkreten weiteren Unterbringungsdauer liegt nun vor. Der Beschluss vom 22.05.2023 (Bl. 681/683) über die vorläufige freiheitsentziehende Unterbringung kann daher aufgehoben und über eine endgültige freiheitsentziehende Unterbringung entschieden werden.
2
Nach dem aktuellen Gutachten des Sachverständigen Herrn ... vom 02.05.2023 leidet der Betreute an einer psychischen Krankheit bzw. geistigen/seelischen Behinderung, nämlich u.a. an einer anhaltenden wahnhaften Störung (WHO-ICD 10: F22) sowie einer kognitiven Beeinträchtigung, vermutlich auf dem Boden einer nicht näher bezeichneten organisch psychischen Störung bei vorangegangener Schädigung oder Funktionsstörung des Gehirns (WHO-ICD 10: F 06.9).
3
Es besteht deshalb die Gefahr, dass der Betreute sich erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt. Der Sachverständige Herr Dr. ... führt hierzu in seinem Gutachten vom 02.05.2023 u.a. aus: „Auch für den Fall, dass es dem Betroffenen gelänge die Einrichtung unbemerkt zu verlassen, muss weiterhin mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass er sich – wenn auch weiterhin unbeabsichtigt – erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügen würde. Bei ausreichender Mobilität mit seinem Rollstuhl ist davon auszugehen, dass er außerhalb der Einrichtung hilflos umherirren würde und vor allem im Falle eines Sturzes hilflos ausgeliefert wäre. Mit seinen eingeschränkten/aufgehobenen Fähigkeiten, für seine Kleidung selbst Sorge zur tragen, und bei mangelnder Diskriminationsfähigkeit, die Wetterlage zu beurteilen, wäre er der Unbill jeden Wetters ausgesetzt. Weiterhin muss auch davon ausgegangen werden, dass Herr ... mit hoher Wahrscheinlichkeit, infolge seiner Immobilität, mit seinem Rollstuhl den Anforderungen des Straßenverkehrs nicht mehr gewachsen wäre und somit neben erheblicher Eigengefährdung auch mit einer Gefährdung Dritter gerechnet werden muss. Im Falle einer Rückkehr in sein Anwesen muss aufgrund der Realitätsverkennung von dessen baulichem Zustand neben einer erheblichen Verwahrlosung auch in Folge der hygienischen Mängel mit erheblicher Gesundheitsschädigung gerechnet werden. Als weniger einschneidende Maßnahme kommt nach wie vor als einzig mögliche Alternative eine 24-stündige, rund um die Uhr Betreuung und nur durch eine Pflegefachkraft zu leistende Versorgung, nach vorangegangener Aufhebung der baulichen Mängel auf dem Anwesen des Betroffenen infrage. Im Falle einer Verlegung des Betroffenen in eine offene Einrichtung muss mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass er diese verlassen wird und mit den oben genannten Konsequenzen gerechnet werden müsste.“ Unter Berücksichtigung der Angaben des Sachverständigen Dr. med. E, der Stellungnahme der Betreuerin, der Stellungnahme der Verfahrenspflegerin, der eigenen Angaben des Betreuten sowie aufgrund des Eindrucks des Gerichts, den sich dieses im Rahmen der persönlichen Anhörung des Betreuten in dessen üblicher Umgebung vom Betreuten verschafft hat, kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass die freiheitsentziehende Unterbringung des Betreuten weiterhin erforderlich ist, um einen erheblichen gesundheitlichen Schaden vom Betreuten abzuwenden. Trotz des Umstandes, dass der Betreute im Rollstuhl sitzt, scheint der Betreute noch soweit mobil, dass er ohne beschützende Unterbringung die Einrichtung verlassen würde. Bei einem eigenständigen Verlassen der Einrichtung würde er sich den Gefahren des Straßenverkehrs aussetzen, ohne sich der Gefahren bewusst zu werden, die ihm im Straßenverkehr drohen. Würde er beim Verlassen der Einrichtung Unterstützung durch Dritte erhalten, so wäre zu erwarten, dass von Dritter Seite zwar versucht wird, Gefahren für den Betroffenen zu verhindern. Eine ausreichende Versorgung und Pflege des Betreuten im häuslichen Umfeld des Betreuten auf seinem Anwesen wäre aber nicht sichergestellt, da insbesondere eine 24-Stunden-Pflegekraft und der behindertengerechte bzw. barrierefreie Umbau des Anwesens des Betreuten nach bisherigen Erkenntnissen nicht finanzierbar ist und somit auch nicht sichergestellt ist. Es ist daher zu erwarten, dass der Betreute ohne Verlängerung des Unterbringungsbeschlusses wieder in sein ursprüngliches häusliches Umfeld zurückkehren würde und sich dort u.a aufgrund der baulichen Widrigkeiten im bäuerlichen Anwesen u.a. den Gefahren einer Verwahrlosung oder – aufgrund fehlender Barrierefreiheit – auch der Gefahr von Stürzen aussetzen würde. Die freiheitsentziehende Unterbringung ist daher weiterhin erforderlich. Die Verlängerung der Genehmigung der freiheitsentziehenden Unterbringung bedeutet jedoch nicht, dass der Betreute in der bisherigen beschützenden Einrichtung verbleiben muss. Es bleibt der Betreuerin durchaus überlassen, den Betreuten in eine andere beschützende Einrichtung zu verlegen, in der dem Betreuten z.B. mehr Ausgang in Begleitung gewährt werden kann, oder in der er mehr physiotherapeutische Maßnahmen ergreifen kann, sofern er dies möchte.
4
Der Betreute hat zurzeit keine ausreichende Krankheitseinsicht; er ist zu keiner freien Willensbildung zumindest hinsichtlich der Entscheidungen im Zusammenhang mit der Erkrankung in der Lage. Er vermag auch die Notwendigkeit der freiheitsentziehenden Unterbringung nicht zu erkennen.
5
Dies folgt aus dem Ergebnis der gerichtlichen Ermittlungen, insbesondere aus dem aktuellen Gutachten des Sachverständigen Herrn ... vom 02.05.2023, der ergänzenden Stellungnahme des Sachverständigen Herrn ... vom 23.05.2023, der Stellungnahme der Betreuerin vom 14.04.2023 (Bl. 649) und 26.05.2023, der Stellungnahme der Verfahrenspflegerin Frau Rechtsanwältin A vom 15.05.2023 (Bl. 675/676) und dem unmittelbaren Eindruck des Gerichts, den sich dieses anlässlich der Anhörung des Betreuten in der üblichen Umgebung des Betreuten verschafft hat.
6
Die Entscheidung beruht auf § 1831 Abs. 1 BGB.
7
Bei der Festsetzung der Frist über die Dauer der Entscheidung hinsichtlich der freiheitsentziehenden Unterbringung hat das Gericht die Ausführungen des Sachverständigen berücksichtigt und ging davon aus, dass sich der Gesundheitszustand aufgrund des Krankheitsbildes bis zur erneuten Überprüfung nicht wesentlich bessern wird. Die vom Sachverständigen in der ergänzenden Stellungnahme vom 23.05.2023 vorgeschlagene weitere Unterbringungsdauer von zwei Jahren wurde ab Erstellung des ursprünglichen Gutachtens vom 02.05.2023 (abzgl. 1 Tag) berechnet, sodass sich als Endzeitpunkt der Genehmigung der 01.05.2025 ergibt.
8
Die Anordnung der sofortigen Wirksamkeit beruht auf § 324 Abs. 2 Satz 1 FamFG.