Titel:
Genehmigung der freiheitsentziehenden Unterbringung eines Betreuten in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bzw. der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung
Normenketten:
FamFG § 58 Abs. 1, § 63 Abs. 1, § 64, § 321 Abs. 1 S. 3, § 329 Abs. 1
BGB § 1831 Abs. 1
Leitsatz:
Die Unterbringung zur Vermeidung einer Selbstschädigung setzt voraus, dass der Betroffene aufgrund seiner Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unterbringung, Freiheitsentziehung, Verwahrlosung, Krankheitseinsicht, Alkoholabhängigkeit
Vorinstanz:
AG Mühldorf, Beschluss vom 05.05.2023 – 3 XVII 75/22
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 12.06.2024 – XII ZB 4/24
Fundstelle:
BeckRS 2023, 51008
Tenor
Die Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf a. Inn vom 05.05.2023 wird zurückgewiesen.
Gründe
1
Mit Schreiben vom 08.02.2021 (Bl. 1) wandte sich ... von der Seniorenbetreuung B. an das Amtsgericht Hof. Sie habe am 03.02.2021 die Polizei gerufen, da keiner die Betroffene seit 27.01.2021 gesehen oder gesprochen habe. Die Feuerwehr habe die Tür geöffnet. Die Betroffene sei betrunken auf dem Sofa gelegen, das Haus sei total vermüllt gewesen. Die Betroffene sei in einem schlechten Zustand gewesen, habe Wassereinlagerungen in den Beinen gehabt, habe deswegen schlecht laufen können und sei auch in einem sehr ungepflegten Zustand. Die Betroffene wolle eine Betreuerin in allen Lebenslagen.
2
Die Betreuungsbehörde H. äußerte sich mit Schreiben vom 19.02.2021 (Bl. 5/9) und führte u.a. aus, die Betroffene sei am 01.02 2021 in reduziertem Allgemeinzustand mit dem Rettungsdienst in das Klinikum N. gebracht worden. Es sei u.a eine dekompensierte Herzinsuffizienz bei hochgradig eingeschränkter systolischer LV Funktion diagnostiziert worden, eine dilatative Kardiomypathie, eine hochgradige Mitralklappeninsuffizienz, eine hochgradige Trikuspidalklappeninsuffizienz, eine Sinustachykardie, eine Hypoklämie, ein Anasarka Harnwegsinfekt und eine Leberzirrhose. Die Betroffene habe eine stationäre Behandlung kategorisch abgelehnt. Die Entlassung sei gegen ärztlichen Rat erfolgt. Der Betreuungsbehörde gegenüber gab die Betroffene an, sie würde am Abend ein Glas Wein trinken, das tue ihr gut, da dies gut für ihr Herz sei. Der Gang der Betroffenen sei bei dem Gespräch aber sehr unsicher gewesen und sie habe alkoholisiert gewirkt. Zudem seien unter einer Überdachung zwei Kartons mit insgesamt 36 Flaschen Wein gewesen. Das Wohnzimmer sei unordentlich und teilweise auch dreckig gewesen. Die einsehbaren Wohnräume seien mit Kartons zugestellt gewesen, nur ein kleiner Bereich im Wohnzimmer war frei zugänglich. Im Flur seien teilweise angebrannte Kartons gewesen, welche wohl zu nah an einem mit Holz beheizten Ofen, der sich im Wohnzimmer befindet, gestanden haben.
3
Die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie ... erstattet im Auftrag des Amtsgerichts Hof am 22.03.2021 ein psychiatrisches Gutachten zu den medizinischen Voraussetzungen der Anordnung eine Betreuung und freiheitsentziehender Maßnahmen (Bl. 12/26). Sie diagnostizierte bei der Betroffenen eine Suchterkrankung im Sinne einer Alkoholabhängigkeit mit Folgeschäden (ICD-10 F 10.2). Im Rahmen der Folgeschäden sei es bei der Betroffenen zu einer Reduzierung des Allgemeinzustandes, des psychischen Zustandes und sozialen Auswirkungen gekommen. Es habe sich unter anderem ein amnestisches Syndrom (Korsakow-Syndrom F 10.6) entwickelt, eine Leberzirrhose mit Meteorismus sowie eine Herzerkrankung, Beinödeme und eine Gangstörung. Hinsichtlich der Einzelheiten des Gutachtens wird auf dieses Bezug genommen.
4
Mit Schreiben vom 25.03.2021 (Bl. 34) teilte die Betreuungsbehörde H. dem Amtsgericht Hof mit, Frau ... habe die Betroffene auf dem Bett liegend aufgefunden. Neben dem Bett lagen zahlreiche leere Weinflaschen. Im Raum sei es unerträglich warm gewesen und es habe nach Kot gestunken. Frau ... vermute, dass die Betroffene in ihrem eigenen Kot liege.
5
Mit Schreiben vom 05.04.2021 (Bl. 42/43) regte die Bezirksklinik R. beim Amtsgericht Hof u.a. die vorläufige Unterbringung der Betroffenen für zunächst drei Wochen an. Die Betroffene war durch den Notarzt eingewiesen worden. Sie sei zeitlich und örtlich unscharf orientiert gewesen, mit reduziertem Kurzzeitgedächtnis sowie erniedrigter Merkfähigkeit und Konzentration. Konfabulationen seien auffallend. Außerdem sei eine depressive Stimmung auffallend. Die Betroffene sei in einem deutlich verwahrlosten Pflegezustand gewesen, zudem sei laut des Einweisungsberichts ihr Haus auch total vermüllt. Hinsichtlich des Alkoholkonsums habe sie angegeben, nur 1-2 Glas Wein täglich zu trinken. Mit einer Untersuchung und einer medizinisch erforderlichen Entzugstherapie und permanenter Abstinenz sei sie nicht einverstanden und dränge auf sofortige Entlassung. Sie sei fremdaggressiv, weglaufgefährdet und die Dekompensation einer chronischen Erkrankung drohe.
6
Nach Anhörung der Betroffenen ordnete das Amtsgericht Hof mit Beschluss vom 06.04.2021 (Bl. 45/47) Betreuung für die Betroffene u.a. für die Aufgabenkreise der Gesundheitsfürsorge und Aufenthaltsbestimmung an und bestellte die weitere Beteiligte zu 1) als Betreuerin.
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Mit weiterem Beschluss vom 06.04.2021 (Bl. 20/22 der Unterbringungsakte) ordnete das Amtsgericht Hof die vorläufige Unterbringung der Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 18.05.2021 an.
8
Am 08.04.2021 wurde die Betroffene von der Bezirksklinik R. aus aufgrund eines schlechten allgemeinen somatischen Zustandes ins S. Klinikum H. verlegt.
9
Mit Schreiben vom 23.04.2021 (Bl. 30/31 der Unterbringungsakte) beantragte die weitere Beteiligte zu 1) die geschlossene Unterbringung der Betroffenen und führte u.a. aus, die Polizei habe die Betroffene vor Einlieferung ins Klinikum R. in ihrer Wohnung in ihrem eigenen Kot und Erbrochenem liegend vorgefunden.
10
Sie sei in den letzten Wochen nicht mehr in der Lage gewesen, ihr Bett oder Haus zu verlassen. Das Haus sei voll Tier- und Menschenkot, insbesondere in der Küche sei auch weiterer Ungezieferbefall festzustellen. Die Betroffene habe zu versterben gedroht. Sie bestelle auch weiterhin online Alkohol und habe mit wiederkehrenden Depressionen zu kämpfen. Als Anlage waren dem Schreiben Lichtbilder des Hauses der Betroffenen beigegeben (Bl. 32/41 der Unterbringungsakte), die den desolaten, vermüllten und verdreckten Zustand des Hauses zeigen. Auf die Bilder wird Bezug genommen.
11
Im Auftrag des Amtsgerichts Hof erstattete der Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie ... am 16.05.2021 ein fachärztliches Gutachten u.a. zu den medizinischen Voraussetzungen freiheitsentziehender Maßnahmen (Bl. 127/142). Er diagnostizierte bei der Betroffenen u.a. eine psychische und Verhaltensstörung durch Alkohol: Abhängigkeitssyndrom (ICD 10 F10.2) und psychische und Verhaltensstörungen durch Alkohol: Amnestisches Syndrom (ICD 10 F10.6). Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen.
12
Am 18.05.2021 genehmigte das Amtsgericht Hof die vorläufige Unterbringung der Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 29.06.2021 und mit Beschluss vom 16.06.2021 die Unterbringung der Betroffenen in der beschützenden Abteilung einer Pflegeeinrichtung bis längstens 15.05.2023. Die Betroffene verzog sodann in das Pflegeheim Schloß Z./A. Sch. (beschützende Einrichtung).
13
Am 27.07.2021 wurde die Betroffene wegen hepatischer und kardinaler Dekompensation ins S. Klinikum H. verbracht. Von dort flüchtete sie am 29.07.2021 und konnte erst am 11.08.2021 durch die Polizei in Weiden gefunden werden. Die Bezirksklinik R. regte sodann am 25.08.2021 eine Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus für vorerst sechs Wochen an.
14
Mit Beschluss vom 26.08.2021 (Bl. 132/134 der Unterbringungsakte) genehmigte das Amtsgericht Hof die vorläufige Unterbringung der Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 06.10.2021.
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Am 21.09.2021 verzog die Betroffene in das Seniorenhaus Z., wurde von dort aus aber bereits am nächsten Tag ins Bezirkskrankenhaus R. verlegt. Die Einrichtung teilte mit, die Betroffene sei in der Einrichtung nicht integrierbar. Die Betroffene hatte alle Feuermelder ausgelöst, mehrere Notrufe abgesetzt und sei nicht bezähmbar gewesen.
16
Die Klinik regte mit Schreiben vom 23.09.2023 (Bl. 143/144 der Unterbringungsakte) die Unterbringung der Betroffenen für vorerst sechs Wochen an.
17
Die weitere Beteiligte zu 1) beantrage mit Schreiben vom 29.09.2021, den Unterbringungbeschluss auch dauerhaft auf das Bezirkskrankenhaus auszuweiten, da die Betroffene bereits in zwei Einrichtungen nicht tragbar gewesen sei.
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Mit Beschluss vom 05.10.2021 (Bl. 152/154) erweiterte das Amtsgericht Hof den Beschluss vom 16.06.2021 und genehmigte auch die Unterbringung der Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bis längstens 15.05.2023.
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Im weiteren Verlauf verzog die Betroffene sodann in das EHRKO Beschützendes Wohnzentrum in Neumarkt-Sankt Veit. Das Verfahren wurde an das Amtsgericht Mühldorf a. Inn abgegeben.
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Im Auftrag des Amtsgerichts Mühldorf a. Inn erstattete der Sachverständige ..., Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, am 28.02.2023 ein psychiatrisches Gutachten zu den Voraussetzungen der Verlängerung einer freiheitsentziehenden Unterbringung (Bl. 290/300). Der Sachverständige diagnostizierte bei der Betroffenen eine prämorbide Alkoholerkrankung, vermutlich Abhängigkeit mit somatischen Folgeerkrankungen (alkoholbedingte Kardiomyopathie, alkoholbedingte Leberzirrhose, Thiaminmangel) und eine alkoholtoxische Wesensveränderung (ICD10 F10.21). Er empfahl eine Unterbringung von zwei Jahren. Hinsichtlich der genauen Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen.
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Mit Beschluss vom 05.05.2023 (Bl. 303/304) hat das Amtsgericht Mühldorf a. Inn die Unterbringung der Betroffenen in der geschlossenen Abteilung eines psychiatrischen Krankenhauses bzw. der beschützenden Abteilung einer Pflege- oder Therapieeinrichtung bis längstens 04.05.2025 genehmigt.
22
Mit Schriftsatz vom 25.05.2023 (Bl. 337) zeigte Rechtsanwalt ... die Vertretung der Betroffenen an und beantragte namens und im Auftrag der Betroffenen Akteneinsicht und legte eine von der Betroffenen unterschriebene Vollmacht vom 10.05.2023 in Kopie bei (Bl. 338). Dabei handelt es sich um einen maschinenschriftlichen Vordruck mit diversen Befugnissen, unter anderem auch „Einlegung und Rücknahme von Rechtsmitteln“, auf dem neben „in Sachen“ handschriftlich „...“ geschrieben wurde und neben „wegen“ handschriftlich geschrieben wurde „Akteneinsicht Verfahren Amtsgericht Mühldorf, Az: 3 XVII 75/22“. Die Akteneinsicht wurde gewährt.
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Mit Schriftsatz vom 06.06.2023 (Bl. 339) nahm Rechtsanwalt ... Bezug auf seine Vertretungsanzeige für die Betroffene und führte aus: „Gegen den Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf a. Inn … lege ich das Rechtsmittel der Beschwerde ein“. Eine Begründung erfolgte nicht.
24
Mit Schreiben vom 13.06.2023 (Bl. 341) wies das Amtsgericht Rechtsanwalt ... darauf hin, dass sich die von ihm vorgelegte Vollmacht auf die Akteneinsicht beschränke und er zur Einlegung von Rechtsmitteln nicht bevollmächtigt sei. Eine Reaktion darauf erfolgte nicht.
25
Mit Schreiben vom 19.06.2023 (Bl. 342) bat die Betroffene das Amtsgericht, ihr „bitte ein aktuelles Schreiben zwecks der Unterbringung hier in Neumarkt Sankt Veit zuzuschicken … Für meine Zukunft zu planen, können Sie mir bitte ein Schreiben vom Jahr 2023 zuschicken“. Daraufhin übersandte das Amtsgericht der Betroffenen den Beschluss vom 05.05.2023 erneut.
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Mit Beschluss vom 28.09.2023 (Bl. 347/348) half das Amtsgericht der Beschwerde nicht ab und führte u.a. aus, die Beschwerde sei unzulässig, da Rechtsanwalt ... nur für die Akteneinsicht bevollmächtigt worden sei und damit eine Vollmacht für die Einlegung von Rechtsmitteln fehle. Der Beschluss wurde Rechtsanwalt ... übermittelt und die Akten dem Landgericht Traunstein vorgelegt.
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Die Kammer gab Rechtsanwalt ... mit Schreiben vom 05.10.2023 Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb einer Woche. Mit Schriftsatz vom 13.10.2023 beantragte Rechtsanwalt ... Fristverlängerung bis 24.10.2023, die gewährt wurde. Innerhalb der verlängerten Frist war kein Eingang zu verzeichnen.
28
Die Kammer beauftragte mit Beschluss vom 27.10.2023 den Sachverständigen ... mit einer ergänzenden Stellungnahme, da seit seinem letzten Gutachten acht Monate vergangen waren.
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Mit Schriftsatz vom 08.11.2023 teilte der Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen auf Anfrage der Kammer mit, dass er die Betroffene weiter vertritt.
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Der Sachverständige ... gab am 21.11.2023 eine psychiatrisch gutachterliche Stellungnahme ab (Bl. 362/374).
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Er diagnostizierte bei der Betroffenen eine Persönlichkeits- oder Verhaltensstörung, bedingt durch Alkohol oder psychotrope Substanzen (ICD10 F10.71) oder eine durch Alkohol oder psychotrope Substanzen bedingte anhaltende kognitive Beeinträchtigung (ICD10 F10.74), wobei die differenzialdiagnostische Abwägung schwierig erscheine, jedoch beide Diagnosen, entsprechend dem Begriff eines geistigen Gebrechens, ursächlich mit der prämorbiden Alkoholerkrankung in Zusammenhang stünden und damit eine Funktionsstörung des Gehirns korreliere. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das Gutachten Bezug genommen.
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Der Verfahrensbevollmächtigte der Betroffenen nahm mit Schriftsatz vom 08.12.2023 Stellung (Bl. 378/379).
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Die beauftragte Richterin der 4. Zivilkammer hörte die Betroffene am 13.12.2023 in Anwesenheit ihres Verfahrensbevollmächtigten sowie von Herrn ... (Einrichtungsleiter) persönlich an. Auf den Anhörungsvermerk wird Bezug genommen.
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1. Die Beschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss des Amtsgerichts Mühldorf a. Inn vom 05.05.2023 ist gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthaft und zulässig, insbesondere gem. §§ 63 Abs. 1, 64 FamFG form- und fristgerecht eingelegt. Die Kammer geht dabei wegen der in der Vollmacht vom 10.05.2023 vorgedruckten Befugnisse von einer wirksam erteilten Vollmacht für die Einlegung von Rechtsmitteln und damit von einer wirksamen Beschwerde aus.
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2. Die Beschwerde gegen die Genehmigung der Unterbringung bis 04.05.2025 erweist sich als unbegründet, da die Voraussetzungen vorliegen.
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a. Gemäß § 1831 Abs. 1 BGB ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, zulässig, solange sie erforderlich ist, weil aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt (§ 1831 Abs. 1 Nr. 1 BGB), oder zur Abwendung eines drohenden erheblichen gesundheitlichen Schadens eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder ein ärztlicher Eingriff notwendig ist, die Maßnahme ohne die Unterbringung des Betreuten nicht durchgeführt werden kann und der Betreute aufgrund einer psychischen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung die Notwendigkeit der Unterbringung nicht erkennen oder nicht nach dieser Einsicht handeln kann.
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Die Unterbringung zur Vermeidung einer Selbstschädigung setzt voraus, dass der Betroffene aufgrund seiner Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann. Dies sagt das Gesetz nicht ausdrücklich, es ergibt sich aber aus einer verfassungskonformen Auslegung, denn der Staat hat von Verfassungs wegen nicht das Recht, seine erwachsenen und zur freien Willensbestimmung fähigen Bürger zu erziehen, zu bessern oder zu hindern, sich selbst gesundheitlich zu schädigen (BVerfGE 22, 180/219 f.; BayObLG NJWE-FER 2001, 150; OLG München, Beschluss vom16.02.2005, Az. 33 Wx 6/05).
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Dies ist vorliegend der Fall. Bei der Betroffenen liegen nach diesen Maßstäben psychische Erkrankungen im Sinne des § 1831 Abs. 1 BGB vor, nämlich eine Persönlichkeits- oder Verhaltensstörung, bedingt durch Alkohol oder psychotrope Substanzen (ICD10 F10.71) oder eine durch Alkohol oder psychotrope Substanzen bedingte anhaltende kognitive Beeinträchtigung (ICD10 F10.74), wobei die differenzialdiagnostische Abwägung schwierig ist, jedoch beide Diagnosen, entsprechend dem Begriff eines geistigen Gebrechens, ursächlich mit der prämorbiden Alkoholerkrankung in Zusammenhang stehen und damit eine Funktionsstörung des Gehirns korreliert. Zudem liegen massive körperliche Beeinträchtigungen vor.
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b. Die Kammer konnte sich hiervon aufgrund der fundierten Ausführungen in den beiden psychiatrischen Gutachten des Sachverständigen ... überzeugen, die in Einklang stehen mit den vorhergehend unter Ziffer I. genannten Einschätzungen der die Betroffene in der Vergangenheit behandelnden Ärzten.
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Die Betroffene hat nur teilweise und bedingt Krankheitseinsicht. Wie der Sachverständige in seinem Gutachten ausführt, hat die Betroffene bei ihm allenfalls marginale Krankheitseinsicht gezeigt, bagatellisierte und wiegelte ihre Grunderkrankung ab. Zumindest in der richterlichen Anhörung hat die Betroffene nun zwar eine gewisse Krankheitseinsicht, zumindest was ihre Alkoholproblematik und die somatischen Folgen angeht, gezeigt. Eine psychische Erkrankung negiert sie aber weiterhin und zeigt entsprechend keine Einsicht. Bereits die fehlende (allenfalls marginale) Krankheitseinsicht der Betroffenen schließt die freie Willensbestimmung mit Blick auf die Unterbringung grundsätzlich aus (vgl. BGH, FamRZ 2016, 1065). Bei mangelnder Introspektion und Selbstreflexion sind laut Sachverständigem Urteilskraft und Kritikfähigkeit der Betroffenen im Zusammenhang mit ihrer Krankheit soweit defizitär, dass insgesamt von einer freien Willensbildung nicht mehr ausgegangen werden kann.
41
Die Betroffene ist nicht mehr in der Lage, ihr Handeln zu koordinieren und zu sequenzieren und dabei gleichzeitig die Handlungsergebnisse zu beobachten bzw. zu korrigieren.
42
c. Die geschlossene Unterbringung der Betroffenen ist auch erforderlich. Es liegen konkrete Umstände vor, woraus sich die hohe Wahrscheinlichkeit ergibt, dass sich die Betroffene aufgrund ihrer psychischen Krankheit außerhalb der geschlossenen Unterbringung selbst gesundheitlich erheblich gefährden würde (§ 1831 Abs. 1 Nr. 1 BGB).
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Würde die Betroffene in die häusliche Umgebung entlassen, bestünde die Gefahr, dass die Betroffene doch wieder Alkohol zu sich nimmt. Die Betroffene denkt zwar, sie könne dauerhaft ohne Alkohol auskommen und äußerte dauernde Abstinenzabsicht. Es ist davon auszugehen, dass die Betroffene dies im jetzigen Zeitpunkt auch tatsächlich ernst meint. Sie verkennt aber, dass sie mittlerweile über zwei Jahre in einem beschützenden Setting lebt. Sie hat keinerlei Gelegenheit, Alkohol zu sich zu nehmen und kann nicht in Versuchung geraten. Auch nimmt sie ihre Medikamente, was zu einer Stabilisierung und zu einer zumindest bedingten Krankheitseinsicht, insbesondere auch bezüglich der Gefahren des Alkoholkonsums, geführt hat. Hinsichtlich ihrer psychischen Erkrankung ist sie aber weiterhin nicht einsichtig. Sie verneint diese und ist sich nach eigenen Angaben auch nicht im Klaren darüber, dass sie Psychopharmaka nimmt und diese auch zur Stabilisierung benötigt. Sie wurde auch im Mai beobachtet, wie sie einen Teil ihrer Medikamente in einen Mülleimer geworfen hat und der Pflegekraft gegenüber geäußert hat, sie brauche diese nicht. Es besteht die Gefahr, dass die Betroffene ohne beschützendes Setting die Medikamente nicht mehr nehmen wird mit der Folge der Gefahr einer erneuten Dekompensation und auch dem Verlust der gewonnenen Einsicht in Bezug auf den Alkoholkonsum. Erneuter, insbesondere übermäßiger Alkoholkonsum birgt jedoch enorme gesundheitliche Gefahren für die Betroffene. Die Betroffene hat bereits alkoholbedingt massive körperliche Schädigungen erlitten. Es besteht daher die Gefahr, dass die Betroffene bei weiterem Alkoholgenuss weitere schwere Schäden erleiden oder sogar versterben wird.
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Darüber hinaus besteht auch die Gefahr der gesundheitsgefährdender Verwahrlosung. Zwar denkt die Betroffene, sie komme sogleich insgesamt allein zurecht. Sie muss sich seit langer Zeit aber um kaum etwas kümmern, wird vom Personal versorgt und motiviert, zeigt dabei aber wenig Eigeninitiative. Zum einen besteht aufgrund der oben geschilderten Umstände die Gefahr, dass der Betroffene sich – auf sich allein gestellt – nicht ausreichend mit Nahrung und Flüssigkeit versorgt.
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Zum anderen besteht die Gefahr, dass die Betroffene – ihre Fähigkeiten überschätzend – mit einem eigenständigen Leben überfordert ist und nicht zurecht kommt und die Wohnung dann wieder, gerade wenn doch wieder Alkohol konsumiert wird, in einen Zustand wie in der Vergangenheit gerät. Allein der Zustand der Wohnung, wie er vor der Unterbringung vorgelegen hat, birgt dabei die Gefahr der gesundheitsgefährdenden Verwahrlosung. So ist auf den von der Betreuerin übermittelten Lichtbildern etwa zu sehen, dass die Wohnung völlig verwahrlost war. Sie war vermüllt und mit leeren Kartons und Abfällen zugestellt. Das Bett war verdreckt und in einem desolaten Zustand. Das Badezimmer war verschmutzt, die Toilette verschmiert mit Fäkalien. Auch die Küche war völlig vermüllt, schmutzig und voll leerer Weinflaschen, das Waschbecken voller Abfall. Das Haus war laut Feststellungen der Betreuerin auch voll Tier- und Menschenkot, insbesondere in der Küche war auch weiterer Ungezieferbefall festzustellen. Allein das Wohnen in derartigen Zuständen ist gesundheitsgefährdend Hinzu kommt der im Wohnzimmer befindliche Ofen, der mit Holz betrieben wird. In der Vergangenheit sind bereits Kartons angebrannt, welche wohl zu nah an am Ofen waren. Auch hier besteht massive Gefahr für die Betroffene, wenn tatsächlich Dinge in Brand geraten.
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Die Kammer verkennt dabei nicht, dass – auch laut den Ausführungen des Sachverständigen – bei der Betroffenen erfreulicherweise eine Besserung des Zustandes eingetreten ist. Auch der Sachverständige hat ausgeführt, dass sich infolge der zweijährigen Alkoholkarenz der Betroffenen sowohl für den körperlichen Allgemein- und Ernährungszustand, als auch für die kognitive Leistungsfähigkeit eine leichte Verbesserung im Vergleich zur Vorbegutachtung abzeichnete. Allerdings führt dies nicht zu einer Wiederherstellung der völligen geistigen Leistungsfähigkeit, sondern es liegen weiterhin kognitive Beeinträchtigungen vor. Derzeit ist die Betroffene jedenfalls nicht zu einer selbständigen und unabhängigen Lebensführung in der Lage. Laut Ausführungen des Sachverständigen kann bei weiterer völliger Alkoholkarenz mit einer weiteren Besserung, kaum aber mit einer Wiederherstellung der geistigen Leistungsfähigkeit gerechnet werden.
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d. Alternativen zu der geschlossenen Unterbringung bestehen aus den dargelegten Gründen derzeit nicht. Insbesondere ist aktuell auch eine offene Station noch keine Alternative. Jedoch sollte – die Kammer teilt hier die Einschätzung der Einrichtungsleitung – als erster Schritt eine Erprobung zumindest im geschlossenen Eingliederungsbereich erfolgen, sobald dies möglich ist. Die Betroffene müsste dort dann mehr Eigenverantwortung entwickeln und könnte zeigen, dass sie tatsächlich weitere Fortschritte macht und sich bewähren.
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Unter Umständen wäre in weiterer Folge dann an eine offene Einrichtung zu denken, mit noch mehr Eigenverantwortung, gerade auch im Umgang mit bzw. Verzicht auf Alkohol. Nur schrittweise kann die Betroffene somit gegebenenfalls ihr Ziel erreichen, wieder ein eigenständiges Leben zu führen.
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e. Die genehmigte Dauer der Unterbringung folgt aus § 329 Abs. 1 FamFG. Auch unter Berücksichtigung der Freiheitsgrundrechte der Betroffenen ist eine geschlossene Unterbringung bis 04.05.2025 verhältnismäßig und erforderlich. Der Sachverständige ... führt an, dass ein Zeitraum von zwei Jahren als erforderlich anzusehen ist. Die Prognose, welche Dauer für die Unterbringung erforderlich ist, ist regelmäßig auf Grundlage des einzuholenden Sachverständigengutachtens vorzunehmen, § 321 Abs. 1 Satz 3 FamFG. Es liegt auch zur Überzeugung der Kammer eine offensichtlich lange Unterbringungsbedürftigkeit vor. Die Betroffene ist körperlich und psychisch multimorbide. Mit einer raschen und die Unterbringung früher entbehrlich machenden Besserung des Zustandsbildes kann nach den Angaben des Sachverständigen nicht gerechnet werden. Bei fortbestehender Mobilität und andauernder Gefährdung ist daher von einer langen Unterbringungsbedürftigkeit auszugehen, insbesondere da auch der Eingliederungsbereich eine beschützende Einrichtung ist und nach derzeitiger Prognose nicht damit gerechnet werden kann, dass die Betroffene vor Ende des genehmigten Zeitraums einen beschützenden Bereich verlassen kann. Sollte sich dies im Laufe des genehmigten Zeitraums doch anders als prognostiziert darstellen und doch ein Verbleib in einer offenen Einrichtung erfolgen können, müsste die Unterbringung durch die Betreuerin ohnehin beendet werden.
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3. Eine Kostenentscheidung war nicht veranlasst.