Titel:
Reiseveranstalter, Elektronisches Dokument, Ergänzende Vertragsauslegung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Annahme des Änderungsangebots, Rechtsschutzversicherung, Aufwendungsersatzanspruch, Prozeßbevollmächtigter, Streitwert, Rechtsanwaltskosten, Elektronischer Rechtsverkehr, Reisemangel, Offener Dissens, Vertragsänderungen, Reiseleistung, Reisevertragsrecht, Kostentragung, Wert des Beschwerdegegenstandes, Geltendmachung, Kostenentscheidung
Schlagworte:
Zuständigkeit, Rückzahlungsanspruch, offener Dissens, ergänzende Vertragsauslegung, erhebliche Vertragsänderung, Reisepreis, Rechtsgrund
Fundstelle:
BeckRS 2023, 50978
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert wird auf 1.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klägerin verfolgt mit ihrer Klage einen Anspruch auf Rückzahlung eines Aufpreises für eine Flugänderung im Rahmen einer Pauschalreise.
2
Die Klägerin buchte am 04.12.2020 für sich, ihren Ehemann, ihren zwölfjährigen Sohn und ihre siebzigjährige Schwiegermutter bei der Beklagten eine Flugpauschalreise von Düsseldorf nach Marsa Alam. Der Hinflug von Düsseldorf nach Marsa Alam sollte am 10.10.2021 erfolgen (Abflug 6:00 Uhr, Ankunft 11:00 Uhr), der Rückflug von Marsa Alam nach Düsseldorf am 24.10.2021 (Abflug 12:00 Uhr, Ankunft 17:20 Uhr). Der Reisepreis betrug für alle vier Personen EUR 5.539,00. Die Schwiegermutter hat ihre Ansprüche aus besagter Reise an die Klägerin abgetreten.
3
Am 19.08.2021 informierte das die Buchung vermittelnde Reisebüro die Klägerin, dass der Hinflug nunmehr am 13.10.2021 erfolgen sollte, der Rückflug am 27.10.2021. Eine Änderung des Reisepreises hatte diese Änderung nicht zur Folge. Das Reisebüro bat die Klägerin um entsprechende Zustimmung. In dieser als Anlage K 2 vorgelegten E-Mail des Reisebüros an die Klägerin heißt es auszugsweise: “[…] Dies geht allerdings nur, wenn Sie mit dieser Änderung einverstanden sind […] Wir bitten Sie daher um eine Rückmeldung bzgl. Ihrer Buchungsänderung, da wir uns bis zum 04.09.2021 spätestens beim Veranstalter melden sollen. Falls dies nicht geschieht, gilt die Änderung der Buchung bei F… als von Ihnen akzeptiert.“ In der E-Mail der Beklagten an das Reisebüro, die der E-Mail des Reisebüros an die Klägerin angehängt war, heißt es auszugsweise: „Bedauerlicherweise gibt es für den Hin- und Rückflug der Kunden eine Änderung bezüglich der Flugdaten. Wir befördern die Gäste daher alternativ wie folgt: […] Der Reisepreis bleibt unverändert, evtl. Mehrkosten werden vom Veranstalter getragen. Bitte informieren Sie die Gäste umgehend über diese Änderung und bestätigen Sie uns unter nachfolgendem Unk bis spätestens zum 04.09.2021, dass die Kunden mit der Änderung einverstanden sind: […] Sollten andere Flugverbindungen gewünscht sein, so können diese gerne von uns geprüft werden. Teilen Sie uns dazu bitte die genauen Daten für den gewünschten Alternativflug mit (Strecke, Datum, Airline). -> Bitte weisen Sie unsere Gäste darauf hin, dass die mitgeteilte Änderung kundenseitig als angenommen gilt, wenn wir innerhalb der genannten Frist keine Rückmeldung erhalten. <-“.
4
Dieser um drei Tage verschobene Reisezeitraum war für die Klägerin und ihre Familie nicht akzeptabel. Der neue Reisezeitraum ging über die Schulferien hinaus; der schulpflichtige, mitreisende Sohn musste ab dem 25.10.2021 wieder die Schule besuchen. Die Klägerin bot daher am 23.08.2021 an, alternativ eine Reise ab/bis Düsseldorf im Zeitraum 09.-23.10.2021 oder ab Frankfurt nach Marsa Alam und zurück nach Düsseldorf akzeptieren zu können.
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Am 25.08.2021 bot die Beklagte einen Hinflug von Frankfurt nach Marsa Alam am 09.10.2021 (Abflug 08:30 Uhr, Ankunft 13:30 Uhr) und einen Rückflug von Marsa Alam nach Düsseldorf am 23.10.2021 (Abflug 15:10 Uhr, Ankunft 20:30 Uhr) an, jedoch nur gegen Zahlung eines Flugaufpreises von EUR 1.210,00. In der als Anlage K 3 vorgelegten E-Mail der Beklagten heißt es auszugsweise: „Nur zum Aufpreis möglich da auch wir diese Kosten an die Airline bezahlen müssen und die R… Flüge leider sehr teuer angeboten werden“ (R… ist der lATA-Code des Marsa Alam International Airport, Anm. d. Gerichts).
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Am 26.08.2021 verlangte die Klägerin eine kostenfreie Umbuchung. In der entsprechenden E-Mail heißt es auszugsweise: „Da sie als Reiseveranstalter verpflichtet sind die Reise durchzführen, werden wir einer kostenfreien Umbuchung auf den 9.10.-23.10. von Düsseldorf nach Marsa Alam und zurück von Marsa Alam nach Düsseldorf gerne zustimmen, da dieser Zeitraum innerhalb der Ferien liegt. Andernfalls werden wir davon Gebrauch machen die Reisebuchung kostenfrei zu stornieren und werden eine Klage über unsere RechtsschutzVersicherung gegen sie als Reiseveranstalter wegen entgangener Urlaubsfreuden und ggf Schadensersatz einreichen.“. Am 28.08.2021 setzte die Klägerin eine Frist zur Beantwortung bis 31.08.2021.
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Am 30.08.2021 teilte die Beklagte mit, sie könne die Angebote nur mit einem Aufpreis anbieten, da die Flüge nach Marsa Alam sehr begrenzt seien und die Beklagte die Preise der Airlines nicht beeinflussen könne. Die Beklagte sei rechtlich verpflichtet, eine preisgleiche Alternative anzubieten – dies sei der Zeitraum außerhalb der Ferien gewesen. Infolge der Änderung dürften die Kunden kostenfrei stornieren. Des Weiteren heißt es: „[…], wir bitten Sie dafür uns den Stornierungswunsch schriftlich einzureichen. Eine Übernahme der Kosten übernehmen wir nicht!“. Die Beklagte bot dann noch einen Hinflug am 10.10.2021 über Istanbul (Abflug 18:45 Uhr, Ankunft 23:05 Uhr) nach Hurghada (Abflug Istanbul 11.10.2021, 01:15 Uhr, Ankunft Hurghada 03:10 Uhr) mit anschließendem Transfer nach Marsa Alam (Distanz 290 km) an. Als Rückflug bot sie eine Verbindung am 24.10.2021 von Hurghada nach Istanbul (Abflug 04:10 Uhr, Ankunft 08:10 Uhr) und dann weiter nach Düsseldorf (Abflug Istanbul 11:40 Uhr, Ankunft 14:00 Uhr) an. Genaue Art und Umstände des Transfers von Hurghada nach Marsa Alam waren in diesem Angebot nicht enthalten. Diese Flugverbindung wurde gegen einen Aufpreis von EUR 93,00 angeboten. Wegen der Berührung der Nachtruhe bei Reise mit einem Kind und einer Seniorin hielt die Klägerin auch dieses Angebot nicht für akzeptabel.
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Die Klägerin schaltete sodann ihre Prozessbevollmächtigte ein. Mit Schreiben vom 07.09.2021 teilte diese der Beklagten das Einverständnis der Klägerin mit dem Angebot der Reise im Zeitraum 09.-23.10.2021, Flüge Frankfurt – Marsa Alam – Düsseldorf mit, wies zugleich aber darauf hin, dass die verlangten Mehrkosten von EUR 1.210,00 nicht von der Klägerin zu tragen seien. Sie gab an, dass der Aufpreis nur unter Vorbehalt gezahlt werde; ein Anspruch hierauf bestehe nicht. Frist zur Bestätigung setzte sie bis zum 10.09.2021 und behielt sich die Geltendmachung weiterer Schadensersatz- und Aufwendungsersatzansprüche vor. Außerdem wies sie darauf hin, dass bei „Nichtzustandekommen einer Einigung“ ein Rücktrittsrecht nach § 651 g BGB bestehe, mit weiteren Schadensersatz- und Aufwendungsersatzansprüchen als Folge. Am 08.09.2021 reduzierte die Beklagte daraufhin den geforderten Aufpreis auf EUR 1.000,00. Am 09.09.2021 stellte die Beklagte der Klägerin eine Buchungsbestätigung aus, die neben dem vereinbarten Reisepreis weitere EUR 1.000,00 mit dem Vermerk „Aufpreis Flug“ auswies. Am 10.09.2021 wies die Prozessbevollmächtigte der Klägerin erneut auf die Zahlung der EUR 1.000,00 nur unter Vorbehalt hin und behielt sich erneut die Geltendmachung weiterer Ansprüche vor. Die weiteren EUR 1.000,00 wurden schlussendlich gezahlt.
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Die Klägerin und ihre Familie traten die (geänderte) Reise im Zeitraum 09.-23.10.2021 sodann an. Die Reise wurde im Übrigen beanstandungsfrei durchgeführt.
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Mit Schreiben vom 15.11.2021 unter Fristsetzung bis 28.11.2021 forderte die Klägerin Rückzahlung der unter Vorbehalt gezahlten EUR 1.000,00 sowie Zahlung der ihr entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 220,27 (Gegenstandswert EUR 1.210,00, hieraus 1,3-Gebühr zzgl. Auslagenpauschale sowie USt.). Beide Forderungen sind in genannter Höhe auch Gegenstand der Klage.
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Die Klägerin behauptet, nachdem der letzte planmäßige Flug der zunächst vorgesehenen Fluggesellschaft H… im Dezember 2021, also kurz nach Buchung der Flüge durch die Beklagte erfolgt sei, hätte die Beklagte früher vom Ausfall der Flüge gewusst und die Klägerin entsprechend früher informieren müssen.
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Sie meint, bei der Änderung der Flugzeiten und -Verbindung handle es sich einerseits um eine erhebliche Leistungsänderung, § 651 g BGB, andererseits aber auch um einen Reisemangel. Die angebotenen Flüge stellten ein Abhilfeangebot dar. Die Kosten der Abhilfe habe die Beklagte als Reiseveranstalter zu tragen. Sie habe daher einen Rückzahlungsanspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB.
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Die Klägerin beantragt,
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 1.000,00 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 28.11.2022 zu zahlen.
- 2.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 220,27 vorgerichtliche Kosten zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt
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Die Beklagte behauptet, zu der Flugänderung sei es gekommen, weil die gebuchten Flüge seitens der Fluggesellschaft aufgrund der fortgesetzten Einordnung des Zielgebiets als Hochrisikogebiet gestrichen worden waren. Die ursprüngliche Fluggesellschaft H… sei aufgrund der Pandemie in Zahlungsschwierigkeiten geraten. Am 14.10.2021 sei ihr schlussendlich die Fluggenehmigung entzogen worden. Daher hätten die Flüge nur zu den genannten Aufpreisen angeboten werden können. Eine frühere Information der Klägerin habe nicht erfolgen können.
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Sie meint, die auf Wunsch der Klägerin gesuchten Alternativen seien keine Abhilfeangebote gewesen. Einschlägig sei § 651 g BGB – die Klägerin habe daher nur der Änderung zustimmen oder zurücktreten können, nicht aber eine dritte Alternative fordern können. Rechtsgrund der Zahlung sei damit der geänderte Reisevertrag gewesen.
17
Das Gericht hat Beweis erhoben über die Behauptung der Beklagten, zu der Flugänderung sei es gekommen, weil die gebuchten Flüge seitens der Fluggesellschaft annulliert worden seien, sie hätten nur zu den genannten Aufpreisen angeboten werden können und man habe die Klägerin frühestmöglich informiert, durch Einvernahme der Zeugin K….
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 20.09.2022, 10.01.2023 sowie 02.03.2023 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
19
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
20
Die Klage ist zulässig.
21
Die Zuständigkeit des Amtsgerichts München ergibt sich in sachlicher Hinsicht aus § 1 ZPO i.V.m. §§ 23, 71 GVG sowie in örtlicher Hinsicht aus § 17 Abs. 1 S. 1 ZPO.
22
Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rückzahlung des Flugaufpreises aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB. Die Beklagte hat durch Leistung der Klägerin unmittelbar die zurückverlangten EUR 1.000,00 erlangt. Dies ist jedoch mit Rechtsgrund geschehen. Dies ergibt sich aus dem anzuwendenden dispositiven Gesetzesrecht.
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1. Bezüglich des Flugaufpreises in Höhe von EUR 1.000,00 liegt ein offener Dissens vor. Dieser führt jedoch nicht zur Anwendung der Auslegungsregel des § 154 Abs. 1 S. 1 BGB, sondern zur ergänzenden Anwendung der gesetzlichen Regelungen.
24
a) Ein offener Dissens i.S.d. § 154 BGB liegt vor.
25
Die Parteien haben sich i.S.d. § 154 Abs. 1 S. 1 BGB nicht „über alle Punkte eines Vertrags“ geeinigt. Über die Berechtigung des geforderten Aufpreises haben sie bis zuletzt keine Einigung erzielt. Die Klägerin hat stets darauf hingewiesen, den Betrag ihrer Meinung nach nicht zu schulden und nur unter Vorbehalt zu leisten. Die Beklagte hat sich bis zuletzt nicht einverstanden erklärt, den präferierten Flug ohne Aufpreis anzubieten, sondern auf dem zu leistenden Aufpreis bestanden und dargestellt, warum dieser ihrer Meinung nach zu leisten ist. Der Preis wurde letztlich – unter Vorbehalt – gezahlt.
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Die Auslegungsregel des § 154 Abs. 1 S. 1 BGB, wonach in einem solchen Fall der Vertrag im Zweifel nicht geschlossen ist, kommt allerdings nicht zur Anwendung. Sie ist unanwendbar, wenn sich die Parteien trotz der noch offenen Punkte erkennbar vertraglich binden wollen und sich die bestehende Vertragslücke ausfüllen lässt (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2001 – III ZR 296/00 juris Rz. 18; BGH, Urteil vom 20. Juni 1997 – V ZR 39/96 –, juris Rz. 8, 9; BGH, Urteil vom 20. September 1989 – VIII ZR 143/88 –, juris Rz. 12, 13; Grüneberg/Ellenberger, 82. Auflage 2023, § 154 Rn. 2). Dieser Wille, sich trotz der offenen Punkte vertraglich zu binden, ist in der Regel zu bejahen, wenn die Parteien im beiderseitigen Einvernehmen mit der Durchführung des unvollständigen Vertrags begonnen haben (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2001 – III ZR 296/00 –, juris Rz. 18; Grüneberg/Ellenberger, 82. Auflage 2023, § 154 Rn. 2). Das war hier der Fall. Beiden Parteien war bekannt, dass über die Frage der Berechtigung der Forderung des Aufpreises Dissens bestand. Dennoch zahlte die Klägerin unter Vorbehalt die verlangte Summe und trat die Reise an, die Beklagte führte die Reise entsprechend durch. Die Vereinbarung und Durchführung der Reise „an sich“ wollten die Parteien damit ersichtlich nicht in Frage stellen.
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Die Lücke des offenen Dissenses bzgl. des Flugaufpreises ist durch ergänzende Vertragsauslegung bzw. durch Anwendung entsprechender gesetzlicher Regelungen zu schließen (BGH, Urteil vom 6. Dezember 2001 – III ZR 296/00 –, juris Rz. 18; BGH, Urteil vom 20. Juni 1997 – V ZR 39/96 –, juris Rz. 11; Grüneberg/Ellenberger, 82. Auflage 2023, § 154 Rn. 2).
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b) Die ergänzende Vertragsauslegung ergibt, dass gewollt im Grundsatz gerade die Anwendung der gesetzlichen Regelungen war – die Parteien beurteilten diese lediglich unterschiedlich. Somit ist die vertragliche Lücke mit Hilfe der gesetzlichen Regelungen zu schließen.
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Sowohl Klägerin als auch Beklagte beriefen sich in ihrer vorprozessualen Korrespondenz auf die entsprechenden Regelungen des Reisevertragsrechts nach dem BGB. Die Klägerin geht davon aus, dass es sich bei all den angebotenen Ersatzflügen letztlich um Mangelabhilfe handelte, deren Kosten von der Beklagten zu tragen sind. Die Beklagte argumentiert, dass nur die erste abweichende Verbindung eine Abhilfe in diesem Sinne gewesen sei. Die übrigen Angebote seien als Änderungsangebote bzw. Ersatzreiseangebote im Kontext des § 651g BGB zu sehen, deren Kosten gerade nicht von der Beklagten zu tragen seien. Auch die Klägerin hatte stellenweise auf die Regelungen nach § 651 g BGB Bezug genommen, zum Beispiel als sie im Fall der Nichteinigung einen Rücktritt mit weiteren Schadensersatzforderungen in Aussicht stellte.
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2. Die Forderung des Aufpreises durch die Beklagte erfolgte zu Recht. Die gesetzlichen Regelungen sehen für den hier vorliegenden Fall keine Kostentragung durch die Beklagte vor. Die Beklagte erhielt die Zahlung daher mit Rechtsgrund i.S.d. § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB.
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a) Die Beklagte war berechtigt, sowohl wie zunächst geschehen eine Durchführung der gebuchten Reise zum gleichen Preis drei Tage später anzubieten (“andere Vertragsänderung“, § 651 g Abs. 1 S. 3, S. 2 BGB), als auch, eine Durchführung der gebuchten Reise zu einem höheren Preis einen Tag früher anzubieten („Ersatzreise“, § 651 g Abs. 2 S. 1 BGB).
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Eine erhebliche Vertragsänderung i.S.d. § 651 g Abs. 1 S. 3 BGB liegt vor.
33
Die eingetretene Änderung lag im Kern zunächst nicht in einer Preiserhöhung, sondern in einer Änderung der angebotenen Flüge. Die ursprünglich vorgesehenen Flüge wurden gestrichen; die Beklagte bot daraufhin zunächst (kostenfrei) eine ähnliche Verbindung, nur insgesamt drei Tage später an. Später einigten sich die Parteien auf eine ähnliche Verbindung mit zeitlicher Verschiebung um einen Tag nach vorne. Eine derartige Änderung des Reisezeitraums stellt eine erhebliche Änderung einer der wesentlichen Eigenschaften der Reiseleistungen i.S.d. § 651 g Abs. 1 S. 3 BGB dar, vgl. hierzu nur BT-Drs 18/10822 S. 74 (“Es muss sich vielmehr um Fälle handeln, in denen der Reiseveranstalter wegen objektiver, äußerer Umstände nicht vertragsgemäß erfüllt, z. B. wegen einer von ihm nicht beeinflussbaren Änderung der Flugzeiten“) sowie Art. 250 § 3 Nr. 1 lit. d) EGBGB („die wesentlichen Eigenschaften der Reiseleistungen, und zwar […] Ort, Tag und Zeit der Abreise und der Rückreise“).
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Die Beklagte konnte die geschuldete Reise aus einem nach Vertragsschluss eingetretenen Umstand auch nur unter dieser Änderung verschaffen i.S.d. § 651 g Abs. 1 S. 3 BGB. Die Einvernahme der Zeugin K… hat den Vortrag der Beklagten insoweit voll umfänglich bestätigt. Zum Zeitpunkt der Buchung sowie der folgenden Verhandlungen war die Zeugin Teamleiterin im Team Flight Solution der Beklagten und daher mit den Details der Buchungsprozesse und der diesbezüglichen Abläufe gut vertraut. Die Aussage der Zeugin K… war detailreich und die Zeugin äußerte sich auf Nachfragen des Gerichts natürlich und nachvollziehbar. Die Aussage war umfangreich und frei von inneren Widersprüchen, mithin glaubhaft. Die Zeugin gab an, beim Flugziel Marsa Alam gebe es generell wenig Flugauswahl; das Flugangebot dorthin sei allgemein nicht groß. Im April 2021 sei im internen System der Beklagten ein „Stop Sale“ für die ursprünglichen Flüge hinterlegt worden. Dieser Vermerk bedeute, dass die Flüge nicht mehr gebucht werden dürften. Die Zeugin vermutete insoweit, dies sei aufgrund der Coronamaßnahmen in Ägypten geschehen. Der „Stop Sale“ wurde dann am 19.08.2021 aufgehoben. Erst an diesem Tag sei damit endgültig klar geworden, dass der Flug nicht stattfinden könne.
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b) Rechtsfolge daraus ist, dass die Klägerin das Angebot der Beklagten entweder annehmen oder zurücktreten konnte, vgl. § 651g Abs. 1 S. 2 BGB. Das von der Klägerin in Anspruch genommene Recht auf eine Ersatzbeförderung bzw. Ersatzreise nach Wahl zum gleichen Preis gibt es nicht.
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aa) § 651g enthält weitreichende Regeln zum Schutz von Pauschalreisenden. Im Falle erheblicher Vertragsänderungen stehen diesen grundsätzlich zwei Möglichkeiten zur Auswahl.
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Erste Möglichkeit ist der Rücktritt vom Reisevertrag. In diesem Fall hat der Reiseveranstalter keinen Anspruch auf den Reisepreis mehr; bereits erfolgte Zahlungen sind unverzüglich zurückzuerstatten. Zusätzlich kann der Reisende Schadensersatz oder Ersatz vergeblicher Aufwendungen geltend machen, § 651 g Abs. 1 S. 2 Nr. 2, Abs. 3 S. 1, § 651 h Abs. 1 S. 2, § 651 i Abs. 3 Nr. 7, § 651 n, § 284 BGB. Vorbereitend getätigte Aufwendungen oder sonst erlittene Schäden werden damit umfassend kompensiert.
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Zweite Möglichkeit ist die Annahme des Änderungsangebots. Auch in diesem Fall ist der Reisende jedoch zur Minderung berechtigt, wenn die angetretene Reise nicht mindestens gleichwertig oder für den Reiseveranstalter mit geringeren Kosten verbunden ist, § 651 g Abs. 1 S. 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 2, § 651 m BGB. Auch in dieser Alternative werden die Interessen des Reisenden am Erhalt der geschuldeten Leistung damit umfassend berücksichtigt.
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bb) Die von der Klägerin geltend gemachte Variante ergibt sich weder aus dem Gesetz noch aus sonstigen Erwägungen.
40
Die Klägerin beruft sich auf ein Recht, im Falle einer erheblichen Vertragsänderung – also einer solchen, die erst nach Vertragsschluss eintritt und in der Regel auf einem Umstand beruht, der nicht unmittelbar aus der Sphäre des Reiseveranstalters stammt – einen Reiseersatztermin nach ihrer Wahl kostenfrei angeboten zu bekommen.
41
Ein solches Recht sieht § 651 g BGB nicht vor. Wie gesehen, werden die Rechte der Reisenden durch die vorgesehenen zwei Alternativen umfassend gewahrt. Willkürliche Änderungsangebote des Reiseveranstalters sind von vornherein unzulässig (vgl. BT-Drs 18/10822 S. 74). Reisende können sodann wählen, ob sie an der geänderten Leistung noch Interesse haben oder nicht. In beiden Fällen werden ggf. darüber hinaus entstandene Nachteile zusätzlich kompensiert. Insbesondere wird durch die Regelung des Gesetzes das Interesse des Reisenden gewahrt, nicht gegen seinen Willen eine Preiserhöhung bzw. inhaltliche Änderung aufoktroyiert zu bekommen. Eine Ablehnung des Angebots oder Ähnliches sieht das Gesetz ausdrücklich nicht vor, ebenso wie einen Fortbestand des Vertrages zu den alten Bedingungen (BT-Drs 18/10822 S. 74; Grüneberg/Retzlaff, 82. Auflage 2023, § 651 g Rn. 4).
42
Die Klägerin hatte mithin im konkreten Fall eine Vielzahl gesetzlich vorgesehener Handlungsoptionen, die alle (in unterschiedlicher Gewichtung) ihre Interessen an der Durchführung des Urlaubs ohne materiellen Verlust gewahrt hätten. Sie hätte auf den Urlaub unter vollständiger materieller Kompensation verzichten können, sie hätte ein kostenloses oder kostengünstiges Änderungsangebot annehmen und sodann ihr Minderungsrecht wegen aus der Änderung resultierender Mängel ausüben können. Überdies hat die Beklagte sowohl eine kostenlose als auch eine kostengünstige Alternative angeboten, wenngleich beide für die Klägerin aus nachvollziehbaren Gründen nicht attraktiv waren. Eine darüber noch hinausgehende Pflicht des Reiseveranstalters, dem Reisenden jegliche Alternativverbindung ohne Aufpreis auf eigene Kosten zu ermöglichen, sieht das Gesetz nicht vor. Entscheidet sich der Reisende aus freien Stücken für eine teurere Ersatzreise, schuldet er schlicht den höheren Preis (BeckOGK/Harke, Stand 01.01.2023, § 651 g Rn. 15).
43
Eine Kostentragung des Veranstalters ergibt sich auch nicht wie die Klägerin meint als (Neben-)Folge der Mängelgewährleistung. Bereits der Gesetzgeber geht davon aus, dass eine erhebliche Änderung stets auch einen Reisemangel darstellt (vgl. BT-Drs 18/10822 S. 73 unten und 74 oben: „Im Hinblick auf die Frage der Erheblichkeit einer Vertrags- bzw. Leistungsänderung verweist Erwägungsgrund 33 der Richtlinie zunächst darauf, dass dies beispielsweise bei einer Verringerung der Qualität oder des Werts der Reiseleistungen der Fall sein könne. […] Im Ergebnis kann wie nach geltendem Recht darauf abgestellt werden, ob die Änderung einen zu Gewährleistungsrechten des Reisenden berechtigenden Reisemangel darstellt oder nicht“). Dennoch geht auch der Gesetzgeber nur von einer preislichen Absicherung des Reisenden „nach unten“ aus, wenn er weiter ausführt: „Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Vertragsänderung mit einem finanziellen Ausgleich einhergeht, soweit ein solcher wegen einer Absenkung des Qualitätsstandards der Pauschalreise oder aufgrund geringerer Kosten für den Reiseveranstalter geboten ist (vgl. Absatz 3 Satz 2). Zudem wird der Reisende durch die flankierende Informationspflicht nach Artikel 250 § 10 EGBGB-E vor ungewollten Folgen geschützt“ (BT-Drs 18/10822 S. 74). Von einem Anspruch auf Alternative „zu jedem Preis“ ist nicht die Rede.
44
c) Auch die übrigen Einwände der Klägerin verfangen nicht. Der verlangte Aufpreis umfasst nur (bzw. weniger als) die Kosten, die hierfür bei der Beklagten tatsächlich angefallen sind. Wie die Zeugin angab, ergibt sich der verlangte Aufpreis aus einem Vergleich der Nettoflugpreise ohne Marge und enthält damit nur den Aufpreis, der auch bei der Beklagten anfiel.
45
Die Beklagte hat die Klägerin auch nicht zu spät informiert. Die Zeugin gab an, im System sei erst am 19.08.2021 der endgültige Ausfall des Fluges vermerkt worden. An diesem Tag informierte die Beklagte das Reisebüro, über das die Klägerin die Reise gebucht hatte.
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3. Mangels Erfolgs bzgl. der Hauptforderung ist auch eine Zahlung der geltend gemachten Rechtsanwaltskosten als Nebenforderung nicht geschuldet.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Höhe des Streitwerts richtet sich im Grundsatz nach der Höhe der Hauptforderung, §§2-4 ZPO, §§ 39 ff. GVG, und beträgt hier daher EUR 1.000,00.