Titel:
Notwendige Verteidigung, Sofortige Beschwerde, Strafbefehl, Pflichtverteidigerbestellung, Verfassungsgerichtsentscheidung, Kostenentscheidung, Sach- und Rechtslage, Staatsanwaltschaft, Schwierigkeit der Rechtslage, besondere Schwierigkeit, Beschwerderecht, Verfahrenseinstellung, Verfahrensleitende Verfügung, Schwere der Tat, Rechtsmittel, Beiakten, Schwierige Rechtslage, Schriftsätze, Beschwerdeverfahren, Beschwerdeschriftsatz
Schlagworte:
Pflichtverteidigerbestellung, Schwere der Tat, Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge, Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage, Volksverhetzung, Strafbefehl, Einspruch
Vorinstanz:
AG Fürth, Beschluss vom 08.01.2023 – 421 Cs 466 Js 58626/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 50968
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Angeklagten … gegen den Beschluss des Amtsgerichts Fürth vom 08.01.2023 wird als unbegründet, verworfen.
2. Die Angeklagte hat die Kosten ihres Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
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Auf Antrag der Staatsanwaltschaft N.-F. vom 17.11.2022 erließ das Amtsgericht Fürth gegen die Angeklagte einen Strafbefehl wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB (Bl. 102-104 d.A.). Mit dem Strafbefehl wurde eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 25,00 EUR verhängt. Hintergrund ist eine Eingabe der Angeklagten per e-Mail an verschiedene Adressaten, in dem die Angeklagte den Umgang staatlicher Behörden der Bundesrepublik Deutschland mit ihr in Kontext zum Umgang deutscher Behörden mit der jüdischen Bevölkerung zur Zeit des Nationalsozialismus setzt.
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Gegen die Angeklagte war nach Mitteilung des Amtsgerichts im angegriffenen Beschluss (Bl. 175 f. d.A.) – und insoweit bestätigt, auch durch die Angeklagte selbst in einem Ablehnungsgesuch (Bl. 132) – ein vergleichbares Verfahren anhängig, welches mit einer Verfahrenseinstellung nach § 163 a Abs. 2 StPO endete.
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Gegen den Strafbefehl hat die Angeklagte mit Schreien vom 06.12.2022 Einspruch eingelegt. Weiter hat die Angeklagte mit Schriftsatz ihrer Verteidigerin vom 15.12.2022 nochmals Einspruch eingelegt. Mit Schriftsatz ihrer Verteidigerin vom 20.01.2023 beantragte die Angeklagte, ihr die bisherige Wahlverteidigerin als Pflichtverteidigerin zu bestellen. Es liege wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage ein Fall der notwendigen Verteidigung vor. Die Staatsanwaltschaft trat dem Antrag mit Verfügung vom 26.01.2023 entgegen.
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Mit Beschluss vom 08.02.2023 lehnte das Amtsgericht Fürth den Beiordnungsantrag ab. Es liege keine Schwere der Tat vor und es seien keine schweren Rechtsfolgen zu erwarten. Die Sach- und Rechtslage sei einfach überschaubar, die Angeklagte sei unter Berücksichtigung des vergangenen Verfahrens auch vor erfahren.
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Mit Schriftsatz vom 09.02.2023 legte die Wahlverteidigerin gegen den vorgenannten Beschluss sofortige Beschwerde ein. Die Abgrenzung zwischen strafbaren und straflosen Äußerungen sei vor dem Hintergrund des Grundrechts der Meinungsfreiheit bereits für juristisch Versierte schwierig; erst recht gelte dies für Laien. Weiter legt die Verteidigerin ausführlich dar, weshalb sie die gegenständlichen Passagen der e-Mail der Angeklagte nicht als strafbar erachte. Letztlich führt die Verteidigerin, an, dass sich die Schwierigkeit der Rechtslage schon daraus ergebe, dass das Amtsgericht fälschlich eine Strafbarkeit angenommen und den Strafbefehl erlassen habe.
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Die Staatsanwaltschaft beantragte, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen.
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Die sofortige Beschwerde ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung des Amtsgerichts ist im Beschwerdeverfahren nicht zu beanstanden.
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1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Gegen gerichtliche Entscheidungen über die Pflichtverteidigerbestellung ist gem. § 142 Abs. 7 StPO die sofortige Beschwerde das statthafte Rechtsmittel. Auch die weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen sind erfüllt.
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Zwar hat die Verteidigerin ausweislich des Wortlauts im Beschwerdeschriftsatz selbst Beschwerde eingelegt, obgleich ihr als Verteidigerin kein eigenes Beschwerderecht zusteht (BeckOK StPO mit RiStBV und MiStra, Graf, 46. Edition, Stand: 01.01.2023, § 142 Rn. 53). Im Zweifel ist eine Beschwerde des Verteidigers jedoch als Beschwerde im Namen des Beschuldigten auszulegen (Münchener, Kommentar zur StPO, 2. Auflage 2023, § 142 Rn. 40). Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Verteidigerin tatsächlich selbst und im eigenen Namen gegen den Beschluss des Amtsgerichts vorgehen wollte.
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2. Die Beschwerde erweist sich jedoch als unbegründet.
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a) Gem. § 141 StPO wird einem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger bestellt, sofern ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt. Wann ein solcher Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt, ergibt sich wiederum aus § 140 StPO, welcherin Absatz 1 enumerativ konkret umschriebene Gründe auflistet und in Absatz 2 eine Generalklausels enthält, wonach ein Fall notwendiger Verteidigung über die in Absatz 1. genannten. Gründe hinaus immer dann vorliegt, wenn wegen der Schwere der Tat, der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge oder wegen der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage die Mitwirkung, eines Verteidigers geboten erscheint oder wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann.
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Gründe aus dem Katalog des § 140 Abs. 1 StPO liegen im gegenständlichen Verfahren erkennbar nicht vor. Auch die Voraussetzungen des § 140 Abs. 2 StPO sind nicht gegeben. Das Amtsgericht hat daher zurecht den Antrag auf Beiordnung als Pflichtverteidiger zurückgewiesen.
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b) Es liegt erkennbar kein Fall der Schwere der Tat oder der Schwere der zu erwartenden Rechtsfolge, vor. Im Hinblick auf die zu erwartenden Rechtsfolgen ergibt sich dies bereits aus der Höhe der im Strafbefehl benannten Geldstrafe.
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c) Es liegt ferner auch kein Fall der Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage vor.
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Eine schwierige Sachlage kann sich aus dem zu erwartenden Umfang oder der Schwierigkeit der Beweisaufnahme ergeben (BeckOK, a.a.O., § 140 Rn. 57). Das ist evident nicht gegeben. Der Tatvorwurf stützt sich allein auf ein von der Angeklagten selbst verfasstes Schreiben. Als alleiniger Zeuge ist im Strafbefehl der sachbearbeitende Polizeibeamte genannt. Die Ermittlungsakte besteht neben wenigen Vermerken des polizeilichen Sachbearbeiters zum Ermittlungsstand und einigen behördlichen, verfahrensleitenden Verfügung im Wesentlichen aus Schreiben der Angeklagten selbst.
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Eine schwierige Rechtslage ist etwa gegeben, wenn, bei Anwendung des materiellen oder formellen Rechts im konkreten Verfahren Rechtsfragen beantwortet werden müssen, die bislang nicht entschieden wurden, wenn, es auf die Auslegung von Begriffen aus dem Nebenstrafrecht ankommt oder wenn es etwa um Beweisverwertungsfragen geht (BeckOK, a.a.O., § 140 Rn. 32 f.).
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Vor diesem Hintergrund liegt nach einer Gesamtbetrachtung keine besondere Schwierigkeit der Rechtslage vor. Zunächst fände eine Ansicht, dass bestimmte Straftatbestände im Strafgesetzbuch stets ein Fall notwendiger Verteidigung darstellen würden, im Gesetz keine Stütze. Es kommt vielmehr jeweils auf den konkreten Fall an. Vorliegend handelt es sich um eine vergleichsweise kurze Passage in einem Schreiben der Angeklagten, welche der strafrechtlichen Überprüfung im Lichte des Straftatbestands der Volksverhetzung bedarf. Dieser Tatbestand, mit dem objektiven Tatbestandsmerkmal der Eignung zur Gefährdung des öffentlichen Friedens, entstammt dem Kernstrafrecht, es liegt kein sog. „Nebenstrafrecht“ vor. Zwar ist es richtig, dass Äußerungsdelikte stets vor dem Hintergrund der grundrechtlich geschützten Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG beurteilt werden müssen. Dies führt aber nicht dazu, dass es zu einer sachgerechten Verteidigung in jedem Falle der Mitwirkung eines Verteidigers bedürfte. Für die Frage des Vorliegens einer besonderen Schwierigkeit der Rechtslage ist zudem kein objektiver Maßstab anzulegen; vielmehr ist auf den konkreten Angeklagten und dessen Fähigkeit und Kenntnisse bezogen auf die angeklagte Tat abzustellen (Poller/Härtl/Köpf, Gesamtes Kostenhilferecht, 3. Auflage 2018, § 140 StPO, Rn. 83). Vorliegend lässt sich den in der Akte befindlichen Schreiben der Angeklagten entnehmen, dass sie sich in durchaus gesteigertem Maße etwa mit Verfassungsgerichtsentscheidungen zu Art, 5 GG beschäftigt hat, die sie dort auph zitiert. Dies ergibt sich auch aus dem als Beiakte geführten Vorverfahren. Gegenstand war dort zwar der Tatvorwurf der üblen Nachrede; auch in den dort gegenständlichen Verfahren fanden sich jedoch bereits etliche Verweise auf Adolf Hitler (Bl. 101-106 der Beiakte), in der mehr als 2 Stunden dauernden Hauptverhandlung wurden diese Schreiben ausweislich des dortigen Protokolls ausgiebig besprochen (Bl. 160-166 der Beiakte). Die Kammer hat aus diesen Gründen keine Zweifel, dass die Angeklagte die rechtlichen Probleme, die der angeklagten Tat zugrunde liegen, bereits jetzt hinreichend durchdrungen hat und keinen anwaltichen Beistand benötigt. Eine Entscheidung darüber, ob der Erlass des Strafbefehls materiell-rechtlich gerechtfertigt war, steht der Kammer als Beschwerdegericht nicht zu. Nach dem jetzigen Stand Verfahrens war nur zu sehen, dass Staanwaltschaft und Amtsgericht von einer Strafbarkeit des Verhaltens der Angeklagten ausgehen, mithin keine divergierenden Entscheidungen oder Auffassungen zweier Justizorgane vorliegen, was für eine Schwierigkeit der Rechtslage sprechen könnte (vgl. für den Fall unterschliedlicher Rechtsauffassungen von Staatsanwaltschaft und Gericht OLG Köln Beschl. v. 20.5.2003 – 2 Ws 309/03).
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d) Anhaltspunkte dafür, dass die Angeklagte sich nicht selbst verteidigen könnte, liegen ebenfalls nicht vor.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 473 Abs. 1 StPO.