Inhalt

VG München, Urteil v. 27.09.2023 – M 9 K 21.3618
Titel:

Erfolglose Klage gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für das Vorhaben des Abrisses einer Doppelhaushälfte und Neubaus eines barrierefreien 2-Familienhauses

Normenketten:
BauGB § 9 Abs. 1 Nr. 2 Var. 1, § 30 Abs. 1
BauNVO § 22, § 23
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1, § 124, 124a Abs. 4
Leitsätze:
1. Eine besondere Ausprägung findet das Rücksichtnahmegebot in den Grundsätzen der sog. Doppelhausrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die auch in dem in offener Bauweise bebauten unbeplanten Innenbereich zur Anwendung kommen können. Liegt ein Doppelhaus im Rechtssinne vor, bindet der wechselseitige Verzicht auf seitliche Grenzabstände an den jeweiligen gemeinsamen Grundstücksgrenzen die benachbarten Grundeigentümer bauplanungsrechtlich in ein Verhältnis des gegenseitigen Interessenausgleichs ein. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Doppelhaus iSd § 22 Abs. 2 S. 1 BauNVO ist eine bauliche Anlage, die dadurch entsteht, dass zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken durch Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer Einheit zusammengefügt werden. Kein Doppelhaus bilden dagegen zwei Gebäude, die sich zwar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze berühren, aber als zwei selbstständige Baukörper erscheinen. Ein Doppelhaus im Rechtssinne verlangt, dass die beiden Haushälften in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebaut werden. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Bebauungsplan, Einfügen nach der Bauweise, Rücksichtnahmegebot, Doppelhaus, Baugenehmigung, Drittschutz, Festsetzungen des Bebauungsplans, Neubau, unbeplanter Innenbereich, Doppelhausrechtsprechung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 50734

Tenor

  I.    Die Klage wird abgewiesen.
 II.    Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III.    Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen die den Beigeladenen zu 1. und 2. mit Bescheid des Landratsamts E.vom 15. Juni 2021 erteilte Baugenehmigung für das Vorhaben „Abbruch einer Fertigteil-Doppelhaushälfte mit freistehender Doppelgarage und Neubau eines barrierefreien 2-Familienhauses mit Doppelgarage und Komfortlift“ auf dem Grundstück FlNr. …6, Gemarkung A. …, …weg 31 in … A. … Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks FlNr. …8 (und des Grundstücks FlNr. …7), Gemarkung A. …, das mit einer Fertigteildoppelhaushälfte bebaut ist (Anwesen …weg 29) und mit seiner Nordgrenze an das Grundstück der Beigeladenen zu 1. und 2. angrenzt.
2
Beide Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 38 „… …“ der Beigeladenen zu. 3., 1. Änderung vom 6. Oktober 2020.
3
Hinsichtlich der Darstellung des Tatbestands im Übrigen wird zunächst auf die Gründe I. des Beschlusses des Gerichts vom 17. August 2021, Az. M 9 SN 21.3656, im zu diesem Klageverfahren gehörenden Antragsverfahren Bezug genommen sowie auf die Gründe I. des Beschlusses des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. Oktober 2021, Az. 1 CS 21.2195, im Beschwerdeverfahren.
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Die Klägerin beantragt
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die Aufhebung des Bescheids des Landratsamts E.vom 15. Juni 2021.
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Auf die im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes abgegebene Begründung (Schriftsatz der Klägerbevollmächtigten vom 9.7.2021) wird Bezug genommen.
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Der Beklagte beantragt
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Klageabweisung.
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Hinsichtlich der Begründung wird auf den Schriftsatz des Landratsamts vom 7. Dezember 2021 Bezug genommen.
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Die Beigeladenen zu 1. und 2. beantragen
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Klageabweisung.
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Auf den entsprechenden Schriftsatz der Bevollmächtigten der Beigeladenen zu 1. und 2. vom 10. Januar 2022 wird Bezug genommen.
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Die Beigeladene zu 3. beantragt ebenfalls
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Klageabweisung.
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Auf den Schriftsatz des Bevollmächtigten der Beigeladenen zu 3. vom 14. Dezember 2021 wird Bezug genommen.
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Am 27. September 2023 fanden Augenschein und mündliche Verhandlung statt; auf das Protokoll wird Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten in diesem und im zugehörigen Antragsverfahren, auf die vorgelegten Behördenakten samt genehmigter Bauvorlagen und auf die vorgelegten Bebauungsplan-Unterlagen der Beigeladenen zu 3. (Bebauungsplan Nr. 38 „… …“, bekanntgemacht am 24.5.2002, sowie Bebauungsplan Nr. 38 „… …“, 1. Änderung, jeweils mit Begründung) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg. Die zulässige Klage ist unbegründet. Die angefochtene Baugenehmigung verletzt keine Rechte der Klägerin, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
19
Zu berücksichtigen ist, dass Nachbarn eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten können, wenn sie hierdurch in einem ihnen zustehenden subjektiv-öffentlichen Recht verletzt werden. Es genügt daher nicht, wenn eine Baugenehmigung gegen Rechtsvorschriften des öffentlichen Rechts verstößt, die nicht – auch nicht teilweise – dem Schutz der Eigentümer benachbarter Grundstücke zu dienen bestimmt sind. Dementsprechend findet im gerichtlichen Verfahren aufgrund einer Nachbarklage keine umfassende Rechtmäßigkeitskontrolle statt (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20 m.w.N). Die Prüfung hat sich vielmehr darauf zu beschränken, ob durch die angefochtene Baugenehmigung drittschützende Vorschriften, die dem Nachbarn einen Abwehranspruch gegen das Vorhaben vermitteln (und die gleichzeitig im Baugenehmigungsverfahren zu prüfen waren, vgl. z.B. BayVGH, B.v. 24.3.2009 – 14 CS 08.3017 – juris Rn. 20), verletzt sind.
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1. Ob die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens, insbesondere hinsichtlich der Bauweise, auf der Grundlage von § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. den Festsetzungen des Bebauungsplans der Beigeladenen zu 3. – im Stand von dessen 1. Änderung – i.V.m. § 22 BauNVO und § 15 BauNVO zu beurteilen ist, oder, falls die einschlägigen Festsetzungen unwirksam sein sollten, (ergänzend) auf der Grundlage von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB, kann offenbleiben. Denn das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme (in seiner Ausprägung der sogenannten Doppelhausrechtsprechung) ist in jedem Fall zu prüfen.
21
Eine Rechtsgrundlage (durch die einschlägigen Festsetzungen des Bebauungsplans) für die Herstellung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens ohne Berücksichtigung der sogenannten Doppelhausrechtsprechung und damit ohne die mit letzterer verbundene grundsätzlich drittschützende Position für die Klägerin, d.h. die Zulässigkeit des Vorhabens, ohne dass es mit dem Gebäude der Klägerin ein Doppelhaus im Rechtssinn bildet, besteht nicht, so dass, auch bei der Annahme, dass die Festsetzungen der Beigeladenen zu 3. allesamt wirksam wären, in jedem Fall, ob auf der Grundlage von § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. den Festsetzungen des Bebauungsplans „… …“ (im Stande von dessen 1. Änderung) oder auf der Grundlage von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB, dieselbe Prüfung durchzuführen ist.
22
Die Schaffung einer bauplanungsrechtlichen Grundlage für die Zulässigkeit des Vorhabens der Beigeladenen zu 1. und 2. auch dann, wenn es kein Doppelhaus im Rechtssinn darstellt, wäre durch Bebauungsplan zwar grundsätzlich möglich. Die Festsetzungen im (unterstellt) rechtsgültigen Bebauungsplan der Beigeladenen zu 3., hier insbesondere die Bauweise betreffend und daneben die Festsetzungen zur überbaubaren Grundstücksfläche, geben solches aber „nicht her“.
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Die erste Änderung als solche enthält selbst keine ausdrückliche Festsetzung der Bauweise (obwohl die 1. Änderung, anders als der ursprüngliche Bebauungsplan, unter A. 3. in der Überschrift die „Bauweise“ aufführt, anders als der ursprüngliche Bebauungsplan, dann aber dazu nichts festsetzt). Mit Festsetzungen (nur) zur überbaubaren Grundstücksfläche kann jedoch ein „An die Grenze“-Bauen-Dürfen nicht erreicht werden: Fehlen in einem qualifizierten Bebauungsplan Festsetzungen zur Bauweise, müssen seitliche Grenzabstände eingehalten werden. Mit der Festsetzung von Baugrenzen gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 BauNVO wird die überbaubare Grundstücksfläche bestimmt, und zwar ohne (unmittelbare) Beziehung zu den Grundstücksgrenzen; das Kriterium der Baugrenze sagt für sich genommen nichts darüber aus, ob ein Grenzanbau geboten oder erlaubt ist, denn durch die Festsetzung einer Baugrenze wird nur eine äußerste Linie gesetzt; ein Vortreten des Gebäudes ist grundsätzlich (§ 23 Abs. 3 Satz 2 und 3 BauNVO) unzulässig, ein Zurücktreten dagegen erlaubt (vgl. BVerwG, B.v. 1.2.2016 – 4 BN 26.15 – juris Rn. 3). Weiterhin sind spätere Grundstücksteilungen oder -verschmelzungen denkbar, die die Baugrenzen unberührt lassen; das zeigt nochmals die Unabhängigkeit der Festsetzung einer Baugrenze von der Frage, ob und welchen Grenzabstand ein Vorhaben einhält bzw. einhalten muss. Selbst wenn davon auszugehen wäre, dass der Bebauungsplan – 1. Änderung – kein selbständiger, den ursprünglichen Bebauungsplan ersetzender Bebauungsplan ist (vgl. hierzu z.B. BayVGH, U.v. 8.8.2023 – 1 N 20.2600 – juris Rn. 12), sondern „nur“ ein Änderungsbebauungsplan, ändert sich an dem Ergebnis nichts. Denn auch die Festsetzung „nur Einzel- und Doppelhäuser“ in dem ursprünglichen Bebauungsplan ändert nichts daran, dass ein Grenzanbau als Doppelhaus nur unter der Voraussetzung der Gegenseitigkeit möglich ist: Ein Doppelhaus im Sinne der bauplanungsrechtlichen Vorschriften über die Bauweise entsteht nur dann, wenn zwei Gebäude derart zusammengebaut werden, dass sie einen Gesamtbaukörper bilden und die beiden Haushälften in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinander gebaut werden. In dem System der offenen Bauweise, das durch seitliche Grenzabstände zu den benachbarten Grundstücken gekennzeichnet ist, ordnet sich ein aus zwei Gebäuden zusammengefügter Baukörper nur ein und kann somit als Doppelhaus gelten, wenn das Abstandsgebot an der gemeinsamen Grundstücksgrenze auf der Grundlage der Gegenseitigkeit überwunden wird (BVerwG, B.v. 10.4.2012 – 4 B 42.11 – juris Rn. 9). Um das ursprüngliche Bestandsgebäude der Beigeladenen zu 1. und 2. zu legalisieren und die Gebäudeerweiterung, die durch die im Änderungsbebauungsplan zur Verfügung gestellte Bauraumerweiterung ermöglicht wurde, durch den genehmigten Neubau auch für den Fall gewährleisten zu können, dass die Voraussetzungen der Doppelhaus-Rechtsprechung nicht erfüllt sind, weil die beiden Gebäude doch kein Doppelhaus im Rechtssinn darstellen, hätte insbesondere eine abweichende Bauweise gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 2 Var. 1, § 9a Abs. 1 Nr. 1 Buchst. c) BauGB, § 22 Abs. 4 Satz 1 BauNVO festgesetzt werden müssen; da die Bauweise ohne weiteres grundstücksbezogen, also nicht einheitlich für ein Baugebiet, festgesetzt werden kann, wäre das auch grundsätzlich möglich (natürlich müssten dafür auch noch, neben dem Bestehen einer Festsetzungsgrundlage, die weiteren Voraussetzungen wie Erforderlichkeit, gerechte Abwägung usw. gegeben sein).
24
Da letzteres jedoch nicht festgesetzt wurde, ist in jedem Fall, d.h. auch unter Geltung der Festsetzungen des Bebauungsplans, die von der Nachbarin angefochtene Baugenehmigung am bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebot in dessen Ausprägung durch die sogenannte Doppenhausrechtsprechung zu messen.
25
2. Die angefochtene Baugenehmigung verletzt jedoch das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme in seiner nachbarschützenden Ausprägung nicht.
26
Eine solche Verletzung ergibt sich weder unter Berücksichtigung der Grundsätze der sog. Doppelhausrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts noch nach den allgemeinen Grundsätzen des Rücksichtnahmegebots noch aus sonstigen Umständen.
27
a. Ersteres scheidet vorliegend deshalb aus, weil trotz der Veränderungen der hier angefochtenen Baugenehmigung im Vergleich zu dem vorher (im Freistellungsverfahren) errichteten Gebäude der Beigeladenen zu 1. und 2. (noch) von einer Doppelhausgemeinschaft mit der Doppelhaushäfte der Klägerin auszugehen ist.
28
Das Gebot der Rücksichtnahme leitet sich für das streitgegenständliche Vorhaben aus § 30 Abs. 1 BauGB i.V.m. den Festsetzungen des Bebauungsplans und § 15 Abs. 1 BauNVO ab. Läge ein unbeplanter Innenbereich vor bzw. müsste ergänzend auf § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB abgestellt werden, folgt das Gebot der Rücksichtnahme aus dem Begriff des Einfügens in § 34 Abs. 1 BauGB oder aus § 34 Abs. 2 Hs. 1 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 BauNVO; welche Vorschriften zur Anwendung kommen, kann dahinstehen, da im Ergebnis dieselbe Prüfung stattzufinden hat (vgl. BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4). Drittschutz entfaltet das Rücksichtnahmegebot, soweit in qualifizierter und zugleich individualisierter Weise auf schutzwürdige Interessen eines erkennbar abgegrenzten Kreises Dritter Rücksicht zu nehmen ist (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – BVerwGE 148, 290 ff. = juris Rn. 21 m.w.N.). Inhaltlich zielt das Gebot der Rücksichtnahme darauf ab, Spannungen und Störungen, die durch unverträgliche Grundstücksnutzungen entstehen können, möglichst zu vermeiden. Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme im gegebenen Zusammenhang zugutekommt, umso mehr kann er eine Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen. Für eine sachgerechte Bewertung des Einzelfalls kommt es wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zumutbar ist, an (vgl. BVerwG, U.v. 25.2.1977 – 4 C 22.75 – juris Rn. 22; U.v. 28.10.1993 – 4 C 5.93 – juris Rn. 17; U.v. 23.9.1999 – 4 C 6.98 – juris Rn. 20; U.v. 18.11.2004 – 4 C 1.04 – juris Rn. 22; U.v. 29.11.2012 – 4 C 8.11 – juris Rn. 16; BayVGH, B.v. 12.9.2013 – 2 CS 13.1351 – juris Rn. 4).
29
Eine besondere Ausprägung findet das Rücksichtnahmegebot in den Grundsätzen der sog. Doppelhausrechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die auch in dem in offener Bauweise bebauten unbeplanten Innenbereich zur Anwendung kommen können (vgl. BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – juris Rn. 12). Liegt ein Doppelhaus im Rechtssinne vor, bindet der wechselseitige Verzicht auf seitliche Grenzabstände an den jeweiligen gemeinsamen Grundstücksgrenzen die benachbarten Grundeigentümer bauplanungsrechtlich in ein Verhältnis des gegenseitigen Interessenausgleichs ein. Durch die Möglichkeit des Grenzanbaus wird die bauliche Nutzbarkeit der Grundstücke erhöht; das wird durch den Verlust seitlicher Grenzabstände an der gemeinsamen Grenze, die Freiflächen schaffen und dem Wohnfrieden dienen, erkauft. Dieses besondere nachbarliche Austauschverhältnis darf nicht einseitig aufgehoben oder aus dem Gleichgewicht gebracht werden (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2000 – 4 C 12.98 – juris Rn. 21; U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – juris Rn. 22). Damit wäre es auch ausgeschlossen, eine der beiden Doppelhaushälften zu beseitigen mit dem Ergebnis, dass die andere Hälfte als potentiell baurechtswidrige einseitige Grenzbebauung verbleibt.
30
Voraussetzung für die Anwendung dieser Grundsätze der sog. Doppelhausrechtsprechung ist, dass ein Doppelhaus im Rechtssinne vorliegt. Nur dann besteht die beschriebene, einer Doppelhausbebauung immanente Interessenlage, die es rechtfertigt, den Bauherrn die besondere Rücksichtnahmeverpflichtung aufzuerlegen
31
Ein Doppelhaus im Sinne des § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO (vgl. zur Anwendbarkeit dieser Vorschrift – auch – im unbeplanten Innenbereich BayVGH, B.v. 10.1.2018 – 1 ZB 15.1039 – juris Rn. 5) ist eine bauliche Anlage, die dadurch entsteht, dass zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken durch Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer Einheit zusammengefügt werden. Kein Doppelhaus bilden dagegen zwei Gebäude, die sich zwar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze berühren, aber als zwei selbständige Baukörper erscheinen. Ein Doppelhaus im Rechtssinne verlangt, dass die beiden Haushälften in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebaut werden (vgl. BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – juris Rn. 13 m.w.N.). Demnach liegt eine bauliche Einheit vor, wenn die einzelnen Gebäude einen harmonischen Gesamtkörper bilden, der nicht den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus vermittelt. Voraussetzung ist insoweit zwar nicht, dass die einzelnen Häuser gleichzeitig und deckungsgleich errichtet werden. Ein einheitlicher Gesamtbaukörper kann auch noch vorliegen, wenn z.B. aus gestalterischen Gründen die gemeinsame vordere und/oder rückwärtige Außenwand des einheitlichen Baukörpers durch kleine Vor- und Rücksprünge aufgelockert wird (vgl. BayVGH, U.v. 11.12.2014 – 2 BV 13.789 – juris Rn. 27 m.w.N.). Zu fordern ist jedoch, dass die einzelnen Gebäude zu einem wesentlichen Teil (quantitativ) und in wechselseitig verträglicher und harmonischer Weise (qualitativ) aneinandergebaut sind (vgl. BayVGH, U.v. 11.12.2014 – 2 BV 13.789 – juris Rn. 27 m.w.N.). In quantitativer Hinsicht können bei der Beurteilung der Verträglichkeit des Aneinanderbauens insbesondere die Geschosszahl, die Gebäudehöhe, die Bebauungstiefe und -breite sowie das durch diese Maße im Wesentlichen bestimmte oberirdische Brutto-Raumvolumen zu berücksichtigen sein. In qualitativer Hinsicht kommt es u.a. auf die Dachgestaltung und die sonstige Kubatur des Gebäudes an. Bei den quantitativen Kriterien ist eine mathematisch-prozentuale Festlegung nicht möglich, vielmehr ist eine Gesamtwürdigung des Einzelfalls anzustellen. Es ist qualitativ insbesondere die wechselseitig verträgliche Gestaltung des Gebäudes entscheidend, auf die umgebende Bebauung kommt es insoweit nicht an (vgl. BVerwG, U.v. 19.3.2015 – 4 C 12.14 – juris Rn. 14 ff.). Die beiden Haushälften können auch zueinander versetzt oder gestaffelt an der Grenze errichtet werden, sie müssen jedoch zu einem wesentlichen Teil aneinandergebaut sein. Kein Doppelhaus entsteht danach, wenn ein Gebäude gegen das andere an der gemeinsamen Grundstücksgrenze so stark versetzt wird, dass sein vorderer oder rückwärtiger Versprung den Rahmen einer wechselseitigen Grenzbebauung überschreitet, den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus vermittelt und dadurch einen neuen Bodennutzungskonflikt auslöst (vgl. BVerwG, U.v. 24.2.2000 – 4 C 12.98 – juris Rn. 22; VG München, B.v. 5.9.2022 – M 8 SN 22.3423 – juris Rn. 24). Ebenso kann nicht mehr von einem Doppelhaus ausgegangen werden, wenn ein beträchtlicher Unterschied in der Bautiefe zusammen mit einer abweichenden Gestaltung vorliegt oder sich eine Haushälfte nach ihren Dimensionen nicht mehr dem Gesamtbaukörper unterordnet, sondern die Grundstückssituation in erheblicher Weise dominiert. Denn in diesem Fall fehlt es an dem für ein Doppelhaus notwendigen wechselseitigen Abgestimmtsein der Gebäude(teile) (vgl. BayVGH, B.v. 10.1.2018 – 1 ZB 15.1039 – juris Rn. 5 m.w.N.).
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Gemessen an diesen Grundsätzen stellen nach den Feststellungen im Verfahren das mit dem angefochtenen Bescheid genehmigte (und errichtete) Gebäude auf dem Vorhabengrundstück und das Gebäude auf dem Grundstück der Klägerin ein Doppelhaus im Rechtssinne dar. Die genaue Betrachtung und Bewertung der qualitativen und quantitativen Kriterien im Rahmen der vorgenommenen Gesamtwürdigung des Einzelfalls ergibt, dass die Anforderungen, die an ein Doppelhaus im Rechtssinne gestellt werden, vorliegen.
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Trotz der durchaus vorhandenen Umstände, die bei der nach den genannten Maßgaben durchzuführenden Bewertung der Gebäudesituationen im hier zu entscheidenden Einzelfall gegen dieses Ergebnis ins Feld geführt werden können, überwiegen doch die Umstände, die das gefundene Ergebnis stützen.
34
Das mit dem angefochtenen Bescheid genehmigte Gebäude auf dem Vorhabengrundstück und das Gebäude auf dem Grundstück der Klägerin stellen auf der Grundlage der Feststellungen des Verfahrens keine zwei selbständigen Baukörper dar, die sich lediglich an der gemeinsamen Grundstücksgrenze berühren; sie erscheinen auch nicht so. Vielmehr handelt es sich auf der Grundlage der genehmigten Bauvorlagen des streitgegenständlichen Vorhabens um ein Doppelhaus und, auch unabhängig davon und insbesondere, liegt unter Berücksichtigung des Eindrucks im gerichtlichen Augenschein ein harmonischer Gesamtbaukörper vor; die beiden Gebäude wirken wie ein Doppelhaus.
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Festzuhalten ist, dass die Gebäudesituation an der gemeinsamen Grundstücksgrenze sowohl in qualitativer als auch und insbesondere in quantitativer Hinsicht (vgl. zur quantitativen Komponente und zum Verhältnis zur qualitativen BVerwG, U.v. 24.2.2000 – 4 C 12.98 – juris Rn. 19 und 20) für das Vorhandensein eines Doppelhauses spricht.
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Nach den genehmigten Bauvorlagen schließt die entstehende neue Doppelhaushälfte bündig mit einem Versatz in der Breite von 1 m an den Bestand der Doppelhaushälfte an; so ist das Vorhaben auch errichtet. Die Firsthöhe des in nordsüdlicher Richtung verlaufenden Satteldachs des Neubaus ist nur unwesentlich höher (weniger als ein halber Meter) als die des Gebäudes der Klägerin (dazu, dass sich ein Höhenunterschied von weniger als 1 m i.d.R. im Rahmen einer wechselseitigen Grenzbebauung hält, vgl. BayVGH, B.v. 14.5.2012 – 1 ZB 11.346 – juris Rn. 13), sodass der optische Eindruck von Westen und Osten weiterhin – vor dem Abriss des früheren Gebäudes der Beigeladenen zu 1. und 2. lag auch aus Sicht der Klägerin ein Doppelhaus vor, obwohl auch damals die beiden Gebäude einander keineswegs vollständig entsprachen – dem eines Doppelhauses entspricht, was der gerichtliche Augenschein ergeben hat. Der Versprung des genehmigten Neubaus im Westen ist mit einem Meter nicht so wesentlich, dass keine wechselseitige und verträgliche Anbauweise mehr vorliegt. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass ein solcher – auch mit einem Meter (im Beschluss des Gerichts im Antragsverfahren wurde insofern noch unzutreffend davon ausgegangen, dass es nur 0,50 m sind) – noch geringfügiger Anbau nicht auffällt und deshalb nicht geeignet ist, den Charakter eines Doppelhauses zu beeinträchtigen.
37
Die Umstände (zu diesen im Einzelnen im Folgenden), welche die streitgegenständliche Baugenehmigung im Hinblick auf die Beantwortung der Frage, ob (noch) ein Doppelhaus vorliegt, tatsächlich zum Grenzfall machen (BayVGH, B.v. 20.10.2021 im zugehörigen Beschwerdeverfahren – 1 CS 21.2195 – juris Rn. 12) sind gewichtig, führen aber in der Gesamtabwägung des Einzelfalls unter Berücksichtigung aller Umstände nicht zu einem Bewertungsergebnis des Inhalts, dass kein Doppelhaus mehr vorliegt, sondern vielmehr zum gefundenen Bewertungsergebnis, dass (noch) ein Doppelhaus im Rechtssinne gegeben ist.
38
Der markanteste Umstand insoweit ist die erheblich größere Breite (= die Ausdehnung des Gebäudes von der gemeinsamen Grundstücksgrenze weg in Richtung Norden) des Vorhabens im Vergleich zum Gebäude der Klägerin, was notwendigerweise auch eine deutlich größere Grundfläche und ein größeres Raumvolumen nach sich zieht. Während das Gebäude der Klägerin insofern 6 m misst, ist das Gebäude der Beigeladenen zu 1. und 2. ca. 11,30 m breit. Zu beachten ist hier (erneut), dass bei der Beurteilung nach den quantitativen Kriterien eine mathematisch-prozentuale Festlegung nicht möglich ist, vielmehr ist auch insofern eine Gesamtwürdigung des Einzelfalls anzustellen. Bei der Versagung des Doppelhauses-Charakters eines Gebäudes wegen einer unterschiedlicheren, insbesondere größeren Gebäudebreite, ist dabei Zurückhaltung geboten. Denn anders als bei (größeren) Versprüngen der Gebäude oder unterschiedlichen Gebäudehöhen jeweils an der gemeinsamen Grundstücksgrenze, an der die Gebäude aneinandergebaut sind, beeinträchtigt eine größere Gebäudebreite eines Gebäudes in die Richtung des eigenen Grundstücks hinein und weg von der gemeinsamen Grundstücksgrenze regelmäßig bzw. typischerweise den Nachbarn in tatsächlicher Hinsicht nicht. Das bedeutet nicht, dass die Gebäudebreite deswegen bei der Bewertung, ob (noch) ein Doppelhaus im Rechtssinn vorliegt, grundsätzlich ganz außer Acht zu lassen wäre (so aber z.B. BayVGH, B.v. 14.5.2012 – 1 ZB 11.346 – juris Rn. 13; die dem dortigen Sachverhalt zu Grunde liegende Konstellation unterscheidet sich zwar von der hier vorliegenden, die betreffende, hier nachgewiesene Fundstelle differenziert aber nicht danach, sondern stellt allgemein fest: „Dagegen spielt die Breite bei der Frage, ob die beiden Haushälften in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinander gebaut wurden, keine Rolle.“). Vielmehr kann auch eine zu große Abweichung in der Gebäudebreite dazu führen, dass kein Doppelhaus mehr vorliegt, weil auch dies dazu führen kann, dass die beiden Gebäude keinen Gesamtbaukörper bilden bzw. nicht mehr als ein solcher erscheinen. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass dieser Umstand mit dem Grund für das Erfordernis, dass die beiden Haushälften in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinander gebaut werden, und damit mittelbar mit dem Umstand, der die Annahme von Drittschutz in dieser Konstellation rechtfertigt – der wechselseitige Verzicht auf den Grenzabstand an der gemeinsamen Grundstücksgrenze –, anders als die Gebäudesituation an der gemeinsamen Grenze selbst, nicht unmittelbar oder doch zumindest nicht überwiegend zu tun hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 24.2.2000 – 4 C 12.98 – juris Rn. 21 f.) ordnet sich in dem System der offenen Bauweise, das durch seitliche Grenzabstände zu den benachbarten Grundstücken gekennzeichnet ist, ein aus zwei Gebäuden zusammengefügter Baukörper nur ein und kann somit als Doppelhaus gelten, wenn das Abstandsgebot an der gemeinsamen Grundstücksgrenze auf der Grundlage der Gegenseitigkeit überwunden wird. Ein einseitiger Grenzanbau ist in der offenen Bauweise unzulässig. Der wechselseitige Verzicht auf seitliche Grenzabstände an der gemeinsamen Grundstücksgrenze bindet die benachbarten Grundeigentümer bauplanungsrechtlich in ein Verhältnis des gegenseitigen Interessenausgleichs ein, wodurch ihre Baufreiheit zugleich erweitert und beschränkt wird. Durch die Möglichkeit des Grenzanbaus wird die bauliche Nutzbarkeit der (häufig schmalen) Grundstücke erhöht. Das wird durch den Verlust seitlicher Grenzabstände an der gemeinsamen Grenze, erkauft, nicht dadurch, dass der Grundeigentümer nicht mehr („weiter“ als der Doppelhausnachbar) in den seitlichen Bereich (hier nach Norden) des eigenen Grundstücks bauen darf. Das führt, wie oben bereits ausgeführt, nicht soweit, dass nur die Gebäudesituation an der gemeisamen Grundstückssituation relevant ist. Die Qualifizierung zweier Gebäude als Doppelhaus hängt nicht allein davon ab, in welchem Umfang die beiden Gebäude an der gemeinsamen Grundstücksgrenze aneinander gebaut sind (BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – juris Rn. 16), daneben dürfen bei der Betrachtung mit Blick auf die bauplanungsrechtlichen Ziele der Steuerung der Bebauungsdichte sowie der Gestaltung des Orts- und Stadtbildes auch die übrigen oben genannten Kriterien geprüft und dabei – aber eben auch nur – ein Mindestmaß an Übereinstimmung verlangt werden (BVerwG, B.v. 10.4.2012 – 4 B 42.11 – juris Rn. 12; U.v. 5.12.2013 – 4 C 5.12 – juris Rn. 16). Dieses Mindestmaß an Übereinstimmung ist hier nach den Feststellungen des Gerichts, insbesondere auch im gerichtlichen Augenschein, nicht unterschritten.
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Außerdem trägt der Umstand, dass das Vorhaben deutlich breiter ist als das klägerische Gebäude, den deutlich unterschiedlichen Grundstücksgrößen Rechnung. Diese Überlegung war offensichtlich auch leitend für die Entscheidung der Beigeladenen zu 3., das gemeinsame Baufenster für die beiden Gebäude, beurteilt jeweils von der gemeinsamen Grundstücksgrenze aus, so festzusetzen, dass auf dem Grundstück der Beigeladenen zu 1. und 2. ein wesentlich größerer Anteil des Baufensters besteht als auf dem Grundstück der Klägerin, die Beigeladene zu 3. aber gleichwohl von einer Zumutbarkeit für die Klägerin ausgeht.
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Der zweite Umstand insoweit ist die Ausführung der Garage an der Nordseite des Vorhabens. Diese führt ebenfalls sowohl bei der Betrachtung der qualitativen als auch der quantitativen Betrachtung nicht dazu, dass die Bewertung und Beurteilung der beiden Gebäude als Doppelhaus im Rechtssinne „kippt“. Sowohl so, wie die Garage als Teil der angefochtenen Baugenehmigung genehmigt ist, als auch so, wie sie ausgeführt ist, hat sie nicht die Wirkung, weder allein noch im Verbund mit den übrigen bewerteten Umständen, das Vorhaben so zu beeinflussen, dass die Doppelhauseigenschaft zusammen mit dem Gebäude der Klägerin aufgehoben ist. Die niedrigere sowie die deutlich schmalere Ausführung als der Hauptbaukörper, die bei der Betrachtung des Garagenanbaus dazu führt, dass sie wie ein nach Norden herausstehendes Anhängsel an den Hauptbaukörper wirkt, hat nicht die Wirkung, dass der Garagenanbau das Vorhaben derart beeinflusst, dass dadurch der Doppelhauscharakter verloren geht. Auch die genehmigte Nutzung einschließlich der diesbezüglich erteilten Befreiung (Nutzung des Obergeschosses der Garage als Terrasse und Speicher und Einbau eines Aufzugs für den behinderten Sohn der Beigeladenen zu 1. und 2. im Bauraum für die Nebenanlage) des Garagenanbaus passt dazu, dass dadurch der Baukörper des Vorhabens nicht derart verändert wird, dass der Doppelhauscharakter entfällt.
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Der dritte Umstand schließlich ist der tatsächliche Versatz (vgl. zu diesem etwa BVerwG, U.v. 24.2.2000 – 4 C 12.98 – juris Rn. 18 und insbesondere 19). Dieser Versatz, zu dem bereits oben (S. 11 unten und S. 12) ausgeführt wurde, führt ebenfalls weder bei quantitativer noch bei qualitativer Betrachtung dazu, dass kein Doppelhaus im Rechtssinne mehr vorliegen würde. Kein Doppelhaus besteht danach, wenn ein Gebäude gegen das andere an der gemeinsamen Grundstücksgrenze so stark versetzt wird, dass ein vorderer oder rückwärtiger Versprung den Rahmen einer wechselseitigen Grenzbebauung überschreitet, den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus vermittelt und dadurch einen neuen Bodennutzungskonflikt auslöst. Bei isolierter Betrachtung (dazu siehe bereits oben), bei der es aber nicht sein Bewenden haben darf (dazu sogleich), hat der lediglich ein Meter breite Versatz im hier zu beurteilenden Einzelfall nicht die „Kraft“, die Doppelhauseigenschaft aufzuheben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (U.v. 24.2.2000 – 4 C 12.98 – juris Rn. 18 a.E.) gilt gerade, dass das Erfordernis einer baulichen Einheit im Sinne eines Gesamtbaukörpers nicht ausschließt, dass die ein Doppelhaus bildenden Gebäude an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zueinander versetzt oder gestaffelt aneinandergebaut werden. In der obergerichtlichen Rechtsprechung wird bei der Beurteilung, ob (noch) ein Doppelhaus vorliegt, im Zusammenhang mit Versätzen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze davon gesprochen, dass selbst ein Versatz bis zu 3 m in der Regel unproblematisch ist, also mit § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO in Einklang steht (BayVGH, B.v. 14.5.2012 – 1 ZB 11.346 – juris Rn. 13). Entscheidend bei der Bewertung sind aber nicht derartige „Faustregeln“, sondern die (Gesamt-)Würdigung des jeweils zu entscheidenden Einzelfalls. Danach ist hier auch unter Berücksichtigung des Versatzes sowohl für sich als auch in einer Gesamtschau mit den übrigen „problematischen“ Umständen (immer noch) davon auszugehen, dass auch mit dem auf der Grundlage der angefochtenen Baugenehmigung errichteten Vorhaben ein Doppelhaus nach den oben mehrfach dargestellten Kriterien vorliegt.
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Auch die Berücksichtigung weiterer, insbesondere qualitativer Kriterien, führt zu keinem anderen Ergebnis. Die erteilte Befreiung für die Errichtung von zwei Zwerchgiebeln auf der Westseite anstelle je eines Giebels pro Wandseite verbunden mit einer dafür gewährten Überschreitung der Inanspruchnahme des festgesetzten Drittels der Wandlänge führt (noch) nicht dazu, dass die Dachgestaltung so stark abweicht, dass in qualitativer Hinsicht kein Doppelhaus mehr vorliegt. Für den Charakter als Doppelhaus ist es außerdem unerheblich, dass in der neuen Doppelhaushälfte zwei getrennte Wohneinheiten entstehen. Maßgeblich ist nicht die Zahl der Wohneinheiten, sondern unter Berücksichtigung der „Doppelhaus-Rechtsprechung“ des Bundesverwaltungsgerichts die bauliche Einheit im Sinne eines Gesamtbaukörpers (BayVGH, B.v. 13.8.2020 – 2 CS 20.1547; VG München, B.v. 26.6.2020 – M 9 SN 20.1396 – juris Rn. 22).
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Schließlich ergibt auch eine nochmals sämtliche Umstände des Einzelfalls einbeziehende und berücksichtigende Gesamtwürdigung des Einzelfalls, dass beim streitgegenständlichen Vorhaben und dem Gebäude der Klägerin noch von einem Doppelhaus auszugehen ist. Das ergibt sich nicht nur bei isolierter Betrachtung der aufgeführten qualitativen und quantitativen Kriterien je für sich, sondern auch bei einer Zusammenschau aller Kriterien; es liegt nach dem Ergebnis des Verfahrens einschließlich des Eindrucks im gerichtlichen Augenschein auch kein Fall vor, bei dem erst das Zusammenwirken quantitativer und qualitativer Kriterien den Charakter eines Doppelhauses entfallen lässt.
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b. Auch im Übrigen bestehen keine ausreichenden Anhaltspunkte für eine mögliche Verletzung des Rücksichtnahmegebots in seiner nachbarschützenden Ausprägung. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass das Vorhaben auf das Grundstück der Klägerin eine erdrückende oder abriegelnde Wirkung hätte.
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c. Auch sonstige geltend gemachte oder in Frage kommenden Umstände begründen keine Nachbarrechtsverletzung durch das genehmigte Vorhaben.
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Die erteilten Befreiungen verletzen auch jenseits ihrer Berücksichtigung für die Bewertung, ob ein Doppelhaus vorliegt, keine Nachbarrechte. Dasselbe gilt für die geringfügigen Abweichungen von der genehmigten Planung bei der Bauausführung (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 20.10.2021 – 1 CS 21.2195 – juris Rn. 13 im zugehörigen Beschwerdeverfahren).
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Ein Verstoß des Vorhabens gegen Abstandsflächenrecht liegt schließlich nicht vor, da (noch) vom Bestehen eines gegenseitigen Austauschverhältnisses auszugehen ist, der Anbau an die Grenze (genauso wie bei dem Gebäude der Klägerin), daher, wie oben gezeigt, wegen des Vorliegens eines Doppelhauses bauplanungsrechtlich erlaubt ist und diese bauplanungsrechtliche Wertung dem bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenrecht vorgeht (Art. 6 Abs. 1 Satz 3 BayBO).
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3. Im Übrigen wird auf die Gründe zu II. des Beschlusses des Gerichts vom 17. August 2021, Az. M 9 SN 21.3656, im zu diesem Klageverfahren gehörenden Antragsverfahren Bezug genommen.
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Nach alledem wird die Klage abgewiesen. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO sowie aus § 162 Abs. 3 VwGO. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen werden billigerweise unter Berücksichtigung der Wertung in § 154 Abs. 3 Hs. 1 VwGO der Klägerin auferlegt, da sowohl die Beigeladenen zu 1. und 2. als auch die Beigeladene zu 3. Anträge gestellt, sich somit selbst einem Kostenrisiko ausgesetzt und mit ihren Anträgen obsiegt haben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.