Titel:
Rechtsschutzdeckung für eine Diesel-Klage: Anforderungen an den Hinweis nach § 128 S. 3 VVG
Normenketten:
VVG § 128 S. 2
ARB 2010 § 3a Abs. 1
Leitsätze:
1. Der Hinweis gem. § 128 S. 2 VVG muss so erfolgen, dass er für einen durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer, der das Ablehnungsschreiben des Versicherers aufmerksam liest, unter Berücksichtigung des Sinnzusammenhangs als solcher erkennbar ist und ausreichend klar macht, dass Meinungsverschiedenheiten in einem besonderen Verfahren geklärt werden können; der bloße Hinweis auf eine AGB-Klausel genügt nicht (Anschluss an OLG Hamburg BeckRS 2020, 2279; LG Mühlhausen BeckRS 2022, 36196). (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zur Frage der Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussicht des Deckungsschutzanspruchs eines Versicherungsnehmers in der Rechtsschutzversicherung bei einer Diesel-Klage. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Rechtsschutzversicherung, Deckungsschutz, Diesel-Verfahren, Abgasskandal, hinreichende Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung
Rechtsmittelinstanz:
LG Würzburg, Endurteil vom 26.06.2024 – 41 S 1839/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 50726
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert wird auf 3.214,45 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Parteien streiten um die Verpflichtung zur Abgabe einer Deckungszusage.
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Der Kläger ist bei der Beklagten verkehrsrechtsschutzversichert. Dem Versicherungsvertrag zur Versicherungsscheinnummer … liegen die ARB VRB 1999 zu Grunde. Am 27. August 2014 erwarb der Kläger bei der Firma A. R. GmbH einen Mercedes GLK 220 CDI BlueEFFICIENCY (FIN: …10) als Gebrauchtwagen zu einem Kaufpreis von 39.900,00 EUR, in den u.a. ein sog. Thermofenster verbaut ist. Das streitgegenständliche Fahrzeug ist von einem amtlichen Rückruf des Kraftfahrtbundesamts erfasst. Nachdem der Kläger die M.-B. G. AG, die frühere D. AG, außergerichtlich erfolglos zur Schadensregulierung aufgefordert wurde, erhob der Kläger Klage vor dem Landgericht Stuttgart. Hierfür hatte die Beklagte mit Schreiben vom 9. Februar 2021 den Deckungsschutz bestätigt. Nachdem die M.-B. G. AG (ex D. Ag) außergerichtlich erfolglos zur Schadensregulierung aufgefordert wurde, erhob der Kläger Klage vor dem Landgericht Stuttgart. Hierfür hatte die hiesige Beklagte mit Schreiben vom 9. Februar 2021 den Deckungsschutz bestätigt. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2021 fragte der Kläger, über seinen Prozessbevollmächtigten in der Hauptsache, bei der Beklagten den Deckungsschutz auch für das Berufungsverfahren an. Mit Schreiben vom 5. Januar 2022 lehnte die Beklagte den Deckungsschutz ab, da aus ihrer Sicht für ein Berufungsverfahren keine Erfolgsaussichten bestünden. Der Kläger hat trotz der fehlenden Deckungszusage unter dem 10. Januar 2022 Berufung gegen das og. Urteil des Landgerichts Stuttgart eingelegt. Das Berufungsverfahren wird vor dem Oberlandesgericht Stuttgart zum Aktenzeichen 24 U 159/22 geführt.
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Der Kläger führt aus, das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers gelte im vorliegenden Fall gem. § 128 S. 3 VVG schon deshalb als anerkannt, weil der Hinweis der Beklagten in deren Ablehnungsschreiben nicht den Anforderungen des § 128 S. 2 VVG entspreche. Es sei im Fließtext versteckt. Die Beklagte sei ferner mit dem durch sie vorgebrachten Einwand der mangelnden Erfolgsaussichten präkludiert. Auf die im Ablehnungsschreiben geäußerten inhaltlichen Bedenken komme es daher nicht mehr an: die Beklagte habe sich gern. § 17 Abs. 2 ARB selbst dazu verpflichtet, den Deckungsschutz unverzüglich abzulehnen, sofern sie dies mit mangelnden Erfolgsaussichten begründe. Unverzüglich sei eine Ablehnung nach herrschender Rechtsprechung spätestens mit Ablauf eines Zeitraums von 2-3 Wochen ab vollständiger Informierung des Rechtsschutzversicherers. Nach vorstehendem Maßstab hätte die auf mangelnde Erfolgsaussichten gestützte Deckungsablehnung also bis spätestens 4. Januar 2022 vorliegen müssen. Tatsächlich habe das Ablehnungsschreiben den Versicherungsnehmer erst am 5. Januar 2022 und damit zu spät erreicht. Für die Frage, ob dem Rechtsschutzbegehren des Versicherungsnehmers hinreichende Erfolgsaussichten zu attestieren sei, sei ist ausschließlich auf den Zeitpunkt der Bewilligungsreife abzustellen – im vorliegenden Fall spätestens der Tag, an dem die Beklagte den Deckungsschutz ablehnte. Nach diesem Datum ergangene Entscheidungen oder Sachverhaltsentwicklungen, die die Ansicht der Beklaqten stützen, seien nicht mehr berücksichtigungsfähig. Hinsichtlich der Prüfung der Erfolgsaussichten gelte nach einhelliger Rechtsprechung diejenigen Kriterien, die im Rahmen von § 114 ZPO bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe maßgeblich seien. Der Anspruch des Klägers ergebe sich zunächst mit hinreichender Erfolgswahrscheinlichkeit aus § 826 BGB. Denn die Rechtsprechungslandschaft habe sich seinerzeit hinsichtlich der Beurteilung der 0M651 -Verfahren als wenigstens offen gestaltet. Selbst wenn dem Kläger die Darlegung der vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung nicht gelingen sollte, lasse sich die angestrebte Verurteilung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 4 Abs. 1, Art. 4 Abs. 2 Unterabsatz 2 und Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 stützen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte aus dem mit der Klägerpartei geschlossenen Rechtsschutzschutzversicherungsvertrag mit der Versicherungsnummer … verpflichtet ist, für das Berufungsverfahren vor dem Oberlandesgericht Stuttgart, Az.: 24 U 159122., Deckungsschutz zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
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Sie trägt vor, die klägerische Behauptung, das Rechtsschutzbedürfnis sei anerkannt, da der Hinweis nach § 128 VVG im Fließtext versteckt sei und „nicht einmal am Ende des Textes“ stehe sei nicht zutreffend: der Hinweis sei am Ende des Textes erfolgt. Sie führt ferner aus, eine verspätete Ablehnung der Beklagten liege nicht vor. Es existiere insoweit keine starre Frist für die Bearbeitung einer Deckungsanfrage. Die Bearbeitungszeit der Beklagten sei unter den gegebenen Umständen, zumal im Hinblick auf die Fülle der betroffenen Sach- und Rechtsthemen insbes. der Behauptung mehrerer unzulässiger Abschalteinrichtungen und den Umstand, dass die Bearbeitung über den Jahreswechsel 2021/2022 zu erfolgen hatte, nicht zu beanstanden. Die Beklagte weist ferner darauf hin, dass das Landgericht Stuttgart im Hauptsacheverfahren nicht auf die Frage des Umstandes der unionsrechtlichen Unzulässigkeit der behaupteten Abschalteinrichtungen abgestellt habe, sondern maßgeblich auf die Frage, ob der Kläger greifbare Anhaltspunkte für eine besondere Verwerflichkeit und einen Schädigungsvorsatz des Herstellers dargelegt hat. Dies habe das Landgericht anhand der Maßgabe der ober- und höchstrichterlichen Vorgaben zutreffend verneint. Das Gericht habe sich dabei auf die maßgebliche Rechtsprechung des BGH gestützt. Entsprechend moniere das Landgericht, dass es zur besonderen Verwerflichkeit und zum Schädigungsvorsatz an entsprechendem klägerischen Vortrag insbesondere greifbaren Anhaltspunkten fehlt. Das gelte erst recht in Bezug auf den hier relevanten Zeitraum des Inverkehrbringens des Fahrzeuges im Jahre 2013. In der Deckungsanfrage für das Berufungsverfahren und auch in der Klageschrift seien überhaupt keine Gründe genannt worden, warum das erstinstanzliche Urteil angreifbar sein solle. Die Auffassung der Zulässigkeit eines Thermofensters sei jedenfalls nicht unvertretbar gewesen. Vor allem werde das Thermofenster von den zuständigen Aufsichtsbehörden grundsätzlich als zulässig erachtet. Diese Umstände schlössen ein sittenwidriges Handeln aus. Diese Rechtsansicht sei vom BGH im Jahre 2021 bestätigt worden. Vor allem führe das bloße Unterbleiben einer Offenlegung der genauen Arbeitsweise bzw. der konkreten Ausgestaltung des Thermofensters im Typgenehmigungsverfahren nicht zur Annahme des Bewusstseins von einer etwaigen Rechtswidrigkeit des Thermofensters. Unabhängig davon würde eine bloße Fahrlässigkeitshaftung ohnehin nicht zu der hier gewünschten deliktsrechtlichen Kaufvertrags-Rückabwicklung führen. Die Klagepartei mache den sog. großen Schadenersatz geltend, der über § 823 II BGB nicht zu erzielen sei. Dies habe der BGH in seinen Entscheidungen vom 26.06.2023 noch einmal bekräftigt. Schließlich fehle es ebenso an Vortrag, inwiefern eine Sorgfaltspflichtverletzung gegeben sein soll – und dies zumal zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens –, wenn die verwendete Technik nach Auffassung der Fachaufsichtsbehörde den gesetzlichen Vorgaben entspeche. Auf die aktuellen Schlußanträge des Generalanwaltes vom 02.06.2022 im EuGH-Vorabentscheidungs-Verfahren C-100/21 auf Vorlage des LG Ravensburg komme es nicht an.
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Das Gericht hat keinen Beweis erhoben.
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Es wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 12.06.2023.
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Das Gericht entscheidet mit Zustimmung der Parteien im schriftlichen Verfahren nach § 128 Abs. 2 ZPO, wobei der Termin, der dem Schluss der mündlichen Verhandlung entspricht, mit Beschluss vom 07.08.2023 auf den 04.09.2023 bestimmt wurde.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nicht begründet.
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1. Die Fiktion des § 128 Abs. 3 VVG ist nicht eingetreten. Der Nach § 128 Abs. 2 VVG erforderliche Hinweis hat die folgenden Voraussetzungen:
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Der Hinweis muss so erfolgen, dass er für einen durchschnittlichen, um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer, der das Ablehnungsschreiben aufmerksam liest, unter Berücksichtigung des Sinnzusammenhangs als solcher erkennbar ist und ausreichend klar macht, dass Meinungsverschiedenheiten in einem besonderen Verfahren geklärt werden können; der bloße Hinweis auf eine AGB-Klausel genügt nicht (OLG Hamburg BeckRS 2020, 2279; LG Mühlhausen BeckRS 2022, 36196).(BeckOK VVG/Filthuth, 20. Ed. 1.8.2023, VVG § 128 Rn. 9)
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Diesen Anforderungen genügt der im Schreiben vom 05.01.2023 an keinesweg unexponierter Stelle, nämlich am Ende des Schreibens, erteilte Hinweis vollauf.
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2. Entgegen der Rechtsansicht der Klägerin erfolgte die Ablehnung der Deckung hier unverzüglich. Zwar bedeutet dieser Begriff regelmäßig einen Zeitraum von ungefähr zwei Wochen, im Einzelfall kann die Frist aber auch länger oder kürzer sein. Entscheidend für die Annahme der Unverzüglichkeit sind hier zwei Gesichtspunkte:
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a) Das Endurteil des Landgerichts Stuttgarts stammt vom 29.11.2021. Wann es zugestellt wurde, ist nicht vorgetragen, die Berufsungseinlegung am 10.01.2022 aber war offensichtlich noch fristgerecht, so dass der Klagepartei mindestens noch eine Entscheidungsfrist von 4 Tagen verblieb, um sich für oder gegen die ungedeckte Einlegung einer Berufung zu entscheiden. Da überdies vom Kläger erwartet werden darf, dass er sich entsprechende Gedanken schon vorher macht, erscheint die ihm nach Eingang des Schreibens vom 05.01.2022 noch zur Verfügung stehende Frist mehr als hinreichend, zumal an die Einlegung der Berufung selbst formal keine großen Anforderungen gestellt werden.
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b) Hinzu kommt, dass, regionalen Gepflogenheiten entsprechend, die Weihnachts- und Jahreswechselfeiertage im süddeutschen Raum erst am 06.01. enden, wohingegen in nördlicheren Gegenden Betriebe und Behörden bereits am 02.01. wieder „durchstarten“. Dem in Dettelbach wohnenden Kläger musste dies bekannt sein, den Klägervertretern als überörtlich tätiger Rechtsanwaltskanzlei sicher nicht fremd. Mit einer Entscheidung innerhalb der von der Klagepartei gesetzten Frist (27.12.2023) war nicht ernsthaft zu rechnen. Da die Berufungseinlegungsfrist erst nach dem 06.01.2022 enden würde, war mit einer nach Neujahr zwar vorrangigen, aber nicht eiligen Berarbeitung der Angelegenheit, wie sie hier erfolgt ist, von vornherein zu rechnen, ohne dass dies auf Beklagtenseite als schuldhaft gewertet werden könnte.
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3. Die negative Prognose der Beklagten hinsichtlich der Erfolgsaussichten der Berufung war nicht zu beanstanden. Hier gilt, wie auch die Klagepartei ausführt, der Maßstab, der auch im Rahmen von § 114 ZPO bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe maßgeblich ist. Entscheidend ist danach, ob eine vernünftige Partei, die den Rechtsstreit selbst finanzieren müsste, die Rechtsverfolgung weiter betreiben würde oder nicht. Entscheidend ist hierbei jedoch nicht nur die Rechtsfrage, ob in der hier eingeschlägigen Fallgestaltung eine Anspruchsgrundlage durchgreift und ob mit dieser das gewünschte Ergebnis in Form des so genannten großen Schadenersatzes erzielt werden kann: da es sich vorliegend um die Frage der Erfolgsaussichten nicht einer erstinstanzlichen Klage handelt, sondern um die einer Berufung, kommt den Normen des § 529 ZPO und des § 531 ZPO entscheidende Bedeutung bei. Danach ist neben der reinen Tatsachenfeststellung auch die Beweiswürdigung eine Sache des erstinstanzlichen Gerichts. Wenn also, wie auf Seite 7 bis 12 des angefochtenen Urteils ausführlich dargelegt, das Ausgangsgericht aus dem Umstand (x) die Folgerung (y), nicht aber die von dem Kläger erstrebte Folgerung (z) zieht, ist dies der Prüfung durch das Berufungsgericht regelmäßig entzogen. Wenn, wie das Ausgangsgericht dann auf Seite 12 – 14 darlegt, zu bestimmten, ggf. prüfenswerten Annahmen erstinstanzlich nicht vorgetragen wurde, kann dies in der Berufungsinstanz ebenfalls nur unter sehr eingeschränkten Voraussetzungen nachgeholt werden. Für die Anspruchsgrundlage aus § 823 Abs. 2 BGB gilt im wesentlichen nichts anderes. Die Deckungsanfrage vom 14.12.2021 äußert sich nicht zu dieser Problematik. Das muss sich zwar nicht, hat aber zur Folge, dass die Beklagte diesen Aspekt ihrer Prüfung selbstverständlich nicht zugrundelegen kann. Von gewisser Indizwirkung ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass auch die später eingereichte Berufungsbegründung keine formellen Rügen enthält, d.h. weder die Rüge, dass ein erforderlicher Hinweis nach § 139 ZPO nicht erteilt worden sei, noch, dass die Würdigung der Tatsachen durch das Ausgangsgericht in prozessual angreifbarer Weise erfolgt sei. Konsequenterweise beschäftigt sich auch der Hinweisbeschluss des OLG Stuttgart vom 27.05.2022, Az. 24 U 159/22, lediglich mit einer Ergänzung des landgerichtlichen Urteils als Folge der im Berufungsverfahren zulässigerweise neu vorgetragenen rechtlichen Argumente der Klagepartei, nicht aber mit der Frage, inwieweit der von dem Ausgangsgericht als nicht vorhanden festgestellte Tatsachenvortrag der Klägerin dort zu Recht moniert wurde. Dass die Prognose der Beklagten sich im Hinweisbeschluss des OLG Stuttgart vom 27.05.2022, Az. 24 U 159/22, dann zumindest erfüllt hat, ist ebenso wenig entscheidend wie weitere, zwischenzeitlich ergangene obergerichtliche Rechtsprechung.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 11, 711 ZPO.