Titel:
Baulärm, Reisemangel, Bayerisches Oberstes Landesgericht, Pauschalreisen, Pauschalreisevertrag, Pauschalreiserichtlinie, Reiseleistung, Örtliche Zuständigkeit, Elektronisches Dokument, Erhebliche Beeinträchtigung, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Vorgerichtliche Anwaltskosten, Aufgewendete Urlaubszeit, Ausforschungsbeweis, Elektronischer Rechtsverkehr, Minderungsquoten, Überzeugungsbildung, Streitwert, Reisepreisminderung, Reisevertrag
Schlagworte:
Zuständigkeit des Gerichts, Pauschalreisevertrag, Reisemängel, Minderung, Schadensersatz, Zinsentscheidung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 50532
Tenor
I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.423,- EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB ab 29.3.2023 sowie 280,60 EUR vorgerichtliche Anwaltskosten zu bezahlen.
II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 13 % und die Beklagte zu 87 %.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages.
Der Streitwert wird auf 2.794,56 € festgesetzt.
Tatbestand
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Die Parteien streiten um Minderungs- und Schadensersatzansprüche aufgrund einer Pauschalreise.
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Bei der Beklagten handelt es sich um ein Reiseunternehmen. Der Kläger buchte bei der Beklagten für sich und seine Ehefrau unter der Buchungsnummer … eine Pauschalreise nach … für die Zeit vom 5.1.2023 bis 2.2.2023 inklusive Zug zum Flug und Flug- und Bustransfer vom Flughafen zum Hotel. Der Reisepreis wurde vollständig bezahlt.
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Am 13.1.2023 informierte der Kläger den Kundenservice der Beklagten über Baulärm. Die Beklagte teilte mit, dass es sich lediglich um eine Notreparatur einer Toilette handle. Als Ausgleich wurde ein Gutschein für den Spa-Bereich und eine Flasche Cava zur Verfügung gestellt, womit der Kläger nicht einverstanden war.
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In der Folgezeit wiederholte der Kläger die Mitteilung über fortdauernden Baulärm. Die Beklagte bot dem Kläger vor Ort die kostenfreie Nutzung des Spa-Bereichs für die gesamte Aufenthaltszeit und Ausweichzimmer an. Nach Abschluss der Reise bot die Beklagte ein 130,00 EUR als Kompensation an. Die Angebote nahm der Kläger nicht an.
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Mit Anwaltsschreiben vom 7.3.2023 wurde die Beklagte unter Fristsetzung zum 28.3.2023 zur Zahlung aufgefordert. Eine Reaktion der Beklagten erfolge nicht.
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Der Kläger trägt vor, der Reisepreis habe für beide Personen gesamt 7.389,00 EUR betragen. Weiterhin trägt er vor, der Baulärm habe schon zwei Tage vor dem 13.1.2023 begonnen, wobei er zunächst eine Klärung über das Hotel versucht habe. Der erhebliche Baulärm sei fortgesetzt worden bis 27.1.2023 mit Ausnahme der Wochenenden, von denen lediglich am 14.1.2023 Baulärm geherrscht habe. Es habe sich nicht um eine Notreparatur der Toilette gehandelt, sondern um den Neueinbau von Fenstern, Türen, das Schreddern von Bäumen und das Fräsen von Boden. Die angebotenen Ausweichzimmer seien ungeeignet gewesen. Man habe mehrere Videos an die örtliche Reiseleitung übermittelt.
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Der Kläger vertritt die Auffassung, dass das Amtsgericht Nürnberg aufgrund des Abflugortes örtlich zuständig sei. Er hält eine Minderung in Höhe von 60% für angemessen und eine Entschädigung der nutzlosen Urlaubszeit während der lärmbeeinträchtigten Urlaubstage von mindestens täglich 80,00 EUR.
die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.794,56 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszins gemäß § 247 BGB ab 29.3.2023 sowie 280,60 EUR vorgerichtliche Anwaltskosten zu zahlen.
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Die Beklagte rügt die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts Nürnberg und beantragt hilfsweise
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Die Beklagte trägt vor, der Reisepreis habe lediglich 7.240,00 EUR betragen. Es habe lediglich am 13./14.1.2023 Baulärm geherrscht, da eine Toilette repariert worden sei. Im Übrigen hätten nur noch am 23.01.2023 leise Innenarbeiten stattgefunden. Weitere erheblicher Baulärm habe nicht vorgelegen. Die konkreten Arbeiten (Neueinbau Fenster, Türen, Bäume geschreddert, Boden gefräst) habe der Kläger vor Ort nicht gerügt. Die Beklagte habe Abhilfe schaffen wollen und mehrere Ausweichzimmer sowie die Nutzung des Spa-Bereichs für die gesamte Aufenthaltszeit angeboten. Der Kläger habe jedoch kein Video hochgeladen über Lärm.
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Sie ist der Auffassung, dass die Inaugenscheinnahme der Videos vor Gericht einen Ausforschungsbeweis darstellen würden. Mangels vorheriger Übersendung sei ihr die Überprüfungsmöglichkeit genommen worden, ob der Kläger diese Videos mittels KI oder andere Mittel verfremdet habe.
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Des Weiteren ist sie der Auffassung, dass sie sich nicht in Verzug befunden habe. Wenn der Kläger ihr Kompensationsangebot in Höhe von 130,00 EUR als endgültig aufgefasst habe und daher der Meinung sei, dass sie sich in Verzug befunden hätte, so hätte er direkt klagen müssen.
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Darüber hinaus ist die Beklagte der Auffassung, das Amtsgericht Nürnberg sei örtlich unzuständig.
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Soweit das Bayerische Oberste Landesgericht mit Beschluss vom 22.7.2021 eine örtliche Zuständigkeit bei Pauschalreisen am Abflugort bejaht hat, handele es sich um eine bloße Mindermeinung, die vorliegend darüber hinaus schon deshalb nicht anwendbar sei, weil vorliegend – anders als in der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts – der Flug unstreitig mangelfrei war.
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Das Gericht hat mit den Parteien mündlich verhandelt am XX.X.2023 und dabei den Kläger persönlich angehört sowie seine Ehefrau als Zeugin einvernommen und zwei Videos sowie die Hotelbeschreibung im Internet in Augenschein genommen. Hinsichtlich des Ergebnisses wird auf das Protokoll zur mündlichen Verhandlung verwiesen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist weitgehend begründet.
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Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Amtsgericht Nürnberg örtlich zuständig.
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Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 29 ZPO. Gemäß § 29 Abs. 1 ZPO ist für Streitigkeiten aus einem Vertragsverhältnis das Gericht des Ortes zuständig, an dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist.
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Die Parteien schlossen vorliegend unstreitig einen Pauschalreisevertrag, der sich u.a. aus dem Flug, Transferleistungen und einem Hotelaufenthalt zusammensetzte. Gemäß § 651a Abs. 2 Satz 1 BGB stellt eine Pauschalreise eine Gesamtheit von mindestens 2 verschiedenen Arten von Reiseleistungen für den Zweck derselben Reise dar. Gemäß § 651a Abs. 3 BGB sind Reiseleistungen unter anderem die Beförderung von Personen und die Beherbergung. Das Gesetz führt die Reiseleistungen – anders als vor der Umsetzung der Pauschalreiserichtlinie – nunmehr als gleichwertig auf. Der Reisevertrag, bei dem es sich um einen Vertrag handelt, der aus einzelnen Leistungen besteht, kann daher für die Frage des Erfüllungsortes nicht mehr aufgespalten werden. Die Pauschalreise beginnt mit der ersten Reiseleistung, vorliegend dem Abflug. An diesem beginnt die Erfüllungsverpflichtung der Beklagten. Abflugort war unstreitig N.. Die frühere vertretene andere Auffassung, wonach der Flug nur von untergeordneter Bedeutung sei und daher nicht für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit verwendet werden kann, kann nicht mehr aufrechterhalten werden, nachdem durch die Neuregelung in § 651a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB n.F. nunmehr alle Reiseleistungen gleichwertig sind. (iErg. Zöller, ZPO, 34. Auflage 2022, § 29 Rdnr. 25.4.7).
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Die Klage ist weitgehend begründet. Der Kläger macht Ansprüche auf Minderung und Schadensersatz für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit geltend.
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Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Minderung in Höhe von gesamt 1.223,- EUR (40%) aus §§ 651a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 2, 4, 651i Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Nr. 6, 651m Absatz 1, Absatz 2 Satz 1, 346 Abs. 1 BGB zu.
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1. Der Kläger ist als einzig Buchender auch hinsichtlich seiner Ehefrau aktivlegitimiert. Ansprüche wegen einer mangelhaften Leistung stehen gemäß § 651i Abs. 3 BGB dem Reisenden zu. Reisender im Sinne des Gesetzes ist der Buchende (Grüneberg, BGB, 82. Auflage, § 651 i Rdnr. 18 i.V.m. § 651a Rdnr.4).
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2. Gemäß § 651i Abs. 3 Nr. 6 BGB kann der Reisende, wenn die Voraussetzungen des § 651 m BGB vorliegen, nichts anderes bestimmt ist und die Pauschalreise mangelhaft ist, den Reisepreis mindern.
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a) Bei dem vorliegenden Reisevertrag handelte es sich unstreitig und offensichtlich um einen Pauschalreisevertrag im Sinne des § 651a BGB.
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b) Die Reise war auch mangelhaft aufgrund massiven Baulärms. Gemäß § 651i Abs. 2 BGB ist die Pauschalreise frei von Reisemängeln, wenn sie die vereinbarte Beschaffenheit hat. Soweit die Beschaffenheit nicht vereinbart ist, ist die Pauschalreise frei von Reisemängeln, wenn sie sich für den nach dem Vertrag vorausgesetzten Nutzen eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Pauschalreisen der gleichen Art üblich ist und die der Reisende nach der Art der Pauschalreise erwarten kann.
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Der Kläger macht geltend, es sei während mehrerer Tage zu erheblichem Baulärm gekommen.
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Nach Inaugenscheinnahme der Hotelbeschreibung ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger ein Hotel der gehobenen Kategorie gebucht hat. Er hat eine Suite gebucht in einem Hotelbereich, der als Adults Only beworben wurde (und damit kein Kinderlärm) und dessen Hotellage als ruhig beschrieben wurde.
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Das Gericht hat nach persönlicher Anhörung des Klägers und Einvernahme seiner Ehefrau als Zeugin sowie Inaugenscheinnahme von zwei Videos in keinster Weise Zweifel daran, dass sich seit 11.1.2023 bis 27.1.2023 wochentags sowie am 14.1.2023 auch samstags in dem Hotelbereich, sowohl im Zimmer, als auf dem Balkon als auch am Poolbereich massiver Baulärm von technischen Geräten zu hören war. Der Baulärm bezog sich auf einen Zeitraum ab den Morgenstunden bis 17.00 /18.00 Uhr, wobei sich nicht aufklären lässt, ob im Zeitraum mittags bis gegen 15.00/16.00 Uhr ebenfalls Baulärm herrschte, weil der Kläger und seine Frau sich in dieser Zeit nicht im Hotel aufgehalten haben. Jedenfalls zu den übrigen Zeiten war die Ruhe jedoch massiv gestört. An Erholung war nicht zu denken. Es handelte sich auch nicht um einen konstanten Lärmpegel, sondern es wurden, den Geräuschen nach, verschiedenste Arbeiten von verschiedenen Geräten durchgeführt, so dass eine Gewöhnung an einen Lärmpegel nicht eintreten konnte. Die Überzeugung des Gerichts beruht auf den Angaben des Klägers und seiner Ehefrau. Das Gericht verkennt dabei nicht, dass beide ein ureigenstes Interesse am Ausgang des Verfahrens haben.
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Gemäß § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Das Gericht ist dabei lediglich an die Denk-, Natur- und Erfahrungsgesetze gebunden, kann ansonsten die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse dem Grundsatz nach ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln nach seiner individuellen Einschätzung bewerten. Dabei ist die Überzeugungsbildung nicht von objektiven Kriterien oder einer Wahrscheinlichkeitsberechnung abhängig, sondern beruht auf dem Erfahrungswissen und Judiz des erkennenden Gerichts. Andererseits ist das Gericht jedoch auch verpflichtet, den ihm gewährten Freiraum auszuschöpfen. Es darf sich daher nicht selbst an Beweisregeln binden, sondern muss nach freier Überzeugung entscheiden. Die Grenze der Überzeugungsbildung sind die Natur- und Erfahrungsgesetze, das heißt solche Erkenntnisse, die nach menschlicher Erfahrung ausnahmslos Geltung beanspruchen. Ebenso zu beachten sind Denkgesetze, das heißt Gesetze der Logik, insbesondere das Gebot der Widerspruchsfreiheit. Dabei hat das Gericht seine Erkenntnis aus dem Sachvortrag, dem Prozessverhalten und dem Ergebnis der Beweisaufnahme zu ziehen. (zu alledem Zöller, ZPO, 34. Auflage, § 286 Randnr. 12 ff).
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Das Gericht muss grundsätzlich von der Wahrheit einer Behauptung überzeugt sein, um sie der Entscheidung zugrunde legen zu dürfen. Nicht erforderlich ist hingegen eine unumstößliche Gewissheit, ein naturwissenschaftlicher Kausalitätsnachweis oder eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, vielmehr muss sich das Gericht den tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad an Gewissheit begnügen, der verbleibenden Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (Sänger, Zivilprozessordnung, 9. Auflage 2021, § 286 Randnr. 13).
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Sowohl der Kläger als auch seine Ehefrau schilderten den Vorgang nachvollziehbar. Es lagen auch erkennbar keine Absprachen vor, weil sich die Eheleute hinsichtlich der Zeitangaben, wie nach dem Zeitablauf zu erwarten, in Nuancen unterschieden. Beide räumten auch Umstände, die sie nicht mehr wussten, stets ein. Auch nachdem die noch vorhandenen Videos einen Zeitstempel vom 31.01.2023 trugen, blieben der Kläger und seine Ehefrau, dass zu diesem Zeitpunkt jedoch kein Baulärm mehr geherrscht hat.
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Die Angaben des Klägers und seiner Ehefrau decken sich auch mit den in Augenschein genommenen Videos. Auf diesen war der lauten Baulärm deutlich nachvollziehbar. Es war des Weiteren zu erkennen, dass sich im Poolbereich – schon aufgrund des Baulärms nachvollziehbar – niemand aufgehalten hat.
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Gegen die Glaubhaftigkeit der Aussagen spricht auch nicht, dass die Videos einen anderen Zeitstempel tragen. Hier ist vielmehr nachvollziehbar, dass die Videos wohl ursprünglich mit dem mittlerweile defekten Handy aufgenommen wurden. Vorgespielt konnten nach Angaben des Klägers nur noch zwei Videos, die an die Beklagte übermittelt wurden (bei dieser wohl aber nie ankamen). Bei dem Zeitstempel handelt sich dabei möglicherweise um eine fehlerhafte Einstellung des verwendeten Computerprogramms oder um den Versendezeitpunkt. Dies ließ sich nicht mehr aufklären. Zweifel daran, dass die Aufnahmen im Hotel gemacht wurden, bestehen jedoch nicht. Es bestanden in keinster Weise Anhaltspunkte dafür, dass die Videos, wie von der Beklagten ins Blaue hinein angedacht, mittels KI oder anderen Möglichkeiten verändert wurden. Bei den Geräuschen handelt es sich im Übrigen auch in keinster Weise um Geräusche, die bei der Reparatur einer Toilette entstehen können. Bei der Inaugenscheinnahme der Videos handelte es sich auch nicht um einen Ausforschungsbeweis. Der Kläger hatte substantiiert den Baulärm vorgetragen und unter Beweis gestellt.
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Dass der Baulärm einen Reisemangel darstellt, ist offensichtlich. Dies gilt hier um so mehr, als das Hotel als ruhig (hinsichtlich Lage und Adults Only) beschrieben worden war.
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c) Der Kläger hat der Beklagten auch unstreitig die Mängel angezeigt gemäß § 651o BGB. Gemäß § 651o Abs. 1 BGB hat der Reisende dem Reiseveranstalter einen Reisemangel unverzüglich anzuzeigen. Das Gericht ist überzeugt, dass der Baulärm seit 11.1.2023 vorherrschte und unstreitig am 13.1.2023 erstmals der Beklagten angezeigt wurde. Ob die Anzeige am 13.1.2023 noch unverzüglich für den ab 11.1.2023 bestehenden Baulärm war, kann dahinstehen, weil der Kläger lediglich Ansprüche ab 13.1.2023 geltend macht. Nach den Angaben des Klägers und seiner Ehefrau, die sich mit den von beiden Seiten vorgelegten Unterlagen (Anlage B 1, B 2, Anlage K 2, K 3) decken, hat der Kläger den Reisemangel wiederholt angezeigt. Soweit die Beklagte die Auffassung vorträgt, der Kläger hätte ihr auch die Videos zur Verfügung stellen müssen, verfängt dies nicht. § 651o BGB sieht eine Mängelanzeige, keine Beweisführung vor. Für die Mängelanzeige genügt es, dass der Veranstalter Art und Umfang des Mangels erkennen kann (Grüneberg, a.a.O., § 651o Rdnr. 2). Aus dem vorgelegten E-Mail-Verkehr (Anlage K 3) ergibt sich, dass der Kläger, wie auch von der Beklagten verstanden, Baulärm geltend macht. Die Angabe, welche Geräte konkret den Baulärm verursachen und welche konkreten Bauarbeiten vorgenommen werden, ist nicht notwendig, damit die Beklagte Art und Umfang des Mangels erkennen kann.
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d) Dahinstehen kann, ob sich der Kläger – wie nicht – auf eine Abhilfe nach § 651k BGB verweisen lassen muss, weil das Gericht davon überzeugt ist, dass eine geeignete Abhilfe nicht vorgeschlagen wurde. Nach den glaubhaften (siehe oben) Angaben des Klägers und seiner Ehefrau wurde nur ein Zimmer angeboten, was noch näher am Baulärm lag sowie ein qualitativ anderes, weil wesentlich kleineres, Zimmer.
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e) Gemäß § 651m BGB mindert sich der Reisepreis für die Dauer des Reisemangels. Bei der Minderung ist der Reisepreis dabei in dem Verhältnis herabzusetzen, in welchem zur Zeit des Vertragsschlusses der Wert der Pauschalreise in mangelfreien Zustand zum wirklichen Wert gestanden haben würde. Die Minderung ist, soweit erforderlich, durch Schätzung zu ermitteln.
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Vorliegend dauerte der Reisemangel 14 Tage, von denen der Kläger 12 Tage, beginnend ab 13.1.2023 bis 27.1.2023, jeweils wochentags und am Samstag, dem 14.1.2023, geltend macht.
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Ausgangspunkt ist dabei der Reisepreis. Die Minderung ist in der Regel durch einen prozentualen Abschlag vom Reisepreis zu bestimmen, dessen Höhe und der Wert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und auch der Beeinträchtigung des Charakters der Reise zu ermitteln ist. (Grüneberg, a.a.O., § 651 m Rdnr. 4).
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Danach wird Baulärm durch die Gerichte sehr unterschiedlich bewertet und die Minderung zum Teil mit bis zu 90% bei ganztägigem Baulärm bemessen (zur Übersicht Münchner Kommentar zum BGB, 9. Auflage 2023, § 651 a Rdnr. 78). Andererseits werden auch wesentlich geringere Minderungssätze durch Rechtsprechung für angemessen erachtet (vgl. ADAG-Tabelle zur Preisminderung bei Reisemängel).
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Das Gericht hält vorliegend eine Reisepreisminderung in Höhe von 40% für angemessen, aber auch ausreichend. Dabei hat das Gericht berücksichtigt, dass der Kläger ausweislich der Reisebeschreibung ein ruhiges Hotel gebucht hat. Statt des gebuchten ruhigen Hotels (Adults Only, ruhige Lage) in einer Suite, befand er sich tatsächlich mit seiner Frau über weite Zeiträume in einer Suite auf einer lauten Baustelle. Das Gericht hat einerseits zu Gunsten der Beklagten berücksichtigt, dass der Kläger nebst Ehefrau, wie geplant, teilweise sein Training für den …lauf durchführen konnte, weil die Insel selbst vom Baulärm nicht betroffen war. Andererseits musste berücksichtigt werden, dass in den verbleibenden Stunden der Baulärm für die Kläger aus demselben Grund, der zur zeitweisen Abwesenheit und damit der Begünstigung der Beklagten geführt hat, für den Kläger und seine Frau erheblich war. Bei den Eheleuten handelt es sich um …läufer. Wie allgemein bekannt, setzt ein Extremsport auch eine extrem gute mentale Verfassung voraus. Das Gericht hat dabei auch berücksichtigt, dass der Beklagten wohl nicht bekannt war, dass es sich bei dem Kläger und seiner Ehefrau um …läufer handelt, andererseits muss die Beklagte davon ausgehen, dass Reisende, die ein ruhiges Hotel buchen, auch der Ruhe bedürfen.
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Die Reise dauerte unstreitig vom 05.01.2023 bis 02.02.2023. Zwischen den Parteien ist streitig, wie vielen Kalendertagen dies entspricht. Die Reisedauer betrug 29 Kalendertage. Dies ergibt sich einerseits, wenn die Kalendertage gezählt werden. Berücksichtigt man eine Zählweise im 24Stunden-Rhythmus, so ergeben sich ebenfalls 29 Tage, weil der Kläger der Uhrzeit nach am 2.2.2023 später zurückgekehrt ist, als er am 5.1.2023 abgereist ist.
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Die Berechnung des Reisepreises beträgt ausweislich der Buchungsbestätigung (Blatt 39/42) 7.389,00 EUR. Für den von der Beklagten behaupteten geringeren Reisepreis bestehen keinerlei Anhaltspunkte.
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Die Minderung berechnet sich daher wie folgt:
„7.389,00 EUR : 29 Tage x 12 Tag Baulärm x 40% = 1.223,- EUR.“
II. Entschädigung für nutzlos aufgewendete Urlaubszeit
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Dem Kläger steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 1.200,00 EUR wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit aus §§ 651a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, 2, 4, 651i Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3 Nr. 7, 651n Abs. 2 BGB zu.
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1. Der Kläger ist als Buchender hinsichtlich aller Mängelansprüche aus § 651i Abs. 3 BGB aktiv legitimiert (siehe oben). Dies gilt auch für den Schadensersatzanspruch (Grüneberg, a.a.O., § 651n Rdnr 8).
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2. Gemäß §§ 651n Abs. 2, 651i Abs. 3 Nr. 7, 651 a BGB kann der Reisende wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen, wenn die Pauschalreise erheblich beeinträchtigt wird.
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Wie dargelegt lag eine Pauschalreise vor. Diese wurde an 14 Tagen, von denen 12 geltend gemacht werden, durch Baulärm beeinträchtigt.
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Bei diesem handelt es sich auch um eine erhebliche Beeinträchtigung. Eine erhebliche Beeinträchtigung liegt vor, wenn bei einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls die Mängel unter Berücksichtigung der Urlaubsart den Urlaub ganz oder teilweise als vertan erscheinen lassen (BeckOK, BGB, 67 Edition, Stand 1.8.2023, § 651 n Rdnr. 18 m.w.N.). Auf eine starre Minderungsquote kommt es nicht mehr an, wobei eine Minderungsquote ab 35% eine erhebliche Beeinträchtigung indiziert (Beck OK, a.a.O.). Bei nur vorübergehender Beeinträchtigung muss die Abwägung lediglich hinsichtlich der beeinträchtigten Tage eine erhebliche Beeinträchtigung ergeben (Beck OK, a.a.O.). Danach lag vorliegend eine erhebliche Beeinträchtigung vor. Die Minderungsquote beträgt 40%. Nach den Umständen des Einzelfalls, die sich auch in den Schilderungen des Klägers und der Ehefrau wiederfanden, bestehen keine Zweifel daran, dass sie ihren Urlaub in den Baulärm geprägten Tagen als vertan ansehen. Dies ist aufgrund des massiven Baulärms auch gerechtfertigt. Trotz des Umstandes, dass die Eheleute einen Teil des Tages nutzen konnten und einzelne Tage Baulärmfrei waren, ist aufgrund der vorliegenden Gesamtumstände von einer erheblichen Beeinträchtigung der Reise auszugehen.
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Dies beruht auf einer Würdigung der Gesamtumstände. Es ist zu berücksichtigen, dass die Eheleute am 05.01.2023 anreisten. Sodann konnten sie vom 06.01. – 10.01.2013, also 5 Kalendertage, die von ihnen begehrte, gebuchte und teuer bezahlte Ruhe genießen. Ein langfristiger Erholungseffekt konnte jedoch – anders als gebucht – nicht eintreten, weil schon nach am 6. Urlaubstag (11.01.2023) massiver Baulärm begonnen hat. Dass der Kläger davon abgesehen hat, die ersten 2 Tage Baulärm geltend zu machen, weil er davon ausgegangen ist, dass er sich auf die Angabe des Hotels, dass es sich um eine Notreparatur einer Toilette handele, verlassen könne, ändert am tatsächlichen Vorliegen des Baulärms nichts. Sodann war über einen Zeitraum von 17 Tagen, unterbrochen durch 3 Tage Ruhe, tagsüber an Erholung im Hotel nicht zu denken. Erst anschließend konnten sich die Eheleute wieder über 5 Tage (28.01.-01.02.2023) erholen, bevor sie am 02.02.2023 die Rückreise angetreten haben. Stellt man die gebuchte Erholung über einen Zeitraum von 27 Tagen (29 Tage -2 Tage Anreise/Abreise) dem entgegen, dass lediglich 2 kurzfristige 5-tägige, 1 1-tägige, und 1 2-tägige Erholungsphase, unterbrochen von langen Baulärmphasen, erreicht werden konnten, kommt man nicht umhin, die Urlaubszeit als erheblich beeinträchtigt anzusehen. Das Gericht hält unter Berücksichtigung des Charakters der Reise und des erheblichen Reisepreises eine Entschädigung in Höhe von 100,00 EUR für die vom Baulärm geprägten 14 Tage, von denen der Kläger 12 geltend macht, für angemessen. Die Entschädigung tritt neben die Minderung (§ 651 i Abs. 3 BGB). Nachdem der Kläger die Entschädigung pro Tag auf mindestens 80,00 EUR bezifferte, ist das Gericht nicht gehindert, einen höheren Betrag festzusetzen.
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Die Entschädigung berechnet sich daher wie folgt:
12 Tage Baulärm x 100,00 EUR = 1.200,00 EUR.
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3. Anhaltspunkte für einen Ausschluss des Schadensersatzanspruches aufgrund der Voraussetzung des § 651n Abs. 1 BGB sind weder ersichtlich noch von der darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten dargetan. Insbesondere sind die Voraussetzungen des § 651n Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht erfüllt. Danach besteht kein Schadensersatzanspruch, wenn der Reisemangel von einem Dritten verschuldet wurde, der weder Leistungserbringer ist noch in anderer Weise an der Erbringung der von dem Pauschalreisevertrag umfassten Reiseleistungen beteiligt ist und für den Reiseveranstalter nicht vorhersehbar oder vermeidbar war. Die Beklagte hat dazu nicht vorgetragen.
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Die Zinsentscheidung beruht auf § 280,286, 288 BGB.
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Der Anspruch auf vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten beruht auf §§ 280, 286, 288 BGB. Die vorgerichtliche Einschaltung eines Rechtsanwalts war auch aus Sicht eines wirtschaftlich denkenden Geschädigten erforderlich. Der Kläger musste auch trotz der geringfügigen Kompensationsangebote der Beklagte nicht davon ausgehen lassen, dass diese sich von Einschaltung eines Rechtsanwalts unbeeindruckt zeigen würde.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 713 ZPO.
57
Für den Kläger war die Berufung hinsichtlich der teilweisen Klageabweisung nicht zuzulassen. Die Voraussetzungen des § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO liegen nicht vor. Die zugrunde liegenden Rechtsfragen sind höchstrichterlich geklärt. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung. Das Gericht weicht nicht von obergerichtlicher Rechtsprechung ab.