Titel:
Energieverbrauchskennzeichnung: Rechtswidrige gesetzeswiederholende Verfügung der Marktüberwachungsbehörde
Normenketten:
VwGO § 52 Nr. 3
VO (EU) 2019/1020 Art. 16, Art. 18, Art. 39
VO (EU) 2017/1369 Art. 8 Abs. 1, Art. 20
VO (EG) Nr. 765/2008 Art. 19, Art. 21
EnVKG § 3 Abs. 1, § 8, § 9 Abs. 2
BayVwZVG Art. 37 Abs. 1 S. 2
Leitsatz:
Die Rechtsgrundlage des § 8 Abs. 3 S. 1, S. 2 Nr. 2 EnVKG lässt nur die Anordnung produktbezogener erforderlicher Maßnahmen zu, hingegen nicht bloße gesetzeswiederholende Verfügungen. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Marktüberwachung, Festlegung eines Rahmens für die Energieverbrauchskennzeichnung, Energieverbrauchskennzeichnung, gesetzeswiederholende Verfügung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 50496
Tenor
I.Der Bescheid des Beklagten vom 13. April 2023 in der Fassung vom 9. November 2023 wird aufgehoben.
II.Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III.Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Streitgegenstand des Verfahrens ist ein Bescheid, den der Beklagte auf das Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz (EnVKG) stützt.
2
Das Gewerbeaufsichtsamt Schwaben hat als Marktaufsichtsbehörde seit 11. Juli 2017 stichprobenhaft und Produktgruppen übergreifend bei der Klägerin, die im Online-Handel tätig ist, auf der Webseite der Klägerin die Ausführung der Produktkennzeichnung mit dem Energieverbrauchs-Label überprüft. Das Gewerbeaufsichtsamt Schwaben stellte bei der Überwachung des Onlinehandels auf www. …de Kennzeichnungsmängel in verschiedener Ausprägung fest und meldete diese an die Klägerin mit Schreiben vom 28. September 2018 (Bl. 169f. der Behördenakte Teil 1 – BA1) zurück unter Aufzeigen der Art der Mängel und der Aufforderung, diese abzustellen. Mit Schreiben vom 2. Juli 2021 (Bl. 93f. BA1) wurde auf die eigenverantwortliche Einhaltung der Energieverbrauchskennzeichnungsvorschriften hingewiesen, zum Abstellen der Mängel durch freiwillige Korrekturmaßnahmen unter Fristsetzung aufgefordert und auf die verschiedensten Kennzeichnungsmängel unter Beifügung einer Auflistung der Mängel samt Screenshots hingewiesen. Ähnliches erfolgte in Besprechungen mit der Klägerin, zuletzt in der Besprechung vom 2. Dezember 2022 – mit Präsentation durch das Gewerbeaufsichtsamt Schwaben (Bl. 337ff. BA4) – mit Vertretern der Klägerin der Niederlassung Deutschland, die im Nachgang zum Bußgeld-Einziehungsbescheid vom 29. September 2022 erfolgte. Mit dieser Bußgeld-Einziehungsanordnung (Bl. 25ff. BA3) wurde ein Wert des Tatertrags in Höhe von 285.000 EUR eingezogen, weil auch nach dem 5. Oktober 2021 mindestens 2.850 kennzeichnungspflichtige Gerätemodelle ohne vorgeschriebene Energieverbrauchskennzeichnung im Onlinehandel der Klägerin angeboten wurden. In dieser Präsentation, die auch die Klägerin als Datei erhielt, des Gewerbeaufsichtsamts in der gemeinsamen Besprechung ist dargestellt, wer bei … auf der …-Händler-Seite für die Behebung der Mängel bei der Energieverbrauchskennzeichnung verantwortlich ist, nämlich die Klägerin, und zum anderen war die Verantwortlichkeit für die …-Drittanbieter-Seite …de Marketplace) mit Fragezeichen als offen gekennzeichnet. Im Schreiben des Gewerbeaufsichtsamts vom 10. Januar 2023 (Bl. 335ff. BA4) wurden Mängel aufgelistet, die zum einen auf der …-Händler-Seite, zum anderen auf …de Marketplace festgestellt wurden. In diesem Schreiben wurde im Nachgang zur Präsentation in der Besprechung vom 2. Dezember 2022 auch festgehalten, dass seitens der Klagepartei für Verstöße auf …de Marketplace als Adressat … … … … … * … … … … … … … * … …, Gesetzlicher Vertreter … … benannt wurde. Im Laufe der Kommunikation zwischen den Beteiligten wies die Klägerin wiederholt auf vielfältige Schwierigkeiten bei der Umsetzung hin und bekundete ihr Bemühen. Die Klägerin meldete mit Email vom 24. Januar 2023 zurück, dass … zusätzliche Audits (System-Prüfungen) durchführe und bestätigte die im Schreiben des Gewerbeaufsichtsamts vom 10. Januar 2023 genannte Verantwortlichkeit von … Services Europe … für den Betrieb des …de Marketplace (Bl. 319ff. BA4). Stichproben-Überprüfungen des Gewerbeaufsichtsamts Schwaben am 15. März 2023 (Bl. 275ff. BA4) und am 3. April 2023 auf der …-Händler-Webseite bei Klimageräten ergaben, dass bei 18 Klimageräten Kennzeichnungsmängel (komplettes Fehlen, Unvollständigkeit / Fehlerhaftigkeit) – an beiden Terminen unverändert – festgestellt wurden. Es fand am 3. April 2023 ein Telefonat statt (vgl. Email vom 3.4.2023, Bl. 245 BA4). Aus der Begründung des streitgegenständlichen Bescheids ergibt sich, dass vor dessen Erlass keine schriftliche Anhörung der Klägerin erfolgte; die weitere Vorgehensweise des Gewerbeaufsichtsamts Schwaben wurde in diesem Telefonat angekündigt.
3
Das Gewerbeaufsichtsamt Schwaben erließ gegenüber der Klägerin den streitgegenständlichen Bescheid vom 13. April 2023 (Bl. 251ff BA4):
4
Nr. 1 Sie haben unverzüglich, spätestens bis zum 10.5.2023 sicherzustellen,
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dass Sie in Ihrer Funktion als Händler (Verkauf und Versand durch …*) auf der Website www. …de Produkte, die unter die Energieverbrauchskennzeichnungsvorgaben des Energieverbrauchskennzeichnungsgesetzes EnVKG, der Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung EnVKV oder eines delegierten Rechtsaktes fallen, der auf Grundlage der Rahmenverordnung zur Energieverbrauchskennzeichnung Verordnung (EU) 2017/1369 bzw. der RL 2010/30/EU erlassen wurde, mit der vorgeschriebenen Energieverbrauchskennzeichnung bereitstellen, zum Kauf anbieten oder bewerben.
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Nr. 2 Die sofortige Vollziehung der Nr. 1 wird angeordnet.
7
Nr. 3 Für den Fall der Missachtung wird für jedes Produkt, welches auf Ihrer Website ohne, mit unvollständiger oder fehlerhafter Energieverbrauchskennzeichnung bereitgestellt, zum Kauf angeboten oder beworben wird, ein Zwangsgeld von 10.000,- € fällig. Das Zwangsgeld kann so oft und so lange eingezogen werden, bis die Verpflichtung erfüllt ist.
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Nr. 4 Dieser Bescheid ergeht kostenfrei.
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Als materiell-rechtliche Rechtsgrundlagen des streitgegenständlichen Bescheides wurden benannt für:
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- Nr. 1: § 8 Abs. 3 Nr. 2 EnVKG i.V.m. §§ 5 und 6a EnVKV i.V.m. Anlage 1 und den Verordnungen der Europäischen Union nach Anlage 2 EnVKV [Anlage 1 und 2 = delegierte Rechtsakte]
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- Nr. 3: Art. 1 Abs. 1, Art. 2, Art. 16 Abs. 3, Art. 10 Kostengesetz (KG)
13
In der Begründung des Bescheides wurde zu dessen Nr. 1 explizit ausgeführt: „Die Anordnung sei erforderlich, da sich die Firma … … … Niederlassung Deutschland durch mündliche Aufforderungen nicht zu gesetzeskonformen Handeln animieren ließ. Angesichts dessen, dass in der Anordnung lediglich der Gesetzesinhalt wiedergegeben ist, ist die Belastung als äußerst gering zu werten.“ Ausführungen zur pflichtgemäßen Ermessensausübung und Verhältnismäßigkeit der Anordnung folgten. In der Begründung des Bescheides zu dessen Nr. 3 wurde u.a. ausgeführt, die Zwangsgeldandrohung erfolge in pflichtgemäßer Ermessensausübung, um die Klägerin nachdrücklich zur Erfüllung ihrer Verpflichtung nach Nr. 1 des Bescheides anzuhalten. Die Klägerin habe durch das bereits durchgeführte Ordnungswidrigkeiten-Verfahren nicht zur vollständigen Einhaltung der Vorschriften angehalten werden können. Das Zwangsgeld sei das am geringsten belastende Zwangsmittel. Die Zwangsgeldhöhe sei im Hinblick auf das wirtschaftliche Interesses am Vertrieb der Produkte angemessen. Es soll den Händler motivieren, die Händlerpflichten zukünftig wahrzunehmen. Pflichtverstöße dürften sich nicht lohnen. Auf die Begründung des Bescheides wird im Übrigen verwiesen. Der Bescheid wurde der Klägerin am 18. April 2023 zugestellt (Bl. 257f. BA4).
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Die Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheides vom 13. April 2023 wurde in der mündlichen Verhandlung am 9. November 2023 aufgehoben.
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Die Klägerin ließ durch ihre Bevollmächtigten am 8. Mai 2023 beim Verwaltungsgericht München Klage erheben und zuletzt beantragen,
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den Bescheid des Beklagten vom 13. April 2023 in der Fassung vom 9. November 2023 aufzuheben.
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Der Anordnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheids, einer gesetzeswiederholenden Anordnung, mit der keine Maßnahme getroffen werden, fehle es an der Rechtsgrundlage. Bei einer gesetzeswiederholenden Anordnung handele es sich schon um keine Maßnahme im Sinn des § 8 Abs. 3 Nr. 2 EnVKG. Die Anordnung sei unverhältnismäßig und ermessensfehlerhaft. Die einzelnen Aspekte werden näher ausgeführt. In Ermangelung eines vollstreckbaren Grundverwaltungsaktes in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides sei auch dessen Nr. 3 gemäß Art. 29 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz (VwZVG) rechtswidrig. Darüber hinaus halte die Zwangsgeldandrohung die wesentlichen Voraussetzungen des Art. 36 VwZVG nicht ein. Die Androhung des Zwangsgeldes sei unverhältnismäßig und fehlerhaft. Die einzelnen Aspekte werden näher ausgeführt.
18
Der Beklagte habe seine Verfügung auf eine unanwendbare Rechtsgrundlage gestützt, jedenfalls die maßgeblichen Rechtsgrundlagen des Unionsrechts verkannt. Die Anordnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides sei auf § 8 Abs. 3 Nr. 2 EnVKG gestützt; diese Rechtsgrundlage sei hier wegen vorrangigen Unionsrechts jedoch nicht anwendbar. Stattdessen hätte der Beklagte die Anordnung auf die vorrangigen Art. 8 bzw. 9 VO (EU) 2017/1369 – unter Beachtung der dortigen zusätzlichen Vorgaben zu den materiellen und formellen Anforderungen an behördliche Marktüberwachungsmaßnahmen – stützen müssen. Hingewiesen wird darauf, dass die in der VO (EU) 2017/1369 in Bezug genommene VO (EG) Nr. 765/2008 durch die VO (EU) 2019/1020 ersetzt wurde und nunmehr deren Bestimmungen zur Marktüberwachung, insbesondere die Art. 14-21 VO (EU) 2019/1020 gälten, aber vom Beklagten nicht eingehalten worden seien. Die einzelnen Aspekte werden näher ausgeführt.
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Auf die Klagebegründung vom 8. Mai 2023 und vom 2. November 2023 wird im Übrigen verwiesen.
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Der Beklagte beantragt
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Im Klageverfahren erwiderte der Beklagte nicht. Im Antragsverfahren zur Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage (M 24 S 23.2282) erwiderte der Beklagte am 16. Mai 2023 und 30. Mai 2023 auch in Bezug auf die Nummern 1 und 3 des Bescheides vom 13. April 2023. § 8 EnVKG sei eine taugliche Rechtsgrundlage für die Anordnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides. § 8 Abs. 2 EnVKG gewähre den Marktüberwachungsbehörden in Form einer Generalklausel die notwendigen Befugnisse zur Durchsetzung der Einhaltung der Pflicht zur Verbrauchskennzeichnung. Die Aufzählung in Satz 2 sei nicht abschließend. Die Wahl der Maßnahme habe sich am Zweck zu orientieren. Das EnVKG diene der Information der Kaufwilligen bei der Geräteauswahl. Durch Nachfrage und Kauf energieeffizienter Geräte würden Geräteherstelle motiviert, nur effiziente Produkte anzubieten und die Entwicklung umweltfreundlicher Produkte und Technologien voranzutreiben. Die Zwangsgeldandrohung gemäß Art. 18, 19, 31 und 36 VwZVG ergehe zu einem mit Verwaltungszwang durchsetzbaren Verwaltungsakt in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides. Dieser sei hinreichend konkret. Die Klägerin könne unproblematisch feststellen, dass ein Zwangsgeld immer dann – und nur dann – fällig werde, wenn entgegen der unzweifelhaft bestehenden Verpflichtung, Produkte, die unter das EnVKG fallen, ohne korrekte Energiekennzeichnung unmittelbar am beworbenen Produkt auf der Webseite www.amazon.de eingestellt werden. Die Zwangsgeldfestsetzung sei erforderlich, geeignet und angemessen. Die Höhe des Zwangsgeldes orientiere sich an Art. 31 Abs. 2 VwZVG. Da trotz mehrfacher Aufforderungen und entsprechender Zusagen nach mehr als vier Jahren immer noch Verstöße festgestellt worden seien und ein weiteres Zuwarten dem Schutz der Umwelt und der Energieversorgung nicht dienlich sei, sei die Anordnung von Verwaltungszwang erforderlich. Auf die Ausführungen in den Schriftsätzen vom 16. Mai 2023 und 30. Mai 2023 wird im Übrigen verwiesen.
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Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten M 24 K 23.2281 und M 24 S 23.2282 und die beigezogene Behördenakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
24
Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 13. April 2023 in der Fassung vom 9. November 2023 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Er war aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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1. Das Verwaltungsgericht München ist für die Entscheidung des Rechtsstreits nach § 52 Nr. 3 Satz 2 VwGO örtlich zuständig.
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Die Regierung von Schwaben – Gewerbeaufsichtsamt – hat regierungsbezirksübergreifend die besondere sachliche und örtliche Zuständigkeit nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Verordnung über gewerbeaufsichtliche Zuständigkeiten (ZustV-GA) in Verbindung mit der zugehörigen Anlage Nr. 38.2 für die Verordnung (EU) 2019/1020 – Marktüberwachung bezüglich produktbezogener Anforderungen beim Vollzug des Energieverbrauchsrelevante-Produkte-Gesetzes und des Energieverbrauchskennzeichnungsgesetzes. Die Klägerin – … … … Niederlassung Deutschland – als Beschwerte hat ihren Sitz im Gerichtsbezirk des Verwaltungsgerichts München. Im Verwaltungsverfahren hat sich … … … Niederlassung Deutschland als die verantwortliche „Organisationseinheit“ für die Webseite www. …de in der Funktion als Händler (Verkauf und Versand durch …*) zur Umsetzung der Energieverbrauchskennzeichnungspflichten für den online-Handel geriert. Darüber hinaus hat sie in Abgrenzung dazu für die Webseite in der Funktion als Drittanbieter – … Marketplace – konkret eine andere konzerninterne Verantwortlichkeit benannt.
27
Innerhalb des Verwaltungsgerichts München ist die 24. Kammer für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits aufgrund des Beschlusses des Präsidiums des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 29. Juni 2023 zuständig.
28
2. Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ist der geltende Rechtsrahmen zu beachten.
29
2.1. Europarechtlich ist die einschlägige Rechtsmaterie in zwei Bereichen, getrennt voneinander, geregelt worden: zum einen der Bereich der Marktüberwachung und zum anderen der Bereich der Festlegung eines Rahmens für die Energieverbrauchskennzeichnung. Die Regelungen im Bereich der Marktüberwachung sind quasi konzentriert, wie vor die Klammer gezogen worden und stellen die Grundlage dar für die Harmonisierung einer Vielzahl von unionsrechtlichen Harmonisierungsrechtsvorschriften, darunter als Nr. 68 im Anhang I in der Liste der Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union zu Art. 2 der Verordnung (VO) (EU) 2019/1020 gelistet: Verordnung (EU) 2017/1369 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. Juli 2017 zur Festlegung eines Rahmens für die Energieverbrauchskennzeichnung und zur Aufhebung der RL 2010/30/EU (ABl. L 198 vom 28.7.2017, S. 1).
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Im Einzelnen gilt für den Bereich Marktüberwachung:
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Die Verordnung VO (EU) 2019/1020, ausgefertigt am 20. Juni 2019, in Kraft ab 15. Juli 2019, mit Geltung ab 16. Juli 2021 (bzw. teilw. ab 1.1.2021 – vgl. Art. 44). Die VO (EU) 2019/1020 ist unmittelbar gültig in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union und in allen Teilen verbindlich.
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Die VO (EU) 2019/1020 löst die VO (EG) Nr. 765/2008 ab, soweit in dieser Marktüberwachung geregelt war (Aufhebung dieser Regelungen) und aktualisierte die Neuregelung der Marktordnung vgl. Art. 39 Abs. 1 VO (EU) 2019/1020.
33
Art. 39 Abs. 2 VO (EU) 2019/1020 regelt, dass Bezugnahmen auf die aufgehobenen Bestimmungen der VO (EG) Nr. 765/2008 als Bezugnahmen auf die Bestimmungen der vorliegenden Verordnung gelten und nach Maßgabe der Entsprechungstabelle in Anhang III der VO (EU) 2019/1020 zu lesen sind.
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In Kapitel V der VO (EU) 2019/1020, insb. in Art. 14 bis 18, sind die Befugnisse und Maßnahmen der Marktüberwachung geregelt.
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Im Einzelnen gilt für den Bereich Festlegung eines Rahmens für die Energieverbrauchskennzeichnung (mit dazu erlassenen delegierten Rechtsverordnungen / Rechtsakten je Produktgruppe):
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Die Verordnung VO (EU) 2017/1369, ausgefertigt am 4. Juli 2017, in Kraft und mit Geltung ab 1. August 2017 (vgl. Art. 21). Die VO (EU) 2017/1369 ist unmittelbar gültig in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union und in allen Teilen verbindlich.
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Die VO (EU) 2017/1369 löst die RL 2010/30/EU (vgl. Art. 20 Abs. 1 (VO (EU) 2017/1369) ab, weil eine Aktualisierung als Verordnung nötig ist, damit inhaltlich klare und ausführliche Bestimmungen, die eine abweichende Umsetzung durch die Mitgliedstaaten ausschließen, gelten, damit eine größere Harmonisierung in der gesamten Union sichergestellt ist (vgl. Erwägungsgründe 4, 6 der VO (EU) 2017/1369).
38
Art. 20 Abs. 2 VO (EU) 2017/1369 regelt, dass Bezugnahmen auf die aufgehobene RL 2010/30/EU als Bezugnahmen auf die vorliegende Verordnung gelten und nach Maßgabe der Entsprechungstabelle in Anhang III der VO (EU) 2017/1369 zu lesen sind. Art. 20 Abs. 4 VO (EU) 2017/1369 und Erwägungsgründe 38, 42 VO (EU) 2017/1369 bestimmen die Weitergeltung delegierter Rechtsakte auf der Grundlage des Art. 10 RL 2010/30/EU bis zu ihrer Aufhebung / Ersetzung durch delegierte Rechtsakte (delegierte VO) auf der Grundlage des Art. 16 VO (EU) 2017/1369.
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Art. 8 Abs. 1 VO (EU) 2017/1369 regelt, dass für Produkte, die von dieser Verordnung und von einschlägigen delegierten Rechtsakten erfasst sind, die Artikel 16 bis 29 der VO (EG) Nr. 765/2008 gelten. In Art. 39 Abs. 1 VO (EU) 2019/1020 werden die Artikel 15 bis 29 der VO (EG) Nr. 765/2008 aufgehoben. In Art. 39 Abs. 2 VO (EU) 2019/1020 ist geregelt, dass Bezugnahmen auf die aufgehobenen Bestimmungen der VO (EG) Nr. 765/2008 als Bezugnahmen auf die Bestimmungen der VO (EU) 2019/1020 gelten und nach Maßgabe der Entsprechungstabelle in Anhang III der VO (EU) 2019/1020) zu lesen sind; mithin ist Art. 21 VO (EG) Nr. 765/2008 als Art. 18 VO (EU) 2019/1020 zu lesen und Art. 19 VO (EG) Nr. 765/2008 ist aufgesplittet zu lesen in diversen Artikeln der VO (EU) 2019/1020.
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2.2. Als nationale Rechtsbestimmungen sind einschlägig:
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Das Energieverbrauchskennzeichnungsgesetz (EnVKG) vom 10. Mai 2012, in Kraft ab 17. Mai 2012, zuletzt geändert durch Art. 10a G. v. 16. Juli 2021 I 3026: Darin werden Regelungen zur Marktüberwachung im Bereich der Energieverbrauchs-Kennzeichnung getroffen. Ausweislich der Gesetzesbegründung in der Bundestagsdrucksache 17/8427, S. 1ff dient das EnVKG der Umsetzung der RL 2010/30/EU in nationales Recht. Daneben erfolgt in dieser Neufassung des EnVKG die Anpassung des EnVKG an die VO (EG) Nr. 765/2008 (vgl. zu § 8 EnVKG: BT Drs. 17/8427, S. 27f.). Einschlägig ist des Weiteren die Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung (EnVKV) vom 30. November 1997, gültig ab 6. November 1997.
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2.3. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts ist zwingend zu beachten.
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D.h. das primäre und das sekundäre Unionsrecht haben unbedingten Anwendungs-Vorrang vor jeglichem Recht der EU-Mitgliedstaaten mit der Folge, dass die nationale Norm nicht angewendet werden darf, soweit sie gegen Unionsrecht verstößt. Das Bundesverfassungsgericht erkennt den Anwendungsvorrang des Unionsrechts vor dem nationalen Recht einschließlich des Grundgesetzes an. Danach ist europäisches Recht vorrangig anzuwenden und verdrängt im Konfliktfall also nationales Recht, wenn der Widerspruch nicht durch eine europarechtskonforme Auslegung der staatlichen Vorschriften aufgelöst werden kann (st. Rspr. des EuGH, vgl. EuGH, U.v. 15.07.1964 – C-6/64 Costa / E.N.E.L und EuGH, U.v. 17.12.1970 – Rs. 11/71 Internationale Handelsgesellschaft; BVerfG, B.v. 22.10.1986 – 2 BvR 197/83).
44
Bei einer Kollision von einfachem nationalem Recht mit Unionsrecht führt die Prüfungs- und Nichtanwendungskompetenz dazu, dass eine nationale Regelung, die im Widerspruch zu EU-Primär- oder -Sekundärrecht steht, von der Verwaltung und den Gerichten unangewendet zu lassen ist.
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3. Im ersten Schritt ist demnach zu prüfen, ob die herangezogene nationale Rechtsgrundlage überhaupt eine geeignete Rechtsgrundlage für die getroffene Anordnung darstellt, deren Rechtsqualität vorausgehend zu klären ist, (unter 3.1. und 3.2.) und im zweiten Schritt, ob die nationale Rechtsgrundlage im Einklang mit Europarecht steht (unter 3.3.).
46
3.1. In Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides ordnet das Gewerbeaufsichtsamt Schwaben als Marktüberwachungsbehörde an, dass die Klägerin als Händlerin sicherzustellen hat, dass sie auf ihrer Webseite die energieverbrauchskennzeichnungspflichtigen Produkte mit der vorgeschriebenen Energieverbrauchskennzeichnung bereitstellt, zum Kauf anbietet und bewirbt.
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Hierbei handelt es sich um eine verkappte Untersagungsverfügung als präventive Maßnahme zur Verhütung künftiger gesetzeswidriger Produktbereitstellung, -anbietung und -bewerbung durch die Klägerin. Die Anordnung ist deshalb eine verkappte Untersagungsverfügung, weil § 3 Abs. 1 EnVKG kein Verbot, sondern ein Gebot enthält und der Klägerin als Normadressatin aufgegeben wird, die Gebotseinhaltung sicherzustellen, damit kein gebotswidriger Zustand eintritt. Die verkappe Untersagungsverfügung ist tatsächlich eine Eingriffsverfügung, denn die Anordnungsbehörde „verlangt etwas“. § 3 Abs. 1 EnVKG enthält faktisch eine Unterlassungspflicht.
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Bei der in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides gegenständlichen Anordnung liegt eine „Nachbildung“ nämlicher Anordnungen aus dem Bereich des nationalen Sicherheits- / Ordnungs- / Polizeirechts vor: Speziell im Gewerberecht, Gaststättenrecht, Tierschutzrecht oder im Bereich unbefugter straßenrechtlicher Sondernutzungen sind entsprechende Anordnungen zu finden, sei es auf spezialgesetzlicher Rechtsgrundlage oder auf der Rechtsgrundlage des Art. 7 Abs. 2 Landesstraf- und Verordnungsgesetzes (LStVG) als sicherheitsrechtlichem Auffangtatbestand basierend.
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Bei der in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides getroffenen Verfügung handelt es sich um einen gesetzeskonkretisierenden bzw. (synonym gebraucht) gesetzeswiederholenden Verwaltungsakt. Ein gesetzeskonkretisierender Verwaltungsakt zeichnet sich dadurch aus, dass mit ihm gesetzliche Ge- oder Verbote gegenüber dem Normadressaten konkretisiert werden.
50
Für einen gesetzeskonkretisierenden Verwaltungsakt ist eine spezielle Eingriffsermächtigung erforderlich. Ein gesetzeskonkretisierender Verwaltungsakt setzt nicht (zwingend) eine konkrete Gefahr im Sinn des Gefahrenabwehrrechts voraus; ein hinreichender Regelungsanlass kann sich auch aus Meinungsverschiedenheiten zwischen Behörde und Normadressaten über den Inhalt eines normierten Verbots ergeben (vgl. BVerwG, U.v. 23.2.2011 – 8 C 50/09 – juris 28- 31 zum in § 6 S. 2 LadöffnG normierten Verkaufsverbot). Gesetzeskonkretisierende Verwaltungsakte sind nicht per se rechtswidrig; sie sind als zulässig im Gewerberecht, Sicherheitsrecht und allgemeinem Ordnungsrecht anerkannt (vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2010 – 10 CS 09.1734 – juris 17f.). Gesetzeskonkretisierende Verwaltungsakte finden ihre Rechtsgrundlage, sofern keine spezialgesetzlichen Regelungen bestehen, in Generalermächtigungen der jeweiligen Gesetze (z.B. mit dem Wortlaut: „zur Einhaltung der Vorschriften dieses Gesetzes die erforderlichen Anordnungen treffen kann“; vgl. BayVGH, B.v. 18.12.1998 – 7 ZS 98.1660 – juris 46f.; VG Neustadt (Weinstraße), B.v. 2.4.2020 – 5 l 333/20.NW – juris Rn. 18 m. Verweis auf VGHBW, U.v. 22.12.1992 – 14 S 2326/91 – juris). Die Generalermächtigungen der jeweiligen Gesetze (z.B. „zur Einhaltung der Vorschriften dieses Gesetzes die erforderlichen Anordnungen treffen kann“) weisen mit ihrer „kann“-Befugnis ein Entschließungsermessen „ob“ und als Auswahlermessen „wie“ des Einschreitens auf – getragen von der Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes (vgl. VG München, U.v. 11.7.2022 – M 26a K 20.6341 – juris 31, 36ff. mit Hinweis auf obergerichtl. Rspr. insb. BayVGH, B.v. 18.12.1998 – 7 ZS 98.1660 – juris 46f.; BayVGH, B.v. 12.3.2010 – 10 CS 09.1734 – juris 17f.). Gesetzeswiederholende Verfügungen werden im nationalen Recht allgemein für zulässig angesehen, wenn sie ein unmittelbar geltendes gesetzliches Verbot oder Gebot für den Einzelfall konkretisieren und es mit Zwangsmitteln vollziehbar machen (vgl. VG München, U.v. 11.7.2022 – M 26a K 20.6341 – juris 31, 36ff. mit Hinweis auf obergerichtl. Rspr. insb. BayVGH, B.v. 18.12.1998 – 7 ZS 98.1660 – juris 46f.; BayVGH, B.v. 12.3.2010 – 10 CS 09.1734 – juris 17f.). Bei ständigen Gesetzesverstoßwiederholungen kann ein gesetzeskonkretisierendes Unterlassungsgebot auch dazu berechtigen, sich den Vorteil eines Vollstreckungstitels nach Art. 19 Abs. 1 VwZVG zu verschaffen (vgl. BayVGH, B.v. 12.3.2010 – 10 CS 09.1734 – juris 17).
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3.2. Die gesetzeskonkretisierende Verfügung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides kann nicht auf § 8 Abs. 3 S. 1, S. 2 Nr. 2 EnVKG als Rechtsgrundlage gestützt werden. Die Rechtsgrundlage des § 8 Abs. 3 S. 1, S. 2 Nr. 2 EnVKG lässt nur die Anordnung produktbezogener erforderlicher Maßnahmen zu, hingegen nicht bloße gesetzeswiederholende Verfügungen.
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3.2.1. § 8 Abs. 2 bis Abs. 4 EnVKG folgen zum einen einer aufeinander aufbauenden Struktur. Zum anderen ist auf jeder Stufe ein zueinander korrelierendes Agieren der Marktüberwachungsbehörde, Reagieren des Wirtschaftsakteuers und hierauf folgend des weiteren Reagierens der Marktüberwachungsbehörde vorgesehen.
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§ 8 Abs. 2, Abs. 3 und Abs. 4 EnVKG lauten:
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(2) Die Marktüberwachungsbehörden treffen die erforderlichen Maßnahmen, wenn sie den begründeten Verdacht haben,
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dass die Verbrauchskennzeichnung oder sonstige Produktinformationen nicht die Anforderungen dieses Gesetzes, einer Rechtsverordnung nach § 4 oder einer Verordnung der Europäischen Union erfüllen.
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Sie sind insbesondere befugt,
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1. anzuordnen, dass ein Produkt von einer der in § 5 Absatz 4 Nummer 1 bis 5 genannten Stellen oder Personen überprüft wird,
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2. für den zur Prüfung zwingend erforderlichen Zeitraum vorübergehend zu verbieten, dass ein Produkt angeboten oder ausgestellt wird, sofern dies nach der Art des Produkts und dem Ausmaß der zu erwartenden wirtschaftlichen Einbußen zumutbar ist.
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Die Marktüberwachungsbehörde widerruft oder ändert eine Maßnahme nach den Sätzen 1 und 2, wenn der Wirtschaftsakteur nachweist, dass er wirksame Maßnahmen ergriffen hat.
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(3) Stellen die Marktüberwachungsbehörden anhand der nach Absatz 1 oder 2 oder § 10 erfolgten Überprüfungen fest,
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dass die Verbrauchskennzeichnung oder sonstige Produktinformation nicht den Anforderungen dieses Gesetzes, einer Rechtsverordnung nach § 4 oder einer Verordnung der Europäischen Union entsprechen, so treffen sie die erforderlichen Maßnahmen.
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Sie sind insbesondere befugt,
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1. Maßnahmen anzuordnen, die gewährleisten, dass eine unrichtige oder unvollständige Verbrauchskennzeichnung oder sonstige Produktinformationen korrigiert werden,
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2. Maßnahmen anzuordnen, die gewährleisten, dass ein Produkt erst dann angeboten oder ausgestellt wird, wenn die einer Rechtsverordnung nach § 4 oder in einer Verordnung der Europäischen Union festgelegten Anforderungen erfüllt sind.
65
Die Marktüberwachungsbehörde widerruft oder ändert eine Maßnahme nach den Sätzen 1 und 2, wenn der Wirtschaftsakteur nachweist, dass er wirksame Maßnahmen ergriffen hat.
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(4) Bei Fortdauern des nach Absatz 3 festgestellten Verstoßes treffen die Marktüberwachungsbehörden die erforderlichen Maßnahmen.
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Sie sind insbesondere befugt,
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1. das Anbieten oder Ausstellen eines Produkts zu untersagen,
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2. das Inverkehrbringen eines Produkts zu untersagen,
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3. die Rücknahme oder den Rückruf eines Produkts anzuordnen oder diese sicherzustellen,
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4. zu untersagen, dass ein energieverbrauchsrelevantes Produkt im Sinne des § 2 Nummer 4 der Energieverbrauchskennzeichnungsverordnung vom 30. Oktober 1997 (BGBl. I S. 2616), die zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 10. Mai 2012 (BGBl. I S. 1070) geändert worden ist, in Betrieb genommen wird.
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Die Marktüberwachungsbehörde widerruft oder ändert eine Maßnahme nach den Sätzen 1 und 2, wenn der Wirtschaftsakteur nachweist, dass er wirksame Maßnahmen ergriffen hat.
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§ 8 Abs. 3 EnVKG als Rechtsgrundlage für die Verfügung erforderlicher Maßnahmen ist eingebettet in eine aufbauende Struktur unterschiedlicher Ebenen: begründeter Verdacht der Marktüberwachungsbehörden, erfolgte Überprüfungen der Marktüberwachungsbehörden und Fortdauern festgestellter Verstöße nach § 8 Abs. 3 durch die Marktüberwachungsbehörden.
74
Auf jeder der in § 8 Abs. 2 bis Abs. 4 EnVKG genannten Ebenen stattet der Gesetzgeber die Markaufsichtsbehörde mit der Befugnis aus, erforderliche Maßnahmen zu treffen und verdeutlicht im jeweiligen Satz 2 durch Benennung welcher Art die erforderliche Maßnahme zu sein hat. Wenngleich die Benennung der Maßnahmemöglichkeiten in den jeweiligen Sätzen 2 nicht abschließend ist („insbesondere“), ist die Notwendigkeit der Produktbezogenheit der anzuordnenden erforderlichen Maßnahme als zwingendes Erfordernis auf der Hand liegend. Dies bestätigt sich auch darin, dass der Gesetzgeber durch den jeweiligen Satz 3 in § 8 Abs. 2 bis 4 EnVKG ein wechselweises Agieren von Marktüberwachungsbehörde und Wirtschaftsakteur festgelegt hat. Die Marktüberwachungsbehörde hat bei nachweislichem Reagieren des Wirtschaftsakteuers ihre angeordnete Maßnahme zu widerrufen (oder die angeordnete Maßnahme abzuändern). Dies setzt denknotwendig eine produktbezogene angeordnete Maßnahme voraus; eine gesetzeswiederholende Anordnung hat gerade keine konkrete Maßnahmenanordnung zum Gegenstand. Bei Fehlen einer konkret angeordneten Maßnahme wird bereits nicht der gestuften Struktur von § 8 Abs. 2 bis Abs. 4 EnVKG Rechnung getragen. Entscheidend ist, dass ohne konkret angeordnete Maßnahme der Wirtschaftsakteur nicht mit einem seinerseitigen Maßnahmennachweis als Befolgung einer konkret angeordneten Maßnahme reagieren kann, die schlussendlich angesichts der Erfüllung einer angeordneten Maßnahme die Marküberwachungsbehörde zum Widerruf (oder Abänderung) ihrer angeordneten Maßnahme „zwingt“. Grundvoraussetzung dieses „Maßnahmen-Ping-Pongs“ ist, eine produktbezogene konkrete Maßnahme. Eine bloße Gesetzeskonkretisierung beinhaltet nicht die erforderliche konkrete Maßnahme als Ausgangspunkt zur Herbeiführung der Rechtskonformität der Produktanbietung.
75
3.3. Jede andere Anwendung und Lesart des § 8 EnVKG, insbesondere die des Beklagten, dass § 8 Abs. 3 EnVKG auch Rechtsgrundlage einer gesetzeskonkretisierenden Anordnung sein könnte, widerspricht Art. 16 VO (EU) 2019/1020.
76
Eine Handhabung des § 8 EnVKG als Rechtsgrundlage einer gesetzeskonkretisierenden Anordnung, wie vom Beklagten in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides angeordnet, führt wegen der dann vorliegenden Kollision von einfachem nationalem Recht mit Unionsrecht aufgrund der Prüfungs- und Nichtanwendungskompetenz dazu, dass eine nationale Regelung, die im Widerspruch zu EU-Primär- oder -Sekundärrecht steht, von der Verwaltung und den Gerichten unangewendet zu lassen ist.
77
Ziel und Zweck der Marktüberwachungsmaßnahmen in Art. 16 VO (EU) 2019/1020 lassen nur zu, dass die Marktüberwachungsbehörden geeignete Maßnahmen produktbezogener Art ergreifen. Ziel und Zweck der Marktüberwachungsmaßnahmen sind einerseits Produktsicherheit (Art. 16 Abs. 1 a) VO (EU) 2019/1020) und andererseits – im vorliegenden Fall einschlägig –, dass ein Produkt, für das die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union gelten, den geltenden Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union entspricht. Alle in Art. 16 Abs. 2 bis Abs. 5 VO (EU) 2019/1020 angesprochenen zu ergreifenden „Korrekturmaßnahmen“ sind konkret und produktbezogen.
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Die unmittelbar geltende und in allen Teilen verbindliche VO (EU) 2019/1020 hat zum Ziel, die Funktionsweise des Grundsatzes des freien Warenverkehrs zu verbessern, indem die Marktüberwachung der unter die EU-Harmonisierungsvorschriften fallenden Produkte verstärkt wird. Die VO (EU) 2019/1020 legt Rechtsvorschriften und Verfahren für Wirtschaftsakteure sowie ein System für ihre Zusammenarbeit mit den Aufsichtsbehörden fest.
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Die Anordnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides ist unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen materiell-rechtlich rechtswidrig, da sie keine Rechtsgrundlage hat.
80
4. Die Herangehensweise des Beklagten, die streitgegenständliche Anordnung zu erlassen ohne vorausgehende Anhörung mit Mindestzeitraum von zehn Tagen zur Äußerung zur konkret zu treffenden Maßnahme, widerspricht den dem Wirtschaftsakteur in Art. 18 VO (EU) 2019/1020 eingeräumten und zu gewährleistenden Verfahrensrechten in dem in der VO (EU) 2019/1020 vorgesehenen System der Zusammenarbeit mit den Aufsichtsbehörden. Sie widerspricht auch § 9 Abs. 2 EnVKG, soweit er mit Art. 18 Abs. 3 VO (EU) 2019/1020 (vormals: Art. 21 Abs. 3 VO (EG) Nr. 765/2008) gleichlautend ist.
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§ 9 Abs. 1 und Abs. 2 EnVKG regeln:
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(1) Die Stichprobenkontrollen und Maßnahmen der Marktüberwachungsbehörden im Sinne des § 8 Abs. 1 bis 4 sind gegen den jeweils betroffenen Wirtschaftsakteur gerichtet.
83
(2) Der nach Absatz 1 betroffene Wirtschaftsakteur ist vor Erlass der Maßnahme nach § 8 Abs. 2 bis 4 gemäß § 28 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) mit der Maßgabe anzuhören, dass die Anhörungsfrist nicht kürzer als zehn Tage sein darf. Wurde eine Maßnahme getroffen, ohne dass der Wirtschaftsakteur gehört wurde, wird ihm so schnell wie möglich Gelegenheit gegeben, sich zu äußern. Die Maßnahme wird daraufhin umgehend überprüft.
84
§ 9 Abs. 2 EnVKG widerspricht mit seiner Anwendung des Absatz 2 und Absatz 3 des § 28 VwVfG aber dem Art. 18 Abs. 3 VO (EU) 2019/1020, soweit darin das Absehen von der Anhörung zugelassen ist oder deren Unterbleiben zulässig ist.
85
Eine Heilung des vorliegenden Verfahrensfehlers sieht die VO (EU) 2019/1020 nicht vor. Die Anordnung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides ist unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen formell-rechtlich rechtswidrig.
86
5. Die Verfügung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheides ist rechtswidrig.
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Die Rechtswidrigkeit der angeordneten Zwangsvollstreckungsmaßnahme beruht bereits auf der Rechtswidrigkeit der Grundverfügung in Nr. 1 des streitgegenständlichen Bescheides.
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Darüber hinaus ist die Verfügung in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheides auch für sich genommen bereits rechtswidrig, da sie Art. 37 Abs. 1 S. 2 VwZVG widerspricht.
89
Der Beklagte sieht in Nr. 3 des streitgegenständlichen Bescheides vor, dass für den Fall der Missachtung für jedes Produkt, das auf der Webseite der Klägerin ohne, mit unvollständiger oder fehlerhafter Energieverbrauchskennzeichnung bereitgestellt, zum Kauf angeboten oder beworben wird ein Zwangsgeld von 10.000,- EUR fällig wird. Das Zwangsgeld kann so oft und so lange eingezogen werden, bis die Verpflichtung erfüllt ist.
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Art. 37 Abs. 1 S. 2 VwZVG lässt nicht die fortdauernd wiederholende Einziehung zu, sondern lediglich die Anwendung des Zwangsmittels bis zur Erfüllung der Verpflichtung zu. Es bedarf der wiederholenden Androhung unter Fristsetzung.
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6. Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung (ZPO).