Inhalt

LG Bamberg, Endurteil v. 22.12.2023 – 41 S 21/23 WEG e
Titel:

Notwendigkeit des Bewusstseins der Änderung des Kostenverteilungsschlüssels bei einer Beschlussfassung nach § 16 Abs. 2 S. 2 WEG

Normenketten:
WEG § 16 Abs. 2 S. 1, S. 2, § 18 Abs. 2, § 19 Abs. 2 Nr. 2, § 45
BGB § 139
Leitsätze:
1. Die Wohnungseigentümer müssen sich bei der Beschlussfassung darüber bewusst sein, dass sie eine von dem bislang geltenden Verteilungsschlüssel abweichende Regelung treffen. (Rn. 33 und 35 – 46) (redaktioneller Leitsatz)
2. Sowohl bei der Beschlussfassung über die Jahresabrechnung als bei der Beschluss über einen einen Kostenverteilungsschlüssel für eine konkrete Maßnahme muss die Neuregelung des Kostenverteilungsschlüssels so transparent und nachvollziehbar gestaltet werden, dass sie einem verständigen und unbefangenen Leser bei der Durchsicht der Beschlusssammlung ohne Weiteres auffallen muss und auch für einen Sondernachfolger verständlich ist. (Rn. 45 – 46) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wohnungseigentum, ordnungsmäßige Verwaltung, Kostenverteilung, Änderung der Kostenverteilung, Bewusstsein, Änderungsbewusstein, Auslegung der Teilungserklärung, Transparenz, Einzelmaßnahme, Jahresabrechnung
Vorinstanz:
AG Würzburg, Urteil vom 22.06.2023 – 30 C 31/23 WEG
Fundstellen:
LSK 2023, 50433
ZMR 2024, 597
BeckRS 2023, 50433

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Würzburg vom 22.06.2023, Az. 30 C 31/23 WEG, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Würzburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
- Beschluss
- Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 32.812,50 € festgesetzt.
-

Entscheidungsgründe

I)
1
Wegen der Feststellungen zur Tatsachengrundlage wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des Amtsgerichts Würzburg vom 22.06.2023 (Bl. 39 – 55 d. A. 30 C 31/23 WEG) Bezug genommen.
2
Im Endurteil vom 22.06.2023 erklärte das Amtsgericht Würzburg die in der Eigentümerversammlung der Beklagten (Wohnungseigentümergemeinschaft WEG … …-…, … Würzburg) vom 07.12.2022 zu TOP 3 gefassten Beschlüsse 10/2022,11/2022 und 12/2022 für ungültig. Die Ungültigkeitserklärung begründete das Gericht damit, dass die angefochtenen Beschlüsse nicht ordnungsmäßiger Verwaltung im Sinne der §§ 18 Abs. 2 Nummer 1 und 19 WEG entsprechen würden.
3
Weiter führte das Gericht aus, dass die Beschlüsse der Eigentümerversammlung vom 07.12.2022 nicht nur deklaratorischer Natur seien, sondern eine Änderung des Verteilungsschlüssels vorläge und eine Zustimmung des Verwalters nach § 13 Abs. 3 der Teilungserklärung vom 18.05.1978 sowie das Bewusstsein der Wohnungseigentümer, eine Änderung der Kostenverteilung vorzunehmen, erforderlich wäre. An beidem würde es fehlen. Das Amtsgericht zog in seiner Argumentation eine frühere Auslegung der Teilungserklärung vom 18.05.1978 durch das Amtsgericht Würzburg vom 08.08.1988 (Amtsgericht Würzburg in einem anderen Verfahren (UR II 40/88), Anlage K3) und durch das Landgericht Würzburg vom 07.06.1989 (Anlage K 4) heran und nahm zudem eine umfangreiche eigene Auslegung der streitgegenständlichen Teilungserklärung vor (vgl. Bl. 49 – 51 d. A. 30 C 31/23 WEG). Eine Gesamtschau der Auslegungskriterien (Systematik sowie Sinn und Zweck) führe dazu, dass es sich bei der Verwendung der Wörter „Alle Kosten“ lediglich um eine Formulierungsschwäche handele und dahingehend zu interpretieren sei, dass sich der nachträglich eingefügte Passus ausschließlich auf die „allgemeinen Betriebskosten“ beziehe. § 13 Abs. 2 der Teilungserklärung sei deshalb so zu verstehen, dass ausschließlich die allgemeinen Betriebskosten für die Aufzüge von den Wohnungseigentümern der Wohnungen Nr. 1 bis 32 zu tragen seien, jedoch nicht alle „Kosten“ (Modernisierung, Instandhaltung, Sanierung) der Aufzugsanlage. Für alle anderen Kosten, die nicht zu den allgemeinen Betriebskosten für die Aufzugsanlage gehören, gelte der normale Verteilungsschlüssel nach § 13 Abs. 1 der Teilungserklärung. Da die Kostenregelung in Beschluss 10/2022 nicht der Teilungserklärung entspreche und bei den Wohnungseigentümern zum Zeitpunkt der Beschlussfassung kein Bewusstsein zur Änderung des Verteilungsschlüssels gegeben war, sei der Beschluss 10/2022 hinsichtlich der Kostenregelung für ungültig zu erklären. Ohne „Grundlagenbeschluss“ widerspräche es ordnungsgemäßer Verwaltung im Sinne des §§ 18 Abs. 2 Nr. 1, 19 WEG über einen Wartungsvertrag samt Notrufvertrag und eine Sondervergütung der Hausverwaltung zu beschließen, sodass der Beschluss 10/2022 analog § 139 BGB insgesamt für ungültig zu erklären sei. Der Beschluss 11/2022 sei für ungültig zu erklären, da es ordnungsgemäßer Verwaltung im Sinne des §§ 18 Abs. 2 Nr. 1, 19 WEG widerspräche, über eine Bauüberwachung zu entscheiden, deren zugrundeliegender Beschluss 10/2022 („Baumaßnahme und Finanzierung“) für ungültig erklärt wurde. Aus demselben Grund sei auch Beschluss über die Sonderumlage (Beschluss 12/2022) infolge der Ungültigkeit des Grundsatzbeschlusses für ungültig zu erklären.
4
Hiergegen wendet sich die Beklagte in der Berufung, die ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft. Die Beklagte ist der Auffassung, dass die durch das erstinstanzliche Gericht vorgenommene Auslegung von § 13 der Gemeinschaftsordnung rechtsfehlerhaft sei. Das erkennende Gericht gebe ausschließlich die Meinungen des Amtsgerichts Würzburg sowie des Beschwerdegerichts aus einem früheren Verfahren zur alten Rechtslage wieder und schließe sich deren Auffassung nach eigener Würdigung an. Da die mit Maschinenschrift ergänzte Regelung unter Abs. 2 stehe, komme das Gericht zu dem Ergebnis, dass sich deswegen „alle Kosten“ nicht entgegen dem eindeutigen Wort auf alle Kosten beziehen soll, sondern nur auf die Betriebskosten. Hierbei werde verkannt, dass in Abs. 1 nur die allgemeine gesetzliche Regelung wiedergegeben wird, die gelten soll, soweit nicht in der Teilungserklärung oder im Verwaltervertrag etwas anderes bestimmt sei. Eine solche anderweitige Bestimmung folgt dann aber in Abs. 2. Die Regelung unter Abs. 6 besage, dass auch wenn das Wohnungseigentum nicht oder nur teilweise bewohnt wird oder von den vorhandenen Einrichtungen kein Gebrauch gemacht wird, trotzdem die Beiträge zur Hauskasse zu leisten seien, wodurch klargestellt werde, dass auch bei Leerstand der Wohnung die weiter anfallenden Kosten von dem jeweiligen Wohnungseigentümer zu tragen seien. Bei den Wörtern „alle Kosten“ handele es sich nicht lediglich um eine Formulierungsschwäche. Die vom Amtsgericht herangezogene Entscheidung des BGH vom 08.06.2018, Aktenzeichen V ZR 195/17 betreffe nicht den vorliegenden Fall, sondern § 16 WEG a.F.. Auch die Sachverhalte seien nicht vergleichbar. Den Eigentümern sei zwar gerade nicht klar gewesen, wie die Regelung der Teilungserklärung zu verstehen sei. Jedoch sei den Eigentümern klar gewesen, wie sie die Kosten verteilen wollen, nämlich nicht auf alle Eigentümer, sondern nur auf die, die den Aufzug auch nutzen können. Die Beklagte ist daher der Meinung, dass die Eigentümer klar und bewusst regeln wollten, dass die im Beschluss genannten Eigentümer die Kosten zu tragen haben.
5
Zudem sei die Zustimmung des Verwalters für die Änderung des Verteilungsschlüssels gemäß § 13 Abs. 3 erfolgt. Am Ende der Beschlüsse sei jedes Mal aufgeführt „damit ist der Beschluss mehrheitlich angenommen“. Damit habe der Verwalter zu verstehen gegeben, dass der Beschluss mehrheitlich angenommen ist und in dieser Feststellung liege auch die konkludente Zustimmung zur Änderung des Verteilungsschlüssels. Darüber hinaus ist die Beklagte der Auffassung, dass die Regelung, dass eine abweichende Kostenverteilung der Zustimmung des Verwalters bedarf, wegen § 16 Abs. 5, § 22 Abs. 2 Satz 2 WEG alte Fassung unwirksam sei. Nach diesen Vorschriften sind Vereinbarungen, die vor Inkrafttreten des WEMoG am 01.12.2020 getroffen wurden unwirksam, wenn sie die nach früherem Recht vorgesehenen Beschlusskompetenzen für die Kostenverteilung und für bauliche Veränderungen einschränkten. Solche Vereinbarungen seien unheilbar unwirksam und würden auch mit Aufhebung der Unwirksamkeit ausführenden Vorschrift durch das WEMoG nicht wieder aufleben. Denn auch ein Vertrag, der gegen ein gesetzliches Verbot verstößt, bedürfe nach Wegfall des Verbots, um Gültigkeit zu erlangen, grundsätzlich der Bestätigung durch einen neuen Vertragsschluss. Im Übrigen wird auf die Berufungsbegründung vom 31.07.2023 (Bl. 5- 9 d. A.) Bezug genommen.
6
Die Beklagte beantragt,
I) Unter Abänderung des am 22.06.2023 verkündeten Urteil des Amtsgerichts Würzburg, Az. 30 C 31/23 WEG die Klage abzuweisen.
II) Die Kläger und Berufungsbeklagten haben die Kosten der I. und II. Instanz zu tragen.
7
Die Kläger beantragen,
Zurückweisung der Berufung.
8
Die Kläger verteidigen das erstinstanzliche Urteil. Das Ausgangsgericht habe eine umfassende Auslegung der Teilungserklärung vorgenommen. Es sei zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Gesamtschau der Auslegungskriterien (Systematik sowie Sinn und Zweck) lediglich eine Interpretation dahingehend zulasse, dass der nachträglich eingefügte Passus sich ausschließlich „auf die allgemeinen Betriebskosten“ bezieht. Für den Fall, dass das Berufungsgericht dies in anderer Weise sehen sollte, weisen die Kläger darauf hin, dass in einer Entscheidung des Bayerischen Oberlandesgerichts (Bayer. Oberlandesgerichtes, NZM 99, 850) festgehalten worden sei, dass in dem Fall, in dem in einer Mehrhausanlage nur ein Teil der Häuser über einen Aufzug verfüge, gleichwohl die Aufzugskosten auf alle Wohnungseigentümer umzulegen seien, wenn nicht eine andere Kostenverteilung klar und eindeutig vereinbart wurde. Im Übrigen wird auf die Erwiderung der Kläger zum Berufungsvorbringen vom 19.10.2023 (Bl. 14 – 19 d. A.) Bezug genommen.
9
Die Parteivertreter haben in der mündlichen Verhandlung vom 24.11.2023 ihr Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erteilt, § 128 Abs. 2 ZPO. Mit Beschluss vom 24.11.2023 hat die Kammer als Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, den 01.12.2023 und als Verkündungstermin den 22.12.2023 bestimmt.
10
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 24.11.2023 (Bl. 20 – 22 d. A.) Bezug genommen.
II)
11
Die zulässige Berufung gegen das in erster Instanz ergangene Urteil des Amtsgerichts Würzburg vom 22.06.2023, Az. 30 C 31/23 WEG, hat in der Sache keinen Erfolg.
12
Die Berufung ist statthaft (§ 511 Abs. 1, 2 Nr. 1 oder Nr. 2 ZPO) und auch ansonsten zulässig (§§ 517, 519, 520 Abs. 1, 2, 3 ZPO).
13
In der Sache hat sie jedoch keinen Erfolg.
14
Das Amtsgericht hat in dem angefochtenen Urteil nach den tatsächlichen Feststellungen, auf die Bezug genommen wird, zu Recht die Beschlüsse, die in der Eigentümerversammlung der Beklagten vom 07.12.2022 zu TOP 3 unter 10/2022,11/2022 und 12/2022 gefasst wurden, für ungültig erklärt.
15
Die Entscheidung des Amtsgerichts Würzburg beruht weder auf einer Rechtsverletzung gemäß § 546 ZPO noch rechtfertigen die gemäß § 529 ZPO zugrundezulegenden Tatsachen eine andere Entscheidung.
1) Anfechtungsfrist gem. § 45 WEG gewahrt
16
Die materiell-rechtliche Ausschlussfrist zur Beschlussanfechtung wurde gewahrt.
17
Die Klageschrift vom 05.01.2023 wurde gem. § 45 S. 1 WEG innerhalb von einem Monat nach der Beschlussfassung in der WEG-Versammlung vom 07.12.2022 eingereicht und der Beklagten alsbald am 24.01.2023 (Bl. zu 8 d. A. 30 C 31/23 WEG) zugestellt. Die Begründung wurde innerhalb von zwei Monaten nach der Beschlussfassung mit Schriftsatz vom 07.02.2023 (Bl. 9 d. A. 30 C 31/23) bei Gericht eingereicht.
18
2) Die angegriffenen Beschlüsse vom 07.12.2022 zu TOP 3 unter 10/2022,11/2022 und 12/2022 widersprechen ordnungsgemäßer Verwaltung gem. § 18 Abs. 2 WEG und § 19 Abs. 2 Nr. 2 WEG.
19
Der Beschluss 10/2022 „Grundlagenbeschluss zur Baumaßnahme und Finanzierung für Aufzuganlagen sowie Notruf- und Wartungsvertrag“, der Beschluss 11/2022 „Bauüberwachung“ und der Beschluss 12/2022 „Sonderumlage für Aufzugmodernisierung“ wurden nach Ansicht der Kammer von den Wohnungseigentümern nicht in dem Bewusstsein zur Änderung des Verteilungsschlüssels zur Kostenregelung gefasst und widersprechen deshalb ordnungsgemäßer Verwaltung.
20
Die Wohnungseigentümer hatten am 07.12.2022 bei der Beschlussfassung nicht das Bewusstsein darüber, den Verteilungsschüssel der Teilungserklärung vom 18.05.1978 zu ändern. Sie gingen vielmehr von einer „Bestätigung dieses Verteilungsschlüssels“ aus.
a) Auslegung des § 13 der Teilungserklärung vom 18.05.1978
21
Die Kammer teilt sowohl die Auffassung des Amtsgerichts Würzburg zur Auslegung des § 13 der Teilungserklärung als auch die frühere Auslegung durch das Amtsgericht Würzburg vom 08.08.1988 (Amtsgericht Würzburg im Verfahren UR II 40/88, Anlage K3) und durch das Landgericht Würzburg vom 07.06.1989 (als Beschwerdegericht im Verfahren 3 I 1921/88, Anlage K 4).
22
Der umfangreichen und detaillierten Auslegung des Amtsgerichts Würzburg im Urteil vom 22.06.2023 wird vollumfänglich zugestimmt.
23
Da die Formulierung „Kosten der Aufzüge“ (Unterabsatz 2 zu Absatz 2 des § 13) in unmittelbarem Zusammenhang mit der Regelung der „allgemeinen Betriebskosten“ steht, sind unter diesen Aufzugskosten lediglich die allgemeinen Betriebskosten zu verstehen.
24
§ 13 Abs. 1 der Teilungserklärung regelt demnach die nicht auf den Betrieb anfallenden Kosten (Betriebskosten), mithin die generelle Kostentragung für das gemeinschaftliche Eigentum nach Miteigentumsanteilen.
25
Gerade die Einfügung des nachträglichen Zusatzes zur Kostentragung hinsichtlich der Aufzüge in Absatz 2 des § 13, dessen Anknüpfungspunkt die „allgemeinen Betriebskosten“ sind, und sich nicht nur auf die Aufzugskosten, sondern gerade auch auf die „Hausbetreuer, Strom- und Wasserkosten, Müllgebühren usw.“ beziehen, spricht in systematischer Konsequenz für diese Auslegung.
26
Daraus folgt, dass in der Teilungserklärung vom 18.05.1978 in § 13 Abs. 2 grundsätzlich nur ein von den Miteigentumsanteilen abweichender Verteilungsschlüssel für die allgemeinen Betriebskosten geregelt wurde und nur die allgemeinen Betriebskosten von den Eigentümern der Wohnungen Nr. 1 bis 32 zu tragen sind. Von diesem Kostenverteilungsschlüssel (ausschließlich Eigentümer der Wohnungen Nr. 1 bis 32) sind jedoch Modernisierungs- und Instandhaltungskosten gerade nicht umfasst.
27
Die Teilungserklärung vom 18.05.1978 hat demnach für die Instandhaltungskosten und Modernisierungskosten keinen abweichenden Verteilungsmaßstab vorgesehen.
b) Beschlusskompetenz der Wohnungseigentümer über den Verteilungsmaßstab gem. § 16 Abs. 2 S. 2 WEG
28
Grundsätzlich besaßen die Wohnungseigentümer am 07.12.2022 gem. § 16 Abs. 2 S. 2 WEG die Kompetenz im Beschlusswege für die Modernisierungskosten des Aufzugs eine eigenständige und auch von der Teilungserklärung abweichende Kostenverteilung zu regeln.
29
Alle anderen Kosten, auch bezüglich der Aufzüge, sind nach wie vor nach Miteigentumsanteilen im Sinne von § 16 Abs. 2 S. 1 WEG zu tragen.
30
Über die Verteilung der Kosten können die Wohnungseigentümer im Rahmen der ordnungsmäßigen Verwaltung nach billigem Ermessen frei entscheiden. Sie können darüber beschließen, „ob“ sie die Kostenverteilung abweichend vom bisher geltenden Verteilungsschlüssel regeln und „wie“, also nach welchem abweichenden Maßstab, die Kosten künftig verteilt werden sollen (vgl. Bärmann/Becker, 15. Aufl. 2023, WEG § 16 Rn. 126).
31
Neben einer Verteilung nach Verbrauch oder Verursachung ist auch eine Verteilung nach Wohn- oder Nutzfläche, nach Personenzahl oder nach dem Maß des tatsächlichen bzw. möglichen Gebrauchs gemeinschaftlicher Einrichtungen zulässig (vgl. Bärmann/Becker, 15. Aufl. 2023, WEG § 16 Rn. 126).
32
So können die Wohnungseigentümer etwa beschließen, die Kosten für den Betrieb einer Aufzugsanlage lediglich den Eigentümern der oberen Stockwerke von Tiefgaragenstellplätzen anzulasten. Bei einer Mehrhausanlage kommt auch eine nach Häusern getrennte Kostenverteilung in Betracht (vgl. Rüscher ZWE 2015, 237 (238); Gottschalg DWE 2007, 40 jeweils zum alten Recht).
c) Kein Bewusstsein über Abänderung des Verteilungsschlüssels
33
Den Wohnungseigentümern muss jedoch auch bewusst sein, dass sie über eine abweichende Kostenverteilung beschließen.
34
Die Wohnungseigentümer gingen am 07.12.2022 jedoch nach Ansicht der Kammer davon aus, dass die Teilungserklärung so auszulegen sei, dass alle Kosten, die sich auf die Aufzüge beziehen, ausschließlich von den Wohnungseigentümern der Wohnungen Nr. 1 bis 32 zu tragen sind. Damit weichen sie in ihrem Beschluss von dem Inhalt der Teilungserklärung § 13 Abs. 2 Unterabsatz 2 ab, ohne sich darüber bewusst zu sein.
35
aa) Die Wohnungseigentümer müssen sich bei der Beschlussfassung darüber bewusst sein, dass sie einen von dem bislang geltenden Verteilungsschlüssel abweichende Regelung treffen (vgl. Bärmann/Becker, 15. Aufl. 2023, WEG § 16 Rn. 138; BeckOGK/Falkner, 1.5.2023, WEG § 16 Rn. 186; beide unter Verweisung auf BGH, Urt. v. 8.6.2018 – V ZR 195/17 (LG Itzehoe), NZM 2018, 905; Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 16 Rn. 59).
36
Die Kommentare verweisen im Rahmen des Beschlusswillens bei § 16 WEG darauf, dass aus dem Beschluss über eine abweichende Kostenverteilung hinreichend konkret hervorgehen muss, dass die Wohnungseigentümer das Bewusstsein hatten, eine Änderung der bisherigen Kostenverteilung zu beschließen.
bb) Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
37
Aus dem Urteil des BGH vom 08.06.2018 geht klar hervor, dass ein Beschluss über die Abänderung des Verteilungsschlüssels nur dann wirksam möglich ist, wenn die Wohnungseigentümer auch das Bewusstsein zur Abänderung des bisherigen Verteilungsschlüssels hatten (vgl. BGH, Urteil vom 08.06.2018 – V ZR 195/17 (LG Itzehoe), NZM 2018, 905)
38
Der Leitsatz des Urteils lautet:
39
Eine wirksame Änderung des bisher geltenden Verteilungsschlüssels durch Mehrheitsbeschluss gem. § 16 Abs. 3 WEG setzt voraus, dass aus dem Beschluss hinreichend konkret hervorgeht, dass die Wohnungseigentümer das Bewusstsein hatten, eine Änderung der bisherigen Kostenverteilung für künftige Abrechnungen zu beschließen (Bestätigung von Senat, NZM 2012, 174 = NJW 2012, 603 Rn. 12; NZM 2010, 622 = NJW 2010, 2654 Rn. 16).
„[…] Auch bei Bestehen einer entsprechenden Beschlusskompetenz setzt eine wirksame Änderung des bisher geltenden Verteilungsschlüssels durch Mehrheitsbeschluss voraus, dass aus dem Beschluss hinreichend konkret hervorgeht, dass die Wohnungseigentümer das Bewusstsein hatten, eine Änderung der bisherigen Kostenverteilung für künftige Abrechnungen zu beschließen (vgl. Senat, NZM 2012, 174 = NJW 2012, 603 Rn. 12; NZM 2010, 622 = NJW 2010, 2654 Rn. 16). Nur so ist die erforderliche Transparenz gewährleistet und die Neuregelung der Kostenverteilung insbesondere für einen Sonderrechtsnachfolger, der nach § 10 IV WEG an Beschlüsse gebunden ist, durch Einsicht in die Beschluss-Sammlung klar ersichtlich (vgl. BeckOGK WEG/Falkner, Stand 1.3.2018, § 16 Rn. 163). Dass die Wohnungseigentümer einen Beschluss gefasst haben, mit dem sie die Teilungserklärung ändern wollten, kann auf der Grundlage des Revisionsvorbringens nicht angenommen werden.
19aa) Soweit sich die Revision darauf stützt, dass der Vertrag über die technische Betreuung vom 15.9.2009 von den Wohnungseigentümern genehmigt worden sei, trägt dies die Annahme eines den bisherigen Verteilungsschlüssel ändernden Beschlusses nicht. Die Revision weist auf kein rechtserhebliches Vorbringen in den Tatsacheninstanzen hin, dass aus diesem Beschluss der Wille der Wohnungseigentümer deutlich wird, über die bloße Vertragsgenehmigung hinaus auch eine Änderung des Kostenverteilungsschlüssels der Teilungserklärung herbeizuführen.
20bb) Eine wirksame Änderung des Verteilungsschlüssels liegt auch nicht in dem zu TOP 4 gefassten Beschluss. Darin werden lediglich die im Jahr 2011 angefallenen Kosten der technischen Betreuung verteilt; eine abstrakt-generelle Regelung über die künftige Verteilung der Kosten enthält er hingegen nicht. […]“
40
cc) Diesem Grundsatz schließt sich die Kammer vollumfänglich an und wendet diesen auch im konkreten Fall an.
41
Zwar ist es richtig, dass der Sachverhalt, der der Entscheidung des BGH vom 06.08.2018 zugrunde liegt ein anderer war, als der vorliegende, da es um eine Änderung der bisherigen Kostenverteilung für künftige Abrechnungen ging. Auch in den weiteren Entscheidungen des BGH, auf die im Urteil vom 06.08.2018 Bezug genommen wurde, ging es im Ausgangspunkt darum, dass im Rahmen einer Abstimmung über die Jahresabrechnung und die Entlastung der Verwaltung ein anderer Verteilungsmaßstab bzw. Umlageschlüssel zugrunde gelegt wurde.
42
Jedoch differenziert die oben zitierte Literatur nicht nach Beschlüssen über die Jahresabrechnung und Beschlüssen, die konkret einen Kostenverteilungsschlüssel beinhalten.
43
Es wird dort (vgl. Bärmann/Becker, 15. Aufl. 2023, WEG § 16 Rn. 138; BeckOGK/Falkner, 1.5.2023, WEG § 16 Rn. 186; beide unter Verweisung auf BGH, Urt. v. 8.6.2018 – V ZR 195/17 (LG Itzehoe), NZM 2018, 905; Hügel/Elzer, 3. Aufl. 2021, WEG § 16 Rn. 59) allgemein bei der Beschlussfassung im Rahmen des § 16 Abs. 2 WEG darauf hingewiesen, dass eine wirksame Änderung des bisher geltenden Verteilungsschlüssels durch Beschluss stets voraussetze, dass die Wohnungseigentümer das Bewusstsein haben, eine Änderung der bisherigen Kostenverteilung zu beschließen.
44
Dies müsse aus dem in der Niederschrift protokollierten Inhalt eines Beschlusses hervorgehen.
45
Aus Sicht der Kammer kann es im Ergebnis keinen Unterschied machen, ob im Rahmen der Abstimmung über die Jahresabrechnung oder konkret über einen Kostenverteilungsschlüssel Beschluss gefasst wird.
46
In beiden Fällen muss die Neuregelung des Kostenverteilungsschlüssels so transparent und nachvollziehbar gestaltet werden, dass sie einem verständigen und unbefangenen Leser bei der Durchsicht der Beschlusssammlung ohne Weiteres auffallen muss und auch für einen Sondernachfolger verständlich ist (vgl. BGH, Urteil vom 9. 7. 2010 – V ZR 202/09 (LG Koblenz), NJW 2010, 2654).
47
Diesen Anforderungen wird der Beschluss 10/2022 zu TOP 3 nicht gerecht.
48
Aus dem Protokoll der Versammlung vom 07.12.2022 geht hervor, dass die Wohnungseigentümer zum Zeitpunkt der Beschlussfassung der Ansicht waren, dass der in der Teilungserklärung vom 18.05.1978 vereinbarte Verteilungsschlüssel bezüglich der Aufzüge (nur WE der Wohnungen Nr. 1 – 32) auch für die Kosten der Modernisierung geltend würde.
49
Sie gingen davon aus, dass alle Kosten, die sich auf die Aufzüge beziehen, ausschließlich von den Eigentümern der Wohnungen Nr. 1 bis 32 zu tragen seien.
50
Das ergibt sich aus dem Protokoll (Anlage K 1).
„Tagesordnungspunkt 3
Diskussion und Beschlussfassung über die weitere Vorgehensweise bezüglich der Sanierung der Aufzugsanlagen der Grundstückseinheit einschließlich Festlegung der Finanzierung.
Die Verwaltung hat nochmals geprüft, wer die Kosten für die Sanierung der Aufzüge tragen muss. Eine Gerichtsentscheidung konnte in den, der Hausverwaltung vorliegenden Unterlagen zu diesem Thema, nicht gefunden werden. Jedoch ist es, wie von Ihrem Verwaltungsbeirat Herrn … bereits in der letzten Versammlung mitgeteilt, so, dass gemäß § 13 (Nutzungen, Lasten, Kosten) (2) alle Kosten der Aufzüge in Haus A, E, 1 u. 2 nur von den Eigentümern der Wohnungen Nr. 1 bis 32 zu tragen sind.
Darunter sind nach Ansicht der Verwaltung auch die Kosten für die Modernisierung bzw. für zwei Ersatzanlagen zu subsumieren. […]“
51
Ausweislich des Protokolls war Ausgangspunkt der Entscheidung für die Wohnungseigentümer, dass § 13 der Teilungserklärung so zu verstehen sei, dass alle Kosten der Aufzüge ausschließlich von den Eigentümern der Wohnungen Nr. 1 bis 32 zu tragen sind. Die Verwaltung vertrat dabei die Ansicht, dass unter „alle Kosten“ auch die Kosten für die Modernisierung der Aufzüge zu fassen sind.
52
Entscheidungsgrundlage war für die Wohnungseigentümer ausweislich des Protokolls demnach die Auffassung, dass nach der Teilungserklärung grundsätzlich alle Kosten und damit auch die Kosten für die Modernisierung der Aufzüge von den Eigentümern der Wohnungen Nr. 1 bis 32 zu tragen sind. Auch die Ansicht der Verwaltung, dass unter „alle Kosten“ auch die Kosten für die Modernisierung der Aufzüge zu fassen sind, nahm dabei Einfluss auf das Meinungsbild der abstimmenden Wohnungseigentümer. Dies gerade aufgrund des Umstandes, dass über die Auslegung des § 13 der Teilungserklärung bereits in einer vorherigen Eigentümerversammlung gesprochen wurde und sogar Gerichtsentscheidungen zu diesem Thema in den Unterlagen der Hausverwaltung gesucht wurden.
53
Die Teilungserklärung ist jedoch anders auszulegen (s.o.) und so zu verstehen, dass lediglich die „allgemeinen Betriebskosten“ ausschließlich von den Eigentümern der Wohnungen Nr. 1 bis 32 zu tragen sind.
54
In der Folge trafen die Wohnungseigentümer in dem Beschluss 10/2022 die Entscheidung, dass „Die Kosten für die Modernisierung der zwei Aufzugsanlagen einschließlich der weiter anfallenden Kosten für etwaige Elektroarbeiten werden durch eine Sonderumlage finanziert, über die gesondert Beschluss gefasst wird und die von den Eigentümern der Wohnungen 1 – 32 gemäß der Miteigentumsanteile zueinander zu tragen ist.“
55
Damit weichen sie von dem Inhalt der Teilungserklärung in § 13 Abs. 2 Unterabsatz 2 ab, ohne sich darüber bewusst zu sein.
56
Die Wohnungseigentümer gingen ausweislich des Protokolls hier vielmehr davon aus, den Verteilungsschlüssel der Teilungserklärung zu bekräftigen und zu bestätigen Damit fehlte ihnen bei der Beschlussfassung das erforderliche Änderungsbewusstsein.
d) Rechtsfolge für die weiteren Beschlüsse
57
Der Beschluss 11/2022 und der weitere Beschluss 12/2022 sind gem. § 139 BGB analog ebenfalls für ungültig zu erklären.
58
Es widerspricht ordnungsgemäßer Verwaltung im Sinne des §§ 18 Abs. 2 Nr. 1, 19 WEG über eine Bauüberwachung und eine Sonderumlage zu entscheiden, deren zugrundeliegender Beschluss 10/2022(„Baumaßnahme und Finanzierung“) für ungültig erklärt wurde.
III)
59
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.
60
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.
IV)
61
Die Revision ist zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO vorliegen.
62
Die Fortbildung des Rechts gem. § 543 Abs. 2 Alt. 1 ZPO erfordert eine Entscheidung des Revisionsgerichts.
63
Die Kammer wendet die Rechtsprechung des BGH aus dem Urteil vom 08.06.2018 (BGH, Urteil vom 08.06.2018 – V ZR 195/17 (LG Itzehoe), NZM 2018, 905) an, wobei sich die Entscheidung ausdrücklich auf eine Änderung der bisherigen Kostenverteilung für künftige Abrechnungen bezieht und von der Grundkonstellation ausgeht, dass die Wohnungseigentümer im Rahmen eines Beschlusses über die Jahresabrechnung einen anderen, abweichenden Kostenverteilungsschlüssel zugrunde legen. Die Frage, ob die dort durch den BGH aufgestellten Grundsätze betreffend das Änderungsbewusstsein auch auf Beschlüsse Anwendung finden, die konkret einen anderen Verteilungsschlüssel regeln, wurde bislang noch nicht höchstrichterlich entschieden.
64
Die Beklagte hat ausdrücklich die Zulassung der Revision beantragt.
V)
65
Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf der nicht angegriffenen Festsetzung 1. Instanz.