Inhalt

OLG München, Beschluss v. 24.01.2023 – 5 U 7306/21
Titel:

Unentgeltliche Leistung an Anfechtungsgegner bei Zahlung in Kenntnis eines Rechtsmangels

Normenketten:
InsO § 134
BGB § 536 Abs. 3
Leitsatz:
Zahlt der Mieter eine Nutzungsentschädigung an den Vermieter in dem Wissen, dass das Grundstück der Zwangsverwaltung unterliegt, erbringt er eine anfechtbare unentgeltliche Leistung iSv § 134 InsO. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Insolvenzanfechtung, unentgeltliche Leistung, Zahlung, Kenntnis des Rechtsmangels, Miete, Grundstück, Beschlagnahme, Nutzungsentschädigung
Vorinstanzen:
OLG München, Hinweisbeschluss vom 05.12.2022 – 5 U 7306/21
LG München I, Endurteil vom 31.08.2021 – 6 O 7813/20
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 13.06.2024 – IX ZR 43/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 50412

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 31.08.2021, Aktenzeichen 6 O 7813/20, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagten haben als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des insgesamt vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 321.871,20 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Parteien streiten über Anfechtungsansprüche nach der Insolvenzordnung und in diesem Zusammenhang über die Wirksamkeit von Maßnahmen der Zwangsverwaltung.
2
Der Kläger ist Insolvenzverwalter in dem am 24.10.2018 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der N. C. GmbH (im Folgenden: Schuldnerin). Die Schuldnerin hatte von den Beklagten Räume in dem Anwesen M. 9 gemietet. Im Grundbuch eingetragene Eigentümerin des genannten Anwesens war die Ehegatten D. W. I GbR, die den Beklagten mit Vertrag vom 29.11.2007 Nutzung der Räume überließ.
3
Gegen die Beklagten betrieb die U. C. M. Sch. aus einer notariellen Grundschuldbestellungsurkunde die Zwangsvollstreckung. Mit Beschluss vom 25.08.2014 (Anl. K 5) ordnete das Amtsgericht München die Zwangsverwaltung des genannten Anwesens an und setzte RA E. A. als Zwangsverwalter ein. Als Schuldner nennt das Rubrum des Beschlusses die beiden Beklagten, jeweils mit dem Zusatz „als Gesellschafter(in) der Ehegatten D. W. I GbR“. Mit Beschluss vom 30.09.2015 wurde der Beitritt der P. BANK AG der R.bank O. zur Zwangsverwaltung zugelassen. Tatsächlich war die P. BANK AG der R.bank O. mit Verschmelzungsvertrag vom 28.05.2015 als übertragende Gesellschaft mit der R.bank O. Aktiengesellschaft als übernehmende Gesellschaft verschmolzen worden (vergleiche Anl. B 1, S. 1). Am 30.11.2015 nahm die U. C. M. Sch. ihren Antrag zurück.
4
Im Zeitraum vom 04.01.2016 bis 06.11.2017 leistete die Schuldnerin die insgesamt 23 streitgegenständlichen Überweisungen in Höhe von insgesamt 321.871,20 € an die Beklagten. Als Betreff war jeweils „Miete M.9“ angegeben. Am 25.11.2020 hob schließlich das Landgericht München I das Zwangsverwaltungsverfahren aus dem Beschluss des Amtsgerichts München – Vollstreckungsgericht – vom 30.09.2015, Az: 1514 L 30/14, mit dem der Beitritt der P.BANK AG der R.bank O. zur Zwangsverwaltung zugelassen würde, auf (vgl. Anl. B 3).
5
Hinsichtlich aller weiterer Einzelheiten zum Verfahren erster Instanz, auch hinsichtlich der dort gestellten Anträge, wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf das Urteil des Landgerichts München I vom 31.08.2021 Bezug genommen.
6
Das Landgericht hat die Klage zugesprochen, die Zwischenfeststellungswiderklage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, die von den Beklagten erhaltenen Zahlungen unterlägen gemäß §§ 134, 129, 142 InsO der Anfechtung. Die Leistungen seien unentgeltlich erfolgt, da die Beklagten der Schuldnerin die Sache nicht hätten überlassen können. Den Beklagten habe kein Recht zugestanden, die Sache entgeltlich zu vermieten. Das Recht zur Besitzeinweisung habe infolge der wirksam angeordneten Zwangsverwaltung bei dem Zwangsverwalter gelegen.
7
Gegen dieses Urteil, das beiden Beklagten jeweils am 21.10.2021 zugestellt worden ist, richtet sich deren Berufung, am 13.10.2021 eingelegt worden ist und nach Fristverlängerung für beide Beklagte bis 13.12.2021 jeweils an diesem Tag eingegangenen Schriftsätzen von beiden Beklagten begründet wurde.
8
In den annähernd gleichlautenden Berufungsbegründungen rügen die Beklagten die Verletzung materiellen Rechts und führen aus, dass das Landgericht die Vorgaben des Bundesgerichtshofs in dessen Urteil vom 20.01.2013, VII ZR 128/12 missverstanden habe. Der Beschluss des Amtsgerichts München vom 30.09.2015 habe sich nicht gegen die Eigentümerin, sondern ausdrücklich gegen beide Beklagte gerichtet. Insoweit sei der objektiv geäußerte Wille maßgeblich. Eine Rubrumsänderung scheitere bereits daran, dass die P.bank AG weder vorgetragen noch behauptet habe, dass die Beklagten, sondern die Eigentümerin als Vollstreckungsschuldnerin benennen wolle. Die P.bank AG habe, wie zuvor schon die Unitas, mit den Beklagten zwei an sich korrekte Bezeichnungen von tatsächlich existierenden Personen gewählt. Es habe unstreitig dem Willen der Vollstreckungsgläubigerin entsprochen, nicht die Eigentümerin, sondern die Beklagten als Vollstreckungsschuldner des Antrags zu benennen. Rechtswidrig sei auch die Auffassung des Erstgerichts, dass der Beschlagnahmebeschluss zugunsten der P.bank AG nicht nichtig, sondern lediglich rechtswidrig gewesen sei. Das Landgericht habe sich den Ausführungen in der Beschwerdeentscheidung vom 25.11.2020 ausdrücklich angeschlossen und damit anerkannt, dass der Antrag vom 23.09.2015 nicht von der R.bank O. AG gestellt worden sei. Daher sei auch der Beschluss vom 30.09.2015 zugunsten einer nichtexistenten Partei ergangen. Folglich sei rechtsfehlerhaft, dass das Landgericht wieder einen besonders schweren noch einen offenkundigen Mangel habe erkennen wollen. Der Beklagte zu 2 weist ergänzend darauf hin, dass dem Kläger bekannt sein sollte, dass die Beschlagnahme gemäß § 20 ZVG gegenüber dem jeweiligen betreibenden oder beigetretenen Gläubiger Wirkungen zeitige bzw. ein relatives Veräußerungsverbot bewirke.
9
Im Berufungsverfahren beantragen die Beklagten jeweils:
I. Das Endurteil vom 31.08.2021 wird aufgehoben.
II. Die Klage wird abgewiesen.
III. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
IV. Es wird festgestellt, dass der im Verfahren 1514 L 30/14 ergangene Beschlagnahmebeschluss vom 30.09.2015 mangels Parteifähigkeit der P.Bank AG der R.bank O. ins Leere ging und nichtig war, sodass er keinerlei Rechtswirkungen – auch nicht zugunsten des Klägers – entfalten konnte.
10
Der Kläger beantragt,
beide Berufungen zurückzuweisen.
11
Mit Beschluss vom 05.12.2022 hat der Senat auf seine Absicht hingewiesen, die offensichtlich unbegründeten Berufungen durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
12
Dem sind die Beklagten entgegengetreten. Der Senat verkenne, dass jeder Gläubiger eines Zwangsverwaltungsverfahrens ein eigenständiges Verfahren betreibe und daher die jeweilige Beschlagnahme mit Aufhebung des jeweiligen Einzelverfahrens ende. Die mit Beschluss vom 25.08.2014 angeordnete Beschlagnahme habe am 01.12.2015 mit der Aufhebung des Zwangsverwaltungsverfahrens der U. geendet. Entgegen den Feststellungen des Senats habe die betreibende Gläubigerin auch nicht unter „P.bank AG der R.bank Aktiengesellschaft“ firmiert, sondern unter „P.bank AG der R.bank O.“. Dementsprechend sei auch am 30.09.2015 der Beitrittsbeschluss erlassen worden. Dieser sei, wie in der Berufungsbegründung dargelegt, nichtig. Der Senat sei darüber hinaus auch an die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts in der Beschwerdeentscheidung vom 25.11.2020,16 T 12768/20, gebunden. Das Landgericht habe festgestellt, dass hinsichtlich der Gläubigerin, zu deren Gunsten die Zwangsvollstreckung betrieben werden solle, keinerlei Unklarheiten bestanden hätten. Auch der Kläger habe dies in der Berufungserwiderung nicht angegriffen.
13
Zur Ergänzung wird auf das Ersturteil, den zitierten Hinweisbeschluss des Senats sowie dem Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
14
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 31.08.2021, Aktenzeichen 6 O 7813/20, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
15
Das Landgericht hat zutreffend erkannt, dass der klagende Insolvenzverwalter die streitgegenständlichen Zahlungen gemäß §§ 129 Abs. 1, 134 Abs. 1, 143 Abs. 1 InsO anfechten kann und dass die Zwischenfeststellungswiderklage unbegründet ist. Zur Begründung kann zunächst auf den Hinweisbeschluss des Senats vom 05.12.2022 Bezug genommen werden; die weiteren Ausführungen der Beklagten rechtfertigen keine andere Betrachtung.
16
1. Die streitgegenständlichen Zahlungen, die sämtlich weniger als 4 Jahre vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (02.07.2018) erfolgten, benachteiligen die Insolvenzgläubiger, dass sie die Aktivmasse der Schuldnerin verkürzten (§ 129 Abs. 1 InsO). Dies zieht auch die Berufung nicht in Zweifel.
17
2. Die Zahlungen der Schuldnerin erfolgten an die beiden Beklagten unentgeltlich. In einem Zwei-Personen-Verhältnis ist eine Leistung als unentgeltlich anzusehen, wenn ein Vermögenswert des Verfügenden zugunsten einer anderen Person aufgegeben wird, ohne dass dem Verfügenden ein entsprechender Vermögenswert vereinbarungsgemäß zufließen soll. Für die Bewertung ist in erster Linie die objektive Wertrelation zwischen der Leistung des Schuldners und der Gegenleistung des Empfängers maßgeblich. Andernfalls könnten die Beteiligten allein dadurch, dass sie einer für den Schuldner objektiv wertlosen Leistung in ihren rechtsgeschäftlichen Erklärungen einen subjektiven Wert beimessen, den Zweck des Gesetzes vereiteln (BGH, Urteil vom 11. November 2021 – IX ZR 237/20 –, Rn. 50, juris). So verhält es sich hier, da die Schuldnerin in Kenntnis des Rechtsmangels (§ 536 Abs. 3 BGB) die Zahlungen an die Beklagten erbrachte.
18
a) Aus dem nun vorgelegten Aufhebungsbeschluss des Vollstreckungsgerichts vom 01.12.2015 (Anl. B 3) ergibt sich ausdrücklich, dass auch nach Rücknahme des Antrags durch die U. C. M. Sch. „die Beschlagnahme […] bestehen“ bleibt (Ausspruch zu 2.), dass also wie hingewiesen im Zeitraum vom 25.08.2014 bis 25.11.2020 die Verfügungsbefugnis über die Liegenschaft dem Zwangsverwalter zustand, an den auch die Nutzungsentschädigung zu entrichten war. Die Beschlagnahme endete erst mit dem konstitutiven Aufhebungsbeschluss des Vollstreckungsgerichts vom 25.11.2020 (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 10. Juli 2008 – V ZB 130/07 –, BGHZ 177, 218-224, Rn. 11 – 13, juris).
19
b) Für die fortwirkende Beschlagnahme des Grundstücks bildet der Beschluss vom 30.09.2015 (Anl. B 5) bis zu dessen Aufhebung eine wirksame Grundlage. Dieser war wie bereits hingewiesen nicht nichtig.
20
aa) Eine Unwirksamkeit ergibt sich nicht aus der verwendeten Bezeichnung der Schuldner in dem Beschluss vom 30.09.2015, der die Bezeichnung aus dem Beschluss des Amtsgerichts München vom 25.08.2014 (Anl. K 5) übernimmt. Es gilt daher nichts anderes, als das unter 2. des Hinweisbeschlusses unter Bezugnahme auf die dort nachgewiesene Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs Ausgeführte. Dieser Rechtsprechung, die erst kürzlich bestätigt wurde, folgt der Senat:
21
Wer Partei eines Zivilrechtsstreits ist, ergibt sich aus der in der Klageschrift gewählten Parteibezeichnung, die als Teil einer Prozesshandlung grundsätzlich der Auslegung zugänglich ist. Maßgebend ist, welcher Sinn dieser prozessualen Erklärung bei objektiver Würdigung des Erklärungsinhalts aus der Sicht der Empfänger (Gericht und Prozessgegner) beizulegen ist. Deshalb ist bei objektiv unrichtiger oder mehrdeutiger Bezeichnung grundsätzlich diejenige Person als Partei anzusehen, die erkennbar durch die fehlerhafte Parteibezeichnung betroffen werden soll. Für die Ermittlung der Parteien durch Auslegung ihrer Bezeichnung sind nicht nur die im Rubrum der Klageschrift enthaltenen Angaben, sondern auch der gesamte Inhalt der Klageschrift einschließlich etwaiger beigefügter Anlagen zu berücksichtigen.
22
Bei der Auslegung der von der Klagepartei gewählten Parteibezeichnung gilt der Grundsatz, dass die Klageerhebung gegen die in Wahrheit gemeinte Partei nicht an deren fehlerhafter Bezeichnung scheitern darf, wenn diese Mängel in Anbetracht der jeweiligen Umstände letztlich keine vernünftigen Zweifel an dem wirklich Gewollten aufkommen lassen. Bei der Auslegung von Prozesserklärungen ist ferner der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (BGH, Beschluss vom 10. August 2022 – VII ZR 62/22 –, Rn. 19 f., juris).
23
bb) Schließlich ergibt sich eine Unwirksamkeit des Beitrittsbeschlusses auch nicht daraus, dass die dort als Gläubiger genannte P. BANK AG der R.bank O. am 28.05.2015 mit der R.bank O. Aktiengesellschaft verschmolzen worden war. Entgegen den Ausführungen in der Stellungnahme der Beklagten ergibt sich aus der Beschwerdeentscheidung des Landgerichts München I vom 25.11.2020 (Anl. B 2) gerade nicht mit für den Senat bindender Wirkung, dass der Beitrittsbeschluss unwirksam sei. Vielmehr hat das Landgericht diesen Punkt ausdrücklich offengelassen (a.a.O., S. 8). Auf Fragen des Umfangs der Rechtskraft von Beschwerdeentscheidungen nach dem FamFG und die Anwendbarkeit von § 325 ZPO ist daher nicht weiter einzugehen.
24
3. Wie vom Landgericht ausgesprochen, ist die Hauptsacheforderung ab 05.12.2019 (vgl. Anl. K 4) gemäß § 143 Abs. 1 S. 3, §§ 286, 288 BGB zu verzinsen.
25
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
26
Ein Anlass für mündliche Verhandlung und Revisionszulassung besteht nicht. Es handelt sich vorliegend um eine Einzelfallentscheidung, die anhand der zitierten BGH-Rechtsprechung zu finden war.
27
Der Streitwert ist in Höhe des zugesprochenen Klagebetrags festzusetzen, dessen Beseitigung die Beklagten mit ihrem Rechtsmittel verfolgen. Die Widerklage wirkt wegen Identität des Gegenstands nicht streitwerterhöhend.