Titel:
Anwalts Sorgfaltspflichten bei Abgabe eines Empfangsbekenntnisses
Normenkette:
ZPO § 85 Abs. 2, § 174, § 233, § 234, § 517
Leitsätze:
1. Es gehört es zu den Sorgfaltspflichten eines Anwalts, durch besondere Anordnungen dafür Sorge zu tragen, dass sein Personal nach der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses das dort angegebene Zustellungsdatum in den Handakten oder anderweitig festhält und sich nicht auf die Richtigkeit eines Eingangsstempels verlässt. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Rechtsanwalt darf das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung erst unterzeichnen und zurückgeben, wenn in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wiedereinsetzung, Empfangsbekenntnis, Handakte, Verschulden, Sorgfaltspflicht
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 06.04.2023 – 29 O 12269/22
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 29.05.2024 – I ZB 84/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 50298
Tenor
I. Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist vom 01.10.2023 wird verworfen.
II. Die Anträge der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist und wegen der Versäumung der Berufungsfrist vom 11.10.2023 werden verworfen.
III. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 06.04.2023, Az. 29 O 12269/22, wird verworfen.
IV. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 20.000,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Mit Klageschrift vom 12.10.2022 nahm die Klägerin die Beklagte wegen Verletzung einer Nebenpflicht aus einem Maklervertrag auf Schadensersatz in Anspruch.
2
Mit Endurteil vom 06.04.2023, Az.: 29 O 12269/22, wies das Landgericht München I die Klage ab (Bl. 28/36 der LG-Akte).
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Das Urteil wurde dem anwaltlichen Vertreter der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis am 11.04.2023 zugestellt (Verkündungsvermerk vom 11.04.2023 auf Bl. 37 der LG-Akte mit beigefügtem Empfangsbekenntnis).
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Die Klagepartei legte mit Schriftsatz vom 12.05.2023, beim Oberlandesgericht München per beA eingegangen am selben Tag, Berufung gegen das vorgenannte Urteil ein und begründete das Rechtsmittel (Bl. 1/7 der Berufungsakte).
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Die Berufungserwiderung der beklagten Partei vom 06.06.2023 ging am selben Tag fristgerecht per beA beim Oberlandesgericht München ein (Bl. 12/14 der Berufungsakte).
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Mit Beschluss vom 21.09.2023, dem Klägervertreter zugestellt am 22.09.2023, wies der Senat darauf hin, dass beabsichtigt sei, die Berufung der Klägerin gemäß § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen, weil das Rechtsmittel nicht fristgerecht eingelegt wurde (Bl. 16/18 der Berufungsakte).
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Mit Schriftsatz vom 01.10.2023, beim Oberlandesgericht München per beA eingegangen am 02.10.2023, nahm die Klagepartei zum Hinweisbeschluss des Senats Stellung und beantragte vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Bl. 19/20 der Berufungsakte). Zwar datiere die Verfügung, mit welcher das Urteil vom 06.04.2023 zur Versendung gebracht worden sei, vom 11.04.2023. Nach den vorliegenden Unterlagen sei die entsprechende Verfügung allerdings erst am 12.04.2023 per beA eingegangen. Die Fristenüberwachung bei beA-Eingängen sei in der Kanzlei des Klägervertreters (insbesondere bei zur Versendung vorgesehenen eEBs) so gestaltet, dass ein Dokument am Eingangstag gescannt/gespeichert werde und ein Dateiname vergeben werde, der den Absender und das Datum der Erstellung des eingegangenen Schreibens wiedergebe; zugleich werde das Datum der Speicherung erfasst. Wegen der Anordnung, dies kalendertäglich zu tun, gewährleiste der entsprechende Dateiname im Zusammenhang mit der Festlegung des Erstellungsdatums eine (weitere) Bestätigung des Eingangstermins. Im hiesigen Verfahren ergebe sich aus der Dateibezeichnung für das gespeicherte Urteil, dass die Datei über den Eingang am 12.04.2023 erstellt worden sei, was den Zeitpunkt des Eingangs und der Kenntnisnahme bestätige. Außerdem bat der Klägervertreter um Akteneinsicht, sollte bei Gericht ein Nachweis (eEB, das bekanntlich laut beA vom Anwalt nicht gespeichert werden könne) vorliegen, wonach die Zustellung für den 11.04.2023 belegt sein könnte. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 01.10.2023 Bezug genommen.
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Mit Verfügung vom 06.10.2023 bewilligte die Senatsvorsitzende die beantragte Akteneinsicht und teilte mit, dass sich als Anlage zum Verkündungsvermerk vom 11.04.2023 ein Empfangsbekenntnis des Klägervertreters vom 11.04.2023 befindet, welches am frühen Nachmittag desselben Tages beim Landgericht München I eingegangen war (Bl. 22 der Berufungsakte).
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Mit Schriftsatz vom 11.10.2023 wiederholte der Klägervertreter den „schon angekündigten“ Antrag auf Wiedereinsetzung in die Berufungsfrist und ergänzte ihn „soweit erforderlich“ um einen Wiedereinsetzungsantrag bezüglich der Wiedereinsetzungsfrist (Bl. 24/26 der Berufungsakte). In der Kanzlei des Klägervertreters würden eingehende beAs am Tag der Kenntnisnahme ausgedruckt und als Papierstapel dem Sekretariat überstellt. Dort bestehe die generelle Anweisung, diese Schriftstücke auf Fristen und Termine durchzusehen, diese im System zu notieren und insoweit zu erfassen. Die zur Weiterbearbeitung in das Sekretariat gelangten Schriftstücke würden dem Klägervertreter nach Erfassung zur körperlichen Akte erneut vorgelegt, wobei der Posteingangsstempel separat gehalten werde. Der Klägervertreter verfüge dann per Diktat die notwendige Weiterbearbeitung der entsprechenden Akten und stelle durch den diktierten Hinweis, dass Fristen und deren Eintrag nochmals zu überprüfen seien, ein „Vier-Augen-Prinzip“ sicher. Diese Maßnahme gewährleiste, dass entweder die Mitarbeiterin, die den Erstzugriff auf das Schriftstück bearbeitet habe, oder eine zweite Mitarbeiterin den Fristeintrag erneut überprüfe. In vorliegender Sache habe die zuverlässige Rechtsanwaltsfachangestellte Frau K. die Weiterbearbeitung durchgeführt. Auf bisherige Nachfrage habe nicht nachvollzogen werden können, warum auch die zweite Sicherung „versagt“ habe. Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 11.10.2023 Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom 19.10.2023 machte der Klägervertreter weitere Ausführungen (Bl. 30/31 der Berufungsakte).
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Die Beklagte nahm mit Schriftsätzen vom 07. und 13.10.2023 Stellung (Bl. 21 und 27 der Berufungsakte).
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Ergänzend wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
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Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist vom 01.10.2023 ist unzulässig und daher zu verwerfen.
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1. Der Rechtsbehelf ist zwar gemäß § 233 S. 1 ZPO statthaft.
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Bei der einmonatigen Berufungsfrist aus § 517 ZPO handelt es sich um eine Notfrist, welche die Klagepartei versäumt hat (§ 222 ZPO, §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB). Das Urteil wurde dem Klägervertreter ausweislich des vorliegenden Empfangsbekenntnisses am 11.04.2023 zugestellt. Die Berufungsfrist begann am 12.04.2023 zu laufen und endete am Donnerstag, den 11.05.2023 (einem Werktag), um 24:00 Uhr. Die Berufungsschrift ging erst am 12.05.2023 und damit verspätet beim Oberlandesgericht München ein.
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2. Auch hat die Klagepartei die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist nach § 234 Abs. 1 S. 1 ZPO gewahrt.
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a) Die Frist des § 234 Abs. 1 ZPO beginnt zu laufen, sobald die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter erkannt hat oder bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt hätte erkennen können und müssen, dass die Rechtsmittelfrist versäumt war. In diesem Zeitpunkt ist das Hindernis behoben, durch das die Partei von der Einhaltung der Frist abgehalten worden ist (BGH NJW-RR 2018, 1398, 1400 Rn. 23 m.w.N.).
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b) Dies zugrunde gelegt begann die Wiedereinsetzungsfrist mit der Zustellung des richterlichen Hinweisbeschlusses vom 21.09.2023 an den Klägervertreter am 22.09.2023 zu laufen. Der Wiedereinsetzungsantrag der Klagepartei vom 01.10.2023 ging am 02.10.2023 und damit fristgerecht beim Oberlandesgericht München ein.
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3. Allerdings enthält der Wiedereinsetzungsantrag vom 01.10.2023 nicht die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen (§ 236 Abs. 2 S. 1, 1. Hs. ZPO).
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a) Die Partei hat mit ihrem Antrag alle die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen vorzubringen. Hierzu gehört eine aus sich selbst heraus verständliche, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, aus der sich ergibt, auf welchen konkreten Umständen das Fristversäumnis beruht, und auf welche Weise und durch wessen Verschulden es zur Versäumung der Frist gekommen ist. Beruht das Versäumnis auf dem Versehen eines Büroangestellten, hat die Partei alle Umstände darzulegen, die ein Organisations- oder sonstiges Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten ausschließen. Die erforderlichen Tatsachen müssen innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 ZPO vorgebracht werden. Das Nachschieben von Tatsachen nach Fristablauf ist unzulässig und hat unberücksichtigt zu bleiben. Nur fristgemäß vollständig erfolgte, aber inhaltlich unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben können auch noch nach Fristablauf erläutert und vervollständigt werden (vgl. zum Ganzen BeckOK ZPO/Wendland, 50. Edition, § 236 Rn. 6 f. m.w.N.).
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b) Im vorliegenden Fall lässt der Antragsschriftsatz vom 01.10.2023 eine aus sich selbst heraus verständlichen, geschlossene Schilderung der tatsächlichen Abläufe, welche in der Kanzlei des Klägervertreters zur Versäumung der Berufungsfrist führten, vermissen. Insbesondere fehlt es an einer ausreichenden Darstellung, wie die Fristenüberwachung der Kanzlei organisiert ist. Geschildert wird letztlich nur, dass per beA eingehende Dokumente mit einem Dateinamen gespeichert werden, welcher „das Datum der Erstellung des eingegangenen Schreibens wieder gibt“, und dass zugleich das Datum der Speicherung erfasst wird.
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Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist vom 11.10.2023 ist ebenfalls als unzulässig zu verwerfen.
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1. Der Rechtsbehelf ist gemäß § 233 S. 1 ZPO statthaft, weil auch die unverschuldete Versäumung der Wiedereinsetzungsfrist aus § 234 Abs. 1 ZPO die Wiedereinsetzung begründen kann.
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Die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist begann mit der Zustellung des richterlichen Hinweisbeschlusses vom 21.09.2023 an den Klägervertreter am 22.09.2023 zu laufen (s. oben Ziffer II.2). Der Wiedereinsetzungsantrag der Klagepartei vom 11.10.2023, eingegangen beim Oberlandesgericht München am selben Tag, war somit verspätet.
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2. Es fehlt aber jeglicher Vortrag dazu, warum die Klagepartei für einen den Anforderungen des § 236 Abs. 2 S. 1, 1. Hs. ZPO entsprechenden Wiedereinsetzungsantrag an der Einhaltung der Wiedereinsetzungsfrist gehindert gewesen sein soll. Die erforderlichen Informationen aus der Gerichtsakte zum Zeitpunkt der Zustellung des landgerichtlichen Urteils und zur Versäumung der Berufungsfrist lagen der Klagepartei mit Zustellung des Hinweisbeschlusses vom 21.09.2023 vor.
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Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsfrist vom 11.10.2023 ist als verfristet zu verwerfen.
27
Der Rechtsbehelf wurde nicht innerhalb der Zweiwochenfrist des § 234 Abs. 1 S. 1 ZPO eingelegt (s. oben Ziffer III.1).
28
Unabhängig von der Frage der Zulässigkeit wären die Wiedereinsetzungsanträge der Klagepartei wegen der Versäumung der Berufungsfrist vom 01. und 11.10.2023 auch unbegründet.
29
Die Klagepartei war nicht ohne ihr Verschulden verhindert, die Notfrist zur Einlegung der Berufung von einem Monat nach § 517 ZPO einzuhalten (§ 233 S. 1 ZPO). Die Versäumung der Berufungsfrist durch die Klägerin beruht auf einem Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten, welches ihr gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist.
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1. Nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung hat ein Rechtsanwalt durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig erstellt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Dabei ist er zwar befugt, die Feststellung, Berechnung und Notierung einfacher und in seinem Büro geläufiger Fristen einer gut ausgebildeten und sorgfältig überwachten Angestellten zu überlassen. Jedoch hat er durch geeignete organisatorische Maßnahmen sicherzustellen, dass die Fristen zuverlässig festgehalten und kontrolliert werden. Insbesondere muss ein Rechtsanwalt sicherstellen, dass das für den Lauf einer Rechtsmittelfrist maßgebliche Datum der Urteilszustellung in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise ermittelt wird. Hierzu bedarf es eines besonderen Vermerks, wann die Zustellung des Urteils erfolgt ist. Eine verlässliche Grundlage für die Ermittlung des Zustellungsdatums bieten allein die Angaben in der die Zustellung dokumentierenden Urkunde, mithin in dem vom Anwalt unterzeichneten Empfangsbekenntnis (§ 174 ZPO) oder in der Postzustellungsurkunde nebst Umschlag (§§ 180, 182 ZPO). Damit nach Rücksendung eines unterzeichneten Empfangsbekenntnisses nicht jeder tragfähige Anhalt für den Zeitpunkt der Zustellung verloren geht, gehört es zu den Sorgfaltspflichten eines Anwalts, durch besondere Anordnungen dafür Sorge zu tragen, dass sein Personal nach der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses das dort angegebene Zustellungsdatum in den Handakten oder anderweitig festhält und sich nicht auf die Richtigkeit eines Eingangsstempels verlässt. Den für eine ordnungsgemäße Fristermittlung unerlässlichen, gesonderten Vermerk über den Zeitpunkt der Zustellung eines Urteils vermag ein Eingangsstempel des Anwaltsbüros auf dem zugestellten Urteil nicht zu ersetzen. Er gibt keine Auskunft über den Zeitpunkt der Zustellung, weil das Datum auf dem im Anwaltsbüro angebrachten Eingangsstempel nicht mit dem Datum übereinzustimmen braucht, unter dem der Anwalt das Empfangsbekenntnis unterzeichnet hat, oder unter dem auf sonstige Weise die Zustellung des Urteils bewirkt worden ist (BGH NJW 2010, 3305 f. Rn. 9 ff. m.w.N.).
31
Um zu gewährleisten, dass der besondere Vermerk über die Urteilszustellung angefertigt wird und das maßgebende Datum zutreffend wiedergibt, darf der Rechtsanwalt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs das Empfangsbekenntnis über eine Urteilszustellung erst unterzeichnen und zurückgeben, wenn in den Handakten die Rechtsmittelfrist festgehalten und vermerkt ist, dass die Frist im Fristenkalender notiert worden ist. Die Handakte muss durch entsprechende Erledigungsvermerke oder auf sonstige Weise erkennen lassen, dass die Fristen in den Fristenkalender eingetragen worden sind. Soweit die Rechtsprechung Erledigungsvermerke des Büropersonals zu den jeweils in den Handakten eingetragenen Fristen fordert, soll sichergestellt werden, dass die Fristen tatsächlich eingetragen sind und dem Anwalt eine entsprechende Kontrolle anhand der Handakten möglich ist. Zu einer ordnungsgemäßen Büroorganisation gehört daher eine klare Anweisung, dass stets und unter allen Umständen zuerst die Fristen im Kalender eingetragen werden müssen, bevor ein entsprechender Vermerk in der Akte eingetragen werden kann (BGH NJW 2019, 3234 Rn. 13 m.w.N.). Sieht die Organisationsanweisung nicht vor, dass in der Handakte Erledigungsvermerke anzubringen sind, genügt es, wenn die Arbeitsanweisung vorschreibt, dass die Fristen zunächst im Fristenkalender zu notieren sind und erst dann in der Akte (BGH NJW-RR 2019, 502, 503 Rn. 10).
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Schließlich hat der Rechtsanwalt selbstständig und eigenverantwortlich zu prüfen, ob ein Fristende richtig ermittelt und eingetragen wurde, wenn ihm die Sache im Zusammenhang mit einer fristgebundenen Prozesshandlung, insbesondere zu deren Bearbeitung, vorgelegt wird (BGH NJW-RR 2018, 58 f. Rn. 7). Er darf sich dabei allerdings grundsätzlich auf die Prüfung der Vermerke in der Handakte beschränken (BGH NJW 2014, 3102, 3103 Rn. 12).
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2. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin hat nicht dargetan, dass er diesen Anforderungen genügt hätte.
34
a) Dem Vorbringen zur Wiedereinsetzung ist schon nicht zu entnehmen, dass in der Kanzlei des Klägervertreters die Anweisung bestanden hätte, den für die Berechnung der Berufungswie der Berufungsbegründungsfrist maßgeblichen Zeitpunkt der Urteilszustellung (hier das Datum der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses durch den Klägervertreter, § 174 ZPO) gesondert zu vermerken. Der Vortrag, dass ein per beA eingehendes Dokument am Eingangstag (Anm.: Unterstreichung durch den Klägervertreter) gescannt/gespeichert werde und ein Dateiname vergeben werde, der den Absender und das Datum der Erstellung des eingegangenen Schreibens wiedergebe, dass zugleich das Datum der Speicherung erfasst werde und dass die Datei über den Eingang des angefochtenen Urteils am 12.04.2023 erstellt worden sei, was in der Kanzlei des Klägervertreters den Zeitpunkt des Eingangs und der Kenntnisnahme bestätige (S. 1 des Schriftsatzes vom 01.10.2023 = Bl. 19 der Berufungsakte), genügt hierfür nicht. Gleiches gilt für das Vorbringen, dass eingehende beAs am Tag der Kenntnisnahme ausgedruckt und sodann auf Anweisung des Klägervertreters vom Sekretariat weiterbearbeitet würden, wobei noch einmal eine Fristenprüfung erfolge (S. 1 des Schriftsatzes vom 11.10.2023 = Bl. 24 der Berufungsakte). Hieraus geht jeweils nicht hervor, dass es in der Kanzlei des Klägervertreters für die Bestimmung des Fristbeginns von Rechtsmittelfristen wie hier auf das Datum der Unterschrift des Empfangsbekenntnisses durch den Klägervertreter ankommt und dass dieses Datum gesondert in der in der Kanzlei des Klägervertreters noch in körperlicher Form geführten Handakte vermerkt wird. Der Vortrag zur Speicherung per beA eingehender Dokumente am Eingangstag legt vielmehr nahe, dass sich der Klägervertreter für die Fristenüberwachung auf die Richtigkeit des durch den Speichervorgang generierten „elektronischen Eingangsstempels“ verlässt.
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b) Außerdem fehlt es an Ausführungen dazu, wie der Fristenkalender der Kanzlei geführt wird, insbesondere wie sichergestellt ist, dass das für den Fristbeginn maßgebliche Datum tatsächlich und zutreffend im Kalender notiert wird.
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c) Der Klägervertreter hat schließlich auch nicht dargetan, dass er bei Vorlage der Akte zur Erstellung der Berufungs- und Berufungsbegründungsschrift noch einmal die Fristberechnung in ausreichender Weise überprüft hätte. Der Vortrag, dass er sich ausgehend von der Überprüfung des Speicherdatums des eingegangenen Urteils auf die „gedankliche Verankerung“ des 12.05.2023 als Ablauf der Berufungsfrist verlassen habe (S. 4 des Schriftsatzes vom 19.10.2023 = Bl. 31 der Berufungsakte), belegt die Erfüllung der entsprechenden anwaltlichen Sorgfaltspflicht nicht.
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Die Berufung der Klägerin ist gemäß § 522 Abs. 1 S. 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen.
38
Das Rechtsmittel wurde nicht innerhalb der Notfrist von einem Monat ab Zustellung des angefochtenen Urteils eingelegt (s. oben Ziffer II.1).
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1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
40
2. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 63, 47, 48 GKG, §§ 3, 4 ZPO bestimmt.