Inhalt

ArbG Würzburg, Endurteil v. 25.10.2023 – 5 Ca 146/23
Titel:

Zielvereinbarung, abstrakte Schadensberechnung, Leistungsbestimmungsrecht, Kündigungsschutzverfahren, Geschäftsjahr, Kosten des Rechtsstreits, Variable Vergütung, Bonussystem, Bonusleistungen, Bonuszahlung, Rechtsmittelbelehrung, Zielerreichung, Elektronischer Rechtsverkehr, Berufungsbegründungsschrift, Unternehmensziele, Auszahlung, Zu ersetzender Schaden, Unternehmenseinheitlichkeit, Klageabweisung, Rechtsmittelstreitwert

Schlagworte:
Schadensersatz, Zielvereinbarung, Variable Vergütung, Schadensberechnung, Unmöglichkeit, Leistungsbestimmungsrecht, Kostenentscheidung
Rechtsmittelinstanzen:
LArbG Nürnberg, Urteil vom 26.04.2024 – 8 Sa 292/23
BAG Erfurt vom -- – 10 AZR 125/24
Fundstelle:
BeckRS 2023, 50221

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für das Geschäftsjahr 2021 einen Bonus in Höhe von 17.380,51 € brutto abzüglich bereits geleisteter 6.652,64 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01. Juli 2022 zu zahlen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Streitwert wird festgesetzt auf 10.727,87 €.
4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Schadensersatz aufgrund einer nicht vollständig abgeschlossenen Zielvereinbarung für das Geschäftsjahr 2021.
2
Die Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 19. Oktober 1988, zuletzt auf der Grundlage des Arbeitsvertrages vom 9. August 2005 als Assistenz im Bereich Sales beschäftigt. Für ihre Tätigkeit erhielt die Klägerin zuletzt ein jährliches Fixgehalt i.H.v EUR 66.887,40 brutto. Darüber hinaus findet sich im Anhang zum Arbeitsvertrag eine Vereinbarung über die Zahlung eines jährlichen Bonus, die wie folgt lautet:
„Das … Bonus System … will mit ihren wertvollen Mitarbeitern weiter wachsen. Deshalb müssen wir für diese Mitarbeiter ein attraktiver Arbeitgeber sein und sie durch geeignete berufliche Förderung und Entwicklung an das Unternehmen binden. Das …Bonus System ist ein Instrument um Leistungsträger zu motivieren und den hohen Leistungsstandard zu sichern.
Der Vorstand von …hat beschlossen, für ausgewählte Gruppen von Leistungsträgern ein unternehmenseinheitliches Bonus System einzuführen. Die Auswahl und Benennung dieser Leistungsträger erfolgt durch den Vorstand auf Grund von Empfehlungen der Führungskräfte und von Human Resources.
Jeder Leistungsträger, der das Erreichen der Unternehmensziele durch seinen Beitrag erkennbar beeinflussen kann, ist ein potenzieller Kandidat für die Teilnahme am Bonus System.
Es besteht allerdings kein Anspruch auf Aufnahme in das System. Es liegt außerdem im Ermessen des Vorstandes, die Berechnungsmodalitäten für den Bonus der aktuellen Entwicklung anzupassen. Mit der Teilnahme am unternehmenseinheitlichen Bonus System ist die Zahlung von Urlaubsgeld, Weihnachtsgeld und sonstigen Jahresabschlussvergütungen ausgeschlossen.
Grundkonzeption
Der Bonus wird zusätzlich zum fixen Jahreseinkommen gezahlt. Der Bonus ist auf 26% vom Jahresgrundgehalt begrenzt. Er wird nach Abschluss des Geschäftsjahres berechnet und ausgezahlt.
Grundsätzlich besteht der Bonus aus 3 Elementen:
Erstes Element: Basis ist die Zielerreichung von 3-7 individuellen Zielen, definiert in den Zielvereinbarungsgesprächen. Zu Beginn eines jeden Geschäftsjahres definiert der Vorgesetzte mit seinem Mitarbeiter gemeinsam Ziele, die auf die Erreichung der Unternehmensziele ausgerichtet sind. Diese Ziele müssen spezifisch, messbar, anspruchsvoll, realistisch und terminiert sein.
Das Erreichen von 100% der individuellen Ziele bedeutet einen Bonus in Höhe von 12% des fixen Jahresgrundgehalts.
Zweites Element: Basis für dieses Element ist der Grad der Zielerreichung der nächst höheren Organisationseinheit des Mitarbeiters. Gewöhnlich wird dies der Grad der Zielerreichung des direkten Vorgesetzten sein. Falls neben dem disziplinarischen zusätzliche, funktionale Vorgesetzte existieren, soll der Durchschnittswert von deren Zielerreichung einbezogen werden.
Das Erreichen von 100% der Ziele seiner Organisationseinheit bedeutet einen Bonus in Höhe von 7% des fixen Jahresgrundgehalts.
Wenn die nächst höhere Vorgesetztenebene der …Vorstand ist, existiert kein zweites Element. In diesem Fall zählt das dritte Element doppelt.
Drittes Element: Basis für diesen Teil des Bonus ist das finanzielle Ergebnis der …Group. Maßstab ist der Net Operating Profit und ggf. weitere messbare Unternehmensziele. Das Erreichen von 100% der Ziele dieser Ebene bedeutet einen zusätzlichen 7% Bonus auf das fixe Jahresgrundgehalt.
Insgesamt können also 26% des Jahresgrundgehalts als Bonusleistung erzielt werden.
(…)
Für das Bonussystem gelten folgende Regelungen:
„Die Unternehmensführung behält es sich vor, das bestehende Bonussystem der aktuellen Entwicklung und entsprechend den Erfordernissen anzupassen.“
Die Zielvereinbarung für das neue Fiskaljahr sowie die Beurteilung der Zielerreichung für das abgelaufene Fiskaljahr sind bis zum 31.05. abzuschließen. Die jährliche Auszahlung des Bonus erfolgt mit dem Junigehalt.
Bezugsberechtigt sind alle Mitarbeiter, die zum 31.03. – also zum Geschäftsjahresende – in einem ungekündigten Beschäftigungsverhältnis stehen.
(…)“.
3
Mit Bekanntmachung vom 13. April 2015, wurde die Vereinbarung wie folgt geändert:
„(…) Das erste Element, die individuellen Ziele, beinhaltet bei 100% Zielerreichung einen Bonus in Höhe von 10% des gezahlten Jahresgrundgehaltes.
Das zweite Element, die regionalen Unternehmensziele bzw. das finanzielle Ergebnis der … in …, beinhaltet bei 100% Zielerreichung einen 16%igen Bonus auf das gezahlte Jahresgrundgehalt. (…)“.
4
Für das Geschäftsjahr 2021 hatte die Beklagte zunächst keine Ziele festgesetzt.
5
Mit Datum vom 30. Juni 2020 wurde der Klägerin zum 31. Januar 2021 das Arbeitsverhältnis gekündigt. Im Prozessverlauf eines Kündigungsschutzverfahrens leitete die Beklagte keine Rechte mehr aus der Kündigung her, sodass die Klägerin Ihre Arbeit am 03. Mai 2021 wieder aufnahm.
6
Am 23. Juni 2021 forderte die Klägerin ihren damaligen Vorgesetzten, … auf, in Verhandlungen über einen Bonusplan einzutreten. Da … lediglich interimsweise der Vorgesetzte der Klägerin gewesen ist, verwies dieser darauf, dass der neue Vorgesetzte; …, ab dem 1. September 2021 seine Tätigkeit aufnehmen wird und die Gespräche mit ihm zu erfolgen haben. Ein Gespräch über den Bonusplan fand jedoch nicht statt, sodass die Klägerin mit E-Mail vom 23. November 2021 Herrn H. an den Bonusplan erinnerte. Erst im Nachgang zu dieser E-Mail fanden Gesprächen zwischen der Klägerin und … statt. Die Zielvereinbarung wurde sodann seitens der Beklagten am 25. Januar 2022 bestätigt. Mit Blick auf die unternehmerische Komponente wurden keine Ziele vollständig mit der Klägerin vereinbart, vielmehr wurde der Performance Indicator mit dem Kürzel tbd (englisch: to be defined), sprich noch festzulegen, angegeben.
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Unternehmensziele wurden seitens der Beklagte am 26.10.2021 im Intranet veröffentlicht.
8
Mit Schreiben vom 16. Mai 2022 teilte der President …, …, allen bonusberechtigten Mitarbeitern mit, dass es für das Geschäftsjahr 2021 zu keiner Bonusauszahlung kommen wird.
9
Mit Bekanntmachung vom 20. Juli 2022 teilte die Beklagte dann ihren bonusberechtigten Mitarbeitern mit, dass es nach intensiven Gesprächen mit dem Shareholder, den Stakeholdern im US-Headquarter sowie den Betriebsräten doch zur Auszahlung eines anteiligen Bonus kommen wird.
10
Die Klägerin erhielt sodann mit der Abrechnung für den Monat August 2022 eine anteilige Auszahlung ihres Bonus i.H.v. EUR 6.652,64 brutto.
11
Die Klägerin ist der Ansicht, sie habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz wegen nicht rechtzeitig erfolgter Zielvorgabe bzw. wegen nicht rechtzeitig abgeschlossener Zielvereinbarung für das Geschäftsjahr 2021 gemäß § 280 Abs. 1, Abs. 3, §§ 283, 252 BGB i.V.m. mit dem Bonussystem der Beklagten. Die Höhe des Schadens sei gem. § 287 ZPO auf EUR 17.380,51 brutto zu schätzen. Der Beklagten stehe auch kein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht dahingehend zu, den Bonus auf Null bzw. 6.652,64 EUR brutto festzusetzen. Die Entscheidung der Beklagten, zunächst gar keinen, im Nachgang zumindest einen anteiligen Bonus zu zahlen, unterliege nicht der Anwendung des § 315 BGB. Eine Vereinbarung darüber, dass der Beklagten ein Leistungsbestimmungsrecht zustehe, wäre von den Parteien nicht getroffen worden. Es spiele auch keine Rolle, dass die Zielvereinbarung in der Vergangenheit oft später als zum 31. Mai des jeweiligen Fiskaljahres bestimmt und veröffentlicht worden sein solle. Die Beklagte habe sich für das Jahr 2021 mit der Vereinbarung in Verzug befunden, weil der Abschluss der Vereinbarung nach dem Kalender bestimmt gewesen sei, die Klägerin habe aber auch die unterbliebene Zielvereinbarung mehrmals beanstandet.
12
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin für das Geschäftsjahr 2021 einen Bonus in Höhe von EUR 17.380,51 brutto abzüglich bereits geleisteter EUR 6.652,64 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2022 zu zahlen.
13
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
14
Die Beklagte ist der Auffassung, sie habe sich im Jahr 2021 in einer tiefen Krise befunden. Mit der Abrechnung für August 2022 habe die Klägerin eine Zahlung in Höhe von 38,46% eines etwa zu erzielenden Bonus erhalten. Dies entspreche einer persönlichen Zielerreichung von 100%, d. h., die Beklagte habe die Klägerin so gestellt, als habe sie 100% der ihr gesetzten persönlichen Ziele erreicht. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf weitere Zahlungen. Auch habe die Beklagte billigem Ermessen gemäß § 315 BGB Rechnung getragen. Die Entscheidung, den Bonus 2021 nicht auszuzahlen, sei gerechtfertigt durch den Umstand, dass bei Auszahlung des Bonus die Insolvenz des Unternehmens gedroht habe. Die am 26.10.2021 veröffentlichten Unternehmensziele hätten aufgrund unvorhersehbarer Entwicklungen nicht erreicht werden können. In der Vergangenheit wären die Unternehmensziele oft später als zum 31.05. des jeweiligen Fiskaljahres bestimmt und veröffentlicht worden. Von den terminlichen Vorgaben habe stets und ohne jegliche Rüge in der Vergangenheit einvernehmlich abgewichen werden können. Es wäre für die Klägerin von keinerlei Relevanz, ob sie die Unternehmensziele im Januar, Februar, oder irgendeinem anderen Monat des laufenden Jahres erfahre oder nicht. Sie selbst könne zum Unternehmenserfolg außer durch die Erfüllung ihrer persönlichen Ziele und ordnungsgemäßer Arbeitsleistung im Allgemeinen nichts beitragen. Die im Oktober 2021 veröffentlichten Unternehmensziele seien im März 2021 von der globalen Geschäftsleitung in den USA festgelegt und an die oberste Leitungsebene in Europa kommuniziert worden.
15
Im Übrigen wird zur Vervollständigung des Sach- und Streitstandes auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
16
Die zulässige Klage ist begründet. Denn die Beklagte hat schuldhaft gegen ihre arbeitsvertragliche Pflicht verstoßen, für das Geschäftsjahr 2021 gemeinsam mit der Klägerin Ziele festzulegen und im Rahmen der Schadensberechnung ist die zugesagte variable Vergütung für die abstrakte Schadensberechnung Grundlage des durch den Arbeitgeber dem Arbeitnehmer zu ersetzenden Schadens, §§ 280 I, III, 283, 252 S.2 BGB (vgl. BAG NZA 2021, 1034).
17
Die Beklagte hat schuldhaft die Pflicht verletzt, mit der Klägerin die vereinbarte Zielvereinbarung für das Geschäftsjahr 2021 abzuschließen. Die Parteien haben arbeitsvertraglich zuletzt mit Änderung vom 13.04.2015 vereinbart, dass die Klägerin aufgrund gemeinsam bis spätestens 31.05. des Jahres festzusetzender Ziele eine variable Vergütung in Höhe von bis zu 26% des Jahresgrundgehalts erhalten kann. Eine solche (vollständige) Zielvereinbarung wurde jedoch nicht für das Jahr 2021 getroffen und ist damit unmöglich im Sinne des § 275 BGB geworden.
18
Im Rahmen der Schadensberechnung ist die volle Höhe der zugesagten variablen Vergütung einzustellen, abzuziehen davon war der bereits durch die Beklagte bezahlte Betrag, wie es durch die Klagepartei beantragt wurde. Denn nach § 252 S. 2 BGB umfasst der zu ersetzende Schaden auch den entgangenen Gewinn, wozu grds. auch eine Bonuszahlung gehört. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, dass ein Arbeitnehmer vereinbarte Ziele erreicht hätte, wenn nicht besondere Umstände diese Annahme ausschließen. Entgegen der Ansicht der Beklagten hat diese dabei kein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht hinsichtlich der Unternehmensziele, denn es wurden in der vereinbarten Regelung eindeutig Zielvereinbarungen und keine Zielvorgaben vereinbart. Der Vertrag enthält hierzu den unzweideutigen Wortlaut, dass die Ziele bis 31.05. des Geschäftsjahres „abzuschließen“ sind. Dies setzt zwei übereinstimmende Willenserklärungen voraus. Mithin hätte die Klägerin mitentscheiden können und müssen, ob und welche Unternehmensziele sie „abschließen“ möchte; hätte die Beklagte sich vorbehalten wollen, die Unternehmensziele alleine zu treffen, hätte sie dies anders mit der Klägerin vereinbaren müssen. Mithin kommt es gar nicht darauf an, welche Ziele welche Unternehmensleitung auf welchem Kontinent an welche Leitungsebene kommunizierte und warum dies erst im Oktober 2021 „veröffentlicht“ wurde. Auch hat die Beklagte keine Umstände vorgetragen, aus denen sich ergeben könnte, dass vereinbarte Ziele nicht hätten erreicht werden können. Zwar beruft sich die Beklagte auf das „Krisenjahr 2021“, sie trägt aber nicht konkret vor, welche realistischen Ziele hätten bis 31.05.2021 vereinbart werden können unter konkreter Kenntnis und Einbeziehung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Beklagten zu diesem Zeitpunkt.
II.
19
Die Beklagte trägt als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits, § 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG iVm. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
III.
20
Die Festsetzung des Rechtsmittelstreitwerts folgt dem Grunde nach aus § 61 Ab. 1 ArbGG und entspricht in der Höhe der effektiven Klageforderung.
IV.
21
Die Entscheidung darüber, die Berufung nicht gesondert zuzulassen, beruht auf § 64 Abs. 3a ArbGG. Gründe für die gesonderte Zulassung liegen nicht vor.