Inhalt

LG Traunstein, Endurteil v. 05.09.2023 – 2 S 2447/22
Titel:

Widerrufsrecht, Honorarvereinbarung, Widerrufsregelung, Geschäftsräume, Versicherungsvertragsrecht, Versicherungsvertragsgesetz, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Selbstbehalt, Bereichsausnahme, Elektronisches Dokument, Versicherungsvermittlung, Teleologische Reduktion, Verspätetes Vorbringen, Elektronischer Rechtsverkehr, Schluss der mündlichen Verhandlung, Urteilsgründe, Vertragsumstellung, Streitwert, Vertragsabreden, Eingegangene Schriftsätze

Schlagworte:
Widerrufsrecht, Verbraucherschutz, Versicherungsvermittlung, AGB-Kontrolle, Transparenzgebot, Vertragsauslegung, Honorarberechnung
Vorinstanz:
AG Traunstein, Endurteil vom 13.10.2022 – 319 C 128/22
Rechtsmittelinstanzen:
LG Traunstein, Berichtigungsbeschluss vom 05.02.2024 – 2 S 2447/22
BGH Karlsruhe, Urteil vom 04.04.2024 – I ZR 137/23
LG Traunstein, Endurteil vom 27.05.2025 – 2 S 2447/22
Fundstelle:
BeckRS 2023, 50204

Tenor

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Traunstein vom 13.10.2022, Az. 319 C 128/22, wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Traunstein ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils streckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 1.947,82 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Wegen des erstinstanzlichen Sach- und Streitstands wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen. In Zusammenfassung begehrt die Klägerin vom Beklagten die Rückzahlung eines Honorars für die Vermittlung eines günstigeren Krankenversicherungstarifs. Die entsprechende Vereinbarung wurde schriftlich im Laden der Klägerin … geschlossen (vgl. Anlage K1). Das vom Beklagten vermittelte neue Tarifpaket wird von der Klägerin nicht in Frage gestellt. Im Streit steht allein das von der Klägerin zunächst bezahlte Honorar in Höhe von 80 % der berechneten Jahresersparnis zzgl. Mehrwertsteuer.
2
Das Amtsgericht hat der Klage mit dem angefochtenen Urteil stattgegeben. Die geschlossene Honorarvereinbarung sei nicht bereits nach § 134 BGB nichtig, sei jedoch gemäß § 312 g BGB wirksam widerrufen worden. Darüber hinaus hätte – ohne dass dies Einfluss auf die getroffene Entscheidung hat – die auf den Selbstbehalt entfallende Ersparnis bei Berechnung des Honorars außer Betracht bleiben müssen, da die der Honorarvereinbarung zugrundeliegenden AGB insoweit wegen Verstoß gegen das Transparenzverbot (sic!) unwirksam sei. Der Beklagte hätte daher nur ein Honorar in Höhe von 446,04 € verdienen können.
3
Gegen dieses Urteil, das ihm am 21.10.2022 zugegangen ist Beklagte mit einem am 15.11.2022 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 23.01.2023 [xxx]eingen erlangerter Frist eingegangenen Schriftsatz begründet.
4
Der Beklagte meint, das Amtsgericht habe der Klage zu Unrecht stattgegeben. Ein Widerrufsrecht habe nicht bestanden, da die Bereichsausnahme des § 312 Abs. 6 BGB greife. Zudem bestünden Zweifel an der formellen Wirksamkeit des Widerrufs, da dieser nur im Rahmen des Prozesses erklärt worden sei. Der Vergütungsanspruch sei auch nicht entfallen, indem der Beklagte zusätzlich noch eine Absicherung von Zahnbehandlungskosten verschafft habe. Der Beklagte sei zudem im maßgeblichen Zeitraum noch nicht Bestandsbetreuer der Klägerin gewesen, sodass sich die Klägerin hierauf nicht berufen könne. Zudem sei die vom Beklagten vorgelegte AGB-Klausel zur Berechnung des Honorars wirksam, sodass auch die auf den Selbstbehalt entfallende Ersparnis zu berücksichtigen war.
5
Der Beklagte beantragt:
1.
Das am 13.10.2022 verkündete Urteil des AG Traunstein, Az.: 319 C 128/22 wird aufgehoben.
2.
Der Vollstreckungsbescheid des AG Coburg, Geschäftszeichen 21-7676970-0-6 wird aufgehoben.
3.
Die Klage wird abgewiesen.
6
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
7
Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Die Bereichsausnahme des § 312 Abs. 6 BGB sei nicht enwendbar, da sie für Versicherungsmaklerverträge, die Fernabsatzverträge sind, nicht gelte. Ebenso verhalte es sich bei Versicherungsmaklerverträgen, die – wie hier – außerhalb der Geschäftsräume zustande gekommen sind. Im Übrigen sei der weitere Vortrag in der Berufungsbegrundung verspätet und mangels Niederschlags im erstinstanzlichen Urteil auch teilweise irrelevant[...].
8
Die Kammer als Berufungsgericht hat am 31.03.2023 zunächst einen Hinweisbeschluss im Sinne von § 522 Abs. 2 ZPO erlassen (Bl. 142/143 d.A.). Der Beklagtenvertreter hat hierzu im Schriftsatz vom 02.05.2023 Stellung bezogen und die Berufung nicht zurückgenommen. Die Kammer hat sodann mit Verfügung vom 05.06.2023 (Bl. 152/153 d.A.) Termin zur mündlichen [...]Verhandlung bestimmt und im Rahmen der Terminsverfügung weitere rechtliche Hinweise erteilt. Die Kammer hat sodann am 25.07.2023 mündlich verhandelt (vgl. Protokoll auf Bl. 164/166 d.A.). [...] Rahmen der Verhandlung haben die Parteien einen von der Kammer unterbreiteten Vergleichsvorschlag angenommen, den der Beklagte aber innerhalb der eingeräumten Frist widerrufen hat.
II.
9
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
10
Im Ergebnis zu Recht hat das Amtsgericht der Klage stattgegeben. Das Berufungsvorbringen gibt der Kammer keinen Anlass, von dieser Entscheidung abzuweichen.
11
1. Der Klägerin steht ein Widerrufsrecht zu, da die Bereichsausnahme des § 312 Abs. 6 BGB nicht anwendbar ist.
12
Das Amtsgericht hat zur Bereichsausnahme des § 312 Abs. 6 BGB keine Stellung bezogen und diese Regelung in den Entscheidungsgründen nicht erwähnt. Tatsächlich ist die Bereichsausnahme jedoch nicht anwendbar, sodass im Ergebnis insoweit keine Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung angezeigt ist.
13
1.1 Bei dem streitgegenständlichen Vertrag handelt es sich um einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrag im Sinne von §§ 312 b, 312 g BGB.
14
Die Klägerin ist im Rahmen des streitgegenständlichen Vertragsschlusses Verbraucherin und der Beklagte ist Unternehmer. Der Vertrag wurde unstreitig außerhalb der Geschäftsräume des Beklagten geschlossen. Allein hierauf kommt es insoweit an (vgl. Wendehorst in MüKo zum BGB, 9. Aufl. 2022, § 312 b BGB, Rn. 1). Der Vortrag des Berufungsklägers dahingehend, dass der Vertrag in den Geschäftsräumen der Klägerin geschlossen wurde und daher kein Fall des § 312 b BGB vorliege, ist offensichtlich rechtlich unzutreffend.
15
1.2 Auf den streitgegenständlichen Vertrag, der eine entgeltliche Dienstleistung des Unternehmers zum Inhalt hat, sind daher grundsätzlich die verbraucherschützenden Regelungen der §§ 312 ff BGB anzuwenden.
16
1.3 Die Bereichsausnahme des § 312 Abs. 6 BGB greift vorliegend nicht.
17
Die Vorschrift ist teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass sie auf außerhalb der Geschäftsräume des Unternehmers und im Wege des Fernabsatzes geschlossene Verträge (vgl. Schimikowski in r+s 2020, 606; zustimmend: Grüneberg in Grüneberg, BGB. 82. Auflage 2023, § 312 BGB, Rn. 29; verweisend: Wendehorst in MüKo zum BGB, 9. Aufl. 2022, § 312 BGB, Rn. 113; zudem LG Fulda, Urt. v. 09.12.2016 – 1 S 70/16, BeckRS 2016, 114438) nicht anzuwenden ist.
18
1.3.1 Sinn und Zweck der Bereichsausnahme des § 312 Abs. 6 BGB ist nicht etwa, dass hinsichtlich Verträgen über Versicherungen sowie Verträgen über deren Vermittlung (über § 312 a Abs. 3, 4 und 6 BGB hinausgehende) Widerrufsregelungen nicht anwendbar sein sollen, sondern, dass insoweit eine Auslagerung entsprechender Regelungen in das VVG und die VVG-InfoV stattfinden sollte bzw. bereits erfolgt war (vgl. Martens in BeckOK BGB, 67. Edition, Stand: 01.08.2023, § 312 BGB Rn. 49 f.; BT-Drs. 17/12637, S. 49, zu Absatz 6).
19
1.3.2 Tatsächlich finden sich im VVG und der VVG-InfoV spezielle Regelungen für Versicherungsverträge, z.B. das Widerrufsrecht des Versicherungsnehmers in Bezug auf den Versicherungsvertrag in § 8 VVG. Regelungen zum Widerruf eines Versicherungsvermittlungsvertrags finden sich jedoch nicht. Zur Versicherungsvermittlung finden sich lediglich Begriffsbestimmungen, § 59 VVG, keine inhaltlichen Regelungen zum Widerruf. Allein § 9 Abs. 2 VVG enthält die Vorschrift, dass bei einem Widerruf des Versicherungsvertrags gemäß § 8 VVG keine Bindungswirkung an mit dem Versicherungsvertrag zusammenhängende Verträge mehr bestehen soll; insoweit wird aber nur die Rechtsfolge des Widerrufs des Versicherungsvertrags geregelt, keine Möglichkeit zum Widerruf des Versicherungsvermittlungsvertrags geschaffen.
20
1.3.3 Eine teleologische Reduktion als anerkannte Methode der Gesetzesauslegung setzt eine verdeckte Regelungslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes voraus. Eine solche planwidrige Unvollständigkeit kann sich etwa daraus ergeben, dass der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung ausdrücklich seine Absicht bekundet hat, eine richtlinienkonforme Regelung zu schaffen, allerdings die Annahme des Gesetzgebers, dass die getroffene Regelung richtlinienkonform sei, fehlerhaft ist (BGH Urt. v. 26.11.2008 – VIII ZR 200/05). Dies ist hier der Fall (vgl. Schimikowski in r+s 2020, 606):
21
Im Rahmen der Umsetzung der Fernabsatzrichtline für Finanzdienstleistungen (RL 2002/65/EG) plante der Gesetzgeber eine „umfassende Regelung im Versicherungsvertragsgesetz“, sodass aus den fernabsatzrechtlichen Bestimmungen des allgemeinen Schuldrechts die Versicherungs- und Versicherungsvermittlungsverträge ausgenommen sein sollten (Begr. RegE, BT-Drs. 15/2946, S. 15 unter A.II.2). Eine „geschlossene“ Regelung im Versicherungsvertragsrecht erschien dem Gesetzgeber sachgerechter (Begr. RegE, BT-Drs. 15/2946, S. 18 zu Art. 1 Nr. 1a). Das Widerrufsrecht sollte abschließend im VVG geregelt werden (Begr. RegE, BT-Drs. 15/2946, S 29 unter Vorbemerkung zu Artikel 6). Eine dementsprechend beabsichtigte Regelung erfolgte aber nur für den Versicherungsvertrag an sich, nicht für die Versicherungsvermittlung. Diese Unvollständigkeit ist im Wege der richtlinienkonformen teleologischen Reduktion zu beseitigen, indem § 312 Abs. 6 BGB auf im Fernabsatz zustande gekommene Versicherungsmaklerverträge nicht angewendet wird.
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1.3.4 Diese teleologische Reduktion der Bereichsausnahme des § 312 Abs. 6 BGB ist auch auf außerhalb von Geschäftsräumen geschlossene Verträge anzuwenden, da diese im Interesse des Verbraucherschutzes im Ergebnis nicht anders zu behandeln sind als Fernabsatzverträge, § 312 b Abs. 1 BGB.
23
1.3.5 Diese Beurteilung steht nicht im Widerspruch zum Urteil des BGH vom 28.06.2018 – I ZR 77/17, da die dortige Beauftragung der Versicherungsvermittlung schriftlich, d.h. soweit aus den veröffentlichten Gründen ersichtlich weder im Wege des Fernabsatzes noch durch einen außerhalb der Geschäftsräume geschlossenen Vertrag erfolgte. Es bestand daher im Rahmen der dortigen Urteilsgründe keinerlei Anlass, sich mit der Frage der teleologischen Reduktion zu beschäftigen. Dementsprechend wird in den dortigen Urteilsgründen auch lediglich pauschal auf die Bereichsausnahme verwiesen.
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2. Der erklärte Widerruf ist wirksam.
25
Für die Kammer bestehen keine Zweifel an der formalen Wirksamkeit des Widerrufs. Es ist nicht nachvollziehbar, wieso der Widerruf noch zusätzlich außerhalb des Prozesses hätte erklärt werden müssen, wie die Beklagtenvertreter wohl meinen. Unstreitig ist die Widerufserklärung dem Beklagten zugegangen.
26
3. Auf das übrige (verspätete) Vorbringen in der Berufungsbegründung kommt es ersichtlich nicht an, da das erstinstanzliche Urteil insoweit überhaupt keine tragenden Erwägungen enthält.
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4. Ergänzend im Sinne eines obiter dictum weist die Kammer darauf hin, dass nach hiesiger Auffassung der Beklagte jedenfalls keinen Anspruch auf die volle Vergütung haben kann und daher die Klage unabhängig von der Frage des Widerrufs teilweise Erfolg haben muss.
28
Die vom Beklagten selbst vorgelegter AGB (Anlage MMP7) sind wirksam in den Vertragsschluss einbezogen worden.
29
Der Beklagte hat diese AGB mit Scnriftsatz vom 09.05.2022 (Bl. 41/47 d.A.) vorgelegt, um seinen Vortrag zur Berechnung des Honorars zu untermauern. Der Beklagte ging also selbstverständlich davon aus, dass er sein Honorar nach Maßgabe der AGB würde abrechnen können und tat dies auch. Hierauf fußt der gesamte erstinstanzliche Vortrag des Beklagten zum Anspruch der Höhe nach. Noch in der Berufungsbegründung vom 23.01.2023 führte die Beklagtenseite aus, dass die AGB bestimmt haben, wie sich die dem Honorar zugrundeliegende Jahresersparnis berechnet (vgl. Bl. 134 d.A.).
30
Der nunmehr erstmals mit Schriftsatz vom 08.08.2023 (Bl. 167/170 d.A.) erfolgte Vortrag der Beklagtenseite dahingehend, dass die AGB gar nicht einbezogen worden seien, kann angesichts des gesamten vorangegangenen Vortrags nur als grob widersprüchlich bezeichnet werden. Die Beklagtenseite kann sich nicht einerseits zur Begründung ihrer Rechtsposition auf die von ihr verwendeten AGB beziehen, andererseits aber die Einbeziehung ihrer AGB später verleugnen, sobald ihr ihre eigenen AGB zum Nachteil gereichen könnten. Offensichtlich ist diese eklatante Umstellung des Parteivorbringens nämlich dem Hinweis der Kammer in der mündlichen Verhandlung vom 25.07.2023 geschuldet, demgemäß auch die Kammer von der Unwirksamkeit der AGB insoweit überzeugt ist, als sie die Berücksichtigung der auf den Selbstbehalt entfallenden Ersparnis betreffen. Der neue Vortrag steht zudem auch im ausdrücklichen Widerspruch zum unter Ziffer 1 der AGB (Anlage MMP7) vom Beklagten selbst vorgesehenen Geltungsbereich, nach dem diese vom Beklagten eingeführten AGB vor jeder Beauftragung durch die Auftraggeber gelesen werden sollen.
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4.2 Der gegenteilige Vortrag der Beklagtenseite ist neu und damit verspätet, § 530 ZPO sowie § 296 a ZPO. Als neues Verteidigungsmittel wäre er selbst nach Maßgabe des § 531 Abs. 2 ZPO nicht zuzulassen.
32
Bei der Frage der Einbeziehung der AGB handelt es sich im Ergebnis zwar nur um eine Rechtsfrage, deren Beantwortung setzt aber Tatsachenvortrag voraus. In erster Instanz und letztlich auch bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung in zweiter Instanz am 25.07.2023 war zwischen den Parteien unstreitig, dass der Beklagte sein Honorar der Höhe nach aus seinen AGB herleitete und die Klägerin diese AGB bei Vertragsschluss kannte bzw. jedenfalls Kenntnis nehmen konnte. Dementsprechend durfte das Amtsgericht auch ohne weitere Ausführungen in rechtlicher Folge davon ausgehen, dass die AGB einbezogen worden sind. Die nun erstmals nach Schluss der mündlichen Verhandlung in zweiter Instanz aufgestellte Behauptung, dass die AGB gar nicht einbezogen worden seien, beschränkt sich im Wesentlichen auf diese rechtliche Wertung, ohne sich zu dem eigenen entgegengesetzten Tatsachenvortrag aus erster Instanz substantiiert zu verhalten.
33
In der eigentlichen Beratungsdokumentation vom 04.12.2018 (Anlage MMP6) findet sich zwar kein ausdrücklicher Hinweis auf die AGB des Beklagten, offensichtlich entspricht der in der Dokumentation auf S. 4 enthaltene Vordruck aber dem grundsätzlich in den AGB des Beklagten angedachten Rechenweg. Der bloße Verweis auf die Beratungsdokumentation vermag daher nicht den vom Beklagten zuvor selbst geschaffenen Anschein zu erschüttern, dass die AGB Vertragsgrundlage geworden sind.
34
Auch unter dem Blickwinkel des § 531 Abs. 2 ZPO wäre das neue Vorbringen der Beklagtenseite nicht berücksichtigungsfähig. Die AGB wurden im erstinstanzlichen Urteil ausdrücklich thematisiert, sodass § 531 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO schon nicht greifen. Der neue Vortrag widerspricht zudem dem bisherigen Vortrag in erster Instanz, sodass auch § 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO nicht einschlägig ist.
35
4.3 Die AGB (Anlage MMP7) halten jedenfalls in Bezug auf Ziffer 5.2.1. a.E. und Ziffer 5.2.2., dort Satz 3, einer Inhaltskontrolle nicht stand, da die Regelung intransparent ist, § 307 Abs. 1 BGB.
36
Unter Ziffer 5 der AGB ist die Vergütung geregelt. Gemäß Ziffer 5.2.1 errechnet sich die Jahresersparnis „alleine aus der Differenz der monatlichen Beitragsprämien zum Zeitpunkt der policierten Vertragsumstellung unter Berücksichtigung unterschiedlicher Selbstbehalte.“ Unter Ziffer 5.2.2 ist sodann näher definiert, was „[d]ies bedeutet“: Zunächst ist gemäß Satz 1 der monatliche Prämienbetrag nach der Vertragsumstellung von dem monatlichen Prämienbetrag vor der Vertragsumstellung abzuziehen und mit dem Faktor 12 zu multiplizieren. Satz 2 definiert, dass insoweit nur die Angaben im Versicherungsschein maßgeblich sind. Satz 3 knüpft sodann an den (gemäß Sätzen 1 und 2) „hierdurch gebildeten Betrag“ an und legt fest, dass von diesem Betrag die Differenz der Jahresselbstbehalte abgezogen wird, die sich eventuell aus der Vertragsumstellung ergeben.
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Angewandt auf das streitgegenständliche Honorar ergibt sich gemäß den Sätzen 1 und 2 ein Betrag von 446,04 €, von dem nun die Differenz in den Selbstbehalten (hier 1.600 €) abzuziehen ist. Es ergäbe sich also ein negativer Betrag, mithin könnte kein Honorar verlangt werden. Im krassen Widerspruch zum Wortlaut seiner eigenen AGB zog der Beklagte aber die Differenz in den Selbstbehalten nicht von dem gemäß Sätzen 1 und 2 gebildeten Betrag ab, sondern addierte diese Differenz zu dem gebildeten Betrag und kam so auf 2.046,04 € als Berechnungsgrundlage für das Honorar (vgl. Bl. 45 d.A.). Der Wortlaut des „Abzugs“ einer Position von einer anderen Position ist aber nach Auffassung der Kammer im Rahmen des AGB-Rechts nicht auslegungsfähig, da grammatikalisch und mathematisch eindeutig.
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Offensichtlich möchte der Beklagte also die von ihm verwendeten AGB nicht immer wie vorgesehen bzw. vorformuliert anwenden, sondern gegebenenfalls zu seinem Vorteil gegenteilig auslegen, wenn der an sich eindeutige Wortlaut ihm zum Nachteil gereicht. Es ist also für den Vertragspartner aus den zitierten Regelungen in den AGB nicht klar ersichtlich und verständlich, welche Vergütung am Ende auf ihn zukommt, konkret: wie genau der Beklagte eine etwaige Differenz der Selbstbehalte in die Berechnung einpreisen möchte. Die diesbezügliche Regelung ist daher unwirksam.
39
4.4 Es wurde hinsichtlich des Honorars keine individuelle Vertragsabrede getroffen, § 305 b BGB, die Vorrang vor den unwirksamen AGB hätte.
40
Soweit die Berechnung des Honorars in der Beratungsdokumentation (MMP6) durchdekliniert ist, handelt es sich nicht um eine vorrangige individuelle Vertragsabrede. Die dort dargestellte Berechnung orientiert sich gemäß dem (bis zum 25.07.2023 erfolgten) Vortrag des Beklagten offensichtlich an Ziffer 5 der AGB. Es handelt sich somit nach dem Verständnis der Kammer nur um die Ausformulierung der bereits auf Grundlage der AGB getroffenen Honorarvereinbarung. In jedem Fall handelt es sich bei der Beratungsdokumentation selbst nicht um eine individuelle Vertragsabrede, da hier lediglich die bereits erfolgte Beratung bzw. die bereits abgeschlossene Honorarvereinbarung dokumentiert wird.
III.
41
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
42
Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.