Titel:
Ablehnung eines Antrags auf Zurückstellung der Strafvollstreckung zur Absolvierung einer stationären Drogentherapie
Normenketten:
BtMG § 35 Abs. 1 S. 1
EGGVG § 23, § 24 Abs. 1, Abs. 2, § 26 Abs. 1, § 28 Abs. 1 S. 1
StVollstrO § 21
Leitsätze:
1. Die erforderliche Kausalität im Sinne des § 35 BtMG besteht bei Taten, die der Beschaffung von Drogen zur Befriedigung der Sucht dienen sollen oder die der Täter ohne die Betäubungsmittelabhängigkeit nicht begangen hätte. Die Voraussetzungen sind nicht erfüllt, wenn einem Betäubungsmitteldelikt nach den Urteilsfeststellungen nicht der Suchtdruck, sondern ein anderer Anlass zu Grunde lag.
2. Umfangreiche Ermittlungen zur Feststellung des Kausalzusammenhangs hat die Vollstreckungsbehörde im Rahmen des Verfahrens nach § 35 BtMG nicht zu führen.
3. Die Entscheidung über die Zurückstellung der Strafvollstreckung ist einer Verständigung nicht zugänglich.
4. Eine Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 Abs. 1 BtMG kann nicht erfolgen, wenn eine weitere, nicht zurückstellungsfähige Strafe zu vollstrecken ist.
1. Eine Betäubungsmittelabhängigkeit des Täters ist nicht schon dann im Sinne von § 35 Abs. 1 S. 1 BtMG ursächlich für eine Tat, wenn zum Zeitpunkt der Tat eine Betäubungsmittelabhängigkeit besteht oder wenn die Tat aus einer Betäubungsmittelabhängigkeit heraus zu erklären ist (vgl. BayObLG BeckRS 2021, 37167). Die erforderliche Kausalität besteht vielmehr nur bei Taten, die der Beschaffung von Drogen zur Befriedigung der Sucht dienen sollen oder die der Täter ohne die Betäubungsmittelabhängigkeit nicht begangen hätte (BayObLG aaO ). (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Entscheidung über die Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 Abs. 1 S. 1 BtMG ist einer Verständigung nicht zugänglich. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 Abs. 1 BtMG kann nicht erfolgen kann, wenn eine weitere, nicht zurückstellungsfähige Strafe zu vollstrecken ist (vgl. OLG Celle BeckRS 1998, 2317). (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Strafvollstreckung, Zurückstellung, Therapie, Betäubungsmittelabhängigkeit, Ursächlichkeit, Antrag auf gerichtliche Entscheidung
Fundstellen:
BeckRS 2023, 50139
LSK 2023, 50139
StV 2024, 464
Tenor
1. Der Antrag des Verurteilten auf gerichtliche Entscheidung vom 28. September 2023 gegen die Verfügungen der Staatsanwaltschaft Würzburg vom 21. Juni 2023 (863 VRs 17396/17) und vom 23. Juni 2023 (822 VRs 9811/21) in der Gestalt des Bescheids des Generalstaatsanwalts in Bamberg vom 17. August 2023 wird auf Kosten des Antragstellers als unbegründet zurückgewiesen.
2. Der Geschäftswert wird auf 5.000 € festgesetzt.
3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.
Gründe
1
Der Antragsteller befindet sich seit dem 13. Juni 2023 auf eigene Veranlassung stationär in einer Entzugstherapie und begehrt die Zurückstellung der Vollstreckung zweier vom Amtsgericht Würzburg ausgesprochenen Freiheitsstrafen.
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Mit Urteil vom 18. April 2018 -311 Ls 863 Js 17396/17 –, rechtskräftig seit diesem Tage, hatte das Amtsgericht Würzburg den Antragsteller wegen unerlaubter Abgabe von Betäubungsmitteln an einen Minderjährigen in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten verurteilt und die Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Mit Beschluss des Amtsgerichts Würzburg vom 30. März 2023, rechtskräftig seit 14. April 2023, hat es die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen.
3
Mit Urteil des Amtsgerichts Würzburg vom 13. April 2022 – 8 Ds 822 Js 9811/21 –, rechtskräftig seit 27. Oktober 2022, wurde der Antragsteller zudem wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt. Beide Strafen stehen nunmehr zur Vollstreckung an.
4
Mit Schreiben seines Rechtsanwalts vom 27. Dezember 2022 hat der Verurteilte im Verfahren 8 Ds 822 Js 9811/21 bei der Staatsanwaltschaft Würzburg beantragt, Vollstreckungsaufschub zu gewähren und die Vollstreckung der Strafe gemäß § 35 BtMG zurückzustellen. Eine Bewilligung einer stationären Leistung zur medizinischen Rehabilitation und eine Aufnahmezusage hat er nachgewiesen. Die Staatsanwaltschaft hat den Antrag auf beide Vollstreckungsverfahren bezogen und bei dem Amtsgericht Würzburg um eine Entscheidung über die Zustimmung ersucht, woraufhin das Amtsgericht in den Verfahren 8 Ds 822 Js 9811/21 und 311 LS 863 Js 17396/17 jeweils am 31. Mai 2023 der Zurückstellung der Vollstreckung unter Einschränkungen zugestimmt hat.
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Die Staatsanwaltschaft Würzburg hat im Verfahren 822 VRs 9811/21 zunächst mit Verfügung vom 4. Mai 2023 und anschließend mit Verfügung vom 23. Juni 2023 den Antrag auf Zurückstellung abgelehnt. Gegen den Verurteilten sei noch eine weitere Freiheitsstrafe zu vollstrecken, die nicht zurückstellungsfähig sei. Im Verfahren 863 VRs 17396/17 hat die Staatsanwaltschaft den Antrag auf Zurückstellung mit Verfügung vom 21. Juni 2023 abgelehnt. Die Taten seien nicht oder nicht überwiegend aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden.
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Gegen die ablehnenden Entscheidungen hat der Antragsteller mit Schreiben seines Verfahrensbevollmächtigten vom 3. Juli 2023 jeweils Beschwerde eingelegt und diese mit Schreiben vom 2. August 2023 begründet. Die Voraussetzungen für eine Zurückstellung nach § 35 BtMG seien sehr wohl gegeben. Eine Rechtspflegerin der Staatsanwaltschaft habe zudem während der Berufungsverhandlung im Verfahren 8 Ds 822 Js 9811/21 eine positive Entscheidung über den Antrag für beide Vollstreckungsverfahren in Aussicht gestellt, wenn sich im Berufungsurteil „ein kleiner Hinweis auf eine Drogenabhängigkeit“ ergeben würde. Die Staatsanwaltschaft hat der Beschwerde mit Verfügung vom 9. August 2023 nicht abgeholfen und die Sache der Generalstaatsanwaltschaft zur Entscheidung vorgelegt.
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Mit Bescheid vom 17. August 2023, dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers zugestellt am 28. August 2023, hat der Generalstaatsanwalt in Bamberg die Beschwerden des Verurteilten gegen die Verfügungen der Staatsanwaltschaft Würzburg vom 21. und vom 23. Juni 2023 zurückgewiesen. Es bestünden bereits Bedenken, dass der Angeklagte aktuell noch an einer behandlungsbedürftigen Betäubungsmittelabhängigkeit leide. Jedenfalls wären die der Verurteilung im Verfahren 863 VRs 17396/17 zugrundeliegenden Taten nicht aufgrund der Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden.
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Mit Schreiben seines Verfahrensbevollmächtigten vom 28. September 2023, bei Gericht eingegangen an diesem Tage, hat der Verurteilte Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt und beantragt, die angefochtenen Entscheidungen der Vollstreckungsbehörde aufzuheben und die Staatsanwaltschaft zu verpflichten, die Vollstreckung der Freiheitsstrafen zurückzustellen, hilfsweise die Sache zur neuen Entscheidung an die Vollstreckungsbehörde zurückzugeben. Die Generalstaatsanwaltschaft München beantragt mit Schreiben vom 16. November 2023, den Antrag als unbegründet zu verwerfen. Der Senat nimmt wegen der Einzelheiten auf die genannten Entscheidungen, Verfügungen und Schreiben vollumfänglich Bezug.
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1. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen den Bescheid des Generalstaatsanwalts in Bamberg vom 17. August 2023 ist nach § 23 EGGVG statthaft. Er ist gemäß § 26 Abs. 1 EGGVG i.V.m. § 43 Abs. 2 StPO form- und fristgerecht eingelegt worden und auch nach § 24 Abs. 1 und 2 EGGVG zulässig, da jeweils das erforderliche Vorschaltverfahren (§ 21 StVollstrO) durchgeführt worden ist.
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2. In der Sache bleibt der Antrag jedoch ohne Erfolg. Die Erwägungen der Vollstreckungsbehörden erweisen sich als rechtsfehlerfrei, der Antragsteller ist daher durch die Ablehnung der Zurückstellung nicht in seinen Rechten verletzt (§ 28 Abs. 1 Satz 1 EGGVG).
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a. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist die Entscheidung der Staatsanwaltschaft in der Gestalt, die sie im Vorschaltverfahren (§ 24 Abs. 2 EGGVG, § 21 StVollStrO) durch den Bescheid des Generalstaatsanwalts erhalten hat.
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b. Zu Recht ist die Generalstaatsanwaltschaft zu dem Ergebnis gekommen, dass die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 Satz 1 BtMG bezüglich der der Verurteilung vom 18. April 2018 zugrundeliegenden Taten nicht vorliegen.
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aa. Die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe kann nach § 35 Abs. 1 BtMG, den Fortbestand einer behandlungsbedürftigen Betäubungsmittelabhängigkeit des Antragstellers unterstellt, nur zurückgestellt werden, wenn es sich aus den Urteilsgründen ergibt oder sonst feststeht, dass der Täter die der Freiheitsstrafe zugrunde liegende Tat aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat.
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bb. Dazu ist ein enger Zusammenhang zwischen der Betäubungsmittelabhängigkeit oder bei Beschaffungsdelikten der Betäubungsmittelbeschaffung und der begangenen Straftat im Sinne eines unmittelbaren Kausalzusammenhangs erforderlich (vgl. Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl. § 35 Rn. 95 ff., insb. 96 m.w.N.). Eine Ursächlichkeit kann nicht bereits dann angenommen werden, wenn zum Zeitpunkt der Tat eine Betäubungsmittelabhängigkeit bestand oder wenn die Tat aus einer Betäubungsmittelabhängigkeit heraus zu erklären ist (OLG Koblenz, Beschluss vom 30. März 2017 – 2 VAs 3/17 –, juris; Bayerisches Oberstes Landesgericht, Beschluss vom 28. Januar 2021 – 204 VAs 536/20 –, juris Rn. 20 m.w.N.). Die erforderliche Kausalität im Sinne des § 35 BtMG besteht vielmehr nur bei Taten, die der Beschaffung von Drogen zur Befriedigung der Sucht dienen sollen oder die der Täter ohne die Betäubungsmittelabhängigkeit nicht begangen hätte (st. Rspr., vgl. BayObLG a.a.O.). Der Kausalzusammenhang muss mit Gewissheit bestehen (KG Berlin, Beschluss vom 31. August 2007 – 1 Zs 1552/06 – 1 VAs 44/07 –, juris Rn. 10; Patzak u.a. a.a.O. Rn. 96). Bei der Beurteilung der Kausalität steht der Vollstreckungsbehörde nach der gefestigten Rechtsprechung ein Beurteilungsspielraum zu (st. Rspr., vgl. BayObLG a.a.O. Rn. 15 m.w.N.). Umfangreiche Ermittlungen zur Feststellung des Kausalzusammenhangs hat die Vollstreckungsbehörde im Rahmen des Verfahrens nach § 35 BtMG nicht zu führen (OLG Koblenz, Beschluss vom 30. März 2017 – 2 VAs 3/17 –, juris Rn. 17; KG Berlin, Beschluss vom 31. August 2007 – 1 Zs 1552/06 – 1 VAs 44/07 –, juris Rn. 10).
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cc. Die Generalstaatsanwaltschaft hat hier orientiert an den Feststellungen des Urteils nachvollziehbar dargelegt, dass die verfahrensgegenständlichen Verkäufe nicht aus einem Suchtdruck heraus erfolgten, sondern weil der Angeklagte dem Drängen des Erwerbers nachkam.
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dd. Zutreffend hat die Generalstaatsanwaltschaft auch ausgeführt, dass die Entscheidung über die Zurückstellung der Strafvollstreckung einer Verständigung nicht zugänglich wäre. Die vom Antragsteller behauptete Auskunft der Rechtspflegerin zur Zweckmäßigkeit von bestimmten Feststellungen im Urteil war ersichtlich nicht geeignet, einen Vertrauensschutztatbestand bezüglich der Vollstreckung eines gesonderten Verfahrens zu schaffen.
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ee. Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde ist daher nicht zu beanstanden. Sie hat die Ablehnung der Zurückstellung der Vollstreckung im Verfahren 863 VRs 17396/17 ohne Rechtsfehler auf das Fehlen eines Kausalzusammenhangs gestützt.
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c. Auch die weitergehenden Erwägungen der Vollstreckungsbehörde sind zutreffend. Es entspricht der anerkannten obergerichtlichen Rechtsprechung, dass eine Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 Abs. 1 BtMG nicht erfolgen kann, wenn eine weitere, nicht zurückstellungsfähige Strafe zu vollstrecken ist (vgl. etwa OLG Celle, Beschluss vom 26. August 1997 – 1 VAs 13/97 –, juris; OLG Koblenz, Beschluss vom 30. März 2017 – 2 VAs 3/17 –, juris). Aus § 35 Abs. 6 BtMG ist zu schließen, dass die Zurückstellung bereits dann zu versagen ist, wenn ein Hindernis im Sinne des § 35 Abs. 6 bei der Entscheidung über die Zurückstellung vorliegt (OLG München, Beschluss vom 2. Dezember 1999 – 2 Ws 1168 – 1170/99 –, juris Rn. 8).
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1. Die Entscheidung über die Gerichtskosten ergibt sich aus § 1 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 19, § 22 Abs. 1 GNotKG. Es besteht kein Anlass, die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers der Staatskasse aufzuerlegen (§ 30 Satz 1 EGGVG).
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2. Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 1 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 19, § 79 Abs. 1 Satz 1, § 36 Abs. 1 und 3 GNotKG.
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Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen (§ 29 Abs. 2 EGGVG), da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert.