Inhalt

VG München, Urteil v. 05.12.2023 – M 18 K 19.710
Titel:

Pflegegeld, Schuldbeitritt, Rückforderung gegenüber Pflegeeltern, Jugendhilferechtliches Dreiecksverhältnis

Normenketten:
SGB X § 31
SGB X § 44
SGB X § 50
BGB § 421
BGB § 812
Leitsatz:
Zahlungen des Jugendhilfeträgers an einen Leistungserbringer im Rahmen eines jugendhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses können nicht über § 50 SGB X zurückgefordert werden, sondern können ausschließlich über einen zivilrechtlichen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung nach § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB zurückgefordert werden.
Schlagworte:
Pflegegeld, Schuldbeitritt, Rückforderung gegenüber Pflegeeltern, Jugendhilferechtliches Dreiecksverhältnis
Fundstelle:
BeckRS 2023, 50131

Tenor

I. Der Rückforderungsbescheid vom 14. Januar 2019 wird aufgehoben.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Tatbestand

1
Die Kläger wenden sich gegen einen Rückforderungsbescheid der Beklagten hinsichtlich Pflegegeldzahlungen.
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Die Kläger sind irakische Staatsbürger und leben dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland. Am 20. April 2015 reist die Schwester K. des Klägers zu 1), geb. ... 2004, minderjährig und unbegleitet im Rahmen des Verwandtennachzugs in die Bundesrepublik Deutschland ein.
3
Die Beklagte nahm K. am 20. April 2015 durch Unterbringung bei dem Kläger zu 1) in Obhut. Mit Bescheid vom 28. April 2015 bestätigte die Beklagte die Inobhutnahme ab 20. April 2015, verpflichtete sich zur Übernahme des ortsüblichen Regelsatzes eines Haushaltsangehörigen in Höhe von 278 EUR monatlich bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres und genehmigte eine Bekleidungserstausstattung. Im Adressfeld des Bescheides ist vermerkt „Original verbleibt im Akt bis Vormund bestellt ist“. Eine Kopie dieses Bescheides erhielt der Kläger zur 1).
4
Mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 24. April 2015 wurde festgestellt, dass die elterliche Sorge der Eltern der K. ruht. Mit weiteren Beschluss vom 29. April 2015 wurde die Vormundschaft für K. angeordnet und die Beklagte zum Vormund bestimmt.
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Die Vormundin beantragte am 9. Juni 2015 bei der Beklagten Hilfe zur Erziehung gemäß § 27 in Verbindung mit § 34 SGB VIII (gemeint wohl § 33 SGB VIII) in Form von Verwandtenpflege beim Bruder.
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Mit Schreiben vom 21. Juli 2015 gab die Vormundin gegenüber dem Kläger zu 1) eine Erklärung zum Umfang der Ausübung der Personensorge nach § 1688 Abs. 3 Satz 1 BGB ab.
7
Die Beklagte gewährte mit Bescheid vom 13. Dezember 2016 gegenüber der Vormundin als Leistung der Jugendhilfe Hilfe zur Erziehung in Form von Verwandtenpflege bei den Klägern (Ziffer 1 des Bescheids). Setzte das Pflegegeld für die Zeit vom 9. Juni 2015 bis 31. Dezember 2015-monatlich auf 947,- EUR und für die Zeit vom 1. Januar 2016 bis auf weiteres monatlich auf 1.113,- EUR fest (Ziffer 2 des Bescheids). Neben dem Pflegegeld wurde ab 9. Juni 2015 als Zusatzleistung eine Pauschale in Höhe von monatlich 25,- EUR gewährt (Ziffer 3 des Bescheids). Unter Ziffer 6 des Bescheides wurde der Bescheid vom 28. April 2015 ab 9. Juni 2015 aufgehoben. Eine Kopie dieses Bescheides wurde den Klägern übersandt.
8
Die Eltern der K. reisten Anfang 2017 in die Bundesrepublik Deutschland ein.
9
Am 31. Januar 2017 erfolgte eine Vorsprache bei der Beklagten. Teilnehmer dieses Gespräches waren neben der zuständigen Fachkraft der Beklagten K., die Eltern der K., der Kläger zu 1) sowie die Vormundin. In dem als Hilfeplan bezeichneten und von allen Teilnehmenden unterschriebenem Formular der Beklagten wird ausgeführt, dass die Hilfe zum 31. Januar 2017 beendet werde, da durch die Einreise der Eltern keine Veranlassung hierzu mehr bestehe. K. wohne weiterhin bei ihrem Bruder, da dort auch die leiblichen Eltern seit ihrer Einreise gemeldet seien. In einem weiteren Aktenvermerk vom 31. Januar 2017 wird als Gesprächsinhalt u.a. festgehalten, dass allen Beteiligten erklärt worden sei, dass mit der Einreise der Eltern das Ruhen der elterlichen Sorge entfalle und es keine Grundlage mehr für eine Vormundschaft gebe. Verwandtenpflegegeld werde somit beendet; K. habe Anspruch auf Leistungen vom Jobcenter.
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Mit Beschluss des Amtsgerichts München vom 2. Februar 2017 lebte die elterliche Sorge der Eltern der K. wieder auf und wurde die Vormundschaft der Beklagten für K. aufgehoben.
11
Im Folgenden überwies die Beklagte (wohl) bis Oktober 2018 weiter monatlich das Pflegegeld an die Kläger.
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Die Beklagte hob mit Bescheid vom 14. Januar 2019 gegenüber der damaligen Vormundin von K. den Bescheid vom 13. Dezember 2016 ab 31. Januar 2017 auf. In den Gründen wird ausgeführt, dass sich die Aufhebung auf § 48 SGB X stütze. Die Voraussetzungen nach § 33 SGB VIII seien nicht mehr gegeben. Eine Kopie dieses Bescheides erhielten die Kläger.
13
Mit streitgegenständlichen Bescheid an die Kläger ebenfalls vom 14. Januar 2019 stellte die Beklagte fest, dass für die Zeit vom 31. Januar 2017 mit Oktober 2018 eine Überzahlung entstanden sei (Ziffer 1 des Bescheids) und sich die Rückforderung auf 23.278,- EUR belaufe (Ziffer 2 des Bescheids). In den Gründen wird ausgeführt, dass sich die Rückforderung auf § 50 SGB X stütze. Da das Pflegeverhältnis zum 31. Januar 2017 beendet worden sei und zu Unrecht die Pflegegelder von Februar 2017 mit Oktober 2018 sowie Weihnachtsbeihilfe 2017 geleistet worden sei, seien die Kläger nach § 50 SGB X verpflichtet, die zu Unrecht erhaltenen Pflegegelder zurückzuzahlen.
14
Mit Schriftsatz vom 12. Februar 2019, eingegangen am 13. Februar 2019, erhob die Bevollmächtigte der Kläger zum Verwaltungsgericht München Klage, beantragte,
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den Bescheid der Beklagten vom 14. Januar 2019 aufzuheben.
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Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass in dem Gespräch vom 31. Januar 2017 den Klägern mitgeteilt worden sei, dass die Verwandtenpflege beendet sei. Dass damit gleichzeitig die Aufhebung des Bescheides vom 28. April 2015 gemeint sei, ergebe sich aus dem Hilfeplan vom 31. Januar 2017 nicht. Die Kläger seien davon ausgegangen, dass sie sich um die Einstellung der Zahlung des Verwandtenpflegegeldes nicht weiter kümmern müssten. Dennoch sei die Zahlung weiter erfolgt. Der Kläger habe, nachdem er die Weiterzahlung des Pflegegeldes festgestellt habe, mehrfach versucht, telefonischen Kontakt zu der Beklagten herzustellen. Dies sei ihm jedoch nicht gelungen. Im Übrigen hätten sich die Kläger auf die Aussage der Sachbearbeiterin vom 31. Januar 2017 verlassen, dass die Einstellung der Zahlung automatisch erfolge, ohne dass sie sich diesbezüglich kümmern müssten. Die Kläger hätten sich darauf verlassen dürfen, dass die Auszahlung des Verwandtenpflegegeldes ordnungsgemäß und zeitnah eingestellt werde. Eine formale Aufhebung des Verwaltungsaktes vom 28. April 2015 habe es nicht gegeben, sodass hier § 50 Abs. 2 SGB X einschlägig sein dürfe. Danach seien die §§ 45 und 48 SGB X bei der Rückforderung von Zahlungen entsprechend anzuwenden. Es sei nicht zu rechtfertigen, die gezahlten Gelder zurückzufordern. Da die Kläger seitens der Beklagten nicht nochmals durch Bescheide darauf hingewiesen worden seien, dass die Zahlung des Pflegegeldes eingestellt und der Bescheid vom 28. April 2015 damit aufgehoben sei, sei davon auszugehen, dass das Verschulden hier ausschließlich bei der Beklagten liege. Der Bescheid sei damit rechtswidrig und aufzuheben.
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Des Weiteren wurde ein Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe gestellt.
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Der zudem gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage (M 18 S 19.711) wurde nach Hinweis des Gerichts am 28. Februar 2019 zurückgenommen und das Verfahren mit Beschluss vom 28. Februar 2019 eingestellt.
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Mit Schriftsatz vom 11. Mai 2023 legte die Beklagte die Akten vor und beantragte,
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die Klage abzuweisen.
21
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Aufhebung des Bewilligungsbescheides nach § 48 SGB X mit Bescheid vom 14. Januar 2019 erfolgt und dieser Bescheid rechtskräftig sei. Der streitgegenständliche Rückforderungsbescheid beruhe zu Recht auf § 50 SGB X; im vorliegendem Fall sei eine Rückforderung nach § 50 Abs. 2 Satz 1 SGB X einschlägig. Die Kläger hätten sich angesichts der Gesamtumstände nicht auf den Behalt des Gelds verlassen dürfen.
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Durch Beschluss der Kammer vom 6. September 2023 wurde der Rechtsstreit gemäß § 6 VwGO zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
23
Mit Beschluss vom 6. September 2023 wurde den Klägern unter Beiordnung ihrer Prozessbevollmächtigten Prozesskostenhilfe bewilligt.
24
Die Beklagte erklärte mit Schriftsatz vom 18. Oktober 2023, die Klageseite mit Schriftsatz vom 7. November 2024 den Verzicht auf mündliche Verhandlung.
25
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht konnte im schriftlichen Verfahren entscheiden, da die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben, § 101 Abs. 2 VwGO.
27
Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnete, da sich die Kläger gegen einen mit Verwaltungsakt geltend gemachten Rückerstattungsanspruch wenden und damit eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art vorliegt, § 40 VwGO (vgl. BSG Urt. v. 24.7.2001 – B 4 RA 102/00 R, Rn. 11, beck-online).
28
Die zulässige Klage ist begründet. Der Bescheid vom 14. Januar 2019 an die Kläger, mit dem die Beklagte Pflegegeldleistungen in Höhe von 23.278,- EUR zurückforderte ist rechtswidrig und verletzt die Kläger in ihren Rechten; er war daher aufzuheben, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
29
Die Beklagte war nicht berechtigt, die Rückforderung gegen die Kläger durch eine öffentlich-rechtlichen Bescheid zu regeln.
30
Der streitgegenständliche Bescheid ist ein Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Satz 1 SGB X, mit dem die Beklagte eine Rückzahlungsverpflichtung der Kläger feststellte. Eine Regelung durch Verwaltungsakt ist jedoch gemäß § 31 Satz 1 SGB X ausschließlich auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts zulässig. Die Behörde darf sich dieses Instruments nicht allgemein zur Durchsetzung ihrer Belange bedienen.
31
Die Rechtsbeziehung zwischen der Beklagten und den Klägern ist jedoch zivilrechtlich zu bewerten, sodass der Beklagten ein Vorgehen durch Verwaltungsakt verwehrt war.
32
Auf die Rechtsbeziehungen im Rahmen der Bewilligung einer Hilfe zur Erziehung in Form der Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII, wie vorliegend gegenüber der Vormundin mit Bescheid vom 13. Dezember 2016 bewilligt, ist das sog. jugendhilferechtliche Dreiecksverhältnis anwendbar (vgl. BayVGH, B.v. 20.1.14 – 12 ZB 12.2766 – juris Rn. 18, B.v. 24.10.22 – 12 CE 22.1860 – juris Rn. 25).
33
Dieses beschreibt die wechselseitigen und unterschiedlichen Rechtsbeziehungen zwischen dem Träger der Sozial- bzw. Jugendhilfe, dem Leistungsberechtigten (hier der Vormundin als Personensorgeberechtigte) und dem Leistungserbringer (hier den Klägern als Pflegeeltern). Wobei zwischen dem Leistungsempfänger und dem Jugendhilfeträger ein öffentlich-rechtliches Leistungsverhältnis (Grundverhältnis) besteht. Im Rahmen dieses Grundverhältnisses hat der Leistungsempfänger keine Primäransprüche auf Zahlung entstehender oder entstandener Kosten an sich selbst; er kann vom Hilfeträger, der durch Verwaltungsakt (§ 31 SGB X) entscheidet, ausschließlich die Übernahme dieser Kosten (als Sachleistungsverschaffungspflicht) in Form der Zahlung an den Leistungserbringer verlangen. Der Bewilligungsbescheid ist demgemäß als privatrechtsgestaltender Verwaltungsakt mit Drittwirkung (zugunsten des Leistungserbringers – hier der Kläger) nach § 31 SGB X zu qualifizieren. Der öffentliche Jugendhilfeträger tritt auf diese Weise als Gesamtschuldner im Sinne der §§ 421 ff. BGB in Höhe der bewilligten Leistung, wie sie in dem Bewilligung- bzw. Kostenübernahmebescheid ausgewiesen ist, an die Seite des Leistungsempfängers. Er wird auf diese Weise im Form des Schuldbeitritts Gesamtschuldner einer zivilrechtlichen Forderung (§§ 421 ff BGB) in Höhe der bewilligten Leistung. Zahlt der Jugendhilfeträger an den Leistungserbringer, leistet er auf seine Verpflichtung aus dem Schuldbeitritt (stRspr; BGH, U.v. 18.2.21 – III ZR 175/19 – juris Rn. 19, 26; U.v. 11.4.2019 – III ZR 4/18 – juris RN. 17). Unabhängig davon, dass § 75 Abs. 6 SGB XII mit dem ein unmittelbarer Zahlungsanspruch des Leistungserbringers gegen den Sozialhilfeträger eingeführt wurde, erst zum 1. Januar 2020 in Kraft trat, führt auch diese Gesetzesänderung nicht zu einer Änderung im jugendhilferechtlichen Dreiecksverhältnis (vgl. hierzu ausführlich: BGH, U.v. 18.2.2021 – III ZR 175/19 – juris Rn. 33).
34
Der Schuldbeitritt ist wie Garantie und Bürgschaft ein reines (abstraktes) Verpflichtungsgeschäft, das darauf zielt, eine eigene Schuld des Dritten zu begründen und diese neben die des Schuldners zu stellen. Er ist im BGB nicht geregelt. Im Unterschied zur Bürgschaft ist der Schuldbeitritt formfrei; § 766 BGB greift nicht. Die Schuld des Beitretenden ist nicht akzessorisch. Nach Inhalt, Wesen und Umfang bemisst sie sich lediglich in der Sekunde ihrer Begründung nach der Haupt- oder Urschuld. Ab diesem Zeitpunkt gehen Haupt- und Primärschuld getrennte Wege; verbunden sind sie nur durch den Tilgungszusammenhang der Gesamtschuld (Staudinger/Rieble (2022) BGB § 414, Rn. 31 m.w.N.).
35
Werden der Bewilligungsbescheid und der darin erklärte Schuldbeitritt nach Maßgabe der §§ 44 ff SGB X aufgehoben, entfällt im Verhältnis zum Leistungserbringer der Rechtsgrund für die Zahlungen des Jugendhilfeträgers, der Schuldbeitritt geht damit ins Leere. Dem Jugendhilfeträger steht dann ggf. ein Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung nach § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB gegen den Leistungserbringer zu (grundlegend hierzu: BGH, U.v. 11.4.2019 – III ZR 4/18 – juris Rn. 16 ff.; U.v. 18.2.2021 – III ZR 175/19 – juris Rn. 26).
36
Zwischen der Beklagten als Jugendhilfeträgerin und den Klägern als Leistungserbringer besteht damit eine rein privatrechtliche Rechtsbeziehung. Da den Klägern auch – entgegen der Formulierung der Bevollmächtigten in der Klageschrift – die Personensorge für K. mit dem Schreiben vom 21. Juli 2015 nicht übertragen wurde (was im Übrigen auch dem Familiengericht vorbehalten wäre), sondern dieses Schreiben lediglich eine Erklärung zum Umfang der Ausübung der Personensorge nach § 1688 Abs. 3 Satz 1 BGB darstellt, waren die Kläger zu keinem Zeitpunkt Leistungsempfänger der bewilligten Vollzeitpflege und standen damit (auch) in keinem öffentlich-rechtliche Verhältnis zur Beklagten.
37
Die Beklagte kann den mit dem streitgegenständlichen Bescheid geltend gemachten Rückabwicklungsanspruch daher – unabhängig davon, dass die erforderliche vorherige Anhörung der Kläger hierzu rechtswidrig unterblieb, §§ 24, 42 Satz 2 SGB X – nicht rechtmäßig auf § 50 Abs. 2 SGB X stützen und mit Verwaltungsakt gemäß § 50 Abs. 3 Satz 1 SGB X festsetzen.
38
Gemäß § 50 Abs. 2 SGB X sind Leistungen, die ohne Verwaltungsakt zu Unrecht erbracht wurden, zu erstatten. Hierunter sind jedoch nicht jedwede Leistungen zu verstehen, sondern nur Leistungen im Weg schlichten Verwaltungshandelns (Knickrehm/Roßbach/Waltermann/Fichte, 8. Aufl. 2023, SGB X § 50 Rn. 11; wohl kritisch Baumeister in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Aufl., § 50 SGB X (Stand: 15.11.2023), Rn. 43 ff.). § 50 SGB X regelt somit nicht sämtliche denkbaren Erstattungsansprüche eines Trägers gegen einen Bürger, sondern setzt als Kehrseite des Leistungsanspruchs voraus, dass die Zahlung auf Grund eines öffentlich-rechtlichen Leistungsverhältnisses zwischen Empfänger und Leistungsträger erfolgt ist (BeckOGK/Steinwedel, 1.3.2021, SGB X § 50 Rn. 3a; BeckOGK/Siefert, 15.2.2023, SGB I § 53 Rn. 62; Schütze/Schütze, 9. Aufl. 2020, SGB X § 50 Rn. 22 ff. mit umfangreichen Anwendungsbeispielen; Jan Oliver Merten in: Hauck/Noftz SGB X, 4. Ergänzungslieferung 2023, § 50 SGB X, Rn. 33). Dies ist jedoch vorliegend zwischen den Parteien – wie ausgeführt – nicht gegeben. Die Beklagte leistete an die Kläger nicht zur Erfüllung einer öffentlich-rechtlichen Schuld gegenüber dem Leistungsempfänger, sondern auf Grund des zivilrechtlichen Schuldbeitritts. Daher hat die Beklagte gegenüber den Klägern auch keine (weitergeleiteten) Sozialleistungen erbracht, sondern bediente den zivilrechtliche Zahlungsanspruch der Kläger gegenüber dem Leistungsempfänger (vgl. BeckOGK/Siefert, 15.2.2023, SGB I § 53 Rn. 61; BSG, U.v. 24.7.2001 – B 4 RA 102/00 R – beck-online).
39
Es ist daher im vorliegenden Verfahren auch nicht relevant, ob die mit Bescheid vom 14. Januar 2019 erfolgte Aufhebung der mit Bescheid vom 13. Dezember 2016 bewilligten Vollzeitpflege nach Aufhebung der Vormundschaft überhaupt wirksam gegenüber der damaligen Vormundin erfolgen konnte und ob – wie die Bevollmächtigte der Kläger argumentiert – eine formale Aufhebung des Verwaltungsaktes vom 28. April 2015 erfolgt sei. Ebenso sind die – zwischen den Parteien diskutieren – Fragen, ob eine Rückforderung nur bei Bösgläubigkeit der Kläger gemäß § 50 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X und wie eine solche vorliegend zu beurteilen wäre, im vorliegenden Verfahren irrelevant.
40
Die Beklagte kann ihren Bescheid auch nicht erfolgreich auf § 53 Abs. 6 SGB I stützen. Zwar ermächtigt § 53 Abs. 6 Satz 2 SGB I den Leistungsträger auch gegenüber einem Dritten, der durch die Abtretung an sich nicht in das Sozialrechtsverhältnis zwischen Zedent und Leistungsträger einrückt, also in keinem Verhältnis der Über- und Unterordnung steht, durch Verwaltungsakt zu handeln (BeckOGK/Siefert, 15.2.2023, SGB I § 53 Rn. 61). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Geldleistung eine Abtretung oder Verpfändung zugrunde liegt, was vorliegend nicht gegeben ist. Eine analoge Anwendung dieser Sonderregelung scheidet ebenfalls aus, da mit dieser verhindert werden soll, dass der Sozialleistungsberechtigte durch Abtretung die Durchsetzung von Erstattungsansprüchen nach § 50 SGB X im Wege einer Aufrechnung oder Verrechnung vereitelt (Mrozynski SGB I, 6. Aufl. 2019, SGB I § 53 Rn. 41), was auf die vorliegende Situation nicht übertagbar ist.
41
Schließlich verbietet sich auch eine Übertragung von möglichen Regelungen aus anderen Bereichen der Sozialhilfe auf Grund der Kennzeichnung des Kinder- und Jugendhilferechts durch zahlreiche Sonderregelungen und -konstellationen (vgl. BGH, U.v. 18.2.21 – III ZR 175/19 – juris Rn. 56). Die Beklagte ist daher ausschließlich auf einen möglichen zivilrechtlichen Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung nach § 812 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 BGB zu verweisen (s.o.), den sie jedoch nicht mit Mitteln des Verwaltungsrechts durchsetzen kann, so dass der streitgegenständliche Bescheid rechtswidrig ist.
42
Der Klage war daher stattzugeben.
43
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
44
Gerichtskosten werden nicht erhoben, § 188 Satz 2 VwGO.
45
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. Zivilprozessordnung – ZPO.