Titel:
Unwirksamkeit eines Jahresabschlusses bei Überbewertung eines Bilanzpostens
Normenkette:
AktG § 256 Abs. 5 S. 1 Nr. 1, § 292 Abs. 1 Nr. 2
Leitsätze:
1. Allein aus dem Umstand, dass der Kläger als Aktionär in der Vergangenheit keine Nichtigkeitsfeststellungsklage erhoben hat, kann ein Rechtsmissbrauch im Sinne einer Verwirkung nicht angenommen werden. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Teilgewinnabführungsvertrag iSd § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG mit einer GmbH als im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abführungspflichtiger Gesellschaft unterliegt keinen besonderen Wirksamkeitsanforderungen, wenn sie wie hier keine satzungsüberlagernde Wirkung haben und jedenfalls nicht der Großteil der Gewinne abzuführen ist. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Vertrag über eine (typisch) stille Beteiligung ist ein Vertrag, durch den sich eine AG verpflichtet, einen Teil ihres Gewinns oder den Gewinn einzelner ihrer Betriebe ganz oder zum Teil an einen anderen abzuführen. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
4. Die Überbewertung eines Bilanzpostens iSd § 256 Abs. 5 S. 1 Nr. 1 AktG führt dann zur Nichtigkeit des Jahresabschlusses, wenn eine den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung widersprechende Bilanzierung ihrem Umfang nach nicht bedeutungslos ist. (Rn. 45) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Überbewertung eines Bilanzpostens, Buchführung, stille Beteiligung, Teilgewinnabführungsvertrag
Fundstellen:
AG 2024, 751
ZInsO 2025, 908
WM 2024, 1317
BeckRS 2023, 50090
LSK 2023, 50090
Tenor
I. Es wird festgestellt, dass der Jahresabschluss der Beklagten zum Geschäftsjahr vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2020 nichtig ist.
II. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 105 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
IV. Der Streitwert wird auf € 50.000,- festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten mittels Nichtigkeitsfeststellungsklage um die Wirksamkeit eines Jahresabschlusses der Beklagten.
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1. Der Kläger ist mit einem Anteil von € 191.988,- Aktionär der über ein in 2.399.980 Namensaktien eingeteiltes Grundkapital von € 2.500.000,- verfügenden Beklagten, die im Jahr 2000 durch formwechselnde Umwandlung aus der E… GmbH entstand. Weitere Aktionärin der Beklagten mit einem Anteil von 30,25 % ist die P…-GbR (im Folgenden: E…-GbR), an deren Gesellschaftskapital von € 556.796,86 der Kläger einen Anteil von € 161.056,93 oder 28,93 % und die Beklagte zwei Anteile zu je € 50.617,90 oder insgesamt 18,18 % hält. Weitere Gesellschafter der E…-GbR sind unter anderem Herr Dr. H… H…, Frau F… S… und Herr T… K…. Der alleinige Unternehmensgegenstand der E…-GbR, deren einziger alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer Dr. … K… zugleich Vorstandsmitglied der Beklagten ist, liegt in der Beteiligung an Unternehmen der Beklagten. Demgemäß schlossen die damals noch unter … E… Beteiligungs-GbR mit Haftungsbeschränkung firmierende E…-GbR und die Beklagte am 28.1.1998 einen Vertrag über die Errichtung einer typisch stillen Gesellschaft (im Folgenden auch: Gesellschaftsvertrag). Dieser Vertrag (Anlage K 5) enthielt unter anderem folgende Regelungen:
„§ 4 Geschäftsjahr und Jahresabschluß
(1) Das Geschäftsjahr der stillen Gesellschaft entspricht dem der E… [scil.: die Beklagte]. E… hat innerhalb der gesetzlichen bzw. satzungsgemäß vorgesehenen Fristen nach Ablauf eines jeden Geschäftsjahres ihren Jahresabschluss zu erstellen und dem stillen Gesellschafter abschriftlich zu übermitteln. Einwände gegen den Jahresabschluß kann der stille Gesellschafter nur innerhalb von sechs Wochen nach Erhalt des Jahresabschlusses geltend machen.
(4) Der Jahresabschluß ist von einem Mitglied der wirtschaftsprüfenden bzw. steuerberatenden Berufe zu erstellen und dem stillen Gesellschafter unverzüglich zu übermitteln. E… wird auf gesonderten Wunsch des stillen Gesellschafters den Auftrag zur Prüfung des Jahresabschlusses erteilen.
(5) Der Jahresabschluß hat den steuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften zu entsprechen. Werden im Rahmen der steuerlichen Gewinnfeststellung oder aufgrund einer Außenprüfung andere Ansätze festgesetzt, als die im ursprünglichen Jahresabschluß enthaltenen, haben diese keinen Einfluß auf die Ergebnisanteile des stillen Gesellschafters in der Vergangenheit.
§ 6 Gewinn- und Verlustbeteiligung
(2) Für die Gewinn- und Verlustbeteiligung des stillen Gesellschafters ist von dem gemäß § 4 aufgestellten Jahresabschluß (Bilanz nebst Gewinn- und Verlustrechnung) der E… vor Berücksichtigung des auf den stillen Gesellschafter und gegebenenfalls anderer stiller Gesellschafter oder wirtschaftlich vergleichbarer Rechtsverhältnisse entfallenden Gewinn- oder Verlustanteils auszugehen.
(3) Einen unter Berücksichtigung der vorstehenden Bestimmungen ermittelten Jahresfehlbetrag der E… trägt die E… und der stille Gesellschafter (bzw. tragen – soweit vorhanden und vereinbart – alle stillen Gesellschafter – mit Ausnahme der Technologie-Beteiligungs-Gesellschaft mbH der Deutschen Ausgleichsbank, B. und der Bayern Kapital) – in vollem Umfange, untereinander jedoch im Verhältnis 2 : 9 wobei „2“ auf die E… und „9“ auf den stillen Gesellschafter entfallen.
(4) An einem nach Absatz 2 ermittelten Jahresüberschuß nimmt der stille Gesellschafter unter Berücksichtigung von Absatz (1) Satz 2 mit einem Anteil von 10,0 % teil, wobei ein Einlagebetrag von DM 90.000,- (Deutsche Mark Neunzigtausend) jeweils einen Gewinnanteil i.H.v. 1,0 % vermittelt.
(5) Die Beteiligung am Jahresüberschuß nach (4) ist auf maximal 16 % der nominalen Einlage begrenzt.
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Am 29.11.2004 schlossen die Beklagte und die E…-GbR einen Änderungsvertrag (Anlage B 6), durch den § 6 Abs. 3 mit Wirkung zum 1.1.2005 wie folgt geändert wurde:
„An einem unter Berücksichtigung der vorstehenden Bestimmungen ermittelten Jahresfehlbetrag der E… nimmt der stille Gesellschafter in Höhe von 10 % teil, höchstens jedoch in Höhe von 16 % seiner nominalen Einlage.“
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Hinsichtlich der näheren Einzelheiten des Gesellschaftsvertrags samt dessen Änderungen wird in vollem Umfang auf die Anlagen K 5 und B 6 Bezug genommen.
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Eine Eintragung des Vertrages vom 28.1.1998 in das Handelsregister erfolgte ebenso wenig wie die Eintragung der Änderung dieses Vertrages vom 29.12.2004. Die Hauptversammlung der Beklagten fasste keinen Beschluss über die Zustimmung zu diesem Änderungsvertrag.
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2. Der Jahresabschluss der Beklagten für das Geschäftsjahr vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2020 (Anlage K 6) wurde am 5.10.2020 festgestellt; er wies eine Bilanzsumme von 13.688.351,27 aus. Die G+V-Rechnung der Beklagten enthielt unter Ziffer 12. „Erträge aus Verlustübernahme“ einen Ertrag in Höhe von € 41.614,61. Dieser Betrag errechnete sich aus der Differenz des Anteils am Verlust von maximal 15 % der Einlage unter Hinweis auf § 6 Abs. 5 des Gesellschaftsvertrages in Höhe von € 73.626,- und der Festverzinsung von 7 % der Einlage in Höhe von € 32.211,39. Auf dieser Basis wies die G+V-Rechnung der Beklagten einen Jahresüberschuss von € 291.407,87 aus.
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Die Beklagte verfügt über fünf 100 %-ige Tochtergesellschaften im Ausland, über die der Vertrieb der von der Beklagten entwickelten Systemlösungen erfolgt und über die im Geschäftsjahr Erträge in Höhe von € 1.639.306,48 erwirtschaftet wurden. Die Hauptversammlung der Beklagten vom 16.12.2009 fasste einen Beschluss über einen Beherrschungs- und Ergebnisabführungsvertrag (Anlage B 3 zwischen der Beklagten und der E… Vertriebs- und Servicegesellschaft mbH.)
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3. Der Kläger erteilte am 27.12.2018 den Herren G… Ko… und K… Sc… eine notariell beglaubigte Generalvollmacht (Anlage K 23) zur gemeinschaftlichen Vertretung unter anderem auch gegenüber Gerichten. Mit Betreuungsverfügung vom 26.3.2019 (Anlage K 24) ordnete er ferner ausdrücklich an, dass diese Generalvollmacht auch im Falle einer eventuellen Betreuungsbedürftigkeit weiterhin Gültigkeit besitzen solle. Die beiden Generalbevollmächtigten bestätigten mit Erklärung vom 17.4.2023 (Anlage K 22) die vom Kläger an W… Rechtsanwälte sowie insbesondere Herrn Rechtsanwalt Dr. T… Ha… erteilte Vollmacht und erteilten höchst vorsorglich ebenfalls Vollmacht im beschriebenen Umfang. Gleichzeitig bestätigten und genehmigten sie sämtliche Erklärungen einschließlich sämtlicher Prozesshandlungen des Prozessbevollmächtigten des Klägers im Zusammenhang mit diesen Verfahren.
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Hinsichtlich der näheren Einzelheiten der Generalvollmacht, der Betreuungsverfügung sowie der Erklärung der Generalbevollmächtigten wird in vollem Umfang auf die Anlagen K 22 bis K 24 Bezug genommen.
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4. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers sandte am 4.4.2022 ein Schreiben (Anlage B 1) an den Vorstandsvorsitzenden der Beklagten, in dem er ihn über die Erhebung dieser Klage informierte und ihn aufforderte, spätestens innerhalb einer Frist von einem Monat eine außerordentliche Hauptversammlung mit dem Tagesordnungspunkt der Bestellung eines Sonderprüfers zur Prüfung der an den Vorstand in den Jahren 2016 bis 2022 gewährten Vergütungen einzuberufen. Abschließend führet der Prozessbevollmächtigte des Klägers Folgendes aus:
„… Ihre Vermutung, dass meine Mandantschaft mit ihrer Beteiligung an der E… AG nicht mehr zufrieden ist, ist im Hinblick auf die in den letzten Jahren erwirtschafteten Erträge und den in der Folge an die Gesellschafter/Aktionäre zur Ausschüttung gelangten Beträge durchaus zutreffend. Mit Ihrer Behauptung, wonach mein Mandant mit seinem Vorgehen als strategisches Ziel verfolgt, lediglich als ‚lästiger Gesellschafter‘ seinen Exit aus der Struktur vorzubereiten, liegen Sie allerdings falsch. Im Vordergrund steht vielmehr, nunmehr zunächst diejenigen Weichenstellungen einzuleiten, die notwendig sind, um die Rendite aus der von meiner Mandantschaft gehaltenen Beteiligung gegenüber dem aktuellen Status nachhaltig und deutlich zu verbessern, um zumindest in Zukunft Ausschüttungen zu generieren, die dem tatsächlichen Wert der Beteiligung entsprechen. In aller Deutlichkeit darf ich klarstellen, dass Bereitschaft zu einem Verkauf der Beteiligung zu Konditionen, die auf einer Ebene mit den mit anderen ausgeschiedenen Aktionären offensichtlich erzielten Ergebnissen liegen, keinesfalls besteht. Meine Mandantschaft geht von einem Wert des von ihm gehaltenen Gesamtpakets in deutlich siebenstelliger Höhe aus, insbesondere wenn die auf Ebene der E… AG bzw. der E…-Beteiligungs-GbR erwirtschafteten Erträge durch die von hier angedachten gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen optimiert worden sind. Gleichwohl steht aber auch unsere Mandantschaft gegebenenfalls für Gespräche zur Verfügung, die eine vorzeitige Beendigung der Beteiligung zum Gegenstand haben. Grundvoraussetzung hierfür wäre jedoch zunächst ein beziffertes Angebot, das tatsächlich verdient, als ‚fair‘ bezeichnet zu werden und zu dessen Vorlage ich Sie oder auch andere Erwerbsinteressenten hiermit einladen/auffordern darf.
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Zur Begründung seiner Klage macht der Kläger im Wesentlichen geltend, die Nichtigkeit des Jahresabschlusses für das Geschäftsjahr 2020 resultiere aus einer Überbewertung von Passivposten, weil sie mit einem niedrigeren Betrag angesetzt worden seien als zulässig. An dem von der Beklagten im Geschäftsjahr 2020 tatsächlich erwirtschafteten Jahresüberschuss im Sinne des § 6 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrages sei die E…-GbR mit 16 % zu beteiligen. Die Begrenzung in § 6 Abs. 5 beziehe sich nur auf eine Beteiligung der stillen Gesellschafterin am Gewinn, nicht jedoch am Verlust, wie der Jahresabschluss fälschlich annehme. Die Beklagte habe im Geschäftsjahr 2020 einen Jahresüberschuss im Sinne des § 6 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrages erwirtschaftet, der dann auf der Ebene der Beklagten im Jahresabschluss als Verbindlichkeit berücksichtigt werden müsse. Der Jahresüberschuss vor dem Anteil der stillen Gesellschafterin von € 249.993,26 müsse um den 10 %-igen Anteil der stillen Gesellschafterin gekürzt werden, weshalb das korrigierte Ergebnis € 224.993,93 betrage. Die dadurch verursachte Überbewertung in Höhe der Differenz von € 66.413,94 sei wesentlich.
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Aus den dem Kläger vorliegenden früheren Jahresabschlüssen könne man bei detaillierter Beschäftigung zwar erkennen, dass die Beklagte ihr Ergebnis um ihr tatsächlich nicht zustehende Erträge aus Verlustübernahme nach oben hin angepasst habe; allerdings sei der Kläger erst durch seinen Steuerberater im Februar 2022 darauf aufmerksam gemacht worden. Eine mündliche Verständigung mit dem Kläger am Rande einer Aufsichtsratssitzung vom 23.10.2009, die im Vertrag vom 28.1.1998 getroffenen Absprachen bezögen sich alleine auf das operative Geschäft der Beklagten und die Ergebnisabführung aus dem Kundengeschäft und einer nicht mehr zu erfolgenden Berücksichtigung aller Einnahmen der ausländischen Tochtergesellschaften habe es in Gegenwart des Klägers nach dessen Erinnerung nicht gegeben. Eine derartige Vorgehensweise mache wirtschaftlich keinen Sinn. Ebenso fehle die Zustimmung der übrigen Gesellschafter der E…-GbR zu der vom Vorstand der Beklagten geübten Praxis zur Gewinnbeteiligung und Verlustzuweisung. Diese Vorgehensweise widerspreche den Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag, nachdem die vertraglich vereinbarte Bemessungsgrundlage einen Überschuss und keine Verluste ausweise. Aber selbst beim Abstellen auf die Steuerbilanz differiere das im Jahresabschluss ausgewiesene Ergebnis deutlich von dem nach der Durchführung der gebotenen Korrekturen anzusetzenden Werte in einem Umfang von immer noch knapp unter 28,5 %.
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An der Prozessfähigkeit des Klägers könne es keine Zweifel geben. Eine Äußerung von Herrn Sc… gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden der Beklagten im Anschluss an eine Hauptversammlung vom 5.10.2021 über eine Demenz des Klägers sei frei erfunden. Der Kläger wisse, wer Herr Dr. K… und die E… seien. Aufgrund einer Generalvollmacht und den Erklärungen von Herrn Ko… und Herrn Sc… könne die Prozessfähigkeit des Klägers ohnehin in keinem Fall in Frage gestellt werden.
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Der Kläger beantragt daher:
Es wird festgestellt, dass der Jahresabschluss der Beklagten zum Geschäftsjahr vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2020 nichtig ist.
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Die Beklagte beantragt demgegenüber:
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Zur Begründung beruft sie sich im Wesentlichen darauf, eine Überbewertung der Passivseite wegen einer Verbuchung der Gewinnbeteiligung der E…-GbR lasse sich nicht bejahen, weil der Ausweis von Erträgen aus Verlustübernahme in Höhe von € 41.414,61 den vertraglichen Vereinbarungen entspreche, wie sie auch über Jahre hinweg einvernehmlich praktiziert worden seien. Bei einer Aufsichtsratssitzung am 23.10.2009 sei es in Anwesenheit auch des Klägers mit dessen Einvernehmen im Zusammenhang mit einer Diskussion um den Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages mit der E… Vertriebs- und Servicegesellschaft mbH zu einer Übereinkunft gekommen, die Vereinbarung mit der stillen Gesellschaft solle sich allein auf das operative Geschäft der Beklagten beziehen und die Ergebnisabführung aus dem Kundengeschäft unberücksichtigt bleiben. Daher sei der Gewinnanteil für die E…-GbR um die Ergebnisse aus den Beteiligungen bereinigt und die Gewinne der ausländischen Tochtergesellschaften angesichts steuerlicher Nachteile nie an die Beklagte abgeführt worden. Angesichts der Begrenzung der Gewinnbeteiligung auf 16 % der nominalen Einlage sei dies für die Gesellschafter, insbesondere den Kläger günstiger. Ab 2014 sei es auf Verlangen der Banken zu einer Änderung dergestalt gekommen, dass Ausschüttungen von den ausländischen Tochtergesellschaften insoweit vorgenommen worden seien, um bei der Beklagten einen kleinen Gewinn zu erzielen. Die Berechnung der Gewinnbeteiligung der E…-GbR bemesse sich nach Steuerrecht, nicht nach Handelsrecht, was sich aus §§ 6 Abs. 2, 4 Abs. 5 des Gesellschaftsvertrages ergebe. In jedem Fall aber könne es zu einer allenfalls unwesentlichen oder bedeutungslosen Überbewertung von lediglich rund 0,49 % der Bilanzsumme von insgesamt € 13.688.351,27 kommen, was eine Nichtigkeit des Jahresabschlusses als Folge ausschließe. Die Erhöhung des Jahresüberschusses und dadurch auch des Bilanzgewinns sei lediglich bilanztechnischer Natur und werde dadurch ausgeglichen, dass die Kapitalrücklage in gleicher Höhe reduziert werde. Eine Unterbewertung von Passivposten scheide mangels Vortrags zu einer vorsätzlichen unrichtigen Wiedergabe oder Verschleierung der Vermögens- und Ertragslage der Gesellschaft aus. Das Einlagekonto des stillen Gesellschafters begründe keinen Anspruch des stillen Gesellschafters auf Ausgleich und mithin auch keine Forderung der Beklagten gegen den stillen Gesellschafter. Ebenso wenig mindere eine Verlustzuweisung die Verpflichtung der Beklagten gegenüber dem stillen Gesellschafter, weshalb die Verbindlichkeit zum 31.12.2020 wie auch in den Vorjahren nicht reduziert worden seien.
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Zudem stelle sich das Vorgehen des Klägers als rechtsmissbräuchlich dar, weil er sich vorliegend einen Sondervorteil als lästiger Aktionär zu eigen mache, obwohl er hinsichtlich der Änderung des Gesellschaftsvertrages mitentschieden habe. Bei den Aufsichtsratssitzungen sei er in den Jahren 2009 und 2014 anwesend gewesen. Auch setze er sich mit der Klage in Widerspruch zu seinem früheren Verhalten, wonach er das allgemeine Verständnis mitgetragen habe, wonach der stille Gesellschafter an den von der E…-GmbH herrührenden und abgeführten Gewinnen nicht teilhabe, weil er der Verwendung des so ermittelten Ergebnisses bei Beschlussfassungen in der Hauptversammlung zugestimmt habe. Auch enthalte die Regelung in § 4 Abs. 1 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages einen Einwendungsausschluss, weil sie im Verhältnis der Beklagten zur E…-GbR nach Ablauf der Frist von sechs Wochen Forderungen/Verbindlichkeiten und Gewinn-/Verlustanteile im Verhältnis der Beklagten und der stillen Gesellschafterin im Sinne einer Saldenbestätigung außer Streit stellen solle. Dieses Verhältnis der Beklagten und der E…-GbR könne ein Aktionär wie der Kläger nicht angreifen.
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Der Kläger sei prozessunfähig, was sich daran zeuge, dass er bei einem Telefonat am 26.11.2021 den ihm seit langem bekannten Vorstandsvorsitzenden danach gefragt habe, wer dieser sei und dass ihm auch der Name der Beklagten trotz einer Beteiligung als Aktionär und seines außerordentlichen Engagements nichts sage. Am Tage der Hauptversammlung der Beklagten vom 9.12.2022 habe Herr Sc… gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden Dr. K… geäußert, der Kläger sei dement.
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Zur Ergänzung des Tatbestands wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 17.11.2022 (Bl. 107/108 d. A.) und vom 22.6.2023 (Bl. 170/171 d. A.).
Entscheidungsgründe
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Die auf Feststellung der Nichtigkeit des Jahresabschlusses der Beklagten zum 31.12.2020 gerichtete Klage ist zulässig und begründet.
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1. Die auf Feststellung der Nichtigkeit des Jahresabschlusses gerichtete Klage im Sinne der §§ 256 Abs. 7 Satz 1, 249 AktG ist zulässig.
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a. Die Prozessfähigkeit des Klägers im Sinne der §§ 51, 52 ZPO muss bejaht werden. Dabei kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, inwieweit beim Kläger eine zur Prozessunfähigkeit führende Demenz aufgetreten ist oder nicht.
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(1) Sollte der Kläger daran entsprechend seinem eigenen Vortrag nicht oder allenfalls in einer leichteren Form erkrankt sein, besteht kein Zweifel daran, dass er sich durch Verträge verpflichten kann, weshalb die Prozessfähigkeit dann besteht.
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(2) Aber auch wenn die Krankheit entsprechend dem Vortrag der Beklagten ein Stadium erreicht haben sollte, das dazu führt, dass eine die Geschäftsfähigkeit und damit auch die Prozessfähigkeit ausschließende krankhafte Störung der Geistestätigkeit im Sinne des § 104 Nr. 2 BGB vorliegt, muss die Prozessfähigkeit bejaht werden. Der Kläger hatte am 27.12.2018 eine Generalvollmacht an die Herren Sc… und Ko… erteilt, deren Gültigkeit er mit Betreuungsverfügung vom 26.3.2019 auch auf den Fall seiner Betreuungsbedürftigkeit erstreckte und die auch die Vertretung gegenüber Gerichten umfasste. Dann aber kann aufgrund der gesetzlichen Regelung in § 51 Abs. 3 ZPO kein Zweifel an der Prozessfähigkeit bestehen, weil die beiden Generalbevollmächtigten einem gesetzlichen Vertreter gleichstehen. Die Bevollmächtigung ist geeignet, gemäß § 1814 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BGB die Erforderlichkeit einer Betreuung entfallen zu lassen, nachdem die beiden Generalbevollmächtigten nicht zu dem in § 1816 Abs. 6 BGB genannten Personenkreis gehören. Sollte der Kläger bereits bei Beginn des Rechtsstreits prozessunfähig gewesen sein, konnten die gesetzlichen Vertreter des Klägers dessen Prozessführung entsprechend ihrer Erklärung vom 17.4.2023 genehmigen (vgl. BGH NJW 2010, 2886, 2887 = NZG 2010, 1021 f. = ZIP 2010, 1639 f. = WM 2010, 1654, 1655 = DB 2010, 1873 = MDR 2010, 1269, 1270 = DZWIR 2010, 511 = DStR 2010, 2044, 2045 = NZM 2010, 719; NJW 2022, 393, 394 = WM 2022, 2340, 2342 = FamRZ 2022, 228, 300 = ZEV 2022, 23, 25; Hüßtege in: Thomas/Putzo, ZPO, 44. Aufl., § 51 Rdn. 17; Lindacher/Hau in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl., § 51 Rdn. 42).
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In gleicher Weise wurde auch (nochmals) eine Prozessvollmacht an die Prozessbevollmächtigten des Klägers durch die beiden Generalbevollmächtigten mit Erklärung vom 17.4.2023 erteilt.
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b. Der Klage fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis, weil sie nicht rechtsmissbräuchlich erhoben wurde. Die Voraussetzungen hierfür liegen unter keinem der geltend gemachten Gesichtspunkte vor. Zwar ist weithin anerkannt, dass die Erhebung einer Nichtigkeitsklage ungeachtet ihrer Kontrollfunktion den für die private Rechtsausübung auch sonst geltenden Schranken – hier dem aus § 242 BGB folgenden Verbot des individuellen Rechtsmissbrauchs – unterliegt und dass eine rechtsmissbräuchlich erhobene Anfechtungsklage unzulässig ist, weil es hier nicht um das Entfalten eines materiellen Gestaltungsrechts wie bei der Anfechtung geht (vgl. OLG Stuttgart, NZG 2003, 1170, 1171 = AG 2003, 165; OLG Frankfurt AG 1991, 208 = ZIP 1991, 657, 658; Vatter in: BeckOGK AktG, Stand: 1.1.2023, § 249 Rdn. 22; Göz in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG, 5. Aufl., § 249 Rdn. 8; Bezzenberger in: Großkommentar zum AktG, 5. Aufl., § 256 Rdn. 237; Schwab in: K. Schmidt/Lutter, AktG, 4. Aufl., § 249 Rdn. 5; Koch, AktG, 17. Aufl., § 256 Rdn. 11). Da es zur Erhebung einer Nichtigkeitsfeststellungsklage eines berechtigten Eigeninteresses grundsätzlich nicht bedarf und ihr gerade die Aufgabe der Rechtmäßigkeitskontrolle in Bezug auf Beschlüsse der Hauptversammlung oder wie hier in Richtung auf den Jahresabschluss zukommt, kann eine Klageerhebung nur in Ausnahmefällen, für die die Gesellschaft die Darlegungs- und Beweislast trägt, als rechtsmissbräuchlich angesehen werden. Der Aktionär muss sachfremde, eigene Interessen verfolgen und somit das Klagerecht in zweckentfremdender Weise zum eigenen Vorteil nutzen.
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(1) Ein Rechtsmissbrauch lässt sich nicht aus dem Schreiben des nunmehrigen Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 4.4.2022 an den Vorstandsvorsitzenden der Beklagten (Anlage B 1) herleiten. Mit diesem Schreiben sollte insbesondere kein Lästigkeitswert aufgebaut und die Klage auch nicht als Druckmittel eingesetzt werden, um einen unzulässigen Sondervorteil zu erreichen. Dieses Schreiben informiert zunächst über die Erhebung dieser Klage und weist darauf hin, die den Vorstandsmitgliedern gezahlten Gehälter seien unangemessen hoch, was die Interessen der übrigen Aktionäre verletze und die Gesellschaft schädige. Diese Einschätzung stellt eine zulässige Wertung des Klägers dar. Aufgrund dieser Einschätzung forderte der Prozessbevollmächtigte des Klägers in dessen Namen den Vorstand auf, eine außerordentliche Hauptversammlung zur Bestellung eines Sonderprüfers zur Prüfung der an den Vorstand in den Jahren 2016 bis 2022 gewährten Vergütungen einzuberufen. Der weitere Hinweis auf ein dem Kläger vorzulegendes Angebot in deutlich siebenstelliger Höhe für die Veräußerung der von ihm gehaltenen Aktien legt die Einschätzung des Klägers zum Wert seiner Beteiligung zugrunde, wobei er dabei auch die angesprochenen gesellschaftsrechtlichen Maßnahmen zur Optimierung der Erträge einbezieht, die zu einer deutlichen Wertsteigerung führen sollen. Ein Junktim im Sinne eines tatsächlich deutlich überhöhten Angebots gegen Rücknahme der Klage hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers, der sich dessen Äußerungen zurechnen lassen müsste, in diesem Schreiben gerade nicht erhoben. Vielmehr ist darin klar darauf hingewiesen worden, im Vordergrund stehe die Weichenstellung für Maßnahmen zur nachhaltigen Verbesserung der Rendite an der vom Kläger gehaltenen Beteiligung gegenüber dem aktuellen Status, um in Zukunft Ausschüttungen entsprechend dem Wert der Beteiligung zu generieren. Ein Ausscheiden aus der Gesellschaft gegen eine angemessene Vergütung ist kein unzulässiger Sondervorteil.
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(2) Ebenso wenig kann der Rechtsmissbrauch aus dem Umstand hergeleitet werden, dass der Kläger über einen Zeitraum von mehreren Jahren nicht gegen die faktisch geänderte Ausschüttungspraxis an die E…-GbR vorgegangen ist. Allein aus dem Umstand, dass der Kläger als Aktionär in der Vergangenheit keine Nichtigkeitsfeststellungsklage erhoben hat, kann ein Rechtsmissbrauch im Sinne einer Verwirkung nicht angenommen werden. Zwar ist im Ausgangspunkt davon auszugehen, dass der Betroffene durch illoyale Verzögerung der Klageerhebung seine Rechte verwirken kann; dies lässt sich angesichts der Besonderheiten des vorliegenden Falles hier jedoch nicht bejahen. Ein Recht ist dann verwirkt, wenn seit der Möglichkeit der Geltendmachung längere Zeit verstrichen ist (Zeitmoment) und besondere Umstände hinzutreten, die die verspätete Geltendmachung als Verstoß gegen Treu und Glauben erscheinen lassen (Umstandsmoment). Letzteres ist aber nur dann der Fall, wenn die Beklagte bei objektiver Betrachtung aus dem Verhalten des Berechtigten, also des Klägers, annehmen durfte, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen. Ferner muss sich der Verpflichtete im Vertrauen auf das Verhalten des Berechtigten in seinen Maßnahmen so eingerichtet haben, dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des Rechts – hier also der Klageerhebung – ein unzumutbarer Nachteil entstünde (vgl. BGH NJW 2011, 212 f. = ZIP 2010, 1959, 1960; NJW 2014, 1230, 1231 = WM 2014, 905 = VersR 2014, 835, 836 = MDR 2014, 449 = JR 2015, 533, 534 = NZBau 2014, 237, 238; Grüneberg in: Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 242 Rdn. 87 und 95; Schubert in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl., § 242 Rdn. 456). Das Umstandsmoment kann hier jedoch nicht bejaht werden. Der Kläger war mangels entsprechender Vertretungsmacht nicht befugt, für die Beklagte oder die E…-GbR rechtswirksame Erklärungen abzugeben, weshalb es nicht entscheidungserheblich darauf ankommen kann, ob er an den entsprechenden Aufsichtsratssitzungen mit der Thematisierung der Änderung des Vertragsinhalts des Gesellschaftsvertrags teilgenommen hat oder nicht. Die Beklagte hat aus den unter I. 2. a. (1) (b) (bb) näher dargestellten Gründen durch die Nichtbeachtung der Schriftform und die fehlende Eintragung der Änderung des Gesellschaftsvertrags in das Handelsregister einen gravierenden Rechtsverstoß begangen, der im Einzelfall die E…-GbR und deren Gesellschafter oder die Beklagte und deren Aktionäre deutlich benachteiligen kann. Dann aber wiederum verstößt die Beklage gegen das Verbot widersprüchlichen Verhaltens, wenn dem Beklagten nun Verwirkung vorgeworfen wird. Die Ausübung eines Rechts, wozu auch die Berufung auf Verwirkung gehört, muss dann aber wiederum als gegen Treu und Glauben verstoßend und damit als unzulässige Rechtsausübung angesehen werden, wenn dem insoweit Berechtigten selbst eine schwerwiegende Verletzung eigener Verpflichtungen zur Last liegt (vgl. BGH NJW-RR 2005, 743, 746; NJW 2007, 504, 505 = WM 2007, 1142, 1144 = BB 2007, 234, 235 = NZV 2007, 194, 195; Mansel in: Jauernig, BGB, 18. Aufl., § 242 Rdn. 45). Ein unzumutbarer Nachteil entsteht der Beklagten aber auch deshalb nicht, weil sie selbst einen Vertrauenstatbestand dadurch gesetzt hat, dass die Jahresabschlüsse jeweils testiert wurden. Weiterhin ist zu beachten, dass der Jahresabschluss jedes Jahr stets neu erstellt wird und die Regelung in § 256 Abs. 6 Satz 1 AktG mit der Heilung ein schutzwürdiges Vertrauen in die Bestandskraft eines festgestellten Jahresabschlusses erst nach Ablauf der Frist von drei Jahren annimmt. All diese Umstände wiegen schwerer als ein denkbares Kennenmüssen der Verstöße durch den Kläger, der sich das Verhalten des von ihm beauftragten Steuerberaters über § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen müsste.
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2. Die Klage ist begründet, weil der Jahresabschluss der Beklagten zum 31.12.2020 für das vom 1.1.2020 bis zum 31.12.2020 dauernde Geschäftsjahr wegen eines Verstoßes gegen § 256 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AktG nichtig ist. Danach ist der Jahresabschluss dann nichtig, wenn ein Posten überbewertet ist. Aufgrund von § 256 Abs. 1 Satz 2 AktG sind Passivposten überbewertet, wenn sie mit einem niedrigeren Betrag angesetzt sind, als nach §§ 253 bis 256 a HGB zulässig ist. Verbindlichkeiten sind nach § 253 Abs. 1 Satz 2 HGB zu ihrem Erfüllungsbetrag anzusetzen.
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a. Die Verbindlichkeiten der Beklagten sind überbewertet, weil das in Ziffer 12 ausgewiesene Ergebnis einen der E…-GbR zustehenden Gewinnbeteiligungsanspruch in Höhe von € 24.999,33 nicht berücksichtigt und statt dessen fehlerhaft eine Verbindlichkeit wegen einer Verpflichtung zum Verlustausgleich ausweist. Damit aber hätte insoweit eine Verbindlichkeit anstelle einer Forderung gebucht werden müssen.
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(1) Der Anspruch der E…-GbR auf eine Gewinnbeteiligung ergibt sich aus § 6 Abs. 4 des Gesellschaftsvertrages. Dabei ist aufgrund von § 6 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages für die Gewinnbeteiligung der gemäß § 4 aufgestellte Jahresabschluss (Bilanz nebst Gewinn- und Verlustrechnung) der Beklagten maßgeblich.
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(a) Eine Auslegung des Gesellschaftsvertrages vom 28.1.1998 ergibt, dass mit dem in §§ 6 Abs. 2, 4 Abs. 1 Satz 1 des Gesellschaftsvertrages der handelsrechtliche Jahresabschluss gemeint sein muss, nicht die Steuerbilanz. Nachdem es sich vorliegend um eine zweigliedrige stille Gesellschaft handelt, richtet sich die Auslegung nach §§ 133, 157 BGB und damit nach den allgemeinen Auslegungsregeln (vgl. BGH ZIP 2016, 266, 268). Aufgrund dieser für die Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen maßgeblichen Vorschriften ist der wirkliche Wille der Erklärenden zu erforschen. Dabei ist vom Wortlaut der Erklärung auszugehen und dementsprechend in erster Linie dieser und der ihm zu entnehmende objektiv erklärte Parteiwille zu berücksichtigen. Bei der Willenserforschung sind aber auch der mit der Erklärung verfolgte Zweck, die Interessenlage sowie die sonstigen Begleitumstände zu berücksichtigen, die den Sinngehalt der gewechselten Erklärungen erhellen. Dabei sind empfangsbedürftige Willenserklärungen, bei deren Verständnis regelmäßig auch der Verkehrsschutz und der Vertrauensschutz des Erklärungsempfängers maßgeblich sind, so auszulegen, wie sie der Empfänger nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen musste (vgl. BGHZ 195, 126, 131 f. = NJW 2013, 598, 599 = WM 2013, 2386, 2387 = VersR 2013, 779, 780 f. = K&R 2013, 113, 114 = CR 2013, 186, 187; BGH NJW 2011, 1666, 1667 = NZG 2011, 551, 552 = ZIP 2011, 957, 958 f. = WM 2011, 792, 793 = DB 2011, 986, 987 = DStR 2011, 871, 872; OLG Düsseldorf NJW-RR 2016, 1073, 1075; Grüneberg-Ellenberger, BGB 82. Aufl., § 133 Rdn. 14; Singer in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2021, § 133 Rdn. 45, 47, 48 f.).
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(aa) Dabei ist ungeachtet des Verbots der Buchstabeninterpretation primär der Wortlaut der Regelung maßgeblich. Dieser spricht bereits für die Maßgeblichkeit der nach den Vorgaben des HGB erstellten Bilanz. §§ 6 Abs. 4 und 4 Abs. 1 des Gesellschaftsvertrages sprechen vom Jahresabschluss und verwenden dabei den Begriff, wie er auch in §§ 242 Abs. 1 und Abs. 3, 243 Abs. 1 HGB verwandt wird. Dieser juristische Fachbegriff ist im Sinne des einschlägigen, von Wissenschaft und Praxis geprägten Sprachgebrauchs auszulegen (vgl. LG Berlin NJW 2005, 933, 944; Singer in: Staudinger, BGB, a.a.O., § 133 Rdn. 46). In § 6 Abs. 2 des Vertrages wird der Jahresabschluss noch durch den Klammerzusatz „Bilanz nebst Gewinn- und Verlustrechnung“ in diesem Sinne definiert.
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(bb) Für diese Auslegung spricht aber auch der systematische Regelungszusammenhang. Aufgrund von § 4 Abs. 1 Satz 1 ist der Jahresabschluss dem stillen Gesellschafter zu übermitteln. Dieser enthält mehr an Informationen als die Steuerbilanz, die gerade keine G + V-Rechnung enthält, sondern aufgrund von §§ 31 Abs. 1, 8 Abs. 1 KStG i.V.m. § 60 Abs. 1 EStDV lediglich dem Finanzamt vorzulegen ist (vgl. FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9.1.2009, Az. 9 K 8497/05 B – zit. nach juris). Auch ist die Form der Steuerbilanz – im Gegensatz zur Handelsbilanz – gesetzlich nicht vorgeschrieben; sie muss insbesondere nicht unterschrieben und von den zuständigen Organen der Kapitalgesellschaft festgestellt oder genehmigt werden (vgl. BFH DB 2008, 2003, 2004 = BB 2008, 2062, 2063 = GmbHR 2008, 1105, 1106 = Der Konzern 2009, 57, 58; Schiffers/Strahl/Fuhrmann/Veit in: Korn, EstG, 144. Erg.Lfg., Mai 2023, § 5 Rdn. 74). Dann aber kann eine Steuerbilanz auch ohne Feststellung des Jahresabschlusses erstellt werden. Die Maßgeblichkeit der Steuerbilanz lässt sich auch nicht aus der Regelung in § 4 Abs. 5 des Gesellschaftsvertrages herleiten, wonach der Jahresabschluss den steuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften zu entsprechen hat. Bei der interessengerechten Auslegung von Willenserklärungen und Verträgen geht es nicht darum, dem Rechtsgeschäft zu dem Inhalt zu verhelfen, der dem Richter im Entscheidungszeitpunkt als interessengemäß erscheint. Maßgeblich ist vielmehr der Einfluss, den das Interesse der Parteien auf den objektiven Erklärungswert ihrer Äußerungen bei deren Abgabe hatte (vgl. BGHZ 123, 281, 285 = NJW 1993, 3193; BGH NJW 1998, 3268, 3269 f.; VersR 2007, 784 = FamRZ 2007, 1005 = NJW-RR 2007, 976; WM 2008, 1886, 1888 = MDR 2008, 493 = NJW-RR 2008, 562, 563 = K&R 2008, 244, 246; Busche in: Münchener Kommentar zum BGB, 9. Aufl., § 157 Rdn. 50; Ellenberger in: Grüneberg, BGB, a.a.O., § 133 Rdn. 6b). Unter Beachtung dieses Grundsatzes kann die Regelung in § 4 Abs. 5 des Gesellschaftsvertrages, wonach der Jahresabschluss den steuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften zu entsprechen hat, nicht die Maßgeblichkeit der Steuerbilanz für die Ermittlung des Gewinn-/Verlustanteils der E…-GbR begründen. Diese vertragliche Bestimmung war Ausschluss der umgekehrten Maßgeblichkeit der Steuerbilanz für die Handelsbilanz, wenn die steuerliche Anerkennung beispielsweise einer Steuervergünstigung davon abhängt, dass von ihr auch in der Handelsbilanz Gebrauch gemacht wird. Die mit der Änderung von § 5 Abs. 1 Satz 2 EStG und der damit im Zusammenhang stehenden Vorschriften der §§ 247 Abs. 3, 254, 273, 279 Abs. 2, 280 Abs. 2, 281 Abs. 1 Satz 1 HGB (vgl. Merkt in: Hopt, HGB, 42. Aufl., § 242 Rdn. 6) kann angesichts der Maßgeblichkeit des Zeitpunkts des Vertragsabschlusses für die Auslegung keine Rolle spielen.
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Damit aber unterliegen die gesamten Erträge aus Beteiligungen dem Begriff des Gewinns und können bei der Ermittlung des Gewinn- oder Verlustanteils der E…-GbR nicht herausgerechnet oder bereinigt werden.
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(b) An diesem Ergebnis vermag der Umstand nichts zu ändern, nach dem Vortrag der Beklagten sei im Zusammenhang mit einer Aufsichtsratssitzung im Jahr 2009 besprochen worden, der Gesellschaftsvertrag beziehe sich allein auf das operative Geschäft der Beklagten, während die Ergebnisabführung aus dem Kundengeschäft unberücksichtigt bleiben solle und die im Jahr 2014 dahingehend erfolgte Modifikation, die Erträge der ausländischen Tochtergesellschaften seien in die Berechnung des Gewinnanteils der stillen Gesellschaft eingeflossen.
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(aa) Zwar muss davon ausgegangen werden, dass der Gesellschaftsvertrag wirksam abgeschlossen wurde. Ein Teilgewinnabführungsvertrag im Sinne des § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG mit einer GmbH als im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abführungspflichtiger Gesellschaft unterliegt keinen besonderen Wirksamkeitsanforderungen, wenn sie wie hier keine satzungsüberlagernde Wirkung haben und jedenfalls nicht der Großteil der Gewinne abzuführen ist (vgl. BGHZ 223, 13, 19 ff. = NJW 2019, 3302, 3304 f. = NZG 2019, 1149, 1151 f. = AG 2019, 828, 829 f. = ZIP 2019, 1857, 1859 f. = WM 2019, 1841, 1843 f. = DB 2019, 2123, 2124 f. = BB 2019, 2319, 2320 f. = DZWIR 2019, 139, 141 f. = Der Konzern 2020, 64, 65 f. = MDR 2019, 1320 f. = DNotZ 2020, 210, 213 ff. = DStR 2019, 2155, 2157 f.; BayObLGZ 2003, 21, 23 ff. = ZIP 2003, 845, 847 = DB 2003, 1269, 1270 = GmbHR 2003, 534, 535 f. = NJW-RR 2003, 908, 909 = FGPrax 2003, 133, 134.; a.A. Liebscher in: Münchener Kommentar zum GmbHG, 4. Aufl., Anh § 13 Rdn. 715). Die Umwandlung der Beklagten von einer GmbH in eine Aktiengesellschaft führte nicht zu einer Beendigung dieses wirksam abgeschlossenen Teilgewinnabführungsvertrages, weil dem Eintrag in das Handelsregister hier nur deklaratorische Bedeutung zukommt. Die Vorschrift des § 294 Abs. 2 AktG kann nicht zur Anwendung gelangen angesichts der bereits vor dem Formwechsel eingetretenen Wirksamkeit des Vertrages und der bestehenden Vertragskontinuität; infolge des Formwechsels besteht der Rechtsträger in der durch den Umwandlungsbeschluss bestimmten Rechtsform gemäß § 202 Abs. 1 Nr. 1 UmwG weiter, weshalb er Inhaber des Vermögens mit allen Rechten und Pflichten bleibt (vgl. BGHZ 223, 13, 24 f. = NJW 2019, 3302, 3305 f. = NZG 2019, 1149, 1152 f. = AG 2019, 828, 831 = ZIP 2019, 1857, 1860 f. = WM 2019, 1841, 1844 f. = DB 2019, 2123, 2126 = BB 2019, 2319, 2322 = DZWIR 2019, 139, 142 = Der Konzern 2020, 64, 66 f. = MDR 2019, 1320 f. = DNotZ 2020, 210, 216 f. = DStR 2019, 2155, 2158 f.).
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(bb) Allerdings konnte es nicht zu einer wirksamen Änderung des Gesellschaftsvertrages mit der E…-GbR kommen. Auf die Vertragsänderung müssen nämlich nach dem Formwechsel die für eine Aktiengesellschaft geltenden Grundsätze des § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG zur Anwendung gelangen. Ein Vertrag über eine (typisch) stille Beteiligung ist ein Vertrag, durch den sich eine Aktiengesellschaft verpflichtet, einen Teil ihres Gewinns oder den Gewinn einzelner ihrer Betriebe ganz oder zum Teil an einen anderen abzuführen (vgl. BGHZ 156, 38, 43 = NJW 2003, 3412, 3413 = NZG 2003, 1023, 1024 = AG 2003, 625, 627 = ZIP 2003, 1788, 1789 = WM 2003, 1896, 1898 = DB 2003, 2115, 2116 = BB 2003, 2031, 2032 = JR 2003, 237, 238 = DNotZ 2004, 213, 215; NZG 2006, 540, 541 = AG 2006, 546, 548 = ZIP 2006, 1201, 1202 f. = WM 2006, 1154, 1156 = DB 2006, 1366, 1367 = BB 2006, 1405, 1407 = NJW-RR 2006, 1182, 1183; Schenk in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG, 5. Aufl., § 292 Rdn. 11; Koch, AktG, a.a.O., § 292 Rdn. 15; Altmeppen in: Münchener Kommentar zum AktG, 6. Aufl., § 292 Rdn. 65; Peres in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl., § 292 Rdn. 25; Paschos in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 5. Aufl., § 292 Rdn. 9).
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Bei der Änderung des auf die E…-GbR entfallenden Gewinn- oder Verlustanteils handelt es sich um eine Vertragsänderung im Sinne des § 295 Abs. 1 AktG. Die Änderung eines Unternehmensvertrags erfolgt durch eine zweiseitige Vereinbarung der Vertragspartner – hier also der Beklagten und der E…-GbR als stiller Gesellschafterin –, durch die der Vertrag während seiner Laufzeit inhaltlich abgeändert werden soll. Dabei kann neben einer ausdrücklichen Vereinbarung auch eine konkludente Abrede, die aus einer einvernehmlichen Änderung der Vertragspraxis herzuleiten sein kann, wenn diese auf einen rechtsgeschäftlichen Änderungswillen schließen lässt, als Änderung im Sinne des § 295 AktG angesehen werden. Für die Anwendbarkeit von § 295 Abs. 1 AktG kommt es wesentlich darauf an, ob durch eine rechtsgeschäftliche Vereinbarung tatsächlich inhaltlich auf die nach der bisherigen Vertragslage bestehenden Rechte und Pflichten eingewirkt wird, wobei nicht zwischen wesentlichen und unwesentlichen Änderungen unterschieden wird (vgl. BGH NZG 2013, 53, 56 = AG 2013, 92, 93 = ZIP 2013, 19, 22 = WM 2013, 26, 29 = DB 2013, 45, 47 = BB 2013, 206, 209 = Der Konzern 2013, 209, 212 f.; Altmeppen in: Münchener Kommentar zu AktG, 6. Aufl., § 295 Rdn. 3; Veil/Walla in: BeckOGK AktG, Stand: 1.7.2023; § 295 Rdn. 4; Koch, AktG, a.a.O., § 295 Rdn. 3; Langenbucher in: K. Schmidt/Lutter, AktG, a.a.O., § 295 Rdn. 3; Peres in: Heidel, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, a.a.O., § 295 Rdn. 3).
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Eine wirksame Änderung des Gesellschaftsvertrages kann weder in möglichen Vereinbarungen anlässlich der Aufsichtsratssitzungen vom 23.10.2009 und aus dem Jahr 2014 sowie einer darauf gegebenenfalls aufbauenden einvernehmlichen Handhabung des Vertrages angenommen werden. Die Änderung des Teilgewinnabführungsvertrages als Unternehmensvertrag bedarf gem. §§ 295 Abs. 1 Satz 1 AktG der Zustimmung der Hauptversammlung mit der in §§ 295 Abs. 1 Satz 2, 293 Abs. 1 AktG beschriebenen Mehrheit von mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals. Ein derartiger Beschluss wurde unstreitig nicht gefasst. Ebenso wenig wurde die Änderung des Gesellschaftsvertrages entsprechend den gesetzlichen Vorgaben aus §§ 295 Abs. 1 Satz 2, 294 AktG in das Handelsregister eingetragen, die hier nun konstitutiv wirkt (vgl. Schenk in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG, a.a.O., § 294 Rdn. 16). Auch fehlt die Einhaltung der von §§ 295 Abs. 1, 293 Abs. 3 AktG erforderlichen Schriftform. Es ist nach dem Vortrag der Parteien nicht ansatzweise erkennbar, es könne eine von beiden Parteien unterzeichnete Urkunde gemäß § 126 Abs. 1 und Abs. 2 BGB geben, nachdem auch die Beklagte geltend macht, die Änderungen am Rande von Aufsichtsratssitzungen ohne entsprechende Protokollierung abgesprochen zu haben.
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(cc) Die Grundsätze der faktischen oder fehlerhaften Gesellschaft können vorliegend nicht zur Anwendung gelangen, selbst wenn die zur Vertretung berechtigten Personen der Beklagten und der E…-GbR gehandelt haben sollten. Zwar wird zum Teil die Auffassung vertreten, auch in der Situation der Missachtung der Schriftform wie auch der fehlenden Eintragung ins Handelsregister müsse es bei dem vermeintlich geänderten und durchgeführten Vertrag zu deren Anwendung kommen (so Veil/Walla in: BeckOGK AktG, Stand: 1.7.2023, § 295 Rdn. 17). Dieser Auffassung kann indes mit der h.M. nicht gefolgt werden. Die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft setzen nämlich die Eintragung in das Handelsregister voraus. Die Eintragung des Unternehmensvertrages hat bei der Aktiengesellschaft konstitutive Wirkung. Sie dient dem Vertrauensschutz der Gläubiger und der Aktionäre wie auch der Rechtssicherheit. Damit soll erreicht werden, dass der Zeitpunkt des Inkrafttretens auch der Änderung eindeutig festgelegt und bekannt gemacht wird. Zudem soll durch das Eintragungserfordernis gewährleistet werden, dass der geänderte Unternehmensvertrag erst nach registergerichtlicher Prüfung wirksam wird. Auch die hier vorgenommene Änderung bedeutet einen schwerwiegenden Eingriff in die Aufteilung von Gewinnen oder Verlusten zwischen der Beklagten und der E…-GbR. Ohne den eindeutig festgelegten Beginn ist kein sicheres Kriterium gegeben, ab dem die geänderte Gewinn- oder Verlustzuweisung zum Tragen kommt. Auch die fehlende Beschlussfassung der Hauptversammlung spricht für diese Ansicht. Nach der Kompetenzordnung des Aktiengesetzes ist es allein Sache der Hauptversammlung, über die Gewinnverwendung zu entscheiden, wie sich aus § 119 Abs. 1 Nr. 2 AktG ergibt. Solange dieser Beschluss fehlt, kann nicht davon gesprochen werden, es bestehe ein auf die gemeinschaftliche Durchführung des Teilgewinnabführungsvertrages gerichtetes Ziel der Aktiengesellschaft (vgl. allgemein OLG Schleswig NZG 2008, 868, 873 f. = AG 2009, 374, 377 f. = WM 2008, 2253, 2260 f. = DB 2008, 2076, 2030; auch OLG München NZG 2008, 753, 755 = AG 2008, 672, 673 f. = ZIP 2008, 1330, 1332 = WM 2008, 1932, 1934). Gerade bei einer typisch stillen Gesellschaft handelt es sich um eine Innengesellschaft, bei der Gesichtspunkte des Gläubigerschutzes keine Rolle spielen und bei der auch die Rückabwicklung keine unüberwindbaren Schwierigkeiten mit sich bringt. Angesichts dessen ist der Auffassung der Vorzug zu geben, die bei fehlender Eintragung der Änderung des Teilgewinnabführungsvertrages und fehlender Beschlussfassung der Hauptversammlung die Anwendung der Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft ablehnt (vgl. Langenbucher in: K. Schmidt/Lutter, AktG, a.a.O., § 295 Rdn. 6; Emmerich in: Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 10. Aufl., § 295 Rdn. 9; auch Altmeppen in: Münchener Kommentar zum AktG, 6. Aufl., § 295 Rdn. 15; Veil/Walla in: BeckOGK AktG, Stand: 1.7.2023, § 292 Rdn. 28; auch BGH NZG 2013, 53 ff. = AG 2013, 92 ff. 93 = ZIP 2013, 19 ff. = WM 2013, 26 ff. = DB 2013, 45 ff. = BB 2013, 206 ff. = Der Konzern 2013, 209 ff., wo von einer Nichtigkeit ausgegangen wird).
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(dd) Die Beklagte kann sich nicht auf die Regelung in § 4 Abs. 1 Satz 2 des Gesellschaftsvertrages berufen, wonach der stille Gesellschafter Einwände gegen den Jahresabschluss nur innerhalb von sechs Wochen nach Erhalt des Jahresabschlusses geltend machen kann. Dabei muss die Kammer nicht entscheiden, inwieweit in dem Verhältnis der Beklagten zur E…-GbR eine derartige Regelung rechtlich überhaupt möglich ist. Der Kläger als Aktionär kann durch diese Vertragsbestimmung bereits nach ihrem Wortlaut nicht gebunden sein, weil eine Frist von sechs Wochen ausschließlich die E…-GbR als stille Gesellschafterin bindet. Vor allem aber ist auch zu berücksichtigen, dass die Erhebung einer Nichtigkeitsfeststellungsklage nach den Vorgaben des Aktiengesetzes gerade nicht fristgebunden ist – ausgenommen die Frist von drei Jahren des § 256 Abs. 6 Satz 1 AktG über die Heilung von Mängeln einer Überbewertung nach § 256 Abs. 5 Satz 1 AktG. Diese Frist steht allerdings nicht zur Disposition der Organe der Beklagten.
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(ee) Soweit die Beklagte geltend macht, es komme nur zu einem (zulässigen) Passivtausch innerhalb des Eigenkapitals über die G+V-Rechnung, rechtfertigt dies kein anderes Ergebnis. Vorliegend haben die Korrekturen nämlich Einfluss auf die Höhe der Verbindlichkeiten der Beklagten, so dass es gerade nicht nur innerhalb des Eigenkapitals zu Veränderungen kommt, weil der Gewinnanteil auch eine Verbindlichkeit gegenüber der E…-GbR ist. Damit aber sind die Verbindlichkeiten der Gesellschaft überbewertet. Soweit die Beklagte auf die Maßgeblichkeit des Werts des Verlustkontos der stillen Gesellschafterin E…-GbR zum 1.1.2020 hinweist, kann dieses für die Nichtigkeit des Jahresabschlusses keine Bedeutung haben. Der Umfang des Verlustkontos der stillen Gesellschafterin ist gerade Folge des Jahresabschlusses der Beklagten.
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b. Der Bewertungsmangel in Form der Überbewertung von Verbindlichkeiten muss als wesentlich eingestuft werden.
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(1) Die Überbewertung eines Bilanzpostens im Sinne des § 256 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AktG führt dann zur Nichtigkeit des Jahresabschlusses, wenn eine den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung widersprechende Bilanzierung ihrem Umfang nach nicht bedeutungslos ist.
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Das Erfordernis dieses ungeschriebenen Tatbestandsmerkmals folgt aus dem Rechtsgedanken des § 256 Abs. 4 AktG, der insoweit einen allgemeinen Rechtsgrundsatz für die Folgen von Fehlern bei der Aufstellung des Jahresabschlusses erhält. Durch eine geringfügige Überbewertung wird der Schutzzweck der Norm nicht tangiert (vgl. BGHZ 83, 341, 347 = NJW 1983, 42, 44 = ZIP 1982, 1077, 1080; NZG 2021, 1603, 1608 = AG 2022, 159, 163 = WM 2021, 1692, 1697; OLG Hamm AG 1992, 233, 234; OLG Brandenburg GmbHR 1997, 796, 797; LG Frankfurt am Main DB 2001, 1483; LG München I DB 2007, 2306, 2307 = BB 2007, 2510, 2511 = Der Konzern 2007, 537, 538; ZIP 2022, 1052, 1055 = ZRI 2022, 433, 438; Jansen in: BeckOGK AktG, Stand: 1.7.2023, § 256 Rdn. 67; A. Arnold in: Kölner Kommentar zum AktG, 3. Aufl., § 256 Rdn. 71; Schulz in: Bürgers/Körber/Lieder, AktG, a.a.O., § 256 Rdn. 17; E. Vetter in: Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, a.a.O., § 256 Rdn. 20; Fuhrmann EWiR 2002, 425, 426).
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(2) Die Wesentlichkeit des Bewertungsfehlers resultiert vorliegend nicht alleine aus der Relation zur Bilanzsumme in Höhe von € 13.688.351,27, nachdem dieses Verhältnis nicht als einziges Kriterium zur Beurteilung der Wesentlichkeit herangezogen werden darf. Diese Relation stellt vorwiegend auf die Verzerrungen in der Darstellung der Vermögenslage ab und nimmt damit vor allem auf den Gläubigerschutzgedanken Bezug. Daneben muss aber auch das quantitative Verhältnis zwischen der Ergebniswirkung der Überbewertung und dem Jahresergebnis wesentlich sein. Diese Bezugsgröße ist als ökonomisch sachgerecht einzustufen, weil sie die Auswirkungen auf die Darstellung der Ertragslage abbildet. Hier wird die Erheblichkeit regelmäßig dann bejaht, wenn die fragliche Überbewertung 10 % des im festgestellten Jahresabschluss ausgewiesenen Jahresüberschusses ausmacht (vgl. OLG Brandenburg GmbHR 1997, 796, 797; Jungius/Schmidt DB 2012, 1697, 1701; Weilep/Weilep BB 2006, 147, 148; auch OLG Frankfurt AG 2009, 542, 548 = DB 2009, 1863, 1868). Die Abweichung vom ausgewiesenen Jahresüberschuss in Höhe von € 291.407,87 beträgt € 66.413,94 oder knapp 22,8 %. Soweit teilweise zusätzlich gefordert wird, die Bilanzsumme müsse um mindestens 0,25 % verändert werden (so Weilep/Weilep BB 2006, 147, 148; in diese Richtung auch Jungius/Schmidt DB 2012, 1697, 1701; Schwab in: K. Schmidt/Lutter, AktG, a.a.O., § 256 Rdn. 16) ist vorliegend bei einer Abweichung von rund 0,49 % auch dieses Merkmal als erfüllt anzusehen.
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Angesichts dessen musste die Nichtigkeitsfeststellungsklage Erfolg haben.
49
1. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO; als Unterlegene hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
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2. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1 und Satz 2 ZPO.
51
3. Die Entscheidung über den Streitwert hat ihre Grundlage in § 247 Abs. 1 AktG.