Inhalt

ArbG München, Endurteil v. 12.06.2023 – 33 Ca 7476/22
Titel:

ordentliche betriebsbedingte Kündigung in einem Restbetrieb

Normenketten:
KSchG § 1 Abs. 2, § 23 Abs. 1
BGB § 613a Abs. 1, 5
BetrVG § 102 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Entsprechend der Unterscheidung zwischen „Betrieb“ und „Unternehmen“ in § 1 Abs. 1 KSchG ist der Betrieb auch in § 23 Abs. 1 KSchG nicht mit dem des Unternehmens gleichzusetzen. Die Darlegungs- und Beweislast für die betrieblichen Geltungsvoraussetzungen nach § 23 Abs. 1 KSchG trägt grundsätzlich der Arbeitnehmer, der er aber genügt, wenn er die äußeren Umstände schlüssig darlegt, die für die Annahme sprechen, dass die Betriebsstätte, in der er beschäftigt ist, über keinen eigenständigen Leitungsapparat verfügt, diese vielmehr zentral gelenkt wird. Der Arbeitgeber hierauf gemäß § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen zu erklären, welche rechtserheblichen Umstände gegen die Annahme eines einheitlichen Leitungsapparates für mehrere Betriebsstätten sprechen. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Umstand, dass eine Person mehrere Unternehmen leitet, bedeutet noch nicht, dass sie diese Aufgaben für alle Unternehmen einheitlich wahrnimmt; für eine solche Annahme bedarf es vielmehr ergänzender Anhaltspunkte. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
3. Hat der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses gemäß § 613a BGB widersprochen, so verhindert er die Rechtsfolge die Auswechslung des Arbeitgebers, so dass das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber unverändert fortbesteht. Der widersprechende Arbeitnehmer trägt somit das Risiko, dass für ihn kein Beschäftigungsbedarf beim Betriebsveräußerer mehr besteht, weil aufgrund des Betriebsübergangs sein alter Betrieb nicht mehr existiert. Der Arbeitgeber ist grundsätzlich nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmer das Risiko dadurch zu nehmen, dass er ihn in einem anderen Betrieb seines Unternehmens versetzt. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
betriebsbedingte Kündigung, Unternehmen, Restbetrieb, Leitungsapparat, Betriebsübergang, Widerspruch, Kleinbetriebsklausel
Rechtsmittelinstanz:
LArbG München, Urteil vom 01.03.2024 – 7 Sa 430/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 49749

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
3. Der Streitwert wird auf € 39.744,76 festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um den Bestand des Arbeitsverhältnisses.
2
Die am 1976 geborene Klägerin war seit dem 11.04.2011 bei der Beklagten als Projektleiterin gegen ein Bruttomonatsgehalt in Höhe von zuletzt 9.936,19 € beschäftigt. Die Beklagte unterhielt mehrere Betriebe an mehreren Standorten. Seit 2015 war die Klägerin am Standort in E-Stadt im Betrieb der Beklagten „E-Stadt G“ im sog. Geschäftsbereich Mobility tätig. Im Betrieb E-Stadt G waren weit über zehn Arbeitnehmer iSd. § 23 I KSchG beschäftigt; es existierte ein Betriebsrat. Deutschlandweit beschäftigte die Beklagte ca.
3
49.000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Der Geschäftsbereich Mobility erstreckte sich über mehrere Betriebe und Standorte der Beklagten. In E-Stadt existierte des Weiteren ein sog. Betrieb E-Stadt F der Beklagten. Im Zuge einer Umorganisation bei der Beklagten wurden zunächst teilweise Betriebe des Geschäftsbereichs Mobility abgespalten und dann mit Wirkung zum 01.08.2018 auf die neu gegründete S. GmbH ausgegliedert; teilweise wurden Betriebe der Beklagten im Gesamten, d.h. ohne vorherige Spaltung, auf die S. GmbH übertragen. Dies war Gegenstand des Interessenausgleichs, der zwischen der Beklagten und dem bei ihr gebildeten Gesamtbetriebsrat am 18.05.2018 geschlossen wurde. Zum Inhalt wird auf Anlage B3 Bezug genommen. Vom Betrieb E-Stadt G wurde danach der Geschäftsbereich Mobility abgespalten, als künftiger Betrieb Mobility E-Stadt G, vgl. Ziffer 3.31 des Interessenausgleichs. Im Zuge der Übertragung kam es zu einem Übergang sämtlicher Arbeitsverhältnisse der zuvor im Geschäftsbereich Mobility beschäftigten Arbeitnehmer auf die S. GmbH. Davon war auch das Arbeitsverhältnis der Klägerin betroffen. Die Klägerin widersprach dem Betriebsübergang. Die Beklagte ordnete die Klägerin sodann betriebsorganisatorisch einem sog. Mobility E-Stadt G Restbetrieb (im Folgenden: E-Stadt Restbetrieb) zu, ebenso wie weitere 35 Mitarbeiter, die dem Betriebsübergang widersprochen hatten. Es existierten daneben weitere „Mobility Restbetriebe“ an anderen Standorten, wozu im Einzelnen auf die Anlage B2, S. 4 f. Bezug genommen wird. Der E-Stadt Restbetrieb war nicht operativ tätig. Geschäftszweck war es, die Arbeitnehmer, die dem Betriebsübergang widersprochen hatten, aus dem Restbetrieb heraus im Wege der Versetzung bzw. Änderungskündigung an Fachabteilungen in andere Betrieben, idealerweise dauerhaft, zumindest im Rahmen vorübergehender Projekteinsätze, zu vermitteln. Daneben wurden Möglichkeiten einer einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses geprüft und ggf. verhandelt, alternativ auch Optionen von Eigenkündigungen, Beendigungskündigungen, Renteneintritt oder Altersteilzeit. Die Klägerin war im Wesentlichen freigestellt. Sie bewarb sich auf über 60 Stellenangebote der Beklagten, war aber lediglich einige Monate befristet in einem anderen Betrieb der Beklagten im Rahmen eines Projekteinsatzes tätig. Die Zahl der dem E-Stadt Restbetrieb zugeordneten Mitarbeiter reduzierte sich im Lauf der Jahre, durch Vermittlung in andere Geschäftsbereiche der Beklagten oder durch Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis. Zuletzt waren neben der Klägerin noch vier weitere Arbeitnehmer diesem Restbetrieb zugeordnet. Ein Betriebsrat existierte im E-Stadt Restbetrieb nicht. Mit Schreiben der Beklagten vom 16.03.2021 (Anlage B1) war Herr S. zum „Sprecher der Betriebsleitung MO E-Stadt G Restbetrieb“ bestellt worden. In dem Schreiben hieß es u.a.:
„Die Betriebsleitung hat die Entscheidungsgewalt in allen personellen und sozialen Angelegenheiten für die Arbeitnehmer des MO E-Stadt G Restbetrieb. Abgesehen von örtlichen Besonderheiten hat die Betriebsleitung:
- Die Arbeitgeberfunktion gem. Betriebsverfassungsgesetz (alleiniger Ansprechpartner für den Betriebsrat)
- Die Verantwortung für die Infrastruktur
Die Betriebsleitung […] hat bezüglich der zu einem Betrieb gehörenden Unternehmenseinheiten die alleinige Vertretungsfunktion zur Wahrnehmung aller betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben des Arbeitgebers, ohne in die geschäftlichen Belange der Einheiten einzugreifen.“
4
Herr S. war organisatorisch nicht dem E-Stadt Restbetrieb zugeordnet. Er fungierte als Betriebsleiter weiterer (Rest-)Betriebe der Beklagten. Zuständiger Personalleiter für die im E-Stadt Restbetrieb angesiedelten Arbeitnehmer war Herr R.. Herr R. wie auch der (letzte) disziplinarische Vorgesetzte der Klägerin waren dem Betrieb der Beklagten A-Stadt P-Stadt zugeordnet. Herrn R. oblag neben dem E-Stadt Restbetrieb für weitere Restbetriebe die Funktion als Personalleiter. Unter dem 22.08.2022 sprach die Beklagte eine ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin mit Wirkung zum 31.12.2022 aus. Das Kündigungsschreiben ging der Klägerin am 24.08.2022 zu. Unterschrieben war die Kündigung von Herrn R. und einem weiteren, dem Betrieb A-Stadt P-Stadt zugeordneten Mitarbeiter.
5
Die Klägerin behauptet, sie habe auf einer Vielzahl von freien Stellen in anderen Betrieben der Beklagten weiterbeschäftigt werden können; im Einzelnen wird auf S. 11 ff. des Schriftsatzes der Klägerin vom 15.02.2023 = Bl. 59 ff. d.A. Bezug genommen. Die Klägerin ist der Ansicht, bei dem E-Stadt Restbetrieb handele es sich nicht um einen Betrieb iSd. § 23 I KSchG, weil dieser keinen eigenständigen Leitungsapparat habe, wozu sie u.a. darauf verweist, dass weder ihr Vorgesetzter noch Herr S. dem E-Stadt Restbetrieb angehörten und Lohnabrechnungen und Personalaktenverwaltung durch den Betrieb E-Stadt G erfolgten. Herr S. habe keine Bevollmächtigung zur Entscheidung in allen personellen und sozialen Angelegenheiten. Die Klägerin sei kündigungsschutzrechtlich noch immer dem Betrieb E-Stadt G zuzuordnen. Daher hätte auch dessen Betriebsrat angehört werden müssen. Die Beklagte könne sich angesichts ihrer Mitarbeiterzahl jedenfalls nicht darauf berufen, dass ein Kleinbetrieb vorliege. Eine verfassungskonforme Auslegung des § 23 I KSchG führe vorliegend dazu, dass auf den gesamten Betrieb E-Stadt G abzustellen sei.
6
Mit ihrer Klage vom 25.08.2022, beim Arbeitsgericht München eingegangen am Folgetag, der Beklagten zugestellt am 05.09.2022, hat sich die Klägerin gegen die Kündigung gewandt und deren soziale Rechtfertigung gerügt.
7
Nach Rücknahme des allgemeinen Feststellungsantrags beantragt die Klägerin zuletzt:
1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 22. August 2022 beendet ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei bis zum Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterzubeschäftigen.
8
Die Beklagte beantragt
Klageabweisung.
9
Die Beklagte behauptet, sämtliche Bemühungen, die Klägerin nach 2018 in einem anderen Betrieb weiter zu beschäftigen, seien erfolglos geblieben, weil der Klägerin jeweils die erforderliche Qualifikation gefehlt habe. Das gleiche gelte für die zum Kündigungszeitpunkt freien Stellen. Die Beklagte ist der Ansicht, die Kündigung unterfalle mangels Erreichen der Betriebsgröße nicht dem KSchG. Es sei keine Benachteiligung der Klägerin erfolgt. Die Folgen der geänderten Beschäftigungssituation, der Wegfall des Arbeitsplatzes mit Beschäftigungslosigkeit und der Verbleib in einem betriebsratslosen Restbetrieb seien allein durch den Widerspruch der Klägerin entstanden und von ihr selbst herbeigeführt.
10
Mangels Anwendbarkeit des KSchG habe auch keine Verpflichtung bestanden, alternative Beschäftigungsmöglichkeiten zu prüfen. Es sei kein zuständiger Betriebsrat für eine Anhörung vor der Kündigung nach § 102 BetrVG vorhanden.
11
Zum Vorbringen der Parteien wird im Übrigen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen (Klägerin: 25.08.2022, 15.02.2023, 17.05.2023; Beklagte: 02.12.2022, 29.03.2023) sowie die Sitzungsniederschrift vom 22.05.2023 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.
12
Die Klage hat keinen Erfolg.
I.
13
Der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten ist eröffnet, § 2 I Nr. 3 lit. a, b ArbGG.
II.
14
Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts München ergibt sich aus § 46 II ArbGG, §§ 12, 17 ZPO.
III.
15
An der Zulässigkeit der Klage bestehen keine Bedenken. Insbesondere hat die Klägerin mit dem Klageantrag zu 1. den besonderen Feststellungsantrag iSd. § 4 KSchG zur Entscheidung gestellt. Das gemäß § 46 II ArbGG, §§ 495, 256 I ZPO erforderliche Feststellungsinteresse hierfür ergibt sich aus der drohenden materiellen Präklusion, §§ 4, 7 KSchG.
IV.
16
Die Klage ist insgesamt unbegründet.
17
1. Klageantrag zu 1. unbegründet, weil die Kündigung vom 22.08.2022 wirksam ist und das Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 31.12.2022 beendet hat.
18
a) Die Kündigung gilt nicht nach §§ 4 S. 1, 7 KSchG als wirksam.
19
aa) Nach § 4 S. 1 KSchG muss ein Arbeitnehmer drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung beim Arbeitsgericht Klage auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Dies gilt nicht nur für den Fall, dass er geltend machen will, dass die Kündigung sozial ungerechtfertigt ist, sondern auch dann, wenn der Arbeitnehmer sich auf eine Rechtsunwirksamkeit aus anderen Gründen beruft. Die Klagefrist des § 4 S. 1 KSchG ist unabhängig von den sonstigen Anwendungsvoraussetzungen des KSchG einzuhalten (vgl. etwa BAG vom 28.06.2007 – 6 AZR 873/06). Wird die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung in diesem Sinne nicht rechtzeitig geltend gemacht, so gilt die Kündigung nach § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam.
20
bb) Die Klägerin hat gegen die ihr am 24.08.2022 zugegangene Kündigung vom 22.08.2022 mit bei Gericht am 26.08.2022 eingegangenem Schriftsatz Klage erhoben. Die Kündigungsschutzklage ist der Beklagten am 05.09.2022 zugestellt worden. Damit hat die Klägerin die nach §§ 4, 7 KSchG erforderliche dreiwöchige Frist zur Erhebung der Kündigungsschutzklage gewahrt.
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b) Die Kündigung ist nicht am KSchG zu messen, denn dessen Anwendungsvoraussetzungen sind nicht erfüllt. Zwar besteht das Arbeitsverhältnis der Klägerin zur Beklagten seit 2011 und damit länger als sechs Monate, vgl. § 1 I KSchG. Im E-Stadt Restbetrieb waren jedoch im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung regelmäßig weniger als zehn Mitarbeiter beschäftigt, § 23 I KSchG, nämlich neben der Klägerin nur noch vier weitere Arbeitnehmer.
22
aa) Entgegen der Ansicht der Klägerin ist auf den E-Stadt Restbetrieb als Betrieb iSd. § 23 I KSchG abzustellen.
23
(1) § 23 I 3 KSchG enthält ebenso wie das gesamte Kündigungsschutzgesetz keine Definition des Betriebsbegriffs. Für §§ 1, 15 und 17 KSchG gilt daher im Wesentlichen der Betriebsbegriff iSd § 1 BetrVG. Danach ist der Betrieb die organisatorische Einheit von Arbeitsmitteln, mit deren Hilfe der Arbeitgeber allein oder in Gemeinschaft mit seinen Arbeitnehmern mit Hilfe von technischen und immateriellen Mitteln einen bestimmten arbeitstechnischen Zweck fortgesetzt verfolgt, der nicht nur in der Befriedigung von Eigenbedarf liegt (st. Rspr. vgl. BAG vom 19.07.2016 – 2 AZR 468/15 Rn. 12). Dies setzt einen einheitlichen organisatorischen Einsatz der Sachmittel und Personalressourcen voraus. Die einen Betrieb konstituierende Leitungsmacht wird dabei dadurch bestimmt, dass der Kern der Arbeitgeberfunktionen in personellen und sozialen Angelegenheiten von derselben institutionalisierten Leitung im Wesentlichen selbstständig ausgeübt wird. Entscheidend ist, wo schwerpunktmäßig über Arbeitsbedingungen und Organisationsfragen entschieden wird und in welcher Weise Einstellungen, Entlassungen und Versetzungen vorgenommen werden (BAG vom 02.03.2017 – 2 AZR 427/16 Rn. 15). Entsprechend der Unterscheidung zwischen „Betrieb“ und „Unternehmen“ in § 1 I KSchG ist er auch in § 23 I KSchG nicht mit dem des Unternehmens gleichzusetzen. Dies ist verfassungsrechtlich im Grundsatz nicht zu beanstanden. Die Darlegungs- und Beweislast für die betrieblichen Geltungsvoraussetzungen nach § 23 I KSchG trägt grundsätzlich der Arbeitnehmer (BAG vom 19.07.2016 – 2 AZR 468/15 Rn. 13). Dabei dürfen an die Darlegungslast des Arbeitnehmers zur betrieblichen Organisation keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Es reicht in der Regel aus, wenn dieser die äußeren Umstände schlüssig darlegt, die für die Annahme sprechen, dass die Betriebsstätte, in der er beschäftigt ist, über keinen eigenständigen Leitungsapparat verfügt, diese vielmehr zentral gelenkt wird. Hat der Arbeitnehmer schlüssig derartige Umstände behauptet, hat der Arbeitgeber hierauf gem. § 138 II ZPO im Einzelnen zu erklären, welche rechtserheblichen Umstände gegen die Annahme eines einheitlichen Leitungsapparates für mehrere Betriebsstätten sprechen. Nach dem Prinzip der Sachnähe ist regelmäßig nur der Arbeitgeber in der Lage, nähere Auskunft über die betrieblichen Führungsstrukturen zu geben (BAG vom 02.03.2017 – 2 AZR 427/16 Rn. 22).
24
(2) Danach ist vorliegend auf den E-Stadt Restbetrieb als maßgeblichem Betrieb iSd. § 23 I KSchG abzustellen. Durch die Abspaltung vom Betrieb E-Stadt G gab es zunächst einen Betrieb Mobility E-Stadt G, der – insoweit unstreitig – auf die S. GmbH übertragen wurde. Der Betrieb Mobility E. G existierte damit bei der Beklagten nicht mehr. Die Beklagte war nicht gehindert, einen E-Stadt Restbetrieb zu bilden und die dem Betriebsübergang widersprechenden Arbeitnehmer diesem Betrieb zuzuordnen. Dieser stellt eine eigene organisatorische Einheit dar. Das zeigt sich nicht nur an dem von den Betrieben E-Stadt G und E-Stadt F zu unterscheidendem Geschäftszweck (nämlich endgültiger Abbau der Arbeitsplätze statt operativem Auftreten am Markt). Vielmehr existiert in der Person des Herrn S. eine Betriebsleitung. Der Behauptung der Klägerin, Herr S. habe keine Bevollmächtigung zur Entscheidung in allen personellen und sozialen Angelegenheiten, ist die Beklagte erheblich entgegengetreten, denn aus dem vorgelegten Bestellungsschreiben vom 16.03.2021 ergibt sich ausdrücklich, dass Herr S. die „Entscheidungsgewalt in allen personellen und sozialen Angelegenheiten für die Arbeitnehmer des MO E-Stadt G Restbetrieb“ übertragen wird und er „alleiniger Ansprechpartner für den Betriebsrat“ ist. Dass sich dies etwa nicht mit den tatsächlichen Umständen deckte, die Bevollmächtigung also quasi nur „auf dem Papier“ existierte, hat die Klägerin nicht behauptet, es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich.
25
Dass Herr S. Betriebsleiter weiterer (Rest-)Betriebe und Herr R. Personalleiter weiterer Betriebe der Beklagten ist, reicht nicht aus, um annehmen zu können, es gebe damit einen einheitlichen Leitungsapparat für mehrere Betriebsstätten der Beklagten. Insoweit gilt ein vergleichbarer Prüfungsmaßstab wie für die Frage, ob ein gemeinsamer Betrieb mehrerer Unternehmen vorliegt (vgl. BAG vom 15.03.2001 – 2 AZR 151/00 unter II.1c] der Gründe). Der Umstand, dass eine Person mehrere Unternehmen leitet, bedeutet noch nicht, dass sie diese Aufgaben für alle Unternehmen einheitlich wahrnimmt; für eine solche Annahme bedarf es vielmehr ergänzender Anhaltspunkte (BAG vom 20.5.2021 – 2 AZR 560/20 Rn. 19 m.w.N.). Vorliegend fehlen derartige Anhaltspunkte, die für eine umfassende organisatorische, personelle und/oder räumliche Verflechtung des E-Stadt Restbetriebes mit anderen (Rest-)Betrieben der Beklagten (etwa dem Betrieb E-Stadt G, wie die Klägerin meint, oder dem Betrieb A-Stadt P-Stadt) unter gemeinsamer Leitung sprechen, wie etwa ein übergreifender Personal- oder Betriebsmitteleinsatz. Eine zentral angesiedelte Personalaktenverwaltung oder Lohnbuchhaltung reicht jedenfalls nicht aus (BAG vom 22.06.2005 – 7 ABR 57/04 unter II.2c] der Gründe m.w.N.).
26
(3) Vorliegend ist auch nicht mit Blick auf Sinn und Zweck der Kleinbetriebsklausel eine andere Betrachtung veranlasst.
27
(a) Die Klägerin meint in diesem Zusammenhang, dass angesichts der Größe der Beklagten mit über 49.000 Mitarbeitern die Anwendung der Kleinbetriebsklausel verfehlt sei. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist die Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer in Kleinbetrieben und derjenigen, die in größeren Betrieben beschäftigt sind, durch die besondere Lage der Arbeitgeber in Kleinbetrieben gerechtfertigt, die sich durch persönliche Zusammenarbeit, geringere Finanzausstattung und begrenzte Verwaltungskapazität des Unternehmens auszeichnet (BVerfG vom 27.01.1998 – 1 BvL 15/87). Dass § 23 I KSchG auf die Betriebs- und nicht auf die Unternehmensgröße abstellt, ist danach verfassungsrechtlich unbedenklich, solange dadurch nicht angesichts der vom Arbeitgeber geschaffenen konkreten Organisation die gesetzgeberischen Erwägungen für die Privilegierung des Kleinbetriebs bei verständiger Betrachtung ins Leere gehen und die Bestimmung des Betriebsbegriffs nach herkömmlicher Definition zu einer sachwidrigen Ungleichbehandlung betroffener Arbeitnehmer führt. Der Betriebsbezug des Schwellenwerts ist demnach nicht schon immer dann zu durchbrechen, wenn sich das Unternehmen zwar in mehrere kleine, organisatorisch verselbstständigte Einheiten gliedert, insgesamt aber mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt. Das liefe auf eine vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte generelle Gleichsetzung von Betrieb und Unternehmen hinaus und berücksichtigte nicht, dass auch das BVerfG lediglich von Einzelfällen ausgegangen ist, die dem gesetzgeberischen Leitbild nicht entsprächen. Die Anwendung der Kleinbetriebsklausel ist auch nicht schon dann ausgeschlossen, wenn die als „Betrieb“ im kündigungsschutzrechtlichen Sinne zu verstehende Einheit nicht sämtliche vom BVerfG als charakteristisch benannten Merkmale eines Kleinbetriebs erfüllt. Dieses hat lediglich typologisch Gesichtspunkte angeführt, die für einen Kleinbetrieb bezeichnend sind, ohne dass diese wie tatbestandliche Voraussetzungen einer Norm zu behandeln wären. Maßgeblich ist vielmehr eine alle Umstände des Einzelfalls einbeziehende, wertende Gesamtbetrachtung dahingehend, ob die Anwendung der Kleinbetriebsklausel nach Maßgabe des allgemeinen Betriebsbegriffs unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse dem mit ihr verbundenen Sinn und Zweck (noch) gerecht wird (BAG vom 19.07.2016 – 2 AZR 468/15 Rn. 20 f.; BAG vom 28.10.2010 – 2 AZR 392/08 Rn. 19 ff. jeweils m.w.N.). Dieser Ausnahmefall kann etwa anzunehmen sein, wenn übliche betriebliche Organisationsformen durch eine unternehmensweite Matrixstruktur aufgeweicht werden, sodass eine deutsche Niederlassung eines internationalen Konzerns als Anstellungsgesellschaft knapp 150 Mitarbeiter administriert, die – von wenigen Ausnahmen abgesehen – alle in wechselnden international zusammengesetzten Gruppen bei den Kunden des Konzerns eingesetzt werden, ohne ein Büro oder eine nichtvirtuelle betriebliche Infrastruktur zu nutzen (hierzu LAG Köln vom 22.04.2021 – 6 Sa 1066/20).
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(b) Unter Anwendung dieser Grundsätze gilt § 23 I KSchG im Streitfall uneingeschränkt. Insbesondere ist der vorliegende Fall nicht mit dem des LAG Köln am 22.04.2021, Az. 6 Sa 1066/20, entschiedenen vergleichbar (auf den die Klägerin schriftsätzlich verwiesen hat). Dort wurde die spezielle betriebliche (Matrix-)Struktur vom Unternehmen genutzt, um operativ tätig zu sein, also einen Geschäftszweck am Markt zu verwirklichen, wie jedes andere Unternehmen es auch anstrebt. Wird das Unternehmen dazu in (kleine) Geschäftsbereiche von jeweils weniger als 11 Arbeitnehmer aufgespaltet, würden diese Arbeitnehmer schlechter stehen als in einem anderen operativ tätigen Unternehmen. Gibt es für eine derart kleinteilige Matrixstruktur dann keine bestimmten Geschäftsinteressen, kann das ein Indiz dafür sein, dass die Anwendbarkeit des KSchG vermieden werden soll (vgl. LAG Köln aaO. Rn. 32), was das Berufen auf die Kleinbetriebsklausel im Einzelfall missbräuchlich erscheinen lassen kann (vgl. auch BAG vom 19.07.2016 – 2 AZR 468/15 Rn. 22, wo eine auf die Verhinderung des Entstehens allgemeinen Kündigungsschutzes der Beschäftigten gerichtete willkürliche Zersplitterung des Unternehmens geprüft wird). Dann mag es auch gerechtfertigt sein, die Wertschöpfungsfaktoren funktionell zu einem „Betrieb“ iSd. § 23 I KSchG zu verknüpfen (vgl. MüKoBGB/Hergenröder, 9. Aufl. 2023, KSchG § 1 Rn. 26). Hiermit ist der vorliegende Fall aber nicht vergleichbar, vielmehr zeigt die alle Umstände des Einzelfalls einbeziehende, wertende Gesamtbetrachtung, dass es spezifische, nicht zu missbilligende Interessen der Beklagten an der gewählten Organisationform gibt. Bei der hiesigen Beklagten handelt es sich um einen Unternehmer, der mehrere Betriebe unterhält, die grundsätzlich oberhalb der Schwelle des § 23 I KSchG Arbeitnehmer beschäftigen. Der Entschluss der Beklagten, mehrere dieser Betriebe zu veräußern und diese Arbeitsplätze nicht mehr zu halten, ist nicht zu beanstanden. Widersprechen nun Arbeitnehmer dem mit der Veräußerung einhergehenden Betriebsübergang, ist der Unternehmer grundsätzlich nicht gehalten, diese „Widersprecher“ einem anderen Betrieb bei sich zuzuordnen und sie in bestehende Betriebsorganisationen einzugliedern (näher dazu sogleich unten); er kann sie – wie hier geschehen – in einer eigenständigen Organisation wie einer „Auffanggesellschaft“ ansiedeln. Hätten von Anfang z.B. nur neun Arbeitnehmer widersprochen, würde dieser Betrieb von Anfang an einen Kleinbetrieb darstellen. Dass sich die Zahl der Arbeitnehmer im Laufe der Zeit – absehbar – verringert, weil ja dieser Betrieb nicht mehr operativ am Markt auftritt, sondern auf die Beendigung der Arbeitsverhältnisse abzielt, kann keinen Unterschied machen. Der Widerspruch gegen einen Betriebsübergang führt kündigungsschutzrechtlich zu einer Schlechterstellung. Da die bisherige Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer aufgrund des Betriebsübergangs weggefallen ist, liegt, wenn keine anderen Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen, aufgrund des Widerspruchs regelmäßig ein dringendes betriebliches Erfordernis vor, das eine betriebsbedingte Kündigung sozial rechtfertigen kann (st. Rspr. vgl. nur BAG 21.03.1996 – 2 AZR 559/95 unter IV.2 der Gründe). Die Schlechterstellung betrifft desweiteren den Schutz durch § 102 BetrVG (dazu ebenfalls sogleich unten). Das alles ist aber nicht Folge einer zu missbilligenden Entscheidung des Arbeitgebers, sondern Folge des Widerspruchs der Arbeitnehmer gegen den Betriebsübergang, der ihren Arbeitsplatz auf einen anderen Arbeitgeber verlagert. Für eine missbräuchliche, allein auf die Verhinderung des Entstehens allgemeinen Kündigungsschutzes der Beschäftigten gerichtete willkürliche Zersplitterung des Unternehmens der Beklagten in mehrere eigenständige Einheiten bestehen vorliegend keine Anhaltspunkte. Insgesamt zeigt sich hier keine Konstellation, wo eine verfassungsmäßig einschränkende Auslegung des § 23 I KSchG geboten oder dem Arbeitgeber das Berufen auf die Kleinbetriebsklausel nach Treu und Glauben, § 242 BGB, zu versagen ist.
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bb) Die Beklagte beschäftigte im Zeitpunkt der Kündigung in ihrem E-Stadt Restbetrieb nicht mehr als zehn Arbeitnehmer. Dass die Zahl der Beschäftigten etwa nur vorübergehend abgesunken sei, behauptet auch die Klägerin nicht. Das ist angesichts des Geschäftszwecks des Restbetriebes auch nicht ersichtlich.
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cc) Die Zuordnung der Klägerin zum Restbetrieb E-Stadt als Organisationsentscheidung der Beklagten ist rechtlich nicht zu beanstanden.
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(1) Grundsätzlich entscheidet der Arbeitgeber auf Grund seines Organisations- und Direktionsrechts über den Arbeitseinsatz des Arbeitnehmers hinsichtlich des jeweiligen Arbeitsplatzes oder des Arbeitsbereichs (BAG vom 21.02.2013 – 8 AZR 877/11 Rn. 46). Die gerichtliche Kontrolle unternehmerischer Entscheidungen in Gestalt von Organisationsentscheidungen zielt nicht darauf ab, dem Arbeitgeber organisatorische Vorgaben zu machen. Sie dient nicht dazu, die Stichhaltigkeit der Erwägungen zu prüfen, die ihn gerade zu dem von ihm gewählten Konzept erwogen haben. Es geht allein darum, Missbrauch zu verhindern. Ein solcher kann vorliegen, wenn die Maßnahmen des Arbeitgebers alleine darauf abzielen, den Arbeitnehmer „loszuwerden“. Dagegen genügt es nicht, dass Notwendigkeit und Zweckmäßigkeit der getroffenen Organisationsentscheidungen in Zweifel stehen. Für beschlossene und durchgeführte unternehmerische Organisationsentscheidungen spricht die Vermutung, dass sie aus sachlichen – nicht zuletzt wirtschaftlichen – Gründen getroffen wurden und nicht auf Rechtsmissbrauch beruhen. Im Prozess hat der Arbeitnehmer die Umstände darzulegen und ggf. zu beweisen, aus denen sich ergeben soll, dass die getroffenen Organisationsmaßnahmen offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sind. Trägt er entsprechende Indizien vor, ist in den Tatsacheninstanzen zunächst zu prüfen, ob diese in ihrer Gesamtschau, ggf. im Zusammenhang mit dem übrigen Prozessstoff auf das Vorliegen von Rechtsmissbrauch schließen lassen. Ist dem so, sind die vom Arbeitnehmer angetretenen Beweise zu erheben, soweit der Arbeitgeber die Indiztatsachen ausreichend bestritten hat (BAG vom 24.09.2015 – 2 AZR 563/14).
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(2) Derartige Anhaltspunkte für Rechtsmissbrauch auf Seiten der Beklagten sind weder hinreichend vorgetragen noch ersichtlich. Im Zuge der Abspaltung des Geschäftsbereichs Mobility und der Ausgliederung auf die S. GmbH wäre das Arbeitsverhältnis der Klägerin auf diese übergegangen, hätte sie dem nicht gemäß § 613a V BGB widersprochen. Hat der Arbeitnehmer dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses widersprochen, so verhindert er die Rechtsfolge des § 613a I 1 BGB, d.h. die Auswechslung des Arbeitgebers (BAG vom 13.07.2006 – 8 AZR 305/05 Rn. 40). Der auf den Zeitpunkt des Betriebsübergangs zurückwirkende Widerspruch führt dazu, dass das Arbeitsverhältnis mit dem bisherigen Arbeitgeber unverändert fortbesteht (BAG vom 23.07.2009 – 8 AZR 538/08 Rn. 51). Infolge ihres Widerspruchs ist die Klägerin zugleich aus dem bisherigen Betrieb Mobility EStadt G, der ja auf die S. GmbH übertragen worden ist, ausgeschieden; bei der Beklagten gibt es den Betrieb Mobility EStadt G, dem die Klägerin zuletzt zugeordnet war, nicht mehr. Widerspricht der Arbeitnehmer gemäß § 613a V BGB, trägt er das Risiko, dass für ihn kein Beschäftigungsbedarf beim Betriebsveräußerer mehr besteht, weil aufgrund des Betriebsübergangs sein alter Betrieb nicht mehr existiert. Der Arbeitgeber ist grundsätzlich nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmer das Risiko dadurch zu nehmen, dass er ihn in einem anderen Betrieb seines Unternehmens versetzt (BAG vom 21.02.2013 – 8 AZR 877/11 Rn. 48). Die Zuordnung zu einem anderen – bestehenden – Betrieb des Unternehmens kann unterbleiben, etwa weil der Arbeitgeber in dem anderen Betrieb keine Beschäftigungsmöglichkeit für den widersprechenden Arbeitnehmer sieht (vgl. BAG vom 21.03.1996 – 2 AZR 559/95 unter II.2 sowie III.2b] der Gründe). „Widersprecher“ können auch in einem eigenen Bereich gebündelt werden, das ist nicht per se rechtsmissbräuchlich (vgl. die Fallgestaltung BAG 24.09.2015 – 2 AZR 563/14; unter III.1.c]cc][4][c][aa] der Gründe). Das sich in der Betriebsveräußerung ausdrückende Ziel der Beklagten, Arbeitsplätze und damit Personal abzubauen, hier durch Übertragung im Wege des Betriebsübergangs, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Selbstverständlich kann die Beklagte nach dem Widerspruch der betroffenen Arbeitnehmer das Ziel des Personalabbaus auch auf anderem Wege weiterverfolgen, wie hier durch Bündelung in einer Art Auffangbetrieb mit dem Geschäftszweck der unternehmensweiten Vermittlung oder z.B. der einvernehmlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Es fehlt an Anhaltspunkten dafür, die Beklagte habe nach Treu und Glauben eine Zuordnung zu einem anderen Betrieb unterlassen, um die Anwendbarkeit des KSchG zu verhindern, zumal ja ohnehin zunächst der Restbetrieb aus 36 Mitarbeitern bestand.
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dd) Mangels Anwendbarkeit des KSchG bedurfte es im Streitfall auch keiner Sozialauswahl, eben so wenig einer Prüfung, ob es anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten iSd. § 1 II 4 KSchG im Unternehmen gab.
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c) Die Kündigung ist nicht wegen Verstoßes gegen § 102 I 1 BetrVG unwirksam. Im Kündigungszeitpunkt existierte kein Betriebsrat, den die Beklagte zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger hätte anhören müssen. Unstreitig existierte im Erlangen Restbetrieb kein eigener Betriebsrat. Entgegen der Ansicht der Klägerin bestand auch keine Zuständigkeit des im Betrieb E-Stadt G gebildeten Betriebsrats. Folge der Abspaltung des Betriebs Mobility E-Stadt G vom Betrieb E-Stadt G war zunächst ein Vollmandat gemäß § 21a BetrVG des Betriebsrates des Betriebs EStadt G für den Betrieb Mobility E-Stadt G, welches auch nach dem Betriebsübergang auf die S. GmbH gegenüber der dortigen Leitung fortbestand. Die Klägerin gehörte nach dem Widerspruch gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses auf die S. GmbH keinem der hier genannten Betriebe mehr an. Für die aufgrund des Widerspruchs nach § 613a V BGB bei der Beklagten „zurückgebliebenen“ Arbeitnehmer besaß der Betriebsrat nicht etwa ein „Übergangsmandat zum Übergangsmandat“. Für ein solches bestand weder ein Bedarf noch eine normative Grundlage; § 21a BetrVG ist insofern nicht analog anzuwenden (vgl. BAG vom 24.09.2015 – 2 AZR 563/14 m.w.N.). Auch auf § 21b BetrVG kann sich die Klägerin nicht berufen. Dafür fehlt es bereits an dem für die Anwendung von § 21b BetrVG erforderlichen Zusammenhang der Kündigung mit der Abspaltung des Betriebs Mobility E-Stadt G vom Betrieb E-Stadt G. Das Restmandat nach § 21b BetrVG begründet kein allgemeines Mandat für alle im Zeitpunkt der betrieblichen Umstrukturierung noch nicht erledigten Betriebsratsaufgaben, sondern setzt als Teilmandat einen funktionalen Bezug zu den durch die Stilllegung, Spaltung oder Zusammenlegung ausgelösten Aufgaben des Betriebsrats voraus. Ebenso wenig erstreckt sich das Restmandat auf Aufgaben, die erst nach einer Betriebsspaltung in den durch sie geschaffenen neuen Einheiten anfallen (BAG vom 24.09.2015 – 2 AZR 563/14). Die Kündigung beruhte nicht auf der benannten Abspaltung. Zu ihr führte erst der Widerspruch der Klägerin gegen den Übergang ihres Arbeitsverhältnisses. Auch ein etwaiger bei der Beklagten gebildeter Gesamtbetriebsrat wäre nicht anzuhören gewesen (vgl. BAG vom 21.03.1996 – 2 AZR 559/95 unter II.2 der Gründe m.w.N.).
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d) Sonstige Unwirksamkeitsgründe nicht ersichtlich. Insbesondere findet der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz außerhalb des Geltungsbereichs des Kündigungsschutzgesetzes bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Kündigung keine Anwendung (BAG vom 24.01.2008 – 6 AZR 96/07, Rn. 33; BAG vom 28.06.2007 – 6 AZR 750/06 Rn. 38). Anhaltspunkte für eine sitten- oder treuwidrige Ausübung des Kündigungsrechts durch die Beklagte – welche auch im Kleinbetrieb zu einer Unwirksamkeit der Kündigung führen könnte (vgl. grundlegend BVerfG vom 27.01.1998 – 1 BvL 15/87; BAG vom 21.02.2001 – 2 AZR 579/99; BAG vom 28.08.2003 – 2 AZR 333/02) – sind nicht ersichtlich.
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2. Infolge der Unbegründetheit des Klageantrags zu 1. bleibt auch der Klageantrag zu 2. ohne Erfolg. Zwar hat ein Arbeitnehmer unter Berücksichtigung der Art. 1 und 2 GG im bestehenden Arbeitsverhältnis grundsätzlich einen Beschäftigungsanspruch. Im Falle einer Kündigung überwiegt aber nach Ablauf der Kündigungsfrist das Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung. Erst wenn im arbeitsgerichtlichen Verfahren ein die Instanz abschließendes Urteil ergeht, durch welches die Unwirksamkeit der Kündigung festgestellt wird, überwiegt wiederum das Interesse des Arbeitnehmers an der Beschäftigung die Interessen des Arbeitgebers, soweit dieser nicht besondere Gründe geltend macht, die über den noch offenen Streit über das Bestehen des Arbeitsverhältnisses hinausgehen (BAG [Großer Senat] vom 27.02.1985 – GS 1/84). Vorliegend ist die Kündigung wirksam, sodass der Beschäftigungsanspruch nach diesem Maßstab zu verneinen ist.
B.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Abs. 2 ArbGG, § 91 I ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 61 Abs. 2, 46 Abs. 2 ArbGG iVm. §§ 3 ff. ZPO:
- Antrag 1.: 3 x 9.936,19 € (BMG)
- Antrag 2.: 1 BMG
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Die Voraussetzungen für eine gesonderte Zulassung der Berufung nach § 64 Abs. 3 ArbGG sind nicht gegeben.
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Gegen diese Entscheidung kann nach Maßgabe der folgenden Rechtsmittelbelehrung Berufung eingelegt werden.