Inhalt

LG Bayreuth, Endurteil v. 28.09.2023 – 24 O 86/23
Titel:

Prämienanpassung in der privaten Krankenversicherung – Nachprüfung der Limitierungsentscheidung

Normenketten:
VVG § 203 Abs. 2, Abs. 5
VAG § 155
BGB § 195, § 199 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, § 242, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1
Leitsatz:
Im Rechtsstreit über die Wirksamkeit einer Beitragsanpassung in der privaten Krankenversicherung kann sich der klagende Versicherungsnehmer nicht darauf beschränken, die materielle Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassung "ins Blaue hinein" und damit prozessual unbeachtlich in Frage zu stellen. Er unterliegt vielmehr einer Pflicht zur Konkretisierung seines Vortrags in Bezug auf die materielle (Un-)Rechtmäßigkeit der durch ihn angegriffenen Beitragsanpassungen, wobei dies sowohl den Leistungs- als auch den Feststellungsantrag betrifft (Anschluss an LG München I BeckRS 2023, 7427). (Rn. 55 und 56) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Prämienanpassung, formelle und materielle Rechtmäßigkeit, Krankenversicherung, Beitragsanpassung, Treuhänder, Unterlagen, Vollständigkeit, Limitierungsmaßnahmen
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Urteil vom 25.04.2024 – 1 U 180/23 e
Fundstelle:
BeckRS 2023, 49580

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 4.046,58 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger wendet sich gegen Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung zwischen dem 01.03.2014 und dem 01.03.2023.
2
Der Kläger ist seit dem 01.07.2012 bei der Beklagten privat krankenversichert.
3
Von Klägerseite wird die Beitragsanpassung in der Krankheitskostenvollversicherung in den Tarifen BA30, BS30, BZ30, BEBAY, und KHTB und in der Pflegetagegeldversicherung PT beanstandet.
4
Dem Vertragsverhältnis liegen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) nebst Musterbedingungen und die allgemeinen Tarifbedingungen zugrunde (Vgl., Anlagenkonvolut BLD1 und Anlage BLD2).
5
Von der gesetzlich und vertraglich eingeräumten Möglichkeit, die Tarife anzupassen, hat die Beklagte mehrfach Gebrauch gemacht. Zu den erfolgten Beitragsanpassungen in den einzelnen Tarifen, den Höhen und den betreffenden Zeitpunkten wird auf die Aufstellung in der Klageerwiderung (Bl. 73 u 74 d.A.) verwiesen und Bezug genommen.
6
Den erfolgten Beitragsanpassungen hat jeweils ein Treuhänder zugestimmt. Der Kläger hat die Beiträge fortlaufend ohne Vorbehalt bezahlt bis einschließlich 07.02.2023.
7
Über die erfolgten Beitragsanpassungen wurde die Klägerseite jeweils vorab durch ein Informationsschreiben informiert (vgl. Anlagen BLD3).
8
Die Klagepartei behauptet, dass die Beitragsanpassungen formell und materiell unrechtmäßig erfolgt sind.
9
Die Prämienanpassungen seien materiell rechtswidrig, da das Prüfverfahren fehlerhaft gewesen sei. Insbesondere haben dem Treuhänder nicht alle erforderlichen Unterlagen vorgelegen. Bestritten wird auch die Rechtmäßigkeit der Limitierungsmaßnahmen für die streitgegenständlichen Beitragsanpassungen. Die Darlegungs- und Beweislast für die Beitragsanpassungen liege bei der Beklagten. Die Prämienanpassungen seien auch formell rechtswidrig erfolgt, weil die maßgeblichen Gründe nicht mitgeteilt worden seien. Die Ansprüche seien nicht verjährt und durchsetzbar.
10
Mit der am 07.02.2023 eingegangenen und am 17.03.2023 zugestellten Klage macht der Kläger neben Feststellungsanträgen zur Unwirksamkeit der Erhöhungen Rückzahlung von behauptet unwirksamen Beitragsanpassungen geltend. Zur Aufschlüsselung des Rückforderungsanspruchs (Ziffer 2 der Anträge) wird auf die Aufstellung des Klägers in der Klageschrift Bl. 37 u 38 d.A.) Bezug genommen.
11
Der Kläger beantragt,
1. Es wird festgestellt, dass folgende Neufestsetzungen der Prämien in der zwischen der Klägerseite und der Beklagten bestehenden Kranken-/ Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer … unwirksam sind:
a) die Erhöhung des Beitrags im Tarif BZ 30 zum 01.03.2014 in Höhe von 2,20 €
b) die Erhöhung des Beitrags im Tarif PT 35,00 zum 01.03.2014 in Höhe von 0,30 €
c) die Erhöhung des Beitrags im Tarif BA 30 zum 01.03.2015 in Höhe von 7,54 €
d) die Erhöhung des Beitrags im Tarif KHTB 25,00 zum 01.03.2016 in Höhe von 0,96 €
e) die Erhöhung des Beitrags im Tarif BEBAY zum 01.03.2017 in Höhe von 2,20 €
f) die Erhöhung des Beitrags im Tarif BA 30 zum 01.03.2018 in Höhe von 14,62 €
g) die Erhöhung des Beitrags im Tarif BS zum 01.03.2018 in Höhe von 12,12 €
h) die Senkung des Beitrags im Tarif KHTB 25,00 zum 01.03.2019 um -0,26 €
i) die Senkung des Beitrags im Tarif BEBAY zum 01.03.2020 um -2,19 €
j) die Erhöhung des Beitrags im Tarif PT 45,00 zum 01.03.2020 in Höhe von 4,99 €
k) die Erhöhung des Beitrags im Tarif BA 30 zum 01.03.2021 in Höhe von 12,00 €
l) die Erhöhung des Beitrags im Tarif BZ 30 zum 01.03.2021 in Höhe von 3,80 €
m) die Erhöhung des Beitrags im Tarif PT 45,00 zum 01.03.2021 in Höhe von 1,28 €
n) die Erhöhung des Beitrags im Tarif KHTB 25,00 zum 01.03.2022 in Höhe von 0,37 €
o) die Erhöhung des Beitrags im Tarif BA 30 zum 01.03.2023 in Höhe von 9,67 €
und die Klägerseite nicht zur Zahlung des jeweiligen Differenzbetrages verpflichtet, sowie der Gesamtbeitrag unter Berücksichtigung der erfolgten Absenkungen um insgesamt 63,02 € zu reduzieren ist.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerseite 3.305,10 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte der Klägerseite zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerseite auf die unter 1) aufgeführten Beitragserhöhungen gezahlt hat.
12
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
13
Mit der Klageerwiderung teilt die Beklagte die auslösenden Faktoren mit (vgl. Bl. 77-79 d.A.)
14
Der Vortrag der Beklagten zur Rüge der materiellen Rechtmäßigkeit sei unsubstantiiert. Die Beitragsanpassungen seien formell und materiell ordnungsgemäß erfolgt. Die Beklagte verhalte sich bereits widersprüchlich hinsichtlich ihres Sachvortrags und Begehrens zur materiellen Rechtmäßigkeit. Zudem beruft sich die Beklagte auf Verjährung.
15
Mit Beschluss vom 31.05.2023 (Bl. 123 d.A.) wurde das Verfahren auf den Einzelrichter übertragen.
16
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die jeweils gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 07.09.2023 (Bl. 210ff. d.A.) Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden.

Entscheidungsgründe

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1. Die Klage ist zulässig, aber insgesamt unbegründet.
18
a) Die Klage ist zulässig.
19
Die begehrte Feststellung der Unwirksamkeit der Beitragsanpassungen ist insbesondere als Vorfrage für den Leistungsantrag und wegen der Vorgreiflichkeit als Zwischenfeststellungsklage im Sinne von § 256 Abs. 2 ZPO zulässig. Bei der Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO macht die Vorgreiflichkeit das sonst für die Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse entbehrlich (BGH, Urteil vom 16.12.2020, IV ZR 294/19, Rn. 20). Darüber hinaus besteht ein Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO, wenn und soweit die Beitragsanpassungen als zeitlich letzte für den aktuellen Beitrag in dem jeweiligen Tarif maßgeblich sind (BGH, Urteil vom 10.03.2021, IV ZR 353/19, Rn. 17).
20
b) Die Klage ist jedoch insgesamt unbegründet.
21
Es besteht kein Rückforderungsanspruch gegen die Beklagte, da keine formell oder materiell zu beanstandenden Beitragsanpassungen in nicht verjährter Zeit erfolgt sind (Ziffer 2 der Klage).
22
Daher besteht auch kein Anspruch auf Feststellung, dass Beitragsanpassungen unwirksam sind (Ziffer 1 der Klage).
23
aa) Ein Anspruch aus § 812 As. 1 S. 1 BGB auf Rückzahlung überzahlter Beiträge besteht nicht. Es gibt keine formell und materiell unrechtmäßigen Beitragserhöhungen in nicht verjährter Zeit.
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(1) Verjährung von Rückzahlungsansprüchen bis 31.12.2019 Die Klage ist unbegründet, soweit sich diese auf die Erstattung von Beitragserhöhungen bezieht, die im Zeitraum vom 01.03.2014 bis 31.12.2019 liegen, weil insoweit die Einrede der Verjährung durchgreift. Denn vorliegend steht der Feststellung der Unwirksamkeit von Beitragsanpassungen bzw. Rückerstattung von Prämienanteilen bis einschließlich zum 31.12.2019 aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB die Verfolgungsverjährung gem. § 214 Abs. 1 BGB als dauerhaftes Leistungsverweigerungsrecht entgegen. (vgl. BGH, Urteil vom 19.12.2018, IV ZR 255/17, Rn. 72).
25
Bereicherungsrechtliche Rückforderungsansprüche verjähren gemäß § 195 BGB innerhalb von 3 Jahren. Die Verjährungsfrist beginnt gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hätte erlangen müssen.
26
Für die Entstehung des bereicherungsrechtlichen Rückzahlungsanspruchs gem. § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist auf die jeweilige monatliche Prämienzahlung abzustellen, weil erst damit ein Rückforderungsanspruch entstehen und fällig werden kann.
27
Die erforderliche Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis des Versicherungsnehmers liegt mit Erhalt der Mitteilungsschreiben über die jeweilige Prämienanpassung vor. Dadurch erhielt der Kläger Kenntnis über die Tatsachen, aus denen sich das Fehlen des Rechtsgrundes ergeben würde. (Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 199, Rn. 27). Der Versicherungsnehmer muss nicht den Schluss gezogen haben, dass diese unwirksam sein könnten (vgl. OLG Köln, Urteil vom 28.01.2020, Az.: 9 U 138/19). Die Klagepartei hätte daher schon im Jahr der jeweiligen Beitragserhöhung, gerichtlich dagegen vorgehen können.
28
Im Gegensatz zur Klagepartei ist das Gericht nicht der Auffassung, dass eine Klageerhebung zumindest bis zum Jahr 2018 bzw. 2019 unzumutbar gewesen sei, weil die Frage, welche Anforderungen an die Mitteilung der maßgeblichen Gründe nach § 203 Abs. 5 VVG zu stellen sind, erst am 16.12.2020 durch den Bundesgerichtshof geklärt worden waren. Denn nur bei besonders unübersichtlicher und verwickelter Rechtslage können ausnahmsweise auch erhebliche rechtliche Zweifel den Verjährungsbeginn bis zur Klärung ausschließen (Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 199, Rn. 27). Dies hat der BGH nicht schon für den Fall einer nicht geklärten höchstrichterlichen Rechtsprechung angenommen, sondern nur für den Fall, dass sich eine Rechtsänderung von einer bestehenden der höchstrichterlichen Rechtsprechung vollzogen hatte für die Zeit ab Bildung einer gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. BGH, Urteil vom 28.10.2014 – XI ZR 348/13 –, BGHZ 203, 115-140, Rn. 45 f., juris).
29
Um einen solchen Fall handelt es sich bei der Frage der förmlichen Voraussetzungen nach § 203 Abs. 5 VVG nicht. Zudem gebieten auch das Recht am Eigentum der Klagepartei nach Art. 14 GG und ein angemessener Ausgleich der Interessen beider Parteien keinen hinausgeschobenen Verjährungsbeginn. Aufgrund einer förmlich unzureichenden Begründung nach § 203 Abs. 5 VVG entrichtete Mehrbeiträge kommen der Liquidität des Versicherers und damit den Interessen aller Versicherungsnehmer an einer nachhaltigen finanziellen Leistungsfähigkeit des Versicherers zugute, während die über Jahre hinweg aus dem laufenden Lebensunterhalt entnommenen Mehrprämien den einzelnen Versicherungsnehmer im Allgemeinen nicht existentiell belastet oder gar überfordert haben.
30
Im Zeitpunkt der Klageerhebung im Jahr 2022 waren Ansprüche auf angeblich überzahlte Beiträge bis 31.12.2019 damit verjährt.
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(2) Aber auch soweit die Beitragserhöhungen im nicht verjährten Zeitraum nach dem 31.12.2019 liegen bzw. insoweit Auswirkungen hatten, sind die Klageanträge unbegründet.
32
(a) Die Beitragsanpassungen sind formell rechtmäßig erfolgt.
33
Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie nach § 203 Abs. 5 VVG erfordert die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst hat. Dagegen muss der Versicherer nicht mitteilen, in welcher Höhe sich diese Rechnungsgrundlage verändert hat. Er hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie z. B. des Rechnungszinses, anzugeben (BGH, Urteil vom 16.12.2020, IV ZR 294/19, Leitsatz und näher Rn. 26 ff.). Ob die Mitteilung einer Prämienanpassung den gesetzlichen Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügt, hat der Tatrichter im jeweiligen Einzelfall zu entscheiden (wie vor Rn. 38).
34
Gemessen daran, waren die erfolgten Beitragsanpassungen zum 01.03.14, 01.03.15, 01.03.2016 und 01.03.2017 formell nicht zu beanstanden.
(aa) die Beitragsanpassung zum 01.03.2014 (Anlage B 3-1)
35
Im Anschreiben wird mitgeteilt: Die Ursachen für den Kostenanstieg im Gesundheitswesen sind vielfältig. Zum einen sind in der Medizin erhebliche Fortschritte in der Diagnostik und Therapie zu verzeichnen. Zum anderen werden die Menschen immer älter und benötigen länger medizinische Versorgung. Außerdem hat die neue Gebührenordnung für Zahnärzte, die am 01.01.2012 in Kraft getreten ist, die Leistungen in den Zahntarifen erhöht.
36
Im Beiblatt heißt es:
Hintergründe und rechtliche Rahmenbedingungen für die Beitragsanpassung zum 01.03.2014
Rechtsgrundlage für die Anpassung infolge der Kostenentwicklung.
Voraussetzung für eine Beitragsanpassung ist gemäß § 8b der AVB, dass die erforderlichen Versicherungsleistungen die kalkulierten um 10% übersteigen. Daraus ergibt sich eine stufenweise Anpassungsfolge, sodass die Beiträge nicht fließend den jeweiligen Kostensteigerungen folgen. Die Anpassungen bedürfen der Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders, der die Rechte und Interessen der Versicherten vertritt. Die Zustimmung dieses Treuhänders liegt vor.
37
Damit ergibt sich aus einer Gesamtschau, dass der die maßgebliche Grundlage die Versicherungsleistungen waren. Dies ergibt sich für einen verständigen Versicherungsnehmer auch in hinreichender Klarheit. Der Tarifbezug ergibt sich aus dem Nachtrag zum Versicherungsschein. Den Anforderungen aus § 203 VVG ist damit Genüge getan.
(bb) Die Beitragsanpassung zum 01.03.2015
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Das Mitteilungsschreiben 2015 genügt den gesetzlichen Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG.
39
Im Anschreiben (Anlage B 3-2) wird mitgeteilt:
Damit wir den Versicherungsschutz dauerhaft sicherstellen können, müssen wir die Prämien einmal im Jahr überprüfen. Sind die Leistungsausgaben höher als erwartet, müssen wir die Beiträge angleichen. Ein unabhängiger Treuhänder kontrolliert das. In einzelnen Tarifen kann es auch zu Beitragssenkungen kommen.
40
Im Beiblatt wird mitgeteilt:
Hintergründe und rechtliche Rahmenbedingungen für die Beitragsanpassung zum 01.03.2015
Rechtsgrundlage für die Anpassung infolge der Kostenentwicklung.
Voraussetzung für eine Beitragsanpassung ist gemäß § 8b der AVB, dass die erforderlichen Versicherungsleistungen die kalkulierten um 10% (BiSex-Tarife) bzw. um 5% (Unisex-Tarife) übersteigen. Daraus ergibt sich eine stufenweise Anpassungsfolge, sodass die Beiträge nicht fließend den jeweiligen Kostensteigerungen folgen. Die Anpassungen bedürfen der Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders, der die Rechte und Interessen der Versicherten vertritt. Die Zustimmung dieses Treuhänders liegt vor.
41
Auch hier ergibt sich in einer Gesamtschau, dass die maßgebliche Rechnungsgrundlage für die Anpassung, die der Leistungsausgaben, also der Versicherungsleistungen ist. Insbesondere wird auf die Anpassung infolge der Kostenentwicklung hingewiesen. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass die erforderlichen Versicherungsleistungen, die kalkulierten übersteigen müssen. Der Tarifbezug ergibt sich aus dem Versicherungsschein. Aus dem Gesamtzusammenhang ergibt sich auch, dass es sich nicht nur um eine vorübergehende Änderung handelt.
(cc) Die Beitragsanpassung zum 01.03.2016
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Auch das Mitteilungsschreiben zum 01.03.2016 genügt den gesetzlichen Anforderungen.
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Im Anschreiben (Anlage B 3-3) wird ausgeführt:
Die Hintergründe für eine Beitragsanpassung sind vielfältig. Ein wichtiges Kriterium sind die steigenden Kosten im Gesundheitswesen. Außerdem werden die Menschen im Durchschnitt immer älter und benötigen länger eine medizinische Versorgung. Aber auch die anhaltende Niedrigzinsphase auf dem Kapitalmarkt hat Einfluss auf die Beitragskalkulation.
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Im Beiblatt wird ausgeführt:
Hintergründe und rechtliche Rahmenbedingungen für die Beitragsanpassung zum 01.03.2016
Rechtsgrundlage für die Anpassung infolge der Kostenentwicklung
Voraussetzung für eine Beitragsanpassung ist gem § 8 b der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB), dass die erforderlichen Versicherungsleistungen die kalkulierten um 10% (Bisex-Tarife) bzw. 5% (Unisex-Tarife) übersteigen. Daraus ergibt sich eine stufenweise Anpassungsfolge, sodass die Beiträge nicht fließend den jeweiligen Kostensteigerungen folgen. De Anpassungen bedürfen der Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders, der die Rechte und Interessen der Versicherten vertritt. Die Zustimmung dieses Treuhänders liegt vor.
45
Damit wird auch hier für den Kläger ausreichend klar erkennbar, dass die maßgebliche Rechnungsgrundlage jene der Versicherungsleistungen war. Dies ergibt sich bereits aus der Mitteilung im Anschreiben und im übrigen aus einer Gesamtschau. Die Beklagte hat darauf hingewiesen, was die Rechtsgrundlage für die Anpassung in Folge der Kostenentwicklung war.
46
Darüber hinaus hat die Beklagte auch hier im Nachtrag zum Versicherungsschein mit der Kennung „Änderung“ gekennzeichnet, welcher Tarif von der Beitragsanpassung betroffen war und unter dem Reiter „Änderungsbetrag in €“ ausgeführt, um welchen konkreten Betrag sich die Prämie verändern wird. Daraus ergibt sich der Tarifbezug. Es bestehen auch keine Zweifel, dass es sich nicht nur um eine vorübergehende Änderung handelt.
(dd) Die Beitragsanpassung zum 01.03.2017
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Insoweit wird im Anschreiben (Anlage B 3-4) ausgeführt:
Damit ihre Leistungen dauerhaft gesichert sind, müssen wir die Prämien jedes Jahr überprüfen. Dabei vergleichen wir, ob die Ausgaben für die Leistungen höher oder niedriger sind als erwartet. Weicht dieser Vergleich um einen vertraglich festgelegten Prozentsatz (je nach Tarif 5% oder 10%) ab, werden die Beiträge angepasst. Dies ist gesetzlich vorgeschrieben (…).
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Im Beiblatt heißt es sodann:
Hintergründe und rechtliche Rahmenbedingungen für die Beitragsanpassung zum 01.03.2017
Rechtsgrundlage für die Anpassung infolge der Kostenentwicklung.
Die Grundlage für eine Beitragsanpassung ergibt sich aus § 8b der Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB).
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Auch insoweit ergibt sich für einen verständigen Versicherungsnehmer mit hinreichender Klarheit, dass maßgebliche Grundlage die Versicherungsleistungen waren. Dies ergibt sich zum einen bereits aus dem Anschreiben, wo Leistungsausgaben (ein synonym verwendeter Begriff für Versicherungsleistungen) explizit genannt ist. Aus dem Beiblatt wird deutlich, dass die Anpassung in-fogle der Kostenentwicklung passiert. Die Beitragsbezogenheit ergibt sich aus den Markierungen im Nachtrag zum Versicherungsschein. Es bestehen auch keine Zweifel, dass die Veränderung nicht nur vorübergehender Natur ist.
(ee) Formelle Wirksamkeit der Beitragsanpassungen im übrigen
50
Hinsichtlich der weiteren streitgegenständlichen Beitragsanpassungen für die Jahre 2018-2023 wurden diese vom Kläger formell nicht beanstandet.
51
(b) Die Beitragsanpassungen erfolgten auch materiell rechtmäßig.
52
(aa) Soweit die Klägerseite die Vollständigkeit der für die Zustimmung des Treuhänders erfoderli-chen Unterlagen bestreitet, kann sie damit nicht durchdringen. Denn die Vollständigkeit der Treuhänderunterlagen ist nicht Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Beitragsanpassung. Auf die zutreffende Argumentation des OLG Nürnberg, Beschluss vom 07.03.2023, 8 U 3056/22,), der sich der Einzelrichter insoweit anschließt, wird Bezug genommen.
53
(bb) Auch mit der isolierten Rüge der Rechtmäßigkeit der Limitierungsmaßnahmen ohne konkreten Bezug zum Einzelfall kann die Klägerseite nicht durchdringen. Eine isolierte Prüfung der Rechtmäßigkeit der Limitierungsmaßnahmen scheidet aus. Letztlich wäre ein Fehler bei der Verteilung der Limitierungsmittel unbeachtlich, soweit ein Treuhänder trotz des behaupteten Fehlers bei der Verteilung der Limitierungsmittel zustimmen hätte müssen, weil die Beitragsanpassung materiell rechtmäßig ist.
54
(cc) Überdies dringt die Rüge der materiellen Rechtmäßigkeit auch im sonstigen nicht durch.
55
Das Landgericht München I hat in seinem Endurteil vom 10.3.2023 (Az. 12 O 6308/22, BeckRS 2023, 7427) eingehend und mit überzeugender Argumentation ausgeführt, dass der Kläger sich nicht darauf beschränken kann, „ins Blaue hinein“ die materielle Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassungen prozessual unbeachtlich in Frage zu stellen, sondern einer Pflicht zur Konkretisierung seines Vortrags in Bezug auf die materielle (Un-)Rechtmäßigkeit der durch ihn angegriffenen Beitragsanpassungen unterliegt, wobei dies sowohl den Leistungs- als auch den Feststellungsantrag betrifft.
56
Das Landgericht München I führt dazu aus:
„Nach allgemeinen systematischen Grundsätzen trägt bei einer auf §§ 812 ff. BGB (Anspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung) bzw. § 280 BGB (Pflichtverletzung aus dem Versicherungsvertrag) gestützten (Rück-)Zahlungsklage derjenige die Darlegungs- und Beweislast, der sich auf das Fehlen eines Rechtsgrunds für seine eigene vorbehaltlose Zahlung (§ 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB) bzw. die Pflichtverletzung des anderen (§ 280 Abs. 1 Satz 1 BGB) beruft, mithin der auf (Rück-)Zahlung klagende Versicherungsnehmer (so auch OLG Brandenburg, Beschluss vom 10.05.2019, Az. 11 U 119/17).
Im Bereich der Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung wird zwar teilweise – und insbesondere auch durch den hiesigen Kläger – eine Umkehr dieser allgemeinen Darlegungs- und Beweislast mit dem Argument befürwortet, dass der Versicherungsnehmer ohne Kenntnis bzw. mangels eigener versicherungsmathematischer Kenntnisse selbst bei Kenntnis der Kalkulationsunterlagen des beklagten Versicherers nicht in der Lage sei, zur aktuariellen (Un-)Rechtsmäßigkeit der Beitragsanpassungen substantiiert vorzutragen.
Eine derartige, (bloß) von der materiell-rechtlichen Einbettung einer auf §§ 812 ff. BGB bzw. § 280 BGB gestützten (Rück-)Zahlungsklage in den Bereich der Beitragsanpassung in der privaten Krankenversicherung abhängigen Annahme einer „Ausnahme“ von den allgemeinen systematischen Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislastverteilung überzeugt jedoch nicht. Die Tatsache, dass der Versicherungsnehmer außerhalb des versicherungsinternen Ablaufs der kalkulatorischen Versicherungsprämienfestsetzung steht, rechtfertigt – auch unter dem Grundsatz der Waffengleichheit – keine Umkehr der allgemeinen Darlegungs- und Beweislastverteilung (so auch OLG Brandenburg, Beschluss vom 10.05.2019, Az. 11 U 119/17):
Denn eine derartige Umkehr der allgemeinen Darlegungs- und Beweislastverteilung, mithin die Annahme einer (primären) Darlegungslast und Beweislast des beklagten Versicherers würde zu dem Ergebnis führen, dass bereits auf die bloße unsubstantiierte, durch keinerlei tatsächliche Anhaltspunkte gestützte und somit „ins Blaue hinein“ bzw. „aufs Geratewohl“ aufgestellte klägerische Behauptung einer materiellen Rechtswidrigkeit der Beitragsanpassungen hin der beklagte Versicherer zahlreiche geheimhaltungsbedürftige Unterlagen aufwendig zusammenstellen und sodann (im Verfahren gemäß §§ 172 Nr. 2, 174 Abs. 3 GVG) offenlegen und das vom Gericht in Auftrag zu gebende, diese Unterlagen überprüfende versicherungsmathematische Sachverständigengutachten (siehe BGH, Urteil vom 16.06.2004, Az. IV ZR 117/02; Urteil vom 09.12.2015, Az. IV ZR 272/15, NJW-RR 2016, 606) auch noch durch einen Kostenvorschuss gemäß §§ 402, 379 ZPO vorfinanzieren müsste.
Einem derartigen Ergebnis stünde bereits die Überlegung entgegen, dass gerade die – regelmäßig jahrelange – vorbehaltlose Zahlung der Erhöhungsbeiträge durch den Versicherungsnehmer eine ihm und nicht dem Versicherer obliegende Darlegungs- und Beweislast normativ rechtfertigt.
Eine derartige Annahme einer Pflicht der beklagten Partei zur Offenlegung geheimhal-tungsbedürftiger Unterlagen bei „Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte“ (siehe BGH, Urteil vom 16.09.2021, Az. VII ZR 190/20, NJW 2021, 3721, 3722 f.) widerspräche darüber hinaus dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers, eine – im Ergebnis dann vorliegende – bloße „Ausforschung“ als unzulässig und prozessordnungswidrig zu verhindern [siehe Bundestagsdrucksache 14/6036 vom 15.05.2001, Seite 120 zu den Nummern 21 und 22 (§§ 142, 144 ZPO)].
Ferner widerspräche eine derartige Annahme einer Offenlegungs- und Vorschusspflicht des beklagten Versicherers den Zielen des Schuldnerschutzes und würde nicht nur zur unbilligen Behandlung auch eines sich stets redlich verhaltenden Versicherers führen, sondern auch zwangsläufig zu Lasten der Gesamtheit der Versicherten gehen (so auch OLG Köln, Beschluss vom 18.05.2022, Az. 20 U 91/21, Rn. 29 ff. bei juris mit Verweis auf Grüneberg/Ellenberger, Bürgerliches Gesetzbuch, 81. Auflage, Überbl v § 194 Rn. 8).
Darüber hinaus würde eine derartige Annahme einer Pflicht des Gerichts zur Durchführung einer oben dargestellten Beweisaufnahme zur materiellen Rechtmäßigkeit der Beitragsanpassungen (siehe BGH, Urteil vom 16.06.2004, Az. IV ZR 117/02; Urteil vom 09.12.2015, Az. IV ZR 272/15, NJW-RR 2016, 606) auch das verfassungsrechtliche Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG und den Rechtsfrieden beeinträchtigen. … (wird weiter ausgeführt)“
57
Dem schließt sich das erkennende Gericht an.
58
Insbesondere hat sich das Landgericht München I in der genannten Entscheidung mit der vom Kläger (vgl. Bl. 150 d. A.) in Bezug genommenen Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 22.06.2022 (Az. IV ZR 193/20) zur Darlegungs- und Beweislast auseinandergesetzt und zutreffend ausgeführt, dass vom Bundesgerichtshof in dem genannten Urteil eine „gänzliche Befreiung einer gegen die materielle Rechtmäßigkeit von Beitragsanpassungen gerichteten (Rück-)Zahlungsklage eines Versicherungsnehmers von diesen weiteren gesetzlichen Maßstäben und prozessualen Grundsätzen“ – gemeint waren damit insbesondere die prozessuale Unbeachtlichkeit von „ins Blaue hinein“ bzw. „aufs Geratewohl“ getätigtem Vortrag und die Grenze des Rechtsmissbrauchs gemäß § 242 BGB – nicht bestimmt wurde.
59
Auch im vorliegenden Fall beschränkt sich der Kläger jedoch auf allgemeines „Bestreiten“ der materiellen Wirksamkeit der Rechtmäßigkeit der Beitragserhöhungen, ohne dies näher zu konkretisieren. Sein Vortrag besteht im Wesentlichen aus abstrakten Ausführungen und vielfältigem Bestreiten, ohne im Einzelnen konkret auf die jeweils angegriffenen Beitragsanpassungen überhaupt einzugehen. Unter diesen Umständen war die Beklagte daher nicht verpflichtet, weitere Einzelheiten zum Vorliegen der Anpassungsvoraussetzungen aus materieller Sicht darzulegen.
60
Die Beklagtenpartei hat mit der Klageerwiderung außerdem ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es vorliegend daran fehlt, dass der Kläger die Beitragsanpassung in materieller Hinsicht überhaupt substantiiert in Frage gestellt hat, keinerlei konkrete Anhaltspunkte vorgetragen hat, die auf eine fehlerhafte Datengrundlage hindeuten und sich nicht mit einem bloßen Bestreiten begnügen darf (vgl. Bl. 98 f. d. A.). Zudem hat sie nochmals in der Duplik zur Unbeachtlichkeit von klä-gerischem Bestreiten „ins Blaue hinein“ und zum „Pauschalvortrag“ des Klägers sowie zur Darle-gungs- und Beweislast vorgetragen (vgl. Bl. 184 f. d. A.).
61
Da der Kläger auf die Frage der Substantiierung ausdrücklich eingegangen ist (vgl. Bl. 151f.) und die rechtliche Problematik daher erkannt hat, war ein diesbezüglicher Hinweis nach § 139 ZPO entbehrlich.
62
Nachdem die streitgegenständlichen Prämienanpassungen nicht unwirksam sind, besteht weder ein Anspruch auf Rückzahlung noch auf Herausgabe von Nutzungen. Auch die begehrte Feststellung kann damit nicht ausgesprochen werden.
63
Die Klage ist im Ergebnis insgesamt unbegründet.
64
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 ZPO.
65
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
66
3. Der Streitwert bemisst sich nach §§ 48 GKG in Verbindung mit §§ 3, 9 ZPO.
67
Hinsichtlich des Klageantrags Ziffer 2 ist der Streitwert in Höhe des Leistungsantrags der Klageerweiterung mit 3.305,10 € festzusetzen.
68
Dieser Streitwert ist gemäß § 45 I 1, 3 GKG im Hinblick auf den auf Feststellung der Nichtleistungspflicht gerichteten Klageantrag Ziffer 1 analog §§ 9 S. 1 ZPO, 48 I 1 GKG mit dem dreieinhalbfachen Jahresbetrag der streitigen Beitragserhöhungen festzusetzen, soweit keine wirtschaftliche (Teil-)Identität mit dem Klageantrag Ziffer 2 besteht (vgl. dazu BGH, VersR 2021, 564 (Rn. 37), OLG Dresden, NJOZ 2022, 530 (Rn. 12)). Die Klageanträge in Ziffer 1 a-h) wirken sich nicht streitwerterhöhend aus, da mit diesen angegriffenen Beitragserhöhungen mit dem Klageantrag Ziffer 2 eine Beitragsrückerstattung für den Zeitraum von mehr als 42 Monaten begehrt wird.
69
Der Klageantrag in Ziffer 1 i) nach Anrechnung von 36 Monaten mit 6 Monaten und somit -13,14 €, in Ziffer 1j) nach Anrechnung von 36 Monaten mit 6 Monaten und somit 29,94 €, die Anträge in Ziffer 1k-m nach Anrechnung von 24 Monaten mit 18 Monaten und somit 307,44 € [18x(12,00+3,80+1,28], der Antrag Ziffer 1n) nach Anrechnung von 12 Monaten mit 30 Monaten und somit 11,10 € und der Antrag Ziffer 1o) mit 42 Monaten und somit 406,14 € zu berücksichtigen.