Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 03.11.2023 – 14 U 352/23
Titel:

Rückzahlungsanspruch bei Glücksspiel ohne Lizenz in Deutschland

Normenketten:
BGB § 134, § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, § 817 S. 2
GlüStV 2012 § 4 Abs. 4
ZPO § 148
Leitsätze:
1. Der Anspruch auf Rückzahlung von Einsätzen bei verbotenem Glücksspiel bei Lizensierung alleine im EU-Ausland verjährt erst mit hinreichend sicherer Kenntnis der Rechtslage hinsichtlich des Rückzahlungsanspruchs. (Rn. 4 – 13) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein auf Rückerstattung von Einsätzen gegenüber einem in Deutschland nicht lizensierten Anbieter von Online-Glücksspiel kann ohne Vorlage an den EuGH entschieden werden. (Rn. 17 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Online-Glücksspiel, Sportwetten, Lizenz, Rückzahlungsanspruch, Verjährung, Kenntnis der Rechtslage, Dienstleistungsfreiheit, EuGH-Vorlage
Vorinstanzen:
OLG Nürnberg, Hinweisbeschluss vom 11.09.2023 – 14 U 352/23
LG Ansbach, Urteil vom 24.01.2023 – 3 O 784/22
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 02.05.2024 – I ZR 166/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 49414

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Ansbach vom 24.01.2023, Aktenzeichen 3 O 784/22, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Ansbach ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 91.667,76 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Ansbach vom 24.01.2023, Aktenzeichen 3 O 784/22, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2
Zur Begründung wird zunächst auf den vorausgegangenen Hinweis des Senats vom 11.09.2023 (Bl. 141 ff. d. OLG-A.) Bezug genommen.
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Auch die Ausführungen in der Gegenerklärung geben zu einer Änderung keinen Anlass.
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1. Der klägerische Anspruch ist nicht verjährt.
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a. Wie bereits ausgeführt, beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB).
6
Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB ist vorhanden, wenn dem Geschädigten die Erhebung einer Klage Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB stellt nur auf die Kenntnis der tatsächlichen Umstände ab, mithin des Lebenssachverhalts, der die Grundlage des Anspruchs bildet. Dabei ist die erforderliche Kenntnis bereits vorhanden, wenn die dem Geschädigten bekannten Tatsachen ausreichen, um den Schluss auf ein schuldhaftes Fehlverhalten des Anspruchsgegners als naheliegend erscheinen zu lassen (BGH, Urteil vom 17.12.2020, VI ZR 739/20, juris Rn. 8, m.w.N.).
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Das Risiko der fehlerhaften rechtlichen Bewertung eines Sachverhalts wird vom Gesetz grundsätzlich dem Anspruchsinhaber auferlegt. Nicht erforderlich ist also in der Regel, dass der Gläubiger aus den ihm bekannten Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht. Nur ausnahmsweise kann die Rechtsunkenntnis des Gläubigers den Verjährungsbeginn hinausschieben, wenn eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage vorliegt, die selbst ein rechtskundiger Dritter nicht zuverlässig – als erfolgversprechend, wenn auch nicht risikolos – einzuschätzen vermag. In diesen Fällen fehlt es an der Zumutbarkeit der Klageerhebung als übergreifender Voraussetzung für den Verjährungsbeginn (BGH, a.a.O., juris Rn. 9, m.w.N.).
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b. Dies zugrunde gelegt, ist der darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten weder der Nachweis gelungen, dass der Kläger vor dem 01.01.2019 Kenntnis von der Illegalität des streitgegenständlichen Angebots der Beklagten erlangt hatte, noch hat sie bewiesen, dass der Kläger vor diesem Zeitpunkt ohne grobe Fahrlässigkeit hiervon Kenntnis hätte erlangen müssen.
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Zwar trifft es zu, dass der Kläger wusste, dass er an öffentlichen Glücksspielen im Internet teilnahm und welche Ein- und Auszahlungen er infolge dieser Teilnahme tätigte bzw. erhielt (Gegenerklärung S. 3 = Bl. 161 d.OLG-A.). Diese Tatsachenkenntnis ist aber nicht ausreichend, um den Schluss auf ein Fehlverhalten der Beklagten als naheliegend erscheinen zu lassen (vgl. OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 07.06.2023, 10 U 12/23, S. 10). Denn grobe Fahrlässigkeit liegt nur dann vor, wenn die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt worden ist (Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl., § 276 Rn. 14).
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Erstens warb die Beklagte im streitgegenständlichen Zeitraum offensiv für ihr Glücksspielangebot, beispielsweise – insoweit allgemeinkundig (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl., § 291 Rn. 1b) – als Sponsor des FC Bayern ab dem Jahr 2015 (vgl. …). Dem Kläger musste sich schon deshalb nicht aufdrängen, dass Teile des Glücksspielangebots der Beklagten, insbesondere deren Online-Glücksspielangebot rechtswidrig waren.
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Zweitens meint die Beklagte bis heute, dass ihr Online-Glücksspielangebot erlaubt gewesen sei. Dem Kläger als rechtlichem Laien kann daher nicht angelastet werden, die Rechtslage – wenn auch unzutreffend – in der Vergangenheit genauso beurteilt zu haben.
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Drittens wird – neben dem bereits im Hinweisbeschluss vom 11.09.2023 angeführten BILD-Interview – aus den sich aus Anlage K 4 ergebenden Suchmaschinentreffern deutlich, dass in der Vergangenheit – konkret in den Jahren 2013 bis 2021 und damit nicht erst nach Beginn der Verjährungsfrist – vielfach die Auffassung vertreten wurde, dass Online-Glücksspielangebote nicht rechtswidrig seien. Insoweit spricht es auch nicht gegen eine unsichere und zweifelhafte Rechtslage und damit gegen eine Unzumutbarkeit der Klageerhebung, dass letzterer keine höchstrichterliche Rechtsprechung der Zivilgerichte entgegenstand bzw. ein ernsthafter Meinungsstreit in Rechtsprechung und Literatur möglicherweise fehlte. Denn ein solcher Meinungsstreit wurde jedenfalls im Internet und in den Medien, den Informationsquellen des durchschnittlichen Bürgers ausgetragen (vgl. Anlagen K 3, K 4 und B 3).
13
Soweit sich die Beklagte auf angebliche Äußerungen der Oberlandesgerichte Oldenburg und Frankfurt berufen, werden diese nicht belegt. Im Übrigen dürfte es sich hierbei nach deren Wortlaut um vorläufige Rechtsauffassungen handeln.
14
2. Anders als die Beklagte meint, ist es nicht widersprüchlich zu argumentieren, dass einerseits die Beklagte sich nicht darauf berufen könne, es fehle an der Eignung zur Zielerreichung der Regelung, während andererseits darauf abgestellt werde, dass der Gesetzgeber erkannt habe, dass sich das Totalverbot nicht habe durchsetzen lassen und ein regulierter Markt zur Zielerreichung besser geeignet gewesen wäre.
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Denn angesichts der Studienlage im streitgegenständlichen Zeitraum, zusammengefasst im Bericht zur Evaluierung des Glücksspielstaatsvertrags (vgl. LT-Drs. (BY) 16/11995, S. 16 f.), erwies sich das Totalverbot von Online-Glücksspielen als geeignetes, erforderliches und angemessenes Instrument zur Erreichung der in § 1 GlüStV 2012 genannten Kernziele. Dass sich das Totalverbot nicht hat durchsetzen lassen, ist ausschließlich dem „große(n) Angebot illegalen Glücksspiels im Internet“ (LT-Drs. (BY) 16/11995, S. 16) durch überwiegend im Ausland sitzende Unternehmen wie der Beklagten geschuldet. Deren rechtswidriges Verhalten lässt jedoch insbesondere die Geeignetheit und Erforderlichkeit des Totalverbots von Online-Glücksspielen im streitgegenständlichen Zeitraum nicht entfallen.
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Dessen ungeachtet würde das vermeintlich unionsrechtswidrige Verhalten der Behörden für die Beklagte, soweit hierin eine Amtspflichtverletzung oder anderweitige, eine Staatshaftung begründende Umstände zu finden wären, einen Schadensersatzanspruch gegenüber dem jeweiligen Rechtsträger auslösen. Sie rechtfertigt indessen nicht die bewusste und gewollte Negierung eines bestehenden Verbots (OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 07.06.2023, 10 U 12/23, S. 6).
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3. Dem Aussetzungsantrag ist auch im Hinblick auf die beim Europäischen Gerichtshof anhängige Rechtssache F gegen E, C-440/23, keine Folge zu leisten.
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Nach § 148 Abs. 1 ZPO kann das Gericht, wenn die Entscheidung des Rechtsstreits ganz oder zum Teil von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bildet, anordnen, dass die Verhandlung bis zur Erledigung des anderen Rechtsstreits auszusetzen sei.
19
Zwar kann sich im Einzelfall die zu treffende Ermessensentscheidung auf eine Verpflichtung zur Aussetzung reduzieren, wenn eine Sachentscheidung nicht möglich ist, weil deren Voraussetzungen im vorliegenden Verfahren nicht geklärt werden können (BeckOK/Wendtland, ZPO, Stand: 01.09.2023, § 148 Rn. 13).
20
Dies ist aber nicht der Fall. Vorliegend stellt sich keine entscheidungserhebliche Frage zur Auslegung des Unionsrechts, die nicht bereits durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs geklärt oder nicht zweifelsfrei zu beantworten ist. Der Gerichtshof hat entschieden, dass die unionsrechtliche Kohärenzprüfung beschränkender Maßnahmen im Glücksspielsektor im Einzelfall Sache der nationalen Gerichte ist. Die für diese Prüfung maßgeblichen Grundsätze des Unionsrechts hat er bereits geklärt (BGH, Beschluss vom 22.07.2021, I ZR 199/20, m.w.N.).
21
Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass der Senat nicht letztinstanzlich entscheidet (Zöller/Greger, ZPO, 34. Aufl., § 148 Rn. 3b).
II.
22
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
23
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß § 708 Nr. 10, § 709 Satz 2, § 711 ZPO.