Titel:
Ärztliche Pflichten nach Beginn der Sterbephase
Normenketten:
BGB § 630f, § 1827 Abs. 1 S. 2, § 1827 Abs. 2, § 1829 Abs. 4
ZPO § 264
Leitsätze:
1. Mängel einer Todesbescheinigung begründen nicht die Vermutung eines Behandlungsfehlers, weil die Todesbescheinigung kein Teil der behandlungsvertragsrechtlich relevanten Behandlungsdokumentation ist, denn sie dient nicht der Weiterbehandlung (§ 630f BGB). (Rn. 23)
2. Wenn kurative Behandlungsziele nicht mehr erreichbar sind, entspricht es nicht dem fachärztlichen Standard, um jeden Preis ein Leben zu verlängern. Nach Beginn der Sterbephase ist ein Übergang von lebensverlängernden zu palliativen Maßnahmen geboten; erlöschendes Leben ist nicht um jeden Preis zu erhalten, vielmehr gebietet die Menschenwürde, einem Sterbenden einen friedlichen und natürlichen Übergang vom Leben zum Tod zu gestatten. (Rn. 35)
3. Maßgeblich ist in solchen Fällen für die Frage, welche Maßnahmen noch medizinisch indiziert sind, ob noch ein sinnvolles bzw. vom (mutmaßlichen) Patientenwillen getragenes Therapieziel erreichbar scheint. In der Sterbephase sind nur noch solche Maßnahmen indiziert, die der Symptomlinderung dienen. (Rn. 35)
4. Dabei obliegt den rechtlich zur Vertretung des Patienten Berufenen ausschließlich, dem (mutmaßlichen) Patientenwillen Ausdruck und Geltung zu verschaffen, ihre eigenen Wunschvorstellungen sind gänzlich irrelevant. Für die Legitimation des ärztlichen Handelns oder Unterlassens ist auch nicht die Entscheidung des zur Vertretung Berechtigten entscheidend, sondern Vorrang hat vielmehr der tatsächliche bzw. in einer Patientenverfügung niedergelegte bzw. mutmaßliche Patientenwille. (Rn. 36)
5. An der Grenze der Indikation von kurativen und palliativen Maßnahmen ist gleichwohl ein vertrauensbildender Umgang mit den Angehörigen geboten. In diesen Fällen ist ein – bis zur Grenze des im Sinne des mutmaßlichen Patientenwillen Vertretbaren – deeskalierendes und die Vorstellungen auch der Angehörigen berücksichtigendes Vorgehen legitim. (Rn. 20 und 36)
Nach fachärztlichem Standard kann eine Pflicht bestehen, dem Patienten mitzuteilen, wenn eine palliative Versorgung besser als eine Maximalversorgung ist. (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Behandlungsfehler, kurative Behandlung, palliative Versorgung, kausaler Schaden, Todesbescheinigung, Patientenwille, Sterbephase, Indikation, Angehörige
Fundstelle:
BeckRS 2023, 49271
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
1
Der Kläger macht Ansprüche im Zusammenhang mit der Behandlung und dem im Krankenhaus der Beklagten eingetretenen Tod seiner Ehefrau geltend.
2
Die Ehefrau des Klägers, Frau F, wurde am 05.07.2018 um 0.04 Uhr in der Klinik der Beklagten aufgenommen. Die Einweisungsdiagnose des Einweisungsarztes M lautete „Pneumonie“. Die Ärzte der Beklagten stellten die Diagnose „Sepsis bei Portinfektion“. Nach mehrwöchiger Antibiose nahm die Gefäßchirurgin Dr. N am 30.07.2018 mittags eine elektive Neuimplantation eines Ports (Typ „pfmmedical“) auf der rechten Seite thorakal vor.
3
Am 31.07.2018 hustete die Patientin, sie „brodelte“ und wirkte verschleimt. Ein Röntgenbild der Lunge zeigte mögliche Aspirationen, aber auch mehr Flüssigkeit (Pleuraerguß rechts), die Stationsoberärztin verordnete Furosemid, änderte aber die Antibiose nicht.
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Am Folgetag um 4.42 Uhr wurde die Patientin „pulslos und ohne Atmung“ aufgefunden, der Dienstarzt Dr. H wurde informiert und die Reanimation begonnen. Diese wurde kurze Zeit später bei unverändert weiten und lichtstarren Pupillen erfolglos abgebrochen.
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Der Chefarzt der Beklagten, Prof. Dr. T, teilte dem Kläger auf dessen Nachfrage mit Schreiben vom 17.09.2018 folgendes mit:
„Ich habe die Akte Ihrer Frau mit der Todesbescheinigung noch einmal angefordert. Leider lässt sich die schlechte Kopie des 4. oder 5. Durchschlages (die Originale gehen an das Einwohnermeldeamt) nicht mehr erneut kopieren. Ich fasse daher die Daten zusammen:
Als unmittelbar zum Tode führende Krankheit wurde ein Herz-Kreislauf-Stillstand bei respiratorischer Insuffizienz bei Pneumonie bei Z.n. mehreren Hirnblutungen dokumentiert.“
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Tatsächlich war auf der Todesbescheinigung eine Todesursache nicht dokumentiert.
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Der Kläger hatte zunächst geltend gemacht, seine verstorbene Frau sei nicht ausreichend untersucht und behandelt worden, insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Entzündung, einer denkbaren Rezidiv-ICB, die festgestellte Port-Infektion, Anzeichen einer Aspirationspneumonie, Anzeichen einer Sepsis, Anzeichen einer kardialen Dekompensation sowie Schwitzen; zudem seien die Patientin nicht rechtzeitig auf die Intensivstation verlegt und die Reanimation zu spät begonnen worden. Im Beweisaufnahmetermin vom 19.09.2023 änderte der Kläger seinen Vorwurf dahingehend, man habe ihn nicht rechtzeitig darüber informiert, dass es besser für seine Frau wäre, nur noch palliativ versorgt zu werden. Mit Schriftsatz vom 26.10.2023 stellt sich der Kläger auf den Standpunkt, dass sein zuletzt formuliertes Klageziel keineswegs „im absolut konträren Gegensatz zu dem steht, was er zunächst noch begehrt hat“; prozessrechtlich sei ihm Vorbringen nicht verwehrt, das im Widerspruch zu vorangegangenem Vortrag stünde. Dem Kläger sei es immer nur darum gegangen, seiner Frau unnötige Leiden und Qualen zu ersparen. Gleichwohl seien die Reanimationsmaßnahmen völlig unzureichend gewesen. Im Übrigen sei seine Frau unter mysteriösen Umständen gestorben. Die Beklagte habe eine unrichtige Todesbescheinigung ausgestellt und die Umstände des Todes zu vertuschen versucht.
I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten p.a. über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger Schadensersatz in Höhe von 20.487,86 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten p.a. über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
III. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes in das Ermessen des Gerichts gestelltes Hinterbliebenengeld nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten p.a. über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
IV. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 3.367,46 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten p.a. über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
Die Klage wird abgewiesen.
10
Die Beklagte stellt sich auf den Standpunkt, die Ehefrau des Klägers lege artis behandelt zu haben. Sie behauptet, Prof. Dr. T habe in seinem (oben zitierten) Schreiben vom 17.09.2018 das Wort „dokumentiert“ versehentlich verwendet. Hierbei habe es sich um die wahrscheinliche Todesursache gehandelt.
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Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines internistischen Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Dr. S vom 22.12.2022 und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.09.2023 verwiesen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.09.2023 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Dem Kläger stehen Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte weder unter vertraglichen, noch unter deliktischen Gesichtspunkten zu, weil schadensursächliche Fehler im Rahmen der Behandlung – incl. der therapeutischen Aufklärung – nicht nachgewiesen sind.
13
Die Kammer hat sich durch den Facharzt für Innere Medizin Dr. S beraten lassen. Der Sachverständige ist Chefarzt der Inneren Abteilung der Klinik O. Er verfügt über eine hohe wissenschaftliche Expertise und eine herausragende klinische Erfahrung. Er ist der Kammer als gewissenhafter Gutachter bekannt, der auch nicht davor zurückschreckt, grobe Behandlungsfehler als solche zu benennen. Der Sachverständige hat die Behandlungsunterlagen gründlich ausgewertet und ist zu nachvollziehbaren und überzeugend begründeten Ergebnissen gekommen.
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Zwar hätte die Beklagte bereits früher darüber informieren müssen, dass anstelle der kurativen Behandlung eine palliative Versorgung für die Patientin vorzugswürdig ist. Der Patientin ist hieraus jedoch kein kausaler Schaden entstanden.
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1. Der gesundheitliche Zustand der Ehefrau des Klägers hatte sich so erheblich verschlechtert, dass ihm nach der Verschlechterung am 30./31.07. als Stellvertreter der Patientin eröffnet hätte werden müssen, dass eine palliative Versorgung für die Patientin besser sei (S. 7 des Protokolls vom 19.09.2023). Diesen Rat hat die Beklagte unter Verstoß gegen den fachärztlichen Standard nicht erteilt. Der Kläger hat sich diese These in der mündlichen Verhandlung vom 19.09.2023 sowie im Schriftsatz vom 26.10.2023 zu Eigen gemacht. Nachdem der Sachverständige ohnehin zu der Thematik Ausführungen gemacht hatte, war die Umstellung des Klagezieles gemäß § 264 ZPO ohne Weiteres zulässig.
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2. Hieraus hätte sich jedoch keine Verbesserung der Situation für die Patientin ergeben.
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a) Der Kläger selbst hat bekundet, er hätte auch bei einer entsprechenden Information zu Beginn des Krankenhausaufenthaltes zunächst auf eine Maximalversorgung gedrungen, um zu sehen, ob hierunter nicht eine Besserung eintritt (vgl. S. 2 und 7 des Schriftsatzes vom 26.10.2023; S. 7 des Protokolls vom 19.09.2023).
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Ergänzend, ohne dass es hierauf ankommt: In Übereinstimmung mit dem Kläger (S. 2 und 8 des Schriftsatzes vom 26.10.2023) geht die Kammer davon aus, dass dem Kläger nicht zu Beginn des streitgegenständlichen Krankenhausaufenthaltes gesagt wurde, eine palliative Versorgung sei besser für seine Ehefrau. Das macht nicht einmal die Beklagte geltend; das entsprechende Gespräch hat offensichtlich vielmehr, wie der Kläger bekundet, nach dem Krankenhausaufenthalt im Frühjahr 2018 stattgefunden (S. 7 des Schriftsatzes vom 26.10.2023). Dabei kann der Wortlaut der Erklärung des Klägervertreters (vgl. hierzu S. 2 des Schriftsatzes vom 26.10.2023) dahinstehen, denn jedenfalls nach der Richtigstellung seitens des Klägers auf S. 7 des Protokolls ist klar, welche Position der Kläger vertritt. Dabei kann auch dahinstehen, ob der Sachverständige davon ausgeht, ein solches Gespräch habe es zu Beginn des streitgegenständlichen Krankenhausaufenthalts gegeben, wie der Kläger auf S. 8 seines Schriftsatzes vom 26.10.2023 behauptet. Tatsächlich hat der Sachverständige diese Aussage weder nach der Erinnerung der Kammer, noch ausweislich des Protokolls getätigt. Im Gegenteil: Der Sachverständige hat angegeben (S. 5 des Protokolls vom 19.09.2023), es wäre gut vertretbar gewesen, bereits bei Aufnahme nur noch eine palliative Situation anzunehmen. Daraus ergibt sich, dass der Sachverständige davon ausgeht, dass es eine solche Äußerung gerade nicht gegeben hat.
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b) Wenn erst am 31.07.2018 auf eine palliative Versorgung umgestellt worden wäre, hätte sich für die Patientin nichts mehr verändert. Man hätte zwar kurativ wirksame Medikamente abgesetzt und stattdessen Morphin gegeben. Der Tod der Patientin ist aber ohnehin sehr schnell eingetreten. Leiden wären der Patientin nur dann erspart worden, wenn man bereits bei Aufnahme auf den Port und eventuell die Antibiose verzichtet hätte (S. 8 des Protokolls vom 19.09.2023).
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3. Dem Kläger hätte auch nicht zwingend vor 30./31.07.2018 nachdrücklichst zu einer palliativen Behandlung seiner Ehefrau geraten werden müssen. Es war noch vertretbar, dem Wunsch nach einer kurativen Behandlung nachzugeben, weil eine Vertrauensbildung mit den Angehörigen in einer solchen Situation sehr wichtig ist. Hier geht man lieber in einer deeskalierenden Art und Weise vor, als sich zu sehr nach starren Schemata zu richten (S. 8 des Protokolls vom 19.09.2023). Es wäre zwar vertretbar gewesen, bereits bei Aufnahme nur noch eine palliative Situation anzunehmen (S. 5 des Protokolls vom 19.09.2023), es war aber auch vertretbar, den klägerischen Wunsch einer kurativen Behandlung zu diesem Zeitpunkt noch hinzunehmen (S. 7 oben und 8 des Protokolls).
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Mit dem Vorwurf, die kurative Behandlung seiner Ehefrau sei unzureichend gewesen, dringt der Kläger nicht durch.
22
1. Zum einen wird der Kläger mit diesem Klageziel prozessual nicht (mehr) gehört. Der Kläger arbeitet in seinem Schriftsatz vom 26.10.2023 vollkommen zutreffend heraus, dass es ihm nicht verwehrt ist, ein neues Klageziel zu formulieren und einen anderen Schaden geltend zu machen, als vor der Verhandlung vom 19.09.2023. Er kann jedoch nicht gleichzeitig Schadensersatz dafür verlangen, dass man seine Frau nicht habe sterben lassen, und zugleich dafür, dass man sie nicht ausreichend kurativ behandelt und reanimiert habe. Beide Alternativen schließen sich aus. Sowohl in der mündlichen Verhandlung wie auch im Schriftsatz vom 26.10.2023 hat der Kläger geltend gemacht, er werfe der Beklagten in erster Linie vor, nicht rechtzeitig darauf hingewiesen worden zu sein, dass eine nur noch palliative Versorgung besser für seine Frau wäre. Soweit der Kläger am Ende des Schriftsatzes vom 26.10.2023 nochmals seinen Vortrag wiederholt, die Reanimation sei verspätet und unfachmännisch erfolgt, wird hierdurch die Klageänderung nicht rückgängig gemacht. Denn dieser Vorwurf ist lediglich annexartig an einen Schriftsatz angefügt, der seinen Fokus auf eine gegenteilige These richtet. Er hängt offensichtlich mit dem im gesamten Prozess zu beobachtenden klägerischen Muster zusammen, repetitiv alles Mögliche an der streitgegenständlichen Behandlung zu kritisieren, ohne dabei zu bedenken, ob es sich um entscheidungserhebliche Aspekte handelt und welche Konsequenzen daraus resultieren.
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2. Im Übrigen: Selbst, wenn der Kläger weiterhin gleichzeitig eine unzureichende kurative Behandlung seiner Ehefrau geltend machen dürfte, wäre die Klage auch insoweit abzuweisen. Behandlungsfehler vermochte der Kläger nicht nachzuweisen. Insoweit wird auf das überzeugende Gutachten des Dr. S vom 22.12.2022 und das Protokoll vom 26.10.2023 verwiesen. Namentlich hat der Sachverständige überzeugend ausgeführt, dass auf die Portinfektion korrekt reagiert wurde, eine Antibiose erfolgte, auf Anzeichen einer Aspirationspneumonie korrekt reagiert wurde, Anzeichen einer Sepsis nicht vorlagen sowie auf die Bakteriämie und die Ödeme, welche Zeichen einer kardialen Dekompensation waren, adäquat reagiert wurde. Eine Indikation für eine intensivmedizinische Behandlung bestand nicht. Dabei hat der Sachverständige zutreffend die Dokumentation zugrunde gelegt; die – vom Sachverständigen durchaus bestätigten (S. 4 unten des Protokolls vom 19.09.2023) – massiven Mängel bei Erstellung der Todesbescheinigung ändern hieran nichts, weil die Todesbescheinigung kein Teil der behandlungsvertragsrechtlich relevanten Behandlungsdokumentation ist, denn sie dient nicht der Weiterbehandlung der Patientin (§ 630f BGB). Selbst wenn die Kammer extreme Nachlässigkeit bei der Erstellung der Todesbescheinigung und möglicherweise sogar die Absicht des Chefarztes der Beklagten unterstellt, diese Mängel im Rahmen seines Schreibens vom 17.09.2018 zu vertuschen, würde dies – auch bei freier Beweiswürdigung – nicht zu Zweifeln der Kammer an der Richtigkeit der (übrigen) Behandlungsdokumentation führen. Denn es ist gerichtsbekannt und auch der Sachverständige hat bestätigt, dass die Qualität der Leichenschau in der Bundesrepublik weit überwiegend sehr zu wünschen übrig lässt (S. 5 des Protokolls vom 19.09.2023). Nachdem ein Grund hierfür sein könnte, dass sich die Ärzte in erster Linie verpflichtet sehen, ihre – oft sehr knappe – Zeit (insbesondere im Nachtdienst) zur Betreuung der lebendigen Patienten aufzuwenden, vermögen Mängel der Leichenschau gerade nicht auf Mängel bei der Behandlung schließen zu lassen (die schlechte Qualität des bundesdeutschen Leichenschauwesens vermag das nicht zu entschuldigen; es stellt sich aber die Frage, ob dies den Dienstärzten angelastet werden kann, oder ob nicht vielmehr die Forderung zahlreicher Rechtsmediziner berechtigt ist, zu jeder Leichenschau einen speziell nur hierfür zuständigen Arzt hinzuzuziehen, der nicht auch selbst Behandlungspflichten hat).
24
Ein Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung ist nicht veranlasst. Im Schriftsatz vom 26.10.2023 werden keine entscheidungserheblichen Fragen adressiert.
25
1. Namentlich gibt es keine relevanten offenen Fragen in Bezug auf das Schwitzen der Ehefrau des Klägers am 31.07.2018 ab 14 Uhr. Der Kläger meint (vgl. S. 4 des Schriftsatzes vom 26.10.2023), die Aussage des Sachverständigen sei unrichtig und bedürfe weiterer Erläuterung, im Hinblick auf die fehlenden febrilen Temperaturen habe es keine Anzeichen einer symptomatischen und reaktionspflichtigen Infektion gegeben. Diese klägerische Einschätzung trifft nicht zu.
26
a) Zum einen war ab 31.07.2018 eine kurative Behandlung – wie ausgeführt – nicht mehr geboten. Damit war auch eine weiterführende Diagnostik und Bekämpfung einer ggf. neu hinzugekommenen Infektion nicht veranlasst.
27
b) Im Übrigen hat die Beweisaufnahme ergeben, dass selbst unter kurativen Gesichtspunkten ein Behandlungsfehler nicht feststellbar ist und auch insofern werden klageseits keine weiteren relevanten Einwendungen vorgebracht. So hat der Sachverständige klargemacht, dass das Schwitzen nicht mit einer erhöhten Körpertemperatur zusammenhängen musste, sondern dass es Anzeichen einer finalen Infektion oder einer beginnenden Agonie gewesen sein konnte (S. 3 des Protokolls vom 19.09.2023). Reaktionspflichtig wäre extrem starkes (“profuses“) Schwitzen gewesen (S. 2 unten des Protokolls vom 19.09.2023), welches nach eigener Bekundung des Klägers (S. 3 Mitte des Protokolls) nicht vorlag.
28
aa) Die klageseits begehrte, nähere Befragung des Sachverständigen zur Anzahl der Temperaturmessungen adressiert mithin Fragen, die nicht entscheidungserheblich sind.
29
bb) Im Übrigen handelt sich bei der Frage, ob die Temperatur im dokumentierten Umfang gemessen wurde, um Anknüpfungstatsachen, deren Feststellung dem Gericht und nicht dem Sachverständigen obliegt.
30
cc) Zuletzt war der Sachverständige auch nicht deshalb erneut anzuhören, weil der Kläger vorbringt, er habe die Mitarbeiter der Beklagten auf starkes und nicht mehr aufhörendes Schwitzen aufmerksam gemacht. Der Sachverständige hat auf Weisung der Kammer zugrunde gelegt, dass sich der Sachverhalt wie dokumentiert zugetragen hat. Soweit der Kläger einen abweichenden Sachverhalt vorbringt, erachtet die Kammer ihn weder für ausreichend wahrscheinlich, dass hierzu eine Parteieinvernahme veranlasst wäre, erst recht nicht für erwiesen.
31
2. Auf Implikationen der Todesbescheinigung kommt es aus den bereits aufgeführten Gründen nicht an.
32
3. Soweit der Kläger auf S. 6/7 seines Schriftsatzes vom 26.10.2023 pauschal rügt, die Dokumentation sei nachträglich verändert worden, besteht kein Anlass zu einer ergänzenden Beweisaufnahme.
33
a) Soweit der Kläger eine mangelnde Dokumentation der Todesursache und der Leichenschau rügt, ist dies – wie ausgeführt – nicht relevant, denn es handelt sich insoweit nicht um Behandlungsdokumentation iSd. §§ 630 f. BGB.
34
b) Soweit der Kläger die Dokumentation der Reanimation für unzureichend hält, vermag dies Ansprüche nicht zu begründen.
35
Selbst bei einer grob verspäteten oder fehlerhaften Reanimation stünden ihm keine Ansprüche zu, denn lebenserhaltende Maßnahmen waren ohnehin nicht mehr indiziert (vgl. oben und S. 24 und 26 des schriftlichen Gutachtens). Der Sachverständige hat in jeder Hinsicht nachvollziehbar herausgearbeitet, dass kurative Behandlungsziele nicht mehr erreichbar waren. In einer solchen Situation entspricht es nicht dem fachärztlichen Standard, um jeden Preis ein Leben zu verlängern. Es ist nicht nur in der medizinischen Wissenschaft, sondern auch in der juristischen Literatur und Rechtsprechung anerkannt, dass nach Beginn der Sterbephase ein Übergang von lebensverlängernden zu palliativen Maßnahmen geboten ist (Laufs/Katzenmeier/Lipp ArztR Kap. VI Rn. 109); erlöschendes Leben ist nicht um jeden Preis zu erhalten, vielmehr gebietet die Menschenwürde, einem Sterbenden einen friedlichen und natürlichen Übergang vom Leben zum Tod zu gestatten (BGH NJW 1984, 2639 (2642); Ulsenheimer/Gaede/Ulsenheimer/Biermann ArztStrafR Rn. 720; vgl. auch das Positionspapier der DIVI MedR 2017, 364 ff. mAnm Duttge MedR 2017, 361 ff.; Borasio/Heßler/Jox/Meier/Borasio, Patientenverfügung, 2011, 29). Maßgeblich ist in solchen Fällen für die Frage, welche Maßnahmen noch medizinisch indiziert sind, ob noch ein sinnvolles bzw. vom (mutmaßlichen) Patientenwillen getragenes Therapieziel erreichbar scheint (Martis/Winkhart Rn. A 1810 mwN; Lipp MedR 2015, 762 (763 ff.); Köberl MedR 2019, 203 (205); Schäfer MedR 2018, 749 (750 f.); Finn MedR 2019, 695 (697-700)). In der Sterbephase sind nur noch solche Maßnahmen indiziert, die der Symptomlinderung dienen (Neitzke et al. MedR 2018, 85 f.). So lag der Fall – wie vom Sachverständigen eindrücklich herausgearbeitet (S. 24 und 26 des schriftlichen Gutachtens) – bei der trotz monatelanger Krankenhausbehandlung (davon allein 9 Monate in Akutkrankenhäusern) multimorbiden Patientin nach mehreren weiteren Verschlechterungen auch hier (vgl. S. 5 des Protokolls vom 19.09.2023); die Patientin hatte für den Zeitpunkt ihrer vollständigen Pflegebedürftigkeit lebenserhaltende invasive Behandlungen abgelehnt (vgl. die vom Sachverständigen auf S. 5 des Protokolls vom 19.09.2023 zitierte, in den Behandlungsunterlagen notierte Angabe des Klägers zu einer entsprechenden Äußerung seiner Frau im März/April 2018). Wie schwer die Klägerin pflegebedürftig war, hat der Sachverständige anhand der Dokumentation plastisch dargestellt: die Patientin war nicht einmal mehr in der Lage, ihr Gesäß für einen Bettpfanneneinsatz anzuheben (S. 4-5 des Protokolls vom 19.09.2023).
36
Auch wenn die Angabe des Sachverständigen für die praktische Begleitung von Patientin und Angehörigen in jeder Hinsicht nachvollziehbar ist, in einer solchen Phase seien Vertrauensbildung und deeskalierendes Vorgehen wichtig (S. 8 des Protokolls vom 19.09.2023), waren in juristischer Hinsicht die persönlichen Wunschvorstellungen des Klägers vollkommen irrelevant, sondern dieser war ausschließlich dazu berufen, dem Willen seiner verstorbenen Ehefrau „Ausdruck und Geltung zu verschaffen“ (§ 1827 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 BGB n.F. – identisch mit § 1901a BGB a.F.). Dabei ist für die Legitimation des ärztlichen Handelns oder Unterlassens nicht die Entscheidung des zur Vertretung Berechtigten entscheidend, sondern Vorrang hat vielmehr der tatsächliche bzw. in einer Patientenverfügung niedergelegte bzw. mutmaßliche Patientenwille (BGH NJW 2017, 1737 (1738) für die Patientenverfügung; vgl. auch § 1829 Abs. 4 BGB n.F. = § 1904 Abs. 4 BGB a.F.). Dass seine Frau – wie März/April 2018 dokumentiert – nicht als Vollpflegefall hatte leben wollen, wird auch nicht durch das Vorbringen auf S. 7 unten des Schriftsatzes vom 26.10.2023 in Frage gestellt. Der Kläger schildert hier ein Gespräch mit seiner Frau am 24./25.03.2018, dass sie erstmal habe mit ihm weiterleben wollen; dadurch kommt jedoch nicht zum Ausdruck, dass die dokumentierte Äußerung unzutreffend wäre, dies gelte ab Eintritt vollständiger Pflegebedürftigkeit nicht mehr. Im Übrigen erfolgte dieser Vortrag mit Schriftsatz vom 26.10.2023 erstmals (und daher mit reduzierter Glaubhaftigkeit); zudem stellt der Kläger wiederum auf seine eigenen Bewertungsmaßstäbe, nicht aber auf den Willen seiner Frau ab: „Der Kläger hat nicht gesagt, dass er sich nicht vorstellen könne, dass seine Frau dauerhaft als Pflegefall würde leben wollen, weil dies ja vom Grad der Pflege abhängt“.
37
c) Weitergehende Unzulänglichkeiten der Dokumentation hat der Kläger nicht aufgezeigt.
38
4. Die auf S. 8/9 des Schriftsatzes vom 26.10.2023 wiederholte Behauptung, die Reanimation sei unzureichend und verspätet gewesen, vermag Ansprüche nicht zu begründen, denn sie war – wie ausgeführt – schon gar nicht mehr indiziert gewesen.
39
Die Nebenentscheidungen ergeben sich aus den §§ 91 Abs. 1, 709 S. 1 ZPO.