Titel:
Erfolgreicher Eilantrag der Gemeinde auf bauaufsichtliches Einschreiten – Container-Wohnanlage für Flüchtlinge
Normenketten:
VwGO § 123
BauGB § 36 Abs. 1 S. 1, § 246 Abs. 10, Abs. 12, Abs. 14, Abs. 15
BayBO Art. 68 Abs. 6, Art. 75
Leitsätze:
1. Die Bauaufsichtsbehörde ist analog Art. 75 Abs. 1 S. 1 BayBO auch befugt, Arbeiten präventiv einzustellen, also den Beginn der Bauausführung zu untersagen, falls konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine rechtswidrige Bauausführung unmittelbar bevorsteht. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine ohne die erforderliche Beteiligung der Gemeinde erteilte Baugenehmigung ist auf die Anfechtungsklage der Gemeinde aufzuheben, weil die Rechtswidrigkeit einer solchen Baugenehmigung allein aus der Missachtung des gesetzlich gewährleisteten, dem Schutz der Planungshoheit dienenden Rechts der Gemeinde auf Einvernehmen nach § 36 Abs. 1 S. 1 BauGB folgt. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
3. Einer Gemeinde steht auch im Fall der rechtswidrigen Nichtdurchführung eines erforderlichen Baugenehmigungsverfahrens grundsätzlich das Recht zu, sich dagegen gegenüber der Bauaufsichtsbehörde zur Wehr zu setzen. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Rechtsanspruch auf bauaufsichtsrechtliches Einschreiten steht der Gemeinde dann zu, wenn ein Bauvorhaben, das nur in einem Baugenehmigungsverfahren unter Beteiligung der Gemeinde zugelassen werden darf, ohne die erforderliche Baugenehmigung ausgeführt wird, planungsrechtlich unzulässig ist und die Schaffung vollendeter Tatsachen droht. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer Container-Wohnanlage für Flüchtlinge, drohender Baubeginn vor Erteilung der Baugenehmigung, Antrag der Standortgemeinde auf bauaufsichtliches Einschreiten, präventives Bauverbot, gemeindliches Einvernehmen, Planungshoheit
Rechtsmittelinstanz:
VG Ansbach, Berichtigungsbeschluss vom 17.11.2023 – AN 3 E 23.2224
Fundstelle:
BeckRS 2023, 49226
Tenor
1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Beigeladenen Bauarbeiten zum Zwecke der Errichtung einer Unterkunft in Containerbauweise für Flüchtlinge/Asylbewerber/Migranten auf den Grundstücken FlNr. …, … und …, jeweils Gemarkung …, bis zum Erlass einer Baugenehmigung zu untersagen.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
2. Der Antragsgegner trägt ¾ der Kosten des Verfahrens, die Antragsgegnerin 1/4. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
3. Der Streitwert wird auf 7.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
1
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Verpflichtung des Antragsgegners zum bauaufsichtlichen Einschreiten.
2
Der mit Beschluss vom 2. November 2023 Beigeladene plant im Auftrag des Landratsamtes … im Gemeindegebiet der Antragstellerin auf den in seinem Eigentum stehenden Grundstücken FlNr. …, … und … der Gemarkung … (* …*) die Errichtung einer Container-Wohnanlage für bis zu 100 Flüchtlinge und Asylbewerber. Die Wohnanlage soll durch den Beigeladenen betrieben werden. Zu diesem Zweck soll in den kommenden Tagen ein Betreibervertrag zwischen dem Beigeladenen und dem Freistaat Bayern, vertreten durch das Landratsamt …, geschlossen werden.
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Die streitgegenständlichen Grundstücke sind Teil des sog. …-Geländes, bei dem es sich teils um noch gewerblich genutzte Flächen, teils um Brachflächen handelt. Das Gelände wird von den Beteiligten mangels eines Bebauungsplanes übereinstimmend als faktisches Gewerbegebiet entsprechend § 8 BauNVO bewertet. Die Antragstellerin beschloss erstmals in einer Gemeinderatssitzung am 21. Juli 2021 die Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 24 „…-Gelände“, durch den auf dem Gelände eine gemischte Nutzung zu Wohn- und Gewerbezwecken zugelassen werden sollte. Aufgrund des Abspringens der Investoren wurde das Aufstellungsverfahren nicht fortgesetzt.
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In öffentlicher Sitzung am 25. Oktober 2023 fasste der Gemeinderat der Antragstellerin den Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan Nr. 24 „Gewerbegebiet …-Gelände“ u.a. mit den städtebaulichen Zielen, als Art der baulichen Nutzung ein Gewerbegebiet im Sinne des § 8 BauNVO festzusetzen und die nach § 8 Abs. 3 Nr. 1 – 3 BauNVO ausnahmsweise zulässigen baulichen Anlagen auszuschließen. Gleichzeitig wurde eine Satzung über die Veränderungssperre Nr. * für einen Teilbereich des in Aufstellung befindlichen Bebauungsplanes Nr. … „Gewerbegebiet …-Gelände“ beschlossen. Beide Beschlüsse wurden im Mitteilungsblatt der Gemeinde Dietersheim vom 2. November 2023 unter „Amtliche Bekanntmachungen“ sowie auf der Homepage der Antragstellerin veröffentlicht.
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Der Erste Bürgermeister der Antragstellerin informierte den Antragsgegner mit E-Mail vom 27. Oktober 2023 über den gefassten Aufstellungsbeschluss für den Bebauungsplan Nr. … „Gewerbegebiet …-Gelände“ und die beschlossene Satzung über die Veränderungssperre. Die Gemeindeverwaltung sowie die bevollmächtigte Rechtsanwaltskanzlei seien beauftragt, sich mit allen rechtlich möglichen Mitteln gegen das Bauvorhaben und eine vorzeitige Nutzungsaufnahme zu wehren. Das Landratsamt werde daher aufgefordert, die Angelegenheit bauaufsichtlich zu überprüfen und geeignete Maßnahmen gegen das Vorhaben einzuleiten.
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Am 30. Oktober 2023 reichte der Beigeladene einen digitalen Bauantrag für die Errichtung einer „Unterkunft in Containerbauweise für 100 Flüchtlinge oder Asylbegehrende – befristet für 3 Jahre“ beim Antragsgegner ein, der der Antragstellerin am 31. Oktober 2023 mit der Bitte „um kurzfristige gemeindliche Vorbehandlung des Bauantrages“ übermittelt wurde.
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Mit weiterer E-Mail vom 31. Oktober 2023 teilte das Landratsamt der Antragstellerin mit, dass der Bauantrag auf seine bauplanungs- und bauordnungsrechtliche Zulässigkeit hin geprüft worden sei und die Auffassung vertreten werde, dass das Vorhaben genehmigungsfähig sei. Im Hinblick auf die Dringlichkeit werde begrüßt, dass der Bauherr möglichst zeitnah mit der Errichtung der Containeranlage beginnen wolle. Erforderliche Abstimmungsgespräche dürften realistischerweise noch einige Zeit in Anspruch nehmen, sodass nicht gesagt werden könne, wann mit vorbereitenden Arbeiten (Erdarbeiten) begonnen werden könne. Es sei eine rasche Erteilung einer Baugenehmigung beabsichtigt. Aufgrund der absoluten Eilbedürftigkeit könne es allerdings erforderlich werden, bereits vor Erteilung der Baugenehmigung mit den Bauarbeiten – jedenfalls mit vorbereitenden Arbeiten – zu beginnen. Im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens werde das Landratsamt als Bauaufsichtsbehörde aller Voraussicht nach nicht bauaufsichtlich einschreiten und insofern keine Baueinstellungsverfügung erlassen.
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Daraufhin ließ die Antragstellerin mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 31. Oktober 2023, beim Bayerischen Verwaltungsgericht Ansbach eingegangen per EGVP und qualifiziert signiert am selben Tag, einen Antrag nach § 123 VwGO stellen.
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Zur Begründung wird unter Bezugnahme auf einen Presseartikel … vorgetragen, dass in der Gemeinde … insgesamt rund 2.200 Einwohner lebten, von denen rund 900 Einwohner auf den Ortsteil … entfielen. Nach dem Königsteiner Verteilungsschlüssel müsse die Gemeinde 24 Migranten aufnehmen, sodass die Zuweisung von rund 100 Migranten unverhältnismäßig und unangemessen sei. Zwar seien derzeit noch keine Wohncontainer aufgestellt, dies stehe aber unmittelbar bevor. Es handle sich um ein nach der Bayerischen Bauordnung (BayBO) genehmigungspflichtiges Vorhaben, gegen das sich die Antragstellerin zur Wehr setzen wolle. Mit E-Mail vom 31. Oktober 2023 habe der Antragsgegner ein bauaufsichtliches Einschreiten abgelehnt, so dass zur Verhinderung der Schaffung vollendeter Tatsachen gerichtliche Hilfe dringend geboten sei.
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Auch vor Baubeginn sei die Untersagung von Bauarbeiten (präventives Verbot) möglich. Für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen von Art. 75 BayBO sei entscheidend, ob aufgrund objektiver Anhaltspunkte die Schaffung eines dem öffentlichen Recht widersprechenden Zustands drohe. Es genüge mithin ein „Anfangsverdacht“ dafür, dass eine bauliche Anlage im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet werde. Über den engen Wortlaut des Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO, der nur die bauordnungsrechtliche Befugnis einräume, die Einstellung bereits begonnener rechtswidriger Baumaßnahmen anzuordnen, hinaus sei die Bauaufsichtsbehörde auch befugt, Arbeiten präventiv einzustellen, falls konkrete Anhaltspunkte dafür vorlägen, dass eine rechtswidrige Bauausführung unmittelbar bevorstehe. Da diese Voraussetzungen gegeben seien, liege ein Anordnungsgrund vor.
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Die Antragstellerin könne auch einen Anordnungsanspruch geltend machen, da die Errichtung und Nutzung von Wohncontainern ohne Baugenehmigung offensichtlich rechtswidrig sei. Für die Gestattung einer Errichtung und Nutzung ohne Baugenehmigung gebe es in der BayBO keine Rechtsgrundlage. Eine Rechtsgrundlage ergebe sich insbesondere nicht aus dem verfassungswidrigen § 246 Abs. 14 BauGB bzw. der sicherheitsrechtlichen Generalklausel des Art. 7 Abs. 2 LStVG. Gleiches gelte für das Rundschreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 18. August 2015 – …-006/15 (wird jeweils weiter ausgeführt).
12
Die Errichtung und Nutzung der geplanten Wohncontainer – erst recht ohne Baugenehmigung – greife massiv in die Rechte der Antragstellerin ein. Die über die kommunale Selbstverwaltungshoheit (Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 11 BV) abgesicherten Beteiligungsrechte der Antragstellerin in einem durchzuführenden Baugenehmigungsverfahren würden vollständig missachtet, wenn genehmigungspflichtige bauliche Anlagen ohne Baugenehmigung errichtet und genutzt würden und dies durch die Bauaufsichtsbehörde geduldet oder gar gestattet werde. Sowie gemeindliche Rechte im Falle der rechtswidrigen Ersetzung eines zu Recht verweigerten gemeindlichen Einvernehmens verletzt seien, seien diese erst recht dann verletzt, wenn gegen eine vorzeitige Nutzungsaufnahme seitens der Bauaufsichtsbehörde nicht eingeschritten werde, obwohl die Gemeinde dies gefordert habe, und die Bauaufsichtsbehörde eine Entscheidung über das gemeindliche Einvernehmen nicht abwarte. Allein die Verletzung oder Missachtung des gesetzlich gewährleisteten Rechts der Gemeinde auf Einvernehmen führe zur gerichtlichen Aufhebung einer – vorliegend (noch) nicht erteilten – Baugenehmigung; einer materiell-rechtlichen Überprüfung der Rechtslage bedürfe es nicht.
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Dass im Übrigen § 246 Abs. 14 BauGB anstelle des gemeindlichen Einvernehmens eine Anhörung ausreichen lasse, stelle einen verfassungswidrigen erheblichen Eingriff in das Recht auf gemeindliche Selbstverwaltung dar, der durch die bloße Anhörung der Gemeinde nicht kompensiert werden könne. Auch könne § 246 BauGB nicht die landesrechtliche Vorschrift des Art. 64 Absatz 1 Satz 2 BayBO aushebeln, wonach der Gemeinde das Recht zustehe, zu einem Bauantrag gegenüber der Bauaufsichtsbehörde Stellung zu nehmen. Durch das Verhalten des Antragsgegners werde aber auch das Anhörungsrecht der Gemeinde nach § 246 Abs. 14 Satz 3 BauGB ausgehebelt. Da der Antragstellerin erst am 31. Oktober 2023 der Bauantrag mit Bauvorlagen über das Onlineportal übermittelt worden sei, habe in der Kürze der Zeit noch keine Prüfung und Stellungnahme erfolgen können, zumal die Frist hinsichtlich des gemeindlichen Einvernehmens voll ausgeschöpft werden dürfe.
14
Gemeindliche Rechte würden auch hinsichtlich des Brandschutzes (gemäß Art. 1 Abs. 1, 2 BayFwG Pflichtaufgabe im eigenen Wirkungskreis) und hinsichtlich der Abwasserbeseitigung verletzt. Insoweit sei derzeit noch unklar, ob die Grundstücksentwässerungsanlage auf den Grundstücken des Beigeladenen so dimensioniert sei, dass diese das Abwasser von 100 weiteren Personen verarbeiten könne. Nicht beurteilt werden könne auch, ob seitens des Beizuladenden überhaupt ein Anschluss- und Benutzungsrecht bestehe.
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Sei der Eingriffstatbestand des Art. 75 Abs. 1 BayBO erfüllt, so genüge auf der Rechtsfolgenseite die behördliche Erwägung, rechtswidrige Zustände zu verhindern, im Allgemeinen den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Ermessensausübung. Im Falle des Art. 75 BayBO würden an die Ermessensausübung und ihre Begründung grundsätzlich geringe Anforderungen gestellt. Denn es sei Sache des Bauherrn, vor Baubeginn die Voraussetzungen für einen rechtmäßigen Baubeginn zu schaffen. Es sei ihm grundsätzlich auch unter Hinnahme wirtschaftlicher Nachteile zuzumuten, bis dahin mit dem Beginn oder der Fortsetzung der Bauarbeiten zu warten. Mithin sei das der Bauaufsichtsbehörde eingeräumte Ermessen im Regelfall ein bloßes „intendiertes Ermessen“, weil gerade ein öffentliches Interesse daran bestehe, die Fortführung rechtswidriger Bauarbeiten zu verhindern. Eine Ermessensreduzierung auf Null sei regelmäßig dann anzunehmen, wenn die von der rechtswidrigen Anlage ausgehende Beeinträchtigung einen erheblichen Grad erreiche und die Abwägung mit dem Schaden des Bauherrn ein deutliches Übergewicht der gemeindlichen Interessen ergebe. Dies sei vorliegend der Fall. Die dargestellten Interessen und Rechte der Antragstellerin würden deutlich das Interesse des Bauherrn, ohne Baugenehmigung Wohncontainer für rund 100 Migranten zu errichten, überwiegen. Im Übrigen würde auch selbst beim Vorliegen einer Baugenehmigung wegen des Verstoßes gegen materielles Recht die Interessen der Antragstellerin überwiegen. Der Gemeinderat der Antragstellerin habe in seiner Sitzung vom 25. Oktober 2023 die Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. … „Gewerbegebiet …-Gelände“ beschlossen mit dem in dem bisherigen faktischen Gewerbegebiet ein Gewerbegebiet gemäß § 8 BauNVO festgesetzt und alle ausnahmsweise zulässigen Nutzungen nach § 8 Abs. 3 BauNVO ausgeschlossen werden sollen. Unterkünfte für Migranten/Asylbewerber/Flüchtlinge könnten somit bauplanungsrechtlichen nicht ausnahmsweise zugelassen werden. Zur Sicherung der Planungen sei eine Veränderungssperre beschlossen worden. Die Voraussetzungen für eine Ausnahme nach § 14 Abs. 2 BauGB lägen nicht vor. Darüber hinaus fehle es aber auch an der Gebietsverträglichkeit des Vorhabens. Dem Vorhaben komme schon allein wegen der erheblichen Anzahl von ungefähr 100 Migranten in dem nur rund 900 Einwohner zählenden Ortsteil ein beachtliches bodenrechtliches Störpotenzial zu, das sich mit der Zweckbestimmung eines Gewerbegebietes nicht vertrage (wird weiter ausgeführt).
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Die Antragstellerin beantragt,
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Der Antragsgegner wird im Wege einer einstweiligen Anordnung – erforderlichenfalls vorläufig durch eine Zwischenentscheidung/einen „Hängebeschluss“ – verpflichtet, gegenüber dem Beizuladenden dergestalt bauaufsichtlich einzuschreiten, dass dem Beizuladenden durch eine für sofort vollziehbar zu erklärende Ordnungsverfügung untersagt wird, auf seinen Grundstücken FlNr. …, …, …, …, …, …, …, …, …, … und …, jeweils Gemarkung …, bauliche Anlagen zur Unterbringung von Migranten/Asylbewerbern/Flüchtlingen zu errichten und zu nutzen.
18
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
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Der Antragsgegner beantragt mit Schriftsatz vom 6. November 2023, den Antrag abzulehnen.
20
Der Antragsgegner führt ausführlich zur Unterbringungssituation von Asylbewerbern im Regierungsbezirk Mittelfranken aus. Die Situation sei insofern als dramatisch zu bezeichnen. Gleichwohl werde das Landratsamt über die Genehmigung der streitgegenständlichen Container-Wohnanlage im Rahmen eines ordentlichen Baugenehmigungsverfahrens entscheiden und hierbei insbesondere die Entscheidung der Antragstellerin über die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens bzw. die gesetzliche Fiktionsfrist abwarten. Es sei nicht beabsichtigt, dem Bauherrn einen Beginn der Bauarbeiten ohne Vorliegen der Baugenehmigung zu gestatten bzw. diesen von sich aus zu forcieren. Es werde davon ausgegangen, dass Maßnahmen zur Pflege des Baugrundstücks (Abräumen von bestehendem Bauschutt, Entfernen von Grüngut) nicht als Beginn von Bauarbeiten anzusehen seien.
21
Es liege bereits kein Anordnungsgrund vor, da der Schutz der von der Antragstellerin vorgetragenen Rechte nicht eilbedürftig sei. Wie oben ausdrücklich dargestellt und zugesichert, sei nicht beabsichtigt, dem Bauherrn auf Grundlage der vom Vertreter der Antragstellerin zitierten Schreiben des bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Sport und Integration einen Beginn der Bauarbeiten vor Erteilung der Baugenehmigung zu gestatten. Das Landratsamt betreibe den Vorab-Baubeginn auch nicht von sich aus.
22
Es fehle auch ein Anordnungsanspruch. Ein Anspruch auf Erlass einer Baueinstellungsverfügung fände seine Rechtsgrundlage in Art. 75 Abs. 1 Satz 1und 2 Nr. 1 in Verbindung mit Art. 68 Abs. 5 BayBO, dessen Tatbestandsvoraussetzungen allerdings nicht erfüllt seien, da gerade nicht ohne Vorliegen einer Baugenehmigung mit den Bauarbeiten begonnen werde. Auch läge das Einschreiten im Ermessen des Antragsgegners, welches auf Null reduziert sein müsste und aufgrund der geschilderten angespannten Unterbringungssituation sicherlich nicht auf Null reduziert wäre.
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Auf die baurechtliche Zulässigkeit des Vorhabens sei nicht einzugehen, da eine Baueinstellungsverfügung nicht erforderlich sei und eine solche insofern auch zum jetzigen Zeitpunkt nicht auf eine vermeintliche Rechtswidrigkeit des Bauvorhabens gestützt werden müsse bzw. könne. Die Frage der Genehmigungsfähigkeit sei vielmehr Gegenstand des laufenden Baugenehmigungsverfahrens. Es könne nicht Aufgabe des Gerichts sein, der Baugenehmigungsbehörde vorzugreifen und im vorliegenden Verfahren die Rechtmäßigkeit einer noch gar nicht vorhandenen Baugenehmigung zu prüfen. Sofern am Ende des Baugenehmigungsverfahrens eine Baugenehmigung stehe, sei gegen diese der (Eil-) Rechtsweg eröffnet.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Behördenakte verwiesen.
25
Der zulässige Antrag hat zum Teil Erfolg.
26
Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag auch schon vor Klageerhebung eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (einstweilige Anordnung zur Sicherung eines Individualanspruchs). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint (sog. Regelungsanordnung – einstweilige Anordnung zur Wahrung des Rechtsfriedens).
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Einstweilige Anordnungen nach § 123 Abs. 1 VwGO dürfen nur ergehen, wenn der Antragsteller das Bestehen eines zu sichernden Rechts, den sog. Anordnungsanspruch, und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, den sog. Anordnungsgrund, glaubhaft macht.
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Im vorliegenden Fall hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Die Antragstellerin hat nach der im Eilverfahren gebotenen, aber ausreichenden summarischen Prüfung (Schoch in: Schoch/Schneider, VwGO § 123 Rn. 122) einen Anspruch auf Erlass einer Baueinstellungsverfügung durch den Antragsgegner, da sich sein Ermessen auf Null reduziert haben dürfte.
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1. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht.
30
a) Nach Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde, wenn Anlagen im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet, geändert oder beseitigt werden, die Einstellung der Arbeiten anordnen. Dabei kann auf Art. 75 BayBO (analog) auch eine Anordnung, den Baubeginn zu unterlassen (= präventives Bauverbot), gestützt werden. Da die von Art. 75 BayBO erfassten Maßnahmen Instrumente präventiver Bauaufsicht sind, ist für das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen entscheidend, ob aufgrund objektiver Anhaltspunkte die Schaffung eines dem öffentlichen Recht widersprechenden Zustands droht. Es genügt mithin ein „Anfangsverdacht“ dafür, dass eine bauliche Anlage im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften errichtet wird. Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO räumt zwar an sich nur die bauordnungsrechtliche Befugnis ein, die Einstellung bereits begonnener rechtwidriger Baumaßnahmen anzuordnen. Über den engeren Wortlaut ist die Bauaufsichtsbehörde analog Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO auch befugt, Arbeiten präventiv einzustellen, also den Beginn der Bauausführung zu untersagen, falls konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine rechtswidrige Bauausführung unmittelbar bevorsteht (BayVGH, B.v. 7.11.2022 – 15 CS 22.1998 – juris Rn 30 m.w.N.).
31
aa) Vorliegend widerspricht das Vorhaben öffentlich-rechtlichen Vorschriften. Dabei genügt nach ständiger Rechtsprechung für die Einstellung von Arbeiten gem. Art. 75 Abs. 1 Satz 1 BayBO die formelle Rechtswidrigkeit (BayVGH, B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.672 – juris Rn. 8 m.w.N.). Dies formelle Illegalität ist hier gegeben, da eine Baugenehmigung zwar beantragt, aber bisher noch nicht erteilt wurde. Das Vorhaben ist auch gemäß Art. 55 Abs. 1 BayBO genehmigungspflichtig. Der Annahme, dass die Container-Wohnanlage eine bauliche Anlage darstellt, steht dabei nicht entgegen, dass die Container nur für einen beschränkten Zeitraum von (erstmals) drei Jahren aufgestellt und genutzt werden sollen bzw. leicht versetzt werden können, denn für den Anlagenbegriff i. S. des Art. 2 Abs. 1 BayBO ist maßgeblich, ob Anlagen nach ihrem (subjektiven) Verwendungszweck ortsfest genutzt werden, vgl. Art. 2 Abs. 1 Satz 3 BayBO. Dies ist hier auch bei den grundsätzlich mobilen Anlagen der Fall, die der Beigeladene für den nicht unerheblichen Zeitraum von drei Jahren zur Unterbringung von Asylbewerbern/Flüchtlingen/Migranten nutzen möchte (VG Ansbach, U.v. 29.9.2016 – AN 3 K 15.01646 – juris Rn. 19). Eine Verfahrensfreiheit nach Art. 57 BayBO bzw. eine Genehmigungsfreistellung nach Art. 58 BayBO kommt aufgrund der Einstufung des Vorhabens als Sonderbau gemäß Art. 2 Abs. 4 Nr. 11 BayBO nicht in Betracht.
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bb) Es liegen auch ausreichend konkrete Anhaltspunkte dafür vor, dass eine rechtswidrige Bauausführung (ohne Baugenehmigung) unmittelbar bevorsteht. Unstreitig ist zwischen den Beteiligten insoweit, dass auf den für den Bauantrag gegenständlichen Grundstücken jederzeit Arbeiten beginnen können. Der Antragsgegner hat dies zum einen mit E-Mail vom 31. Oktober 2023 an die Antragstellerin hinsichtlich Erdarbeiten, zum anderen mit der Antragserwiderung vom 6. November hinsichtlich „vorbereitender Arbeiten“ in Form von Beseitigung von Bauschutt oder der Entfernung von Grüngut eingeräumt. Auch wenn das Gericht dem Antragsgegner darin zustimmt, dass diese „vorbereitende Arbeiten“ – dies dürfte allerdings nicht für die in der E-Mail vom 31. Oktober 2023 genannten Erdarbeiten gelten – grundsätzlich noch nicht den Arbeiten zur Errichtung der Containerwohnanlage zuzuordnen sind, so handelt es sich dabei trotzdem um ausreichend konkrete Anhaltspunkte im Sinne einer „Anscheinsgefahr“ (BayVGH, B.v. 10.4.2017 – 15 ZB 16.672 – juris Rn. 10). Zum einen kann der Übergang von vorbereitenden Arbeiten in Arbeiten zur Verwirklichung des Bauvorhabens fließend sein, so dass für den Außenstehenden im Einzelfall nicht klar erkennbar sein wird, ob die Arbeiten z.B. nur der Räumung des Grundstückes dienen oder aber schon der Verwirklichung des geplanten Vorhabens. Zum anderen wird der Landrat des Landkreises … in der medialen Berichterstattung (* …, Artikel vom …*) dahingehend wörtlich zitiert, „dass im Containerdorf in … zum Ende dieser Woche die ersten Geflüchteten einziehen werden“. Dies kann aber nur dahingehend interpretiert werden, dass für die Errichtung eines Containerdorfes nicht die Erteilung der erforderlichen Baugenehmigung abgewartet werden soll, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal beantragt war. Dem steht auch nicht die Erklärung des Antragsgegners in der Antragserwiderung vom 6. November 2023 entgegen, wonach ein ordentliches Baugenehmigungsverfahren durchgeführt werden soll und Bauarbeiten vor Erteilung der Baugenehmigung weder gestattet noch forciert werden sollen. Denn dieser Aussage ist lediglich zu entnehmen, dass der Antragsgegner einen „vorzeitigen“ Baubeginn – wofür es weder in § 246 BauGB noch in Art. 7 Abs. 2 Nr. 3 LStVG noch im Rundschreiben des Bayerischen Staatsministeriums des Innern, für Bau und Verkehr vom 18. August 2015 – … eine Rechtsgrundlage gibt – nicht gestatten wird bzw. von sich aus anregen wird. Nicht enthalten ist eine Aussage dazu, wie sich der Antragsgegner verhalten wird, wenn der Beigeladene sich an das bis zur Erteilung der Baugenehmigung bestehende Bauverbot nicht halten wird und in illegaler Weise mit den Bauarbeiten beginnt. Insoweit steht damit unwidersprochen die Erklärung des Antragsgegners in der E-Mail vom 31. Oktober 2023 im Raum, dass die Bauaufsichtsbehörde bei Beginn von Bauarbeiten vor Erlass der Baugenehmigung nicht bauaufsichtlich einschreiten wird.
33
b) Dabei steht der Antragsgegnerin auch zur Seite, dass die Zielrichtung eines Anspruches auf bauaufsichtliches Einschreiten auch darauf gerichtet ist, eine drohende Rechtsverletzung der Antragstellerin in den ihr zustehenden Beteiligungsrechten zu verhindern.
34
Ein derartiges Beteiligungsrecht besteht vorliegend. Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB wird im bauaufsichtlichen Verfahren über die Zulässigkeit von Vorhaben nach den §§ 31 und 33 bis 35 BauGB von der Bauaufsichtsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden.
35
Dieses Beteiligungsrecht besteht auch unter Berücksichtigung der Sonderregelung für Flüchtlinge gemäß § 246 Abs. 8 ff. BauGB, denn die hier für die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der geplanten Unterkunft in Betracht kommenden Sonderregelungen des § 246 Abs. 10 und Abs. 12 BauGB ordnen ausdrücklich die Geltung der Beteiligungsvorschrift des § 36 BauGB an (§ 246 Abs. 10 Satz 2, § 246 Abs. 12 Satz 4 BauGB). Abweichend von § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB gilt das Einvernehmen der Gemeinde allerdings nicht erst nach zwei Monaten, sondern bereits dann als erteilt, wenn es nicht innerhalb eines Monats verweigert wird.
36
Zwar sieht § 246 Abs. 14 Satz 3 BauGB in Anlehnung an § 37 Abs. 2 Satz 2 BauGB anstelle des Einvernehmensverfahrens eine Anhörung der Gemeinde vor, allerdings ist für das Gericht zum jetzigen Zeitpunkt nicht ersichtlich, dass der Antragsgegner vorliegend von dieser erleichterten Abweichungsmöglichkeit Gebrauch machen will bzw. wird. Der Antragsgegner hat nämlich den digital eingegangenen Bauantrag nach den dem Gericht vorliegenden Behördenakten lediglich ergänzt mit dem Hinweis, es werde wegen der großen Dringlichkeit des Bauvorhabens um kurzfristige gemeindliche Vorbehandlung des Bauantrages gebeten (vgl. E-Mail vom 31. Oktober 2023), an die Antragstellerin weitergeleitet. Ein Hinweis auf ein Anhörungsverfahren nach § 246 Abs. 14 BauGB erfolgte nicht. Ein entsprechender Hinweis hätte nach Auffassung des Gerichts jedoch aufgrund der von der Grundkonstruktion des § 246 Abs. 14 BauGB (Mitschang/ Reidt in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB § 246 Rn. 50) – zulässigweise – abweichenden landesrechtlichen Regelung des § 2 Abs. 5 der Zuständigkeitsverordnung im Bauwesen (ZustVBau), wonach höhere Verwaltungsbehörde das Landratsamt ist, mit der Folge, dass die Zuständigkeit für die Erteilung der Baugenehmigung und der Erteilung der Abweichung zusammenfallen, erfolgen müssen, um der Antragstellerin zu verdeutlichen, dass kein Verfahren zur Einholung des gemeindlichen Einvernehmens erfolgen solle. Ohne entsprechenden Hinweis darf die Antragstellerin aber gerade davon ausgehen, dass im Rahmen eines regulären Baugenehmigungsverfahrens die Einholung des Einvernehmens mit den gemäß § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB bzw. § 246 Abs. 15 BauGB geltenden Fristen erfolgen soll, so dass die Antragstellerin erwarten kann, dass das Verfahren erst nach Erteilung/Verweigerung des Einvernehmens bzw. nach Eintritt einer Einvernehmensfiktion seinen Fortgang nimmt.
37
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die ohne die erforderliche Beteiligung der Gemeinde erteilte Baugenehmigung auf die Anfechtungsklage der Gemeinde aufzuheben ist, weil die Rechtswidrigkeit einer solchen Baugenehmigung allein aus der Missachtung des gesetzlich gewährleisteten, dem Schutz der Planungshoheit dienenden Rechts der Gemeinde auf Einvernehmen nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB folgt. Eine (weitere) materielle Überprüfung der Rechtslage, insbesondere der Frage, ob die Genehmigung, ggf. unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens, zu erteilen ist, findet nicht statt. Der Fall der ohne die erforderliche Beteiligung der Gemeinde erteilten Baugenehmigung ist dem gleich zu behandeln, in dem bei einer erteilten Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB das notwendige Einvernehmen nicht eingeholt worden ist. Im von der Gemeinde angestrengten vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen den gesetzlichen Sofortvollzug einer solchen Baugenehmigung (vgl. § 212a Abs. 1 BauGB) rechtfertigt die Missachtung des Beteiligungserfordernisses die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Hauptsacherechtsbehelfs (VG Schwerin, B.v. 3.3.2023 – 2 B 358/23 SN – juris Rn. 18 m.w.N.).
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Aus der daraus ersichtlichen starken Stellung der Gemeinde folgt, dass diese nicht weniger schutzlos gestellt sein kann, wenn eine erforderliche Baugenehmigung zwar beantragt, das Bauvorhaben jedoch entgegen der Bestimmung des Art. 68 Abs. 6 BayBO bereits ins Werk gesetzt und damit die Schaffung vollendeter Tatsachen begonnen wird (VG Schwerin, B.v. 3.3.2023 – 2 B 358/23 SN – juris Rn. 19). Denn nach dem Sinn und Zweck der Beteiligungsregelung des § 36 Abs. 1 BauGB stellt es aus der Sicht der Gemeinde keinen Unterschied dar, ob die Baugenehmigungsbehörde sich rechtswidrig über ein ausdrücklich versagtes Einvernehmen hinwegsetzt und die Baugenehmigung gleichwohl erteilt oder ob sie rechtsirrig die Baugenehmigungsfreiheit eines Vorhabens annimmt und aus diesem Grunde ein Baugenehmigungsverfahren unter Beteiligung der Gemeinde nicht einleitet. Auch im letzteren Fall verletzt sie objektiv die gemeindliche Mitwirkungsbefugnis. Wird in diesem Fall das Vorhaben errichtet, so kann die Planungshoheit der Gemeinde hierdurch ebenso beeinträchtigt sein wie im Fall einer ohne Einvernehmen erteilten Baugenehmigung. Müsste die Gemeinde die Verwirklichung eines zu Unrecht als genehmigungsfrei beurteilten Vorhabens hinnehmen, drohte ihrer Planungshoheit in gleicher Weise Gefahr, durch rechtswidriges Verhalten der Bauaufsichtsbehörde unterlaufen zu werden wie im Falle eines ausdrücklich versagten Einvernehmens. Angesichts dieser als gleich zu beurteilenden Interessenlage steht einer Gemeinde auch im Fall der rechtswidrigen Nichtdurchführung eines erforderlichen Baugenehmigungsverfahrens grundsätzlich das Recht zu, sich dagegen gegenüber der Bauaufsichtsbehörde zur Wehr zu setzen (BVerwG, U.v. 12.12.1991 – 4 C 31/89 – juris Rn. 15).
39
Steht der Gemeinde in einem solchen Fall mithin ein prinzipieller Anspruch gegen die Bauaufsichtsbehörde oder ihren Träger auf bauaufsichtliches Einschreiten zu (vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, § 36 Rn. 47; Decker in: Busse/Kraus, BayBO Art. 76 Rn. 503-506), kann sie in einem Fall wie hier, wo zumindest der Beginn der über reine Vorbereitungsmaßnahmen hinausgehenden Bauarbeiten ohne die erforderliche Baugenehmigung droht, nicht schlechter gestellt sein. Vielmehr ist dieser Konstellation mit einem Anspruch der Gemeinde auf Unterlassung der (weiteren) Bautätigkeit Rechnung zu tragen. Dies gilt insbesondere unter Berücksichtigung, dass aufgrund der aktuellen Beschlussfassung der Antragstellerin hinsichtlich der Aufstellung eines Bebauungsplanes für die fraglichen Grundstücke einhergehend mit einer Veränderungssperre – wobei an dieser Stelle dahinstehen kann, ob sich diese Beschlüsse materiell rechtmäßig darstellen bzw. ob es sich möglicherweise um eine Verhinderungsplanung handelt – naheliegt, dass das gemeindliche Einvernehmen wohl nicht erteilt werden dürfte.
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c) Die Ausübung der Befugnis nach Art. 75 BayBO steht grundsätzlich im pflichtgemäßen Ermessen. Es ist anerkannt, dass eine Gemeinde bei Beeinträchtigungen ihrer Planungshoheit – etwa durch ein ohne ihre erforderliche Beteiligung oder unter Verstoß gegen eine örtliche Bauvorschrift errichtetes Bauwerk – ein subjektives Recht auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung durch die Bauaufsichtsbehörde hat, welche die Befugnis zum Einschreiten und damit zur Herstellung rechtmäßiger Zustände besitzt, weil andernfalls eine Missachtung der den Gemeinden vom Gesetzgeber eingeräumten Rechtsstellung sanktionslos bliebe. Die Gemeinde hat als Hoheitsträgerin eine stärkere Rechtsstellung als ein Nachbar bei einem Verstoß gegen nachbarschützende Vorschriften. Es ist auch anerkannt, dass sich das Eingriffsermessen (Art. 40 BayVwVfG) der Bauaufsichtsbehörde zu Gunsten der Gemeinde verengt, wenn diese zur Durchsetzung einer örtlichen Bauvorschrift einen Antrag auf Erlass einer Beseitigungsverfügung stellt. Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass einer Beseitigungsanordnung vor, so entspricht es regelmäßig dem Gesetzeszweck, eine Beseitigungsanordnung zu erlassen. Die Behörden dürfen diese Regeln nicht in dem Bestreben, eine Reduktion des Ermessens zu Gunsten der Klägerin zu widerlegen, beiseiteschieben. Es geht um ein öffentliches Interesse erheblichen Gewichts (BayVGH, B.v. 3.11.2000 – 26 ZB 99.2309 – juris Rn. 15). So kann sich im Einzelfall für die Gemeinde ein Anspruch auf Einschreiten der Bauaufsichtsbehörde ergeben, wenn ein Vorhaben eine hinreichend bestimmte Planung der Gemeinde nachhaltig stört, wegen seiner Großräumigkeit wesentliche Teile des Gemeindegebiets einer durchsetzbaren gemeindlichen Planung entzieht oder gemeindliche Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich in Mitleidenschaft gezogen werden. Ein Rechtsanspruch auf bauaufsichtsrechtliches Einschreiten steht der Gemeinde dann zu, wenn ein Bauvorhaben, das nur in einem Baugenehmigungsverfahren unter Beteiligung der Gemeinde zugelassen werden darf, ohne die erforderliche Baugenehmigung ausgeführt wird, planungsrechtlich unzulässig ist und die Schaffung vollendeter Tatsachen droht (Decker in: Busse/Kraus, BayBO Art. 76 Rn. 505 m.w.N.).
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Entsprechend steht der Antragstellerin zur Sicherung ihrer Planungshoheit ein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten der Antragsgegnerin in Form eines präventiven Bauverbots zu. Das Ermessen des Antragsgegners ist vorliegend auf Null reduziert (Puttler in: Sodan/ Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, § 123 Rn. 106). Der Antragsgegner hat das Verfahren zur Einholung des gemeindlichen Einvernehmens am 31. Oktober 2023 eingeleitet. Gleichzeitig hat er der Antragstellerin mitgeteilt, dass für den Fall, dass der Beigeladene mit den „Bauarbeiten – jedenfalls mit vorbereitenden Arbeiten“ beginnen sollte, im Rahmen des pflichtgemäßen Ermessens nicht mit einem bauaufsichtlichen Einschreiten zu rechnen sei, obwohl der Antragsgegner bereits mit E-Mail vom 27. Oktober 2023 über dem Vorhaben ggf. entgegenstehende Planungen informiert worden ist. Dies erweckt den Eindruck, dass der Antragsgegner das Verfahren zur Einholung des gemeindlichen Einvernehmens nur vordergründig eingeleitet hat und durch eine Tolerierung drohender Bauarbeiten das Ergebnis des Baugenehmigungsverfahrens in der Art des willentlichen Unterlaufens des vorgegebenen Verfahrens vorwegnehmen will. Die begehrte Baueinstellung dient daher der Sicherung der Planungshoheit der Antragstellerin. Eine Verletzung der Planungshoheit kann in der Regel - so auch hier – nur dadurch ausgeglichen werden, dass der rechtswidrige Zustand, also die Bauarbeiten des Beigeladenen, durch den Antragsgegner eingestellt werden. Das Interesse an der Beseitigung des die Gemeinde beeinträchtigenden Zustandes ist wesentlich höher zu bewerten als das Interesse des Beigeladenen an der Durchführung der Bauarbeiten, wozu er ohnehin ohne Baugenehmigung noch nicht berechtigt ist (so auch BayVGH, U.v. 21.1.2004 – 26 B 02.873 – Rn. 33).
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Das Ermessen des Antragsgegners ist darauf reduziert, einzuschreiten, um die Planungshoheit der Antragstellerin wirksam zu schützen (vgl. auch BayVGH, B.v. 30.9.1999 – 1 ZE 99.2849 – juris Rn. 24 f.; VG München, B.v. 10.10.2014 – M 11 E 14.4377 – juris Rn. 23).
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Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der vom Antragsgegner vorgetragenen Dringlichkeit wegen der dramatischen Unterbringungssituation für Flüchtlinge. Zwar bringen die Sonderregelungen des § 246 Abs. 8 ff. BauGB Erleichterungen hinsichtlich der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit mit sich, ermöglichen aber gerade nicht, abweichend von Art. 68 Abs. 6 BauGB einen Baubeginn vor Erteilung der Baugenehmigung. Selbst § 246 Abs. 14 BauGB geht weiterhin von einer Genehmigungsnotwendigkeit aus (Mitschang/Reidt in: Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB § 246 Rn. 50).
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2. Zu Gunsten der Antragstellerin besteht auch ein Anordnungsgrund, der zur vorläufigen Untersagung der drohenden Bautätigkeit führt. Die Eilbedürftigkeit ergibt sich zunächst daraus, dass mit zunehmendem Baufortschritt die Rückgängigmachung der Baumaßnahmen erschwert wird, sollte sich die Errichtung der Flüchtlingsunterkunft letztlich als bauplanungsrechtlich unzulässig erweisen und eine Baugenehmigung rechtmäßigerweise nicht erteilt werden können. Denn in diesem Fall wäre die Gemeinde möglicherweise auf einen Anspruch (lediglich) auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über einen Antrag auf Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands beschränkt; sie könnte also die Verletzung ihrer Planungshoheit weniger wirksam ausschließen als dies mit der hier beantragten Verhinderung der Schaffung vollendeter Tatsachen der Fall ist. Die Eilbedürftigkeit folgt zudem aus dem Umstand, dass hier der Antragsgegner die verfassungsrechtlich gewährleistete Planungshoheit der Antragstellerin mit der Tolerierung formell illegaler Bauarbeiten in rechtswidriger – weil von keiner gesetzlichen Norm gestützten – Weise missachten würde. Die Bewältigung der in der Antragserwiderung dargestellten Situation im Zusammenhang mit der Aufnahme von Flüchtlingen mag außerordentliche Herausforderungen mit sich bringen. Die im Bauplanungsrecht mit den Vorschriften des § 246 Abs. 8 bis 17 BauGB gerade zur Bereitstellung von Unterkünften geschaffenen Regelungen suspendieren bereits von einer Vielzahl an sich einzuhaltender Vorgaben. An den Beteiligungsrechten der Gemeinde – im § 246 Abs. 14 in der Form nur eines Anhörungserfordernisses – halten sie jedoch ebenso explizit fest wie daran, dass vor Aufnahme von Bauarbeiten zur Errichtung von Flüchtlingsunterkünften die gesetzlich vorgesehenen Verfahren durchgeführt und die erforderlichen Genehmigungs- oder Befreiungsentscheidungen getroffen werden. Eine Notkompetenz von der Art, wie sie hier der Antragsgegner mit der Duldung illegaler Bauarbeiten für sich in Anspruch nehmen würde, hat der Gesetzgeber ebenso wenig normiert wie die Möglichkeit eines vorzeitigen Baubeginns (so auch VG Schwerin, B.v. 3.3.2023 – 2 B 358/23 SN – juris Rn. 22).
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3. Im Hinblick auf die nur kurzzeitig, nämlich bis zum Erlass einer Baugenehmigung, geltende Verpflichtung der Antragstellerin steht der Anordnung nach § 123 VwGO auch nicht das Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache entgegen. Hinzukommt, dass durch die Aussprache der Verpflichtung zum bauaufsichtlichen Einschreiten im Wege des einstweiligen Rechtschutzes vorübergehend nur der Zustand aufrechterhalten wird, der aufgrund der Regelung des Art. 68 Abs. 6 BayBO für den Beigeladenen, solange er sich rechtstreu verhält, ohnehin besteht.
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Entsprechend war dem Antrag nur im tenorierten Umfang stattzugeben. Nicht vollständig erfolgreich sein konnte der Antrag jedoch im Hinblick auf den örtlichen Umgriff der einstweiligen Anordnung. Denn der Bevollmächtigte der Antragstellerin begehrt die Geltung der einstweiligen Anordnung für alle Grundstücke im Eigentum des Beigeladenen auf dem …-Gelände, obwohl die Baugenehmigung nur für die Grundstücke FlNr. …, … und … beantragt wurde. Wenn aber schon keine Planungen für die übrigen Grundstücke vorliegen, so besteht auch kein Anspruch auf bauaufsichtliches Einschreiten. Gleiches gilt im Übrigen für die beantragte vorläufige Nutzungsuntersagung. Durch das präventive Bauverbot ist kein Raum mehr für eine Nutzungsuntersagung.
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Soweit die Bevollmächtigten der Antragstellerin im Ergebnis eine unbefristet geltende Anordnung begehren, übersehen sie, dass die Verletzung der Planungshoheit im Wege des § 123 VwGO nur bis zu einer Entscheidung der Bauaufsichtsbehörde gesichert werden kann. Im Falle der Erteilung der Baugenehmigung wäre Rechtsschutz im Wege der Anfechtungsklage bzw. einem Antrag nach §§ 80a Abs. 3, 80 Abs. 5 VwGO zu begehren; im Falle der Ablehnung der beantragten Baugenehmigung darf davon ausgegangen werden, dass die Bauaufsichtsbehörde trotzdem stattfindende Bauarbeiten nicht tolerieren würde.
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Die Möglichkeit, die Tenorierung in das Ermessen des Gerichts zu stellen (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 938 Abs. 1 ZPO) haben die Bevollmächtigten der Antragstellerin nicht in Anspruch genommen. Vielmehr haben sie mit dem sehr detailliert formulierten Antrag die begehrten Maßnahmen konkret vorgegeben, so dass das Abweichen von dem gestellten Antrag zu einer Ablehnung im Übrigen führt.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO, § 162 Abs. 3 VwGO.
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Da der Beigeladene keinen Antrag gestellt hat, entspricht es der Billigkeit, dass er seine außergerichtlichen Kosten selbst trägt.
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6. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1 i. V. m. § 53 Abs. 2 GKG i. V. m. Ziffer 9.10 und 1.5 des Streitwertkataloges 2013 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.