Inhalt

AG Rosenheim, Urteil v. 18.10.2023 – 10 Cs 240 Js 4403/23
Titel:

Höhe des Tagessatzes bei einem vermögenslosen Empfänger von Sozialleistungen ohne Geldleistung

Normenkette:
§ 40 Abs. 2 StPO
Leitsatz:
Bei einem vermögenslosen Bezieher von Sozialleistungen, der keine Geldleistungen erhält, ist der Tagessatz einer Geldstrafe auf 1 EUR festzusetzen (Ergänzung zu OLG Dresden BeckRS 2000, 16638). (Rn. 5 – 9) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Tagessatzhöhe, Mindestsatz, Sozialleistungsempfänger, Sachleistungen, Geldleistungen
Rechtsmittelinstanzen:
LG Traunstein, Urteil vom 06.03.2024 – 9 NBs 240 Js 4403/23
BayObLG, Beschluss vom 27.05.2024 – 206 StRR 164/24
Fundstelle:
BeckRS 2023, 49172

Tenor

1. Der Angeklagte … ist schuldig des unerlaubten Aufenthaltes ohne Pass wie rechtskräftig im Strafbefehl des AG Rosenheim vom 11.05.23 festgestellt. Der Angeklagte ist durch den oben genannten Strafbefehl rechtskräftig zu einer Geldstrafe von 200 Tagessätzen verurteilt. Die Tagessatzhöhe wird auf 1 Euro festgesetzt.
2. Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Angewendete Vorschriften: §§ 3 Abs. 1, 48 Abs. 2, 95 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG

Entscheidungsgründe

abgekürzt gem. § 267 Abs. 4 StPO
I.
1
Das Amtsgericht Rosenheim hat am 11.05.2023 gegen den Angeklagten einen Strafbefehl wegen unerlaubten Aufenthalts ohne Pass erlassen und gegen ihn eine Geldstrafe in Höhe von 200 Tagessätzen zu je 5 EUR festgesetzt.
2
Gegen diesen Strafbefehl hat der Angeklagte form- und fristgerecht Einspruch eingelegt und diesen im Rahmen der Hauptverhandlung – mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft – auf die Höhe des Tagessatzes beschränkt.
II.
3
Infolge dieser nach § 410 Abs. 2 StPO zulässigen und wirksamen Einspruchsbeschränkung ist der Strafbefehl, auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, im Schuldspruch sowie hinsichtlich der Anzahl der verhängten Tagessätze rechtskräftig geworden und unterliegt insoweit nicht mehr der Überprüfung.
III.
4
Der am … geborene Angeklagte ist … Staatsangehöriger. Er lebt bereits seit dem 24.08.2015 in Deutschland, wobei sein Asylantrag rechtskräftig abgelehnt wurde. Zuletzt wurde dem Angeklagten eine Duldung nach § 60 b Abs. 1 AufenthG befristet bis 25.10.2023 erteilt. Er lebt aktuell in einer Asylunterkunft in …. Aufgrund fehlender Mitwirkung bei der Passbeschaffung werden dem Angeklagten seit 01.09.2019 keine Geldleistungen mehr ausbezahlt. Der Angeklagte erhält seitdem nur noch Warengutscheine im Wert von 184 EUR monatlich, die er lediglich gegen Lebensmittel und Dinge des täglichen Lebens eintauschen kann.
IV.
5
Die Tagessatzhöhe war gemäß § 40 Abs. 2 StPO auf 1,00 EUR festzusetzen.
6
Das Gericht hat sich bei seiner Entscheidung der in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung angeschlossen, wonach sich bei einkommensschwachen Personen wie bspw. vermögenslosen (abgelehnten) Asylbewerbern im Einzelfall die Notwendigkeit ergibt, die Höhe des sich bei strikter Anwendung des Nettoeineinkommensprinzips ergebenden Tagessatzes zu korrigieren, indem bei der Berechnung die in Form von Gutscheinen gewährten Sachbezüge generell außer Betracht bleiben (so auch OLG Dresden, Urt. v. 07.08.2000 – 1 Ss 323/00; LG Karlsruhe StV 2006, 473; LG Traunstein StV 2007, 473; LG Frankfurt/Main StV 2009, 139).
7
Dies ergibt sich aus Sicht des Gerichts bereits aus dem allseits anerkannten Grundsatz, dass einkommensschwache Personen grundsätzlich härter als Normalverdienende getroffen werden und die Gewährung einer Ratenzahlung in solchen Fällen unter Umständen keinen hinreichenden Ausgleich zu schaffen vermag. Dementsprechend verbietet sich in diesen Fällen eine strikte und schematische Anwendung des Nettoeinkommensprinzips. Vermögenslose (abgelehnte) Asylbewerber sind grundsätzlich durch ihren ausländerrechtlichen Status – wie auch im vorliegenden Fall – objektiv daran gehindert einer Arbeit nachzugehen und damit eigene Einkünfte zu erzielen. Als Empfänger von Sachleistungen sind sie jedoch vor allem grundsätzlich daran gehindert, diese zu kapitalisieren und Einsparungen vorzunehmen, um nach Beschränkung der persönlichen Bedürfnisse davon Geldzahlungen zu leisten.
8
Der in Deutschland geduldete Angeklagte lebt in einer Asylunterkunft und bezieht bereits seit 2019 keinerlei Geldleistungen mehr. Er hat zwar zuletzt monatlich Warengutscheine im Wert von 184 EUR erhalten, diese können jedoch ausschließlich für Lebensmittel und Dinge des täglichen Lebens eingetauscht werden. Weitere Einkünfte bzw. Vermögen liegen nicht vor.
9
Die Tagessatzhöhe war deshalb vorliegend auf den Mindestsatz von 1 EUR festzusetzen.
V.
10
Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 Abs. 1 StPO.