Inhalt

LG München I, Beschluss v. 29.11.2023 – 14 T 14551/23
Titel:

Rückgabe der Sicherheit wegen Wegfall des Sicherungszwecks

Normenkette:
ZPO § 109 Abs. 1
Leitsätze:
1. Ob sich der Sicherungszweck erledigt hat oder ob der Sicherungsfall eingetreten ist bzw. noch eintreten kann, ist erst mit Beendigung des Schwebezustands feststellbar, dessen Überbrückung jede Sicherheit dient. Dies erfordert immer eine Einzelfallbetrachtung. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Sicherheit des Schuldners soll zum einen einen Schaden wegen verzögerter Zwangsvollstreckung, einen sog. Verzögerungsschaden abdecken, zum anderen einen Erfüllungsschaden in Gestalt eines vollständigen oder teilweisen Ausfalls mit der vollstreckbaren Forderung und schließlich einen Kostenschaden in Gestalt eines vollständigen oder teilweisen Ausfalls mit Kostenerstattungsansprüchen, ohne dass es eines Kostenfestsetzungsbeschlusses bedarf. (Rn. 10) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Sicherheit, Rückgabe, Sicherungszweck, Wegfall, Verzögerungsschaden, Erfüllungsschaden
Fundstellen:
LSK 2023, 49119
BeckRS 2023, 49119
ZMR 2024, 487

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss der Rechtspflegerin des Amtsgerichts München vom 08.09.2023, Az. (Bl. 125/127 d.A.) wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Beschwerdewert wird auf 16.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Beklagte wendet sich mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 08.09.2023 (Bl. 128/130 der Hauptakte) gegen den Beschluss der Rechtspflegerin vom 08.09.2023, mit welchem die Rechtspflegerin ihren Antrag vom 14.08.2023, eine Frist nach § 109 Abs. 1 ZPO zur Einwilligung in die Rückgabe der von der Beklagten gemäß Endurteil des Amtsgerichts München vom 28.04.2023 geleisteten Sicherheitsleistung in Höhe von € 16.000,00 zur Abwendung der Zwangsvollstreckung gemäß Ziff. 2 des Urteils – Räumung der Wohnung zum 31.10.2023 – durch Beschluss zu setzen, zurückgewiesen hat.
2
Mit Beschluss vom 10.10.2023 (Bl. 152/152 der Hauptakte) hat die Rechtspflegerin „Der Erinnerung“ der Beklagten gegen den Beschluss vom 08.09.2023 nicht abgeholfen und die Akten der Referatsrichterin am Amtsgericht München zum Ausgangsaktenzeichen ... zur Entscheidung vorgelegt.
3
Mit Beschluss vom 20.10.2023 (Bl. 160/164 der Hauptakte) hat die Referatsrichterin am Amtsgericht München „Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin vom 08.09.2023 gegen den Beschluss der Rechtspflegerin vom 08.09.2023“ abgewiesen.
4
Nach Antrag des Beklagtenvertreters vom 26.10.2023 (Bl. 166ff. der Hauptakte) wurden die Akten dem Landgericht München I zur Entscheidung über die Beschwerde vorgelegt.
5
Mit Hinweis vom 15.11.2023 des Beschwerdegerichts vom 15.11.2023 (Bl. 19 der Beschwerdeakte) wurde das Verfahren an das Amtsgericht gesandt mit der Bitte um Klarstellung, ob die Referatsrichterin das Verfahren an sich gezogen habe und ob eine Abhilfe-/Nichtabhilfeentscheidung getroffen wurde, gegebenenfalls sei dies nachzuholen (zu den Einzelheiten wird auf die Verfügung vom 15.11.2023 Bezug genommen).
6
Mit Vermerk vom 21.11.2023 stellte die Referatsrichterin klar, dass sie das Verfahren nicht an sich gezogen habe. Mit Vermerk vom selben Tag machte die Rechtspflegerin aktenkundig, dass der Beschluss vom 10.10.2023 den Nichtabhilfebeschluss zu der sofortigen Beschwerde darstelle und dass die Rechtspflegerin lediglich das Rechtsmittel falsch bezeichnet und daher der Richterin am Amtsgericht vorgelegt habe. Die Rechtspflegerin verfügte sodann die Vorlage beim Landgericht München I.
7
Die Akte ging bei dem Beschwerdegericht am 28.11.2023 ein.
II.
8
Die gemäß § 11 Abs. 1 RPflG i. V. m. §§ 109 Abs. 4, 567 ZPO statthafte und auch ansonsten zulässige sofortige Beschwerde hat keinen Erfolg. Zu Recht hat die Rechtspflegerin dem Antrag der Beklagten nicht entsprochen. Die Voraussetzungen des § 109 Abs. 1 und 2 ZPO liegen nicht vor. Da das Landgericht eine orginäre Beschwerdeentscheidung trifft, hat es die vom Beklagten auch im Wege der hillfsweise geltend gemachten Gegedarstellung vom 26.10.2023 vorgebrachten Gründe berücksichtigt.
9
Voraussetzung für eine Anordnung nach § 109 ZPO ist der Wegfall der Veranlassung für die Sicherheitsleistung. Ob dies der Fall ist, ist nach dem jeweiligen Zweck der Sicherheitsleistung zu bestimmen (BGH NJW-RR 2006, 710, 711). Deshalb bedarf es der exakten Bestimmung, welchem Zweck die Sicherheit hat dienen sollen. Ob sich der Sicherungszweck erledigt hat oder ob der Sicherungsfall eingetreten ist bzw. noch eintreten kann, ist erst mit Beendigung des Schwebezustands feststellbar, dessen Überbrückung jede Sicherheit dient (BeckOK ZPO/Jaspersen, 50. Ed. 1.9.2023, ZPO § 109 Rn. 6). Dies erfordert immer eine Einzelfallbetrachtung. Bezieht sich der Sicherungszweck auf mehrere Ansprüche ist eine differenzierende Betrachtung erforderlich, inwieweit die Veranlassung weggefallen ist. Ist der Anspruch, der gesichert werden soll, nicht gegeben und kann er auch nicht mehr entstehen, ist der Anlass für die Sicherheit entfallen (BeckOK ZPO/Jaspersen, 50. Ed. 1.9.2023, ZPO § 109 Rn. 6). Die Veranlassung kann auch nur teilweise wegfallen (MüKoZPO/Schulz, 6. Aufl. 2020, ZPO § 109 Rn. 10).
10
Der die Zwangsvollstreckung aus einem vorläufig vollstreckbaren Titel abwehrende Sicherungsgeber (= Schuldner) will den vollstreckenden Sicherungsnehmer (= Gläubiger) für den Fall absichern, dass sich eine Zwangsvollstreckung verzögert oder eine spätere Zwangsvollstreckung erfolglos bleibt. Die Sicherheit des Schuldners soll zum einen einen Schaden wegen verzögerter Zwangsvollstreckung, einen sog. Verzögerungsschaden abdecken, zum anderen einen Erfüllungsschaden in Gestalt eines vollständigen oder teilweisen Ausfalls mit der vollstreckbaren Forderung und schließlich einen Kostenschaden in Gestalt eines vollständigen oder teilweisen Ausfalls mit Kostenerstattungsansprüchen, ohne dass es eines Kostenfestsetzungsbeschlusses bedarf (BeckOK ZPO/Jaspersen, 50. Ed. 1.9.2023, ZPO § 109 Rn. 9).
11
Hiervon ausgehend ist im Streitfall der Anlass für die Sicherheitsleistung der Beklagten nicht weggefallen, auch nicht teilweise, so dass auch der Hilfsantrag keinen Erfolg hat.
12
1. Die Beklagte war durch Endurteil des Amtsgerichts München vom 24.04.2023, Az. ... zur Räumung und Herausgabe der Wohnung in der ... (... nebst Hobbyraum, Abstellraum und TG-Stellplatz verurteilt worden. Der Beklagte war eine Räumungsfrist bis 31.10.2023 gewährt worden. Das Gericht hatte weiter u.a. ausgesprochen, dass die Beklagte die Vollstreckung durch die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 16.000,00 € abwenden könne, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leiste.
13
Die Beklagte erbrachte die angegebene Sicherheitsleistung durch Hinterlegung.
14
Gegen das Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt, die vor dem Landgericht München I unter dem Az. ... geführt wird. Mit der Berufungsbegründung vom 13.07.2023 begehrte die Beklagte die Abänderung des erstinstanzlichen Urteils dahingehend, dass die Klage abgewiesen werde.
15
Nachdem am 31.07.2023 die Beklagte die Wohnung an die Klägerin herausgegeben hatte, erklärte die Klägerin mit Schriftsatz vom 02.08.2023 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.
16
Die Beklagtenpartei schloss sich der Erledigkterklärung nicht an. Sie ist der Ansicht, die einseitige Erledigungserklärung der Klägerin/Berufungsbeklagten sei nach herrschender Meinung wirkungslos. Über den Streitgegenstand könne im Berufungsverfahren nicht die Klägerin als Berufungsbeklagte entscheiden, sondern ausschließlich die rechtsmittelführende Beklagte als Berufungsklägerin.
17
Mit Schriftsatz vom 24.08.2023 beantragte die Kläger im Berufungsverfahren daraufhin festzustellen, dass der Rechtsstreit erledigt ist.
18
Die Beklagte hält den Anlass für die Sicherheitsleistung der Beklagten für weggefallen. Sie meint, der Klägerin habe angesichts der zeitigen Rückgabe bereits zum 31.07.2023, somit vor Ablauf der Räumungsfrist, überhaupt kein Schaden entstehen können. Zudem habe die Klägerin noch vor der Übergabe der Wohnung die Mietsicherheit/ Bürgschaft in Anspruch genommen und diese am 18.09.2023 in Höhe von 11.700,00 € ausbezahlt erhalten. Sie habe aber bis heute weder ihre – vermeintlichen – Ansprüche dargelegt noch beziffert. Die Mietsicherheit würde jedoch auch die Kosten der Rechtsverfolgung umfassen. Somit verfüge die Klägerin unstreitig über diese ausbezahlte Sicherheit, dennoch blockiere das Amtsgericht einen Betrag in Höhe von 16.000,00 €. Letztlich, so die Beklagte, sei nicht erkennbar, welche Schäden die Klägerin erleiden solle, denn die Verfahrenskosten seien gedeckt durch den Rechtsschutzversicherer, darüber hinaus durch die Mietsicherheit in Höhe von 11.700,00 €. Die Wohnung sei nicht nur durch Rückgabe der Schlüssel herausgegeben worden, sie sei auch vollständig geräumt gewesen. Zudem sei die Wohnung ab dem 01.10.2023 durch die Klägerin weitervermietet worden, irgendwelche Ansprüche seien nicht geltend gemacht worden.
19
2. Zweck der Sicherheitsleistung ist vorliegend zum einen, dass die von der Beklagten als Mieterin gem. § 711 S. 1ZPO geleistete Sicherheit auch etwaige Nutzungsentschädigungsansprüche wegen einer verzögerten Rückgabe der Wohnung abdeckt (KG MDR 2010, 1016). Insoweit ist vom Beklagten zutreffend angeführt, dass hierfür angesichts der zeitigen Rückgabe der Mietsache weit vor Ablauf der Räumungsfrist und infolge der Weitervermietung bereits ab dem 01.10.2023 kein Sicherungsbedürfnis besteht. Allerdings erschöpft sich der Zweck der Sicherheitsleistung auch im Rahmen der Räumungsvollstreckung hierin nicht, er umfasst insbesondere auch einen möglichen Kostenschaden. Die Mietsicherheit deckt diesen nicht sicher ab, da die Mietsicherheit auch vorliegend weitere Sicherungszwecke verfolgt und überdies Abrechnungsreife noch gar nicht eingetreten ist.
20
Unterstellt man eine vollständige Räumung und Herausgabe der Mietsache zum 31.07.2023, war, entgegen der Ansicht der Beklagten, die Klägerin nicht gehalten, bis dato über die Mietsicherheit abzurechnen. Die von der Beklagten zitierte Rechtsprechung des OLG Köln. ZMR 1998, 345 ist überholt. Nach aktueller BGH-Rechtsprechung wird der Anspruch eines Mieters auf Rückgabe einer Mietsicherheit erst fällig, wenn eine angemessene Überlegungsfrist abgelaufen ist und dem Vermieter keine Forderungen aus dem Mietverhältnis mehr zustehen, wegen derer er sich aus der Sicherheit befriedigen darf (BGH VIII ZR 263/14 = NJW 2016, 3231). Mit starren Fristen ist diese Rechtsprechung nicht mehr in Einklang zu bringen, wie der BGH mit Urteil vom Urteil vom 24.7.2019 – VIII ZR 141/17 nochmals klar gestellt hat. Eine Abrechnung in weniger als 5 Monaten ist daher grundsätzlich nicht geschuldet.
21
Die Mietkaution dient vorrangig der Sicherung von rückständigen Mietzahlungsansprüchen, von Ansprüchen auf Nutzungsentschädigung (§ 546 a BGB), Schadensersatzansprüchen sowie von Betriebskostennachforderungen, selbst wenn diese bei Beendigung des Mietverhältnisses noch nicht fällig sind (Hinz, NZM 2019, 76, 78). Ob dagegen die Sicherungsabrede auch die Kosten der Rechtsverfolgung abdeckt, ist sehr umstritten (Hinz, NZM 2019, 76, 78 m.w.N.). Selbst wenn man dieser Ansicht wäre, würden sich allein die Kosten der Rechtsverfolgung für zwei Instanzen bei einem Streitwert von 46.800,00 € auf ca. 10.000 € belaufen. Dass die Beklagte eine Deckungszusage hat, betrifft nur ihr Innenverhältnis mit dem Versicherer, es hat auf das Sicherungsbedürfnis der Klägerin keinen unmittelbaren Einfluss.
22
Somit steht bislang nicht fest, ob die Mietsicherheit anspruchsdeckend ist oder nicht, vor allem auch, da die Klagepartei, zuletzt mit Schriftsatz vom 25.09.2023 erhebliche Schäden und Eingriffe am Mietobjekt behauptet hat.
23
Der Sicherungszweck hat sich damit nicht erledigt.
24
Ob, wie beklagtenseits behauptet, die Erledigterklärung rechtlich tatsächlich wirkungslos war, kann vorliegend dahinstehen, denn dieser Umstand ist für das Beschwerdeverfahren nicht relevant.
25
Der Beschwerde muss somit der Erfolg versagt bleiben.
III.
26
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO; Für das Beschwerdeverfahren fällt bei Verwerfung oder Zurückweisung der Beschwerde eine Festgebühr von 66 Euro an (V 1812 GKG). Im Beschwerdeverfahren beträgt die Verfahrensgebühr 0,5 (VV 3500 RVG; vgl. MüKoZPO/Schulz, 6. Aufl. 2020, ZPO § 109 Rn. 48).
27
Für den Streitwert ist der Wert der Sicherheit und nicht derjenige des Streitgegenstandes der Hauptsache maßgebend (MüKoZPO/Schulz, 6. Aufl. 2020, ZPO § 109 Rn. 48).
28
Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 und 3 ZPO nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts. gez.