Inhalt

OLG Bamberg, Hinweisbeschluss v. 11.08.2023 – 1 U 71/23 e
Titel:

Schmerzensgeldregelung in der Fahrerschutzversicherung

Normenketten:
BGB § 305c, § 307 Abs. 1, Abs. 2
AKB A.4.1
Leitsätze:
1. Eine Regelung in den Bedingungen einer Fahrerschutzversicherung, wonach der Versicherer ein Schmerzensgeld "nur bei einem Krankenhausaufenthalt von mindestens 3 aufeinanderfolgenden Tagen innerhalb von 6 Monaten nach dem Unfall" leistet, stellt allein auf die Kalendertage ab, sodass auch angebrochene Tage (sowohl bei der Aufnahme als auch bei der Entlassung) zu berücksichtigen sind. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine derartige Regelung enthält weder für den Versicherungsnehmer einen Überraschungseffekt (Rn. 5 – 11) noch eine unangemessene Benachteiligung (Rn. 21); sie ist auch nicht intransparent. (Rn. 12 – 20) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fahrerschutzversicherung, Schmerzensgeld, Inhaltskontrolle, Intransparenz
Vorinstanz:
LG Coburg, Schlussurteil vom 29.03.2023 – 13 O 556/22
Rechtsmittelinstanz:
OLG Bamberg, Beschluss vom 25.08.2023 – 1 U 71/23 e
Fundstelle:
BeckRS 2023, 48978

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gegen das Endurteil des Landgerichts Coburg vom 29.03.2023, Az. 13 O 556/22, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 8.000,00 € festzusetzen.
2. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 07.09.2023.

Entscheidungsgründe

1
Der Senat ist davon überzeugt, dass der Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts Coburg vom 29.03.2023, Az. 13 O 556/22, offensichtlich im Sinne des § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO die Erfolgsaussicht fehlt und auch die weiteren Voraussetzungen für eine Entscheidung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO vorliegen. Der Senat beabsichtigt deshalb, die Berufung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen. Gemäß § 522 Abs. 2 Satz 3 ZPO weist der Senat die Klägerin auf die beabsichtigte Entscheidung hin und gibt ihr zugleich Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu und zur beabsichtigten Festsetzung des Berufungsstreitwerts.
I.
2
Das Landgericht hat nach Überzeugung des Senats auch unter Berücksichtigung des Berufungsvorbringens zutreffend entschieden, dass der Klägerin kein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes aus der mit der Beklagten abgeschlossenen Fahrerschutzversicherung zusteht, da die streitgegenständliche Regelung in den Versicherungsbedingungen nicht unwirksam ist.
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Der Senat nimmt zunächst vollumfänglich auf die überzeugenden Urteilsgründe (insb. LGU S. 5 ff.) Bezug. Im Hinblick auf das Berufungsvorbringen sind lediglich folgende, ergänzende Ausführungen veranlasst:
4
Das Landgericht hat zutreffend erkannt, dass die in Punkt A.4.1. der AKB (vgl. Anlage B 3) enthaltene Regelung, wonach Schmerzensgeld erst „bei einem stationären Krankenhausaufenthalt von mindestens 3 aufeinanderfolgenden Tagen innerhalb von 6 Monaten nach dem Unfall“ geleistet wird, wirksam ist.
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1. Entgegen der Ansicht der Berufung (vgl. Berufungsbegründung S. 2 f.) handelt es sich vorliegend nicht um eine überraschende Klausel i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB.
6
a) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen kann.
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Ein Überraschungseffekt im Sinne von § 305 c BGB kann sich dabei auch aus der Stellung der Klausel im Gesamtwerk der allgemeinen Geschäftsbedingungen ergeben, wenn diese in einem systematischen Zusammenhang steht, in dem der Vertragspartner sie nicht zu erwarten braucht (vgl. BGH, Urteil vom 21.07.2010, Az. XII ZR 189/08, Rn. 27, juris).
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b) Dies zugrunde gelegt, ist die Regelung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer nicht überraschend i.S.d. § 305c Abs. 1 BGB.
9
Zwar ist der Berufungsbegründung noch zuzugestehen, dass die Regelung unter dem Punkt „Was ist versichert“ aufgeführt wird und nicht erst unter dem Punkt A.4.8. der AKB, welcher regelt, wann der Versicherungsschutz nicht oder nur teilweise greift.
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Allerdings folgt die in Streit stehende Regelung unmittelbar den Aufzählungspunkten zum umfassten Versicherungsschutz als direkte Einschränkung zum Aufzählungspunkt „Schmerzensgeld“.
11
Bei aufmerksamer Durchsicht der umfassten Punkte wird ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer diese Einschränkung folglich sofort in den Blick nehmen. Die vorliegende Platzierung ist zur Information des Versicherungsnehmers daher nach Auffassung des Senats sogar besser geeignet, als wenn dies in einem eigenen Punkt erfolgt wäre (wie hier zudem noch auf einer anderen Seite). Unabhängig davon, ob es sich bei der Regelung um einen Ausschluss oder eine Spezifizierung der Hauptleistungspflicht handelt, war diese jedenfalls nicht an einer Stelle platziert, an welcher der durchschnittliche Versicherungsnehmer sie nicht zu erwarten brauchte.
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2. Die Klausel ist entgegen dem Berufungsvorbringen (vgl. S. 4 der Berufungsbegründung) auch nicht intransparent und mithin nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam.
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a) Nach dem Transparenzgebot ist der Verwender von Allgemeinen Versicherungsbedingungen entsprechend den Grundsätzen von Treu und Glauben gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass eine Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben auch, dass sie die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen so weit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 31.03.2021, Az. IV ZR 221/19, r+s 2021, 325 Rn. 67 mwN).
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Das Transparenzgebot verlangt ferner, dass Allgemeine Versicherungsbedingungen dem Versicherungsnehmer bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses vor Augen führen, in welchem Umfang er Versicherungsschutz erlangt und welche Umstände seinen Versicherungsschutz gefährden. Nur dann kann er die Entscheidung treffen, ob er den angebotenen Versicherungsschutz nimmt oder nicht. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer braucht nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht mit Lücken im Versicherungsschutz zu rechnen, ohne dass eine Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 14.07.2021, Az. I-20 U 26/21, Rn. 49, juris m.w.N.; OLG Koblenz, Urteil vom 28.07.2021, Az. 10 U 259/21, Rn. 46, juris).
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Die Anforderungen an das Transparenzgebot dürfen jedoch auch nicht überspannt werden und es bleibt dem Versicherungsnehmer nicht jegliches Nachdenken erspart, da überspannte Anforderungen an die Transparenz wiederum letztlich wieder zur Intransparenz führen müssten (vgl. BGH, Urteil vom 23.02.2005, Az. IV ZR 273/03, BGHZ 162, 210-218, Rn. 15, juris; Günther, VersR 2021, 1141, 1143).
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b) Die streitgegenständliche Klausel genügt aus Sicht des Senats den eben dargestellten Anforderungen.
17
Durch die streitgegenständliche Klausel wird dem Versicherungsnehmer klar vor Augen geführt, dass ein Schmerzensgeldanspruch nur bei einem Krankenhausaufenthalt ab einer gewissen Dauer vom Versicherungsschutz umfasst ist (so auch mit umfassender Begründung: LG Trier, Urteil vom 18.01.2022, Az. 6 O 122/21, Rn. 43, bestätigt durch Beschlüsse des OLG Koblenz, Beschluss vom 10.03.2022 (Hinweis) und vom 05.04.2022 (Zurückweisungsbeschluss), Az. 12 U 219/22, alle juris). Durch den Aufbau dieser Klauseln hat die Beklagte ein Regelungsgefüge geschaffen, durch welches ein verständiger Versicherungsnehmer ohne Weiteres den (beschränkten) Umfang des Leistungsversprechens des Versicherers wahrnehmen kann. Diese Prüfung können auch geschäftsunerfahrene Versicherungsnehmer unschwer und ohne größeren Aufwand vornehmen (LG Trier a.a.O., Rn. 39).
18
Nach Ansicht des Senats ergeben sich auch nicht die von der Berufungsbegründung vorgebrachten Zweifel hinsichtlich des Wortlauts „3 aufeinanderfolgenden Tagen“. Dass der Anspruch erst ab einer Krankenhausaufenhaltsdauer von mindestens 72 Stunden besteht, wird ein durschnittlícher Versicherungsnehmer dem Wortlaut nicht entnehmen, sondern vielmehr zutreffend erkennen, dass nach dem Wortlaut allein auf die Kalendertage abgestellt wird, daher auch angebrochene Tage (sowohl bei der Aufnahme als auch bei der Entlassung) zu berücksichtigen sind.
19
Allein der Umstand, dass man die Klausel noch klarer hätte fassen können, reicht für die Annahme einer Verletzung des Transparenzgebots nicht aus (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 28.07.2021, Az. 10 U 259/21, Rn. 48, juris; LG Trier a.a.O., Rn. 42).
20
c) Selbst wenn man der Argumentation der Berufungsbegründung folgen möchte, dass die beiden beschriebenen Auslegungsmöglichkeiten bestehen, würde dies nicht zur Unwirksamkeit der Klausel, sondern lediglich zur Anwendung des § 305c Abs. 2 BGB mit der Maßgabe führen, dass die für den Versicherungsnehmer günstigere Auslegung gelten würde (nachdem im Übrigen beide Auslegungen für sich genommen wirksam wären; vgl. hierzu auchMüKoBGB/Fornasier, 9. Aufl. 2022, BGB § 305c Rn. 50).
21
3. Soweit das Landgericht daneben zutreffend erkannt hat, dass die Klausel auch nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB führt (vgl. LGU S. 6 f.), greift die Berufung die Entscheidung nicht an, weshalb sich weitere Ausführungen des Senats erübrigen. Gleiches gilt zur getroffenen Kostenentscheidung (vgl. LGU S. 7 f.).
22
4. Wie das Landgericht (vgl. LGU S. 5) kann es nach alledem auch der Senat dahinstehen lassen, ob die streitgegenständliche Regelung lediglich eine Konkretisierung der Hauptleistungspflicht vornimmt und überhaupt einer Inhalts- und Transparenzkontrolle nach § 307 BGB unterliegt. Die Ausführungen auf S. 3 der Berufungsbegründung hierzu sind folglich nicht streitentscheidend.
23
Nach alledem fehlt der Berufung offensichtlich die Erfolgsaussicht und sie wird zurückzuweisen sein.
II.
24
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (vgl. § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO) liegen nicht vor. Über klärungsfähige und -bedürftige Rechtsfragen hat der Senat nicht zu befinden. Er beabsichtigt eine einzelfallbezogene Entscheidung auf der Grundlage der nach gesicherter höchstrichterlicher Rechtsprechung berufungsrechtlich nicht zu beanstandenden erstinstanzlichen Feststellungen. Im Übrigen befindet sich die beabsichtigte Entscheidung im Einklang mit der Auffassung des OLG Koblenz (s.o.).
25
Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten (vgl. § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO). Anhaltspunkte dafür, dass in einer solchen neue, im Berufungsverfahren zuzulassende Erkenntnisse gewonnen werden könnten, die zu einer anderen Beurteilung führten, bestehen nicht. Der Senat regt daher an, zur Vermeidung von Kosten die aussichtslose Berufung innerhalb offener Stellungnahmefrist zurückzunehmen – auch im Hinblick auf die fehlende Rechtsmittelfähigkeit gegen die zu treffende Entscheidung –, und weist in diesem Zusammenhang auf die in Betracht kommende Gerichtsgebührenermäßigung (KV Nr. 1220, 1222) hin.
III.
26
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird in Anwendung von § 47 Abs. 1 i.V.m. § 48 Abs. 1 GKG, § 3 ZPO zu bestimmen sein. Hierfür wird ergänzend auf die Angaben in der Klageschrift vom 27.10.2023 (dort S. 4) Bezug genommen.