Titel:
Schmerzensgeldregelung in der Fahrerschutzversicherung
Normenketten:
BGB § 253, § 307 Abs. 1, Abs. 2
AKB A.4.1
Leitsatz:
Eine Klausel in den Bedingungen einer Fahrerschutzversicherung, wonach ein Anspruch auf Schmerzensgeld nur bei einem Krankenhausaufenthalt von mindestens drei Tagen innerhalb von sechs Monaten nach dem Unfall besteht, verstößt nicht gegen das Transparenzgebot und beinhaltet auch keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers (Anschluss an LG Trier BeckRS 2022, 38433). (Rn. 20 – 26) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Fahrerschutzversicherung, Schmerzensgeld, Transparenzgebot, unangemessene Benachteiligung
Rechtsmittelinstanzen:
OLG Bamberg, Hinweisbeschluss vom 11.08.2023 – 1 U 71/23 e
OLG Bamberg, Beschluss vom 25.08.2023 – 1 U 71/23 e
Fundstelle:
BeckRS 2023, 48967
Tenor
1. Die Klage wird, soweit über sie nicht durch Teilurteil vom 12.12.2022 entschieden wurde, abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 8.000,00 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klägerin macht gegen die Beklagte einen Feststellungsanspruch für materielle wie immaterielle Schäden aus einer Fahrerschutzversicherung geltend.
2
Die Klägerin unterhielt bei der Beklagten eine Kraftfahrtversicherung für den Pkw mit amtlichem Kennzeichen … die u.a. eine Fahrerschutzversicherung beinhaltete. Dem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB) der Beklagten zugrunde.
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In den AKB der Beklagten befindet sich unter Punkt A.4.1.1 folgende Regelungen:
„„Stößt dem Fahrer beim Lenken des versicherten Fahrzeugs ein Unfall zu und wird er hierdurch verletzt oder getötet, ersetzen wir seinen unfallbedingten Personenschaden so, als ob wir für diesen Schaden in der Kfz-Haftpflichtversicherung nach A. 1.1.1 eintrittspflichtig wären. Auf der Grundlage gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen des Privatrechts erstatten wir insbesondere:
Schmerzensgeld leisten wir jedoch nur bei einem Krankenhausaufenthalt von mindestens 3 Tagen innerhalb von 6 Monaten nach dem Unfall. […]“
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Hinsichtlich des weiteren Inhalts wird auf die AKB der Beklagten verwiesen (Anlage B3).
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Am 28.04.2020 geriet die Tochter der Klägerin mit dem PKW der Klägerin in einen Auffahrunfall. Der Unfall wurde durch die Tochter allein verschuldet. Diese erlitt hierdurch eine Brustbeinfraktur und wurde einen Tag stationär im Krankenhaus behandelt.
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Mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten vom 21.08.2020 meldete der Bevollmächtigte der Klägerin erstmals Ansprüche, insbesondere einen Schmerzensgeldanspruch, aus der Fahrerversicherung bei der Beklagten an. Es folgte weiterer Schriftverkehr, ohne dass die Beklagte Zahlungen an die Klägerin leistete.
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Die Beklagte lehnte mit zuletzt Schreiben vom 16.07.2021 (Anlage B2) die Erstattung eines Schmerzensgeldes ab, wobei sie weiter ausführte:
„Wir möchten aber noch klarstellen, dass lediglich der Anspruch auf Schmerzensgeld nicht besteht. Unfallbedingte materielle Ansprüche werden übernommen, soweit diese nicht von anderer Seite, z.B. einem Sozialversicherungsträger, der privaten Krankenversicherung, einem Arbeitgeber etc. übernommen werden.“
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Die Klägerin behauptet, die Beklagte hafte aus der Fahrerschutzversicherung nach Punkt A.4 der AKB der Klägerin für ein Schmerzensgeld. Aufgrund der erlittenen Verletzung sowie nicht abzuschätzender Folgen für die berufliche Zukunft der Tochter der Klägerin bestehe ein Interesse an der Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten. Die Klausel in Punkt 4.1.1 S. 3 der AKB sei zu unbestimmt und instransparent, widerspreche daher der Vorschrift des § 307 Abs. 2 Ziffer 1 BGB und sei somit unwirksam. Zudem sei sie überraschend und benachteiligend.
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Die Beklagte hat mit Schreiben vom 08.12.2022 den Antrag sofort anerkannt, soweit es um materielle Ansprüche aus dem Unfall am 28.04.2020 ging.
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Das Gericht hat sodann Teil-Anerkenntnisurteil vom 12.12.2022 erlassen. Die Klägerin verfolgt ihren Antrag aus der Klageschrift weiter.
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Die Klägerin beantragt zuletzt,
1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, den materiellen und immateriellen Personenschaden der Tochter der Klägerin, … den diese anlässlich des Verkehrsunfalles vom 28.04.2020 erlitten hat, zu ersetzen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
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Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen, soweit der Anspruch nicht anerkannt wurde.
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Die Beklagte meint, über die anerkannte Feststellung hinaus stünde der Klägerin kein weiterer Anspruch zu. Insbesondere lägen die Voraussetzungen zur Gewährung eines Schmerzensgeldes nach A.4.1 der AKB mangels einer Krankenhausbehandlung von drei Tagen Dauer nicht vor. Die Regelung in A.4.1 der AKB sei wirksam. Sie unterliege bereits keiner Kontrolle nach § 307 BGB, jedenfalls sei sie aber auch bei einer Anwendbarkeit dieser Vorschriften wirksam. Die Klausel in A.4.1 der AKB weiche auch nicht von einer gesetzlichen Regelung ab. Die Klägerin könne daher nur Ersatz der materiellen Schäden verlangen, wofür die Beklagte ein sofortiges Anerkenntnis abgegeben habe. Die Klägerin habe daher insgesamt die Kosten des Verfahrens zu tragen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 22.03.2023 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist nur begründet, soweit über sie bereits ein Teilurteil erging. Der Klägerin steht zwar ein Anspruch auf Ersatz etwaiger materieller Schäden, nicht jedoch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes aus der mit der Beklagten abgeschlossenen Fahrerschutzversicherung zu.
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Die Zuständigkeit des Landgerichts Coburg beruht auf §§ 23, 71 GVG, 12, 17 ZPO. Das notwendige Feststellungsinteresse der Klägerin, § 256 Abs. 1 ZPO, liegt vor. Ausweislich der informatorischen Anhörung der Klägerin leidet ihre Tochter nach wie vor unter Unfallfolgen, sodass zukünftige Schäden nicht ausgeschlossen werden können.
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Der eingeklagte Feststellungsanspruch der Klägerin über den im Teil-Anerkennntisurteil tenorierten Umfang hinaus steht ihr nicht zu, da die Voraussetzungen nach Ziffer A.4.1 AKB für einen Anspruch für immaterielle Schäden, d.h. Schmerzensgeld, nicht erfüllt sind.
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1. Nach A.4.1 S. 1 der AKB erstattet die Beklagte den unfallbedingten Personenschaden, wenn dem Fahrer beim Gebrauch des versicherten Fahrzeugs ein Unfall zustößt und er hierdurch verletzt wird. Schmerzensgeld leistet die Beklagte nach A.4.1 S. 3 der AKB jedoch nur bei einem Krankenhausaufenthalt von mindestens 3 Tagen innerhalb von 6 Monaten nach dem Unfall. Die Leistungsvoraussetzungen gemäß A.4.1 der AKB liegen mangels eines Krankenhausaufenthaltes in ausreichender Dauer nicht vor.
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2. Die zuständige Einzelrichterin hat keine Zweifel an der Wirksamkeit der betreffenden AKB-Klausel, weshalb letztlich offenbleiben konnte, ob diese überhaupt – entgegen der Ansicht der Beklagten – einer Inhalts- und Transparenzkontrolle nach § 307 BGB unterliegt.
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a) Sie verstößt nicht gegen das in § 307 Abs. 1 S. 2 BGB normierte Transparenzgebot. Nach dem Transparenzgebot ist der Verwender Allgemeiner Versicherungsbedingungen entsprechend den Grundsätzen von Treu und Glauben gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Dabei kommt es nicht nur darauf an, dass eine Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben auch, dass sie die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (BGH, Urt. v. 04.07.2018 – IV ZR 200/16 – juris Rn. 25).
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Die streitgegenständliche Klausel genügt diesen Anforderungen. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird sich zunächst am Wortlaut von A.4.1 der AKB orientieren und den zunächst beschriebenen Versicherungsumfang zur Kenntnis nehmen, der bestimmt, dass der Versicherer unfallbedingten Personenschaden, insbesondere Schmerzensgeld, ersetzt. A.4.1 S. 3 der AKB nimmt dann das Leistungsversprechen der Beklagten im Hinblick auf das Schmerzensgeld auf und knüpft die Zahlung von Schmerzensgeld an die Voraussetzung eines „Krankenhausaufenthalt[s] von mindestens 3 Tagen innerhalb von 6 Monaten nach dem Unfall“.
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Durch den Aufbau dieser Klauseln hat die Beklagte ein Regelungsgefüge geschaffen, durch welches ein verständiger Versicherungsnehmer ohne Weiteres den (beschränkten) Umfang des Leistungsversprechens des Versicherers wahrnehmen kann. Diese Prüfung können auch geschäftsunerfahrene Versicherungsnehmer unschwer und ohne größeren Aufwand vornehmen.
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Bereits durch den Wortlaut von A.4.1 S. 3 der AKB wird hinreichend deutlich, dass die Zahlung eines Schmerzensgeldes von einem Krankenhausaufenthalt von einer bestimmten Mindestdauer des verunfallten Fahrers abhängt.
24
Durch die Klausel wird dem Versicherungsnehmer klar vor Augen geführt, dass ein Schmerzensgeldanspruch nur bei einem Krankenhausaufenthalt vom Versicherungsschutz umfasst ist. Die streitgegenständliche Klausel A.4.1 S. 3 der AKB stellt bereits keine zur Intransparenz führende Einschränkung des in A.4.1 S. 1 und 2 der AKB dargelegten Versicherungsumfangs dar. Vielmehr definiert die Regelung den Versicherungsfall konkret und regelt damit überhaupt erst den eigentlichen Umfang der Leistungspflicht. Um eine Ausschlussklausel handelt es sich entgegen der Ansicht der Klägerin nicht. Auch ist die Klausel nicht dahingehend missverständlich formuliert, dass sonstige Schäden, wie etwa Haushaltsführungsschäden, ausweislich Ziffer A.4.1 optisch abgesetzt vom Schmerzensgeld behandelt werden. Die Schmerzensgeldklausel findet sich nach den Aufzählungen. Für einen durchschnittlichen Leser ergibt sich dabei eindeutig, welche Voraussetzungen für welchen Anspruch vorliegen müssen.
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b) Die in Rede stehenden Klausel A.4.1 der AKB führt auch nicht zu einer unangemessenen Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 S. 1 BGB i.V.m. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Die Regelung benachteiligt den Versicherungsnehmer nicht unangemessen entgegen den Geboten von Treu und Glauben.
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Eine unangemessene Benachteiligung ist nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 im Zweifel anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Das wäre insbesondere anzunehmen, wenn ein an einen Krankenhausaufenthalt anknüpfender Schmerzensgeldanspruch bzw. Versicherungsschutz mit wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren wäre. Dies ist entgegen der Ansicht der Klägerin indes nicht der Fall. Das Leistungsversprechen des Versicherers in der Fahrerschutzversicherung aufgrund des Unfalltodes eines berechtigten Fahrers ist gesetzlich nicht geregelt. Die Leistung aus der Fahrerschutzversicherung hat ihre Grundlage in dem Versicherungsvertrag. Die Voraussetzung für eine Leistung aus der Versicherung ergeben sich aus dem Versicherungsvertrag, insbesondere aus den AKB. Eine gesetzliche Grundlage kann insbesondere nicht in dem § 253 BGB gesehen werden, da der Schutzzweck des § 253 BGB nicht darin liegt, den Versicherungsnehmer bzw. versicherten Fahrer einen Schmerzensgeldanspruch für den Fall zu gewähren, dass dem Geschädigten bei einem Unfall kein deckungsgleicher Anspruch gegen einen Dritten zusteht. Vielmehr stellt § 253 BGB einen Ausnahmetatbestand dar, nach dem auch für immaterielle Schäden eine billige Entschädigung in Geld gefordert werden kann. § 253 Abs. 1 BGB begrenzt die Ersatzpflicht auf die gesetzlich bestimmten Fälle. Dagegen normiert § 253 Abs. 2 BGB zusätzliche Rechtsgutsverletzungen, die eine Ersatzpflicht begründen können. § 253 Abs. 2 BGB stellt jedoch keine eigenständige Anspruchsgrundlage dar, sondern bezieht sich auf den Haftungsumfang (Spindler, in Hau/Poseck, BeckOK BGB, 60. Ed. St. 01.11.2021, § 253 Rn. 8). Allein die Tatsache, dass sich auch aus einer gesetzlich begründeten Haftung ein Anspruch auf Schmerzensgeld ergeben kann, ist kein Grund dafür, die Voraussetzungen für einen auf gesetzlicher Basis geschuldetes Schmerzensgeld auf einen rein vertraglich bestehenden Anspruch zu übertragen. Das der streitgegenständlichen Klausel zugrundeliegende Verständnis, dass nur Krankenhausaufenthalt Versicherungsschutz in Form eines Schmerzensgeldes gewährt wird, läuft daher auch nicht dem Schutzzweck des § 253 BGB zuwider (vgl. hierzu die ausführliche Begründung des LG Trier, Urteil vom 18.01.2022, Az. 6 O 122/21, zitiert nach juris, denen sich die zuständige Einzelrichterin vollumfänglich anschließt).
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 93 ZPO. Nach der Überzeugung des Gerichts konnte die Beklagte ein sofortiges Anerkenntnis mit der Kostenfolge des § 93 ZPO abgeben, da die Beklagte durch ihr Verhalten keine Veranlassung zur Klage gegeben hat. Zum einen konnte die Beklagte noch im Rahmen der Klageerwiderungsfrist sofort anerkennen, da in der Verteidigungsanzeige ausdrücklich noch keine Antragstellung erfolgte (vgl. BeckOK ZPO/Jaspersen, 47. Ed. 1.12.2022, ZPO § 93 Rn. 98).
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Auch aus dem vorgelegten vorgerichtlichen Schriftverkehr zwischen den Parteien ergibt sich keine andere Wertung. Ausweislich der vorgelegten Anlage B2, die das letzte Schreiben der Beklagten darstellt, hat diese ausdrücklich darauf hingewiesen, dass lediglich keine Schmerzensgeldansprüche bestehen, weitere Schäden jedoch ersetzt werden, sofern keine Ansprüche gegenüber Dritten bestehen. Weitere Einschränkungen erfolgten nicht. Der Antrag der Klägerin war daher bezüglich der materiellen Ansprüche, welche von Beklagtenseite dem Grunde nach anerkannt worden waren, nicht notwendig (vgl. OLG Karlsruhe Beschl. v. 22.3.2016 – 9 W 9/16, BeckRS 2016, 16827; MüKoZPO/Schulz, 6. Aufl. 2020, ZPO § 93 Rn. 7).
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Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1, 2 ZPO.