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AG München, Endurteil v. 02.08.2023 – 132 C 230/23
Titel:

Kein Schadensersatz für Reiseabbruch nach behaupteter Magen-Darm-Erkrankung

Normenkette:
BGB § 651n Abs. 1
Leitsätze:
1. Der Verursachungszusammenhang zwischen Reisemangel und Schaden darf nicht nur zu vermuten sein, er muss sich mit Sicherheit zweifelsfrei ergeben. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Vielzahl von Magen-Darm-Erkrankungen beruht nicht auf kontaminiertem Essen, sondern auf Schmier- oder Tröpfcheninfektionen, bei denen an kleinen, auch aerosolen Partikeln Krankheitserreger anhaften und so die Erkrankung über Kontaktflächen oder schlicht räumliche Nähe zu anderen Gästen und deren Ein- und Ausatmen, Husten, Gesprächen oder Lachen übertragen wird. (Rn. 17) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Anzeige eines Reisemangels muss gegenüber dem Reiseveranstalter und damit gegenüber einem für diesen vor Ort tätigen Reiseleiter erfolgen, eine Anzeige allein gegenüber dem Hotel als Leistungserbringer genügt nicht. (Rn. 21) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Reisemangel, Hygiene, Essen, Magen-Darm-Erkrankung, Kausalität, Verursachung, Anzeige
Fundstellen:
ReiseRFD 2024, 274
BeckRS 2023, 48839
LSK 2023, 48839

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert wird auf 3.752,57 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Der Kläger macht Mangelrechte aus einem Reisvertrag gegen die Beklagte geltend.
2
Der Kläger hatte für sich, seine Ehefrau und seine beiden Kinder bei der Beklagten, genauer bei der 5… GmbH, die inzwischen mit der Beklagten verschmolzen ist, eine Pauschalreise vom 03.07.2022 bis zum 10.07.2022 nach Antalya gebucht, zu einem Reisepreis von 3.2922 Euro. Gebuchtes Hotel war das R… Hotel.
3
Der Kläger brach mit seiner Familie am 08.07.2022 die Reise ab. Er mandatierte einen Anwalt, weil seine Familie während der Reise erkrankt sei. Dabei führte er das Auftreten der Erkrankung auf unzureichende Hygiene im Hotel zurück. Ein anwaltliches Forderungsschreiben vom 15.07.2022 blieb ohne Begleichung der erhobenen Forderung.
4
Daraufhin macht der Kläger mit Schriftsatz vom 03.01.2023 Klage anhängig.
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Schon kurz nach Anreise habe der Kläger Erbrochenes im Bereich des Swimming-Pools festgestellt, das nicht unmittelbar beseitigt worden sei. Allgemein sei Unsauberkeit festzustellen gewesen, auch im Essbereich. Das geschuldete Essen, insbesondere Ei- und Fischgerichte, sei durchgängig gesundheitsbedenklich erschienen, nach dem Eindruck des Klägers also nicht vollständig gegart, sondern noch partiell roh und zum Verzehr nicht geeignet. Auch habe das Essen von außen betrachtet keinen frischen Eindruck gemacht. Andere Verpflegung sei nicht zur Verfügung gestellt worden.
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Am 08.07.2022 hätten sich bei der mitreisenden Familie des Klägers Krankheitssymptome in Form von Übelkeit und Erbrechen gezeigt, zuletzt auch beim im Oktober 2019 geborenen Sohn des Klägers, der sich in kurzer Zeit wiederholt übergeben und so erheblich Flüssigkeit verloren habe. Der Kläger habe für eine umgehende Vorstellung in einem Krankenhaus Sorge getragen. Ein in Englisch gehaltene Bericht des Krankenhauses vom 08.07.2022 (Anlage K 2) nahm eine Virus-Infektion an und empfahl Blut- und Stuhl-Untersuchungen, um einen Behandlungsplan zu ermöglichen, und Aufnahme ins Krankenhaus. Der Kläger habe daraufhin die Reise am selben Tag abgebrochen und eine Rückreise noch am selben Tag organisierte. Zuhause habe sich die Symptomatik fortgesetzt und sich noch eine Zeit lang verstärkt, dann bei allen Reisenden.
7
Der Kläger macht geltend, dass die Krankheit auf die Nutzung des Pools und/oder den Verzehr mangelhafter Speisen zurückzuführen sei. Im Hotel hätten viele weitere Gäste am 08.07.2022 an solcher Symptomatik gelitten, und andere Gäste hätten mitgeteilt, auch den Pool genutzt und das Essen gegessen zu haben. Ansprüche seiner Mitreisenden waren an den Kläger abgetreten worden.
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Rechtlich würde dies eine Rückforderung von 50 % des Reisepreises unter Gesichtspunkten der Mangelhaftigkeit der Reise rechtfertigen, und Forderungen von 25 % des Reisepreises als Ersatz für vertane Urlaubszeit, der Behandlungskosten vor Ort in Höhe von 393,12 € und der Kosten der notwendig gewordenen früheren Rückreise von 417,95 Euro begründen. Zudem seien die vorgerichtlichen Anwaltskosten zu ersetzen.
9
Die Klage wurde der Beklagten am 07.02.2023 zugestellt. Die Beklagte verteidigte sich. Zur Erkrankung erklärte sich die Beklagte mit Nichtwissen, schon weil sich der Kläger zu keiner Zeit an die örtliche Reiseleitung gewandt habe. Dass die Reiseleistungen mangelhaft gewesen seien wurde bestritten, insbesondere die geltend gemachten unhygienischen Zustände und eine Gesundheitsbedenklichkeit des Essens. Vor Ort habe sich eine Reiseleitung befunden, die für Sprechstunden zur Verfügung stand, und anlässlich dieser Sprechstunden sei so auch in Rundgängen die Qualität der Leistungen vor Ort geprüft worden, und zwar ohne Beanstandungen.
10
Zudem sei die Mitteilung, dass viele Gäste des Hotels unter Übelkeit und Erbrechen gelitten hätten, ohne Substanz, weil schon unklar sie, was mit „viele“ gemeint sei. Die Beklagte verwies darauf, dass Durchfallerkrankungen bei Fernreisen schon wegen der damit verbundenen Umstellungen bezüglich Klima und verfügbarem Essen nicht ungewöhnlich seien. Das vom Kläger vorgelegte Attest widerlege Salmonellen als möglichen Auslöser, schon weil von einer viralen Infektion ausgegangen wurde. Virale Durchfallerkrankungen könnten aber hochinfektiös seien, ohne dass dies auf mangelhafte Hygiene des Hotels zurückzuführen sei.
11
Das Gericht erteilt mit Terminsverfügung vom 17.03.2023 Hinweise zu fehlenden Indizien für eine Kausalität im Verantwortungsbereich der Beklagten, auf die Bezug genommen wird. Von Klägerseite wurde auf die Unzufriedenheit anderer Gäste, die sich in mehreren online publizierten Bewertungen zum Ausdruck kämen, verwiesen. Das Gericht erteilte weiteren Hinweis, unter dem 11.05.2023.
12
Zur Sache wurde am 28.06.2023 verhandelt. Auf das Protokoll wird Bezug genommen. Der Kläger beantragte Verurteilung der Beklagten gemäß Klage, an den Kläger 3.752,57 € € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 02.08.2022 zu zahlen, und daneben die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von der Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 453,87 € durch Zahlung an den Inhaber der Kanzlei M… Herr Rechtsanwalt A… M… freizustellen.
13
Die Beklagte beantragte Klageabweisung.

Entscheidungsgründe

A.
14
Eine Sachentscheidung ist zulässig. Die Klage ist am Sitz der Beklagtenpartei erhoben, die Klageforderung hält sich im Rahmen der sachlichen Zuständigkeit des Amtsgerichts. Die Klage ist nach Verhandlung entscheidungsreif, da abschließend verhandelt wurde.
B.
15
Die Klage ist unbegründet.
16
1. Soweit die Klage auf Schadensersatzansprüche gerichtet ist, ist die Klage schon deswegen unbegründet, weil Schadenersatz-Verpflichtung nur besteht, wenn belegt ist, dass die behauptete Pflichtverletzung zu dem eingetretenen Schaden geführt hat. Zwar bestehen im Schadensrecht bei Reiseleistungen Erleichterungen in der Darlegung, weil ein Vertretenmüssen von Mängeln zulasten des Reiseveranstalters vermutet wird und diesem obliegt, entweder Verschulden der Reisenden, Verschulden Dritter oder fehlendes eigenen Verschulden darzulegen, § 651 n Abs. 1 BGB. Der zu ersetzende Schaden muss aber auf einem Mangel beruhen, so dass sowohl ein Mangel als auch das Beruhen des Schadens auf diesem Mangel vom Reisenden dargelegt und bewiesen werden muss. Ein Verursachungszusammenhang darf nicht nur zu vermuten sein. Stattdessen muss sich auch ein Verursachungszusammenhang mit Sicherheit und auch insofern zweifelsfrei ergeben.
17
Jedenfalls an letzterem scheitert die Klage, weil neben behaupteten Hygienemängel der Einrichtungen und fehlender Unbedenklichkeit des Essens nicht ausschließbar andere Ursachen für die Erkrankung in Betracht kommen. Zum einen scheidet eine bakterielle Infektion schon nach Vortrag der Klägerseite aus, so dass Salmonellen und damit infektiöses Essen nicht in Betracht kommt. Zum anderen führt die Behauptung alleine, dass auch andere Gäste des Hotels an ähnlicher Symptomatik litten, nicht dazu, dass zwingend das Hotel verantwortlich sein muss. Allgemeinbekannt beruht eine Vielzahl von Magen-Darm-Erkrankungen nicht auf kontaminiertem Essen, sondern auf Schmier- oder Tröpfcheninfektionen, bei denen an kleinen, auch aerosolen Partikeln Krankheitserreger anhaften und so die Erkrankung über Kontaktflächen oder schlicht räumliche Nähe zu anderen Gästen und deren Ein- und Ausatmen, Husten, Gesprächen oder Lachen übertragen wird. Dies ist auch zwanglos mit einer Vielzahl fast gleichzeitiger Erkrankungen in Einklang zu bringen. Es genügt dann schon ein einzelner, vorerkrankter Gast, um bei einer hochansteckenden Erkrankung wie etwa einem Noro-Virus zu vielfachen Folgeerkrankungen zu führen. Ein Hotel verspricht aber keine aseptische Umgebung. Stattdessen realisiert sich dann ein allgemeines Lebensrisiko im Zusammentreffen mit anderen Menschen. Gemessen an diesen ohne weiteres möglichen Erklärungen würde eine Verurteilung der Beklagten, weil sie verantwortlich sei, auf bloßer Mutmaßung beruhen. Erst dann, wenn so viele Gäste krank werden, dass eine andere Ursache außerhalb des Verantwortungsbereichs des Hotels vernünftigerweise nicht mehr in Betracht kommt, können die Erkrankungen anderer Gäste ausreichend Gewicht für einen Indizienschluss auf einen Verursachungszusammenhang haben. Dies ist hier nicht der Fall, schon weil völlig unbestimmt geblieben ist, wieviele andere Hotelgäste überhaupt erkrankt waren. Damit hält sich das erkennende Gericht auch im Einklang mit obergerichtlicher Rechtsprechung, vgl. OLG Düsseldorf NJW-RR 1999, 491. Hierzu fehlte jede Konkretisierung seitens des Klägers, trotz gerichtlichen Hinweises.
18
Bei fehlender Etablierung eines Verursachungszusammenhangs sind eigene Folgeentscheidungen, wie etwa, die Reise wegen der Schwere der Erkrankungen abzubrechen, nachvollziehbar, aber nicht der Beklagten zurechenbar. Für solche allgemeinen Risiken besteht nur die Möglichkeit, eine Reiseabbruchversicherung abzuschließen.
19
Dies ändert sich auch nicht mit einem Verweis auf eine sachverständige Begutachtung. Anknüpfungstatsachen für eine sachverständige Beurteilung sind nicht vorgetragen. Schon die Mitteilung, an welcher konkreten Erkrankung der Kläger und seine Familie und an welcher konkreten Erkrankung die übrigen Gäste erkrankt sind, fehlt. Gemessen daran kann ein Sachverständiger auch nicht mehr feststellen, als ohnehin zugunsten des Klägers unterstellt ist: Dass Verantwortlichkeit im Bereich des Hotels liegen kann, weil Magen-Darm-Erkrankungen auch an verdorbenem Essen liegen können. Dies ändert nichts daran, dass das, was ursächlich war, nur vermutet werden kann, und schon nach eigenem Klägervortrag die Verantwortlichkeit dann zwar beim Hotel liegen kann, aber nicht liegen muss.
20
2. Soweit die Klage auf Mangelhaftigkeit und deswegen geschuldeter Rückzahlung des Kaufpreises gerichtet ist, ist die Klage auch insoweit unbegründet.
21
Ohne Kausalität der bemängelten Hygiene für die Erkrankung der Reisenden stellt sich der Vortrag nur noch als Vortrag eines einfachen Reisemangels dar. Für diesen ist aber eine Anzeige nicht entbehrlich. Diese Anzeige muss dann auch gegenüber der Beklagten und damit gegenüber einem für diese vor Ort tätigen Reiseleiter erfolgen. Anzeige allein gegenüber dem Hotel als Leistungserbringer genügt nicht. Von Beklagtenseite ist eine solche Anzeige bestritten und von Klägerseite nicht näher substantiiert worden.
22
Die Klägerseite trägt zwar vor, man habe sich an die Reiseleitung gewandt, aber erst nachdem sich bei seiner Familie Krankheitssymptome gezeigt hatten und so frühestens am 08.07.2022. Nach eigenem Vortrag wurde dann auch wegen des bedrohlichen Verlaufs der Erkrankung des minderjährigen Sohnes die Reise am 08.07.2022 abgebrochen (Anlage K5). Damit wird aber der Beklagten die Möglichkeit genommen, ihrer Gewährleistungspflicht zu genügen und den Reisepreis mit einer Abhilfe auch umfänglich zu verdienen. Stattdessen läuft die Abreise auf einen Abbruch der Reise durch die Klägerseite hinaus, die wegen der aufgetretenen Erkrankung erfolgte, und so auf mangels ausreichender Indizien eigenem Lebensrisiko beruhte. Dass sich ein eigenes Lebensrisiko reduziert, führt dann aber nicht zu einer hypothetischen Betrachtung der restlichen Reise, wie viel die Leistungen wert gewesen wären, wenn sie beansprucht worden wären. Stattdessen waren bis zum Abbruch der Reise die behaupteten Defizite aus dem Mangel einer Anzeige ersichtlich als Unannehmlichkeiten hingenommen worden und rechtfertigen so mangels Anzeige keine Rückzahlung.
23
Ohnehin wäre bei nicht ausreichend sauberer Hotelanlage und nicht ausreichend qualitätsvollem Essen eine Quote von 50 % als Rückerstattung völlig überzogen. Für einen Mangelvortrag ist dann auch die Darstellung der tatsächlichen Gegebenheiten wesentlich zu oberflächlich, um eine Beurteilung zu erlauben.
24
3. Mangels begründeter Hauptforderungen ist schon deswegen auch die Nebenforderung auf Ersatz der Anwaltskosten für vorgerichtliche Verfolgung dieser Forderungen genauso unbegründet.
C.
25
Die Kostenfolge ergibt sich aus dem Unterliegen der Klagepartei, § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
D.
26
Die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich wegen der Höhe der vollstreckbaren Verfahrenskosten der Beklagten, die unter 1.500 Euro liegen, nach §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
E.
27
Den Wert des Streitgegenstands setzt das Gericht nach seinem Ermessen (§ 3 ZPO) auf den angegebenen Betrag fest. Maßgeblich ist das von der Klagepartei verfolgte wirtschaftliche Interesse und ergibt sich dieses aus der Höhe der Hauptforderung bei Einleitung des Verfahrens.