Titel:
Beihilferecht, Kieferorthopädische Behandlung, Adhäsive Befestigung von Klebeattachments, Heil- und Kostenplan, Zielleistungsprinzip, Analogberechnung
Normenketten:
BayBG Art. 96 Abs. 2
BayBhV §§ 7, 15
GOZ § 4 Abs. 2 Satz 2, 6 Abs. 1 Satz 1
GOZ-Nr. 2197
GOZ-Nr. 6100 analog
Schlagworte:
Beihilferecht, Kieferorthopädische Behandlung, Adhäsive Befestigung von Klebeattachments, Heil- und Kostenplan, Zielleistungsprinzip, Analogberechnung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 48741
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt Beihilfeleistungen für eine kieferorthopädische Behandlung seines am …2009 geborenen Sohnes F. und seiner am …2012 geborenen Tochter L., wobei der maßgebliche Bemessungssatz jeweils 80% beträgt.
2
Mit Schreiben vom 4. Oktober 2018 erkannte das Landesamt für Finanzen, Dienststelle …, die Beihilfefähigkeit einer kieferorthopädischen Behandlung von F. und L. auf der Grundlage eines kieferorthopädischen Heil- und Kostenplans jeweils vom 13. September 2021 im Rahmen der Beihilfevorschriften an. Die im Heil- und Kostenplan ausgewiesenen Beträge seien ausdrücklich als vorläufig zu betrachten. Die Bezügestelle beschränke sich bei der Auswertung der Kostenvoranschläge auf die allgemeine Darstellung der in § 15 BayBhV festgelegten Grundsätze der Beihilfefähigkeit kieferorthopädischer Behandlungen. Über die Beihilfefähigkeit einzelner Gebührennummern könne erst bei Vorlage der jeweiligen (Teil-)Rechnung entschieden werden, da bestimmte Nummern der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) bzw. der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) nicht beihilfefähig seien, wenn sie nebeneinander berechnet würden (§ 7 Abs. 1 BayBhV), und im Rahmen einer kieferorthopädischen Behandlung bestimmte Positionen aus der GOÄ und der GOZ nicht berechenbar seien.
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Mit Beihilfeantrag vom 5. April 2022 beantragte der Kläger Leistungen für die Rechnungen der Kieferorthopäden Dres. W. vom 4. April 2022 über einen Betrag von 3.566,03 € (kieferorthopädische Behandlung von F.) und 1.572,83 € (kieferorthopädische Behandlung von L.).
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Mit Bescheid vom 8. April 2022 wurde seitens des Landesamts für Finanzen, Dienststelle … hinsichtlich der Rechnung betreffend die kieferorthopädische Behandlung von F. vom 4. April 2022 ein Betrag in Höhe von 2.102,82 € als beihilfefähig anerkannt und dem Kläger dementsprechend für diese Rechnung eine Beihilfe in Höhe von 1.682,26 € (80% von 2.102,82 €) gewährt sowie hinsichtlich der Rechnung betreffend die kieferorthopädische Behandlung von L. vom 4. April 2022 ein Betrag in Höhe von 389,87 € als beihilfefähig anerkannt und dem Kläger dementsprechend für diese Rechnung eine Beihilfe in Höhe von 311,90 € (80% von 389,87 €) gewährt. Begründet wurden die Kürzungen der Beihilfestelle damit, dass für die Eingliederung von Klebebrackets im Rahmen einer kieferorthopädischen Behandlung neben der Nr. 6100 der Anlage 1 der GOZ nicht zusätzlich auch die Nr. 2197 der GOZ abgerechnet werden könne, weil deren selbständige Berechnungsfähigkeit nach § 4 Abs. 2 GOZ ausgeschlossen sei. Mit dem Begriff „Eingliederung eines Klebebrackets“ werde eine Technik umschrieben, die im Sinne eines Oberbegriffs auch die Adhäsivtechnik umfasse (BVerwG, U.v. 5.3.2021 – 5 C 11/19) – (Hinweis 1022). Die Nr. 2197 GOZ sei somit nicht neben der Nr. 6100 GOZ berechenbar (Anhang 1 VV-Nr. 10 zu § 7 Abs. 1 BayBhV). Die Maßnahmen der GOZ-Nrn. 6100 und 2197 seien bereits mit den Kernpositionen GOZ-Nrn. 6030 bis 6080 abgegolten und nicht gesondert beihilfefähig, Anlage GOZ. 3. Abrechnungsbestimmung nach GOZ-Nr. 6080, Nr. 2.5.3 und 2.5.4 Anhang 1 BayBhV; Urteil BVerwG vom 5.3.2021 – 5 C 11/19. Dies umfasse auch besondere Leistungen zu originären Leistungen (Hinweis f0).
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Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 8. April 2022 Widerspruch ein. Zur Begründung legte er mit Schreiben vom 6. Juni 2022 ein Schreiben der … Rechtsanwälte vom 16. Mai 2022 an den behandelnden Kieferorthopäden vor. Diese führten im Wesentlichen aus, dass das von der Beihilfestelle zitierte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 5. März 2021 (5 C 11/19) keine Aussage zu den GOZ-Nrn. 6030 bis 6080 enthalte. Der Bescheid der Beihilfestelle sei nicht ausreichend begründet, da nicht erkennbar sei, welche Leistungen von den Kürzungen betroffen seien. Zudem müsse mit Blick auf die Diskussion um sog. Retainer und die Abrechenbarkeit der GOZ-Nrn. 6030 bis 6080 zwischen Retainern und Alignern unterschieden werden. Ein Aligner, bei dem die Attachments angewendet werden, diene dazu, Bewegungen der Zähne zu bewirken, während ein Retainer die Zahnposition stabilisieren solle und eine Bewegung der Zähne verhindern solle.
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Der Widerspruch gegen den Beihilfebescheid wurde mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2022 zurückgewiesen.
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Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom … Juli 2022, eingegangen beim Bayerischen Verwaltungsgericht München am selben Tag, Klage und beantragte sinngemäß,
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den Beklagten unter teilweiser Aufhebung des Beihilfebescheides vom 8. April 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juni 2022 zu verpflichten, dem Kläger eine weitere Beihilfe bezüglich der Aufwendungen für kieferorthopädische Behandlungen seines Sohnes F. und seiner Tochter L. gem. Rechnungen vom 4. April 2022 in Höhe von 2.116,93 € zu gewähren.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass sich aus dem streitgegenständlichen Bescheid nicht ergebe, welcher Abschlag wofür vorgenommen worden sei und dies nicht erläutert worden sei. Die GOZ-Nr. 2197 sei neben der GOZ-Nr. 6100 abrechenbar. Das vom Beklagten zitierte Urteil des BVerwG habe sich nicht nur über die bisher gefestigte Rechtsprechung der Zivilgerichte hinweggesetzt, sondern auch über einschlägige Kommentare zur GOZ. Entsprechend den Ausführungen der Bundeszahnärztekammer sei die Entscheidung erkennbar verfehlt. Mit den Gebührenziffern 6030 bis 6080 habe sich das BVerwG im Übrigen gar nicht befasst. Neben den GOZ-Nrn. 6030 bis 6080 könnten nur Leistungen nach GOZ-Nrn. 6190 bis 6260 nicht berechnet werden. Es müsse ein Unterschied zwischen Retainern (Zahn-Stabilisatoren) und Alignern gemacht werden, die als hauchdünne transparente Zahnschiene auf dem Gebiss lägen und jederzeit herausnehmbar seien. Die Berechenbarkeit der jeweiligen Ziffern sei bei entgegenwirkenden kieferorthopädischen Hilfsmitteln gerade nicht ausgeschlossen. Bezüglich der Problematik der Abrechnung der GOZ-Nr. 6100 analog neben den GOZ-Nrn. 6030 bis 6080 werde auf die Urteile des BVerwG vom 26.2.2021 (5 C 7/19) und vom 5.3.2021 (5 C 8/19) hingewiesen. Die Entscheidung 5 C 8/19 betreffe jedoch die Eingliederung eines festsitzenden Lingualretainers, um die es vorliegend nicht gehe.
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Der Vertreter des Beklagten beantragte mit Schriftsatz vom 8. September 2022,
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Zur Begründung wurde insbesondere ausgeführt, dass sich aus den Bescheiden nachvollziehbar ergebe, dass die GOZ-Nrn. 2197 und 6100 analog nicht gesondert beihilfefähig seien. Die GOZ-Nr. 6100 analog könne für die Befestigung der Attachements nicht zusätzlich zu den vom behandelnden Kieferorthopäden abgerechneten GOZ-Nrn. 6050 und 6080 in Ansatz gebracht werden. In der Berechnungsbestimmung der GOZ-Nr. 6080 sei ausgeführt, dass die Leistungen nach den GOZ-Nrn. 6030 bis 6080 alle im Behandlungsplan festgelegten Maßnahmen innerhalb eines Zeitraumes von bis zu vier Jahren umfassen. Auch wenn man von einer Beihilfefähigkeit der GOZ-Nr. 6100 analog ausginge, komme ein Ansatz der GOZ-Nr. 2197 für die adhäsive Befestigung nicht in Betracht, da es sich hierbei um eine besondere Ausführung der Leistung nach GOZ-Nr. 6100 – sowohl unmittelbar als auch analog – handele, die bereits Bestandteil der GOZ-Nrn. 6050 und 6080 sei.
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Der Beklagte verzichtete mit Schriftsatz vom 8. September 2022 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung. Der Vertreter des Klägers erklärte mit Schriftsatz vom … Mai 2023 sein Einverständnis mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren.
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Mit Beschluss vom 27. Juni 2023 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf die Einzelrichterin übertragen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage, über die nach übereinstimmender Erklärung der Beteiligten im schriftlichen Verfahren nach § 101 Abs. 2 VwGO entschieden werden konnte, hat in der Sache keinen Erfolg.
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1. Der Bescheid ist formell rechtmäßig.
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Der Bescheid genügt den Anforderungen an die Bestimmtheit, Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG, und enthält auch die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe, die das Landesamt für Finanzen zu seiner Entscheidung bewogen haben, Art. 39 BayVwVfG. In den Erläuterungen „Hinweis 1022“ und „Hinweis f0“ wurde ausgeführt, dass die GOZ-Nr. 2197 und die GOZ-Nr. 6100 analog nicht als beihilfefähig anerkannt werden. Begründet wurden die Kürzungen der Beihilfestelle damit, dass für die Eingliederung von Klebebrackets im Rahmen einer kieferorthopädischen Behandlung neben der Nr. 6100 der Anlage 1 der GOZ nicht zusätzlich auch die Nr. 2197 der GOZ abgerechnet werden könne, weil deren selbständige Berechnungsfähigkeit nach § 4 Abs. 2 GOZ ausgeschlossen sei. Mit dem Begriff „Eingliederung eines Klebebrackets“ werde eine Technik umschrieben, die im Sinne eines Oberbegriffs auch die Adhäsivtechnik umfasse (BVerwG, U.v. 5.3.2021 – 5 C 11/19). Die Nr. 2197 GOZ sei somit nicht neben der Nr. 6100 GOZ berechenbar (Anhang 1 VV-Nr. 10 zu § 7 Abs. 1 BayBhV). Die Maßnahmen der GOZ-Nrn. 6100 und 2197 seien bereits mit den Kernpositionen GOZ-Nrn. 6030 bis 6080 abgegolten und nicht gesondert beihilfefähig. Hieraus ergibt sich, dass der ungedeckte Betrag die GOZ-Nr. 2197 und die GOZ-Nr. 6100 analog für die Eingliederung von Klebebrackets betraf. Welcher Teilbetrag der Rechnungen jeweils auf die GOZ-Nr. 2197 und auf die GOZ-Nr. 6100 analog entfällt, ist aus den Rechnungen zu entnehmen, in denen in Spalte 3 jeweils die GOZ-Nummer enthalten ist, welcher in Spalte 8 ein Betrag in Euro zugeordnet ist. Die Addition der auf die GOZ-Nrn. 2197 und 6100 analog jeweils entfallenden drei Rechnungspositionen sowie die Ermittlung von 80% hieraus ist mit Hilfe eines Taschenrechners unschwer möglich.
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2. Der Bescheid ist auch materiell rechtmäßig.
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Der Kläger hat keinen Anspruch auf Gewährung weiterer Beihilfe im beantragten Umfang (§ 113 Abs. 5 VwGO); der Bescheid vom 8. April 2022 und der Widerspruchsbescheid vom 28. Juni 2022 sind – soweit sie angegriffen wurden – rechtmäßig und verletzen den Kläger daher nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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2.1. Für die rechtliche Beurteilung beihilferechtlicher Streitigkeiten ist grundsätzlich die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Entstehens der Aufwendungen maßgeblich, für die Beihilfe verlangt wird (stRspr, vgl. statt aller BVerwG, U.v. 2.4.2014 – 5 C 40.12 – NVwZ-RR 2014, 609 Rn. 9). Die Aufwendungen gelten nach § 7 Abs. 2 Satz 2 BayBhV in dem Zeitpunkt als entstanden, in dem die sie begründende Leistung erbracht wird. Für die vorgenommene zahnärztliche Untersuchung und Behandlung entstehen Aufwendungen mit jeder Inanspruchnahme des Arztes (Mildenberger, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, Stand Juli 2022, Bd. 2 Anm. 12 zu § 7 Absatz 2 BayBhV). Die Aufstellung eines Heil- und Kostenplans lässt die Aufwendungen danach noch nicht entstehen. Bei den streitgegenständlichen Behandlungen im Januar und im März 2022 bestimmt sich die Beihilfefähigkeit daher nach Art. 96 Bayerisches Beamtengesetz (BayBG) vom 23. Juli 2008 (GVBl S. 500) in der Fassung der Bekanntmachung vom 23.12.2021 (GVBl. S. 663) und der Verordnung über die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen in Krankheits-, Geburts-, Pflege- und sonstigen Fällen (Bayerische Beihilfeverordnung – BayBhV) vom 2. Januar 2007 (GVBl S. 15) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 18. August 2021 (GVBl S. 558).
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2.2. Zahnärztliche Leistungen sind gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 BayBhV beihilfefähig, wenn sie dem Grunde nach medizinisch notwendig und der Höhe nach angemessen sind. Die Angemessenheit beurteilt sich gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 BayBhV insoweit ausschließlich nach dem Gebührenrahmen der Gebührenordnung für Zahnärzte (GOZ) und der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), soweit die GOÄ den Zahnärzten nach § 6 Abs. 2 GOZ zugänglich ist. Für die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für kieferorthopädische Leistungen enthält § 15 BayBhV zusätzliche Bestimmungen.
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Gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 GOZ ist insbesondere das sog. Zielleistungsprinzip zu beachten. Für eine Leistung, die Bestandteil oder eine besondere Ausführung einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis ist, kann der Arzt eine Gebühr nicht berechnen, wenn er für die andere Leistung eine Gebühr berechnet. Insoweit sind gegen das Zielleistungsprinzip verstoßende durch den Zahnarzt abgerechnete Leistungen im Rahmen der Beihilfe nicht beihilfefähig. Hierdurch soll eine Doppelhonorierung von Leistungen verhindert werden. Zu beachten ist unter Anlegung eines abstrakt-generellen Maßstabs wegen des abrechnungstechnischen Zwecks dieser Bestimmungen vor allem der Inhalt und der systematische Zusammenhang der Gebührenordnungsposition und deren Bewertung (BGH, U.v. 5.6.2008, NJW-RR 2008, 1278).
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2.3. Zwischen den Beteiligten steht die grundsätzliche Beihilfefähigkeit der Aufwendungen für die kieferorthopädische Behandlung des Sohnes und der Tochter des Klägers nicht im Streit. Gegenstand des Rechtsstreits ist lediglich die Frage, ob es sich bei den vom behandelnden Kieferorthopäden in Rechnung gestellten GOZ-Nrn. 2197 und 6100 analog um angemessene Aufwendungen handelt.
25
Die Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für ärztliche Leistungen knüpft grundsätzlich an den Leistungsanspruch des Arztes an und setzt voraus, dass dieser seine Leistungen unter zutreffender Auslegung der Gebührenordnung in Rechnung gestellt hat.
26
2.3.1. Die Kürzung der beihilfefähigen Aufwendungen jeweils hinsichtlich der vom behandelnden Kieferorthopäden abgerechneten GOZ-Nr. 6100 analog erfolgte zu Recht.
27
Die GOZ-Nr. 6100 ist vorliegend nicht unmittelbar anwendbar. Die Leistung nach GOZ-Nr. 6100 umfasst nach der Leistungsbeschreibung die Eingliederung eines Klebebrackets zur Aufnahme orthodentischer Hilfsmittel. Die Leistung umfasst das Positionieren, die Eingliederung des Brackets und die Überschussentfernung. Bei dem Anbringen von Attachments im Rahmen einer kieferorthopädischen Behandlung mit transparenten Zahnschienen (Alignern) handelt es sich nicht um die Eingliederung von Klebebrackets. Attachments sind auf den Zahn aufgeklebte biomechanische Haltepunkte, die aus (zahnfarbenem) Kunststoff bestehen, und die Funktion kleiner Griffe haben, an denen die nicht fest eingegliederten Aligner sich bei Einsetzung festhalten können. Das Gericht folgt insoweit nicht der im Kommentar der Bundeszahnärztekammer (BZAEK) zur Gebührenordnung für Zahnärzte ohne Angabe einer Begründung vertretenen Auffassung (Kommentar der BZAEK zur GOZ, Stand August 2022, Anm. zu GOZ-Nr. 6100, S. 216). Die GOZ-Nr. 6100 ist als Ausnahmevorschrift eng auszulegen. Der Verordnungsgeber hat in GOZ-Nr. 6100 eine Leistung, die mit ihrem Leistungsinhalt dem Grunde nach dem Leistungsinhalt der GOZ-Nrn. 6030-6080 angehört, gebührenrechtlich verselbständigt (BVerwG, U.v. 26.2.2021 – 5 C 7.19, juris Rn. 30). Diese besondere und ersichtlich als Ausnahme normierte Verselbständigung kann nicht auf andere Leistungen übertragen werden (BVerwG, a.a.O.). Eine über den eindeutigen Wortlaut hinausgehende Auslegung kommt deshalb nicht in Betracht.
28
Auch eine Analogberechnung der GOZ-Nr. 6100 kommt vorliegend nicht in Betracht.
29
Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 GOZ können selbstständige zahnärztliche Leistungen, die in das Gebührenverzeichnis nicht aufgenommen sind, entsprechend einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses berechnet werden. Eine Analogberechnung scheitert vorliegend bereits daran, dass das Anbringen der Attachments im Rahmen einer kieferorthopädischen Behandlung nicht als selbstständige Leistung berechnungsfähig ist.
30
Die GOZ-Nr. 6100 GOZ kann für das Anbringen der Attachments nicht analog in Ansatz gebracht werden, weil sich das Anbringen der Attachments mit dem Inhalt der vom behandelnden Kieferorthopäden berechneten Nr. 6050 GOZ überschneidet und daher dem sog. Doppelberechnungsverbot unterliegt. Eine solche Überschneidung folgt daraus, dass es sich bei der Leistung um eine besondere Ausführung dieser anderen Leistung im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 GOZ handelt (hierzu im Folgenden unter a). Unterliegt das Anbringen der Attachments damit dem Doppelberechnungsverbot, kann die Leistung auch nicht ausnahmsweise entsprechend der Nr. 6100 GOZ neben den Nrn. 6050 und 6080 GOZ berechnet werden (hierzu im Folgenden unter b).
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a) Das Anbringen der Attachments stellt eine besondere Ausführung im Sinne von § 4 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 GOZ der in Nummern 6050 und 6080 Anlage 1 GOZ beschriebenen Leistungen dar.
32
Eine Leistungsausführung ist dann als besonders i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 GOZ anzusehen, wenn sie sich als bloße methodische bzw. technische Variation oder Modifikation der beschriebenen Zielleistung erweist. Dies ist dann zu bejahen, wenn die Beschreibung der Zielleistung im Gebührenverzeichnis ergibt, dass die in Rede stehende Leistungsausführung ihrer technischen oder methodischen Eigenart nach bereits davon mit umfasst ist, etwa weil die Leistungsbeschreibung offen lässt, mit welchen Techniken oder Methoden eine Leistung zu erbringen bzw. ein Behandlungsziel zu erreichen ist (vgl. BVerwG, U.v. 26.2.2021 – 5 C 7/19, juris Rn. 22; U.v. 5.3.2021 – 5 C 8/19, juris Rn. 21; BGH, U.v. 21.1.2010 – III ZR 147/09 – NJW-RR 2010, 1355, juris Rn. 11). Die Auslegung der vorliegend abgerechneten GOZ-Nrn. 6050 und 6080 einschließlich der in GOZ-Nr. 6080 enthaltenen übergreifenden Abrechnungsbestimmungen ergibt, dass die GOZ-Nrn. 6050 und 6080 als Zielleistung im Sinne von § 4 Abs. 2 GOZ anzusehen und das Anbringen der Attachments auch nach der normativen Wertung im Sinne einer besonderen Ausführungsart in der Leistungsbeschreibung der GOZ-Nrn. 6050 und 6080 enthalten ist.
33
Die GOZ-Nrn. 6030-6080 haben im gebührenrechtlichen Sinne handwerkliche oder behandlungstechnische zahnärztliche Leistungen zum Gegenstand und können deshalb auch Bezugspunkt des Doppelberechnungsverbots nach § 4 Abs. 2 Satz 2 GOZ sein (BVerwG, U.v. 26.2.2021 – 5 C 7/19, juris Rn. 23). Nach der Abrechnungsbestimmung der GOZ-Nr. 6080 Abs. 3 umfassen die Maßnahmen im Sinne der GOZ-Nrn. 6030-6080 alle Leistungen zur Kieferumformung und Retention bzw. zur Einstellung des Unterkiefers in den Regelbiss innerhalb eines Zeitraumes von bis zu vier Jahren, unabhängig von den angewandten Behandlungsmethoden oder den verwendeten Therapiegeräten. Damit können nur die handwerklichen bzw. behandlungstechnischen Einzelleistungen gemeint sein, die zur Erreichung dieser Behandlungsziele eingesetzt werden (BVerwG, U.v. 26.2.2021 – 5 C 7/19, juris Rn. 23; U.v. 5.3.2021 – 5 C 8/19, juris Rn. 22). Dies ergibt sich auch aus der Verordnungsbegründung vom 21. September 2011, die zum Ausdruck bringt, dass „der Leistungsinhalt der Leistungen nach den Nummern 6030 bis 6080 näher beschrieben“ werde (BR-Drs. 566/11 S. 62). Die Ergänzung des (neu eingefügten) dritten Absatzes der Abrechnungsbestimmung stelle klar, dass die Gebührennummern 6030 bis 6080 auch dann nur einmal in einem Vier-Jahres-Zeitraum abgerechnet werden dürfen, wenn besondere Behandlungsmethoden angewandt oder besondere Therapiegeräte (z.B. Loops, Bögen, Attachments bei Alignern, festsitzende Retainer oder Kunststoffschienen) verwendet werden (BR-Drs. 566/11 S. 62).
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Erfasst sind danach gebührenrechtlich sämtliche Behandlungsleistungen, die im Zusammenhang mit dem jeweiligen Behandlungsziel stehen, an das der im Leistungstext genannte Begriff der „Maßnahme“ anknüpft, und die diesem zugeordnet werden können. Dies beinhaltet alle hierauf bezogenen Einzelleistungen, ohne dass der behandelnde Zahnarzt insoweit auf eine bestimmte Methodik oder Ausführungsweise festgelegt wird. Eingeschlossen ist damit auch das Anbringen von Attachments an den Zähnen, auf die die nicht fest eingegliederten Aligner gesetzt werden.
35
Dies folgt bereits aus dem Wortlaut von GOZ-Nr. 6050 und GOZ-Nr. 6080. Wie oben ausgeführt, umfasst die Leistungsbeschreibung der GOZ-Nr. 6080 nach Abs. 3 „alle Leistungen zur Kieferumformung und Retention bzw. zur Einstellung des Unterkiefers in den Regelbiss innerhalb eines Zeitraumes von bis zu vier Jahren, unabhängig von den angewandten Behandlungsmethoden oder den verwendeten Therapiegeräten“, soweit sie sich den im Behandlungsplan festgelegten Maßnahmen zuordnen lassen. Erfasst wird damit schon nach dem Wortlaut („alle“) ausnahmslos das vollständige Leistungsspektrum zur Erreichung der Kieferumformung bzw. -einstellung in allen behandlungstechnischen Variationen innerhalb des Vierjahreszeitraums. Der Leistungsumfang ist ausdrücklich unabhängig von den angewandten Behandlungsmethoden und verwendeten Therapiegeräten und schließt daher Methoden und Geräte jedweder Art in der aktiven Behandlungsphase (Kieferumformung bzw. -einstellung) wie auch der passiven Behandlungsphase (Retention) ein. Das bedeutet abrechnungstechnisch zugleich, dass die Gebühren nach den GOZ-Nrn. 6030-6080 die Anwendung sämtlicher dieser Techniken im maßgeblichen Zeitraum erfassen und sie deshalb unabhängig von der konkreten Behandlungsweise weder mehrfach in Ansatz gebracht werden noch hiervon erfasste Einzelleistungen gesondert abgerechnet werden dürfen (BVerwG, U.v. 26.2.2021 – 5 C 7/19, juris Rn. 25; U.v. 5.3.2021 – 5 C 8/19, juris Rn. 24). Dass dies auch für das Anbringen von Attachments bei Alignern dem Willen des Verordnungsgebers entspricht, ergibt sich aus der Verordnungsbegründung, in der diese Behandlungsgeräte ausdrücklich erwähnt und in den Kreis der besonderen Behandlungsmethoden und Therapiegeräte einbezogen sind (BR-Drs. 566/11 S. 62).
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Entgegen der Auffassung der Klagepartei muss nach oben Ausgeführtem nicht zwischen Maßnahmen der aktiven Kieferumformung, zu denen u.a. Aligner zählen, und Maßnahmen der Retention, die die erreichte Zahnposition stabilisieren sollen, unterschieden werden. Die vom BVerwG in seinen Urteilen vom 26. Februar 2021 (5 C 7.19) und vom 5. März 2021 (5 C 8/19) getroffenen Feststellungen hinsichtlich der GOZ-Nrn. 6030 bis 6080 als Zielleistungen für alle Behandlungsleistungen, die im Zusammenhang mit dem jeweiligen Behandlungsziel unter Einschluss der Retention stehen, ohne dass der behandelnde Zahnarzt insoweit auf eine bestimmte Methodik oder Ausführungsweise festgelegt ist, gilt nicht – wie klägerseits vorgetragen – nur für die Eingliederung eines festsitzenden Lingualretainers, sondern für alle Maßnahmen zur Umformung des Kiefers bzw. Einstellung des Kiefers in den Regelbiss einschließlich Retention (vgl. BVerwG, U.v. 5. März 2021 – 5 C 8/19, juris Rn. 23).
37
b) Da das Anbringen von Attachments als besondere Ausführung einer Leistung nach den GOZ-Nrn. 6030-6080 dem Doppelberechnungsverbot nach § 4 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 GOZ unterliegt, ist die Leistung keine nach § 6 Abs. 1 Satz 1 GOZ entsprechend berechenbare selbstständige zahnärztliche Leistung. Von diesem Ergebnis ist nicht deshalb abzuweichen, weil die hier herangezogene GOZ-Nr. 6100 (Eingliederung eines Klebebrackets) mit ihrem spezifischen Leistungsinhalt ihrerseits dem Grunde nach dem Leistungsinhalt der GOZ-Nrn. 6030-6080 angehört, aber gleichwohl durch den Verordnungsgeber verselbstständigt worden ist (vgl. Umkehrschluss aus GOZ-Nr. 6080 Abs. 4, BVerwG, U.v. 26.2.2021 – 5 C 7/19, juris Rn. 28). Diese besondere und ersichtlich als Ausnahme normierte gebührenrechtliche Verselbstständigung kann nicht im Wege einer Analogberechnung auf andere Leistungen im Zusammenhang einer Kieferumformung bzw. -einstellung (wie hier des Anbringens von Attachments) übertragen werden, weil dies zu einer nicht statthaften Aufgabe der Selbstständigkeit der ärztlichen Leistung als Voraussetzung für ihre Abrechenbarkeit und damit des Doppelberechnungsverbots führen würde (vgl. BGH, U.v. 13.5.2004 – III ZR 344/03 – BGHZ 159, 142 und U.v. 21.1.2010 – III ZR 147/09 – NJW-RR 2010, 1355 juris, BVerwG, U.v. 26.2.2021 – 5 C 7/19, juris Rn. 30; U.v. 5.3.2021 – 5 C 8/19, juris Rn. 29).
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2.3.2. Auch die Kürzung der beihilfefähigen Aufwendungen jeweils hinsichtlich der vom behandelnden Kieferorthopäden abgerechneten GOZ-Nr. 2197 ist nicht zu beanstanden.
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a) Beim Patienten F. wurde die GOZ-Nr. 2197 für die Zähne Region 36 und Region 46 zweifach neben der (als beihilfefähig anerkannten) GOZ-Nr. 6100 für die Eingliederung eines Klebebrackets abgerechnet. Nach der überzeugenden Rechtsprechung des BVerwG (U.v. 5.3.2021 – 5 C 11/19), der sich das Gericht anschließt, kann für die Eingliederung von Klebebrackets neben der GOZ-Nr. 6100 nicht zusätzlich die GOZ-Nr. 2197 abgerechnet werden, weil deren selbständige Berechnungsfähigkeit nach § 4 Abs. 2 Satz 2 GOZ ausgeschlossen ist. Bei der Eingliederung eines Klebebrackets unter Anwendung der Adhäsivtechnik handelt es sich um eine besondere Ausführung der Leistung nach GOZ-Nr. 6100 (zum Ganzen ausführlich: BVerwG, U.v. 5.3.2021 – 5 C 11/19).
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b) Die beim Patienten F. 29-fache Abrechnung und bei der Patientin L. 31-fache Abrechnung der GOZ-Nr. 2197 neben der GOZ-Nr. 6100 analog für die adhäsive Befestigung der Klebeattachments ist nicht beihilfefähig, da die Leistung wie die vorliegend nach GOZ-Nr. 6100 analog abgerechnete Eingliederung der Klebeattachments eine besondere Ausführung der Leistungen nach GOZ-Nrn. 6050 und 6080 darstellt. Wie oben ausgeführt, sind die GOZ-Nrn. 6050 und 6080 als Zielleistung im Sinne von § 4 Abs. 2 GOZ anzusehen und das Anbringen der Attachments nach der normativen Wertung im Sinne einer besonderen Ausführungsart in der Leistungsbeschreibung dieser GOZ-Nr. 6050 enthalten. Wird für die Befestigung der Attachments die Adhäsivtechnik angewendet, handelt es sich ebenfalls um eine besondere Ausführung der Leistungen nach GOZ-Nrn. 6050 und 6080. Nach der Abrechnungsbestimmung der GOZ-Nr. 6080 Abs. 3 umfassen die Maßnahmen im Sinne der GOZ-Nrn. 6030-6080 alle Leistungen zur Kieferumformung und Retention bzw. zur Einstellung des Unterkiefers in den Regelbiss innerhalb eines Zeitraumes von bis zu vier Jahren, unabhängig von den angewandten Behandlungsmethoden oder den verwendeten Therapiegeräten. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird im Übrigen auf die Ausführungen unter 2.3.1. verwiesen.
41
2.3.3. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Kläger vor der Behandlung dem Beklagten jeweils einen Heil- und Kostenplan vorgelegt hat, der den Ansatz der GOZ-Nr. 6100 analog beinhaltete.
42
Ein Heil- und Kostenplan bzw. dessen Akzeptanz durch die Beihilfestelle stellt keine Zusicherung konkreter Erstattungsleistungen dar. Ein Heil- und Kostenplan begründet lediglich die medizinische Notwendigkeit der Behandlung und beziffert neben Angaben zur Behandlungsdauer, zu Behandlungsgeräten, zu Hilfsmitteln und zu Zahlungsmodalitäten die voraussichtlichen Gesamtkosten, die von der Beihilfestelle nur dem Grunde nach als beihilfefähig anerkannt werden ohne eine Aussage zum (konkreten) Honorar der Höhe nach zu treffen (vgl. VG München, U.v. 13.7.2022 – M 17 K 21.2151; Mildenberger, Beihilferecht in Bund, Ländern und Kommunen, Stand Januar 2023, Bd. 2 Anm. 3 zu § 15 BayBhV). Das im Beihilferecht formalisierte Antrags- und Bewilligungsverfahren (vgl. §§ 48 BayBhV) widerspricht einer – pauschalen – Anerkennung der Erstattungsfähigkeit zukünftiger Aufwendungen (vgl. BayVGH, B.v. 6.8.2015 – 14 ZB 15.210, juris Rn. 7).
43
Das Landesamt für Finanzen hat in den Schreiben vom 4. Oktober 2021 darauf hingewiesen, dass sich die Auswertung der Kostenvoranschläge auf die allgemeine Darstellung der in § 15 BayBhV festgelegten Grundsätze beschränkt.
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3. Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
45
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.