Titel:
Gewerblicher Vermieter ist kein Haushaltskunde im Energieversorgungsrecht
Normenkette:
EnWG § 3 Nr. 22, § 38 Abs. 1
Leitsätze:
1. Der Haushaltskundenbegriff ist in § 3 Nr. 22 EnWG abschließend geregelt. Eine analoge Anwendung von § 3 Nr. 22 Alt. 1 EnWG auf einen gewerblichen Vermieter ist mangels planwidriger Regelungslücke nicht möglich. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Regelungen der § 38 Abs. 1, Abs. 4 S. 1 EnWG, § 3 Abs. 1 GasGVV führen auch bei einem Haushaltskunden jedenfalls für einen Zeitraum von drei Monaten dazu, dass kein konkludenter Grundversorgungsvertrag iSv § 2 Abs. 2 GasGVV zustande kommt. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ersatzversorgung/Grundversorgung mit Gas, analoge Anwendung beim Haushaltskundenbegriff, gesetzliches Schuldverhältnis, kein konkludenter Vertragsschluss, Zugangszeitpunkt einer Mahnung, Gasversorgung, Energieversorgungsvertrag, Ersatzversorgung, Haushaltskunde, Grundversorgungsvertrag
Fundstelle:
BeckRS 2023, 48717
Tenor
1. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.107,71 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 4.248,75 € seit dem 28.03.2022 und aus einem Betrag von 858,96 € seit dem 17.09.2022 zu bezahlen.
2. Der Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin Mahnkosten in Höhe von 7,50 € zu bezahlen.
3. Der Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von netto 527,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 05.04.2023 zu zahlen.
4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
5. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
6. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 5.107,71 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten um Forderungen im Zusammenhang mit Energielieferungen.
2
Die Klägerin ist das örtliche Versorgungsunternehmen für Strom, Wasser und Gas. Sie ist auch Netzbetreiberin und daher nach §§ 36, 38 EnWG verpflichtet, Kunden, die keinen anderweitigen Versorgungsvertrag haben, im Rahmen der Grundversorgung bzw. Ersatzversorgung mit Energie zu beliefern.
3
Der Beklagte ist Eigentümer der Anwesen A. Straße 2 in S. und A. Straße 2a in S.. Bei dem Anwesen A. Straße 2a handelte es sich um das private Wohnhaus des Beklagten. Das Anwesen A. Straße 2 besteht aus 4 Wohneinheiten und war komplett zu Wohnzwecken an eine fünfköpfige Familie, an eine vierköpfige Familie, an einen alleinerziehenden Familienvater und an eine alleinerziehende Mutter vermietet.
4
Beide Anwesen wurden im Jahr 2021 durch den Energieversorger G. Versorgungsgesellschaft mbH mit Gas versorgt. Dieser Energieversorger beendete das Vertragsverhältnis mit dem Beklagten zum 02.12.2021.
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Ab dem 03.12.2021 versorgte die Klägerin die beiden Anwesen des Beklagten bis 13.02.2022 im Rahmen der Ersatzversorgung mit Gas.
6
Der Beklagte teilte der Klägerin die Zählerstände für die beiden Anwesen aufgrund eines Schreibens der Klägerin vom 08.12.2021 mit.
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Über die Belieferung der beiden Anwesen des Beklagten im Rahmen der Ersatzversorgung informierte die Klägerin den Beklagten mit Schreiben vom 23.12.2021 unter Übermittlung der Preisblätter, aus der die Konditionen der Klägerin für die Ersatzversorgung ersichtlich waren.
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Im Zeitraum vom 03.12.2021 bis zum 13.02.2022 belieferte die Klägerin das Mietshaus des Beklagten, A. Straße 2 mit 25.017 kWh Gas zum Preis von 4.648,75 €.
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Unter Berücksichtigung geleisteter Abschlagszahlungen i.H.v. 400,00 € ergab sich damit eine Forderung zugunsten der Klägerin i.H.v. 4.248,75 €.
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Der Ausgleich dieses Rechnungsbetrages wurde erstmals mit Schreiben vom 24.03.2022 und letztmals mit Schreiben vom 13.09.2022 angemahnt.
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Im Zeitraum vom 03.12.2021 bis zum 13.02.2022 versorgte die Klägerin das Privatanwesen des Beklagten in der A. Straße 2a mit 13.345 kWh Gas zum Gesamtpreis von 1.258,96 €.
12
Unter Berücksichtigung geleisteter Abschläge von 250,00 € ergab sich eine Forderung zugunsten der Klägerin von 1.008,96 €. Nach Verrechnung mit einer Überzahlung/Guthaben des Beklagten von 150,00 € errechnete sich für die Versorgung des Privatanwesens eine Forderung von noch 858,96 €.
13
Der Ausgleich des Rechnungsbetrages wurde mit Schreiben vom 13.09.2022 angemahnt.
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Die Klägerin beantragt zuletzt,
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.107,71 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 4.248,75 € seit dem 19.03.2022 und aus einem Betrag von 858,96 € seit dem 08.09.2022 sowie weitere 12,50 € und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von netto 527,00 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
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Der Beklagte beantragt zuletzt,
Die Klage wird abgewiesen.
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Der Beklagte behauptet, dass er erst mit Schreiben vom 23.12.2021 von der Kündigung des Energievertrages mit G. erfahren habe. Wäre der Beklagte früher informiert worden, hätte er vor Weihnachten 2021 einen günstigeren Energieliefervertrag abschließen können.
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Der Beklagte bestreitet mit Nichtwissen, dass die Klägerin im Dezember 2021 circa 800 Neu-Kunden im Rahmen der Grundversorgung/Ersatzversorgung beliefern musste.
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Der Beklagte meint, dass die lange Ersatzbelieferung von der Klägerin provoziert worden sei. Weiter meint der Beklagte, dass wesentliche Preisunterschiede zwischen Ersatzversorgung und Grundversorgung unzulässig sind. Schließlich meint der Kläger, dass er bezüglich des Mietshauses (A. Straße 2) Haushaltskunde im Sinne von § 3 Nr. 22 EnWG ist. Dies ergebe sich bereits daraus, dass der Zählerverbrauch bei weniger als 10.000 kWh liege und § 3 Nr. 22 EnWG auch zugunsten nichtgewerblicher Vermietung gelten muss.
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Weiter meint der Beklagte, dass der Vertrag nach § 125 BGB nichtig ist, weil die Klägerin den Vertragsschluss nicht unverzüglich in Textform bestätigt hat.
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Schließlich macht der Beklagte ein Zurückbehaltungsrecht in Bezug auf die Schlussrechnung für das Privathaus geltend, weil er einen Anspruch auf Korrektor der Schlussrechnung für das Mietshaus hat.
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Die Klägerin erwidert hierauf dahingehend, dass der Beklagte bereits durch das Schreiben vom 08.12.2021 über den Lieferantenwechsel informiert worden ist.
22
Wegen des Parteivorbringens im Übrigen wird Bezug genommen auf den Schriftsatzverkehr sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 13.11.2023.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
24
Die Klägerin hat im tenorierten Umfang Ansprüche gegen den Beklagten.
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I. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von 4.248,75 € aus § 38 EnWG.
26
Es ist ein Rechtsverhältnis über eine Ersatzversorgung mit Gas für das Miethaus in der A. Straße 2 zustande gekommen (1.). Die Abrechnung ist richtig (2.). Die Geltendmachung des Anspruchs verstößt nicht gegen § 242 BGB, weil keine Pflichtverletzung der Klägerin vorliegt (3.).
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1. Das Rechtsverhältnis ist gemäß § 38 Abs. 1 EnWG durch den Strombezug des Beklagten zustande gekommen. Dabei liegt in Bezug auf das Miethaus in der A. Straße 2 ein Strombezug eines Nichthaushaltskunden im Sinne von § 3 Nr. 22 EnWG vor.
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a) Ein Rechtsverhältnis nach § 38 Abs. 1 EnWG setzt voraus, dass kein anderweitiger Energielieferungsvertrag besteht.
29
Häufigster Fall ist die Entnahme eines Nicht-Haushaltskunden ohne ausdrücklichen Vertragsschluss. In solchen Fällen entsteht mangels Anwendbarkeit der GasGVV (§ 1 GasGVV) auch kein konkludenter Grundversorgungsvertrag. Insbesondere in Fällen eines dem Kunden nicht bekannten Ausfalls des Lieferanten fehlt es an einem Erklärungswert des Kunden, einen konkludenten Vertrag zu schließen (vgl. Hierzu auch BGH NJW-RR 2005, 639).
(Theobald/Kühling/Heinlein/Weitenberg, 121. EL Juni 2023, EnWG § 38 Rn. 16, 17, 20)
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§ 3 Nr. 22 EnWG stellt bei der Bestimmung des Haushaltskundenbegriffs auf einen überwiegenden Eigenverbrauch im Haushalt oder einen Jahresverbrauch von nicht mehr als 10.000 Kilowattstunden bei einem Eigenverbrauch für berufliche, landwirtschaftliche oder gewerbliche Zwecke ab. Dabei ist insbesondere bei der Vermietung von Mehrfamilienhäusern maßgeblich, ob der Energieliefervertrag mit dem Vermieter oder jedem einzelnen Mieter abgeschlossen worden ist (vgl. Theobald/Kühling/Hartmann, 121. EL Juni 2023, StromGVV § 1 Rn. 24; die Erläuterungen zur StromGVV finden wegen des identischen Wortlautes auch auf die GasGVV Anwendung).
31
§ 3 Nr. 22 EnWG ist nicht analog auf die streitgegenständliche Konstellation anzuwenden. Es fehlt bereits an einer planwidrigen Regelungslücke.
32
Zwar ist es richtig, dass die Konstellation eines nicht gewerblich vermietenden Vermieters nicht ausdrücklich geregelt ist. Ein nicht gewerblicher Vermieter wäre sodann mangels Eigenverbrauchs sowie mangels einer beruflichen Tätigkeit als Nicht-Haushaltskunde einzustufen. Auf einen Jahresverbrauch käme es nach der Vorschrift nicht an.
33
Diese Rechtsfolge steht allerdings im Einklang mit Wortlaut, Systematik unter Beachtung des gesetzgeberischen und europäischen Willens. Sinn und Zweck der Vorschrift sind hingegen nicht eindeutig.
34
Der Wortlaut der Vorschrift ist eindeutig, weil ein Haushaltskunde Energie überwiegend für den Eigenverbrauch oder als Kleinunternehmer mit nicht mehr als 10.000 Kilowattstunden pro Jahr beziehen muss. Die Vermögensverwaltung im Sinne einer Vermietung ist nicht genannt.
35
Systematisch sind in § 3 EnWG sämtlich Begriffe genau und eindeutig bestimmt. Aufgrund dieser detaillierten Regelungen verbleibt dem Grunde nach bereits ein sehr geringer Interpretationsspielraum. Weiter ergibt sich aus Art. 2 Nr. 25, 26 RL 2009/73/EG, dass lediglich auf den Eigenverbrauch im Haushalt abgestellt werden soll. Sofern Erdgas für andere Zwecke gekauft wird, handelt es sich um einen Nichthaushaltskunden. Unter Berücksichtigung dieses europäischen Willens soll Haushaltskunde nur derjenige sein, welcher Energie für den eigenen Haushalt bezieht. Eine Unterscheidung zwischen Vermietung und beruflicher Tätigkeit findet nicht statt. Dem deutschen Gesetzgeber kam es demnach im Sinne einer richtlinienkonformen Umsetzung nur darauf an, eine Sonderregelung für Kleinunternehmen zu treffen. Eine (weitere) Sonderregelung für private Wohnraumvermietung war offensichtlich nicht gewollt.
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Sinn und Zweck der Vorschriften, insbesondere gemäß § 1 Abs. 1 EnWG, sind nicht eindeutig und vermögen auch keinen über Wortlaut und Systematik hinausgehenden gesetzgeberischen Regelungswillen zu erkennen. Der Aspekt der Verbraucherfreundlichkeit geht bereits in der sicheren und preisgünstigen Zielsetzung des Gesetzes auf. Aus der Verbrauchfreundlichkeit alleine lässt sich nicht ableiten, dass private Wohnraumvermietung im Ergebnis mit günstigeren Preisen privilegiert werden soll.
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b) Nach diesen Grundsätzen ist eine Ersatzversorgung zum Tarif eines Nicht-Haushaltskunden zustande gekommen.
38
Dies ergibt sich zunächst daraus, dass der Beklagte für das Mietshaus in der A. Straße 2 Gas für die Mieter bezieht. Ein Gasbezug zum überwiegenden Eigenverbrauch erfolgt nicht.
39
Darüber hinaus kommt es auf § 3 Nr. 22 Alt. 2 EnWG nicht an, weil der Beklagte kein Gas für berufliche, landwirtschaftliche oder gewerbliche Zwecke bezieht. Eine analoge Anwendung auf Vermieter ist nicht möglich, weil keine planwidrige Regelungslücke besteht.
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Selbst wenn man dies anders sieht, wäre der Verbrauch von 10.000 kWh im Jahr überschritten.
41
Dies ergibt sich aus der informatorischen Anhörung des Herrn H. sowie den unstreitigen Angaben in der Anlage K1.
42
Vom 03.12.2021 bis 31.12.2021 wurde Gas von 9.596 kWh verbraucht, was 883 m³ entspricht. Zuvor hatte der Beklagte der Klägerin einen Stand von 47.537 m³ gemeldet. Weiter wurde vom 01.01.2022 bis 13.02.2022 Gas von 15.421 kWh verbraucht.
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Daraus ergibt sich bereits, dass der Jahresverbrauch deutlich über 10.000 kWh betragen haben muss. Etwaige gegenteilige Aussagen des Beklagten sind nicht nachgewiesen und jedenfalls nicht schlüssig.
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3. Es liegt kein Verstoß gegen § 242 BGB vor, weder aufgrund einer Pflichtverletzung noch aufgrund der dolo-agit-Einrede.
45
a) Ein Verstoß gegen Treu und Glauben ist von Amts wegen zu berücksichtigen. Die Beweislast für das tatsächliche Vorbringen trägt der Beklagte, weil dieser durch die Anwendung von § 242 BGB begünstigt wäre (Grüneberg/Grüneberg, BGB § 242 Rn. 21).
46
Eine derartige unzulässige Rechtsausübung kann ausnahmsweise bei einer Pflichtverletzung des Gläubigers bestehen oder wenn eine geforderte Leistung alsbald zurückzugewähren ist (Grüneberg/Grüneberg, BGB § 242 Rn. 46, 52).
47
b) In Bezug auf die Ersatzversorgung des Mietshauses in der A. Straße 2, ist bereits keine Pflichtverletzung der Klägerin zu erkennen.
48
Das liegt bereits daran, dass § 3 Abs. 2 GasGVV auf einen Nicht-Haushaltskunden keine Anwendung findet (vgl. § 1 Abs. 2 GasGVV). Demnach bestand insoweit keine Pflicht zur unverzüglichen Mitteilung in Textform.
49
Weiter sind höhere Preise in der Ersatzversorgung im Gegensatz zur Grundversorgung zulässig. Der Einwand mit Blick auf die Entscheidung des LG Frankfurt (B2) geht fehl. Dieser Vortrag geht insoweit fehl, weil die Klägerin gegenüber Neukunden keine anderen Preise für die Grundversorgung oder Ersatzversorgung als früheren Bestandskunden festgelegt hat. Bereits nach dem Gesetz (vgl. § 38 Abs. 2 EnWG) sind höherer Allgemeine Preise der Ersatzversorgung zulässig. Das LG Frankfurt hat lediglich eine Ungleichbehandlung in Form von teureren Preisen im Vergleich zu Bestandskunden gerügt.
50
Im vorliegenden Fall wurde eine derartige Ungleichbehandlung weder behauptet noch vorgetragen.
51
Lediglich ergänzend wird darauf hingewiesen, dass die Klägerin die Preise im Fall der Abrechnung eines Nicht-Haushaltskunden freier gestalten kann. Das liegt daran, dass die Schutzvorschrift des § 38 Abs. 2 EnWG nur auf höhere Preise für Haushaltskunden anwendbar ist.
52
Der Vortrag zur Provokation der langen Ersatzlieferung führt nicht zu einer Pflichtverletzung der Klägerin. Dieser Vortrag steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der Mitteilung(spflicht) im Sinne von § 3 Abs. 2 GasGVV. Da eine derartige Pflicht bei Nicht-Haushaltskunden nicht besteht, kann daraus auch keine provozierte Ersatzbelieferung hergeleitet werden.
53
Mangels derartiger Pflichtverletzungen kann der Beklagte auch nicht die dolo-agit-Einrede erheben. Jedenfalls aus diesem Rechtsverhältnis steht dem Beklagten kein spiegelbildlicher Schadenersatzanspruch zu, weil die Klägerin keine Pflichten verletzt hat.
54
II. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von 858,96 € aus §§ 38 EnWG, 3 Abs. 1 GasGVV.
55
Es ist ein Rechtsverhältnis nach §§ 38 EnWG, 3 Abs. 1 GasGVV für das Wohnhaus in der A. Straße 2a zustande gekommen (1.). Dieses Rechtsverhältnis verstößt weder gegen § 125 S. 1 BGB noch gegen § 138 Abs. 2 BGB (2.). Die Abrechnungen der Klägerin sind in Höhe von 858,96 € richtig (3.).
56
Die Geltendmachung des Anspruches verstößt nicht gegen § 242 BGB, insbesondere hat die Klägerin dem Beklagten unverzüglich Beginn und Ende der Ersatzversorgung in Textform gemäß § 3 Abs. 2 S. 1 GasGVV mitgeteilt (4.). Der Beklagte hat kein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB (5.).
57
1. Das Rechtsverhältnis ist zustande gekommen, weil die Voraussetzungen von § 38 Abs. 1 S. 1 EnWG, § 3 Abs. 1 GasGVV für eine Ersatzversorgung vorliegen. Ein konkludenter Vertragsschluss im Sinne von § 2 Abs. 2 GasGVV liegt nicht vor.
58
a) Ein Rechtsverhältnis gemäß §§ 38 Abs. 1 EnWG, 3 Abs. 1 GasGVV entsteht immer dann, wenn ausnahmsweise kein Grundversorgungsvertrag zustande gekommen ist.
59
Dies ist der Fall, wenn der Energieentnahme des Kunden kein Erklärungswert im Sinne eines konkludenten Vertragsschlusses entnommen werden kann. Typischer Anwendungsfall ist der Ausfall oder die Insolvenz des vormaligen Lieferanten (vgl. Theobald/Kühling/Hartmann, 121. EL Juni 2023, StromGVV § 3 Rn. 4 bis 7).
60
Weiter ist § 38 Abs. 4 Satz 1 EnWG dahingehend zu verstehen, dass die Ersatzversorgung frühestens mit Abschluss eines Energieliefervertrages des Kunden endet. Daraus kann abgeleitet werden, dass für diesen Zeitraum von 3 Monaten gerade kein Grundversorgungsvertrag im Wege von § 2 Abs. 2 GasGVV zustande kommt. Diese spezielle Regelung geht der allgemeinen Regel und insbesondere der Rechtsprechung des BGH zur Annahme einer Realofferte vor. Dies ist auch konsequent, da im Falle eines gesetzlichen Schuldverhältnisses nach § 38 EnWG weder ein Bedürfnis noch ein Wille für den Abschluss eines zusätzlichen oder alternativen Grundversorgungsvertrages bestehen kann. Ein derartiger Wille besteht insbesondere nicht beim Energieversorger, weil bereits ein Rechtsverhältnis besteht.
61
b) In diesem Fall kam gerade kein konkludenter Grundversorgungsvertrag zustande, weil der vormalige Energielieferungsvertrag des Beklagten zunächst ohne dessen Wissen gekündigt worden ist. Somit kam es am 03.12.2023 zu einem Ersatzversorgungsvertrag mit der Klägerin.
62
Ein Wille zum konkludenten Abschluss eines Grundversorgungsvertrages lag bei keiner der beiden Parteien vor, weil bereits ein Rechtsverhältnis zustande gekommen ist. Darüber hinaus wollte der Beklagte den Anbieter wechseln, was dieser auch getan hat.
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2. Das Rechtsverhältnis verstößt nicht gegen § 125 S. 1 BGB, weil die Inkenntnissetzung nach § 3 Abs. 2 GasGVV keine Wirksamkeitsvoraussetzung des Rechtsverhältnisses darstellt.
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Dies ergibt sich bereits daraus, dass gemäß § 38 Abs. 1 EnWG das Ersatzversorgungsrechtsverhältnis ohne weitere Zwischenschritte zustande kommt. § 3 Abs. 2 GasGVV dient lediglich der Information und soll gerade keine Wirksamkeitsvoraussetzung der Ersatzversorgung darstellen.
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Es liegt auch kein Verstoß gegen § 138 Abs. 2 BGB vor. Soweit der Beklagte auf das Urteil des LG Frankfurt verweist (B2), greifen diese Argumente gerade nicht durch (s.o.). Wucherähnliche Preise oder eine Ungleichbehandlung zwischen Bestands- und Neukunden wurden nicht behauptet und auch nicht schlüssig vorgetragen.
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4. Es liegt kein Verstoß gegen § 242 BGB vor, weder aufgrund einer Pflichtverletzung noch aufgrund der dolo-agit-Einrede. Zunächst wird vollumfänglich auf die Ausführungen unter Ziffer I.3.b Bezug genommen. Ergänzend gilt folgendes:
67
Die Klägerin hat nicht gegen § 3 Abs. 2 S. 1 GasGVV verstoßen, weil die Klägerin Beginn und Ende der Ersatzversorgung unverzüglich in Textform mit Schreiben vom 23.12.2021 (B3) mitgeteilt hat.
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Unverzüglich meint hierbei „ohne schuldhaftes Zögern“. Ein derartiges schuldhaftes Verhalten steht zur Überzeugung des Gerichts nicht fest.
69
Herr H. hat in der informatorischen Anhörung vom 13.11.2023 glaubhaft erklärt, dass am 02.12.2021 mehrere Versorger in die Insolvenz gegangen sind. Aufgrunddessen mussten sehr viele Kunden in die Grundversorgung aufgenommen werden. Dabei hat zunächst der Betriebsbereich die Zählerstandsanfragen durchgeführt. Der hiervon getrennte Vertrieb wurde im Nachgang informiert und hat dann Schreiben (wie B3) verfasst und versendet.
70
Aus alledem kann bei einer Mitteilung innerhalb von 20 Tagen kein schuldhaftes Zögern abgeleitet werden. Insofern ist nachvollziehbar, dass im Falle einer Neuversorgung von mehr als 800 Kunden aufgrund von Insolvenzen mehrerer Versorger sämtlicher bürokratischer Aufwand bewältigt werden muss. Diese Situation hat eine unverschuldete Belastung der Klägerin dargestellt, weshalb dieser auch ein angemessener Zeitraum für Mitteilungen im Sinne von § 3 Abs. 2 GasGVV gewährt werden muss. Eine Mitteilung innerhalb von 20 Tagen hält sich dabei in einem Rahmen, welcher von Seiten des Kunden zu akzeptieren ist.
71
Aus demselben Grund kann auch von keiner Provokation einer überlangen Ersatzlieferung gesprochen werden. Letztlich ist keine konkrete Pflichtverletzung erkennbar.
72
Die Klägerin hat unverzüglich über die Ersatzversorgung informiert. Das Zustandekommen des Stromvertrages zwischen dem Beklagten und der Stromversorgung Unterfranken am 25.01.2022 stellt angesichts des Jahreswechsels keine ungewöhnliche Zeitspanne dar. Weiterer Vortrag des Beklagten zu Verzögerungen durch die Klägerin ist nicht schlüssig und auch nicht bewiesen. Insofern ist es nicht ungewöhnlich, dass Angebote der Klägerin für eine Anschlussversorgung an den Beklagten zunächst durchdacht werden müssen. Weiter ist es angesichts der besonderen Ausnahmesituation und der Feiertagssituation Ende Dezember/Anfang Januar ebenfalls nicht ungewöhnlich, dass eine Korrespondenz erschwert ist und möglicherweise länger dauert als üblich.
73
Schließlich steht dem Beklagten die dolo-agit-Einrede nicht zu, weil der Beklagte keine etwaigen Schadenersatzansprüche aus dem Ersatzversorgungsrechtsverhältnis hat.
74
Dies liegt bereits daran, dass die Klägerin gegen keine Pflichten verstoßen hat. Auf den – nicht schlüssigen – Vortrag zu einem etwaigen Schaden sowie der angeblichen Möglichkeit eines Energieversorgerwechsels vor dem 23.12.2021 kommt es demnach nicht mehr an.
75
Schließlich läge hier ein überwiegendes Mitverschulden des Beklagten im Sinne von § 254 Abs. 1 BGB vor. Bereits am 08.12.2021 wurde der Beklagte von der Klägerin aufgefordert, Zählerstände mitzuteilen (K5). In der Überschrift stand „Wechsel Ihres Gaslieferanten“. In der ersten Zeile stand „Gaslieferantenwechsel zum 03.12.2021“. Allein aufgrund dieses Schreibens hätte der Beklagte bereits nachforschen können und müssen, inwieweit hier ein Gaslieferantenwechsel stattgefunden haben könnte. Die Angaben des Beklagten dahingehend, dass er das Schreiben nicht verstanden habe, ändern daran nichts. In einer derartigen Situation ist es aufgrund des sehr eindeutigen Wortlautes zumutbar zumindest eine Hotline anzurufen und gegebenenfalls bereits nach einem neuen Gasanbieter zu suchen.
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5. Dem Beklagten steht kein Zurückbehaltungsrecht nach § 273 Abs. 1 BGB zu.
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Der Beklagte hat keinen Anspruch auf eine ordnungsgemäße Abrechnung. Die Abrechnung stellt keinen Selbstzweck dar. Dies gilt unabhängig davon, dass die Abrechnung K1 richtig ist. Das liegt daran, dass im Falle einer falschen Rechnung bereits der Anspruch nicht entstanden ist. Auf ein Zurückbehaltungsrecht kommt es nicht an.
78
Ein anderes ergibt sich auch nicht aus § 17 Abs. 1 S. 2 GasGVV. Danach bedürfte es eines offensichtlichen Ablese- oder Rechenfehlers. Vertiefte rechtliche Überlegungen sind davon nicht umfasst (vgl. Theobald/Kühling/Hartmann, 121. EL Juni 2023, StromGVV § 17 Rn. 10).
79
Vorliegend sind die Berechnungen und Ablesungen unstreitig. Des weiteren handelt es sich bei den bereits diskutierten Rechtsfragen um komplexe rechtliche Überlegungen zur Anwendbarkeit von GasGVV und EnWG.
80
IV. Die Klägerin hat Anspruch auf Zinsen aus § 288, 286 Abs. 1 S. 1, 187 BGB aus einem Betrag von 4.248,75 € seit dem 28.03.2022.
81
Im vorliegenden Fall ist Verzug mit der Mahnung vom 24.03.2022 eingetreten. Der Zugang der Mahnung ist unstreitig.
82
Da ein konkreter Zugangszeitpunkt nicht genannt worden ist, schätzt das Gericht gemäß § 287 Abs. 1 ZPO analog den Zeitpunkt des Zinsbeginns.
83
Die Frage des konkreten Zugangs einer Mahnung ist bei formlosen Schreiben in der Regel nicht mehr ohne Weiteres nachvollziehbar. Aus diesem Grund bedarf es hier einer Schätzung, insbesondere weil eine Beweisaufnahme dahingehend und in der Regel unverhältnismäßig wäre.
84
Eine vergleichbare Lage liegt vor, weil es letztlich um die Höhe des Schadens geht. Dieser hängt konkret vom Tag des Zinsbeginnes ab.
85
Die Regelungslücke besteht und ist planwidrig, weil übersehen worden ist, dass sowohl der Zugangszeitpunkt der Mahnung als auch der konkrete Zinsbeginn unmittelbar zusammenhängen. Eine Anwendung von § 286 ZPO allein wird dem nicht gerecht.
86
Diese Problematik hat der Gesetzgeber übersehen, denn er hat dazu keine Regelung getroffen.
87
Konkret schätzt das Gericht den Zugang bei einem einfachen Brief auf den dritten Tag nach Aufgabe zur Post. Dies entspricht den generellen Zugangszeiten der heutigen Zeit. Weiter geht auch der Gesetzgeber von einem Zugang innerhalb von 3 Tagen aus, was sich in der 3-Tages-Fiktion des § 41 Abs. 2 VwVfG zeigt.
88
Demnach ist auf den dritten Tag nach Aufgabe zur Post abzustellen. Dies wäre der 27.03.2022. Aufgrund der Regelung des § 187 Abs. 1 BGB können Zinsen ab 28.03.2022 verlangt werden.
89
Im Übrigen ist die Klage unbegründet.
90
Kostenentscheidung, Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit, Entscheidung zu § 156 ZPO.