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AG Fürstenfeldbruck, Endbeschluss v. 26.01.2023 – 006 F 504/22
Titel:

Antragsgegner, Kindesunterhalt, Kostenentscheidung, Tatsächliche Fürsorge, Kindergeldberechtigter, Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen, Bestimmung des Kindergeldberechtigten, Kindergeldanteil, Betreuungsanteil, Kindesvater, Verfahrenswert, Rechtsschutzbedürfnis, Unterhaltsberechnung, Düsseldorfer Tabelle, Unterhaltsbeträge, Unterhaltssachen, Anschließendes gerichtliches Verfahren, Ein Elternteil, Familiengerichtliches Verfahren, Schriftsätze

Schlagworte:
Kindesunterhalt, Alleinvertretungsmacht, Obhut, Betreuungszeiten, Schwerpunkt der Betreuung, Rechtsschutzbedürfnis
Rechtsmittelinstanzen:
OLG München, Beschluss vom 04.07.2023 – 2 UF 185/23 e
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 10.04.2024 – XII ZB 459/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 48678

Tenor

1. Der Antrag wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Antragsteller zu gleichen Teilen.
3. Der Verfahrenswert wird auf 8.879,00 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Beteiligten streiten um die Zahlung von Kindesunterhalt.
2
Die Antragsgegnerin ist die Mutter beider Antragsteller. Der Kindsvater tritt im Verfahren als gesetzlicher Vertreter beider Antragsteller auf. Die Mutter und der Vater sind und waren nicht miteinander verheiratet und üben das Sorgerecht gemeinsam aus. Bereits seit November 2021 ist der Umgang zwischen den Eltern so geregelt, dass die Betreuung an den Wochenenden (beginnend ab Freitag nach der Schule/nach dem Kindergarten bis zum Montag zur Schule/zum Kindergarten) und in den Schulferien hälftig aufgeteilt wurde. Ansonsten sollte die Antragsgegnerin die Kinder an den sieben Tagen im Monat (jeweils beginnend bereits mit dem Vorabend ab 18 Uhr) betreuen, an denen der Vater in der Pflege arbeiten muss und ansonsten beim Vater leben. Diese Praxis wurde in einer gerichtlichen Vereinbarung vom 07.04.22 nochmals bestätigt (Az. 6 F 207/22).
3
Der genaue Umfang der tatsächlich von den einzelnen Beteiligten erbrachten Betreuungszeiten ist streitig.
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Der Vater beantragt für die Antragsteller,
1.
die Antragsgegnerin zu verpflichten, Kindesunterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle für die gemeinsamen Kinder NN2, geboren 2012 und NN1, geboren 2015 zu Händen des Antragstellers monatlich im Voraus, spätestens bis zum 3. eines Monats, nach Stufe 1 zu zahlen in Höhe von derzeit 341,50 € für NN2 und 341,50 € für NN1. Diese Unterhaltszahlung gilt rückwirkend zum 1.6.2022, so dass aufgelaufener Unterhalt nachzuzahlen ist. Dieser Unterhaltsbetrag wird entsprechend den Anpassungen in der Düsseldorfer Tabelle angepasst.
2.
Die Antragsgegnerin willigt ein, dass das Kindergeld für beide Kinder an den Antragsteller zur Auszahlung kommt.
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Er behauptet, die Kinder seien im Jahr 2022 jeweils nur an denjenigen Tagen bei der Antragsgegnerin gewesen, welche er in von ihm vorgelegten Kalenderblättern markiert oder an welchen in den von ihm vorgelegten Dienstplänen ein Dienst des Vaters eingetragen sei.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzuweisen.
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Auf die Schriftsätze der Beteiligten, die erteilten gerichtlichen Hinweise sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 03.11.22 wird im Übrigen Bezug genommen.
II.
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Beide Anträge sind unzulässig.
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1. Für die Geltendmachung des Kindesunterhalts ist der Kindsvater nicht vertretungsberechtigt für die beiden Antragsteller.
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Die Alleinvertretungsmacht gemäß § 1629 Abs. 2 Satz 2 BGB setzt voraus, dass der klagende Elternteil die Obhut über das Kind hat. Obhut bedeutet die tatsächliche Fürsorge für das Kind. Betreuen beide Elternteile nach der Trennung der Parteien das Kind gemeinsam weiter, ist darauf abzustellen, bei welchem Elternteil der Schwerpunkt der tatsächlichen Fürsorge und Erziehung liegt. Die Beweislast für die eigene überwiegende tatsächliche Fürsorge liegt bei dem Elternteil, der zur Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen ein Alleinvertretungsrecht begehrt (BeckOGK/Amend-Traut BGB § 1629 Rn. 86 m.w.N.). Lässt sich der Schwerpunkt der Betreuung nicht feststellen, fällt keinem Elternteil die Alleinvertretungsbefugnis zu (vgl. OLG Karlsruhe, BeckRS 2006, 9719 m.w.N.).
11
Vorliegend ist ein Schwerpunkt der Betreuung und Erziehung nicht feststellbar. Die Antragsteller, die sich auf die Alleinvertretung des Kindsvaters berufen, haben nicht nachweisen können, dass der Schwerpunkt der tatsächlichen Fürsorge und Erziehung bei diesem liegt.
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Die zeitliche Verteilung ist dabei nur ein Indiz, maßgeblich ist, ob bei einer Gesamtbetrachtung von einem Schwerpunkt der Betreuung bei einem Elternteil ausgegangen werden kann.
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Für den Umfang der Betreuung ergibt sich – soweit feststellbar – folgende zeitliche Verteilung:
14
a) Ausgehend von der unstreitigen Vereinbarung der Beteiligten mit im Schnitt sieben Betreuungstagen der Antragsgegnerin im Monat zusätzlich zu den (jeweils hälftig aufgeteilten) Ferien und den Wochenenden erreicht die Antragsgegnerin eine paritätische Betreuungszeit in den Ferien und an den Wochenenden. An den Wochenenden (Freitagmittag bis Montagfrüh) haben die Beteiligten jeweils rund 2,75 Tage alleine zu betreuen. Bei durchschnittlich 4,33 Wochenenden pro Monat kommt jeder Elternteil so auf rund 5,95 Betreuungstage monatlich. Unter der Woche hat (bei einer Berücksichtigung von vier Tagen pro Woche von Montagmittag bis Freitagfrüh und durchschnittlich 4,33 Wochen pro Monat) der Antragsteller im Schnitt 10,33 Betreuungstage und die Antragsgegnerin 7 Betreuungstage. Rechnet man die Zeit in Kindergarten / Schule mit einer Größenordnung von 25% der gesamten Zeit noch heraus, bleiben 7,75 Betreuungstage des Vater und 5,25 Betreuungstage bei der Mutter. In Summe mit den Wochenendzeiten ergeben sich dann 13,7 Betreuungstage des Vaters und 11,2 Betreuungstage der Mutter pro Monat. Im Ergebnis beträgt der vereinbarte Betreuungsanteil der Antragsgegnerin daher bereits außerhalb der Ferien 44,98%.
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Zudem sind von 52 Wochen im Jahr 12 Wochen schulfrei, von denen die Antragsgegnerin sechs alleine betreut. Selbst wenn man Ferienzeiten im Verhältnis zu den übrigen Zeiten als weniger betreuungsintensiv ansieht und daher die entsprechenden Zeiten nicht voll in die Berechnung einstellt, ist eine gewisse Berücksichtigung gleichwohl geboten. Rechnerisch machen die Ferienzeiten etwa 12/52 aus und die Schulzeiten rund 40/52 aus. Gibt man den Ferien ein Gewicht von nur drei Vierteln dieses rechnerischen Wertes (also von 9/52), kommt die Antragstellerin auf einen gesamten rechnerischen Anteil von (9/52 x 50%) + (43/52 x 44,98%) = 46,48%.
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b) Ausgehend von der tatsächlichen Aufteilung in den letzten Monaten ausweislich der von den Beteiligten vorgelegten Kalender ergibt sich kein grundlegend abweichendes Bild. Dabei hat das Gericht für den Zeitraum ab Oktober die nachfolgende Berechnung allein auf die Angaben des Kindsvaters gestützt. Die davon teilweise abweichenden Angaben der Kindsmutter im Schriftsatz vom 16.01.2023 konnte das Gericht (zur Vermeidung einer andernfalls erforderlichen Gewährung rechtlichen Gehörs zu diesem Schriftsatz) unberücksichtigt lassen, weil auch bei Wahrunterstellung der Angaben des Kindsvaters insoweit ein Schwerpunkt beim Vater nicht feststellbar ist. Konkret hatte die Mutter demnach im Januar 2022 bei drei außerhalb der Ferien liegenden Wochen 8 Betreuungstage unter der Woche. Im Februar waren es 12 Tage, im März 5 Tage in drei maßgeblichen Wochen, im April 5 Tage in zwei Wochen, im Mai sieben Tage, im Juni 3 Tage in zwei Wochen, im Juli sechs Tage, im September 4 Tage in drei Wochen, im Oktober 5 Tage, im November 5 Tage in drei Wochen und im Dezember 5 Tage in drei Wochen.
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Insgesamt ergeben sich in den insgesamt 38 außerhalb der Ferien liegenden Wochen bis Dezember 65 Tage der Betreuung unter der Woche für die Antragsgegnerin, im Schnitt also 1,71 Tage unter der Woche. Nachdem bei einem Betreuungswechsel unter der Woche vom Vater zur Mutter der Wechsel unstreitig bereits am Vorabend erfolgte und solche Betreuungswechsel nach den vorgelegten Unterlagen im Schnitt einmal wöchentlich vorkamen, rechnet das Gericht der Antragstellerin pro Woche noch 0,25 zusätzliche Tage pro Woche zu. Die Antragsgegnerin kommt mithin im Ergebnis also auf 1,96 Tage unter der Woche. Dies ergibt einen Betreuungsanteil von 39,2% unter der Woche. An den Wochenenden betreuen die Eltern die Kinder unstreitig paritätisch. Nachdem unter der Woche wegen der Schule zeitlich weniger Betreuung geleistet werden muss als am Wochenende, berücksichtigt das Gericht die Wochenendanteile im Vergleich zu den Anteilen unter der Woche im Verhältnis von 3 : 4. Dies ergibt im Ergebnis einen zeitlichen Betreuungsanteil der Antragsgegnerin von (4/7 x 39,2%)+ (3/7 x 50%) = 43,83%.
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Die zwischen den Beteiligten schon vor dem Schriftsatz vom 16.01.2023 streitigen Tage (7.2., 8.2., 10.2. und 11.2.) wirken sich nicht entscheidend aus, hat das Gericht aber – mangels entsprechendes Beweisangebots der beweisbelasteten Antragsteller – der Mutter zugerechnet. Bei hälftiger Berücksichtigung zugunsten des Vaters würde sich ein geringfügig niedrigerer Betreuungsanteil der Mutter von 43,23% ergeben.
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Zudem sind von 52 Wochen im Jahr 12 Wochen schulfrei, von denen die Antragsgegnerin sechs alleine betreut. Selbst wenn man Ferienzeiten im Verhältnis zu den übrigen Zeiten als weniger betreuungsintensiv ansieht und daher die entsprechenden Zeiten nicht voll in die Berechnung einstellt, ist eine gewisse Berücksichtigung gleichwohl geboten. Rechnerisch machen die Ferienzeiten etwa 12/52 aus und die Schulzeiten rund 40/52 aus. Gibt man den Ferien ein Gewicht von nur drei Vierteln dieses rechnerischen Wertes (also von 9/52), kommt die Antragstellerin auf einen gesamten rechnerischen Anteil von (9/52 x 50%) + (43/52 x 43,83%) = 45,74%.
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c) Es ist damit im Ergebnis nach beiden Berechnungen zwar ein zeitlich geringfügig höherer Betreuungsanteil des Vaters festzustellen, nicht aber ein deutlicher Schwerpunkt der Betreuung durch den Vater. Ein zeitlicher Betreuungsanteil des Kindsvaters von – nach beiden Berechnungen – weniger als 55% genügt jedenfalls nicht, um einen deutlichen zeitlichen Schwerpunkt der Betreuung festzustellen. Selbst wenn man die Ferien – was nicht sachgerecht erschiene – völlig außer Acht lassen wollte, würde sich ein Anteil von maximal 56,2% des Vaters ergeben. Selbst dies genügt nicht für einen deutliches zeitliches Überwiegen (ebenso OLG Köln, FamRZ 2015, 859).
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Anhaltspunkte dafür, dass der Inhalt der Betreuungsleistung stark auseinanderfallen könnte, dass also bestimmte Angelegenheiten ausschließlich oder stark überwiegend vom Vater übernommen werden, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Jedenfalls für medizinische Fragen hat das Gericht im Umgangsverfahren 6 F 207/22 den Eindruck gewonnen, dass diese im Wesentlichen von der Antragsgegnerin organisiert werden. Auch hinsichtlich der durch die Schule veranlassten Kosten hat sich in der mündlichen Verhandlung im hiesigen Verfahren ergeben, dass diese bislang jeweils von der Mutter getragen wurden, was erkennen lässt, dass auch die entsprechende organisatorische Abwicklung von der Mutter übernommen worden war. Insgesamt sind damit allenfalls Anhaltspunkte für schwerpunktmäßige Übernahme bestimmter Angelegenheiten durch die Mutter erkennbar, nicht aber für verstärkte inhaltliche Übernahmen durch den Vater. Das oben gefundene Ergebnis wird durch diesen Befund mithin noch verstärkt.
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2. Für den Antrag auf Zustimmung zur Auszahlung des Kindergeldes ist ein Rechtsschutzbedürfnis der beiden Antragsteller nicht ersichtlich. Es handelt sich letztlich um eine Streitigkeit zwischen den Eltern, die die rechtlichen Interessen der Kinder in keiner Weise berühren.
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Lediglich obiter dictu weist das Gericht darauf hin, dass auch der Vater – wenn er denn selbst Antragsteller wäre – keinen Erfolg mit seinem Antrag hätte.
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Einen familienrechtlichen Anspruch auf Zustimmung zur Auszahlung an den anderen Elternteil gibt es nicht. Lediglich sieht das materielle Recht die Berücksichtigung des Kindergelds im Rahmen der Unterhaltsberechnung vor. Ein Elternteil, der selbst kein Kindergeld erhält, kann also beim Kindesunterhalt den anteiligen Kindergeldanteil abziehen.
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Kindergeld wird zudem an denjenigen ausgezahlt, in dessen Haushalt das Kind aufgenommen ist. Bei mehreren Kindergeldberechtigten entscheidet der Schwerpunkt der Betreuung. Das Verfahren hierzu ist allerdings kein familiengerichtliches Verfahren, sondern ein Verwaltungsverfahren vor der Familienkasse (und ggf. ein sich hieran anschließenden Gerichtsverfahren im Rechtsweg vor den Finanzgerichten). Der Kindsvater hat den entsprechenden Antrag bei der Familienkasse offenbar bereits gestellt. Nach dessen Ablehnung kann er sich nunmehr an die Finanzgerichte wenden.
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Lediglich für den Fall einer (annähernd) gleichwertigen Betreuung durch beide Kindergeldberechtigte (also wenn nicht feststellbar ist, wer die Kinder im Schwerpunkt betreut) ist eine analoge Bestimmung des Kindergeldberechtigten entsprechend § 64 II EStG anerkannt. Abgesehen davon, dass ein solcher Antrag nicht gestellt ist, müsste der Vater dann zumindest behaupten, dass eine annähernd gleichwertige Betreuung durch beide Elternteile stattfinde. Andernfalls wäre sein entsprechender Antrag bereits als unzulässig zurückzuweisen (vgl. Finke, FÜR 2012, 155, 157 m.w.N.). Diese Behauptung stellt der Vater aber gerade nicht auf.
Kosten und Nebenentscheidungen
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 243 Satz 1 und 2 Nr. 1 FamFG. Abweichend von den Vorschriften der Zivilprozessordnung über die Kostenentscheidung entscheidet das Gericht in Unterhaltssachen nach billigem Ermessen über die Verteilung der Kosten des Verfahrens auf die Beteiligten. Vorliegend ist hierbei insbesondere das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen der Beteiligten einschließlich der Dauer der Unterhaltsverpflichtung zu berücksichtigen. Vorliegend waren die Antragsteller mit beiden Anträgen voll unterlegen.
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Die Festsetzung des Verfahrenswertes beruht auf § 51 FamGKG. Das Gericht hat den zwölffachen Unterhaltsbetrag ab Antragstellung sowie den Rückstand für zwei Monate (Juni und Juli) angesetzt.