Inhalt

OLG München, Beschluss v. 11.05.2023 – 30 UF 287/23 e
Titel:

Voraussetzungen der Berichtigung eines Adoptionsbeschlusses wegen Unrichtigkeit

Normenketten:
FamFG § 42 Abs. 1, § 197
ZPO § 567, § 572
BGB § 1760, § 1771 Abs. 1 S. 1
Leitsätze:
1. Auch testamentarische Erben müssen beschwerdeberechtigt sein, wenn sie die Rechtsmittelinstanz in einem Verfahren zur Berichtigung eines Adoptionsbeschlusses anrufen möchten. (Rn. 47) (redaktioneller Leitsatz)
2. Vom Bestand eines Adoptionsbeschlusses ist grds. auch dann auszugehen, wenn er erhebliche verfahrensrechtliche oder inhaltliche Mängel aufweist. Deshalb ist auch für die Frage dessen Nichtigkeit ein sehr strenger Maßstab anzulegen. (Rn. 51) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Unrichtigkeit iSd § 42 Abs. 1 FamFG liegt vor, wenn und soweit die im Beschluss verlautbarte Entschließung des Gerichts durch technische oder andere im Justizalltag unvermeidliche Fehlleistungen und Irrtümer verfälscht wird; es muss sich um einen Fall der Unstimmigkeit zwischen Willen und Erklärung des Gerichts handeln. (Rn. 53) (redaktioneller Leitsatz)
4. Eine offenbare Unrichtigkeit liegt insb. vor bei einer Divergenz zwischen dem Urteilsausspruch (Tenor) und der vom Gericht beabsichtigten Entscheidung. (Rn. 55) (redaktioneller Leitsatz)
5. Ein Adoptionsbeschluss ist nur zu berichtigen, soweit dadurch Bestand und Inhalt seiner konstitutiven Wirkung, dh der Ausspruch der Annahme, nicht berührt wird. (Rn. 58) (redaktioneller Leitsatz)
6. Die Berichtigung eines Adoptionsbeschlusses ist nur zulässig, wenn sich die Unrichtigkeit aus der Entscheidung selbst oder aus Vorgängen bei Erlass oder Verkündung der Entscheidung auch für Dritte ohne weiteres ergibt. (Rn. 59) (redaktioneller Leitsatz)
7. Sowohl die Bestimmung des § 197 FamFG als auch die in § 1760 BGB geregelten Aufhebungsgründe und die vom Gesetzgeber vorgesehene dreijährige Ausschlussfrist für eine Aufhebung zeigen deutlich auf, dass der Gesetzgeber eine erhöhte Bestandskraft mit Rechtssicherheitsgarantien wollte. (Rn. 65) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Adoptionsbeschluss, offenbare Unrichtigkeit, Pflichtteilsanspruch, Rechtskraftwirkung, Beschwerdebefugnis, testamentarische Erben
Vorinstanz:
AG Landsberg, Berichtigungsbeschluss vom 25.01.2023 – 001 F 630/16
Rechtsmittelinstanzen:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 27.03.2024 – XII ZB 237/23
BGH Karlsruhe, Berichtigungsbeschluss vom 10.07.2024 – XII ZB 237/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 48605

Tenor

I. Auf die Beschwerden der Beschwerdeführerinnen zu 1) und zu 2) H. P. und H. W. wird der Berichtigungsbeschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Landsberg/Lech, Az. 001 F 630/16, vom 25.01.2023 aufgehoben und der Berichtigungsantrag des Angenommenen (früher: Anzunehmender) S. Ch.vom 22.12.2022 zurückgewiesen.
II. Von der Erhebung von Gerichtskosten im Beschwerdeverfahren wird abgesehen. Außergerichtliche Auslagen der Beteiligten in beiden Instanzen werden nicht erstattet.
III. Der Verfahrenswert für die Beschwerdeinstanz wird auf 13.447,00 € festgesetzt.
IV. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

A.
1
Gegenstand des Verfahrens ist die Berichtigung des Adoptionsbeschlusses des Amtsgerichts Landberg/Lech vom 10.11.2016, durch den H. C. als Kind von Gu. S. angenommen worden ist.
2
Durch Notarurkunde des Notars P. S., L., vom 29.08.2016 (Urkunden-Nr. …) haben der mittlerweile verstorbene Gu. S. als Annehmender und C. H. als Anzunehmender beim Amtsgericht Landsberg/Lech beantragt, die Annahme von C. H. als Kind von Gu. S. auszusprechen. Die Notarurkunde beinhaltet ferner, dass nicht beantragt wird, zu bestimmen, dass sich die Wirkungen der Annahme als Kind nach den Vorschriften über die Annahme eines Minderjährigen oder eines verwandten Minderjährigen (§§ 1754 – 1756 BGB) richten.
3
Das Amtsgericht – Familiengericht – Landsberg/Lech hat durch Beschluss vom 10.11.2016 die Annahme des Anzunehmenden C. H., geboren am …1983 in …, als Kind des Annehmenden Gu. S., geboren am …1935 …, ausgesprochen und angeordnet, dass der Angenommene nunmehr den Geburtsnamen S. führt. Auf Antrag des Angenommenen wurde der Beschluss durch Berichtigungsbeschluss des Amtsgerichts Landsberg/Lech vom 25.01.2023 „berichtigt“. Die eingelegten Beschwerden richten sich gegen diesen Berichtigungsbeschluss.
4
Der Adoptionsbeschluss ist an den Annehmenden am 17.11.2016 per Postzustellungsurkunde zugestellt worden und an den Anzunehmenden und dessen Mutter – B. N.- und an den leiblichen Vater des Anzunehmenden – H. P.- formlos auf dem Postweg übersandt worden. Die Rechtsbehelfsbelehrunglautet:
„Der Beschluss ist mit Rechtsmitteln nicht anfechtbar.“
5
Mit Verfügung des Amtsgerichts Landberg/Lech vom 01.12.2016 ist eine Beschlussausfertigung mit Rechtswirksamkeitsbescheinigung an den Anzunehmenden und den Annehmenden und an das Standesamt ...hinausgegeben worden (vgl. Bl. 28/31 d.A.).
6
Mit weiterem Beschluss des Amtsgerichts vom 31.05.2017 ist auf die Beschwerde des Bezirksrevisors beim Landgericht Augsburg der Verfahrenswert im Adoptionsverfahren von 5.000,00 € auf 100.000,00 € korrigiert worden.
7
Mit Schriftsatz vom 19.11.2022 beantragte der Verfahrensbevollmächtigte von W. H. und E. P. H. Akteneinsicht in das unter dem Az. 001 F 630/16 Amtsgericht Landsberg/Lech geführte Adoptionsverfahren. Zur Begründung wurde mitgeteilt, dass P. H. – der leibliche Vater des Angenommenen – am ... 2019 verstorben sei und von seiner Ehefrau W. H. und dem gemeinsamen Kind E. P. H. beerbt worden sei.
8
Der Angenommene – Ch. S. – mache in einem Zivilverfahren Pflichtteilsansprüche – so die Gesuchsteller – gegen die Erben des P. H. geltend. Der Annehmende war bereits am ... 2018 verstorben und von dem leiblichen Vater des Angenommenen – P. H., verstorben am ... 2019 – beerbt worden.
9
Mit Schriftsatz vom 22.08.2022 hat der Verfahrensbevollmächtigte des Angenommenen ebenfalls Einsicht in die Adoptionsakten unter Hinweis darauf, dass keine Annahme mit den Wirkungen der Minderjährigenannahme nach § 1772 BGB vorgelegen habe, beantragt.
10
Der Verfahrensbevollmächtigte der Erbengemeinschaft H. hat sich mit Schriftsatz vom 23.11.2023 gegen eine Berichtigung des Adoptionsbeschlusses verwahrt; in der Begründung des Beschlusses des Amtsgerichts sei ausgeführt, dass sich die Annahme als Kind auf §§ 1767, 1772 BGB gründet. Eine Berichtigung des Adoptionsbeschlusses nach § 42 FamFG sei nicht zulässig. Wenn das Gericht statt einer einfachen Volljährigenadoption aus Versehen eine Adoption mit den Wirkungen einer Minderjährigenadoption ausspreche, sei die Entscheidung zwar nicht nichtig; eine Berichtigung gemäß § 42 FamFG scheide aber aus; eine Aufhebung des Beschlusses nach § 197 Abs. 3 Satz 1 FamFG sei ausgeschlossen. Der Gesetzgeber – so der Verfahrensbevollmächtigte der Erben des leiblichen Vaters des Angenommenen – habe nur das Verfahren nach §§ 1760 ff. BGB vorgesehen; nach Ablauf der Fristen (§ 1762 BGB) sei eine Aufhebung der Adoption nicht mehr möglich.
11
Mit Schriftsatz vom 22.12.2022 hat der Verfahrensbevollmächtigte des Angenommenen Ch. Sch. eine Berichtigung des Adoptionsbeschlusses gemäß § 42 FamFG beantragt.
12
Zwar habe das Amtsgericht in den Gründen ausgeführt, dass sich die Annahme als Kind auf §§ 1767, 1772 BGB stütze. Dies sei jedoch weder gewollt noch beantragt gewesen. Gewollt sei die Rechtsfolge des § 1770 BGB gewesen. Es sei davon auszugehen, dass es sich bei der Angabe des § 1772 BGB im Adoptionsbeschluss um einen Schreibfehler des Gerichts handele.
13
Die Erben des leiblichen Vaters des Angenommenen sind dem Berichtigungsantrag entgegengetreten. Da in der Begründung des Beschlusses ausdrücklich ausgeführt sei, dass „sich die Annahme als Kind auf §§ 1767, 1772 BGB gründe“, sei die Annahme des Antragstellers unabhängig von dessen Antrag jedenfalls mit den Wirkungen einer Annahme als Minderjähriger, also mit Erlöschen sämtlicher Pflichtteilsrechte aus dem Nachlass seines leiblichen Vaters, erfolgt. Die Bestimmung nach § 1772 BGB, dass sich die Wirkungen nach § 1772 BGB richten, sei konstitutiv und für die Gerichte bindend. Die Berichtigung sei nicht zulässig, vielmehr hätte ein Antrag nach § 1760 BGB gestellt werden müssen; dies sei selbstverschuldet unterlassen worden.
14
Die für das Adoptionsverfahren im Jahr 2016 zuständige Familienrichterin hat unter dem 25.01.2023 eine dienstliche Stellungnahme zum Adoptionsbeschluss vom 10.11.2016 abgegeben, die wie folgt lautet:
„Bei den Ausführungen im Beschluss vom 10.11.2016 in den Gründen „die Annahme als Kind gründet sich auf §§ 1767, 1772 BGB“ handelt es sich um ein offensichtliches Schreibversehen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass im Formular des Adoptionsbeschlusses im entsprechenden Modul das falsche Kästchen angeklickt wurde. Im Tenor ist explizit nicht ausgeführt, dass sich die Annahme auf §§ 1767, 1772 BGB stützt, so dass erkennbar ist, dass es sich um ein Schreibversehen handelt.“
15
Mit Beschluss vom 25.01.2023 hat die nunmehr zuständige erstinstanzliche Familienrichterin folgenden Beschluss erlassen:
„Der Beschluss des Amtsgerichts Landsberg/Lech vom 10.11.2016 wird in den Gründen wie folgt berichtigt:
Die Annahme als Kind beruht auf §§ 1767, 1770 BGB (statt § 1772 BGB).“
16
Zur Begründung wird u.a. ausgeführt, dass die Entscheidung auf § 42 FamFG beruhe. Es liege ein offensichtliches Diktat- oder Schreibversehen vor. Die damals zuständige Richterin habe in ihrer dienstlichen Stellungnahme ausgeführt, dass es sich um ein „Klickversehen“ in der EDV handele. Ergänzungen und Berichtigungen (§§ 42, 43 FamFG) – so das Amtsgericht weiter – in einem späteren Beschluss seien möglich „hinsichtlich der nach § 197 Abs. 1 Satz 1 FamFG erforderlichen Angaben sowie nach § 1772 BGB vorzunehmenden Bestimmung“ .
17
Beim Amtsgericht Landsberg/Lech werde die Wirkung des § 1772 BGB üblicherweise in den Tenor übernommen und dies sei auch so vom EDV-System vorgesehen. Außerdem sei in der Notarurkunde ein Antrag nach § 1772 BGB nicht gestellt worden; die Voraussetzungen des § 1772 Abs. 1 Satz 1 BGB hätten auch ausdrücklich nicht vorgelegen. Ergänzend sei noch auszuführen, dass bezüglich § 1757 BGB eine Verfassungsgerichtsentscheidung ausstehe.
18
Dieser Beschluss wurde unter dem 01.02.2023 u.a. an die Rechtsanwälte L. zugestellt. Mit Schriftsatz vom 15.02.2023 hat die Kanzlei L. als Verfahrensbevollmächtigte der Erben des verstorbenen leiblichen Vaters des Angenommenen, E. P. H., geboren am … 2010 und W. H., geboren am …1968 (= Ehefrau des Verstorbenen) beim Amtsgericht Landsberg/Lech sofortige Beschwerde eingelegt und sogleich begründet. Dieser-Schriftsatz ist am 15.02.2023 beim Amtsgericht Landsberg/Lech eingegangen.
19
Nachdem das Amtsgericht eine Frist zur weiteren Beschwerdebegründung mit Verfügung vom 17.02.2023 bis zum 27.02.2023 eingeräumt hatte, hat der Verfahrensbevollmächtigte der Erben mit Schriftsatz vom 27.02.2023 nochmals einen mit „Beschwerde“ überschriebenen Schriftsatz, eingegangen am selben Tag beim Amtsgericht Landsberg/Lech und beim Oberlandesgericht München (von dort an das AG Landsberg/Lech weitergeleitet, wo dieser am 07.03.2023 eingegangen ist), eingereicht.
20
Zur Begründung der Beschwerde wird ausgeführt:
21
Im Schriftsatz vom 15.02.2023 führten die Beschwerdeführer zunächst zur „Beschwerdebefugnis nach § 59 FamFG“ wie folgt aus:
22
Wegen der rechtlichen Möglichkeit des Wiederauflebens des ursprünglichen Verwandtschaftsverhältnisses und sich hieraus ergebender Rechte und Pflichten seien auch die leiblichen Eltern eines Angenommenen Beteiligte und damit beschwerdeberechtigt. Durch die Berichtigung des Adoptionsbeschlusses vom 10.11.2016 dahingehend, dass sich die Annahme nicht mehr auf § 1772 BGB gründet, wurde das Verwandtschaftsverhältnis vollständig geändert und es würden nunmehr Rechte und Pflichten zwischen dem Angenommenen und den Beschwerdeführerinnen, die zuvor erloschen gewesen seien, herbeigeführt. Insbesondere könne eine Pflicht zur Zahlung eines Pflichtteilsanspruchs entstehen, wenn das ursprüngliche Verwandtschaftsverhältnis wieder auflebe. Auf eine förmliche Beteiligtenstellung käme es dagegen nicht an. Durch die Berichtigung würden Grundrechte der Beschwerdeführerinnen – wie etwa die Verletzung des Rechtsstaatsprinzips und die Verletzung rechtlichen Gehörs – berührt. Durch die Abänderung des Adoptionsbeschlusses vom 10.11.2016 werde nicht nur gegen die vorherrschende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstoßen, dass nämlich Annahmebeschlüsse konstitutiv, unabän-derbar, unanfechtbar und für alle Gerichte bindend seien, sondern auch gegen gesetzliche Vorschriften, wie etwa § 1772 Abs. 2 BGB oder die Vorschriften zur Rechtskraftwirkung einer Entscheidung,.
23
Ergänzend wird im Schriftsatz vom 27.02.2023 vorgetragen, dass die Frage, ob sich die Adoption auf § 1770 oder § 1772 gründe, direkte verwandtschaftliche Auswirkungen auf die Beschwerdeführerin zu 2) [richtig zu 1), wobei sich der Senat am gerichtlichen Rubrum und nicht an der Beschwerdeschrift orientiert] habe, da es sich bei dem Angenommenen um ihren Bruder handele. Das Erstgericht habe den Anspruch der Beschwerdeführerinnen auf rechtliches Gehör nach Art. 103 GG verletzt. Zumindest wegen der verwandtschaftlichen Beziehung der Beschwerdeführerin zu 2) (= richtig zu 1), Anm. des Senats), die die Schwester des Angenommenen sei, hätte diese zum Verfahren zugezogen werden müssen und deren Vortrag Berücksichtigung finden müssen. Die Entscheidung habe die Vorschriften § 42 FamFG und § 1772 Abs. 2 BGB nicht richtig angewandt; die Entscheidung verletze die Vorschriften zur Rechtskraft einer Entscheidung (§ 45 FamFG, § 197 Abs. 3 FamFG) und stelle einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 3 GG dar. Ferner sei die Berichtigung des Annahmebeschlusses unzulässig.
24
Der Adoptionsbeschluss des Amtsgerichts Landsberg/Lech vom 10.11.2016 sei unanfechtbar, unabänderlich und für alle Gerichte bindend. Insbesondere sei eine Berichtigung nach § 42 FamFG nicht zulässig. Die getroffene Entscheidung sei nicht nichtig. Eine Abänderung des Beschlusses nach § 197 Abs. 3 Satz 1 FamFG sei ausgeschlossen. Selbst bei völligem Fehlen der Adoptionsanträge sei nur die befristete Aufhebung möglich (§ 1772 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 1760 Abs. 1 BGB).
25
Beim Annahmebeschluss habe das Gericht auch die maßgeblichen Bestimmungen zu benennen, damit im Rechtsverkehr keine Unklarheiten, insbesondere bezüglich neuer oder erloschener Verwandtschaftsverhältnisse, entstehen würden; § 1772 BGB sei im Tenor oder in den Gründen des Beschlusses zu nennen. Da in den Gründen des Beschlusses ausgeführt sei, dass sich die Annahme als Kind auf §§ 1767, 1772 BGB gründe, ist die Annahme des Angenommenen unabhängig von dessen Antrag jedenfalls mit den Wirkungen einer Annahme als Minderjähriger erfolgt.
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Die Bestimmung nach § 1772 BGB sei konstitutiv und für alle Gerichte bindend; maßgeblich sei allein der Inhalt des gerichtlichen Beschlusses. Diese Bindungswirkung müsse aufgrund des Art. 20 Abs. 3 GG auch zwingend eintreten. Der Gesetzgeber habe für Fälle wie den vorliegenden das Verfahren nach §§ 1760 ff. BGB vorgesehen; eine Aufhebung sei jedoch nach Ablauf der hierfür vorgesehenen Fristen nicht mehr möglich; zu diesem Ergebnis sei auch das Landgericht Bremen (Beschluss vom 28.12.2010, FamRZ 2011,1413) gekommen. Der Adoptionsbeschluss sei mit der rechtlichen Folge des § 1772 BGB wirksam und bindend, eine Berichtigung komme nicht in Betracht. Außerdem lägen die Voraussetzungen für eine Berichtigung nicht vor. Es handle sich insbesondere nicht um eine Berichtigung offenbarer Unrichtigkeiten; eine offensichtliche Unrichtigkeit läge auch nur vor, wenn sich die Unrichtigkeit aus dem Zusammenhang des Beschlusses selbst oder bei den Vorgängen bei seiner Verkündung oder Bekanntgabe ergäben; eine Korrektur im Wege der Berichtigung dürfe jedoch nicht zu einer Korrektur der Rechtsanwendung führen. Die Unrichtigkeit müsse auch für Dritte erkennbar sein. Eine offenbare Unrichtigkeit läge nicht vor, da allein anhand des Beschlusses nach außen hin nicht erkennbar sei, dass hier ein Tippfehler vorliegen könnte. Die Korrektur der Paragraphenkette stelle keine Berichtigung eines Schreibfehlers dar, sondern führe zu einer Änderung der gesamten Rechtswirkungen des Beschlusses; eine Berichtigung dürfe aber keine Abänderung der Entscheidung bewirken. Möglich wäre nur ein Aufhebungsantrag nach §§ 1760 ff. BGB gewesen.
27
Die Beschwerdeführerinnen beantragen,
den Beschluss des Amtsgerichts Landsberg/Lech vom 25.01.2023 in der Familiensache Gu.S. und Ch. S. wegen Annahme als Kind, Az.: 001 F 630/16, aufzuheben,
hilfsweise beantragen die Beschwerdeführerin zu 1) und die Beschwerdeführerin zu 2), auf ihre Beschwerde hin den Berichtigungsbeschluss des Amtsgerichts Landsberg/Lech vom 25.01.2023, Az.: 001 F 630/16, aufzuheben und zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht Landsberg/Lech zurückzuverweisen.
28
Für den Fall, dass die eingelegte sofortige Beschwerde als unzulässig gewertet werden sollte, sei diese als Gegenvorstellung oder Anhörungsrüge auszulegen und diese Anträge gestellt.
29
Der Verfahrensbevollmächtigte des Anzunehmenden bzw. des Angenommenen beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
30
Der Verfahrensbevollmächtigte des Angenommenen führt aus:
31
Der Berichtigungsbeschluss des Amtsgerichts sei zu Recht ergangen. Ausreichend sei, wenn sich die Unrichtigkeit aus der Heranziehung der Akten ergäbe; aus den Akten ergäbe sich, dass eine Adoption mit der Maßgabe des § 1772 BGB gerade nicht gewollt gewesen sei. Das Amtsgericht habe auch keine Subsumtion unter § 1772 Abs. 1 a – d BGB vorgenommen. Es liege ein „Klickfehler“ der erkennenden Richterin vor. Es seien keinerlei Ausführungen zu § 1772 BGB getätigt worden, was ebenfalls auf ein Schreibversehen hindeute. Auch stehe die Bestimmung des § 197 Abs. 3 FamFG der Vorschrift des § 42 Abs. 1 FamFG nicht entgegen. Durch die Berichtigung werde weder der Bestand des Adoptionsbeschlusses noch der Inhalt seiner Gestaltung berührt. Der Inhalt werde nicht berührt, da zu § 1772 BGB im Adoptionsbeschluss keine Ausführungen gemacht worden seien.
32
Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 14.03.2023 der Beschwerde „des Betroffenen“ nicht abgeholfen und die Akten dem Beschwerdegericht zur Entscheidung vorgelegt. Auf den Inhalt der Nichtabhilfeentscheidung wird Bezug genommen.
33
Die Beschwerdeführerinnen zu 1) und zu 2) haben durch Vorlage des Europäischen Nachlassverzeichnisses vom 09.10.2019 (Anlage BF 1) ihre Erbenstellung nach dem leiblichen Vater des Angenommenen – P. H. – nachgewiesen (hieraus ergibt sich auch die Schreibweise des Vornamens der Beschwerdeführerin zu 1): P.). Ferner haben sie klargestellt, dass sie keine Beschwerde nach §§ 58 ff. FamFG eingelegt haben, sondern lediglich eine sofortige Beschwerde gegen den Berichtigungsbeschluss des Amtsgerichts.
34
Auf die mit Verfügung vom 30.03.2023 erteilten rechtlichen Hinweise wird Bezug genommen.
35
Nach Klarstellung, dass lediglich sofortige Beschwerde eingelegt worden ist gegen den Berichtigungsbeschluss des Familiengerichts Landsberg/Lech, hat die originär zuständige Einzelrichterin durch Beschluss vom 18.04.2023 das Verfahren dem vollbesetzten Senat zur Entscheidung übertragen. Auf diesen Beschluss wird Bezug genommen.
36
Mit Verfügung vom 19.04.2023 erhielten sämtliche Verfahrensbeteiligte Gelegenheit zur abschließenden Stellungnahme im Beschwerdeverfahren.
37
Wegen der Einzelheiten wird auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze und die gefassten Beschlüsse sowie die erteilten Hinweise und die abgegebene dienstliche Stellungnahme der für den Ausspruch der Adoption zuständigen Familienrichterin Bezug genommen.
38
Die leibliche Mutter des Angenommenen hat im Beschwerdeverfahren keine Stellungnahme abgegeben.
39
Die Akten 033 O 1468/22 Landgericht Augsburg (Ch. S. ./. W. H. und E. P.H.) wegen Pflichtteil und die Akten 032 O 83/21 Landgericht Augsburg (Ch. S../. W. H. und E. P. H.) wegen Pflichtteil – diese Akte wurde als Beiakte zum erstgenannten Zivilverfahren mit übersandt – waren beigezogen.
40
Gegenstand des unter dem Aktenzeichen 033 O 1468/22 beim LG Augsburg geführten Zivilverfahrens ist ein Pflichtteilsanspruch in Höhe von 89.646,97 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit des hiesigen Angenommenen und dortigen Klägers gegen die hiesigen Beschwerdeführerinnen und dortigen auf gesamtschuldnerische Leistung Beklagten zu 1) und 2). Der Klage liegt zugrunde, dass der leibliche Vater des Angenommenen P. H. am ... 2019 verstorben ist und von den Beklagten zu 1) und 2) (= hiesige Beschwerdeführerinnen) aufgrund notariellen Testaments vom 24.11.2016, jeweils zu 1/2 beerbt worden ist. Nachdem der Erblasser nach Vortrag in der Klageschrift insgesamt 5 leibliche Kinder hat, errechnet der Kläger in dem landgerichtlichen Verfahren eine Pflichtteilsquote von 1/20. Nachdem die Frage, ob im Verfahren 001 F 630/16 eine Volljährigenadoption, deren Wirkungen einer Minderjährigenadoption gleichsteht, ausgesprochen worden ist, die für das Zivilverfahren entscheidende Rechtsfrage darstellt, hat das Landgericht auf den mit Schriftsatz vom 23.03.2013 des dortigen Prozessbevollmächtigten L. gestellten Aussetzungsantrag nach § 148 ZPO hin mit Beschluss vom 24.03.2023 die Verhandlung bis zur Erledigung des Rechtsstreits Amtsgericht Landsberg/Lech, Az.: 001 F 630/16, OLG München, Az.: NN, ausgesetzt. Dem Freistaat Bayern ist in diesem Zivilverfahren der Streit verkündet worden.
41
Ferner war unter dem Az.: 032 O 83/21 beim Landgericht Augsburg ein Zivilverfahren des Angenommenen gegen die hiesigen Beschwerdeführerinnen zu 1) und 2) (= dortige Beklagte) anhängig. Gegenstand dieser Klage war, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt werden, 717.132,67 € (= Pflichtteil, Anmerkung des Senats) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen. Der Klage lag zugrunde, dass am ... 2018 der Adoptivvater (= hiesiger Annehmender) des Klägers (= hiesiger Anzunehmender bzw. Angenommener) verstorben war. Der Neffe des Erblassers – P. H. – (= am ... 2019 verstorbener leiblicher Vater des Angenommenen) war mit handschriftlichem Testament des Erblassers Gu. S. vom 15.12.1989 zu dessen Erben eingesetzt worden. P. H. hat als Erben die hiesigen Beschwerdeführerinnen zu 1) und 2) (seine Ehefrau und seine Tochter) eingesetzt. Mit der unter dem Az. 032 O 83/21 beim Landgericht Augsburg rechtshängigen Klage hat der hiesige Angenommene seine Pflichtteilsansprüche nach dem verstorbenen Adoptivvater (= hiesiger Annehmender) geltend gemacht. Das Verfahren wurde durch Vergleich vom 29.11.2021 (vgl. Protokoll des Landgerichts Augsburg vom 29.11.2021 im Verfahren 032 O 83/21) beendet.
42
Der Vergleich lautet:
I. „Die Beklagten verpflichten sich gesamtschuldnerisch, an den Kläger 680.000,00 € zu bezahlen. Den Beklagten wird nachgelassen den vorgenannten Betrag in zwei Teilbeträgen, nämlich in Höhe von 180.000,00 € fällig zum 20.12.2021 sowie in Höhe von weiteren 500.000,00 € fällig zum 31.05.2022 zu bezahlen.
II. Zahlen die Beklagten den ersten Teilbetrag in Höhe von 180.000,00 € nicht bis zum 20.12.2021, so wird der Gesamtbetrag in Höhe von 680.000,00 € sofort fällig und ist ab dem 06.02.2021 mit einem Zinssatz in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen. Soweit der zweite Teilbetrag nicht zum 31.05.2022 gezahlt wird, so ist dieser ebenfalls ab dem 06.02.2021 entsprechend zu verzinsen.
III. Mit diesem Vergleich sind sämtliche streitgegenständlichen Ansprüche abgegolten und erledigt.
IV. Von den Kosten des Rechtsstreits und des Vergleichs tragen der Kläger 10% und die Beklagten gesamtschuldnerisch 90%.“
43
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die beigezogenen Akten, deren Inhalt den hiesigen Verfahrensbevollmächtigten und dortigen Prozessbevollmächtigten bekannt ist, Bezug genommen.
B.
44
I. Die von den Beschwerdeführerinnen zu 1) und zu 2) eingelegten Beschwerden gegen den Berichtigungsbeschluss des Amtsgerichts Landsberg/Lech sind statthaft und zulässig.
45
1. Gemäß § 42 Abs. 3 Satz 2 FamFG i.V.m. §§ 567 – 572 ZPO ist die sofortige Beschwerde statthaft.
46
2. Sie wurde auch durch Schriftsatz vom 15.02.2023, eingegangen beim Amtsgericht Landsberg/Lech am selben Tag, innerhalb der 2-Wochen-Frist fristgerecht gegen den am 01.02.2023 an die Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerinnen zu 1) und zu 2) zugestellten Beschluss beim Amtsgericht Landsberg/Lech eingereicht (§§ 572 Abs. 2 Satz 1 FamFG, 569 Abs. 1, Abs. 2 ZPO).
47
3. Die Beschwerdeführerinnen zu 1) und zu 2) sind auch beschwerdeberechtigt. Zwar handelt es sich hierbei um die testamentarischen Erben des verstorbenen leiblichen Vaters des Angenommenen. Für die Anrufung der Rechtsmittelinstanz ist eine Beschwer der beiden Beschwerdeführerinnen Voraussetzung, das heißt, sie müssen durch die angefochtene Entscheidung und den Rechtsfolgenausspruch jeweils in ihrer Rechtsstellung nachhaltig betroffen sein (materielle Beschwer; vgl. Wieczorek/Schütze/Jänich, ZPO, 5. Aufl., § 572 Rn. 29). Beschwerdeführer kann jeder belastete Verfahrensbeteiligte sein (vgl. Wieczorek/Schütze/Jänich, a.a.O.; Stein/Jonas/Jacobs, Kommentar zur ZPO, 23. Aufl., § 567 Rn. 32). Die Beschwerdeführerinnen sind durch den Berichtigungsbeschluss in ihrer Rechtsstellung nachhaltig betroffen, da sie im Verfahren 033 O 1468/22 Landgericht Augsburg einem von dem Angenommenen geltend gemachten Pflichtteilsanspruch in Höhe von 89.646,97 € ausgesetzt sind und dieses Verfahren im Hinblick auf den Ausgang des vorliegenden Beschwerdeverfahrens nach § 148 ZPO vom Landgericht ausgesetzt worden ist. Ihre Rechtsstellung als testamentarische Erben des am Adoptionsverfahren weiteren Be30 UF 287/23 e – Seite 13 – teiligten – dem verstorbenen leiblichen Vater des Angenommenen – ist nachhaltig betroffen, da durch die ursprüngliche Fassung des Adoptionsbeschlusses die verwandtschaftlichen Beziehungen des Ch. S. zu seinem leiblichen Vater erloschen waren und somit ein Pflichtteilsanspruch nicht gegeben war, der jedoch durch die vom Amtsgericht „vorgenommene“ Berichtigung wieder aufgelebt ist.
48
II. Die Beschwerde der Beschwerdeführerinnen zu 1) und zu 2) ist begründet, da die Berichtigung des Adoptionsbeschlusses vom 10.11.2016 nicht möglich war.
49
Der Berichtigungsbeschluss vom 22.12. 2022 war daher aufzuheben und der Berichtigungsantrag des Angenommenen zurückzuweisen.
50
1. Eine Berichtigung kann wegen offenbarer Unrichtigkeit gemäß § 42 Abs. 1 FamFG erfolgen, wenn der fehlerhafte Adoptionsbeschluss nicht nichtig ist.
51
a) Vom Bestand eines Adoptionsbeschlusses ist grundsätzlich auch dann auszugehen, wenn er erhebliche verfahrensrechtliche oder inhaltliche Mängel aufweist (vgl. BayObLG, Beschluss vom 28.03.1996 – 1 Z 74/75, NJW-RR 1996, 1093 m.w.N.). Bei der Frage, ob eine Nichtigkeit vorliegt, ist im Hinblick auf die grundsätzliche Unanfechtbarkeit und Unabänderbarkeit des Adoptionsbeschlusses unter Berücksichtigung der Bedeutung des Aufhebungsverfahrens (vgl. §§ 1760 ff., 1771, 1772 Abs. 2 BGB) ein sehr strenger Maßstab anzulegen; denn durch die vom Gesetzgeber geschaffenen Regelungen soll erreicht werden, dass den von der Annahme berührten Statusverhältnissen, vor allem im Interesse des Angenommenen und seines neuen Elternteils, der notwendige Bestandsschutz zuteil wird (BayObLG, a.a.O., Seite 1094; Staudinger/Helms, BGB IV, 2019, § 1759 Rn. 13 und Staudinger/Helms, a.a.O., § 1772 Rn. 19). Mit der Rechtsprechung und der herrschenden Literaturmeinung ist der Senat der Auffassung, dass der vorliegende Adoptionsbeschluss des Amtsgerichts Landsberg/Lech vom 10.11.2016, durch den die Annahme des Ch. S. mit den Wirkungen einer Minderjährigenadoption ausgesprochen worden ist, was dazu führt, dass die Verwandtschaftsverhältnisse des Angenommenen zu den Verwandten seiner Herkunftsfamilie erlöschen, nicht unwirksam ist (vgl. 30 UF 287/23 e – Seite 14 – BayObLG vom 28.03.1996, a.a.O., Seite 1094; Staudinger/Helms, a.a.O., § 1772 Rn. 19; LG Bremen vom 28.12.2010 – 6 T 27410, FamRZ 2011, 1413). Auch ein Beschluss, der eine Volljährigenadoption mit starken Wirkungen nach § 1772 BGB ausspricht, obwohl nur eine normale Adoption im Sinn der §§ 1767 ff. BGB beantragt worden ist, ist nach Auffassung des Senats nicht nichtig (vgl. Gutachten des Deutschen Notarinstituts, DNotI-Report 2013, 65, 68 und LG Bremen a.a.O.)
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b) Grundsätzlich kann das Gericht bei einem wirksamen Beschluss Schreibfehler, Rechenfehler und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten im Beschluss von Amts wegen berichtigen gemäß § 42 Abs. 1 FamFG.
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aa) Eine Unrichtigkeit liegt vor, wenn und soweit die im Beschluss verlautbarte Entschließung des Gerichts durch technische oder andere im Justizalltag unvermeidliche Fehlleistungen und Irrtümer verfälscht wird (BVerfG NJW 1992, 1496); es muss sich um einen Fall der Unstimmigkeit zwischen Willen und Erklärung des Gerichts handeln (Zöller/Feskorn, ZPO, 34. Aufl., § 319 ZPO Rn. 5). Eine unterlassene Subsumtion bzw. eine falsche Gesetzesanwendung kann nicht gemäß § 42 Abs. 1 FamFG berichtigt werden.
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bb) Die Unrichtigkeit ist dann offenbar, wenn sie sich für den Außenstehenden aus dem Zusammenhang des Urteils/Beschlusses oder Vorgängen bei Erlass/Verkündung ohne Weiteres ergibt (BGH NJW 1994, 2834; BGH NJW 2013, 2124 Teilzahl 10; BGH NJW 2014, 3101 Teilzahl 7). Hierbei ist maßgebendes Kriterium, ob auch ein nicht an der ursprünglichen Entscheidung beteiligter Richter – die Berichtigung kann auch durch einen Referatsnachfolger erfolgen – das Erfordernis der Berichtigung erkennen kann, sei es auch unter Zuhilfenahme von offenbaren Umständen, wie öffentlichen Registern und Ähnlichem (vgl. Zöller/Feskorn, a.a.O., Rn. 6).
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cc) Eine offenbare Unrichtigkeit liegt insbesondere vor bei einer Divergenz zwischen dem Urteilsausspruch (Tenor) und der vom Gericht beabsichtigten Entscheidung; sie ist offenkundig, wenn sich zweifelsfrei feststellen lässt, dass der Ausspruch den tatsächlichen Entscheidungswillen des Gerichts unvollständig wiedergibt und dies auch für Dritte erkennbar ist; die offensichtliche Divergenz kann sich aus dem Abweichen des Tenors von den Entschei30 UF 287/23 e – Seite 15 – dungsgründen ergeben (vgl. Zöller/Feskorn, a.a.O., § 319 ZPO Rn. 24 m.w.N.).
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dd) Zwar kann auch das Verwenden eines falschen Textbausteins bei Erstellen des Adoptionsbeschlusses als „Unrichtigkeit“ im Sinn des § 42 Abs. 1 FamFG zu bewerten sein (vgl. Gutachten des Informationsdienstes des Deutschen Notarinstituts 2013, DNotI-Report 2013, Seite 65/Seite 66). Es kann vorliegend jedoch nicht von einer offenbaren Unrichtigkeit ausgegangen werden. Zum einen ergibt sich schon aus der Tatsache, dass eine dienstliche Stellungnahme derjenigen Richterin am AG, die den Adoptionsbeschluss gefertigt hat, erholt werden musste, dass es an der Offensichtlichkeit fehlt. Zum anderen ist der Senat der Auffassung, dass sich eine eventuelle offenbare Unrichtigkeit nur dann bejahen ließe, wenn in den Gründen des Adoptionsbeschlusses ausgeführt wäre, dass ein Antrag auf Durchführung einer normalen Volljährigenadoption im Sinn der §§ 1767 ff. BGB gestellt worden ist; dies ist jedoch nicht der Fall. Der Beschluss enthält in den Gründen vielmehr lediglich den Satz: „Die Annahme als Kind gründet sich auf §§ 1767, 1772 BGB.“
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Eine Divergenz dieses Satzes zu den übrigen Ausführungen des Beschlusses, die den Schluss zulassen würden, dass eine „schwache“ Volljährigenadoption gewollt war, ist nicht erkennbar. Da die für die Wirkungen der Adoption maßgeblichen Bestimmungen entweder im Tenor oder in den Gründen enthalten sein müssen, kann sich auch aus der Tatsache, dass sich im Tenor keine Bestimmungen finden, keine Schlussfolgerung ergeben für die Zulässigkeit einer Berichtigung. Es kommt auch nicht darauf an, welche Vorgehensweise beim Familiengericht Landsberg (Aufnahme der maßgeblichen Bestimmungen in den Tenor oder lediglich in den Gründen) üblich ist. Entscheidend ist, dass eine Änderung angeführter gesetzlicher Bestimmungen unzulässig ist (vgl. Staudinger/Helms, a.a.O., § 1752 Rn. 45).
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ee) Nach Auffassung des Senats ist es nicht ausreichend, dass außerhalb des Beschlusses in der die Adoptionsanträge enthaltenen Notarurkunde des Notars Schneider ausgeführt ist, dass nicht (Unterstreichung durch den Senat) beantragt wird, dass sich die Wirkungen der Annahme als Kind nach den Vorschriften über die Annahme eines Minderjährigen oder eines verwandten Minderjährigen (§§ 1752 bis 1756 BGB) richten. Hinzu kommt, dass die Berichtigung nicht zu einer Korrektur der Rechtsanwendung führen darf (Sternal/Jokisch, FamFG, 21. Aufl., § 42 Rn. 4; Staudinger/Helms, a.a.O., § 1752 Rn. 45). Ein Adoptionsbeschluss ist nur zu berichtigen, soweit dadurch Bestand und Inhalt seiner konstitutiven Wirkung, das heißt der Ausspruch der Annahme, nicht berührt wird (vgl. Sternal/Jokisch, FamFG, a.a.O., Rn. 12). Soweit das Amtsgericht in seiner „Nichtabhilfeentscheidung“ sich auf Entscheidungen, die eine Berichtigung zulassen, bezieht, handelt es sich hierbei im Wesentlichen um Entscheidungen, die Korrekturen von Schreibweisen des Geburtsnamens und Ähnlichem zum Gegenstand haben und die mit dem Sachverhalt des vorliegenden Falls nicht vergleichbar sind.
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ff) Soweit in der Literatur ausgeführt wird, dass es ausreichend ist, wenn sich die Unrichtigkeit aus der Heranziehung der Akten ergibt, ändert dies nichts an dem Umstand, dass eine „offenbare“ Unrichtigkeit im Sinn des § 42 FamFG nur dann vorliegt, wenn diese ohne weitere Ermittlungen festzustellen ist, was vorliegend nicht der Fall ist, was sich bereits aus der von der Referatsnachfolgerin erholten dienstlichen Stellungnahme herleiten lässt (Sternal/Jokisch, a.a.O. Rn. 8; OLG Zweibrücken NJW-RR 1999, 1666). Der Senat schließt sich der Rechtsauffassung des Bundesgerichtshofes an, das eine Berichtigung nur zulässig ist, wenn sich die Unrichtigkeit aus der Entscheidung selbst oder aus Vorgängen bei Erlass oder Verkündung der Entscheidung auch für Dritte ohne weiteres ergibt (vgl. BGH in NJW-RR 2001,61; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 44. Aufl.; § 319 ZPO Rnr. 4). Hinzukommt, dass die Berichtigungsmöglichkeit im Kontext der Bestimmungen zur Anfechtbarkeit und der Aufhebung des Adoptionsbeschlusses gewertet werden muss. Mit der Literatur ist der Senat der Auffassung, dass eine „schwache“ Annahme eines Volljährigen nach § 1770 BGB nicht nachträglich in eine „starke“ Annahme nach § 1772 BGB umgewandelt werden kann und umgekehrt (vgl. Löhnig in Beck-Online Großkommentar, Stand 01.03.2023, § 1772 Rn. 46). Für den Fall, dass die Beteiligten übereinstimmend eine Annahme nach § 1770 BGB beantragt haben, aber eine solche nach § 1772 BGB ausgesprochen worden ist, ist dieser Beschluss nach herrschender Meinung zwar nicht nichtig, eine Berichtigungsmöglichkeit, insbesondere nach Ablauf mehrerer Jahre nach Wirksamwerden des Adoptionsbeschlus30 UF 287/23 e – Seite 17 – ses, wird jedoch nicht vertreten (vgl. Löhnig, a.a.O. Rn. 47; BayObLG Fam-RZ 1996, 1034; LG Bremen FamRZ 2011, 1413). Hinzukommt, dass – selbst wenn man eine Beschlussfassung nach § 42 FamFG oder § 43 FamFG mit entsprechender Fehlerbeseitigung zulassen würde – vieles für die in der Literatur vertretene Auffassung spricht, dass die entsprechende Wirkung der Änderung erst mit Wirksamwerden des Berichtigungsbeschlusses eintritt (vgl. Sternal/Jokisch, FamFG, a.a.O., § 197 FamFG Rn. 18).
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Letztendlich kann offen bleiben, ob überhaupt die Voraussetzungen des § 42 FamFG vorliegen, da die gesetzlichen Regelungen zur Anfechtbarkeit und zur Abänderung einer Adoption jedenfalls einer erst im Jahr 2023 vorgenommenen rückwirkenden Berichtigung eines im Jahr 2016 ergangenen Adoptionsbeschlusses auf den Zeitpunkt des Wirksamwerdens im Jahr 2016 entgegenstehen. Wollte man eine Berichtigung für möglich halten, so könnte diese allenfalls Wirkung ab Wirksamwerden des Berichtigungsbeschlusses entfalten (Sternal/Jokisch, a.a.O., § 197 Rn. 18).
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2. Bei der Prüfung der Frage, ob der Adoptionsbeschluss berichtigt werden kann, darf auch nicht außer Betracht bleiben, dass dieser Adoptionsbeschluss nicht mit Rechtsmitteln anfechtbar ist.
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a) Das Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass § 197 Abs. 3 Satz 1 FamFG zum Schutz der Rechtsstellung des Kindes und des Interesses an der Klarheit in Statussachen jegliche Anfechtung eines die Adoption aussprechenden Beschlusses ausschließt (vgl. BVerfG vom 05.08.2022 – 1 BvR 2329/21). Dem Adoptionsbeschluss soll erhöhte Bestandskraft gewährt werden, zum einen zur Sicherung der Rechtsstellung des Angenommenen, zum anderen um zu vermeiden, dass die Wirksamkeit einer vom Annehmenden und vom Anzunehmenden gleichermaßen angestrebten Annahme unnötig verzögert wird (vgl. Gutachten des Informationsdienstes des Deutschen Notarinstituts, a.a.O., Seite 68).
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b) Ferner kann bei der Prüfung der Frage, ob eine Berichtigung überhaupt möglich erscheint, die Bestimmung des § 1760 Abs. 1 BGB nicht außer Betracht bleiben. Eine Aufhebung des Adoptionsbeschlusses kommt in Betracht, wenn ein Antrag bzw. ein Antrag nach § 1772 Abs. 1 BGB – wie vorliegend – fehlt (vgl. Gutachten des Informa30 UF 287/23 e – Seite 18 – tionsdienstes des Deutschen Notarinstituts, a.a.O., Bl. 68). Bei dem Antrag nach den §§ 1767, 1770 BGB (normale Volljährigenadoption) handelt es sich im Verhältnis zum Antrag nach § 1772 BGB (Volljährigenadoption mit den Wirkungen der Minderjährigenadoption) nach herrschender Meinung nicht um ein Minus, sondern um ein Aliud (OLG München, FGPrax 2010, 190, 191; BeckOK-BGB/Enders, § 1772 Rn. 21). Dies wird dadurch deutlich, dass der Antrag auf Adoption mit schwachen Wirkungen nicht im Antrag auf Volladoption nach § 1772 BGB enthalten ist, sondern dass beide Anträge gegebenenfalls im Verhältnis Haupt- und Hilfsantrag gestellt werden müssen (vgl. Gutachten des Informationsdienstes des Deutschen Notarinstituts, a.a.O., Seite 68).
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c) Es wäre nach der vom Senat vertretenen Auffassung eine Aufhebung der Adoption nach den §§ 1772, 1760 BGB denkbar und möglich gewesen (vgl. auch LG Bremen FamRZ 2011, 1413). Allerdings sind die in § 1762 Abs. 2 BGB enthaltenen Fristen längstens abgelaufen, so dass eine Aufhebung des Adoptionsbeschlusses nicht (mehr) möglich ist.
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d) Sowohl die Bestimmung des § 197 FamFG, der die grundsätzliche Unanfechtbarkeit des die Adoption aussprechenden Beschlusses normiert, als auch die in § 1760 BGB geregelten Aufhebungsgründe und die vom Gesetzgeber vorgesehene dreijährige Ausschlussfrist für eine Aufhebung zeigen deutlich auf, dass der Gesetzgeber eine erhöhte Bestandskraft mit Rechtssicherheitsgarantien wollte. Würde man vorliegend im Jahr 2023 eine „Berichtigung“ eines im Jahr 2016 (!) gefassten Adoptionsbeschlusses – nach dem Ableben des Annehmenden und nach dem Tod des leiblichen Vaters des Angenommenen – zulassen, würde man sowohl die Bestimmung des § 197 FamFG (Unanfechtbarkeit) als auch die befristete Aufhebungsmöglichkeit und die Aufhebungsmöglichkeit nach § 1771 Abs. 1 S. 1 BGB – letztere setzt auch einen hier nicht mehr möglichen Antrag des verstorbenen Annehmenden voraus – nachdrücklich unterlaufen. Dies zeigt, dass unabhängig davon, dass die Voraussetzungen für eine Berichtigung in Form der offensichtlichen Unrichtigkeit nicht gegeben sind, eine Berichtigung vorliegend aus Rechtsgründen ausgeschlossen ist. Es bedurfte hierbei keines Eingehens auf die Frage, ob ohnehin bei einer – möglichen – Berichtigung eines Adoptionsbeschlusses diese nur Wirksamkeit ab Erlass des Berichtigungsbeschlusses entfalten könnte, da nach Auffassung des Senats eine Berichtigungsmöglichkeit unter keinem rechtlichen Ge30 UF 287/23 e – Seite 19 – sichtspunkt eröffnet ist. Würde man eine auf das Jahr 2016 rückwirkende Berichtigung zulassen, würde nicht nur in die Rechtskraft des Adoptionsbeschlusses, sondern ggf. auch in durch rechtskräftige Entscheidungen abgeschlossene Verfahren eingegriffen werden. Wie groß die Auswirkungen sein können, wird auch durch das beim Landgericht Augsburg unter dem Az.: 033 O 1468/22 anhängige Zivilverfahren deutlich, auf dessen Ausgang die auf das Jahr 2016 zurückreichende Berichtigung – würde man sie zulassen – erhebliche Auswirkungen hätte. Darüber hinaus bestünde – wenn man eine über Jahre zurückreichende Berichtigung mit weitreichenden, den Inhalt des ursprünglichen Beschlusses verändernden Folgen zulassen würde – die Gefahr, dass Rechtspositionen, die derzeit einzelnen Beteiligten gar nicht bekannt sein müssen, die Grundlage entzogen werden kann, wie beispielsweise bei erteilten Erbscheinen bzw. Eintragungen in das Nachlassverzeichnis. Vorliegend wirkt sich die vom Amtsgericht vorgenommene Berichtigung auch auf die Höhe der Pflichtteilsansprüche der weiteren Kinder des verstorbenen leiblichen Vaters des Angenommenen aus. Hinzu kommt, dass dem verstorbenen leiblichen Vater und dem verstorbenen Annehmenden keine rechtliche Beteiligung mehr ermöglicht werden kann. Eine auf das Wirksamwerden des ursprünglichen Adoptionsbeschlusses zurückreichende Berichtigung ist daher unter allen rechtlichen Gesichtspunkten aufgrund der aus den gesetzlichen Bestimmungen sich ergebenden Grundsätze der Rechtssicherheit und des Bestandsschutzes bezüglich Statussachen ausgeschlossen. Da nach Auffassung des Senats eine Berichtigung ohnehin ausgeschlossen ist, da diese zu einer völligen Änderung des Beschlussinhaltes führen würde (vgl. Staudinger/Helms, a.a.O., § 1752 Rn. 45), kam es auf die Frage, ob eine Berichtigung ohnehin nur ab Wirksamwerden des Berichtigungsbeschlusses möglich ist, nicht mehr an (vgl. Sternal/Jokisch, a.a.O.).
C.
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I. Von der Erhebung von Gerichtskosten war abzusehen; nachdem die Verfahrensbevollmächtigten der Beschwerdeführerinnen und die Verfahrensbevollmächtigten des Angenommenen am Ausgangsverfahren (Adoptionsverfahren) nicht beteiligt waren, war auszusprechen, dass die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten nicht erstattet werden (§ 81 Abs. 1 FamFG).
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II. Der für die Geltendmachung der Rechtsanwaltsgebühren festzusetzende Verfahrenswert wird auf einem Bruchteil desjenigen Werts der wirtschaftlichen Auswirkungen der Entscheidung, nämlich auf 15% aus 89.646,97 € mithin auf 13.447,00 € festgesetzt (vgl. Dürbeck in BeckOK, § 42 FamFG Rn. 2).
D.
68
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, § 574 Abs. 3 Satz 1 ZPO, § 574 Abs. 2 ZPO (vgl. Sternal/Göbel, a.a.O: § 70 FamFG Rnr. 13 und 21).
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Bei der Frage, ob der inhaltlich fehlerhafte Adoptionsbeschluss einer Berichtigung zugänglich ist und gegebenenfalls ab welchem Zeitpunkt oder ob die im BGB und FamFG zum Adoptionsrecht normierten Bestimmungen einer Berichtigung entgegenstehen, handelt es sich um eine grundsätzliche Rechtsfrage. Darüber hinaus liegen die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO vor. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass der Verfahrensbevollmächtigte der Angenommenen die Zulassung der „Revision“ (= Rechtsbeschwerde, Anmerkung des Senats) beantragt hat.