Inhalt

AG Kaufbeuren, Urteil v. 06.12.2023 – 1 Ls 510 Js 6839/22
Titel:

Anforderungen an das Vorliegen eines (kinder-)pornographischen Inhaltes

Normenkette:
StGB § 11 Abs. 3, § 184b Abs. 1 Nr. 1
Leitsatz:
Voraussetzung für das Vorliegen eines (kinder-) pornographischen Inhalts ist, dass die Vermittlung sexueller Inhalte ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung sexueller Reize beim Betrachter ausgerichtet ist. Der Inhalt muss also gerade auf die Befriedigung sexueller Bedürfnisse ausgelegt sein. Maßstab ist letztlich auch die sittliche Anschauung der Gesellschaft, die einem stetigen Wandel unterworfen ist. (Rn. 17 – 22) (red. LS Alexander Kalomiris)
Schlagworte:
kinderpornographischer Inhalt, pornographischer Inhalt, Erregung sexueller Reize, sittliche Anschauung, Pornographie, Onkel-Meme
Rechtsmittelinstanz:
BayObLG, Urteil vom 24.05.2024 – 206 StRR 94/24
Fundstelle:
BeckRS 2023, 48530

Tenor

I. Der Angeklagte
wird freigesprochen.
II. Der Angeklagte ist für folgende Strafverfolgungsmaßnahmen zu entschädigen:
1. Durchsuchung der Wohnung des Angeklagten … am … um … Uhr
2. Beschlagnahme folgender Gegenstände:
III. Die Staatskasse hat die Kosten des Verfahrens sowie die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Nach der Anklage der Generalstaatsanwaltschaft Bamberg vom 29.03.2023 liegt dem Angeklagten folgender Sachverhalt zur Last:
2
1. Der Angeschuldigte ist Benutzer der Internetplattform Facebook. Das soziale Netzwerk Facebook dient vorwiegend als Kommunikationsplattform, bei der sich Nutzer durch Freundschaftsanfragen vernetzen können. Jeder Nutzer hat hierbei die Möglichkeit, auf seiner Profilseite verschiedene Daten zu sich selbst, aber auch Videos, Bilder und Textnachrichten für alle Besucher seines Accounts (öffentlich) oder für eine bestimmte Zielgruppe zu veröffentlichen. Darüber hinaus bietet Facebook auch die Möglichkeit, mittels eines eigenen Messengerdienstes private Nachrichten mit anderen Benutzern auszutauschen. Der Angeschuldigte ist unter dem Accountnamen … bei Facebook angemeldet und benutzte diesen Account, um am 02.09.2022 um 20.38 Uhr mittels seines Smartphone … von seinem Wohnsitz … aus ein Bild mit kinderpornografischem Inhalt öffentlich auf der Timeline zu posten, um dieses Bild hierdurch weiteren Benutzern des Netzwerks zur Verfügung zu stellen.
3
Das Bild zeigt im Vordergrund einen Mann mit einer Bierflasche. Im Hintergrund ist ein ca. 6-jähriger Junge zu sehen, welcher vor einem anderen, vermutlich weiblichen Kind kniet, deren Beine gespreizt hält und eine Position wie beim Geschlechtsverkehr einnimmt.
4
2. Der Angeschuldigte ist Benutzer des Internetdienstes WhatsApp.
5
WhatsApp bietet den Nutzern u. a. die Möglichkeit, Nachrichten zu versenden und Fotos, Videos oder andere Dateien mit einzelnen Nutzern oder über selbst oder von anderen erstellte Gruppen mit mehreren Nutzern zu teilen. Die auf dem Mobiltelefon gespeicherten Fotos oder andere Dateien können ausgewählt und in der Folge über die bestehende Internetverbindung des Mobiltelefons an den oder die anderen Nutzer übertragen werden, wobei sie direkt im Anschluss dem oder den anderen Teilnehmern der Telekommunikation zur Verfügung stehen.
6
Der Angeschuldigte verschickte in einer solchen WhatsApp-Gruppe mit dem Namen … am 12.05.2022 um 15.01 Uhr mit seinem Mobiltelefon … erneut das bereits beschriebene Bild mit kinderpornographischem Inhalt, welches einen Mann mit Bierflasche zeigt, in dessen Hintergrund zwei Kinder in einer sexuellen Pose aufeinander liegen, um dieses Bild den anderen Chatpartnern zur Verfügung zu stellen.
II.
7
Von diesen Vorwürfen ist der Angeklagte aus rechtlichen Gründen freizusprechen.
8
1. Für das Gericht steht zur Überzeugung fest, dass der Angeklagte zu den in der Anklageschrift genannten Zeitpunkten das genannte Bild auf Facebook hochgeladen bzw. im Rahmen der genannten WhatsApp-Gruppe versandt hat. Hinsichtlich der Einzelheiten des benannten Bildes wird gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO auf das Lichtbild in der Akte, Sonderband „Beweismittel Kinderpornographie“ Bezug genommen und es wird hiermit zum Gegenstand dieses Urteils gemacht.
9
Diese Feststellung beruht auf der Einlassung der Angeklagten, der Aussage des Zeugen … sowie der Inaugenscheinnahme des vorbenannten Bildes einschließlich beigefügtem Text.
10
a) Der Angeklagte räumte ein, die betreffende Bilddatei in Facebook gepostet und in die WhatsAppGruppe verschickt zu haben. Er habe es ausschließlich als Meme betrachtet und das nur aus humoristischen Gründen. Der Angeklagte habe keine kinderpornographische Intention gehabt und er verabscheue Kinderpornografie. Er habe beim Versenden des Bildes nicht im Entferntesten daran gedacht, dass es sich hierbei um Kinderpornografie handelt.
11
b) Der einvernommene Zeuge … erklärte, der Angeklagte habe sich im Rahmen der durchgeführten Durchsuchung kooperativ gezeigt. Das Mobiltelefon des Angeklagten sei beschlagnahmt und ausgewertet worden. Hierbei sei das betreffende Bild mit den Zeitstempeln 25.03.2022 und 02.09.2022 aufzufinden gewesen. Man habe festgestellt, dass das Bild auch in eine WhatsApp-Gruppe mit Arbeitskollegen aus dem hiesigen Bereich versandt wurde. Eine empörte Reaktion habe es auf das Bild nicht gegeben. Er könne sich nicht mehr daran erinnern, ob und was für eine sonstige Reaktion auf das Bild in der WhatsApp-Gruppe erfolgte.
12
Der Zeuge … wirkte durchgehend glaubwürdig. Angesichts der Einlassung des Angeklagten sowie des auf dem Mobiltelefon des Angeklagten festgestellten Bildes gibt es keine Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen. c)
13
Ferner wurde das versandte Bild in der Akte, Sonderband „Beweismittel Kinderpornographie“ einschließlich Text in Augenschein genommen.
14
2. Der Angeklagte ist aus rechtlichen Gründen freizusprechen, da das festgestellte Handeln des Angeklagten nicht den Tatbestand des § 184b Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB verwirklicht.
15
Das versandte bzw. hochgeladene Video stellt keinen kinderpornografischen Inhalt i.S.d. § 184b StGB dar. Kinderpornografie setzt zweierlei voraus: der Inhalt i.S.d. § 11 Abs. 3 StGB muss pornografisch sein und muss weiter eine der in § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. a-c genannten Inhalte zum Gegenstand haben.
16
a) Vorliegend soll das oben beschriebene Bild dem Betrachter zwar eine sexuelle Handlung durch ein Kind vermitteln i.S.d. § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Buchst. a StGB. Es ist offensichtlich, dass im Hintergrund des Bildes zwei jedenfalls deutlich unter 14 Jahre alte Kinder zu sehen sind. Das vorne kniende Kind ist nackt, während bei dem zweiten auf dem Rücken liegenden Kind nicht klar zu sehen ist, ob dieses ebenfalls vollständig unbekleidet ist. Die eingenommene Körperposition der Kinder soll den Eindruck vermitteln, das kniende Kind vollziehe am liegenden Kind den Geschlechtsverkehr. Geschlechtsteile der Kinder sind nicht zu erkennen, genauso wenig, ob tatsächlich eine Penetration oder ein Kontakt der Geschlechtsteile stattfindet. 
17
b) Allerdings ist das Bild nach dem Tatbestand des § 184b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB nicht als pornografisch einzustufen. Der Begriff der Pornografie verlangt grundsätzlich eine vergröbernde Darstellung sexuellen Verhaltens ohne Sinnzusammenhang mit anderen Lebensäußerungen unter weitgehender Ausklammerung emotional-individualisierter Bezüge, die den Menschen zum bloßen austauschbaren Objekt geschlechtlicher Begierde oder Betätigung macht (vgl. BGH NStZ-RR 2015, 74; BeckRS 2018, 29180; ausf. KG NStZ 2009, 446 mwN; OLG Düsseldorf NJW 1974, 1474; Fischer StGB zu § 184 Rn. 7; BeckOK StGB, Pornografie Rn. 1, beck-online). Für Pornografie spricht, wenn sexuelle Vorgänge in übersteigerter, reißerischer Weise ohne Sinnzusammenhang mit anderen Lebensäußerungen geschildert werden (vgl. BGHSt 23, 40 (44) = NJW 1969, 1818; KG NStZ 2009, 446). Zu berücksichtigen ist dabei jedoch, dass die Rechtsprechung den Begriff der Pornografie nach § 184 StGB nicht vollständig auf § 184b StGB überträgt und feststellt, dass für die Anwendung von § 184b StGB gerade keine vergröberndreißerischer Charakter der Darstellung erforderlich ist (vgl. BGH 11.02.2014 – 1 StR 485/13, BGHSt 59, 177, 181; ebenso Fischer, StGB zu § 184b Rn. 4).
18
Voraussetzung ist jedoch, dass die Vermittlung sexueller Inhalte ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung sexueller Reize beim Betrachter ausgerichtet ist (vgl. BVerfG Beschluss vom 3.3.2023 – 2 BvL 11/22, 2 BvL 15/22, BeckRS 2023, 5979 Rn. 32, beck-online; BGHSt 59, 177, 178 Rn. 43, 179 Rn. 49; BTDrucks 18/3202, S. 27; Hörnle, in: Münchener Kommentar zum StGB, 4. Aufl. 2021, § 184b Rn. 14; Eisele, in: Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch, 30. Aufl. 2019, § 184b Rn. 5; Ziegler in: BeckOK StGB, 56. Edition Stand 01.02.2023, § 184b Rn. 3; Fischer, StGB zu § 184b Rn. 4). Der Inhalt muss also gerade auf die Befriedigung sexueller Bedürfnisse ausgelegt sein. Maßstab ist letztlich auch die sittliche Anschauung der Gesellschaft, die einem stetigen Wandel unterworfen ist (vgl. Fischer StGB § 184 Rn. 7a; BeckOK StGB, Pornografie Rn. 1, beck-online).
19
Das vorliegende Bild kann nach umfassender Abwägung unter Berücksichtigung der Herstellung, des Inhalts, der Verbreitung sowie dem Umgang mit dem Video in der Gesellschaft nicht dahingehend bewertet werden, dass es ausschließlich oder überwiegend auf die Erregung sexueller Reize beim Betrachter ausgerichtet ist. Das Bild soll den Eindruck vermitteln, es handle sich um eine zumindest jahrzehntealte Fotografie. Das Bild muss im Gesamtkontext gesehen werden: Erstes Hauptaugenmerk des Bildes liegt auf dem im Vordergrund stehenden Mann mit einer Bierflasche. Weiter steht der dazugeschriebene Text: „Habe ein altes Bild von meinem Onkel gefunden. Er war ein ganz schöner Haudegen! Ich habe im Hintergrund gespielt …“ im Vordergrund. Intention des Bildes ist es, erst durch den Text die Aufmerksamkeit auf die zwei Kinder im Hintergrund zu lenken. Dieses Zusammenspiel soll gerade zu humoristischen Aufnahme des Bildes beim Betrachter führen. Für das Gericht ist abgesehen von einer Darstellung einer sexuellen Handlung eines Kindes im Hintergrund nicht zu erkennen, dass die Darstellung auf eine sexuelle Erregung ausgerichtet ist.
20
Richtig ist, dass gerade die Verknüpfung zur sexuellen Pose der Kinder den Zweck des Bildes darstellt. Richtig ist auch, dass für die Beurteilung, ob ein Bild kinderpornografisch ist, es ohne Bedeutung ist, ob es zudem humoristischen Inhalts sein sollte. Dies entbindet jedoch nicht von der Pflicht der Prüfung, ob die Voraussetzungen des Begriffs der Pornografie i.S.d. § 184b Abs. 1 StGB erfüllt sind. Die Argumentation, durch Anbringen eines humoristischen Elements wie z.B. einem Smiley könnte jede Verbreitung kinderpornografischer Inhalte straflos werden, greift hier nicht durch. Wenn festgestellt werden kann, dass das Bild an sich deutlich auf die Erzielung sexueller Reize ausgerichtet ist, so wird ein darauf angebrachter Smiley daran nichts ändern. Dies ist im vorliegenden Fall jedoch anders.
21
Das vorliegende Bild ist den Strafverfolgungsbehörden seit Jahren bekannt. Weiter ist zu berücksichtigen, dass das Bild durch den Angeklagten einmal in einer WhatsApp-Chatgruppe mit Arbeitskollegen und einmal auf Facebook hochgeladen wurde. Dies deutet schon darauf hin, dass auch der Angeklagte das Bild nur für humoristische Zwecke und nicht zur Erregung sexueller Reize eingesetzt haben könnte. Darüber hinaus ließ sich der Angeklagte dahingehend ein, dass er das Bild ausschließlich als „Spaßbild“ mit humorvoller Absicht angesehen habe, ohne ihm einen eigentlich sexuellen Inhalt auch nur im Entferntesten beizumessen.
22
Nach einer Gesamtwürdigung des Bildes ist dieses bereits für sich genommen nicht auf die Befriedigung sexueller Bedürfnisse des Betrachters ausgelegt. Es dient gerade nicht überwiegend oder ausschließlich der Erregung eines sexuellen Reizes, sondern humoristischen Zwecken.
III.
23
Die Entscheidung zur Entschädigung über die erfolgten Strafverfolgungsmaßnahmen beruht auf §§ 2 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 4, 8 StrEG.
VI.
24
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464, 467 Abs. 1 StPO.