Inhalt

FG München, Beschluss v. 04.12.2023 – 14 V 1732/23
Titel:

Zoll und Einfuhrumsatzsteuer auf gebrauchten Porsche bei Grenzübertritt von der Schweiz nach Deutschland

Normenketten:
UZK Art. 45 Abs. 2, Art. 86 Abs. 6
FGO § 69 Abs. 3 S. 1
Schlagworte:
Übersiedlungsgut, Täuschungsversuch, Abgabenbefreiung, Einfuhrumsatzsteuer, Sicherheitsleistung
Fundstelle:
BeckRS 2023, 48507

Tenor

1. Die Vollziehung des Bescheides vom (…) in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom (…) wird ausgesetzt. Soweit der Bescheid vom (…) in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom (…) bereits vollzogen ist, wird die Vollziehung mit Wirkung ab Fälligkeit aufgehoben.
2. Die Aussetzung/Aufhebung der Vollziehung erfolgt unter der aufschiebenden Bedingung einer Sicherheitsleistung in Höhe von (…), die bis zum Ablauf des 31. Januar 2024 zu erbringen ist.
3. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.

Gründe

I.
1
Streitig ist, ob der Antragsteller Zoll und Einfuhrumsatzsteuer (EUSt) schuldet.
2
Der Antragsteller zog am Samstag, den (…) aus der Schweiz nach Deutschland um. An diesem Tag fuhr er mit seinem Pkw der Marke Porsche, (…), aus der Schweiz über den Grenzübergang (…) nach Österreich und von dort weiter nach Deutschland. Das Fahrzeug hatte er im Jahr 2011 als Neuwagen in der Schweiz gekauft. Es wies am (…) eine Laufleistung von 145.590 km auf.
3
Mit Schreiben vom (…) informierte das Landratsamt Y den Antragsgegner (das Hauptzollamt – HZA) darüber, dass bei der Zulassung des o.g., aus der Schweiz eingeführten Pkw auf den Antragsteller kein Verzollungsnachweis vorgelegt worden sei.
4
Mit Bescheid vom (…) setzte das HZA ausgehend von einem Zollwert von … € und einem Zollsatz von 10% Abgaben in Höhe von insgesamt … € (davon … € Zoll, … € EUSt sowie … € Verzugszinsen zum Zoll und … € Verzugszinsen zur EUSt) gegen den Antragsteller fest. Hiergegen legte der Antragsteller mit Email vom (…) Einspruch ein. Zur Begründung seines Einspruchs machte der Antragsteller geltend, dass es sich bei dem Fahrzeug um abgabenfreies Umzugsgut handele. Er habe die Zollbehörden nicht täuschen wollen. Am Tag des Umzugs sei die von ihm aufgesuchte Zollbehörde am Grenzübergang (…) nicht besetzt gewesen. Er habe sich deshalb gleich nach dem Umzug am (…) mit der Frage an die Zulassungsstelle gewandt, wie er weiter vorgehen müsse. Dort habe er wohl eine falsche Auskunft bekommen. Ihm sei nicht gesagt worden, dass er sich an die Zollbehörde wenden müsse.
5
Nach einer vom Antragsteller in Auftrag gegebenen Fahrzeugbewertung der (…) beträgt der Wert des streitgegenständlichen Pkw am Markt … € mit Umsatzsteuer. Dies entspricht einem Wert ohne Umsatzsteuer von … €.
6
Dem Antrag vom (…), die Vollziehung des angefochtenen Bescheides auszusetzen, gab das HZA mit Bescheid vom (…) teilweise statt. Es setzte die Vollziehung des Bescheides vom (…) hinsichtlich des Zolls in Höhe von … € und hinsichtlich der EUSt in Höhe von … € aus, weil der Zollwert – der vorgelegten Fahrzeugbewertung folgend – mit … € anzusetzen sei. Auf eine Sicherheitsleistung verzichtete das HZA.
7
Zur Begründung seines am (…) an das Finanzgericht München gerichteten Antrags verweist der Antragsteller auf sein Einspruchsschreiben.
8
Den nicht von der Vollziehung ausgesetzten Teilbetrag von … € stundete das HZA gegen Ratenzahlung (Bescheid vom …). Auf eine Sicherheitsleistung wurde wiederum verzichtet. Die ersten beiden Raten (… € am … und … € am …) sind nach Mitteilung des HZA bezahlt.
9
Mit Einspruchsentscheidung vom (…) setzte das HZA den Zoll mit … € und die EUSt mit … € fest und wies den Einspruch im Übrigen als unbegründet zurück.
10
Der Antragsteller beantragt sinngemäß, die Vollziehung des Abgabenbescheides vom (…) in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom (…) auszusetzen bzw. rückwirkend ab Fälligkeit aufzuheben.
11
Der Antragsgegner beantragt, den Antrag abzulehnen.
12
Es bestünden keine begründeten Zweifel an der Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheids. Zur Begründung verweise er auf die Ausführungen in der Einspruchsentscheidung vom (…). Gründe dafür, dass die Zahlung des restlichen Abgabenbetrags i.H.v. … € für den Antragsteller eine unbillige Härte bedeute, seien bereits aufgrund der derzeitigen Ratenzahlungen (Stundung) nicht erkennbar und vom Antragsteller bisher auch nicht vorgebracht worden.
13
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die eingereichten Schriftsätze sowie auf die vorgelegten Unterlagen und Akten verwiesen.
II.
14
1. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere steht der beantragten Aussetzung der Vollziehung (AdV) die Bestandskraft des angefochtenen Abgabenbescheides nicht entgegen. Das Einspruchsverfahren ist zwar mit der Einspruchsentscheidung vom (…) abgeschlossen worden; der Antragsteller hat aber noch die Möglichkeit, den Eintritt der Bestandskraft durch die Erhebung einer Anfechtungsklage zu verhindern.
15
Auch der Zugang zum Gericht ist eröffnet, weil das HZA den Antrag auf AdV zum Teil abgelehnt hat (Bescheid vom …).
16
2. Der Antrag ist auch begründet.
17
Nach § 69 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. Art. 45 Abs. 2 der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Oktober 2013 zur Festlegung des Zollkodex der Union (Unionszollkodex – UZK) setzt das Finanzgericht die Vollziehung einer angefochtenen Entscheidung der Zollbehörden u.a. aus, wenn es begründete Zweifel an deren Rechtmäßigkeit hat. Art. 45 Abs. 2 UZK gilt nicht nur für den festgesetzten Zoll, sondern sinngemäß auch für die festgesetzte EUSt (§ 21 Abs. 2 des Umsatzsteuergesetzes in der für das Streitjahr geltenden Fassung – UStG).
18
Begründete Zweifel i.S.v. Art. 45 Abs. 2 UZK sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung der angefochtenen Entscheidung neben den für die Rechtmäßigkeit sprechenden Umständen gewichtige gegen die Rechtmäßigkeit sprechende Gründe zu Tage treten, die Unsicherheit oder Unentschiedenheit in der Beurteilung der entscheidungserheblichen Rechtsfragen oder Unklarheit in der Beurteilung von Tatfragen bewirken (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs – BFH – vom 11. August 2005 VII B 292/04, BFH/NV 2005, 2074 zur Vorgängerregelung in Art. 244 der Verordnung – EWG – Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften – ZK). Die Entscheidung ergeht aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Vortrag der Beteiligten und der Aktenlage ergibt (BFH-Beschluss vom 20. Januar 2015 XI B 112/14, BFH/NV 2015, 537).
19
a) Nach Aktenlage bestehen begründete Zweifel daran, ob das HZA zu Recht eine Abgabenbefreiung nach Art. 86 Abs. 6 UZK versagt hat.
20
Nach Art. 86 Abs. 6 UZK gilt eine nach der der Verordnung (EG) Nr. 1186/2009 des Rates über das gemeinschaftliche System der Zollbefreiungen (im Folgenden: ZollbefrVO) vorgesehene Befreiung von den Einfuhrabgaben auch in den Fällen, in denen eine Zollschuld nach Art. 79 UZK entstanden ist, sofern der Verstoß, durch den die Zollschuld entstanden ist, kein Täuschungsversuch war. Art. 86 Abs. 6 UZK gilt nicht nur für den festgesetzten Zoll, sondern nach § 21 Abs. 2 UStG sinngemäß auch für die festgesetzte EUSt.
21
aa) Im Streitfall ist bei der Einfuhr des Pkw am (…) eine Zollschuld nach Art. 79 Abs. 1 Buchst. a) UZK und nach § 21 Abs. 2 UStG i.V.m. Art. 79 Abs. 1 Buchst. a) UZK eine Einfuhrumsatzsteuerschuld entstanden.
22
Danach entsteht für einfuhrabgabenpflichtige Waren – wie dem streitgegenständlichen Pkw – eine Abgabenschuld, wenn eine der in den zollrechtlichen Vorschriften festgelegten Verpflichtungen in Bezug auf das Verbringen von Nicht-Unionswaren in das Zollgebiet der Union nicht erfüllt ist.
23
Der Antragsteller hat beim Grenzübertritt am (…) seine zollrechtlichen Verpflichtungen, namentlich die Pflicht zur Gestellung des Pkw (Art. 139 Abs. 1 UZK), nicht erfüllt, weil er die Eingangszollstelle außerhalb der Öffnungszeiten passiert hat. Infolgedessen ist gemäß Art. 79 Absatz 1 Buchstabe a) 1. Alt. UZK eine Einfuhrzollschuld entstanden.
24
Nach Art. 139 Abs. 1 UZK sind in das Zollgebiet der Union verbrachte Waren bei ihrer Ankunft bei der bezeichneten Zollstelle oder an einem anderen von den Zollbehörden bezeichneten oder zugelassenen Ort oder in der Freizone unverzüglich zu gestellen. Mit der Gestellung wird der Zollbehörde mitgeteilt, dass Waren bei der Zollstelle oder an einem anderen von den Zollbehörden bezeichneten oder zugelassenen Ort eingetroffen sind und für Zollkontrollen zur Verfügung stehen (Art. 5 Nr. 33 UZK). Dies kann nur während der Öffnungszeiten der Zollstellen erfolgen (vgl. § 10 des für das Bundesgebiet Österreichs geltenden Zollrechts-Durchführungsgesetzes – ZollR-DG).
25
Die ordnungsgemäße Gestellung des Pkw kann auch nicht gemäß Art. 218 Buchst. a) der Durchführungsverordnung (EU) 2015/2447 der Kommission mit Einzelheiten zur Umsetzung von Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Union (UZK-IA) fingiert werden. Danach gilt die Gestellung von Waren für die Zwecke des Art. 138 der Delegierten Verordnung (EU) 2015/2446 der Kommission zur Ergänzung der Verordnung (EU) Nr. 952/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates mit Einzelheiten zur Präzisierung von Bestimmungen des Zollkodex der Union (UZK-DA) als durch eine Willensäußerung i.S.d. Art. 141 Abs. 1 UZK-DA erfüllt. Weil aber der streitgegenständliche Pkw vom Warenkatalog des Art. 138 UZK-DA nicht erfasst ist, greift die Gestellungsfiktion nicht.
26
bb) Nach Aktenlage sind die materiell-rechtlichen Voraussetzungen einer Abgabenbefreiung nach der ZollbefrVO erfüllt.
27
(1) Bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug handelt es sich um einen privaten Pkw, der gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. c) lit. ii) ZollbefrVO als Übersiedlungsgut gilt.
28
(2) Der Antragsteller erfüllt den Befreiungstatbestand des Art. 3 ZollbefrVO, weil er seinen gewöhnlichen Wohnsitz (…) nach Deutschland verlegt hat.
29
Nach Art. 3 ZollbefrVO ist das Übersiedlungsgut natürlicher Personen, die ihren gewöhnlichen Wohnsitz in das Zollgebiet der Gemeinschaft verlegen, vorbehaltlich der Art. 4 bis 11 ZollbefrVO, von den Eingangsabgaben befreit. In entsprechender Anwendung auf die Einfuhrumsatzsteuer ist das Übersiedlungsgut natürlicher Personen, die ihren gewöhnlichen Wohnsitz in das Inland (§ 1 Abs. 2 Satz 1 UStG) verlegen, einfuhrumsatzsteuerfrei (§ 5 Abs. 2 UStG i.V.m. § 1 Abs. 1 der Einfuhrumsatzsteuer-Befreiungsverordnung – EUStBV – und Art. 133 Abs. 1 und 2 ZollbefrVO).
30
(3) Der Antragsteller erfüllt nach Aktenlage auch die übrigen Voraussetzungen der Abgabenbefreiung. Die Befreiung kann nach Art. 5 Abs. 1 ZollbefrVO grundsätzlich nur Personen gewährt werden, die ihren gewöhnlichen Wohnsitz mindestens zwölf aufeinander folgende Monate außerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft gehabt haben. Dies ist nach Aktenlage der Fall. Der Antragsteller hat den streitgegenständlichen Pkw, der ihm gehörte, auch mindestens sechs Monate vor dem Zeitpunkt der Aufgabe seines gewöhnlichen Wohnsitzes im Herkunftsland (Schweiz) privat benutzt. Am neuen gewöhnlichen Wohnsitz in Deutschland wird der Pkw zu den gleichen Zwecken benutzt (Art. 4 ZollbefrVO). Der Pkw ist auch nicht nach Art. 6 ZollbefrVO von der Abgabenbefreiung ausgeschlossen.
31
(4) Nach Art. 7 Abs. 1 ZollbefrVO muss der Antragsteller das Übersiedlungsgut innerhalb von zwölf Monaten nach der Begründung seines gewöhnlichen Wohnsitzes in Deutschland zur Überführung in das besondere Zollverfahren der Endverwendung anmelden. Dies ist im Streitfall mit der Einreichung des Vordrucks 0350 beim Antragsgegner erfolgt.
32
cc) Nach Aktenlage bestehen begründete Zweifel daran, ob das HZA zu Recht annimmt, dass der Verstoß, durch den die Abgabenschuld entstanden ist, ein Täuschungsversuch war.
33
Im Streitfall war das vorschriftswidrige Verbringen vollzogen und die Abgabenschuld entstanden, sobald der Pkw über die erste innerhalb des Zollgebiets der Union liegende Zollstelle hinaus gelangt ist, ohne dort gestellt worden zu sein (Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union – EuGH – vom 7. März 2019 – C-643/17, Suez II, Rn. 47, ZfZ 2019, 207). Nach dem Wortlaut des Art. 86 Abs. 6 UZK muss sich der Täuschungsversuch hierauf beziehen (Witte/Traub, UZK, 9. Aufl., Art. 86 Rn. 77). Das Verhalten des Antragstellers nach Entstehung der Abgabenschuld mag zwar ggf. Rückschlüsse auf subjektive Tatsachen im fraglichen Zeitpunkt zulassen; die Frage aber, ob das Verhalten des Antragstellers nach der Einreise (wie z.B. die Abgabe des Anmeldevordrucks erst mit dem Einspruch) selbst einen Täuschungsversuch darstellt, stellt sich bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Abgabenbescheides nicht.
34
Der in Art. 86 Abs. 6 UZK verwendete Begriff des Täuschungsversuchs ist weder im UZK noch in der UZK-IA oder der UZK-DA definiert. Auch in der Rechtsprechung ist noch nicht im Einzelnen geklärt, wie der Begriff zu verstehen ist.
35
Da Vorschriften des Unionsrechts im Licht der Fassungen in allen Sprachen der Union einheitlich ausgelegt und angewandt werden müssen, kann die in einer der Sprachfassungen einer Vorschrift des Unionsrechts verwendete Formulierung nach ständiger Rechtsprechung des EuGH nicht als alleinige Grundlage für die Auslegung dieser Vorschrift herangezogen werden oder insoweit Vorrang vor den übrigen Sprachfassungen beanspruchen (EuGH-Urteil vom 9. Februar 2023 C-788/21, Global Gravity, ECLI:ECLI:EU:C:2023:86, Rn. 42). Die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts erfordert deshalb einen Vergleich ihrer Sprachfassungen. Weichen diese Sprachfassungen voneinander ab, muss die fragliche Bestimmung anhand der allgemeinen Systematik und des Zwecks der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört (Urteil des FG Hamburg vom 28. August 2023 4 K 14/21, Rn. 58, unter Verweis auf das EuGH-Urteil vom 24. Oktober 1996, C-72/95, ABl EG 1997, Nr C 9, 5).
36
Die Sprachfassungen des Art. 86 Abs. 6 UZK weichen voneinander ab. Die englische Fassung enthält die Formulierung „attempt at deception“, die mit dem Begriff „Täuschungsversuch“ ins Deutsche übersetzt werden kann. Dagegen sind z.B. die in der französischen Fassung (tentative de manœuvre), der italienischen Fassung (tentativo di frode) und der spanischen Fassung (tentativa de fraude) verwendeten Begriffe eher mit „versuchter Betrug“ zu übersetzen. Dies spricht dafür, das die Abgabenbefreiung ausschließende Merkmal des Täuschungsversuchs „betrugsnah“ zu verstehen.
37
Der Zweck des Art. 86 Abs. 6 UZK lässt sich insbesondere den Erwägungsgründen zum UZK entnehmen. Einerseits geht es dem Unionsgesetzgeber darum, die finanziellen Interessen der Union zu schützen (39. Erwägungsgrund) und betrügerische Praktiken einzudämmen. Andererseits soll nach dem 38. Erwägungsgrund dem guten Glauben des Beteiligten in Fällen, in denen eine Zollschuld auf einer Nichteinhaltung zollrechtlicher Vorschriften beruht, Rechnung getragen werden. Außerdem sollen die Folgen fahrlässigen Verhaltens des Zollschuldners auf ein Mindestmaß abgemildert werden.
38
Dem gewöhnlichen Sprachgebrauch entsprechend setzen die Begriffe „Täuschung“, „Betrug“ und „bösgläubig“ eine unredliche Geisteshaltung voraus.
39
Obwohl er nicht verbindlich ist, liefert auch der Leitfaden der Kommission für die Zollschuld (überarbeitete Fassung September 2022) Hinweise für die Auslegung des Begriffes „Täuschungsversuch“. Danach seien die Erfahrung des Wirtschaftsbeteiligten, die Komplexität der Rechtsvorschriften in Bezug auf ein bestimmtes Verfahren und auf bestimmte Arten von Waren, die Häufigkeit ähnlicher Verstöße und alle anderen Umstände und Kriterien zu berücksichtigen, die die Beurteilung, ob ein Verstoß ein Täuschungsversuch ist oder nicht, beeinflussen könnten. Nach Auffassung der Kommission setzt ein Täuschungsversuch eine vorsätzliche/absichtliche Handlung voraus, bei der der Wirtschaftsbeteiligte mit Wissen und Willkür handelt und sich mit vorsätzlichem Verhalten gegen das Gesetz wendet. Dabei sollte eine Verkürzung/Kürzung von Zöllen oder anderen Abgaben nicht unbedingt als beabsichtigt angesehen werden. Dennoch könne ein wiederholtes Verhalten unter Missachtung von Vorschriften, die (aufgrund der Erfahrung des Wirtschaftsbeteiligten, der Klarheit der Gesetzgebung usw.) bekannt waren oder hätten bekannt sein müssen, als vorsätzliches Verhalten angesehen werden. Wurden die Rechtsvorschriften veröffentlicht, so könne sich zudem niemand auf Unwissenheit berufen. Ein Täuschungsversuch könne unter anderem Handlungen umfassen, die zu Strafverfahren geführt haben. Dies sei unter Berücksichtigung aller Fakten jedes Einzelfalls zu beurteilen.
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Nach alledem spricht viel dafür, einen Täuschungsversuch nicht schon dann anzunehmen, wenn vorsätzlich (also mit Wissen und Wollen) gegen zollrechtliche Pflichten verstoßen wurde, sondern nur dann von einem Täuschungsversuch auszugehen, wenn sich unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles eine unredliche Absicht oder ein sonstiger unlauterer Beweggrund des Handelnden feststellen lässt. Eine Verkürzung von Abgaben muss dabei nicht zwingend beabsichtigt sein; vielmehr dürfte auch das Motiv, zollamtliche Kontrollen oder Überwachungsmaßnahmen zu erschweren, genügen, um einen Täuschungsversuch zu bejahen. Nicht ausreichend wäre allerdings, dass die Regelungen zur Gestellungspflicht objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte kennen können oder kennen müssen.
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Ausgehend von diesem Verständnis des Art. 86 Abs. 6 UZK bestehen Zweifel, ob dem Antragsteller ein Täuschungsversuch vorzuwerfen ist. Es dürfte sich vorliegend um einen einmaligen Verstoß eines in zollrechtlichen Fragen eher unerfahrenen Wirtschaftsteilnehmers handeln. Nach dem sich aus den vorgelegten Akten ergebenden Gesamteindruck ist nicht auszuschließen, dass der Antragsteller seine Fahrt nach Deutschland unter Verkennung der Regelungen zur Gestellungspflicht fortgesetzt hat, nachdem an der Zollstelle niemand anzutreffen war. Da der Antragsteller von einer Abgabenfreiheit als Übersiedlungsgut ausging und das Fahrzeug durch die drittländische Zulassung jederzeit als Nicht-Unionsware zu erkennen war, ist nicht davon auszugehen, dass er Abgaben vermeiden oder eine zollamtliche Überwachung erschweren wollte. Gegen einen Täuschungsversuch spricht auch, dass der Antragsteller die Zollanmeldung für die Überführung von Übersiedlungsgut in das besondere Zollverfahren der Endverwendung bereits vor dem Umzug ausgefüllt hatte und er sich zeitnah nach dem Umzug bei der Zulassungsbehörde nach dem weiteren Verfahren erkundigt hat.
42
3. Soweit die Vollziehung des angefochtenen Bescheides ausgesetzt wird, ist sie auch rückwirkend ab Fälligkeit der festgesetzten Abgaben aufzuheben.
43
Nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BFH-Beschluss vom 10. Dezember 1986 I B 121/86, BStBl II 1987, 389; BFH-Urteil vom 30. März 1993 VII R 37/92, BFH/NV 1994, 4) ist die AdV als rechtsgestaltender Verwaltungsakt zu verstehen, dessen Wirkung sich nur auf die Zukunft erstreckt. Soweit der angefochtene Verwaltungsakt vor der Gewährung einer AdV bereits vollzogen ist, bleiben die schon eingetretenen Rechtsfolgen bestehen. In diesen Fällen ist die Aufhebung der Vollziehung rechtlich möglich. Hierfür gelten die gleichen Voraussetzungen wie für die AdV nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO. Deshalb kommt es für die Bestimmung des Zeitpunktes, ab welchem die Wirkungen der Vollziehung eines Abgabenbescheides aufzuheben sind, wesentlich darauf an, ab wann ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides erkennbar vorlagen. Entscheidend ist dabei nicht, ab wann das HZA die ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids erkannt hat oder erkennen konnte oder sich die „Rechtswidrigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts greifbar abgezeichnet“ hat, sondern seit wann objektiv an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids ernstliche Zweifel bestehen.
44
Im Streitfall ist eine Aufhebung der Vollziehung mit Wirkung zum Fälligkeitszeitpunkt deshalb gerechtfertigt, weil schon zu diesem Zeitpunkt die genannten Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides über Zoll und EUSt bestanden haben.
45
4. Die Vollziehung des Einfuhrabgabenbescheids ist auch hinsichtlich der Zinsforderungen auszusetzen, da deren Rechtmäßigkeit von der Rechtmäßigkeit der Hauptforderungen abhängt. Unabhängig davon hätte das HZA die für die Zeit vom (…) bis (…) nach Art. 114 Abs. 2 UZK erhobenen Zinsen nach der Teilabhilfe herabsetzen müssen. Im Falle einer nach Art. 79 UZK entstandenen Abgabenschuld ist nur der nachzuerhebende Betrag zu verzinsen (Witte/Alexander, aaO., Art. 114 Rn. 6). § 240 Abs. 1 Satz 4 AO gilt nur für Zinsen nach Art. 114 Abs. 1 UZK.
46
5. Die AdV erfolgt gegen Sicherheitsleistung.
47
Nach Art. 45 Abs. 3 UZK ist die Vollziehung der Entscheidung nur gegen Sicherheitsleistung auszusetzen, es sei denn, es wird auf der Grundlage einer dokumentierten Bewertung festgestellt, dass durch die Leistung einer solchen Sicherheit dem Schuldner ernste wirtschaftliche oder soziale Schwierigkeiten entstehen könnten.
48
Ernste Schwierigkeiten wirtschaftlicher oder sozialer Art i.S.v. Art. 45 Abs. 3 UZK sind insbesondere dann anzunehmen, wenn der Schuldner nicht über ausreichende Mittel oder sonstige Möglichkeiten für eine Sicherheitsleistung verfügt (Rüsken in Dorsch, Zollrecht, 175. Lieferung, Art. 45 UZK, Rn. 76). Die Darlegungs- und Glaubhaftmachungslast liegt insoweit beim Schuldner. Dies hat der Unionsgesetzgeber durch die Aufnahme der Formulierung „auf der Grundlage der dokumentierten Bewertung“ in Art. 45 Abs. 3 UZK klargestellt (Beschluss des Finanzgerichts Hamburg vom 12. April 2017 4 V 16/17, n.v.).
49
Die Sicherheitsleistung soll Abgabenausfälle nach einem für den Abgabenpflichtigen ungünstigen Ausgang des Rechtsbehelfsverfahrens vermeiden. Für das Absehen von der Anforderung einer Sicherheitsleistung ist aber nicht von Bedeutung, mit welchem Grad an Wahrscheinlichkeit der gegen den streitgegenständlichen Abgabenbescheid eingelegte Einspruch voraussichtlich Erfolg haben wird bzw. welches Ausmaß an Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Bescheides besteht. Bereits der Wortlaut des Art. 45 Abs. 3 UZK spricht nicht für eine solche Auslegung der Norm. Vielmehr heißt es dort, dass in den in Absatz 2 genannten Fällen, also auch beim Vorliegen begründeter Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Entscheidung, die Vollziehung der Entscheidung nur gegen Sicherheitsleistung ausgesetzt wird, sofern kein Ausnahmefall gegeben ist. Überdies hat der EuGH zur im Wesentlichen gleichlautenden Vorgängernorm des Art. 244 Abs. 3 ZK festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Anforderung einer Sicherheitsleistung unabhängig vom jeweiligen Aussetzungsgrund, also den begründeten Zweifel an der Rechtmäßigkeit oder der Gefahr eines unersetzbaren Schadens, sind (EuGH-Urteil vom 17. Juli 1997, C-130/95, ZfZ 1997, 335). Anhaltspunkte dafür, dass im Rahmen des Art. 45 Abs. 3 UZK etwas Anderes gelten sollte, sind nicht gegeben (Beschluss des FG Hamburg vom 12. April 2017 4 V 16/17, n.v.).
50
Im Streitfall liegt dem Gericht keine dokumentierte Bewertung vor, aus der sich ergäbe, dass dem Antragsteller durch die Leistung der Sicherheit ernste wirtschaftliche oder soziale Schwierigkeiten entstehen könnten. Da er bereits Ratenzahlungen geleistet hat, die als Sicherheit verwendet werden können, steht fest, dass er zumindest zur Erbringung einer Teilsicherheit in der Lage ist. Da aber das HZA vom Vorliegen ernster wirtschaftlicher Schwierigkeiten ausgeht, weil es sowohl im Rahmen der gewährten Teil-AdV als auch bei der Stundung auf eine Sicherheitsleistung verzichtet hat, ist die Höhe der Sicherheit auf einen niedrigeren Betrag als den von der Vollziehung ausgesetzten Gesamtbetrag festzusetzen. Der Senat hält insoweit einen Betrag von … € für angemessen.
51
Die AdV entfaltet erst Wirkung, wenn die Sicherheitsleistung erbracht ist. Diese Wirkung tritt rückwirkend ab Fälligkeit ein. Wird die Sicherheitsleistung nicht bis zum Ablauf der dafür gesetzten Frist erbracht, entfällt die bis dahin wirkungslose AdV.
52
Die möglichen Sicherheiten ergeben sich aus Art. 92 UZK; der Antragsteller kann grundsätzlich zwischen den dort vorgesehenen Möglichkeiten wählen (Art. 93 UZK).
53
6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO. Soweit die AdV nur gegen Sicherheitsleistung gewährt wurde, liegt insoweit – für die Kostenentscheidung – kein Teilunterliegen vor (vgl. BFH-Beschluss vom 5. April 2004 X B 130/03, BFHReport 2004, 779).