Titel:
Haftung einer Bank bei Stillhalter-Optionsgeschäften
Normenkette:
BGB § 138, § 812
Leitsätze:
1. Die Auswirkungen psychischer Erkrankungen auf Rechtsgeschäfte insgesamt sind nicht im WpHG, sondern vielmehr im Allgemeinen Teil des BGB geregelt. (Rn. 79) (redaktioneller Leitsatz)
2. Zwar kann eine Vollmacht durch Verzicht erlöschen. Diese Verzichtserklärung des Bevollmächtigten muss aber gegenüber dem Vollmachtgeber abgegeben werden. (Rn. 111) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Stillhalter-Optionsgeschäfte, psychische Erkrankung, Vollmacht
Fundstelle:
BeckRS 2023, 48465
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 7.153.087,78 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt von der Beklagten Zahlung aufgrund von Schadensersatz- bzw. Rückabwicklungsansprüchen aufgrund sog. EUREX-Geschäfte aus eigenem sowie aus abgetretenem Recht.
2
Bei diesen Geschäften handelt es sich um Stillhalter-Optionsgeschäfte. Diese funktionieren im Wesentlichen dergestalt, dass der Kläger als Stillhalter Optionen verkauft, mit denen er dem jeweiligen Käufer das Recht einräumt, zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft bestimmte Mengen eines Basiswerts zu einem festgelegten Preis zu kaufen. Bestätigt sich die Markterwartung des jeweiligen Käufers, so wird dieser in der Regel die Option ausüben, andernfalls nicht.
3
Streitgegenständlich sind Geschäfte aus dem Zeitraum vom 03.06.2019 bis einschließlich März 2020. Der Kläger ist der Ansicht, diese von der Beklagten durchgeführten Geschäfte seien nichtig bzw. fehlerhaft und daher nach Bereicherungsrecht rückabzuwickeln, beziehungsweise, es müsse Schadensersatz geleistet werden.
4
Der Kläger ist gelernter Bankkaufmann und war viele Jahre bei der … als Börsenhändler tätig.
5
Ab etwa dem Jahr 2012 leidet der Kläger an einer depressiven Erkrankung, die ihn teilweise in seiner Lebensgestaltung erheblich einschränkte und unter anderem auch zu mehreren Aufenthalten in geschlossenen psychiatrischen Abteilungen führte. Aktuell geht es dem Kläger besser, er muss aber nach wie vor verschiedene Medikamente einnehmen.
6
Seit der Jahrtausendwende schloss der Kläger – nicht nur für sich selbst, sondern auch für die beiden Zedentinnen … und …, EUREX-Geschäfte über die Beklagte ab. Bei diesen EUREX-Geschäften handelt es sich um riskante Finanztermingeschäfte in Form von Options- bzw. Stillhaltergeschäften, die nur bei einigen Bankinstituten in der Bundesrepublik Deutschland durchgeführt werden können und dürfen.
7
Der Kläger erteilte seinem Schwager … umfassende Generalvollmacht mit Betreuungsverfügung (vgl. Anlage K 6). Ein gesetzlicher Betreuer ist für den Kläger jedoch nicht bestellt. Der Kläger war und ist uneingeschränkt geschäftsfähig im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuches.
8
Im Jahr 2013 stellte der Kläger bei der Beklagten einen Antrag auf Hochstufung zum professionellen Kunden im Sinne des § 67 Abs. 6 WpHG n.F. (Anlage B 8). Diese Hochstufung bestätigte die Beklagte mit Schreiben vom 22.07.2013 (Anlage B 9).
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Bis in das Jahr 2019 verliefen die EUREX-Geschäfte des Klägers überwiegend erfolgreich, dann mit zunehmend weniger Erfolg. Ende Mai / Anfang Juni 2019 beendete der Kläger für einige Zeit die Geschäfte.
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Am 03.06.2019 gab es ein Gespräch zwischen dem Kläger, der in Begleitung seiner Ehefrau, seines Schwagers … und … die Münchener Filiale der Beklagten aufsuchte (im Folgenden „erstes Gespräch“ genannt). Die genannten Personen sprachen dort mit dem Mitarbeiter der Beklagten …
11
Der Kläger unterschrieb in diesem Termin ein handschriftlich verfasstes Schriftstück, worin es heißt:
„Hiermit teile ich mit, dass ich aus Selbstschutz keine EUREX-Geschäfte mehr tä – tige. Der Hauptgrund liegt aktuell in meinen psychischen Problemen, die sich zuletzt verschlechtert haben. “ (K 7)
12
Daraufhin kam es zu einer Unterbrechung der Geschäfte, es gab aber Telefonate zwischen den Parteien, deren Initiative, Inhalt und Anzahl jedoch strittig ist.
13
Am 09.08.2019 kam es zu einem erneuten Gespräch in der Bankfiliale (nachfolgend das „zweite Gespräch“ genannt) zwischen dem Kläger, diesmal ohne Begleitung, und zwei Mitarbeitern der Beklagten, … und … oder …
14
Der Kläger unterschrieb in diesem Termin ein von der Rechtsabteilung der Beklagten vorbereitetes Schreiben.
15
Darin heißt es unter anderem:
„In meiner Erklärung vom 3.6.2019 habe ich mitgeteilt, wegen psychischer Probleme derzeit keine Eurex-Geschäfte tätigen zu wollen.
Ich fühle mich wohl, habe keine psychischen Probleme und bin nach Einschätzung meiner Ärzte uneingeschränkt geschäftsfähig. Ich fühle mich insbesondere in der Lage, nach freiem Willen und in Abwägung aller wesentlichen Aspekte Anlageentscheidungen treffen zu können. Auch zur Durchführung von Eurex-Geschäften bin ich in der Lage. Ich bin des Weiteren in der Lage, meinen Pflichten als Bevoll – mächtigter von Personen, die mich beauftragt haben, für sie Vermögensanlagen durchzuführen, nachzukommen. Ich stehe uneingeschränkt zu allen Aufträgen und Haftungsübemahmen, die ich in der Vergangenheit erteilt bzw. erklärt habe und bestätige diese hiermit.“ (Anlage K 8).
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Daraufhin nahm der Kläger die EUREX-Geschäfte wieder auf.
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Mit Schreiben des Klägers an die Beklagte vom 13.03.2020 teilte der Kläger dieser Folgendes mit:
„Hiermit möchte ich …, geb. …, Ihnen mitteilen das (sic!) ich mich unwiderruflich bei der … im Handel bei der Eurex mit Futures oder Optionen sperren lasse und nicht mehr Handel darf. Da ich Bipolare Störungen habe muss ich mich selber schützen und diesen Schritt gehen.“ (Anlage K 9)
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Nach diesem Zeitpunkt beendete der Kläger sämtliche offenen Geschäfte bzw. führte keine weiteren mehr durch.
… und … traten mit Vereinbarung vom 16.12.2021 ihre (ggf. bestehenden) Schadensersatzansprüche an den Kläger ab (Anlagen K 3 und K 4).
der Grund, die EUREX-Geschäfte zu beenden, sei in seiner psychischen Erkrankung zu sehen.
20
Die Geschäfte durchzuführen, sei zuletzt für ihn gleichsam der einzige Weg gewesen, noch Lebensfreude zu empfinden; die Geschäfte hätten für ihn seinen Lebensmittelpunkt dargestellt und sich zu einer Art Sucht entwickelt.
21
Der Mitarbeiter der Beklagten … habe den Kläger in sämtlichen psychiatrischen Kliniken seit 2013 besucht und sich intensiv mit diesem ausgetauscht, daher habe er über die psychische Verfassung des Klägers Bescheid gewusst. Ihm sei auch bekannt gewesen, dass der Schwager des Klägers, …, Betreuungsvollmacht erhalten hatte.
22
Bereits ab 2016 habe eine durchgängige Medikation mit ein bis zwei Antidepressiva bestanden.
23
Die psychische Erkrankung habe ihn an der korrekten Erfassung der jeweils relevanten Sachverhalte gehindert, er habe Chancen und Risiken nicht mehr adäquat einschätzen können. Hierin liege auch der Grund, warum die Geschäfte zuletzt verlustreich wurden. Die Planlosigkeit der Geschäfte werde durch das Gutachten Anlage K 28 von … belegt, sie seien zuletzt in zunehmendem Maße erratisch gewesen, also nicht mehr von rationalem Handeln geleitet.
24
Im Frühjahr des Jahres 2019 habe sich die gesundheitliche Situation des Klägers nochmals erheblich verschlechtert, unter anderem habe er in verstärkten Maß Suizidgedanken gehegt und diese auch geäußert; daher habe er sich schließlich entschlossen, die Geschäfte zu beenden.
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Im ersten Gespräch hätten er und seine Begleiter … die psychische Situation des Klägers eindringlich erklärt, auch, dass er ihretwegen nicht mehr in der Lage sie, weiter EUREX-Geschäfte durchzuführen, weder für sich, noch für Dritte.
26
Dessen ungeachtet sei der Kläger auf Initiative der Beklagten am 09.08.2019 in die Münchner Filiale der Beklagten zu einem Gespräch eingeladen worden, ob er nicht doch wieder in das EUREX-Geschäft einsteigen wolle. Das Schreiben Anlage K 8 habe er auf Drängen der Beklagten unterschrieben. Nach dem tatsächlichen Befinden des Klägers habe man nicht gefragt, sich das Wohlergehen nur schriftlich bestätigen lassen. Die Beklagte habe es ferner auch unterlassen, bei nahestehenden Personen des Klägers nach dessen Gesundheitszustand zu fragen, auch habe sie sich nicht anderweitig hiervon überzeugt, etwas durch Einsichtnahme in ärztliche Stellungnahmen.
27
Die Beklagte habe ihn letztlich aus Eigensucht und Profitstreben zu diesem Schritt gedrängt, weil sie sich von der Wiederaufnahme der Geschäfte (zutreffend) hohe Provisionsgewinne versprochen habe. In der Tat seien an die Beklagte enorm hohe Provisionen geflossen. Die Begleiter aus dem ersten Gespräch habe die Beklagte bewusst, planvoll und pflichtwidrig nicht zu dem zweiten Gespräch eingeladen.
28
Für die genaue Bezifferung der erlittenen Verluste wird insbesondere auf die Anlagen K 16, K 17 und K 18 verwiesen.
29
Der Kläger ist der Ansicht,
das Handeln der Beklagten erfülle den Tatbestand des § 826 BGB, ferner ergebe sich eine Haftung gem. § 280 BGB. Die in Ermangelung einer Vertretungsmacht geschlossenen Geschäfte seien nichtig gem. § 177 BGB und damit gem. § 812 BGB rückabzuwickeln, die übrigen seien nichtig gem. § 138 BGB.
30
In dem Schriftstück Anlage K 7 aus dem ersten Gespräch sei ein rechtsgeschäftliches Handlungsverbot zu sehen, vergleichbar einer Spielersperre im Sinne von § 8 des Glücksspielstaatsvertrages 2011. Dessen Wertungen seien unmittelbar, jedenfalls aber analog, etwa im Rahmen von § 138 BGB zur Auslegung heranzuziehen. Auch liege hierin ein Verzicht auf die Vollmachten betreffend die Zedentinnen, so dass die späteren Geschäfte mit Wirkung für und gegen die Zedentinnen ohne Vertretungsmacht erfolgt seien. An einer späteren erneuten Bevollmächtigung fehle es.
31
Nach diesem ersten Gespräch habe der Kläger nicht mehr als professioneller Kunde geführt werden dürfen, er habe vielmehr zurückgestuft werden müssen (vgl. § 67 Abs. 6 WpHG).
32
Im Rahmen des zweiten Gespräches sei die Beklagte aus §§ 63 Abs. 10, 64 Abs. 3 WpHG und Art. 54 ff. der Delegierten Verordnung (EU) 2017/565 verpflichtet gewesen, ein ärztliches Gutachten über den Gesundheitszustand des Klägers einzuholen.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 7.153.087,78 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.03.2020 zu zahlen.
34
Die Beklagte beantragt,
35
Die Beklagte trägt vor,
die Verluste hätten ihren Ursprung ganz überwiegend in den Börsenverwerfungen der Corona-Pandemie Anfang 2020 gehabt.
36
Richtig sei, dass … den Kläger teils im Krankenhaus besucht habe, das sei auch branchenüblich. Das kommunizierte Krankheitsbild seien Depressionen gewesen; geschäftliche Dinge seien bei den Besuchen nicht zur Sprache gekommen.
37
Im ersten Gespräch habe der Kläger angegeben, die Termingeschäfte belasteten ihn aufgrund der Börsenschwankungen. Dass er hingegen kognitiv nicht mehr dazu in der Lage sei, sei nicht besprochen worden.
38
Nach dem ersten Gespräch im Juni 2019 habe der Kläger zeitweise beinahe täglich angerufen, teils auch mehrfach täglich, und seinen Wunsch mitgeteilt, die Geschäfte wieder aufzunehmen. Er habe auch angekündigt, sie gegebenenfalls bei einem anderen Institut aufzunehmen, sollte die Beklagte nicht einverstanden sein. Druck sei also von dem Kläger, nicht von der Beklagten ausgegangen, auch die Initiative zum zweiten Gespräch sei von dem Kläger ausgegangen.
39
Im zweiten Gespräch sei …, nicht … zugegen gewesen, ferner … Der Kläger habe auf Rückfrage bestätigt, dass seine Ärzte ihn aktuell in der Lage zur Durchführung der Geschäfte hielten, hierüber sei explizit gesprochen worden, das Gespräch habe insgesamt etwa 30 Minuten gedauert.
40
Die Schadensberechnung sei mangelhaft und unzutreffend. Hierzu wird insb. auf Bl. 36 ff. der Erwiderung (Bl. 84 ff. d.A.) Bezug genommen.
41
Die Beklagte ist der Ansicht, sie habe ihr Pflichten vollumfänglich erfüllt, eine Anspruchsgrundlage für die begehrten Rechtsfolgen sei nicht ersichtlich, weder aus Vertragsrecht, oder vertragsähnlichem Recht, noch aus Bereicherungsrecht oder Deliktsrecht.
42
Ein sich selbst auferlegtes Handlungsverbot sei juristisch nicht haltbar (vgl. § 137 BGB), auch gebe es keine „relative Geschäftsfähigkeit“. Bereits nach dem Wortlaut der Anlage K 7 liege ohnehin kein Handlungsverbot vor, sondern eine reine Mitteilung (“Hiermit teile ich mit “).
43
Die Beklagte sei bei der Durchführung der EUREX-Geschäfte zu keinerlei auf die Kunden bezogenen Beratungsleistungen verpflichtet gewesen, die hier streitgegenständlichen Geschäfte seien allesamt beratungsfrei gewesen, § 63 Abs. 10 WpHG n.F. Eine Beratung des Klägers, der nahezu erfahrener als die Mitarbeiter der Beklagten sei, sei überflüssig gewesen. Zu einer Beratung sei der Kläger überdies gar nicht bereit gewesen.
44
Das Gericht hat mündlich verhandelt am 26.06.2023 und den Kläger sowie den Justiziar der Beklagten … als informierten und bevollmächtigten Vertreter jeweils informatorisch angehört.
45
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf sämtliche zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Entscheidungsgründe
46
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Ein Ersatzanspruch im Zusammenhang mit den streitgegenständlichen EUREX-Geschäften steht dem Kläger unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.
47
Die Klage ist zulässig, insbesondere ist das Landgericht München I sachlich und örtlich zuständig.
48
Die Klage ist aber unbegründet. Ein Ersatzanspruch besteht nicht. Im Folgenden werden zunächst Ansprüche im Zusammenhang mit eigenen Geschäften des Klägers untersucht (I), sodann werden mögliche Ansprüche im Zusammenhang mit den Geschäften für die Zedentinnen untersucht (II).
I. Ansprüche des Klägers aus eigenem Recht
49
1. Ein Anspruch gem. § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB i.V.m. §§ 104 Nr. 2, 105 Abs. 1 BGB besteht nicht.
50
Nach diesen Normen ist derjenige, welcher durch Leistung eines anderen etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, dem anderen zur Herausgabe verpflichtet. An einem rechtlichen Grund für die Leistung fehlt es (unter anderem), wenn der zugrunde liegende Vertrag wegen Geschäftsunfähigkeit nichtig ist. Geschäftsunfähigkeit ist unter anderem bei Personen gegeben, die sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befinden, sofern nicht dieser Zustand seiner Natur nach ein vorübergehender ist.
51
Es ist aber zwischen den Parteien unstrittig, dass der Kläger zu keinem Zeitpunkt geschäftsunfähig war.
52
Der Kläger war auch nicht eingeschränkt geschäftsunfähig im Hinblick auf besonders komplizierte Geschäfte. Die Figur einer „relativen“ Geschäftsfähigkeit ist abzulehnen. Zwar ist in der Rechtsprechung die sog. partielle Geschäfts(un)fähigkeit anerkannt (vgl.: Grüneberg/Ellenberger, BGB, § 104, Rn 6 m.w.N.: „krankhafte Eifersucht für Fragen der Ehe“). Rechtsgeschäfte aber in einfachere und komplexere einzuteilen und davon abhängig die Geschäftsfähigkeit zu bejahen oder abzulehnen, würde zu einem unerträglichen Maß an Rechtsunsicherheit führen und ist daher abzulehnen (ebd.; h.M., vgl. Münchener Kommentar/Spickhoff, BGB, § 104, Rn 55 ff).
53
2. Ein Anspruch gem. § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. BGB i.V.m. § 138 Abs. 1, Abs. 2 BGB besteht ebenfalls nicht.
54
Ein rechtlicher Grund für die EUREX-Geschäfte fehlt auch nicht deshalb, weil sie gem. § 138 Abs. 2 BGB wegen Wuchers nichtig wären oder die Wiederaufnahme der Geschäfte gem. § 138 Abs. 1 BGB gegen die guten Sitten verstoßen würde.
a. Keine Nichtigkeit gem. § 138 Abs. 2 BGB
55
Nach dieser Norm ist nichtig insbesondere ein Rechtsgeschäft, durch das jemand unter Ausbeutung der Zwangslage, der Unerfahrenheit, des Mangels an Urteilsvermögen oder der erheblichen Willensschwäche eines anderen sich oder einem Dritten für eine Leistung Vermögensvorteile versprechen oder sich gewähren lässt, die in einem auffälligen Missverhältnis zu der Leistung stehen (wucherisches Rechtsgeschäft).
56
Es fehlt vorliegend an dem vom Gesetzeswortlaut geforderten auffälligen Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung (etwa: Grüneberg/Ellenberger, BGB, § 138, Rn 66 ff.). Die Beklagte hat in einem kommissionsartigen, beratungsfreien (vgl. hierzu unten) Verhältnis die Finanztermingeschäfte des Klägers entgegengenommen und ausgeführt bzw. ausführen lassen. Hierfür hat sie Provisionen erhalten. Leistung und Gegenleistung stehen nicht in einem auffälligen Missverhältnis. Dass die Provisionen überhöht seien, hat der Kläger nicht dargelegt.
57
Auch dass die Geschäfte für den Kläger nicht erfolgreich verliefen, führt nicht zu einem Missverhältnis von Leistung und Gegenleistung. Denn die Pflicht aus dem Kommissionsvertrag ist hierdurch nicht bestimmt, die Beklagte schuldet unabhängig von Erfolg oder Misserfolg nur die reine, gleichsam neutrale Durchführung der Geschäfte.
b. Keine Nichtigkeit wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten, § 138 Abs. 1 BGB.
58
Die Geschäfte sind auch nicht nichtig, weil ihre Wiederaufnahme gegen die guten Sitten verstoßen hätte.
59
aa. Nach diesem Rechtsgrundsatz sind Geschäfte nichtig, die – nach klassischer Definition – gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßen (Grüneberg/Ellenberger, BGB, § 138, Rn 2 m.w.N.).
60
Der Begriff der guten Sitten ist wandelbar, der Inhalt des Rechtsgeschäftes, oder aber der Gesamtcharakter des Rechtsgeschäftes kann die Sittenwidrigkeit begründen (ebd., Rn 7).
61
Im letzteren Fall, der hier denkbar ist, kommt es auf den Inhalt, die Beweggründe und den Zweck des Rechtsgeschäftes an, zu beachten sind auch die Umstände, die zu seiner Vornahme geführt haben, sowie die Absichten und Motive der Parteien. Zum objektiven Sittenverstoß muss ferner ein persönliches Verhalten hinzukommen, das dem Geschäftspartner zum Vorwurf gemacht werden kann. Dabei ist auf den Zeitpunkt der Vornahme des jeweiligen Rechtsgeschäftes abzustellen (ebd., Rn 8,9). Die Beweislast trägt derjenige, der sich auf die Nichtigkeit des Rechtsgeschäftes beruft (ebd., Rn 23).
62
bb. Nach diesen Maßstäben ist es dem Kläger nicht gelungen, der Beklagten ein sittenwidriges Verhalten nachzuweisen.
63
Zunächst ist zu berücksichtigen, dass der Kläger selbst der Beklagten folgende Erklärung durch eigenhändige Unterschrift erteilt hat:
„Ich fühle mich wohl, habe keine psychischen Probleme und bin nach Einschätzung meiner Ärzte uneingeschränkt geschäftsfähig. Ich fühle mich insbesondere in der Lage, nach freiem Willen und in Abwägung aller wesentlichen Aspekte Anlageentscheidungen treffen zu können. Auch zur Durchführung von Eurex-Geschäften bin ich in der Lage. Ich bin des Weiteren in der Lage, meinen Pflichten als Bevollmächtigter von Personen, die mich beauftragt haben, für sie Vermögensanlagen durchzuführen, nachzukommen. Ich stehe uneingeschränkt zu allen Aufträgen und Haftungsübemahmen, die ich in der Vergangenheit erteilt bzw. erklärt habe und bestätige diese hiermit.“ (Anlage K 8).
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Diese Urkunde trägt die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit (vgl. Münchener Kommentar/Einsele, BGB, § 125, Rn 40). Dem Kläger ist es nicht gelungen, die von ihm selbst bestätigten Angaben zu entkräften, noch, dass er zur Abgabe dieses Schreibens gedrängt worden sei.
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(1) Das Gericht hat im Termin zur mündlichen Verhandlung den Kläger selbst und den Justiziar der Beklagten zur Sache informatorisch angehört.
66
Selbst wenn man den klägerischen Vortrag zum sog. ersten Gespräch als zutreffend unterstellt, lässt eine Gesamtschau mit dem weiteren Verlauf, insbesondere nach den gerichtlichen Feststellungen zum zweiten Gespräch, den Schluss auf sittenwidriges Verhalten nicht zu. Einer Beweiserhebung bedurfte es vor diesem Hintergrund nicht, da über die Person des Klägers hinaus keine weiteren Beweismittel zum Vorlauf, Zustandekommen und Inhalt des zweiten Gesprächs benannt sind, die den klägerischen Vortrag belegen könnten.
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Zwischen den Parteien ist unstrittig, dass nach dem ersten Gespräch zunächst keine weiteren Geschäfte durchgeführt wurden.
68
Strittig blieb aber, wie es danach ansonsten weiterging. Der Kläger selbst gab an, die Beklagte habe ihn angerufen und zur Teilnahme an dem zweiten Gespräch gedrängt. Er habe sich in Gegenwart zweier Bankmitarbeiter bedrängt gefühlt und eine vorbereitete Erklärung unterschrieben, die inhaltlich aber nicht zutreffend gewesen sei. Die Mitarbeiter der Beklagten hätten sich insbesondere nicht erkundigt, ob denn der Kläger tatsächlich nach ärztlicher Einschätzung zur Durchführung von Finanztermingeschäften wieder in der Lage sei.
69
Demgegenüber gab aber der Justiziar der Beklagten an, seine Mitarbeiter hätten ihm berichtet, der Kläger selbst habe bereits im Juli mehrfach bei der Beklagten angerufen und gesagt, er fühle sich wieder fit. Der Kläger habe auch damit gedroht, ansonsten die Geschäftsbeziehung aufzukündigen, also die Geschäfte bei einem anderen Bankhaus fortzusetzen.
70
Er selbst habe dann als Justiziar das Schreiben formuliert, welches … schließlich am 09.08.2019 unterschrieb. Er habe seinen Mitarbeitern vorgegeben, dass diese sich in dem Gespräch gezielt nach der Einschätzung der Ärzte erkundigen sollten, dieser Punkt sollte verifiziert werden.
71
(2) Nach dem klägerischen Vortrag und vor allem dem persönlichen Eindruck, den das Gericht in der Anhörung des Klägers von diesem gewonnen hat, ist es dem Kläger nicht gelungen, der Beklagten ein sittenwidriges Verhalten nachzuweisen.
72
(a) Gegen die Glaubwürdigkeit der klägerischen Version insgesamt spricht bereits, dass sich der Kläger in der Klageschrift noch als privater Kunde darstellten ließ, eine Hochstufung zum professionellen Kunden habe es nicht gegeben (so in der Klageschrift, Bl. 6 d.A.). Erst nachdem die Beklagte in der Erwiderung die entsprechende Erklärung vorlegte (Anlage B 8), wurde der Vortrag korrigiert. Die Erklärung des Beklagtenvertreters in der mündlichen Verhandlung, hierin liege gleichsam ein Beleg für die Zerstreutheit des Klägers (nicht protokolliert), überzeugt das Gericht nicht, hängen doch von dieser Einordnung ganz wesentlich die Prüfpflichten der Beklagten und damit letztlich der Erfolg der Klage ab.
73
(b) Aber auch abgesehen vom schriftlichen Vortrag konnte der Kläger das Gericht nicht von der Richtigkeit seines Vortrages überzeugen. So äußerte er etwa auf die Frage, ob im zweiten Gespräch tatsächlich nach der ärztlichen Einschätzung gefragt wurde, nach Blickkontakt mit seinen Rechtsanwälten, das sei nicht so gewesen. Das Gericht hielt diese Aussage für strategisch motiviert und schenkt dem Kläger keinen Glauben. Die vom Beklagtenvertreter geschilderte und als dessen Einwand auch protokollierte Situation, dass der Kläger auf Frage eines seiner Anwälte diesem leise zugeraunt habe, er wisse es nicht mehr, hat das Gericht selbst nicht wahrgenommen. Den klägerischen Anwälten war zu diesem Zeitpunkt zur Stellung dieser Frage auch nicht das Wort erteilt gewesen.
74
(c) Dass der Kläger zu seiner Entscheidung durch die Beklagte bedrängt worden wäre, konnte er ebenfalls nicht nachweisen. Über die bloße Anwesenheit zweier (ihm bereits bekannter) Mitarbeiter hinaus schilderte der Kläger in seiner informatorischen Anhörung nichts weiter. Die Beklagte räumte ihm außerdem auch nach seiner eigenen Version zwischen der Terminvereinbarung und dem zweiten Gespräch eine Zeitdauer von vier bis fünf Tagen ein, binnen derer er weiter überlegen konnte. Auch insofern kann das Gericht den Vorwurf einer Bedrängung nicht nachvollziehen.
75
(d) Sittenwidrigkeit folgt weiter nicht daraus, dass die Beklagte keine erneute Geeignetheitsprüfung im Sinne des WpHG durchgeführt hat bzw. den Kläger nicht zum normalen Kunden zurückgestuft hat.
76
Das Gericht bleibt bei seiner Einschätzung, die es bereits in der mündlichen Verhandlung mitgeteilt hat: Wer als professioneller Kunde eine psychische Erkrankung erleidet, wird dadurch nicht zu einem normalen Kunden, sondern wird zu einem professionellen Kunden mit einer psychischen Erkrankung. Denn das WpHG trifft keinerlei Aussagen zu diesem Punkt:
77
§ 63 Abs. 10 WpHG spricht vielmehr von „Kenntnisse(n) und Erfahrungen der Kunden in Bezug auf Geschäfte mit bestimmten Arten von Finanzinstrumenten oder Wertpapierdienstleistungen, soweit diese Informationen erforderlich sind, um die Angemessenheit der Finanzinstrumente oder Wertpapierdienstleistungen für die Kunden beurteilen zu können “.
78
Soweit § 67 Abs. 6 WpHG von „Sachverstand“ spricht, ist damit ein branchenspezifischer Sachverstand, bezogen nämlich auf die Sache, gemeint. Allgemeine Verstandesleistung, die generelle Fähigkeit zu kritischer Reflexion, ist hingegen nicht gemeint. Daher ist auch eine Rückstufung zum normalen Kunden nur dann angezeigt, wenn die spezifischen Kriterien, die für dessen Hochstufung zum Tragen kamen, nicht oder nicht mehr vorliegen. Etwa, dass der Kläger nicht mehr über ausreichend finanzielle Mittel verfügt (Münchener Kommentar/Ekkenga, HGB, „Effektengeschäft“, Rn 160). Oder, dass sich seine vermeintliche Sachkenntnis im Nachhinein als nicht gegeben herausstellt.
79
Die Auswirkungen psychischer Erkrankungen auf Rechtsgeschäfte insgesamt sind hingegen nicht im WpHG, sondern vielmehr im Allgemeinen Teil des BGB geregelt (zu den Kriterien der Herabstufung vgl. Heidel/Schäfer, Aktienrecht und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl. 2020, § 67, Rn 25 ff.; Langenbucher/Bliesener/Spindler, Bankrechts-Kommentar, WpHG, § 67, Rn 212).
80
(e) Sittenwidrigkeit ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beklagte keine weiteren Beteiligten zu dem zweiten Gespräch hinzuzog oder dass sie sich keine ärztlichen Belege vorlegen ließ.
81
Es gibt zunächst keine allgemeine rechtliche Pflicht oder Obliegenheit, einen Geschäftspartner in laufender Geschäftsbeziehung auf dessen Suchtverhalten zu untersuchen oder den Fortgang der Geschäftsbeziehung von entsprechenden Negativnachweisen abhängig zu machen.
82
Unterstellt man den klägerischen Vortrag zum ersten Gespräch als zutreffend, dass also eine Art Handlungssperre vereinbart wurde, so ergibt sich von Rechts wegen zwar eine Überprüfungspflicht, der Kläger konnte jedoch nicht nachweisen, dass die Beklagte dieser Pflicht nicht nachgekommen wäre. In rechtlicher Hinsicht genügte insofern ein persönliches Gespräch und eine persönlich unterschriebene Bescheinigung, wie sie die Beklagte von dem Kläger eingeholt hat. Das Gericht ist – wie oben dargestellt – auch nicht davon überzeugt, dass die Beklagte kein Interesse an der tatsächlichen gesundheitlichen Situation des Klägers hatte. Abgesehen davon, dass etwa die Vorlage ärztlicher Unterlagen rechtlich nicht durchsetzbar gewesen wäre, traf die Beklagte jedenfalls keine rechtliche Pflicht, weitere Erkundigungen einzuholen.
83
Auch fehlt es insofern am notwendigen subjektiven Element: Von einem bewussten Übergehen der Vertrauenspersonen, von einem bewussten Ignorieren ärztlicher Einschätzung (wie für § 138 BGB nötig) konnte das Gericht sich nicht überzeugen.
84
(f) Sittenwidrigkeit ergibt sich auch nicht aus einer analogen Anwendung der Regelungen des Glücksspielstaatsvertrags.
85
Es fehlt bereits an einer planwidrigen Regelungslücke. Das Gesetz hat vielmehr erkannt, dass manche Finanztermingeschäfte als Spiel i.S.d. §§ 762 ff. BGB aufgefasst werden könnten und hat hierfür explizite Regelungen getroffen.
86
Aus § 764 BGB a.F. folgt kein Spielcharakter für die hier gegenständlichen Geschäfte, denn in § 58 Börsengesetz (i.d.F. v. 09.09.1998) wurden Börsentermingeschäfte vom dem Anwendungsbereich von § 764 BGB a.F. gerade ausgenommen. Das aktuell geltende WpHG unterscheidet in §§ 99, 100 zwischen verbindlichen und verbotenen Finanztermingeschäften (vgl. Beckonline Großkommentar, BGB, § 762, Rn 35 ff.). Den verbindlichen Finanztermingeschäften kann ein möglicher Spielcharakter gerade nicht entgegengehalten werden, § 99 WpHG.
87
Die mögliche Geneigtheit der Art der Geschäfte, ein Suchtverhalten hervorzurufen, genügt für sich genommen nicht zur Annahme einer Analogie.
88
(g) Ein Verstoß gegen die guten Sitten ergibt sich auch nicht daraus, dass die Führung der Geschäfte ab dem ersten Halbjahr 2019 zunehmend erratisch gewesen, also nicht mehr durch rationale Kriterien geleitet gewesen sei und die Beklagte dies habe erkennen müssen (vgl. S. 9 ff. der Replik = Bl. 140 ff. d.A.; Gutachten …, Anlage K 28). Der Beklagte äußerte hierzu in der mündlichen Verhandlung vom 26.06.2023: „Er (…) hat sich mit Sicherheit alle Geschäfte kommen lassen. “ (Protokoll, Bl. 3, Bl. 191 d.A., Ergänzung durch das Gericht). Diese Möglichkeit besteht in der Tat.
89
Entscheidend ist aber, dass die Beklagte hierzu in rechtlicher Hinsicht nicht verpflichtet war, da die Geschäfte in Kommission und beratungsfrei durchgeführt wurden, § 63 Abs. 10 WpHG. Die Beklagte traf keinerlei rechtliche Pflicht, die Geschäfte auf ihre Rationalität zu überprüfen, gegen die sie verstoßen haben könnte.
90
(3) Ein Schadensersatzanspruch gem. §§ 675 ff., 280 BGB besteht nicht.
91
Nach § 280 Abs. 1 BGB kann ein Schadensersatzanspruch bestehen, wenn der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt.
92
Hier ist aber nicht ersichtlich, welche Pflicht aus dem Kommissionsverhältnis die Beklagte verletzt haben sollte. Sie hat sich an ein unterstelltes Handelsverbot gehalten, auch die Wiederaufnahme der Geschäfte verletzte keine Pflichten aus dem Vertragsverhältnis (vgl. bereits oben).
93
Das Gericht folgt auch nicht der klägerischen Auffassung, die Wiederaufnahme der Geschäfte sei wie eine Anlageberatung zu verstehen und zu werten. Über Inhalt und Wesen der EUREX-Geschäfte wurde im zweiten Gespräch auch nach klägerischer Darstellung nicht gesprochen.
94
Zu einer (erneuten) Geeignetheitsprüfung nach WpHG war die Beklagte ebenfalls nicht verpflichtet (s.o.).
95
(4) Ein Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 241 Abs. 2, 280 BGB besteht ebenfalls nicht.
96
Das Schuldverhältnis kann nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten, § 241 Abs. 2 BGB. In der Rechtsprechung ist auch anerkannt, dass eine in gewissem Umfang eine Pflicht gibt, den Vertragspartner vor Selbstschädigung zu schützen (vgl. Münchener Kommentar/Bachmann, BGB, § 241, Rn 66, 148).
97
Der Kläger konnte der Beklagten jedoch nicht nachweisen, dass sie dieser Pflicht nicht hinreichend nachgekommen wäre, auch wenn man den klägerischen Vortrag zum ersten Gespräch als zutreffend unterstellt. Die Beteiligten haben ein persönliches Gespräch geführt, in der es über die bloße Anwesenheit zweiter Bankmitarbeiter hinaus zu keinerlei Bedrängnis gekommen ist. Auch nach klägerischem Vortrag gab es eine Vorlaufzeit von vier bis fünf Tagen für dieses Gespräch. Das Gericht ist nach der informatorischen Anhörung des Klägers auch nicht davon überzeugt, dass entgegen dem Indiz der Urkunde nicht über die tatsächliche gesundheitliche Lage des Klägers gesprochen worden wäre. Im Gegenteil dürfte dieses Thema vielmehr der eigentliche Anlass des persönlichen Gesprächs gewesen sein, eine bloße Unterschrift unter ein vorbereitetes Schriftstück hätte die Beklagte sich auch postalisch einholen können.
98
(4) Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 63 ff. WpHG besteht ebenfalls nicht.
(a) § 823 Abs. 2 BGB ist bereits nicht anwendbar. Der Bundesgerichtshof lehnt es in ständiger Rechtsprechung ab, den Regelungen §§ 63 ff. WpHG Schutzgesetzcharakter im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB beizumessen (Münchener Kommentar/Wagner, BGB, § 823, Rn 581 m.w.N.). Denn der von den Regelungen des WpHG intendierte Schutz kann auch ohne deliktische Haftung erreicht werden, nämlich über vertragliche Haftung (ebd.).
99
(b) Darüber hinaus konnte der Kläger, wie oben aufgezeigt, eine Verletzung von Pflichten aus dem WpHG auch nicht nachweisen.
100
(4) Ein Anspruch gem. § 826 BGB besteht ebenfalls nicht.
101
Nach § 826 BGB ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.
102
Entsprechend den obigen Ausführungen ist es dem Kläger jedoch nicht gelungen, der Beklagten ein sittenwidriges Verhalten nachzuweisen.
103
(4) Auch weitere Ansprüche bestehen nicht.
104
Insbesondere besteht kein Anspruch nach der Datenschutzgrundverordnung (von dem Kläger erstmals mit Schriftsatz vom 28.08.2023 vorgetragen). Indem die Beklagte das Schreiben an den Kläger vorformulierte, ausdruckte und ablegte, hat sie nicht gegen geltendes Datenschutzrecht verstoßen, auch, wenn gesundheitliche Belange betroffen sind. Der Kläger setzt sich im Übrigen hier zu seinem eigenen Vortrag in Widerspruch, wonach die Beklagte sogar eine Rechtspflicht getroffen habe, ärztliche Erkundigungen einzuholen.
II. Ansprüche des Klägers aus abgetretenem Recht
105
Es bestehen auch keine Ersatzansprüche im Hinblick auf Geschäfte mit Wirkung für und gegen die Zedentinnen.
106
1. Ein Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 177 BGB, der an den Kläger hätte abgetreten werden können, besteht nicht.
107
Die streitgegenständlichen Geschäfte des Klägers mit Wirkung für und gegen die Zedentinnen waren nicht mangels Vertretungsmacht unwirksam.
108
a. Denn diese Vollmachten bestanden in Ermangelung eines Widerrufs oder eines Verzichts fort.
109
In der Erklärung aus dem ersten Gespräch: „Hiermit teile ich mit, dass ich aus Selbstschutz keine EUREX-Geschäfte mehr tätige. Der Hauptgrund liegt aktuell in meinen psychischen Problemen, die sich zuletzt verschlechtert haben. “ (K 7) kann ein Verzicht nicht gesehen werden. Eine Verzichtserklärung taucht im Wortlaut nicht ansatzweise auf.
110
Aber selbst wenn man mit dem Kläger eine konkludente Verzichtserklärung annehmen würde, so wäre diese Verzichtserklärung nicht gegenüber dem richtigen Adressaten abgegeben worden.
111
Zwar kann eine Vollmacht auch durch Verzicht erlöschen (so etwa Grüneberg/Ellenberger, BGB, § 168, Rn 1 ff). Es ist aber wohl herrschende (und richtige) Meinung in der Rechtsprechung, dass diese Verzichtserklärung des Bevollmächtigten gegenüber dem Vollmachtgeber abgegeben werden muss (vgl. Münchener Kommentar/Schubert, BGB, § 168, Rn 34, beck-online.Großkommentar/Huber, BGB, § 168, Rn 63). Diese Ansicht überzeugt, da der Vertretene vom Erlöschen der Vollmacht Kenntnis erlangen muss, die er andernfalls nicht erlangen würde.
112
Vollmachtgeber waren hier indes die Zedentinnen, nicht die Beklagte.
113
Der Kläger selbst bestätigte der Beklagten im Schreiben aus dem zweiten Gespräch durch Unterschrift: „Ich bin des Weiteren in der Lage, meinen Pflichten als Bevollmächtigter von Personen, die mich beauftragt haben, für sie Vermögensanlagen durchzuführen, nachzukommen. Ich stehe uneingeschränkt zu allen Aufträgen und Haftungsübemahmen, die ich in der Vergangenheit erteilt bzw. erklärt habe und bestätige diese hiermit.“ (Anlage K 8).
114
b. Die Vertretungsmacht entfiel auch nicht dadurch, dass es die Beklagte unterlassen hätte, eine erneute Geeignetheitsprüfung für die Zedentinnen durchzuführen. Denn wie der Kläger selbst auf S. 7 der Klageschrift ausführt, kommt es für die Frage der Geeignetheit entsprechend dem Rechtsgedanken des § 166 BGB gem. Art. 54 VI 2 Delegierte Verordnung auf die Person des Vertreters, nicht die des Vertretenen an. Vertreter jedoch war der Kläger.
115
c. Es erscheint auch nicht arglistig (vgl. S. 32 der Klageschrift), dass sich die Beklagte auf die Vollmachten beruft. Die Beklagte ist vielmehr – wie oben zu § 138 BGB dargestellt – ihrer Rücksichtnahmepflicht hinreichend nachgekommen, dies gilt auch im Hinblick auf die Vertretergeschäfte.
116
d. Selbst wenn es auf die Geeignetheit der Zedentinnen selbst angekommen wäre, so hat die Zedentin mit Schreiben vom 22.07.2019 an die Beklagte (Anlage B 34) Folgendes bestätigt:
„Sehr geehrte Damen und Herren, hiermit bestätige ich Ihnen, dass ich seit mehr als 10 Jahren in Absprache mit meinem Bevollmächtigtem (sic!),, Eurex Optionen tätige und dementsprechend ausreichend über Kenntnisse und Erfahrungen verfüge. Ausserdem (sic!) bestätige ich Ihnen, dass ich bei anderen Banken mindestens 10 Geschäfte von erheblichem Umfang pro Quartal tätige.“
117
Die Zedentin … bestätigte mit Schreiben vom 23.07.2019 an die Beklagte (Anlage B 36) Folgendes:
„Sehr geehrte Damen und Herren, mit diesem Schreiben bestätige ich Ihnen, dass ich seit mehreren Jahren gemeinsam mit meinem Bevollmächtigten Eurex Optionen bespreche, die dieser dann für mich tätigt. Ich verfüge dementsprechend über ausreichende Kenntnisse und Erfahrungen. Des Weiteren bestätige ich Ihnen, dass ich bei anderen Banken mindestens zehn Geschäfte von erheblichem Umfang pro Quartal tätige.“
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2. Weitere Ansprüche aus abgetretenem Recht sind ebenfalls nicht ersichtlich.
119
III. Da der Kläger in der Hauptsache erfolglos bleibt, steht ihm auch der geltend gemachte Zinsanspruch nicht zu, der als Nebenforderung das Schicksal der Hauptforderung teilt.
120
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 2 ZPO. Der Streitwert wurde gem. § 3 ZPO festgesetzt.