Inhalt

OLG München, Beschluss v. 14.06.2023 – 11 W 464/23 e , 11 W 465/23 e , 11 W 466/23 e , 11 W 467/23 e , 11 W 468/23 e , 11 W 469/23 e , 11 W 470/23 e
Titel:

Anwaltsvergütung im Musterverfahren nach KapMuG

Normenkette:
RVG § 15 Abs. 2, § 16 Nr. 13, § 23b
Leitsatz:
Im Musterverfahren vor dem OLG bestimmt sich der Wert der Anwaltsgebühren nach dem im Ausgangsverfahren erhobenen Anspruch, § 23 b RVG. Allerdings sollen nach § 16 Nr. 13 RVG das Ausgangsverfahren und der erste Rechtszug des Musterverfahrens gebührenrechtlich eine "Angelegenheit" bilden, sodass der Anwalt die Gebühr nur einmal fordern kann (§ 15 Abs. 2 RVG). Im Musterverfahren kann der Rechtsanwalt daher lediglich solche Gebühren verlangen, die ihm nicht ohnehin aus dem Ausgangsverfahren zustehen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausgangsverfahren, Musterverfahren, Vergütung
Fundstellen:
WM 2024, 1454
LSK 2023, 48204
BeckRS 2023, 48204

Tenor

I. Die (sieben) sofortigen Beschwerden des Klägers gegen die Kostenfestsetzungsbeschlüsse vom 07.02., 09.02. und 21.02.2023 werden zurückgewiesen.
II. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten sowie die sofortigen Beschwerden der genannten Streithelfer werden die Kostenfestsetzungsbeschlüsse vom 07.02. (betreffend Streithelfer …), 09.02. (betreffend Beklagte und Streithelfer … sowie Streithelferin …) und vom 21.02.2023 (betreffend Streithelfer … und …) dahingehend abgeändert bzw. ergänzt, dass über die dort festgesetzten Beträge hinaus vom Kläger jeweils eine Terminsgebühr in Höhe von brutto € 588,33 nebst 5 % Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit dem im jeweiligen Festsetzungsbeschluss genannten Zeitpunkt zu erstatten ist.
III. Der Kläger trägt die Kosten der Beschwerdeverfahren.
IV. Die Beschwerdewerte werden festgesetzt wie folgt:
1.) Der Wert der Beschwerden des Klägers
- gegen die Kostenfestsetzungsbeschlüsse III (Streithelfer …), VII (Beklagte) und IV (Streithelfer …) auf jeweils € 882,16;
- gegen die Kostenfestsetzungsbeschlüsse I und II (Streithelfer … und Streithelfer …) auf € 950,23;
- gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss VI (Streithelferin …) auf € 928,69;
- gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss V (Streithelferin …) auf € 650,00.
2.) Der Wert der Beschwerden sowohl der Beklagten wie auch der Streithelfer auf jeweils bis zu € 500,00.

Gründe

I.
1
Die Beteiligten der Beschwerdeverfahren streiten um Entstehung und Erstattung von Rechtsanwaltsgebühren aus einem Verfahren nach dem KapMuG, das nach Abschluss des Musterverfahrens infolge der Erhebung einer Rechtsbeschwerde auch beim BGH anhängig war und von dort an das Gericht des erstinstanzlichen Musterverfahrens zurückverwiesen wurde.
2
Der Kläger hat – zusammen mit einer Reihe weiterer Anleger – die Beklagte mit Schriftsatz vom 26.08.2010 auf Schadensersatz im Zusammenhang mit unterlassenen/bzw. fehlerhaften ad-hoc Informationen in Anspruch genommen. Mit Schriftsatz vom 21.12.2010 verkündete die Beklagte den späteren Streithelfern zu 1)-8), bei denen es sich um ihre Vorstandsmitglieder in dem streitgegenständlichen Zeitraum handelt, den Streit; sämtliche Streitverkündungsempfänger traten in der Folgezeit dem Rechtsstreit bei.
3
Mit Beschluss vom 08.02.2011 setzte das Landgericht das Verfahren gemäß § 7 KapMuG aus. Gerichtstermine wurden in diesem Ausgangsverfahren nicht mehr anberaumt. Das anschließende erstinstanzliche Musterverfahren vor dem OLG München – Kap 3/10 endete durch Musterentscheid vom 15.12.2014, mit dem die Klage abgewiesen wurde; in diesem Verfahren fanden im Jahr 2014 mehrere Termine vor Gericht statt. Auf die Rechtsbeschwerde des Klägers hin verwies der BGH mit Beschluss vom 17.12.2020 – II ZB 31/14 das Musterverfahren an das OLG zurück; auf den Teil-Rechtskraftvermerk des OLG München vom 28.02.2022, Anlage B 11, wird Bezug genommen.
4
Am 11.04.2022 beantragte der Kläger den Streitwert für die Nebenintervenienten gemäß § 33 Abs. 1 RVG auf jeweils nur € 1.000,00 festzusetzen: Diesbezüglich sei auf das wirtschaftliche Interesse des jeweiligen Streithelfers abzustellen; diese könnten eine auf sie entfallende Schadensquote ohne Zweifel tragen. Das Landgericht wies diesen Antrag mit Beschluss vom 14.09.2022 mit der Begründung zurück, der Streitwert der Nebenintervention stimme hier mit demjenigen der Hauptsache überein, da die Nebenintervenienten im gleichen Umfang an dem Prozess beteiligt seien. Die dagegen gerichtete Beschwerde des Klägers wies das OLG durch Beschluss vom 07.12.2022 zurück.
5
Mit Beschluss vom 14.06.2022 erließ das Landgericht für den gesamten Rechtsstreit die Kostengrundentscheidung, wonach der Kläger gemäß § 269 Abs. 3 ZPO die Kosten, auch der Nebeninterventionen, zu tragen habe. Den Streitwert setzte es – in Übereinstimmung mit dem ursprünglich eingeklagten Betrag, also demjenigen des Ausgangsverfahrens, – auf € 7.357,78 fest.
6
Sowohl die Beklagte, wie auch die in den Beschwerdeverfahren beteiligten Streithelfer machten mit ihren Kostenfestsetzungsgesuchen jeweils eine zweite Verfahrensgebühr geltend: Zur Begründung berufen sie sich dabei auf § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG, da das Verfahren zwischen Erlass des Musterentscheides und der Fortsetzung nach Zurückweisung durch den BGH (deutlich) länger als zwei Jahre ausgesetzt gewesen sei. Die Beklagte sowie die im europäischen Ausland wohnhaften Streithelfer … sowie … setzten ferner die Umsatzsteuer an. Darüber hinaus beanspruchen die Beklagte und die genannten Streithelfer eine Terminsgebühr in voller Höhe aus dem für das Ausgangsverfahren festgesetzten Streitwert: Zwar hätten im Ausgangsverfahren keine Termine stattgefunden, dafür aber im Jahr 2014 im Verlaufe des erstinstanzlichen Musterverfahrens. Die Erstattungsfähigkeit dieser Terminsgebühren bildet den Schwerpunkt der Beschwerdeverfahren.
7
Mit den angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschlüssen I-VII setzte die Rechtspflegerin zu Gunsten der Beklagten und der Streithelfer antragsgemäß jeweils eine zweite Verfahrensgebühr an und berücksichtigte bei der Beklagten sowie den Streithelfern … und … auch die Umsatzsteuer in Höhe von jeweils € 323,49.
8
Demgegenüber sei eine Entscheidung über die beantragten Terminsgebühren aktuell noch nicht möglich: Sofern, wie hier, (erst) im Musterverfahren für die Vertretung der Beklagten in mehreren Ausgangsverfahren eine Terminsgebühr anfalle, müsse diese gemäß § 24 Abs. 2 Satz 2 KapMuG anteilig auf die einzelnen Ausgangsverfahren verteilt werden. Wegen § 16 Nr. 13 RVG sei eine Terminsgebühr zwar auch dann festzusetzen, wenn Termine erst im Musterverfahren stattgefunden hätten – ungeklärt sei jedoch, aus welchem Streitwert sich diese Gebühr berechne. Hierzu seien die Ansprüche der Ausgangsverfahren zu addieren und gemäß § 24 Abs. 2 Satz 2 KapMuG aufzuteilen.
9
Der Kläger wendet sich mit seinen sofortigen Beschwerden zum einen gegen sämtliche Kostenfestsetzungsbeschlüsse, die zu Gunsten der Beklagten sowie der Streithelfer eine zweite Verfahrensgebühr festsetzen. Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, eine Aussetzung stelle keinen Fall des § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG dar. Zum anderen greift er die für die Beklagte und die beiden Streithelfer … und … berücksichtigte Umsatzsteuer an: Hinsichtlich der Beklagten sei nicht plausibel, wieso eine Vorsteuerabzugsberechtigung bestehe, da diese keine Bankleistungen erbringe, vielmehr reine Abwicklungsgesellschaft sei; soweit Streithelfer Steuerbürger eines anderen EU-Staates seien, unterliege das Erbringen anwaltlicher Dienstleistungen nicht der Umsatzbesteuerung.
10
Die Beklagte und die Streithelfer verteidigen den Ansatz der zweiten Verfahrensgebühr bzw. der Mehrwertsteuer und wenden sich mit ihren eigenen Rechtsmitteln gegen die erfolgten Zurückstellungen der Terminsgebühr. Auf die sehr ausführlichen Beschwerdebegründungen und die zur Rechtfertigung dieser Terminsgebühr bereits früher gemachten Ausführungen wird Bezug genommen. Im Wesentlichen wird dargelegt, § 24 Abs. 2 Satz 2 KapMuG sei auf diese Gebühr bereits nicht anwendbar. Der BGH gehe in seinem Beschluss vom 15.12.2015 – XI ZB 12/12 von der gebührenrechtlichen Trennung der Ausgangsverfahren aus, weshalb nicht eine, einzige, Terminsgebühr anfalle, die entsprechend verteilt werden könne. Vielmehr sei § 16 Nr. 13 RVG zu beachten, wonach Ausgangs- und Musterverfahren eine „Angelegenheit“ im anwaltsgebührenrechtlichen Sinne bildeten. Außergerichtliche Kosten der Beklagten richteten sich ausschließlich nach den Bestimmungen des RVG, nicht hingegen nach § 24 KapMuG; eine Zusammenrechnung von mehreren Gegenständen gemäß § 22 Abs. 1 RVG könne nur innerhalb derselben Angelegenheit erfolgen. Die einzelnen Ausgangsverfahren bildeten jedoch für die tätigen Rechtsanwälte jeweils gesondert eine Angelegenheit.
II.
11
Die sofortigen Beschwerden des Klägers bleiben in der Sache ohne Erfolg; die Rechtsmittel der Beklagten sowie der Streithelfer demgegenüber sind begründet. Die Terminsgebühren sowohl der Beklagtenvertreter wie auch der Anwälte der Streithelfer werden nicht von § 24 Abs. 2 Satz 2 KapMuG erfasst.
12
1. Die sofortigen Beschwerden des Klägers sind unbegründet.
13
a) Die von der Beklagten und den Streithelfern beanspruchte zweite Verfahrensgebühr gemäß VV-RVG Nr. 3100 – in der nach § 60 RVG jeweils gültigen Fassung – ist entstanden und erstattungsfähig, die Festsetzungsbeschlüsse insoweit daher nicht zu beanstanden. Der BGH hat den Musterentscheid des OLG mit Beschluss vom 17.12.2020 teilweise aufgehoben und das Verfahren an das OLG München zurückverwiesen. Gemäß § 21 Abs. 1 RVG bildet dieses Verfahren einen neuen Rechtszug, in dem auch die beschwerdegegenständliche Verfahrensgebühr erneut entsteht. Die von Vorbemerkung 3 Abs. 6 VV-RVG vorgesehene Anrechnung unterbleibt, da § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG die weitere Tätigkeit der Anwälte als neue Angelegenheit einstuft, so dass § 15 Abs. 2 RVG nicht einschlägig ist.
14
Dabei ist die Zurückverweisung (hier seitens des BGH) nach ganz herrschender und zutreffender Ansicht als Fall des § 15 Abs. 5 Satz 2 RVG anzusehen (etwa Schneider/Volpert, RVG, 9. Aufl., § 15 Rn. 300; Gerold/Schmidt-Mayer, RVG, 25. Aufl., § 21 Rn. 15 u. § 15 Rn. 135; Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 3. Aufl., § 21 RVG Rn. 14, jew. m.w.N.). Soweit das Gesetz auf Kalenderjahre abstellt und umstritten ist, wie sich die Zweijahresfrist genau berechnet, kommt es hier nicht darauf an: Der Musterentscheid datiert vom 15.12.2014, während der Beschluss des BGH erst am 17.12.2020 erging. Nach dem hier einschlägigen Normzweck soll der Anwalt nach zweijähriger Unterbrechung die Gebühr erneut und ohne Einschränkung erhalten, weil er sich nicht nur wieder einarbeiten, sondern auch auf mögliche sachliche und rechtliche Entwicklungen aus der Zwischenzeit einstellen muss.
15
Die Entscheidung des OLG Saarbrücken vom 25.02.2012 – 9 W 293/11 – ist nicht einschlägig, weil dort § 21 Abs. 1 RVG keine Anwendung fand.
16
b) Soweit die Rechtspflegerin der Beklagten und den Streithelfern … und … die von deren Prozessbevollmächtigten beantragte Umsatzsteuer bewilligt hat, lässt auch dies Rechtsfehler nicht erkennen:
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Für die Beklagte gilt dabei § 104 Abs. 2 Satz 3 ZPO; eine entsprechende ausdrückliche Erklärung ist erfolgt.
18
Beide genannten Nebenintervenienten sind EU-Ausländer, jedoch keine Unternehmer, so dass die deutsche Umsatzsteuer gemäß § 3 a Abs. 4 Nr. 3 UStG anfällt und demnach auch zu erstatten ist (Bunjes-Korn, UStG, 21. Aufl., § 3 a Rn. 80 f.; vgl. auch Senatsbeschlüsse vom 10.05.2022 – 11 W 197/22; vom 19.02.2014 – 11 W 274/14; ferner Gerold/Schmidt – Müller-Rabe, a.a.O., W, 7008 Rn. 26 ff.).
19
2. Die sofortige Beschwerde der Beklagten und diejenigen der sechs im Beschwerdeverfahren beteiligten Streithelfer sind begründet, da die Berechnung der Terminsgebühr nicht dem Regime von § 24 KapMuG untersteht bzw. diese Vorschrift auf die Kosten von Nebenintervenienten bereits nicht anwendbar ist:
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a) Im Musterverfahren vor dem OLG bestimmt sich der Wert der Anwaltsgebühren nach dem im Ausgangsverfahren erhobenen Anspruch, § 23 b RVG. Allerdings sollen nach § 16 Nr. 13 RVG das Ausgangsverfahren und der erste Rechtszug des Musterverfahrens gebührenrechtlich eine „Angelegenheit“ bilden, so dass der Anwalt die Gebühr nur einmal fordern kann (§ 15 Abs. 2 RVG). Im Musterverfahren kann der Rechtsanwalt daher lediglich solche Gebühren verlangen, die ihm nicht ohnehin aus dem Ausgangsverfahren zustehen (s. Schneider/Volpert, a.a.O., § 23 b Rn. 6).
21
Nach § 24 Abs. 2 Satz 1 KapMuG gelten die „den Musterbeklagten im Musterverfahren entstehenden Kosten“ als Teil der Kosten des jeweiligen Ausgangsverfahrens. Abgestellt wird mithin auf das „jeweilige“ Ausgangsverfahren; auch der BGH betont die Trennung der Ausgangsverfahren (bereits mehrfach zitiert: Beschluss vom 15.12.2015 – XI ZB 12/12 Tz 11). Nachdem § 16 Nr. 13 RVG Ausgangs- und Musterverfahren zu einer Angelegenheit im Sinne des RVG verbindet, wäre es sinnwidrig, eine Terminsgebühr – ohnehin nur für den Fall, dass sie erst im Musterverfahren anfällt – der (wohl missglückten) Regelung des § 24 Abs. 2 Satz 2 KapMuG zu unterwerfen. Anders gesagt: Für die Berechnung der Terminsgebühr kann es keinen Unterschied machen, ob sie bereits im Ausgangs- oder aber, wie hier, erst im Musterverfahren anfällt. Bereits die Bezeichnung „Anteile“, die „nach einem bestimmten Verhältnis“ ermittelt werden sollen, ist kostenrechtlich fragwürdig.
22
Zu Recht wurde von den Beschwerdeführern auch angeführt, in den meisten Ausgangsverfahren werden bereits Terminsgebühren angefallen sein. Es ist nicht erkennbar, wie angesichts dessen eine verhältnismäßige Aufteilung im Sinne von § 24 Abs. 2 Satz 2 KapMuG erfolgen sollte, genauer, wie dieser Umstand Berücksichtigung zu finden hätte. Sollen Ausgangsverfahren mit angefallener Terminsgebühr unberücksichtigt bleiben? Der Gesetzeswortlaut gibt das nicht her, während andererseits eine Einbeziehung nicht angemessen wäre.
23
Die Anliegen des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung der verstreuten kostenrechtlichen Regelungen für das KapMuG sind daher noch verständlich, weniger aber deren exakter Anwendungsbereich und deren Vereinbarkeit untereinander.
24
Soweit in der Literatur in entsprechenden Beispielrechnungen erst im Musterverfahren entstandene Terminsgebühren thematisiert werden, kommt im Übrigen – soweit ersichtlich – kein Verfasser auf den Gedanken, insoweit § 24 Abs. 2 Satz 2 KapMuG heranzuziehen (siehe etwa Müller-Rabe, a.a.O., § 16 Rn. 169; Schneider/Volpert, a.a.O., § 16 Rn. 121).
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Gegen eine Anwendung dieser Bestimmung sprechen nicht zuletzt praktische Gründe: Der BGH bezeichnet das Verfahren der Kostenfestsetzung immer wieder als „Massenverfahren“, das zügiger und unkomplizierter Abwicklung bedarf, deshalb knapp, bündig und formal ausgestaltet und auf Praktikabilität und Effektivität hin ausgelegt ist. Es ist zugeschnitten auf einfache Fragen des Kostenrechts, während die Klärung streitiger Tatsachen und komplizierter Rechtsfragen darin nicht vorgesehen ist (vgl. z.B. BGH, Beschl. v. 20.02.2021 – VII ZB 55/18 Tz 11; Beschl. v. 13.10.2011 – V ZB 290/10; ausführlich Musielak/Voit-Flockenhaus, ZPO, § 104 Rn. 1 ff., 8); auch mit Rücksicht hierauf ist der Anwendungsbereich von § 24 Abs. 2 Satz 2 KapMuG im Zweifel eher zu begrenzen.
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b) Der Senat teilt weiter vollumfänglich die Bedenken gegen die Anwendung von § 24 KapMuG auch auf die Gebührenansprüche der Prozessvertreter von Nebenintervenienten und deren Erstattungsfähigkeit:
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aa) Nebenintervenienten sind als „Beteiligte“ des Musterverfahrens im Sinne von § 9 KapMuG nicht genannt. Auch im Übrigen finden sich darin keinerlei Regelungen zu Streithelfern oder zu damit im Zusammenhang stehenden kostenrechtlichen Fragen. Dies bedeutet, dass es diesbezüglich bei den normalen kostenrechtlichen Grundsätzen bleibt (nicht etwa, dass Erstattungsansprüche in dieser Hinsicht gar nicht bestünden, s. etwa Wieczorek/Schütze-Großerichter, ZPO, 5. Aufl., § 24 KapMuG Rn. 24).
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bb) Die vorliegende Kostengrundentscheidung berücksichtigt nun auch die Kosten der Streithelfer:
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Soweit die Rechtspflegerin eine individuelle Aufteilung für richtig hielt, so ist dies im Ansatz verständlich: Wird beispielsweise im Baurecht der Generalunternehmer auf € 100.000,00 in Anspruch genommen und tritt der an dem Gewerk mit nur € 20.000,00 beteiligte Fliesenleger als Streithelfer auf Beklagtenseite bei, so verdient dessen Prozessbevollmächtigter seine Gebühren nur aus € 20.000,00 (gleich viel, welche Anträge er stellt, wobei außer Klageabweisung ohnehin kein Antrag in Betracht kommt, vgl. hierzu näher und überzeugend Müller-Rabe, a.a.O., Anh. VI Rn. 403 ff.). So indes liegt der Fall hier nicht, da es sich bei den Streithelfern zu 1)-8) offensichtlich um damalige Vorstandsmitglieder der Beklagten handelt, so dass es schon an einem diesbezüglichen Unterschied bezüglich des wirtschaftlichen Interesses fehlt. Stellt man auf den aus allen Ausgangsverfahren zu berechnenden Gesamtschaden ab, so ist auch eher nicht ausgemacht, dass jedes Vorstandsmitglied eine diesbezügliche Quote erfüllen könnte.
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cc) Darüber hinaus hat der Kläger im Ausgangsverfahren bereits versucht, über § 33 RVG für die Streithelfer eine Verringerung der Verfahrenswerte zu erreichen: Landgericht und OLG sind dem jedoch nicht gefolgt (Beschlüsse vom 14.09. und 07.12.2022).
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Schließlich bedarf der Kläger auch keines weitergehenden Schutzes: Davon abgesehen, dass bereits das KapMuG an sich schon eine Reduzierung des Kostenrisikos von Anlegern bezweckt, werden die – häufig wohl rechtsschutzversicherten – Kläger schon durch § 16 Nr. 13 RVG geschützt, wonach deren Anwälte für das Musterverfahren keine zusätzlichen Gebühren fordern können. Mit § 41 a RVG hat der Gesetzgeber sogar an deren Belange gedacht.
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3. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich sämtlicher Beschwerdeverfahren auf § 97 ZPO.
4. Werte der Beschwerdeverfahren:
a) Sofortige Beschwerden des Klägers:
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Die Berechnung erfolgt nach dessen Anträgen in den Schriftsätzen vom 20. und 21.02.2023: Angegriffen werden die Kostenfestsetzungsbeschlüsse zu Gunsten der Beklagten sowie zu Gunsten der sechs Streithelfer. Beantragt wird, die Beschlüsse insoweit aufzuheben, als Beträge von mehr als € 555,60 festgesetzt wurden.
b) Wert der Beschwerden der Beklagten und der Streithelfer:
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Die Beschwerden wenden sich gegen die Zurückstellung der Festsetzung einer Terminsgebühr aus dem Musterverfahren. Entsprechend dem Wert des Ausgangsverfahrens würden sich damit rechnerisch für jede Beschwerde ein Beschwerdewert von € 494,40 netto, = € 588,33 brutto ergeben. Allerdings hat die Rechtspflegerin die jeweilige Terminsgebühr nicht schlechthin abgesetzt, vielmehr nur die Ansicht vertreten, mangels entsprechender Streitwertvorgabe sei derzeit eine Entscheidung noch nicht möglich. Um diesem Gesichtspunkt Rechnung zu tragen (und in Kenntnis des Umstandes, dass sich hierüber lange und trefflich streiten ließe) wurden die Beschwerdewerte wie ausgeworfen reduziert.