Titel:
Auskunftserteilung, Berufshaftpflichtversicherung, Rechtswirksamkeit, Vorgerichtliche Anwaltskosten, Kostenentscheidung, Einholung eines Sachverständigengutachtens, Einwilligungsvorbehalt, Strafzumessungsgesichtspunkte, Minder schwerer Fall, Lange Verfahrensdauer, Notwendige Auslagen, Täter-Opfer-Ausgleich, Sachverständiger Zeuge, Fehlende Einwilligung, Sozialprognose, Strafaussetzung zur Bewährung, Schuldangemessenheit, Einwilligungserklärung, Freiheitsstrafe, Verbotsirrtum
Normenkette:
StGB § 223 Abs. 1, § 226 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 230, § 22, § 23, § 26, § 52, § 53
Schlagworte:
Körperverletzung, Einwilligungsfähigkeit, Personenverwechslung, Betreuungsrecht, Sterilisation, Verbotsirrtum, Strafzumessung
Rechtsmittelinstanz:
BGH Karlsruhe, Beschluss vom 17.04.2024 – 1 StR 403/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 48065
Tenor
I. Der Angeklagte Dr. M1. K1. ist schuldig der vorsätzlichen Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter schwerer Körperverletzung in Tatmehrheit mit schwerer Körperverletzung.
II. Der Angeklagte Dr. M1. K1. wird deshalb zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wird zur Bewährung ausgesetzt.
III. Die Angeklagten Dr. H1. M1. G1. und E. M. G1. sind schuldig der Anstiftung zur schweren Körperverletzung.
IV. Die Angeklagten Dr. H1. M1. G1. und E. M. G1. werden jeweils zu einer Freiheitsstrafe von 9 Monaten verurteilt. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafen wird jeweils zur Bewährung ausgesetzt.
V. Die Angeklagten tragen die Kosten des Verfahrens sowie ihre notwendigen Auslagen. Der Angeklagte Dr. K1. hat die notwendigen Auslagen der Nebenklage zu tragen.
Entscheidungsgründe
A. Vorbemerkung und Verfahrensgang
1
Der Angeklagte Dr. K1. führte als Viszeralchirurg am 10.03.2016 und am 14.04.2016 jeweils im Zuge einer Operation von beidseitigen Leistenhernien in der ...-klinik in M. Vasektomien an zwei jungen Männern durch, wobei in beiden Fällen keine wirksame Einwilligung des Patienten vorlag.
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Am 10.3.2016 durchtrennte der Angeklagte Dr. K1. die Samenleiter des 17jährigen Autisten J. P., der dem Eingriff nicht zugestimmt hatte. Hierbei ging der Angeklagten auf Grund einer Personenverwechslung davon aus, es handele sich bei dem Patienten um den 24jährigen M2 G1, der auf Grund einer Intelligenzminderung unter gesetzlicher Betreuung steht. Der Geschädigte ... G1. war hierbei weder fähig, in die Vornahme der Sterilisation wirksam einzuwilligen, noch hatte er eine Einwilligungserklärung abgegeben. Die Sterilisation sollte vielmehr auf der Grundlage der Einwilligung der Angeklagten E2. G1., der Mutter und rechtlichen Betreuerin des M2 G1 erfolgen, mit welcher auch das ärztliche Aufklärungsgespräch geführt worden war.
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Die Personenverwechslung wurde vom Angeklagten Dr. K1. unmittelbar nach der Operation des J. P. erkannt und gegenüber der sorgeberechtigten Mutter, der Zeugin P1., offengelegt, welche am 11.03.2016 Strafanzeige erstattete.
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Am 14.04.2016 durchtrennte der Angeklagte Dr. K1. entsprechend dem Wunsch und dem Auftrag der mitangeklagten Eltern und gesetzlichen Betreuer des M2 G1 wie ursprünglich beabsichtigt dessen Samenleiter, obwohl weiterhin keine Genehmigung des zuständigen Betreuungsgerichts vorlag.
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Während die Zeugungsfähigkeit des Geschädigten P1. durch eine weitere Operation nicht ausschließbar wiederhergestellt werden konnte, hat der Geschädigte ... G1. dauerhaft seine Fähigkeit zur natürlichen Fortpflanzung verloren.
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Im Zuge der Ermittlungen wurden die Praxisräume des Angeklagten am 10.05.2016 wurden die sowie am 06.12.2016 durchsucht. Im Zuge der zweiten Durchsuchung konnte die Identität des verwechselten Patienten, welche zunächst nicht bekannt gewesen war, geklärt werden.
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Am 07.02.2017 beantragte die Staatsanwaltschaft M I beim Amtsgericht München den Erlass eines Strafbefehls gegen den Angeklagten Dr. K1. wegen fahrlässiger Körperverletzung. Nach Hinweis des Amtsgerichts, dass dieser rechtlichen Bewertung der Tat nicht gefolgt werden könne, sondern vielmehr ein Verbrechen der schweren Körperverletzung im Raum stehe, wurde der Strafbefehlsantrag zurückgenommen und die Ermittlungen fortgeführt.
8
Es folgten zwei weitere Durchsuchungen der Praxisräume des Angeklagten am 01.06.2017 sowie am 11.04.2018. Daneben wurden Sachverständigengutachten beauftragt (Gutachtensauftrag der Staatsanwaltschaft an das Institut für Rechtsmedizin am 22.12.2017, Gutachtensauftrag der Staatsanwaltschaft an die Urologische Klinik am 12.01.2018).
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Am 09.07.2020 wurde Anklage zum Landgericht München I erhoben.
10
Im Zwischenverfahren wurde am 23.06.2021 die Erstellung eines psychiatrischen Gutachtens zur Frage der Einwilligungsfähigkeit des Geschädigten ... G1. beauftragt.
11
Eröffnungsbeschluss und Terminbestimmung der Kammer erfolgten jeweils am 06.02.2023.
12
Die Angeklagten Dr. K1. und E. G1. haben sich zum Tatvorwurf eingelassen und diesen in objektiver Hinsicht eingeräumt, sich jedoch jeweils darauf berufen, auf Grund fehlender Kenntnis der Rechtslage nicht in dem Bewusstsein gehandelt zu haben, sich rechtswidrig zu verhalten. Der Angeklagte Dr. H1. M1. G1. hat sich nicht zum Tatvorwurf eingelassen.
13
Das Urteil beruht nicht auf einer Verständigung nach § 257c StPO.
14
Im Einzelnen hat die Kammer festgestellt:
B. Persönliche Verhältnisse
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Der Bundeszentralregisterauszug des Angeklagten vom 15.02.2023 enthält folgende Eintragung:
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Die Geldstrafe aus dieser Verurteilung wurde inzwischen vollständig bezahlt.
III. Angeklagter Dr. H1. M1. G1.
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Der Angeklagte ist nicht vorbestraft.
C. Festgestellter Sachverhalt
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Der Angeklagte Dr. K1. ist erfahrener Operateur und Spezialist für laparoskopische Verfahren im Bereich der Viszeralchirugie. Im Zuge seiner Tätigkeit in der ...-klinik in M. führte er eine Vielzahl von chirurgischen Eingriffen durch, wobei die chirurgische Versorgung von Leistenhernien einen Schwerpunkt bildete.
19
Im Frühjahr 2016 stellten sich unabhängig voneinander zwei junge Männer, die späteren Geschädigten J. P1. und ... G1., jeweils mit beidseitigen Leistenbrüchen beim Angeklagten Dr. K1. vor.
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1. Die Voruntersuchung des zum damaligen Zeitpunkt 24 Jahre alten M2 G1 fand am 17.02.2016 statt. Dieser erschien im Beisein seiner Mutter und gesetzlichen Betreuerin, der Angeklagten E2. G1., zum Untersuchungstermin.
21
M2 G1 leidet an einer geistigen Behinderung in Form einer Intelligenzminderung. Mit Beschluss vom 30.05.2011 hat das Amtsgericht Rosenheim, Betreuungsgericht, dem Geschädigten erstmals einen rechtlichen Betreuer bestellt. Als Betreuer eingesetzt wurden die Eltern des Geschädigten, die Angeklagten E2. und Dr. H1. M1. G1. .
22
Zu einem nicht genau bekannten Zeitpunkt im Februar 2016 entschieden die Angeklagten E2. und Dr. H1. M1. G1. , ihren Sohn sterilisieren zu lassen, was dem natürlichen Willen des Geschädigten ... G1. entsprach.
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Im Rahmen der Voruntersuchung wurde von der Angeklagten G1. mit dem Angeklagten Dr. K1. besprochen, dass bei M2 G1 im Rahmen des Eingriffs zur Behandlung des beidseitigen Leistenbruchs auch eine Vasektomie durchgeführt werden solle. Durch dieses Vorgehen sollte M2 G1 ein späterer zusätzlicher operativer Eingriff erspart werden.
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Die Angeklagte E2. G1. legte hierbei den Betreuerausweis vor, auf welchem folgende Aufgabenkreise vermerkt waren:
- Vermögenssorge mit Einwilligungsvorbehalt ab 200,00 €
- Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialleistungsträgern
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Dr. K1. führte sodann in Abwesenheit des Patienten M2 G1 mit Frau E2. G1. ein 10minütiges ärztliches Aufklärungsgespräch betreffend die medizinischen Risiken der geplanten Eingriffe durch.
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Der Aufklärungsbogen, auf welchem insbesondere vermerkt war, dass die Durchtrennung beider Samenleiter erfolgen sollte, wurde von der Angeklagten E2. G1. am selben Tag unterzeichnet. Als Operationstermin wurde zunächst der 07.04.2016 ins Auge gefasst, am 24.02.2016 aus unbekannten Gründen abgeändert auf den 14.04.2016.
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2. Der zum damaligen Zeitpunkt 17jährige J. P. stellte sich bei Dr. K1. in der V. Klinik, ..., in M. am 02.03.2016 in Begleitung seiner sorgeberechtigten Mutter, der Zeugin P1., zur Untersuchung und Operationsbesprechung wegen beidseitiger Leistenhernien vor.
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J. P. leidet unter Autismus, welcher sich auch durch aggressive Verhaltensweisen unter dem Einfluss von Angst äußert.
29
Der Angeklagte führte mit dem späteren Geschädigten J. P2. im Beisein der Zeugin P1. ein 10minütiges ärztliches Aufklärungsgespräch und es wurde der 10.03.2016 als Operationstermin bestimmt.
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3. Am 09.03.2018 führte der Angeklagte Dr. K1. mit der weiteren Angeklagten E2. G1. ein Telefonat betreffend die Vasoresektion. Am 18.03.2018 unterzeichneten die Eltern und gesetzlichen Betreuer des M2 G1, den an sie übersandten Aufklärungsbogen zur Vasoresektion und leiteten diesen an die Praxis des Angeklagten Dr. K1. zurück.
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Am Operationstag fand nach Abschluss der Operationsvorbereitungen ein kurzes Vorgespräch am Krankenbett des J. P. statt, bei welchem neben dem späteren Geschädigten P1. auch dessen Mutter, die Zeugin P1., der Angeklagte Dr. K1. sowie der Zeuge Dr. K2., der an diesem Tag als Anästhesist tätig war, zu gegen waren.
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Im Rahmen dieses Vorgesprächs sprach der Angeklagte Dr. K1. die Zeugin P1. auf ein vermeintlich am Vortag stattgefundenes Telefonat an. Die Zeugin P1. erwiderte hierauf nichts. Tatsächlich hatte der Angeklagte Dr. K1. jedoch mit der Angeklagten E2. G1. telefoniert.
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Auf Grund dieses Umstands und der Ähnlichkeiten der beiden Fälle im Hinblick auf das jeweilige Vorliegen einer geistigen Erkrankung, der beidseitigen Leistenbrüche sowie des Umstands, dass beide Patienten im zeitlichen Umgriff mit ihrer Mutter zum Vorgespräch erschienen war, kam es dazu, dass der Angeklagte Dr. K1. davon ausging bei J. P. handelte es sich um eben jenen Patienten, mit dessen Mutter die zeitgleiche Vornahme einer Sterilisation besprochen worden war.
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Der Angeklagte führte daraufhin im Rahmen der Operation am 10.03.2016 zur Behebung des Leistenbruchs auch wissentlich und willentlich und obwohl er erkannte, dass sich in den Patientenunterlagen kein Hinweis auf eine durchzuführende Sterilisation befand, eine Durchtrennung der Samenleiter des Geschädigten P1. durch.
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Dies geschah, wie der Angeklagte Dr. K1. wusste, ohne hinreichende Aufklärung und Einwilligung des (vermeintlich) Geschädigten G1. sowie ohne die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts. Dem Angeklagten war hierbei das Erfordernis einer Genehmigung des Betreuungsgerichts für die Sterilisation eines nicht einwilligungsfähigen Betreuten gemäß § 1905 BGB a.F. nicht bekannt.
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Unmittelbar im Anschluss der Operation erkannte der Angeklagte Dr. K1. durch einen Hinweis seiner Mitarbeiterin, dass der Name auf dem Operationsprotokoll nicht korrekt sei, dass er infolge einer Personenverwechslung die Vasektomie nicht wie geplant bei M2 G1, sondern tatsächlich bei dem minderjährigen J. P. durchgeführt hatte.
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Der Angeklagte Dr. K1. legte dies am Nachmittag des 10.03.2016 gegenüber der Mutter des J. P., der Zeugin P1. offen. Er teilte der Mutter des Geschädigten mit, dass er ihren Sohn mit einem anderen Patienten verwechselt habe, welcher ebenfalls Autist sei und einen beidseitigen Leistenbruch habe. Bei diesem Patienten hätten die Eltern eine Vasektomie gewünscht, weil dieser sexuell übergriffig sei, normalerweise führe er solche Operationen nicht durch.
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Am Morgen des Folgetags führte der Angeklagte Dr. K1. mit der Zeugin P1. und der Zeugin K3., der Großmutter des Geschädigten P1., eine Abschlussbesprechung in der ...-klinik durch. Der Angeklagte Dr. K1. bot bei dieser Gelegenheit an, den Kontakt zu dem Münchner Experten für Refertilisierung Professor Sch.zu vermitteln.
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Am 18.3.2016 erteilten die Angeklagten E2. G1. und Dr. H1. M1. G1. dem Angeklagten Dr. K1. den Auftrag, im Zuge der anstehenden Operation ihres Sohnes zur Behebung einer beidseitigen Leistenhernie auch eine Sterilisation ihres Sohnes vorzunehmen und erteilten ihre schriftliche Einwilligung in die Vornahme der ärztlichen Eingriffe.
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Hierbei war sämtlichen Angeklagten bewusst, dass M2 G1 nicht in der Lage war, Wesen, Grund und Tragweite der Sterilisation und ihre Bedeutung für sein weiteres Leben so zu erfassen, dass ihm eine selbst verantwortete Entscheidung möglich war. Ebenso war den Angeklagten bewusst, dass M2 G1 weder hinreichend ärztlich über den Eingriff aufgeklärt worden war noch in der Lage gewesen wäre, die gebotene ärztliche Aufklärung nachzuvollziehen.
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Weiter war sämtlichen Angeklagten bewusst, dass das gewählte Vorgehen im Rahmen der Leistenoperation im Vergleich zu einer durch einen Urologen separat durchgeführten Vasoresektion eine mögliche spätere Refertilisierung erheblich erschwert.
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Weiter wussten die Angeklagten E2. und Dr. H1. M1. G1. , dass der Eintritt einer Schwangerschaft nicht konkret drohte. Es bestand lediglich die Möglichkeit, dass es eines Tages zu sexuellen Kontakten ihres Sohnes kommen könnte.
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Eine konkrete Vorstellung, eine Straftat zu begehen, hatten die Angeklagten dabei aber nicht. Ihr Irrtum über die Rechtmäßigkeit ihres Handelns wäre ohne weiteres durch die Erholung eines schriftlichen und verbindlichen Gutachtens bei einer fachkundigen und zuverlässigen Auskunftsperson vermeidbar gewesen.
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Die Angeklagten E2. G1. und Dr. H1. M1. G1. hatten auch erkannt, dass zumindest Anlass zur Einholung von Rechtsrat bestand. In Absprache mit ihrem Ehemann wandte sich die Angeklagte E2. G1. Anfang April 2016 an den zuständigen Richter des Betreuungsgerichts Rosenheim, den Zeugen RiAG Loeber, und erkundigte sich nach den gesetzlichen Voraussetzungen einer Sterilisation ihres Sohnes. Welchen Inhalt die erste mündliche Auskunft des Betreuungsrichters an die Angeklagte G1. im Einzelnen hatte, konnte die Kammer nicht feststellen. Der Betreuungsrichter stellte jedoch in Aussicht, sich weiter kundig zu machen und die an ihn gerichtete Frage ergänzend schriftlich zu beantworten.
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Der Angeklagten E2. G1. vermittelte das geführte Gespräch, das sie selbst als diffus und unklar empfand, wie sie wusste und billigend in Kauf nahm, keine Klarheit über die Rechtslage. Die Angeklagte E2. G1. unterrichtete ihren Ehemann über den Inhalt des Termins mit dem Betreuungsrichter.
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Dennoch holten die Angeklagten E2. G1. und Dr. H1. M1. G1. keinen weiteren Rechtsrat ein, sondern hielten an dem Vorhaben einer Operation mit Durchtrennung der Samenleiter fest, um ihrem Sohn einen weiteren Eingriff zu ersparen.
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Das Erfordernis einer Genehmigung des Betreuungsgerichts gemäß § 1905 BGB war ihr dabei nicht ausschließbar nicht bekannt.
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Der Angeklagten E2. G1. wurde mit Schreiben des Betreuungsgerichts vom 12.04.2016 mitgeteilt, dass gemäß § 1905 BGB an einen derartigen Eingriff sehr hohe gesetzliche Anforderungen zu stellen seien, die im Fall des Geschädigten nicht erfüllt sein dürften. Weiter teilte der zuständige Richter mit, dass zur Klärung der Frage, ob eine Einwilligungsfähigkeit des Geschädigten vorliege, gegebenenfalls ein Gutachten zu erholen sei. Dies lehnte die Angeklagte E2. G1. mit den Worten „Nein. Vielen Dank für Ihre Mühe. Mit freundlichen Grüßen E. G1. “ schriftlich (beim Amtsgericht Rosenheim gemäß Eingangsstempel am 15.06.2016 eingehend) ab. Ob die Angeklagten das Schreiben noch vor der am 14.04.2016 morgens stattfindenden Operation zur Kenntnis nahmen, konnte nicht festgestellt werden.
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Der Angeklagte Dr. K1. nahm den Eingriff nach Wunsch der Angeklagten E2. G1. und Dr. H1. M1. G1. einschließlich der Durchtrennung der Samenleiter vor, obwohl er von der geistigen Behinderung des Geschädigten G1., seiner fehlenden Einwilligung sowie der bestehenden Betreuung wusste. Obwohl sich dem erfahrenen Operateur aufdrängen musste, dass die Einwilligung der Eltern als Betreuer vorliegend nicht ausreichend war, nahm der Angeklagte am 14.04.2016 die Eingriffe gemäß dem Wunsch der Eltern vor, um diesen einen Gefallen zu tun.
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Der Angeklagte verließ sich dabei auf die Aussage der Mitangeklagten E. G1. , welche ihm das Gefühl vermittelt habe, dass „alles in Ordnung sei“ und holte keine Erkundigung zur Rechtslage bei einer geeigneten Auskunftsperson ein, obwohl er hierzu Anlass gehabt hatte.
IV. Tatfolgen und Nachtatgeschehen
51
Die Zeugin P1. stellte für ihren Sohn am 11.03.2016 form- und fristgerecht Strafantrag.
52
Die Zeugungsfähigkeit des Geschädigten J. P1. konnte nicht ausschließbar durch eine am 24.03.2016 im Klinikum Ingolstadt durchgeführte robotisch unterstützte Vasovasostomie im Rahmen einer sechsstündigen Operation wiederhergestellt werden.
53
Der Angeklagte Dr. K1. und die V1. GmbH verpflichteten sich im Rahmen eines gerichtlichen Vergleichs ... gesamtschuldnerisch zur Zahlung von Schmerzensgeld, vorgerichtlichen Anwaltskosten und Zinsen in Höhe von 60.000,- Euro an den Geschädigten P1. unter Abgeltung möglicher weitere Ansprüche und unter ausdrücklicher Ausnahme möglicher finanzieller Ansprüche des Klägers J. P. aus einem noch durchzuführenden Täter-Opfer-Ausgleichs. Diese Vergleichssumme wurde von der Haftpflichtversicherung des Angeklagten Dr. K1. bezahlt, ob der Angeklagte insoweit in Regress genommen werden wird, ist offen.
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Ein weiteres Angebot eines Täter-Opfer-Ausgleichs verbunden mit dem Angebot weitere 10.000,- Euro zum Ausgleich der erlittenen immateriellen Schäden zu zahlen wurde seitens des Geschädigten P1. abgelehnt.
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Der Geschädigte ... G1. hat durch den Eingriff dauerhaft seine Fortpflanzungsfähigkeit verloren. Eine Refertilisierung ist nicht versucht worden und vor dem Hintergrund der verstrichenen Zeit auch nicht mehr aussichtsreich durchführbar. Die Betreuung besteht bis zum heutigen Tage in unverändertem Umfang, wobei die Eltern weiterhin als Betreuer eingesetzt sind.
I. Feststellungen zu den persönlichen Verhältnissen
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Die Feststellungen zum Werdegang, zu den wirtschaftlichen Verhältnissen sowie zur gesundheitlichen Situation der Angeklagten beruhen jeweils auf deren glaubhaften Einlassungen hierzu in der Hauptverhandlung.
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Der Bundeszentralregisterauszug des Angeklagten Dr. K1. vom 15.02.2023 wurde verlesen und vom Angeklagten als richtig anerkannt.
II. Die Feststellungen zum Verfahrensgang
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Die Feststellungen zum Verfahrensgang erfolgten im Berichtswege.
III. Feststellungen zur Vorgeschichte und zum Tatgeschehen
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Die Feststellungen zur Vorgeschichte und zum objektiven Tatgeschehen beruhen im Wesentlichen auf den Einlassungen der Angeklagten, soweit ihnen gefolgt werden konnte.
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Der Angeklagte Dr. K1. hat insbesondere die absichtliche Durchführung der Sterilisationen an den Geschädigten J. P1. und ... G1. eingeräumt.
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Die Kammer ist auf Grund der durchgeführten Beweisaufnahme auch von der Richtigkeit der Einlassung des Angeklagten, bei dem Eingriff am Patienten J. P. einer Personenverwechslung unterlegen zu sein, überzeugt. Diese wurde bestätigt insbesondere durch die Angaben der Zeugen H2. und des sachverständigen Zeugen Dr. K2., welche übereinstimmend berichteten, dass der Angeklagte Dr. K1. bereits unmittelbar nach dem Eingriff geäußert habe, einem Irrtum über die Identität des Patienten unterlegen zu sein, wobei er schockiert gewirkt habe. Auch den Zeugen P1. und K3. gegenüber hat sich der Angeklagte Dr. K1. entsprechend geäußert.
62
Die Angeklagte E2. G1. hat eingeräumt, dass sei und der Mitangeklagte Dr. H1. M1. G1. die Sterilisation ihres Sohnes, des Geschädigten ... G1., bei dem Angeklagten Dr. K1. in Auftrag gegeben und die entsprechenden Aufklärungs- und Einwilligungsformulare unterzeichnet haben.
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Soweit die Angeklagte E2. G1. sich dahingehend einließ, sie sei davon ausgegangen, dass ihr Sohn ... G1. insoweit einwilligungsfähig gewesen wäre und eine Genehmigung des Eingriffs durch das Betreuungsgericht nicht erforderlich gewesen wäre, stellt dies zur Überzeugung des Gerichts eine reine Schutzbehauptung dar. Auf Grund der der durchgeführten Beweisaufnahme Im Einzelnen ist folgendes auszuführen:
1. Einlassungen der Angeklagten
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Die Angeklagte E2. G1. ließ sich dahingehend ein, dass ihr Sohn ... A2. Februar 2016 über einen stechenden Schmerz in der Leistengegend geklagt habe.
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Von der daraufhin konsultierten Hausärztin Frau Dr. F2. sei ein Leistenbruch diagnostiziert worden und von ihr hätten sie die Telefonnummer von Herrn Dr. K1. erhalten, den sie vorher nicht gekannt hätten.
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Er habe ... sehr sanft und freundlich behandelt, so dass ihr Sohn, der Angst bis hin zur Panik vor Ärzten habe, Vertrauen zu diesem fassen konnte.
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Bei der Ultraschalluntersuchung habe sie sich danach erkundigt, ob in dem bei dem Operationsgebiet nicht ganz nah der Samenleiter wäre. Sie hätten daraufhin über die Sterilisation gesprochen.
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Anlass hierfür sei gewesen, dass ihr Sohn enorme Angst vor jeder Operation habe.
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Zu einem späteren Zeitpunkt wäre ein weiterer Eingriff nötig gewesen.
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Die Risiken eines solchen Eingriffs habe sie dann mit Dr. K1. allein besprochen, weil ... solche Dinge mit Blut und dergleichen auf Grund seiner medizinischen Vorgeschichte nicht aushalten könne. Von dem Aufklärungsbogen hätte sie ihrem Sohn nur das Bild gezeigt, nicht den gesamten Bogen.
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Ihr Ehemann sei bei dem Gespräch nicht dabei gewesen, da dieser in der Zeit seiner Tätigkeit in der Praxis nachgegangen wäre. Das entspreche der üblichen Aufgabenteilung zwischen den Eheleuten.
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Sie habe Dr. K1. die Betreuungsurkunden vorgelegt und gesagt, sie wolle sich noch weiter informieren.
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Die Sterilisation habe dem Wunsch ihres Sohnes entsprochen.
74
Sie hätten bereits zuvor in der Familie über Familiengründung und Zeugung und das alles gesprochen und ... habe selbst gesagt, er könne nicht für ein Kind sorgen, er habe genug mit sich selbst zu tun.
75
Ihr Sohn habe noch keine sexuelle Erfahrung. Sie gehe jedoch davon aus, dass er Masturbation kenne. Er habe Zweifel, ob er eine Beziehung eingehen könne und Nähe und Hautkontakt wünsche. Er habe zwar keine persönliche Erfahrung damit, er sehe jedoch in seiner Umgebung, was das bedeutet, insbesondere sich um Kinder zu kümmern.
76
Sie habe sich in der Folge an das Betreuungsgericht gewandt, das Gespräch sei jedoch wenig erhellend, „diffus“ gewesen. Herr L1. habe ja darüber auch keine Aufzeichnungen. Von der in der Anklage genannten Vorschrift des BGB habe er jedenfalls nicht gesprochen. Das Gespräch habe einige Minuten gedauert.
77
Auf Frage des Gerichts gab die Angeklagte weiter an, Anlass für die Anfrage beim Betreuungsgericht sei nicht gewesen, eine Zustimmung des Betreuungsgerichts zu erhalten. Sie habe um einen Termin gebeten, weil sie gewusst habe, dass das Betreuungsgericht „eine gewisse Fürsorgepflicht“ habe.
78
Sie habe die Erstellung eines Gutachtens in der Tat abgelehnt, da sie der Meinung gewesen sei, ihr Sohn ... verstehe das alles und habe eingewilligt. Der Richter habe geäußert, man könne ein Gutachten erstellen. Das Wort „Einwilligungsfähigkeit“ habe sie vorher auch noch nicht gekannt.
79
Das Wort Sterilisation könne er zwar nicht verstehen, aber er habe geäußert, „Mama da wird ein Schnipp gemacht, damit ich keine Kinder zeugen soll.“ Er habe immer von dem „Schnipp“ gesprochen und geäußert, er wolle die Verantwortung für Kinder nicht.
80
Abends habe sie sich wie üblich mit ihrem Ehemann ausgetauscht und erzählt, dass sie beim Betreuungsgericht gewesen war und was sie dort verstanden habe. Es sei eine diffuse Situation und ein esoterisch angehauchtes Amtszimmer gewesen.
81
Als der Brief von der Staatsanwaltschaft gekommen sei, sei sie wie vom Blitz getroffen, denn sie sei sich keiner Schuld bewusst gewesen.
82
Sie hätten den Einwilligungsbogen unterschrieben, weil sie immer alles unterschrieben hätten. Sie habe die Vorstellung gehabt, damit sei alles getan, was erforderlich ist.
83
Der Angeklagte Dr. K1. ließ sich in der Hauptverhandlung dahingehend ein, es habe sich um die schwerste Situation seines Berufslebens gehandelt, die auf Grund einer unglücklichen Gruppierung von Zufällen entstanden sei.
84
Im Jahr 2016 seien zu ihm in die Praxis zeitgleich zwei Patienten mit jeweils beidseitigen Leistenbrüchen gekommen, bei welchen aus unterschiedlichen Gründen jeweils beide Eltern unterschreiben mussten. Beide Patienten seien zum Vorgespräch mit ihren jeweiligen Müttern erschienen.
85
Beide Patienten hätten ein Problem mit Ärzten gehabt, so dass jeweils erhebliches Fingerspitzengefühl erforderlich gewesen sei.
86
Der „verwechselte Patient“ J. P. habe ein hohes Aggressionspotential gehabt, während M2 G1 eine ausgeprägte Angst vor Ärzten gehabt habe.
87
Wie es bei Leistenbruchoperationen üblich sei, habe jeweils ein halbstündiges Vorgespräch stattgefunden habe.
88
In der Woche der ersten Operation habe es noch ein Telefonat mit Frau G1. und er habe im A.-park den anderen jungen Mann gesehen. Alle diese Umstände hätten zu der späteren Verwechslung beigetragen.
89
Bei der ersten Operation habe er den Patienten zusammen mit dem Zeugen Dr. K2. (Anästhesist) vor der Operation am Krankenbett aufgesucht und ihn dort für den Eingriff abgeholt. Dies würde bei problematischeren Fällen gemacht, um dem Patienten Sicherheit zu geben.
90
Er habe bei dieser Gelegenheit gegenüber der ebenfalls anwesenden Mutter geäußert, „wir haben ja vorgestern telefoniert“, worauf sie wohl sie nicht reagiert hätte, weil sie Angst hatte, das würde den Patienten unruhig oder aggressiv machen, wenn sie seinen Irrtum – tatsächlich habe er tags zuvor nicht mit Frau P1., sondern mit Frau G1. telefoniert – aufklären würde. Zu diesem Zeitpunkt sei die Verwechslung wohl letztlich entstanden.
91
Auf Frage des Gerichts gab der Angeklagte weiter an, zu den Maßnahmen zur Vermeidung von Verwechslungen gehöre auch ein sog. „Team-Time-Out“ bei dem die wesentlichen Informationen über den Patienten und dem Eingriff im Team noch einmal kurz besprochen werden. Zu der damaligen Zeit habe das im Operationssaal stattgefunden. Hier sei jedoch nicht über Details gesprochen worden; der Begriff „Vasektomie“ sei nicht gefallen. Dieser Kontrollmechanismus habe vorliegend auf Grund der Umstände des Vorgesprächs am Krankenbett nicht funktioniert.
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Auch im OP-Programm stehe nicht, was operiert werden. Dies liege in der Verantwortung des Operateurs. Die Patientenakte liege im Operationssaal ebenfalls nicht vor.
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Nach der Operation habe er den Bericht diktiert und sei sofort von seinem Schreibbüro darauf hingewiesen würde, dass es der falsche Patient sei. Sie hätten versucht, so schnell wie möglich, diesen Sachverhalt für den Patienten zu klären.
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Er habe unmittelbar darauf die Mutter des Patienten informiert. Am nächsten Tag habe es noch ein Gespräch gegeben, bei welchem die Großmutter des Jungen ebenfalls anwesend war. Er habe erläutert, dass die Wiederherstellung der Samenleiter umso besser funktioniere, je weniger Zeit seit dem Eingriff vergangen wäre. Die im Rahmen der Leistenoperation vorgenommene Sterilisation sei wesentlich schwieriger rückgängig zu machen als eine herkömmliche Vasektomie, da diese an den im Rahmen der Operation freigelegten Samensträngen durchgeführt werde und auch durch die Kombination mit dem zur Versorgung der Hernie eingebrachte Netz die Verklebung voranschreite.
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Der Eingriff müsse unverzüglich, am besten innerhalb von 14 Tagen durchgeführt werden. Er habe ferner darauf hingewiesen, dass innerhalb dieser 14 Tage auch Samen gewonnen und deponiert werden könnte. Zeitgleich habe ein Kongress von Urologen stattgefunden und er habe an Prof. Sch.verwiesen.
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Auf Frage des Gerichts gab der Angeklagte an, die zusätzlich vorgenommene Vasektomie wäre vom Patienten nach einer Leistenoperation so nicht wahrnehmbar geworden. Lediglich bei einer bildgebenden Untersuchung wären die Clips sichtbar geworden, die er an den Enden der Samenleiter angebracht habe.
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Den Eingriff bei M2 G1 habe er später dann so wie mit Familie G1. besprochen durchgeführt. Er habe sie von der vorangegangenen Verwechslung informiert, sie hätten aber dennoch weiterhin Vertrauen zu ihm gehabt.
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Er habe sich den Betreuerausweis zeigen lassen. Er habe keinen Anlass gehabt, an der Aufklärung zu zweifeln und der Schilderung von Frau G1., dass das alles „in Ordnung“ sei, zu misstrauen. Der Gedanke sei ihm gar nicht gekommen, „da sind Eltern, denen hilfst du“.
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Auf Frage des Gerichts gab der Angeklagte an, er habe rund 15.000 Operationen durchgeführt, Vasektomien lediglich 4-mal.
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Er sei durch das langdauernde Verfahren erheblich belastet gewesen. Es sei wie ein Damoklesschwert über Jahre über ihm gehangen und ihm während der 3000 Eingriffe, welche er seither durchgeführt habe, immer präsent gewesen.
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Der Angeklagte Dr. H1. M1. G1. hat sich nicht zum Tatvorwurf eingelassen.
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Die Zeugin P1. berichtete, sie hätten sich wegen beidseitiger Leistenbrüche ihres Sohns J. an den Angeklagten Dr. K1. gewandt.
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Zunächst hätte eine Voruntersuchung bei Dr. K1. stattgefunden, bei welcher ... untersucht worden sei und sie sich für die Operation angemeldet hätten.
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Am Operationstag seien sie in der Früh zur ...-klinik gefahren. Nach der Anmeldung habe sich ihr Sohn umgezogen und sie hätten bei einem Aufwachbett gewartet. Sie selbst sei bei ihrem Sohn gesessen als der Narkosearzt gekommen sei und sich vorgestellt habe. Dr. K1. sei auch da gewesen.
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Er habe gesagt, er hätte sie und ihren Sohn irgendwo gesehen, glaublich im „... “ und habe sinngemäß gemeint, das wäre doch eine tolle Belohnung, da wieder hinzugehen nach der Operation. Sie habe verneint, nach dem Anamnesetermin seien sie beim Libanesen gewesen. Den „...“ kenne sie nicht, könne das aber mal im Internet recherchieren.
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Auf Frage verneinte die Zeugin, vom Angeklagten Dr. K1. bei dieser Gelegenheit auf ein vorangegangenes Telefonat angesprochen worden zu sein.
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Die Zeugin sei hinausgegangen, als es losgegangen wäre. Nach der Operation sei ihrem Sohn ein bisschen übel gewesen; er habe dann geschlafen.
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Nachmittags habe Dr. K1. sie dann zu einem Gespräch auf den Gang gebeten. Er habe sich erkundigt, ob ... denn Kinder bekommen möchte. Hierauf habe die Zeugin geantwortet, das wisse sie nicht.
109
Dr. K1. habe ihr darauf mitgeteilt, er hätte ihren Sohn versehentlich sterilisiert. Er hätte ihn mit einem anderen Patienten verwechselt, dessen Vater ein guter Freund von ihm sei. Dieser Patient sei sexuell übergriffig und sollte deswegen sterilisiert werden.
110
Sie sei erstmal „ziemlich geschockt“ gewesen. Sie habe ihre Mutter, die Zeugin K3. gebeten, sie zu dem für den nächsten Tag verabredeten Abschlussgespräch zu begleiten.
111
Ihren Sohn hätte sie erstmal nicht informiert, zumal dieser starke Schmerzen gehabt habe.
112
Bei dem Abschlussgespräch am Folgetag mit dem Angeklagten Dr. K1. seien sie zunächst gebeten worden sich den Operationsbericht zuhause anzuschauen.
113
Dort sei jedoch nur von „Komplikationen“ die Rede gewesen und nicht von einer Sterilisation ohne Einwilligung des Patienten. Damit hätten sie Dr. K1. in dem Gespräch auch konfrontiert. Auf ihren Hinweis, dass das so nicht stimme, habe er den Bericht dann auch entsprechend abgeändert.
114
Dr. K1. habe auch immer wieder von diesem anderen Jungen gesprochen. Er habe auch gefragt, ob die Zeugin denn als Großmutter diese Kinder großziehen möchte. Die Sterilisation koste ja nur 150,- Euro. Hierüber sei die Zeugin sehr bestürzt und verärgert gewesen. Sie habe das ziemlich anmaßend gefunden, weil nicht alle Autisten gleich sind und man nicht über das Leben eines anderen bestimmen könne.
115
Dr. K1. habe ihr auch Vorwürfe gemacht. Es sei die Schuld der Zeugin, da sie das Missverständnis beim Vorgespräch hätte aufklären müssen.
116
Sie hätte dann an dem gleichen Tag noch Strafanzeige erstattet.
117
Der letzte Kontakt mit dem Dr. K1. sei im Rahmen der Nachuntersuchung 2016 gewesen.
118
Ihrem Sohn J. hätten sie die ersten Tage von der Sterilisation nichts berichtet. Als es ihm sein Vater schließlich mitgeteilt habe, sei er so außer sich gewesen, dass er Dr. K1. sogar habe schlagen wollen. Er sei wie besessen gewesen, das unbedingt wieder rückgängig machen zu lassen. Durch Vermittlung von Professor Sch.seien sie dann zu Professor M... gekommen, der ... im März 2016 sechs Stunden lang in Ingolstadt operiert habe. Sie hätten große Angst gehabt, dass ... die Narkose nicht vertrage, weil es bereits zuvor zu Unverträglichkeiten gekommen war. Die Operation sei erfolgreich verlaufen, ob die Fortpflanzungsfähigkeit wieder hergestellt werden konnte, sei aber nicht ganz klar. Das letzte Spermiogramm sei 2018 gemacht worden, das sei nicht so gut ausgefallen. Möglicherweise habe ... jedoch mit seiner derzeitigen Lebensgefährtin, der Zeugin K4., ein Kind gezeugt. Diese gebe an, das von ihr geborene Kind stamme von ... , ein Vaterschaftstest sei aber nicht gemacht worden und er zahle auch keinen Unterhalt.
119
Er wolle keine Tests mehr machen und er wolle mit ihr als Mutter auch nicht mehr darüber. Sie sei sich sicher, dass er das Ganze verdränge.
120
Die Angaben der Zeugin waren durchweg glaubhaft. Die Zeugin berichtete sachlich und ohne Belastungseifer, wenn auch trotz der zurückliegenden Zeit immer noch emotional betroffen.
121
Die Zeugin K3., Großmutter des Geschädigten J. P1. berichtete, dass ihr Enkel am 10.3.2016 in der ...-klinik operiert hätte werden sollen. Dann sei sie von ihrer Tochter informiert worden, dass er auch sterilisiert worden sei.
122
Sie sei dann am nächsten Morgen dort hingekommen. Dr. K1. sei um 8.30 Uhr erschienen, danach habe er Visite gehabt. Von Frau G2., seiner Assistentin, hätten sie den Abschlussbericht erhalten. Ihr wäre dann gleich aufgefallen, dass dort vermerkt war, dass eine Komplikation aufgetreten sei. Sie hätten dann ein Gespräch mit Dr. K1. geführt. Sie wären aufgebracht gewesen, eine Sterilisation wäre doch keine „Komplikation“.
123
Er habe zugegeben, dass es ein Versehen gewesen ist. Er habe angegeben, ihren Enkel mit einem anderen Jungen verwechselt zu haben, der auch eine „Bruchoperation“ gehabt hätte. Dieser Junge sei sexuell sehr aktiv gewesen und deshalb sei er ohne dessen Einwilligung sterilisiert worden. Es habe sich wohl um den Sohn eines guten Bekannten des Dr. K1. -glaublich ein Zahnarztgehandelt, dem er einen Gefallen habe tun wollen.
124
Er habe gefragt, ob der ... denn Kinder haben möchte, obwohl er Autist sei, und ob ihre Tochter diese Kinder dann aufziehen wolle. Sie habe das als sehr unverschämt empfunden. Während des Gesprächs habe ständig Prof. Sch.angerufen.
125
Dr. K1. habe den Bericht daraufhin abgeändert und vermerkt, dass eine Sterilisation ohne Einwilligung erfolgt sei. Er habe dazu geäußert er habe eine gute Versicherung und gute Rechtsanwälte. Auch habe er an der Sterilisation ja nicht verdient, die hätte lediglich 150 Euro gekostet.
126
Die Feststellungen zur mündlichen Anfrage der Angeklagten E2. G1. beim Betreuungsgericht beruhen neben der eigenen Einlassung der Angeklagten auf den glaubhaften Angaben des Zeugen L2., welcher ... Amtsgericht Rosenheim tätig und für den Betreuten M2 G1 zuständig war. An den Fall G1. könne er sich nicht konkret erinnern, obwohl ein Sterilisationswunsch selten vorkomme. Er könne sich daran erinnern, dass einmal eine Dame bei ihm gewesen sei und sich nach den Voraussetzungen der Sterilisation ihres betreuten Sohnes erkundigt habe. Er könne nicht mehr genau sagen, was er geantwortet habe. Wahrscheinlich habe er jedoch sinngemäß gesagt, dass er sich erst kundig machen müsste und sich dann bei der Dame melden würde. Dies würde ihm vor dem Hintergrund der Verfügung vom 12.04.2016 schlüssig erscheinen, er könne es aber nicht mehr genau sagen.
127
Die Zeugin H2., die bei der Operation des Geschädigten P1. als Krankenschwester eingesetzt war, gab an während ihrer zweijährigen Beschäftigung bei der ...-klinik oft mit dem Angeklagten Dr. K1. zusammengearbeitet zu haben.
128
Sie könne sich an die Operation noch gut erinnern. Der Angeklagte Dr. K1. habe ihr erzählt, dass er zwei Patienten mit einer Behinderung verwechselt habe.
129
Die Eltern des einen Patienten hätten „auf Zuruf“ gewollt, dass der Junge sterilisiert worden. Es sei dann aber der falsche Patient vasektomiert worden. Dies habe sie aus Erzählungen von Dritten gehört.
130
Es sei ein „großes Drama“ gewesen. Der Patient sei lediglich als Leistenhernien beidseitig angemeldet gewesen. Das komme schon vor, es würden nicht immer alle Eingriffe angemeldet. Es sei ihrer Erinnerung nach bereits morgens sei mitgeteilt worden, dass zusätzlich eine Vasektomie durchgeführt werden solle.
7. Sachverständiger Zeuge Dr. K2.
131
Der sachverständige Zeuge Dr. K2. gab an, als Anästhesist mit dem Angeklagten Dr. K1. in der ...-klinik zusammengearbeitet zu haben, wobei sie weit über 100 Eingriffe gemeinsam durchgeführt hätten. An Vasektomien könne er sich nicht wirklich erinnern. Er wisse, um welchen Fall es gehe, es sei ein Junge versehentlich vasektomiert worden. Er habe aber auf Grund von Gedächtnisproblemen erst recherchieren müssen.
132
Sie hätten zunächst gemeinsam den Patienten am Krankenbett aufgesucht, um eine Vertrauensbasis zu schaffen. Dies würde bei ängstlichen Patienten und Kindern so gehandhabt.
133
Der Angeklagte habe noch am Tag der Operation geäußert, dass er die Kinder verwechselt habe. Bei dem Geschädigten habe eine geistige Behinderung vorgelegen. Der Angeklagte Dr. K1. habe geschockt gewirkt, als er von der Verwechslung gesprochen habe.
134
Im Operationssaal würde lediglich kontrolliert, ob die Unterschriften auf den Einwilligungsbögen für die Operation und die Narkose vorliegen würden.
135
Er selbst habe den Patienten P... am Operationstag das erste Mal gesehen. Die ärztliche Aufklärung sei vorher schon erfolgt, und zwar für jeden Bereich gesondert. Die Aufklärung über die Anästhesie hätte er jedoch nicht persönlich vorgenommen. Die Verantwortung dafür, welche Operation durchgeführt würde, trage der Operateur.
136
Von der Anästhesie her mache es keinen Unterschied ob neben der Hernienoperation auch eine Vasektomie durchgeführt würde, da dies die Operationszeit nicht wesentlich verlängere.
137
Die Angaben des Zeugen, der seine Angaben ruhig und besonnen machte und auf Erinnerungslücken hinwies, waren durchweg glaubhaft.
138
Aus der auszugsweise verlesenen Patientenakte des M2 G1 konnten die Einlassungen der Angeklagten Dr. K1. und E. G1. hinsichtlich des festgestellten Ablaufs des Vorgeschehens und der Operation des M2 G1 bestätigt und ergänzt werden. Hierbei ergab sich insbesondere aus der verlesenen „Dokumentation der Aufklärung und der Einwilligung Leisten-/ Schenkelbruch Erwachsene“ (Bl. 3/4 des Sonderbands Patientenakte M2 G1), dass dort vermerkt ist, dass das Aufklärungsgespräch am 17.02.2016 mit der „Mutter des Patienten als Bevollmächtigter“ geführt worden sei. Die Gesprächsdauer ist mit 10 Minuten angegeben. Zum Inhalt der Aufklärung ist speziell vermerkt, dass auf die mögliche Gabe von Blutprodukten, Schmerz, die medizinischen Risiken von Wundheilungsstörungen, eines erneuten Leistenbruchs, Verwachsungen um das Netz, Allergien, Verwachsungen und die Möglichkeit eines Umstiegs auf ein offenes Vorgehen hingewiesen worden sei. Weiterhin ist vermerkt, dass eine Durchtrennung beider Samenleiter erfolgen solle. Der Bogen trägt neben der Unterschrift des Arztes lediglich die Unterschrift der Angeklagten E2. G1. .
139
Aus der ebenfalls verlesenen „Dokumentation Vasoresektion“ ist zu entnehmen, dass dort zum Aufklärungsgespräch Vasoresektion vermerkt ist, dass diese im Rahmen einer Leistenhernienoperation auf beiden Seiten stattfinden solle. Weiter ist vermerkt, dass auf die „schwere Möglichkeit der Rückgängigmachbarkeit“ und auf die beabsichtigte Clipmarkierung beider Enden jedes Samenstranges hingewiesen wurde. Als vorgesehener Termin des Eingriffs ist der 14.4. 2016 angegeben. Unter der Überschrift „Einwilligung“ ist formularmäßig ausgeführt: „Ich wünsche die dauerhafte Unfruchtbarmachung (Sterilisation). Mit der Schmerzausschaltung, mit notwendigen Untersuchungen sowie mit erforderlichen Neben- und Folgeeingriffen bin ich einverstanden.“
140
Als Unterschriftsdatum ist der 18.3.2016 vermerkt. Der Bogen trägt neben der Unterschrift des Angeklagten Dr. K1. die Unterschriften der beiden weiteren Angeklagten Dr. H1. M1. und E. G1. .
141
Aus der verlesenen Karteikarte für den Patienten M2 G1 war zu entnehmen, dass wurde für das Gespräch am 17.02.2016 vermerkt wurde: „Pat. Kommet wegen Leistenbeschwerden. Klinisch Leistenhernien bs., reponibel. Sonografisch wenig Pendelgewebe bei sehr dünnen Bauchdecken. Pat. kommt mit Mutter, die Bevollmächtigte ist. Aufklärung für TAPP bds. mit Durchtrennung beider Samenleiter (Anfang April).
142
Am 09.03.2016 wurde vermerkt: „Telefonische Rücksprache mit der Mutter: Beide sind vollkommen einverstanden mit der Durchtrennung beider Samenleiter.“
143
Weiter ist vermerkt, dass am 18.03. 2016 ein Brief an „E. G1. und Dr. H1. M1. G1. wg. Vasoresektion“ gesandt worden sei. Am 06.04.2016 wurde notiert: „AB: Alles bleibt beim Alten, OP mit Sterilisation“
144
Die Feststellungen zum Strafantrag beruhen auf den Angaben der Zeugin P1. sowie der Verlesung des Strafantrags (Bl. 10 der Akte).
145
Aus dem weiter verlesen Operationsbericht vom 11.03.2016 (Bl. 18 ff. der Akte) ergab sich, dass intraoperativ eine Sterilisation des Patienten J. P. ohne Einwilligung erfolgt sei. Weiter ist ausgeführt, dass „wegen der urologischen Situation“ seitens des Unterzeichners eine Kontaktaufnahme mit Prof. Dr. S1. in M. beabsichtigt sei.
9. Feststellungen zur nicht ausschließbar erfolgreichen Refertilisierung des Geschädigten P1. H3.
146
Hinsichtlich der Feststellung zur nicht ausschließbar erfolgreichen Refertilisierung des Geschädigten P1. wurde die Kammer sachverständig beraten durch den Sachverständigen Dr. med. M5., Facharzt für Urologie an dem Klinikum der Universität M. – Urologische Klinik und Poliklinik.
147
Der Sachverständige führte nachvollziehbar aus, dass eine abschließende Beurteilung des Erfolgs der Vasovasostomie in Gestalt der Operation durch Prof. M... nicht möglich erscheint. Grundsätzlich seien die Erfolgsaussichten einer Vasovasostomie bei einer im Rahmen eines Leistenbruchs vorgenommenen Durchtrennung der Samenleiter auf Grund des zur Behebung des Leistenbruchs eingebrachten Netzes und möglicher Verwachsungen erheblich geringer als bei einer herkömmlichen Vasektomie.
148
Zwar könne zunächst von einem unmittelbaren operativen Erfolg nach positivem Spermiennachweis ausgegangen werden, was durch das am 31.10.2018 erstellte Spermiogramm belegt werde, wo eine Gesamtspermatozoenzahl von 3,2 Millionen Spermien/Milliliter, wenn auch mit herabgesetzter Beweglichkeit, festgestellt wurde.
149
Hinsichtlich des im Jahr 2019 erstellen Kontrollspermiogramms sei zu konstatieren, dass es gegenüber dem vorangegangenen Befund zu einer Verminderung in der Anzahl, Beweglichkeit und Vitalität der Spermien gekommen sei. Zudem sei eine mit einer erhöhtem Leukozytenzahl ein Entzündungsparameter festgestellt worden, der weiterer Abklärung bedürfen würde. Dies könne auf einen nachträglich entstandenen Verschluss der Samenleiter hindeuten, jedoch auch andere Ursachen haben.
150
Eine Fortpflanzung erscheine bei diesen Befunden – d.h. unterhalb der von der Weltgesundheitsorganisation aufgestellten Parametermöglich, jedoch mit geringerer Wahrscheinlichkeit als bei Normalbefunden.
151
Eine valide Abschätzung des endgültigen Erfolgs der Maßnahme würde daher aus sachverständiger Sicht weiterer Ejakulatanalysen und ggfs. einer mikrobiologischen Diagnostik bedürfen.
152
Die Kammer schließt sich den eingehend begründeten, nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen nach kritischer Prüfung vollumfänglich an und macht sich diese zu eigen.
153
Bestätigt finden die sachverständigen Ausführungen, dass -zumindest auf der Grundlage der vorhandenen Befundevon einer Wiederherstellung der Zeugungsfähigkeit auszugehen ist von dem Umstand, dass es konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Zeuge P1. vor etwa zwei bis drei Jahren ein Kind mit seiner derzeitigen Lebensgefährtin gezeugt hat.
154
Zu Gunsten des Angeklagten K1. war daher davon auszugehen, dass die Fortpflanzungsfähigkeit des Geschädigten P1. durch die Vasovasostomie wieder hergestellt werden konnte.
10. Zur Feststellung der fehlenden Einwilligungsfähigkeit des Geschädigten ... G1.
155
Die Feststellung der fehlenden Einwilligungsfähigkeit des Geschädigten ... G1. beruhen neben der Einlassung der Angeklagten E2. G1. auf den Angaben des Zeugen V2. sowie den Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. D... .
156
Hinsichtlich der Feststellung der dauerhaft fehlenden Fähigkeit des Geschädigten ... G1., in eine Sterilisation einzuwilligen, insbesondere deren Bedeutung und Tragweite einzuschätzen sowie die gebotene ärztliche Aufklärung nachzuvollziehen wurde die Kammer beraten durch den erfahrenen psychiatrischen Sachverständigen Dr. med. D2., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie.
157
Der Sachverständige führte zunächst aus, dass mangels Mitwirkung des Betroffenen das Gutachten nicht auf einer persönlichen Untersuchung und Exploration des Geschädigten basiere, sondern nach Aktenlage erstattet würde. Vorgelegen habe dabei neben der Ermittlungsakte die Betreuungsakte des M2 G1.
158
Eine Beurteilung der Fähigkeit des Geschädigten zum Verständnis, zur Verarbeitung und zur Bewertung der maßgeblichen Informationen im Hinblick auf eine Sterilisation sei ihm dennoch aus medizinischer Sicht ausreichend möglich gewesen.
159
Hinsichtlich des Bewertungsmaßstabs sei er davon ausgegangen, dass ein Patient, um eine rechtswirksame Einwilligung in eine ärztliche Behandlung abgeben zu können zumindest über das Vorgehen bei Diagnostik und Therapie, die Folgen einer Behandlung samt den Folgen von Behandlungsalternativen, die Risiken einer Behandlung und die Folgen einer Nichtbehandlung aufgeklärt werden müsse. Die Einwilligungsfähigkeit bestehe in der Fähigkeit, Wesen, Bedeutung und Tragweite einer Maßnahme in groben Zügen zu erfassen und das Für und Wider der Maßnahme abzuwägen. Hierbei sei stets auf den konkreten Eingriff abzustellen, in den eingewilligt werden solle. Zu beachten sei die jeweilige Komplexität des Eingriffs und die Schwere des Eingriffs. Dies bedeute, dass ein und derselbe Patient für einen einfachen und risikoarmen Eingriff einwilligungsfähig sein könne, für einen komplizierten und risikoreichen jedoch nicht.
160
Der Einwilligende müsse die Fähigkeit zur autonomen Wertung besitzen und auch in der Lage sein prognostisch zu beurteilen, welche Vorteile und Nachteile der Eingriff für in Zukunft bringen könnte. Schließlich müsse er der ärztlichen Aufklärung über Tatsachen, die für seine eigenverantwortliche Entscheidung von Bedeutung sein könnten, folgen können.
161
Zur psychiatrischen Diagnosestellung legte der Sachverständige dar, dass nach Aktenlage von einer nicht näher bezeichneten Intelligenzminderung (ICD-10 F 79) bei frühkindlicher Hirnschädigung auszugehen sei, die gemäß der vorliegenden klinischen Beschreibung am ehesten im Übergangsbereich der leichten Intelligenzminderung (ICD-10 F 70) zur mittelgradigen Intelligenzminderung (ICD-10 F 71) anzusiedeln sei.
162
Der Akte sei zu entnehmen, dass der Geschädigte in der 30. Schwangerschaftswoche als Früh- bzw. Mangelgeburt zur Welt gekommen sei, habe beatmet werden müssen und sei 18 Monate lang im Klinikum ... gewesen. In den ersten drei Lebensjahren seien sieben Operationen erfolgt.
163
Die Anregung zur Anordnung einer Betreuung für M2 G1 sei seitens des ... Herrn P4., unter Hinweis darauf erfolgt, dass bei M2 G1 eine geistige Behinderung bestünde, er ein Förderzentrum besuche und zudem in einer Heilpädagogischen Tagesstätte gefördert und betreut würde.
164
Dem durch die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie S... im Rahmen des Betreuungsverfahrens erstellten psychiatrischen Sachverständigengutachten sei zu entnehmen, dass Herr P4. dieser von einer deutlichen mentalen Retardierung gesprochen war, welche er im Bereich zwischen einer Lernbehinderung und einer geistigen Behinderung angesiedelt habe, den IQ habe er auf 70 bis 80 geschätzt und einen Grad der Behinderung von 80 genannt. Zudem habe er geschildert, dass sich der Geschädigte in neuem Gelände nicht orientieren und nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren könne. Er könne lesen und schreiben, er könne Ein-WortSätze oder kurze Ausdrücke lesen und erfassen, erfasse aber meist nicht, was er schreibe.
165
Frau S2. habe im Auftrag des Betreuungsgerichts am 19.04.2011 bei dem Geschädigten ... G1. eine persönliche Untersuchung durchgeführt. Sie habe auch Einsicht in das aktuelle Zwischenzeugnis des M2 G1 genommen, aus welchem sich ergeben habe, dass dieser einfache Transferleistungen durchführen könne, einen relativ großen Wortschatz habe, einfache Texte sinnentnehmend lesen könne. Kurze Sätze könne er mit Hilfe schreiben und einfache Sachaufgaben (jedoch ohne Transferleistungen) lösen.
166
In ihrer Beurteilung sei die psychiatrische Sachverständige zu der Einschätzung gekommen, dass M2 G1 komplexere Sachverhalte nicht erfassen könne und eine freie Willensbildung nicht vollumfänglich möglich sei. Die Möglichkeit zu einer Vollmachtserteilung durch den Betroffenen habe sie verneint, da nicht sicher davon ausgegangen werden können, dass er diesen komplexen Sachverhalt erfassen könne. Diagnostisch habe sie eine leichte Intelligenzminderung im Sinne von ICD10, F 70.0 angenommen.
167
Der Betreuungsrichter habe zur persönlichen richterlichen Anhörung des Betroffenen vermerkt, dass der Eindruck vom Geschädigten dem Gutachten entspreche und im Gespräch mit diesem eine deutliche Retardierung offenkundig geworden sei. Während er auf einfache Fragen prompt habe antworten können, habe er längere Antworten nur sehr stockend und schwer verständlich äußern können. Von seinen Eltern sei die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts für erforderlich gehalten worden.
168
Die Internistin Dr. F2. habe am 18.04.2018 ein Attest zur Notwendigkeit der Verlängerung der Betreuung erstellt und hierbei die vorgegebene Diagnosemöglichkeit „geistige Behinderung“ angekreuzt.
169
Der Betreuungsakte sei weiter zu entnehmen, dass M2 G1 am 10.09.2021 erneut durch das Betreuungsgericht angehört worden wegen des Antrags der Staatsanwaltschaft, für ihn einen weiteren Betreuer mit dem Aufgabenkreis des Strafverfahrens zu bestellen. Dabei habe der Betreuungsrichter vermerkt, dass der Betroffene das Anhörungsthema nicht verstanden habe.
170
Vor diesem Hintergrund sei vorliegend die Diagnose einer nicht näher bezeichneten Intelligenzminderung zu stellen.
171
Im Abschnitt „F7 Intelligenzminderung“ des ICD-10 werde eine Intelligenzminderung allgemein als eine sich in der Entwicklung manifestierende, stehengebliebene oder unvollständige Entwicklung der geistigen Fähigkeiten beschrieben, bei der eine besondere Beeinträchtigung von Fertigkeiten besteht, die zum Intelligenzniveau beitragen, wie z.B. Kognition, Sprache, motorische und soziale Fähigkeiten. Dabei sei Intelligenz kein einheitliches Phänomen, sondern setze sich aus verschiedenen spezifischen Fähigkeiten zusammen, wobei schwere Beeinträchtigungen in einem Bereich mit besonderer Geschicklichkeit in einem anderen Bereich zusammentreffen könnten.
172
Hinsichtlich M2 G1 seien den Akten Aspekte zu entnehmen, welche teilweise einer leichten Intelligenzminderung zugeordnet werden könnten, aber auch solche welche einer mittelgradigen Intelligenzminderung zuzuordnen wären, so dass auf Grund einer nicht hinreichenden Abgrenzbarkeit zwischen diesen Störungsbildern die diagnostische Einordnung als nicht näher bezeichnete Intelligenzminderung erfolgt sei.
173
Zu den Auswirkungen des psychiatrischen Störungsbilds auf die für die Einwilligungsfähigkeit relevanten Fähigkeiten legte der Sachverständige zunächst dar, dass von einem dauerhaften Zustand auszugehen ist, dessen Ursache eine frühkindliche Hirnschädigung ist. Eine Besserung des Zustands in Zukunft sei nicht zu erwarten.
174
Die psychiatrische Gesamtwürdigung der über den Geschädigten vorliegenden Informationen ergebe, dass dieser wegen einer Intelligenzminderung, die durch eine frühkindliche Hirnschädigung bedingt ist, nicht in der Lage ist, die kognitiven Prozesse und Denkvorgänge zu vollziehen, die erforderlich sind, um in eine Sterilisation einwilligen zu können. Er verfüge nicht über ein ausreichendes Verständnis für den Sachverhalt und könne die daraus für ihn entstehenden Vor- und Nachteile sind verarbeiten und das Für und Wider nicht gegeneinander abwägen.
175
Die Ausführungen des erfahrenen Sachverständigen waren von großer Sachkunde getragen. Sie gingen von zutreffenden Anknüpfungstatsachen aus. Die Ausführungen waren schlüssig und für die Kammer nachvollziehbar. Die Kammer schließt sich vollumfänglich den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen an und macht sie sich nach kritischer Würdigung zu eigen.
176
Die Ausführungen des Sachverständigen finden Bestätigung vor dem Hintergrund auch der weiteren Erkenntnisse der Beweisaufnahme.
177
So hat der Zeuge RiAG V... berichtet, den Geschädigten ... G1. im Rahmen seiner Tätigkeit als Betreuungsrichter zweimal persönlich angehört zu haben. Im Juni 2018 sei eine Anhörung erforderlich gewesen zur Vorbereitung der Entscheidung über die Notwendigkeit der Verlängerung der Betreuung.
178
Er habe nach dem Gespräch keinen Zweifel gehabt, dass die Betreuung mit den relativ umfassenden Aufgabenkreisen so fortzuführen war. Dies sei auch der Wunsch des Betroffenen gewesen.
179
Im Jahr 2021 habe er das nächste Mal Berührung mit dem Fall gehabt, weil die Staatsanwaltschaft die Einrichtung eines weiteren Betreuers beantragt habe. Er habe versucht, mit ihm zu besprechen, warum jetzt ein weiterer Betreuer erforderlich wäre. Es sei ihm jedoch auch in einfacher Sprache nicht verständlich zu machen gewesen. Er habe ferner den Eindruck gewonnen, dass der Betroffene nicht so ganz verstanden habe, dass er jetzt sterilisiert sei. Die Mutter habe geäußert, ... habe „kein großes anatomisches Verständnis“, es wäre immer klar gewesen, dass er keine Kinder haben könne oder wolle. Die Mutter habe erklärt, ... würde immer noch davon ausgehen, dass er an der Leiste operiert wurde.
180
Die Kammer hatte keinen Anlass an den glaubhaften Angaben des Zeugen zu zweifeln.
181
Die Einschätzung des Sachverständigen, dass der Geschädigte G1. nicht in der Lage war, die ärztliche Aufklärung nachzuvollziehen, wird auch dadurch bestätigt, dass die Angeklagten Dr. K1. und E. G1. selbst von der Durchführung eines Aufklärungsgesprächs und der Aushändigung des Aufklärungsbogens an den Geschädigten absahen.
182
Nach alledem war der Geschädigte ... G1. nicht in der Lage, rechtswirksam in Durchtrennung seiner beiden Samenleiter im Rahmen einer Operation zur Behebung eines beidseitigen Leistenbruchs einzuwilligen. Bei der Sterilisation handelt es sich um einen medizinischen Eingriff mit erheblicher Tragweite, bei dem zahlreiche Aspekte zu berücksichtigen sind und insbesondere auch prognostische Bewertungen zu treffen sind. Die Kammer ist insbesondere zu der Überzeugung gelangt, dass der Geschädigte nicht in der Lage war und ist, eine ärztliche Aufklärung betreffend die Sterilisation in gebotenem Umfang nachzuvollziehen, langfristige prognostische Erwägungen anzustellen und Abwägungsentscheidungen zu treffen.
11. Sachverständiger Prof. Dr. G3.
183
Die Feststellung, dass die Fragen der Aufklärung und Einwilligung bei ärztlichen Eingriffen auch im Hinblick auf minderjährige oder unter Betreuung stehende Patienten grundsätzlich Gegenstand der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sind, hat die Kammer auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens des gerichtsbekannt äußerst erfahrenen rechtsmedizinischen Sachverständigen Prof. Dr. med. G3. getroffen.
184
Dieser führte aus, dass die arztrechtlichen Kenntnisse grundsätzlich im Studium in den Seminaren des Fachs Rechtsmedizin gelehrt würden, arztrechtliche Grundlagen würden jedoch auch den klinischen Fächern fallbezogen und themenbezogen vermittelt.
185
Im Seminar Arztrecht des Fachs Rechtsmedizin würden die Grundlagen der Selbstbestimmungsaufklärung eingehend besprochen. Besonderheiten wie in den § 1905 BGB verankert seien jedoch nicht regelmäßig Bestandteil dieses Seminars.
186
Im Anschluss an das Studium würden in der Weiterbildung zum Facharzt ebenfalls rechtliche Grundlagen des ärztlichen Handelns gefordert, im Gebiet Chirurgie insbesondere Kenntnisse, Erfahrungen und Fertigkeiten in der Risikoeinschätzung, der Aufklärung und der Dokumentation gefordert. In diesem Kontext seien auch spezielle Problematiken zu sehen, wie sie etwa in den §§ 1904 und 1905 BGB formuliert seien.
187
Weiter sei die Verpflichtung des Arztes zur lebenslangen Fortbildung zu sehen. Fragen der ärztlichen Aufklärung und Einwilligung sowie der Selbstbestimmung des Patienten seien auch immer wieder Gegenstand des von Ärzten zu beziehenden Deutschen Ärzteblatts, so dass insoweit die Heranziehung spezieller Fachliteratur nicht unbedingt erforderlich sei.
188
Die Kammer schließt sich den nachvollziehbaren Ausführungen des erfahrenen Sachverständigen in vollem Umfang an. Diese wurden untermauert durch auszugsweise Verlesung einiger exemplarischer Artikel aus dem deutschen Ärzteblatt zu Fragen des Einwilligungsrechts. So beschäftigte sich etwa ein Artikel vom 23.05.2008 mit der Sterilisation bei Einwilligungsunfähigen, wobei auch die Vorschrift des § 1905 BGB im Wortlaut abgedruckt wird und das Erfordernis der Genehmigung durch das Vormundschaftsgericht thematisiert wird. Ein weiterer Aufsatz vom 2.3.2007 beschäftigt sich in einem Umfang von 20 Seiten eingehend mit Fragen der Aufklärung und Einwilligung bei ärztlichen Eingriffen. Die Vorschrift des § 1905 BGB wird dort ebenfalls genannt.
IV. Feststellungen zu den Tatfolgen und zum Nachtatverhalten
189
Die Feststellungen zu den Tatfolgen beim Geschädigten P1. beruhen auf den Angaben der Zeuginnen P2. und K3. sowie den Ausführungen des Sachverständigen Dr. M... . Der zivilgerichtliche Vergleich zwischen dem Angeklagten, der ...-klinik sowie dem Geschädigten P1. wurde verlesen.
190
Die Feststellungen zu den Tatfolgen beim Geschädigten G1. beruhen auf der Einlassung der Angeklagten E2. G1. sowie den Angaben des Zeugen RiAG V... .
I. Zu den Taten des Angeklagtem Dr. K1.
191
Der Angeklagte Dr. K1. war wegen vorsätzlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter schwerer Körperverletzung in Tatmehrheit mit schwerer Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 226 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 230 Abs. 1, 22, 23, 52, 53 StGB zu verurteilen.
192
Die oben unter C. dargestellten Taten sind in rechtlicher Hinsicht im Einzelnen wie folgt zu würdigen:
1. Versuchte schwere Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten P1. D3.
193
Durch die Sterilisation des Geschädigten J. P1. hat sich der Angeklagte einer vorsätzlichen Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter schwerer Körperverletzung nach § 226 Abs. 2 StGB. §§ 223 Abs. 1, 226 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 230 Abs. 1, 22, 23 schuldig gemacht.
a. Vollendete Vorsätzliche Körperverletzung gemäß §§ 223 Abs. 1, 230 StGB
194
In der Sterilisation des Geschädigten J. P1. ist eine tatbestandliche vorsätzliche Körperverletzung zu sehen, die nicht durch eine Einwilligung des Patienten gerechtfertigt war.
195
Ärztliche Heileingriffe erfüllen nach h.M. den Tatbestand der Körperverletzung gem. § 223 Abs. 1 StGB, auch wenn sie medizinisch indiziert sind und kunstgerecht durchgeführt werden, wenn sie zu einer körperlichen Misshandlung oder – wie hier – zu Gesundheitsschädigung führen.
196
Die Körperverletzung war vorliegend auch nicht durch eine wirksame Einwilligung des Patienten gerechtfertigt. Der Geschädigte P1. hat zu keinem Zeitpunkt seine Einwilligung in die Durchführung einer Vasektomie erklärt. Dies hätten gem. § 1631 c BGB auf Grund seiner Minderjährigkeit auch weder er noch seine sorgeberechtigten Eltern rechtswirksam tun können.
197
Der Irrtum des Angeklagten Dr. K1. über die Identität des Patienten in Gestalt einer Verwechslung mit dem Patienten M2 G1 bei der Operation am 10.03.2016 schließt dessen Vorsatz nicht aus, § 16 Abs. 1 Satz 1 BGB. Es handelt sich um einen unbeachtlichen error in persona bei Gleichwertigkeit der Tatobjekte.
198
Dem Angeklagten Dr. K1. handelte insoweit auch nicht im Rahmen eines vorsatzausschließenden Erlaubnistatbestandsirrtums. Insbesondere stellte er sich keine Umstände vor, die im Falle ihres Vorliegens eine wirksame Einwilligung in den durchgeführten ärztlichen Eingriff darstellen würden.
199
Nimmt ein Arzt irrig an, der Patient hätte in den Eingriff eingewilligt, dann irrt er über das Vorliegen von tatsächlichen Voraussetzungen des Rechtfertigungsgrunds der Einwilligung. Ein solcher Erlaubnistatbestandsirrtum schließt in Analogie zu § 16 StGB vorsätzliches Handeln aus (BGHSt 11, 111 [114]; 35, 246 [250]; BGH, JZ 1964, 231).
200
So liegt der Fall hier jedoch nicht, denn auch hinsichtlich des Patienten M2 G1 lag eine rechtswirksame Einwilligung weder vor, noch hat sich der Angeklagte Dr. K1. irrig Umstände vorgestellt, die bei ihrem tatsächlichen Vorliegen eine rechtswirksame Einwilligung in die Durchführung einer Vasektomie darstellen würden.
201
Auch der Patient M2 G1 selbst hatte weder ausdrücklich noch konkludent eine entsprechende Einwilligung erteilt, was der Angeklagte wusste.
202
Die wirksame Erteilung einer Einwilligung in einen ärztlichen Heileingriff setzt voraus, dass der Patient vor dem Eingriff in der gebotenen Weise über den Eingriff, seinen Verlauf, seine Erfolgsaussichten, Risiken und mögliche Behandlungsalternativen aufgeklärt worden ist (vgl. BGHSt 16, 309; BGHR StGB § 223 Abs. 1 Heileingriff 4 m.w.N.).
203
Am Tag der Operation des J. P. lag hinsichtlich des Patienten M2 G1 lediglich eine durch die Mitangeklagte E. G1. als rechtlicher Betreuerin unterzeichnete Einwilligungserklärung vom 17.02.2016 vor, auf welcher die geplante Durchtrennung beider Samenleiter genannt und die nach einem Aufklärungsgespräch in Abwesenheit des Patienten unterzeichnet worden war. Der Geschädigte ... G1. selbst war weder im Rahmen dieses Gesprächs über die medizinischen Risiken einer im Rahmen der Hernienoperation durchgeführten Vasoresektion noch bei anderer Gelegenheit ärztlich aufgeklärt worden.
204
Der bloße Umstand, dass während der Voruntersuchung des M2 G1 seitens der Angeklagten E2. G1. die Möglichkeit einer zeitgleichen Vornahme einer Vasoresektion angesprochen wurde, führt unter Berücksichtigung der dargestellten rechtlichen Anforderungen an eine wirksame Einwilligung nicht zu einer Einwilligung durch schlüssiges Verhalten. Die Angeklagten haben sich schon nicht dahingehend eingelassen, M2 G1 habe sich hierzu geäußert. Die Angeklagte E2. G1. hat lediglich ausgeführt, er habe es mitbekommen. Auch der Angeklagte Dr. K1. hat lediglich angegeben, er sei davon ausgegangen, davon ausgegangen zu sein, dass mit der Zustimmung des Betreuers alles in Ordnung sei.
205
Ob eine seitens des Patienten M2 G1 erteilte Einwilligung in die Sterilisation als Mittel der Schwangerschaftsverhütung vor dem Hintergrund der Gesamtumstände und der gesetzlichen Wertung des § 1905 BGB insbesondere angesichts des jungen Patientenalters und der gänzlich abstrakten Schwangerschaftsgefahr auf Grund Fehlens einer medizinischen Indikation als sittenwidrig zu bewerten wäre (zur „Gefälligkeitssterilisation“ vgl. Ulseneimer in Laufs/Kern/Rehborn, Handbuch des Arztrechts, § 127 Rn. 25 ff.), kann mangels einer solchen Erklärung offenbleiben.
206
Damit unterlag der Angeklagte keiner fehlerhaften Vorstellung hinsichtlich des Sachverhalts in Bezug auf das Vorliegen einer Einwilligungserklärung, insbesondere nahm er nicht an, die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1905 BGB seien erfüllt, sondern er irrte sich allenfalls über die rechtliche Wirksamkeit der (bloßen) Einwilligung der Betreuerin. Der Angeklagte Dr. K1. irrte über das Verbotensein seines Tuns. Dies stellt einen Verbotsirrtum (§ 17 StGB) dar, der seinen Vorsatz unberührt lässt.
207
Der Angeklagte Dr. K1. handelte trotzt des Fehlens eines konkreten Unrechtsbewusstseins auch schuldhaft. Ein Täter handelt im Falle eines Verbotsirrtums gemäß § 17 S. 1 StGB nur dann ohne Schuld, wenn sein Irrtum unvermeidbar war.
208
Ein Verbotsirrtum ist unvermeidbar, wenn der Täter trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebens- und Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens und unter Einsatz aller seiner Erkenntniskräfte und sittlichen Wertvorstellungen die Einsicht in das Unrechtmäßige nicht zu gewinnen vermochte. Verbleiben Zweifel, ob das Verhalten verboten ist, besteht eine Erkundigungspflicht (stRspr; vgl. etwa BGH Urt. v. 23.7.2019 – 1 StR 433/18, NStZ-RR 2019, 388, 390).
209
Die fehlende konkrete Unrechtseinsicht wäre für den Angeklagten jedoch vermeidbar gewesen.
210
Der Angeklagte Dr. K1. hatte insbesondere Anlass, über die Rechtmäßigkeit seines Tuns nachzudenken.
211
Auf Grund der Personenverwechslung ging der Angeklagte Dr. K1. bei der Durchtrennung der beiden Samenleiter des Geschädigten J. P1. davon aus, einem unter rechtlicher Betreuung stehenden 24-jährigen, kinderlosen jungen Mann mit einer geistigen Behinderung dauerhaft die Fähigkeit zur natürlichen Fortpflanzung zu nehmen. Ihm war weiter bewusst, dass er den Patienten selbst über die Risiken des Eingriffs und den Umstand, dass dieser im Verhältnis zu einer normalen Vasektomie mit erheblich geringeren Erfolgschancen rückgängig zu machen ist, nicht aufgeklärt hatte, sondern dass insoweit lediglich eine Einwilligung der Mutter und gesetzlichen Betreuerin – der Angeklagten E2. G1. vorlag.
212
Dem Angeklagten Dr. K1. war als Arzt zunächst bewusst, dass die Sterilisation als ärztliche Maßnahme einen schweren Eingriff in die körperliche Integrität und in den Kernbereich des Persönlichkeitsrechts darstellt. Weiter wusste der Angeklagte als erfahrener Operateur, dass jeder ärztliche Eingriff juristisch eine Körperverletzung darstellt, die nur dann nicht rechtswidrig ist, wenn nach ordnungsgemäßer Aufklärung des Patienten eine wirksame Einwilligung in diesen erfolgt. Dabei war dem Angeklagten bewusst, dass es zu den wesentlichen Verhaltenspflichten des Arztes gehört, dem Selbstbestimmungsrecht des Patienten Geltung zu verschaffen und dass dieses selbst bei lebensnotwendigen Eingriffen Vorrang vor der medizinischen Auffassung des behandelnden Arztes genießt.
213
Insbesondere hatte der Angeklagte vor dem Hintergrund des Umstands, dass ein weder dringlicher noch medizinisch notwendiger, unter Umständen nicht reversibler, Eingriff an einer nicht einwilligungsfähigen Person durchgeführt werden sollte, Anlass die Rechtmäßigkeit des Vorgehens zu prüfen und gegebenenfalls eine Rechtsauskunft einzuholen.
214
Die grundsätzliche sittliche Problematik der dritt-bestimmten Sterilisation von Menschen geistig Behinderter auch vor dem historischen Hintergrund der Rassenideologie des Nationalsozialismus ist allgemein bekannt und musste sich in der vorliegenden Konstellation aufdrängen.
215
Bei gehöriger Anspannung seiner Geistes- und Gewissenskräfte wäre der Angeklagte Dr. K1. in der Lage gewesen zu erkennen, dass hinsichtlich der Sterilisation eines nicht einwilligungsfähigen Betreuten die Zustimmung des gesetzlichen Betreuers nicht ausreichend ist und angesichts der besonderen Schwere des Eingriffs und der Höchstpersönlichkeit des Eingriffs weitergehende rechtliche Voraussetzungen einzuhalten sind.
216
Dies gilt insbesondere auch für das Erfordernis einer Entscheidung des Betreuungsgerichts. Selbst wenn der Angeklagte Dr. K1. das Erfordernis der Zustimmung des Betreuungsgerichts zur Vornahme der Sterilisation des Betreuten gemäß § 1905 BGB nicht bekannt war, so gehört es zum unverzichtbaren Grundwissen eines Chirurgen, dass es ärztliche Maßnahmen gibt, die auf Grund ihrer schwere der Genehmigung des Betreuungsgerichts bedürfen. So bedarf nach § 1904 BGB bedarf die Einwilligung des Betreuers in ärztliche Maßnahmen der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet.
217
Allgemein gilt, dass im Rahmen des geschäftlichen Tätigwerdens eines Täters für diesen besondere Erkundigungspflichten gelten (BGH, NJW 2008, 1827, 1830; BGH, NStZ 1996, 236, 237). Hierbei hat sich der geschäftlich Tätige vor Aufnahme der Tätigkeit über die in seinem spezifischen Geschäftsfeld geltenden einschlägigen Rechtsvorschriften zu informieren und auch wegen zwischenzeitlicher Änderungen der Rechtslage stets auf dem Laufenden zu halten.
218
Dies muss in einem besonderen Maße für eine Berufsausübung gelten, durch die das hohe Schutzgut der körperlichen Unversehrtheit in besonderer Weise gefährdet werden können.
219
Den Angeklagten Dr. K1. kann hierbei der Umstand, dass er als in der Viszeralchirurgie tätiger Operateur nur sehr selten Vasektomien durchführt, nicht entlasten. Nimmt er einen derartigen Eingriff vor, muss er über die Fachkenntnisse verfügen, die ihn befähigen, die Behandlung lege artis durchzuführen. Nichts anderes kann in Bezug auf die jeweiligen Anforderungen an eine ordnungsgemäße Aufklärung, Bewertung der jeweiligen Indikation und Besonderheiten in Bezug auf Einwilligung und Arztrecht gelten.
220
Nach alledem ist sich der Angeklagte Dr. K1. zwar nicht über die Rechtswidrigkeit seines Handelns im Klaren gewesen. Er hatte jedoch Anlass, über die Rechtmäßigkeit seines Tuns nachzudenken und sich über die Rechtslage zu informieren.
221
Die Einholung von Rechtsrat wäre ihm auch möglich gewesen. Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Erkundigung bei einer geeigneten Person den Irrtum des Angeklagten Dr. K1. nicht beseitigt hätte, bestehen nicht.
222
Auf die Aussage der Mitangeklagten Dr. E2. G1., es sei „alles in Ordnung“ durfte der Angeklagte Dr. K1. hierbei nicht vertrauen.
223
Es handelt sich insoweit weder um eine konkrete Auskunft zur Rechtslage noch war diese verlässlich, was jeweils für den Angeklagten Dr. K1. erkennbar war.
224
Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich und könnte die Unvermeidbarkeit des Irrtums über die Rechtslage begründen, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist. Bei Auskunftspersonen ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bieten. Hinzu kommt, dass der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen darf (vgl. BGH, NStZ 2020, 30).
225
Die Mitangeklagte E. G1. bot schon auf Grund ihres persönlichen Eigeninteresses nicht die erforderliche Gewähr für die Richtigkeit der Auskunftserteilung. Zudem war durch die keine eingehende Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgt.
226
Nach alledem war der Verbotsirrtum des Angeklagten für diesen vermeidbar, so dass der Angeklagte Dr. K1. auch schuldhaft handelte.
227
Das Grunddelikt der vorsätzlichen Körperverletzung war mit der Durchtrennung der Samenstränge des J. P. vollendet.
b. Versuchte Erfolgsqualifikation gemäß §§ 226 Abs. 1 Nr.1, Abs. 2 StGB
228
Die Tat ist im Hinblick auf die Erfolgsqualifizierung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 1 StGB jedoch nicht vollendet, da infolge der zeitnah durchgeführten Vasovasotomie durch Zusammenführen der Samenleiter die Fortpflanzungsfähigkeit des Geschädigten nicht ausschließbar wieder hergestellt werden konnte.
229
Der Angeklagte hatte zwar Vorsatz hinsichtlich der Herbeiführung der schweren Folge des Verlusts der Fortpflanzungsfähigkeit und zur dauerhaften Unfruchtbarmachung des Patienten unmittelbar angesetzt, der Eintritt des erfolgsqualifizierenden Tatbestands blieb jedoch aus, da zu Gunsten des Angeklagten davon auszugehen ist, dass der Geschädigte seine Fähigkeit zur Fortpflanzung durch den operativen Eingriff am 10.03.2016 verloren hat, die Infertilität jedoch nicht ausschließbar binnen einiger Wochen durch einen weiteren operativen Eingriff beseitigt werden konnte. Selbst unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Fähigkeit zur natürlichen Fortpflanzung nicht unmittelbar nach dem Eingriff, sondern frühestens nach Abschluss des postoperativen Heilungsprozesses wieder bestanden hat, ist in dubio pro reo davon auszugehen, dass der eingetretenen schweren Folge die gem. § 226 Abs. 1 StGB erforderliche Langwierigkeit fehlt.
230
Der Angeklagte ist von dem beendeten Versuch der absichtlichen schweren Körperverletzung auch nicht strafbefreiend zurückgetreten, § 24 Abs. 1 StGB. Die Bemühungen des Angeklagten, den Eintritt der dauernden Fortpflanzungsunfähigkeit des Geschädigten P1. zu verhindern, sind insoweit nicht als freiwilliges Abstandnehmen vom Tatplan im Sinne von § 24 StGB anzusehen, da sich dieser auf den Patienten M2 G1 bezog und der Angeklagte Dr. K1. die Bemühungen entfaltete, als er erkannte, dass er insoweit einem error in persona unterlegen war. Von seinem Entschluss, beim Geschädigten ... G1. eine dauerhafte Fortpflanzungsunfähigkeit herbeizuführen ist der Angeklagte Dr. K1. damit nicht freiwillig abgerückt.
231
Die Tatbestände der versuchten qualifizierten schweren Körperverletzung und der vollendeten vorsätzlichen Körperverletzung stehen zueinander im Verhältnis der Tateinheit, § 52 StGB (vgl. Hardtung in MüKo StGB, § 226 Rn. 53 m.w.N.).
2. Schwere Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten ... G1.
232
Durch die absichtliche Sterilisation des Geschädigten ... G1. hat sich der Angeklagte Dr. K1. wegen vollendeter qualifizierter schwerer Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 4, Abs. 2 StGB strafbar gemacht.
233
Durch die Durchtrennung der Samenleiter des Geschädigten ... G1. hat der Angeklagte Dr. K1. zunächst den Grundtatbestand der vorsätzlichen Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB objektiv und subjektiv verwirklicht.
234
Darüber hinaus hat der Angeklagte Dr. K1. mit der absichtlichen Durchtrennung der beider Samenleiter dem Geschädigten ... G1. die Qualifikation der schweren Körperverletzung gemäß § 226 Abs. 1, 2 StGB absichtlich verwirklicht.
235
Dieser Zustand erfüllt den Tatbestand des Verlusts der Fortpflanzungsfähigkeit gemäß § 226 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 4 StGB, da mit der Durchtrennung der Samenleiter die körperliche Fähigkeit zur natürlichen Fortpflanzung eines Mannes beseitigt wird.
236
Auch die am 14.4.2016 an M2 G1 vorgenommene Sterilisation war nicht durch eine wirksame Einwilligung gerechtfertigt.
237
Dem Angeklagten Dr. K1. war zum Zeitpunkt des Eingriffs bei M2 G1 am 14.4.2016 bekannt, dass weiterhin keine Einwilligungserklärung des Patienten selbst vorlag. Insoweit war das Vorstellungsbild des Angeklagten auch frei von Irrtümern.
238
Der Angeklagte Dr. K1. wusste zum einen, dass er weiterhin mit dem Patienten selbst kein Aufklärungsgespräch geführt hatte, was diesen befähigt hätte, eigenverantwortlich die Vorteile und Risiken eines solchen Eingriffs abzuwägen, insbesondere auch im Verhältnis zu einer herkömmlichen durch einen Urologen durchgeführten Vasektomie.
239
Darüber hinaus lag dem Angeklagten Dr. K1., wie er wusste, zwar ein von den gesetzlichen Betreuern unterzeichneter Aufklärungs- und Einwilligungsbogen, jedoch weder eine ausdrückliche noch konkludente Zustimmung des Patienten selbst vor.
240
Der Angeklagte Dr. K1. wusste weiterhin, dass der Geschädigte ... G1. auch nicht einwilligungsfähig war. Hierfür kommt es weder auf Volljährigkeit noch auf zivilrechtliche Geschäftsfähigkeit, sondern entscheidend auf die konkrete Einsichts- und Urteilsfähigkeit an, so dass jeweils für den Einzelfall zu prüfen ist, inwieweit die betroffene Person auf Grund entsprechender Risiko- und Folgenaufklärung), einschließlich der möglichen Versagerquote (vgl. Schleswig VersR 87, 419, aber auch Düsseldorf VersR 87, 412), Bedeutung und Tragweite der Sterilisation hinreichend abzuschätzen vermag. Der Angeklagte Dr. K1. hat insoweit bereits auf ein Aufklärungsgespräch mit dem Patienten M2 G1 verzichtet.
241
Hinsichtlich des Anlasses zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit des ärztlichen Handelns gilt zunächst das unter E I.1. ausgeführte. Darüber hinaus ist zu sehen, dass die Mitangeklagte E. G1. sich zu einem nicht genau feststellbaren Zeitpunkt vor der Operation von M2 G1 gegenüber dem Angeklagten Dr. K1. mit Blick auf die Einwilligung zur Sterilisation dahingehend äußerte, sie wolle sich noch weiter erkundigen.
242
Anhaltspunkte dafür, dass die Mitangeklagte E. G1. , die im Rahmen der Erkundigung beim Betreuungsgericht Rosenheim nach eigenen Angaben lediglich eine „diffuse“ Antwort erhalten hat, dem Angeklagten Dr. K1. über das Gespräch mit dem Betreuungsrichter unzutreffend informiert hat, bestehen nicht. Zur Überzeugung der Kammer vermittelte die Mitangeklagte dem Angeklagten Dr. K1. lediglich, dass sie meine, alles sei in Ordnung.
243
Soweit der Angeklagte auf die Aussage der Angeklagten E2. G1. vertraute, in rechtlicher Hinsicht sei „alles in Ordnung“, begründet dies – wie bereits unter E. I. 1. – weder einen Erlaubnistatbestandsirrtum noch einen unvermeidbaren Verbotsirrtum. Wie bereits ausgeführt, war die Angeklagte E2. G1. ohnehin keine geeignete Auskunftsperson. Hinzu kommt, dass dem Angeklagten Dr. K1. durch die Vorgänge um die Sterilisation des J. P. seine ärztlichen Sorgfaltspflichten und die Tragweite einer entsprechenden Einwilligung nochmals vor Augen geführt wurde.
244
Die dauernde und bis zum heutigen Tage bestehende Unfähigkeit des Geschädigten ... G1. zur natürlichen Fortpflanzung ist dem Angeklagten Dr. K1. auch zurechenbar, obwohl bei diesem eine Refertilisation nicht versucht wurde. Im Schrifttum wird die Meinung vertreten, dass die Dauerhaftigkeit der schweren Folge dem Täter nicht zugerechnet werden kann, wenn deren Beseitigung oder Abmilderung dem Opfer machbar und zumutbar gewesen wäre (eingehend MüKoStGB/Hardtung, § 226 Rn. 42).
245
Der Umstand das seitens des Geschädigten nicht – wie im Fall P... – eine mehrstündige Operation zur Wiederherstellung der Zeugungsfähigkeit versucht wurde, beseitigt den Zurechnungszusammenhang bei wertender Gesamtbetrachtung nicht.
246
Dass der Verletzte eine medizinische Behandlung zur Beseitigung oder Abmilderung der eingetretenen Beeinträchtigungen unterlässt, kann nicht dazu führen, diese vom Täter herbeigeführte gravierende Folge als Gradmesser seiner Strafwürdigkeit auszugrenzen (vgl. BGHSt 17, 161 = NJW 1962, 1067). Zudem war dem Angeklagten Dr. K1. bei Vornahme der Vasektomie bewusst, dass eine Refertilisierung bei dieser Vorgehensweise nur im Rahmen eines äußerst schwierigen Eingriffs und gegenüber einer konventionellen Vasektomie nur mit erheblich geminderten Erfolgsaussichten durchgeführt werden kann.
II. Zur Tat der Angeklagten E2. G1.
247
Durch die Veranlassung des Mitangeklagten Dr. K1. zur Vornahme einer Sterilisation ihres Sohnes ... G1. hat sich die Angeklagte E2. G1. wegen Anstiftung zur schweren Körperverletzung gemäß §§ 226 Abs. 1, Nr. 1 Alt. 4, Abs. 2, 26 StGB schuldig gemacht.
248
Die Angeklagte E2. G1. hat den Tatentschluss des Mitangeklagten Dr. K1. zur Vornahme einer qualifizierten schweren Körperverletzung hervorgerufen, in dem sie diesen mit der Sterilisation ihres volljährigen unter Betreuung stehenden Sohnes ... G1. beauftragte und gemeinsam mit dem Mitangeklagten Dr. H1. M1. G1. als Betreuerin die Einwilligung in den ärztlichen Eingriff erklärte.
249
Die Angeklagte E2. G1. handelte hierbei vorsätzlich sowohl im Hinblick auf die Anstiftungshandlung als auch ihm Hinblick auf die qualifizierte schwere Körperverletzung als Haupttat.
250
Insbesondere unterlag die Angeklagte E2. G1. hinsichtlich der Frage der Wirksamkeit der Einwilligung in die Sterilisation keinem vorsatzausschließendem Tatbestandsirrtum. Die Angeklagte hat geltend gemacht, dass sie davon ausgegangen wäre „alles notwendige getan zu haben“ und der Überzeugung gewesen zu sein, dass ihr Sohn ... eingewilligt habe und alles ausreichend verstanden habe.
251
Die Angeklagte E2. G1. unterlag hierbei keinem Irrtum über die Einwilligungsfähigkeit ihres Sohnes, welcher ihren Vorsatz ausschließen würde. Insbesondere stellte sie sich keine Tatsachen vor, welche bei ihrem zutreffen dazu führen würden, dass M2 G1 in der Lage gewesen wäre auf hinreichender Entscheidungsgrundlage eine selbstbestimmte Entscheidung hinsichtlich der Vornahme einer Sterilisation im Rahmen der Operation zur Behebung der beidseitigen Leistenbrüche zu treffen.
252
Auch soweit die Angeklagte E2. G1. sich sinngemäß dahingehend einließ, gedacht zu haben, dass es ausreichend sei, dass ihr Sohn wisse, dass ein „Schnipp“ gemacht werden solle und er dann keine Kinder mehr zeugen könne, liegt ein vorsatzausschließender Irrtum nicht vor.
253
Tatsächlich ist für die Einwilligungsfähigkeit maßgebend, ob der Betroffene nach ordnungsgemäßer Aufklärung durch den Arzt zu erfassen vermag, aus welchen Gründen eine Sterilisation angezeigt oder gar notwendig ist, und welche Folgen und Auswirkungen dieser Eingriff im Allgemeinen und für ihn im Besonderen nach sich zieht.
254
Bei einem Irrtum über die Anforderungen an die Bejahung einer Einwilligungsfähigkeit läge die Annahme eines vorsatzausschließenden Irrtums über normative Tatbestandsmerkmale zwar nicht fern.
255
Die Angeklagte handelte jedoch zur Überzeugung der Kammer zumindest mit dolus eventualis im Hinblick auf das Fehlen der Einwilligungsfähigkeit, da sie die ernsthafte Möglichkeit des Fehlens der rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen hierfür erkannte und bei ihren Handlungen billigend in Kauf nahm, ohne – was auf Grund der nach ihrer eigenen Einschätzung unklaren Auskunft des Betreuungsrichters nahegelegen hätte – Rechtsrat einzuholen oder sich zumindest zu versichern, dass sie die maßgeblichen Voraussetzungen insoweit kannte. Die Angeklagte E2. G1. hat vor der Möglichkeit der fehlenden Einwilligungsfähigkeit ihres Sohnes jedoch zur Überzeugung der Kammer bewusst die Augen verschlossen.
256
Die Angeklagte E2. G1. hat zunächst gewusst, dass ihr Sohn ... über die medizinischen Risiken nicht ärztlich aufgeklärt worden war. So hat die Angeklagte E2. G1. ganz bewusst bereits das Aufklärungsgespräch in Abwesenheit ihres Sohnes geführt und ihm von dem schriftlichen Aufklärungsbogen lediglich die Bilder gezeigt. Weiterhin war der Angeklagten als rechtlicher Betreuerin bekannt, dass ihr Sohn auf Grund der bestehenden Intelligenzminderung nicht in der Lage war, komplexere Sachverhalte zu erfassen, so dass eine umfassende Betreuung für diesen mit einem Einwilligungsvorbehalt angeordnet. wurde.
257
Die Kammer ist zugunsten der Angeklagten vom Vorliegen eines Verbotsirrtums (§ 17 StGB) im Hinblick auf das Erfordernis einer Genehmigung des Betreuungsgerichts gem. § 1905 BGB a.F. ausgegangen, der jedoch nicht schuldausschließend wirkte, da er jedenfalls vermeidbar war.
258
Ein Verbotsirrtum ist unvermeidbar, wenn der Täter trotz der ihm nach den Umständen des Falles, seiner Persönlichkeit sowie seines Lebens- und Berufskreises zuzumutenden Anspannung des Gewissens und unter Einsatz aller seiner Erkenntniskräfte und sittlichen Wertvorstellungen die Einsicht in das Unrechtmäßige nicht zu gewinnen vermochte. Verbleiben Zweifel, ob das Verhalten verboten ist, besteht eine Erkundigungspflicht (st. Rspr.; vgl. etwa BGH, Urteil vom 23. Juli 2019 – 1 StR 433/18 –, NZWiSt 2020, 444, 447). Dabei müssen sowohl die Auskunftsperson als auch die Auskunft aus Sicht des Täters verlässlich sein; die Auskunft selbst muss zudem einen unrechtsverneinenden Inhalt haben. Eine Auskunft ist in diesem Sinne nur dann verlässlich, wenn sie objektiv, sorgfältig, verantwortungsbewusst und insbesondere nach pflichtgemäßer Prüfung der Sach- und Rechtslage erteilt worden ist. Bei Auskunftspersonen ist dies der Fall, wenn sie die Gewähr für eine diesen Anforderungen entsprechende Auskunftserteilung bieten. Hinzu kommt, dass der Täter nicht vorschnell auf die Richtigkeit eines ihm günstigen Standpunkts vertrauen und seine Augen nicht vor gegenteiligen Ansichten und Entscheidungen verschließen darf (vgl. BGH a. a. O. und Urteil vom 22. Februar 2017 – 2 StR 573/15 –, NStZ 2018, 215, 217 m. w. Nachw.).
259
Gemessen daran war der Irrtum, dem die Angeklagte nicht ausschließbar unterlag, jedenfalls nicht unvermeidbar.
260
Hinsichtlich der Angeklagten E2. G1. ist nicht erkennbar, dass diese ihr Gewissen in ihr zuzumutender Weise gehörig angespannt und sich bemüht hätte, die nach der ersten Auskunft des Betreuungsrichters verbleibenden Zweifel an der Rechtsmäßigkeit ihres Handelns zu klären.
261
Die Angeklagte E2. G1. verfügt über langjährige geschäftliche Erfahrung in Bereich der zahnärztlichen Praxis ihres Ehemannes, des Mitangeklagten Dr. H1. M1. G1. und kam während dieser Zeit zumindest auch mit Fragen der rechtlichen Einwilligung in (zahn-)ärztliche Eingriffe in Kontakt.
262
Die Angeklagte hatte jedoch nicht nur Anlass, daran zu zweifeln, dass ihre Einwilligung in die Sterilisation des Sohnes rechtlich nicht ausreichend war, sondern sie hat dies auch tatsächlich getan und entsprechend Rechtsrat beim zuständigen Betreuungsgericht gesucht, ohne dass ihr die zunächst erteilte Auskunft hinreichend Klarheit verschafft hätte.
263
In dubio pro reo ist die Kammer davon ausgegangen, dass die vom Betreuungsrichter angekündigte ergänzende schriftliche Beantwortung ihrer Anfrage, welche insbesondere den Hinweis auf § 1905 BGB und das Erfordernis der Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Einwilligungsfähigkeit enthielt, von dieser nicht vor Durchführung des Eingriffs am 14.04.2016 zur Kenntnis genommen wurde. Wäre dies der Fall, so läge schon kein Verbotsirrtum vor.
264
Eine durchgeführte Erkundigung bzw. das Abwarten der angekündigten ergänzenden Beantwortung ihrer Anfrage hätte vorliegend auch zur Behebung des Irrtums geführt, da sich die wesentlichen Voraussetzungen auch einem juristischen Laien beim bloßen Lesen der Vorschrift des § 1905 BGB erschlossen hätten und deren Voraussetzungen im vorliegenden Fall nicht erfüllt waren.
265
Der Vorschrift ist insbesondere zu entnehmen, dass die Sterilisation einer volljährigen Person, die unter Betreuung steht, ist nur zulässig, wenn die Person dem Eingriff nicht widerspricht, auf Dauer unfähig zur Einwilligung ist, es sonst zu einer Schwangerschaft, die nicht anders zumutbar verhindert werden kann, kommen würde und dadurch das Leben der Schwangeren gefährdet oder deren körperlicher oder seelischer Gesundheitszustand schwerwiegend beeinträchtigt würde (§ 1905 BGB a.F., nunmehr geregelt in § 1830 BGB).
266
Erforderlich sind daneben die Bestellung und Einwilligung eines Betreuers mit dem alleinigen Aufgabenbereich der Entscheidung über die Sterilisation (sog. Sterilisationsbetreuer), die Anhörung der betroffenen Person, ein Gutachten eines Sachverständigen und die Genehmigung des Betreuungsgerichts.
III. Zur Tat des Angeklagten Dr. H1. M1. G1.
267
Durch die Veranlassung des Mitangeklagten Dr. K1. zur Vornahme einer Sterilisation ihres Sohnes ... G1. hat sich der Angeklagte Dr. H1. M6. G1. wegen Anstiftung zur schweren Körperverletzung gemäß §§ 226 Abs. 1, Nr. 1 Alt. 4, Abs. 2, 26 StGB schuldig gemacht.
268
Der Angeklagte selbst trat zwar nicht unmittelbar mit dem weiteren Angeklagten Dr. K1. in Kontakt, er unterzeichnete jedoch am 18.3.2016 als Betreuer seines volljährigen Sohnes ... G1. die schriftliche Einwilligungserklärung. Zudem können ihm die Handlungen seiner Ehefrau, der Mitangeklagten E. G1. in entsprechender Anwendung von § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden. Eine solche „Mitanstiftung“ ist nach ganz herrschender Meinung möglich.
269
Die Angeklagten Dr. H1. M1. und E. G1. fassen hier einen gemeinsamen Anstifterplan und es entsprach eben jenem Plan, dass die Wahrnehmung der Termine bei Dr. K1. durch die Mitangeklagte E. G1. erfolgen solle, welche das Vorgehen mit den Angeklagten H1. M1. G1. stets abstimmte und diesen über alles unterrichtete. Die Unterzeichnung der schriftlichen Einwilligungserklärung durch den Angeklagten H1. M1. G1. stellt auch einen wesentlichen Tatbeitrag dar, so dass die Handlungen der Mitangeklagten E. G1. dem Angeklagten H1. M1. G1. gemäß § 25 Abs. 2 StGB zugerechnet werden kann. Somit haben die Angeklagten H1. M1. G1. und E. G1. den weiteren Angeklagten Dr. K1. gemeinschaftlich zur Tat bestimmt. Der Angeklagte Dr. H1. M1. G1. handelte zudem vorsätzlich bezüglich der Haupttat und der mittäterschaftlichen Bestimmung des Mitangeklagten Dr. K... .
270
Auch der Angeklagte Dr. H1. M1. G1. unterlag hierbei keinem vorsatzausschließenden tatbestandlichen Irrtum. Insoweit kann auf die Ausführungen zur Mitangeklagten E. G1. verwiesen werden. Der Angeklagte Dr. H1. M1. G1. hatte auf Grund der ständigen Unterrichtung durch seien Ehefrau E. G1. den gleichen Kenntnisstand wie diese. Auch für ihn war der nicht ausschließbar vorliegende Verbotsirrtum im Hinblick auf das Erfordernis einer Genehmigung der Sterilisation durch das Betreuungsgericht unter Berücksichtigung seiner langjährigen Erfahrung als Zahnarzt vermeidbar.
a. Tat zum Nachteil des Geschädigten P1.
271
Ausgangspunkt für die Strafzumessung war der Strafrahmen des § 226 Abs. 2 StGB, der für eine absichtliche schwere Körperverletzung eine Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren vorsieht.
(bb) konkreter Strafrahmen
1) minder schwerer Fall gemäß § 226 Abs. 3 StGB
272
Unter Berücksichtigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hielt die Kammer die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens eines minderschweren Falles gemäß § 226 Abs. 3 StGB für angezeigt.
273
Die Tat des Angeklagten weicht so weit vom typischen, erfahrungsgemäß vorkommenden und vom Gesetzgeber bei der Bestimmung des ordentlichen Strafrahmens zugrunde gelegten Tatbild einer absichtlichen schweren Körperverletzung ab, dass der Strafrahmen eines minder schweren Falles angemessen gewesen wäre.
274
Hierbei hat die Kammer folgende Gesichtspunkte abgewogen:
275
Für den Angeklagten sprach zunächst, dass er nicht vorbestraft ist und die Tat eingeräumt hat. Zugunsten des Angeklagten war weiter zu berücksichtigen, dass er seine Tat selbst unmittelbar nach der Begehung aufgedeckt hat und insoweit die Verantwortung übernommen hat.
276
Der Angeklagte hat sich auch bemüht, eine Vertiefung des eingetretenen Schadens zu einer unter Umständen nicht mehr zu beseitigenden Infertilität des J. P. zu verhindern.
277
Daneben hat die Kammer auch berücksichtigt, dass die Tat im Versuchsstadium steckengeblieben ist.
278
Weiter war zu Gunsten auch die lange Verfahrensdauer zu sehen, die für den Angeklagten erheblich belastend war. Weiter fielen strafmildernd die Umstände ins Gewicht, dass der Angeklagte bereits durch die Presseberichterstattung negative Folgen zu tragen hatte und auch berufsrechtliche Konsequenzen sowie einen Rückgriff seiner Berufshaftpflichtversicherung befürchten muss.
279
Strafschärfend fielen die erheblichen psychischen Auswirkungen der Tat auf das Opfer J. P. ins Gewicht, der durch den zwischenzeitlichen Verlust seiner Fortpflanzungsfähigkeit erheblich belastet war. Weiterhin war zu sehen, dass sich der Angeklagte J. P1. einer erneuten mehrstündigen Operation unterziehen musste, um seine Fortpflanzungsfähigkeit wieder herzustellen.
280
Bei einer Gesamtbetrachtung der vorgenannten Umstände kam die Kammer jedoch zu dem Ergebnis, dass die strafmildernden Umstände erheblich überwiegen, so dass sie den Ausnahmestrafrahmen des minder schweren Falls gemäß § 226 Abs. 3 StGB zur Anwendung gebracht hat. Der Strafrahmen reichte mithin von 1 Jahr Freiheitsstrafe bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe.
2) Vertypte Strafmilderung wegen Verbotsirrtums
281
Auf Grund der Tatsache, dass der Angeklagte bei der Vornahme der Vasektomie bei dem Geschädigten P1. einem vermeidbaren Verbotsirrtum unterlag, hat die Kammer darüber hinaus von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Strafrahmen des § 226 Abs. 3 StGB gemäß §§ 17 S. 2, 49 Abs. 1 StGB zu mindern.
282
Damit war von einem Strafrahmen von 6 Monaten Freiheitsstrafe bis 7 Jahre 6 Monate Freiheitsstrafe auszugehen.
3) Vertypte Strafmilderung gemäß §§ 46a, 49 Abs. 1 StGB
283
Daneben hat die Kammer hinsichtlich der Tat zum Nachteil des Geschädigten P1. von der Möglichkeit der Milderung des Strafrahmens nach §§ 46 a Nr. 1, 49 Abs. 1 StGB Gebrauch gemacht und den Strafrahmen nochmals gemindert.
284
§ 46 a Nr. 1 StGB setzt für den vertypten Strafmilderungsgrund des Täter-OpferAusgleichs voraus, dass der Täter in dem Bemühen, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen, seine Tat ganz oder zum überwiegenden Teil wieder gutgemacht oder deren Wiedergutmachung ernsthaft erstrebt hat. Erforderlich ist ein kommunikativer Prozess zwischen Täter und Opfer, der im Wesentlichen auf den Ausgleich der immateriellen Folgen zielt, Ausdruck der Übernahme von Verantwortung des Täters ist und auf friedensstiftende Wirkung gerichtet ist.
285
Der Angeklagte Dr. K1. hat vorliegend die Wiedergutmachung der Tat ernsthaft erstrebt und eine Summe von 10.000,- Euro zum Ausgleich der durch die Tat hervorgerufenen immateriellen Schäden angeboten. Der Angeklagte hat die Tat eingeräumt und die Verantwortung für diese auch schon im Rahmen eines zivilrechtlichen Vergleichs übernommen. Die vergleichsweise vereinbarte Schmerzensgeldzahlung wurde jedoch nicht vom Angeklagten Dr. K1., sondern von dessen Versicherung geleistet.
286
Der Angeklagte hat auch über seinen Verteidiger und den Nebenklagevertreter einen kommunikativen Prozess mit dem Geschädigten angestoßen, der zwar nicht dazu geführt hat, dass der das an ihn gerichtete Angebot eines finanziellen Ausgleichs angenommen hat, jedoch immerhin eine friedensstiftende Wirkung dahingehend entfaltet hat, dass der Geschädigte über den Nebenklagevertreter mitteilen ließ, dass er die Tat jetzt besser verstünde.
287
Nach alledem hat der Angeklagte eine Wiedergutmachung seiner Tat ernsthaft erstrebt, weshalb die Kammer den Strafrahmen nochmals gemäß §§ 46a Abs. 1 Nr. 1, 49 Abs. 1 StGB gemildert hat.
288
Damit war von einem Strafrahmen von 1 Monat bis 5 Jahre 7 Monate Freiheitsstrafe auszugehen.
4) Keine Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB
289
Von der fakultativen Strafrahmenmilderung wegen Versuchs gemäß §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB hat die Kammer vorliegend nach einer Gesamtschau der Tatumstände sowie der Person des Angeklagten keinen Gebrauch gemacht. Hierbei hat die Kammer die bereits genannten Tatumstände berücksichtigt. Hier kam jedoch den versuchsbezogenen Umständen der großen Nähe zur Tatvollendung und der erheblichen Gefährdung des geschützten Rechtsguts ein überwiegendes Gewicht zu, so dass eine weitere Milderung des Strafrahmens nicht angezeigt war.
290
Im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne hat die Kammer die vorstehenden Gesichtspunkte für und gegen den Angeklagten nochmals abgewogen. Unter Berücksichtigung sämtlicher für und gegen den Angeklagten sprechender Gesichtspunkte erachtete die Kammer daher eine Einzelfreiheitsstrafe von 6 Monaten für tat- und schuldangemessen.
b. Tat zum Nachteil des Geschädigten G1.
291
Auszugehen war wiederum vom Strafrahmen des § 226 Abs. 2 StGB, der für eine absichtliche schwere Körperverletzung eine Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren vorsieht.
(bb) Konkreter Strafrahmen
1) minder schwerer Fall gemäß § 226 Abs. 3 StGB
292
Unter Berücksichtigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hielt die Kammer auch hinsichtlich der Tat zum Nachteil des Geschädigten ... G1. die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens eines minderschweren Falles gemäß § 226 Abs. 3 StGB für angezeigt.
293
Die Tat des Angeklagten weicht auch hier so weit vom typischen, erfahrungsgemäß vorkommenden und vom Gesetzgeber bei der Bestimmung des ordentlichen Strafrahmens zugrunde gelegten Tatbild einer absichtlichen schweren Körperverletzung ab, dass der Strafrahmen eines minder schweren Falles angemessen erscheint.
294
Hierbei hat die Kammer folgende Gesichtspunkte abgewogen:
295
Für den Angeklagten sprach zunächst, dass er nicht vorbestraft ist und die Tat eingeräumt hat.
296
Daneben hat die Kammer auch berücksichtigt, dass die Vornahme der Sterilisation dem natürlichen Willen des Geschädigten entsprochen hat.
297
Weiter war zu Gunsten auch die lange Verfahrensdauer zu sehen, die für den Angeklagten erheblich belastend war. Weiter fielen strafmildernd die Umstände ins Gewicht, dass der Angeklagte bereits durch die Presseberichterstattung negative Folgen zu tragen hatte und auch berufsrechtliche Konsequenzen sowie einen Rückgriff seiner Berufshaftpflichtversicherung befürchten muss.
298
Strafschärfend waren keine besonderen Umstände zu berücksichtigen.
299
Bei einer Gesamtbetrachtung der vorgenannten Umstände kam die Kammer wiederum zu dem Ergebnis, dass die strafmildernden Umstände erheblich überwiegen, so dass sie den Ausnahmestrafrahmen des minder schweren Falls gemäß § 226 Abs. 3 StGB zur Anwendung gebracht hat. Der Strafrahmen reichte mithin von 1 Jahr Freiheitsstrafe bis zu 10 Jahren Freiheitsstrafe.
2) Vertypte Strafmilderung wegen Verbotsirrtums
300
Auf Grund der Tatsache, dass der Angeklagte bei der Vornahme der Vasektomie bei dem Geschädigten G1. einem vermeidbaren Verbotsirrtum unterlag, hat die Kammer darüber hinaus von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, den Strafrahmen des § 226 Abs. 3 StGB gemäß §§ 17 S. 2, 49 Abs. 1 StGB zu mindern.
301
Damit war von einem Strafrahmen von 6 Monaten Freiheitsstrafe bis 7 Jahre 6 Monate Freiheitsstrafe auszugehen.
302
Im Rahmen der Strafzumessung im engeren Sinne hat die Kammer die vorstehenden Gesichtspunkte für und gegen den Angeklagten nochmals abgewogen. Unter Berücksichtigung sämtlicher für und gegen den Angeklagten sprechender Gesichtspunkte erachtete die Kammer daher eine Einzelfreiheitsstrafe von 9 Monaten für tat- und schuldangemessen.
303
Unter nochmaliger Berücksichtigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Strafzumessungsgesichtspunkte, insbesondere des engen zeitlichen und situativen Zusammenhangs der Taten sowie unter Berücksichtigung eines Härteausgleichs ... hat die Kammer deshalb eine Erhöhung der Einsatzfreiheitsstrafe von 9 Monaten auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr für tat- und schuldangemessen erachtet.
3. Strafaussetzung zur Bewährung
304
Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe war zur Bewährung auszusetzen, da erwartet werden kann, dass sich der Angeklagte bereits die Verurteilung zur Warnung dienen lässt und künftig keine Straftaten mehr begehen wird, § 56 Abs. 1 StGB.
305
Die Sozialprognose ist günstig. Gegen den in geordneten Verhältnissen lebenden, nicht vorgeahndeten Angeklagten war erstmals eine Freiheitstrafe zu verhängen.
306
Ausgangspunkt für die Strafzumessung war gem. § 26 StGB der Strafrahmen des § 226 Abs. 2 StGB, der für eine absichtliche schwere Körperverletzung eine Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren vorsieht.
a) minder schwerer Fall gemäß § 226 Abs. 3 StGB
307
Unter Berücksichtigung aller für und gegen die Angeklagte sprechenden Umstände hielt die Kammer jedoch die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens eines minderschweren Falles gemäß § 226 Abs. 3 StGB für angezeigt, so dass sich ein Strafrahmen von 1 Jahr bis 10 Jahren Freiheitsstrafe ergibt.
308
Das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit weicht vorliegend vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle nach einer Gesamtbewertung in einem so erheblichen Maße abweicht, dass die Anwendung dieses Strafrahmens geboten erscheint.
309
Zu Gunsten der Angeklagten war zu sehen, dass sie die Tat in objektiver Hinsicht eingeräumt hat und strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten ist. Weiterhin war zu sehen, dass die Vornahme der Sterilisation nicht ausschließbar dem natürlichen Willen des Geschädigten entsprach und die Angeklagte durch die erforderliche intensive Betreuung ihres Sohns seit dessen Geburt erheblich belastet ist. Die Angeklagte handelte zudem in dem nachvollziehbaren Bestreben, ihrem Sohn, der Angst vor Ärzten und Krankenhäusern hat, einen weiteren chirurgischen Eingriff zu ersparen. Schließlich war die lange Verfahrensdauer und die hiervon ausgehende Belastung für die Angeklagte mildernd zu berücksichtigen.
b) Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 17 S. 2, 49 Abs. 1 StGB
310
Daneben hat die Kammer auf Grund des Umstands, dass die Angeklagte bei Tatbegehung einem vermeidbaren Verbotsirrtum unterlag, von der Strafmilderungsmöglichkeit gem. §§ 17, 49 Abs. 1 StGB Gebrauch gemacht und den Ausnahmestrafrahmen gem. § 226 Abs. 3 BGB ein weiteres Mal gemildert, so dass sich ein Strafrahmen von 3 Monaten bis 7 Jahre 6 Monate Freiheitsstrafe ergab.
311
Nach nochmaliger Abwägung aller oben unter II. genannten für und gegen die Angeklagte sprechenden Umstände erachtete die Kammer eine Freiheitsstrafe von 9 Monaten für tat- und schuldangemessen.
4. Strafaussetzung zur Bewährung
312
Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe war zur Bewährung auszusetzen, da erwartet werden kann, dass sich die Angeklagte bereits die Verurteilung zur Warnung dienen lässt und künftig keine Straftaten mehr begehen wird, § 56 Abs. 1 StGB.
313
Die Sozialprognose ist günstig. Gegen die in geordneten Verhältnissen lebende, nicht vorbestrafte Angeklagte war erstmals eine Freiheitstrafe zu verhängen.
III. Angeklagter Dr. H1. M1. G1.
314
Ausgangspunkt für die Strafzumessung war gem. § 26 StGB der Strafrahmen des § 226 Abs. 2 StGB, der für eine absichtliche schwere Körperverletzung eine Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren vorsieht.
a) minder schwerer Fall gemäß § 226 Abs. 3 StGB
315
Unter Berücksichtigung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hielt die Kammer jedoch die Anwendung des Ausnahmestrafrahmens eines minderschweren Falles gemäß § § 226 Abs. 3 StGB für angezeigt, so dass sich ein Strafrahmen von 1 Jahr bis 10 Jahren Freiheitsstrafe ergibt.
316
Das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit weicht vorliegend vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß gewöhnlich vorkommenden Fälle nach einer Gesamtbewertung in einem so erheblichen Maße abweicht, dass die Anwendung dieses Strafrahmens geboten erscheint.
317
Zu Gunsten des Angeklagten war zu sehen, dass er nicht vorgeahndet ist. Weiterhin war zu sehen, dass die Vornahme der Sterilisation nicht ausschließbar dem natürlichen Willen des Geschädigten entsprach und der Angeklagte durch die erforderliche intensive Betreuung des Sohns belastet ist. Der Angeklagte handelte zudem in dem nachvollziehbaren Bestreben, seinem Sohn, der Angst vor Ärzten und Krankenhäusern hat, einen weiteren chirurgischen Eingriff zu ersparen. Schließlich waren die lange Verfahrensdauer und die hiervon ausgehende Belastung für den Angeklagten mildernd zu berücksichtigen.
318
Zu Lasten des Angeklagten konnte die Kammer keine besonderen Umstände feststellen, so dass die positiven Umstände vorliegend deutlich überwiegen.
b) Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 17 S. 2, 49 Abs. 1 StGB
319
Daneben hat die Kammer auf Grund des Umstands, dass der Angeklagte bei Tatbegehung einem vermeidbaren Verbotsirrtum unterlag, von der Strafmilderungsmöglichkeit gem. §§ 17, 49 Abs. 1 StGB Gebrauch gemacht und den Ausnahmestrafrahmen gem. § 226 Abs. 3 BGB ein weiteres Mal gemildert, so dass sich ein Strafrahmen von 3 Monaten bis 7 Jahre 6 Monate Freiheitsstrafe ergab.
320
Nach nochmaliger Abwägung aller oben unter II. genannten für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände erachtete die Kammer eine Freiheitsstrafe von 9 Monaten für tat- und schuldangemessen.
4. Strafaussetzung zur Bewährung
321
Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe war zur Bewährung auszusetzen, da erwartet werden kann, dass sich der Angeklagte bereits die Verurteilung zur Warnung dienen lässt und künftig keine Straftaten mehr begehen wird, § 56 Abs. 1 StGB.
322
Die Sozialprognose ist günstig. Gegen den in geordneten Verhältnissen lebenden, nicht vorgeahndeten Angeklagten war erstmals eine Freiheitstrafe zu verhängen.
323
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 464, 465 Abs. 1, 472 StPO.