Inhalt

OLG Bamberg, Beschluss v. 14.02.2023 – 2 WF 216/22
Titel:

Verfahrenskostenhilfe nach vereinfachtem Unterhaltsverfahren

Normenketten:
ZPO § 113, § 114
FamFG § 240
Leitsätze:
1. Zur verfahrenskostenhilferechtlichen Mutwilligkeit des nicht rechtzeitigen Vorbringens zur eingeschränkten Leistungsfähigkeit im vorausgegangenen vereinfachten Unterhaltsfestsetzungsverfahren. (Rn. 11 – 13)
2. Die erstmalige rechtzeitige Behauptung eingeschränkter Leistungsfähigkeit im Abänderungsverfahren gemäß § 240 FamFG stellt sich bei vorausgegangenem vereinfachten Unterhaltsverfahren als mutwillig dar, wenn entsprechendes Vorbringen dort versäumt wurde. (Rn. 13)
3. Ein wirtschaftlich leistungsfähiger Beteiligter hätte zur Vermeidung der Kosten des Abänderungsverfahrens den Einwand fehlender Leistungsfähigkeit bereits im vereinfachten Unterhaltsfestsetzungsverfahren rechtzeitig und ordnungsgemäß erhoben. In diesem Fall wäre der im Abänderungsverfahren bekämpfte Titel bereits nicht erlassen worden. (Rn. 12)
Schlagworte:
Verfahrenskostenhilfe, vereinfachtes Unterhaltsverfahren, mutwillig, Leistungsfähigkeit, Abänderungsverfahren
Vorinstanz:
AG Aschaffenburg, Beschluss vom 01.12.2022 – 3 F 1200/22
Fundstellen:
FamRZ 2023, 1303
BeckRS 2023, 4795
FuR 2023, 451
NJW 2023, 1971
LSK 2023, 4795

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Amtsgerichts Aschaffenburg vom 01.12.2022, Az. 3 F 1200/22, wird zurückgewiesen.
2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich gegen die Ablehnung ihres Antrags auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für ein Abänderungsverfahren betreffend einen Titel über Kindesunterhalt.
2
1. Mit Schreiben vom 30.05.2022 beantragte das Landesamt für Finanzen – Dienststelle … – die Festsetzung der Verpflichtung zur Zahlung von gemäß § 7 Abs. 1, Abs. 4 UVG übergegangenem und zukünftigem Kindesunterhalt gegen die Beschwerdeführerin im vereinfachten Unterhaltsverfahren gemäß §§ 249ff FamFG. Nachdem die Beschwerdeführerin binnen eines Monats (§ 251 Abs. 1 Nr. 3 FamFG) keine Einwendungen erhob, verpflichtete das Amtsgericht sie mit Beschluss gemäß § 253 FamFG vom 21.07.2022 zur Zahlung von Kindesunterhalt für das Kind K ab dem 01.06.2022 in Höhe von 100% des Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe abzüglich des vollen Kindergeldes für ein erstes Kind sowie zur Zahlung von rückständigem Unterhalt für den Zeitraum 01.11.2021 bis 31.05.2022 in Höhe von 2.188,00 €.
3
Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 19.08.2022 erhob die Beschwerdeführerin Beschwerde gegen den Festsetzungsbeschluss, wobei sie sich auf eine fehlende Leistungsfähigkeit zur Zahlung des Kindesunterhalts berief. Die Beschwerde wurde mit Beschluss des Senats vom 19.10.2022 (Az. 2 WF 168/22) als unzulässig verworfen und ein Antrag auf Gewährung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren zurückgewiesen. Zur Begründung verwies der Senat auf den Einwendungsausschluss gemäß § 252 Abs. 4 i.V.m. § 256 Satz 2 FamFG.
4
Mit Schriftsatz vom 07.10.2022 beantragte die Beschwerdeführerin im Rahmen eines Abänderungsverfahrens gemäß § 240 FamFG festzustellen, dass sie in Abänderung des Beschlusses vom 21.07.2022 nicht zur Zahlung von Unterhalt für das Kind K verpflichtet sei. Weiterhin beantragte sie die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe für die Durchführung des Verfahrens.
5
Der Antragsgegner wandte sich mit Schriftsatz vom 24.11.2022 gegen die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe, da diese im Hinblick auf den nicht rechtzeitigen Einwand fehlender Leistungsfähigkeit im vorhergehenden vereinfachten Unterhaltsverfahren mutwillig sei. Hilfsweise sei zudem auch die Leistungsunfähigkeit nicht schlüssig dargelegt.
6
2. Mit Beschluss vom 01.12.2022 hat das Amtsgericht die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe abgelehnt. Die Rechtsverfolgung sei mutwillig im Sinne von § 114 ZPO, da ihr mit der Möglichkeit des Einwands der Leistungsunfähigkeit im vereinfachten Unterhaltsverfahren eine einfachere und billigere Möglichkeit der Geltendmachung eröffnet gewesen wäre.
7
3. Gegen den ihren Verfahrensbevollmächtigten am 02.12.2022 zugestellten Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer am 08.12.2022 beim Amtsgericht eingegangenen sofortigen Beschwerde. Sie sei aufgrund der Betreuung dreier minderjähriger Kinder offenkundig nicht in der Lage, den festgesetzten Unterhalt zu zahlen, so dass die Rechtsverfolgung Aussicht auf Erfolg habe. Auch entstünden im Rahmen des Abänderungsverfahrens keine anderen Kosten als im vereinfachten Unterhaltsverfahren. Für dieses wäre der Beschwerdeführerin Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen gewesen. Aus der gesetzlichen Regelung des Abänderungsverfahren ergebe sich ferner, dass Vortrag im Abänderungsverfahren nicht wegen der Möglichkeit der früheren Geltendmachung im vereinfachten Unterhaltsverfahren präkludiert sei und der Gesetzgeber die Möglichkeit schaffen wollte, materiell-rechtlich falsche Entscheidungen wieder zu korrigieren. Die Wahrnehmung dieser Möglichkeit sei nicht mutwillig.
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Das Amtsgericht hat der Beschwerde mit Beschluss vom 09.12.2022 unter Bezugnahme auf die Gründe der angegriffenen Entscheidung nicht abgeholfen. Mit Beschluss vom 13.02.2023 hat der Einzelrichter das Verfahren dem Senat zur Entscheidung übertragen.
II.
9
Gegen die Entscheidung im Rahmen der Verfahrenskostenhilfe ist gemäß §§ 76 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO die sofortige Beschwerde gemäß §§ 567ff ZPO das statthafte Rechtsmittel. Im Übrigen unterliegt die Zulässigkeit keinen Bedenken.
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Die Beschwerde ist jedoch unbegründet. Das Amtsgericht hat den Antrag zu Recht aufgrund Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung zurückgewiesen, §§ 76 Abs. 1 FamFG, 113, 114 ZPO.
11
1. Mutwilligkeit liegt vor, wenn ein verständiger, nicht hilfsbedürftige Beteiligter bei sachgerechter und vernünftiger Einschätzung der Prozesslage seine Rechte nicht in gleicher Weise verfolgen würde. Aus der gemäß Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verfassungsrechtlich gewährleisteten weitgehenden Rechtsschutzgleichheit folgt, dass der mittellose Beteiligte nur einer solchen „normalen“ Partei gleichgestellt werden muss, die ihre Prozessaussichten vernünftig abwägt und dabei auch das Kostenrisiko berücksichtigt. Es ist nicht Zweck der Prozesskostenhilfe, auf Kosten der Allgemeinheit bedürftigen Personen Prozesse zu ermöglichen, die ein wirtschaftlich leistungsfähiger Beteiligter bei vernünftiger und sachgerechter Einschätzung der Sach- und Rechtslage nicht führen würde (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss v. 09.01.2020, Az. III ZA 18/19).
12
2. Die Rechtsverfolgung der Beschwerdeführerin im Abänderungsverfahren gemäß § 240 FamFG stellt sich in diesem Sinne als mutwillig dar, weil ein wirtschaftlich leistungsfähiger Beteiligter zur Vermeidung der Kosten dieses Verfahrens den mit der Antragsschrift vorgebrachten Einwand fehlender Leistungsfähigkeit bereits zu einem früheren Zeitpunkt dem Zahlungsbegehren entgegengehalten hätte. In diesem Fall wäre der im Abänderungsverfahren bekämpfte Titel bereits nicht erlassen worden.
13
Nachdem der Antragsgegner an das unterhaltsberechtigte Kind seit dem 01.11.2021 Leistungen nach dem Unterhaltsvorschussgesetz erbringt, wurde die Beschwerdeführerin insoweit mit Schreiben des Antragsgegners vom 16.11.2021 zur Zahlung aufgefordert. Es wäre ihr daher bereits vor Antragstellung im Verfahren nach §§ 249ff FamFG möglich gewesen, zur Vermeidung eines gerichtlichen Verfahrens ihre Leistungsunfähigkeit gegenüber dem Antragsteller geltend zu machen und nachzuweisen. Jedenfalls hätte ein wirtschaftlich denkender leistungsfähiger Beteiligter in der Position der Beschwerdeführerin nach Erhalt der Antragsschrift im vereinfachten Unterhaltsverfahren (252 FH 66/22 Amtsgericht Aschaffenburg = 2 WF 168/22 OLG Bamberg) am 20.06.2022 binnen der Monatsfrist gemäß § 251 Abs. 1 Nr. 3 FamFG Einwendungen gegen die Festsetzung des Unterhalts erhoben. Die Beschwerdeführerin war mit Verfügung vom 01.06.2022 entsprechend § 251 Abs. 1 FamFG auf die Möglichkeit der Erhebung von Einwendungen und die Folgen einer Versäumung der Monatsfrist hingewiesen worden. Nachvollziehbare Gründe, aus denen ihr eine Mitwirkung im Verfahren nach §§ 249ff FamFG nicht möglich war, hat die Beschwerdeführerin nicht vorgetragen. Soweit mit Schriftsatz vom 19.08.2022 behauptet wird, dass die Beschwerdeführerin von dem Antrag überrascht gewesen sei und damit nicht habe umgehen können, kann dies bereits deshalb nicht überzeugen, weil ihr seit dem Aufforderungsschreiben des Antragsgegners vom 16.11.2021 die gegen sie gerichtete Unterhaltsforderung bekannt war. Mit der Erhebung des Einwands der Leistungsunfähigkeit wäre es zu einer Unterhaltsfestsetzung im vereinfachten Verfahren nicht gekommen. Ein Abänderungsverfahren gemäß § 240 FamFG wäre nicht erforderlich gewesen. Der Beschwerdeführerin stand somit eine einfachere und billigere Möglichkeit der Geltendmachung ihrer Rechte offen, so dass sich deren Verfolgung im Abänderungsverfahren als mutwillig darstellt (so auch OLG Celle, Beschluss v. 29.05.2013, Az. 10 WF 100/13; Prütting/Helms-Bömelburg, FamFG, 6. Aufl., § 240 Rn. 33; ZöllerFeskorn, ZPO, 34. Aufl., § 76 FamFG Rn. 16).
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3. Etwas anderes folgt nicht aus der Rechtsnatur des vereinfachten Unterhaltsverfahrens, nach dessen Durchführung Titel im Abänderungsverfahren gemäß § 240 FamFG überprüft werden können (so aber OLG Stuttgart, Beschluss v. 28.01.2021, Az. 11 WF 171/20a; Prütting/Helms-Dürbeck, a.a.O., § 76 Rn. 50).
15
a) Zwar handelt es sich bei § 240 FamFG im Gegensatz zum Abänderungsverfahren nach § 238 FamFG um einen Korrekturantrag, der den Beteiligten die Möglichkeit gibt, aufgrund der pauschalen Festsetzung des Unterhalts bei stark begrenzten Einwendungen des Schuldners im Verfahren nach §§ 249ff FamFG ohne Präklusion tatsächlichen Vorbringens entsprechend einem Erstantrag behandelt zu werden (vgl. BGH, Urteil v. 02.10.2002, Az. XII ZR 346/00 zu § 654 ZPO a.F.; MüKo/FamFG-Pasche, 3. Aufl., § 240 Rn. 1; Sternal-Weber, FamFG, 21. Aufl., § 240 Rn. 2f). Die aufgrund der engen Verbundenheit der Verfahren nach §§ 249ff FamFG und § 240 FamFG eröffnete uneingeschränkte Prüfung der materiellrechtlichen Rechtslage darf jedoch nicht mit den Voraussetzungen mutwilliger Prozessführung vermengt werden. Vielmehr besteht gerade aufgrund der sich stets uneingeschränkt anschließenden Korrekturmöglichkeit im Abänderungsverfahren Anlass, die zumutbar möglichen und berücksichtigungsfähigen Einwendungen im Verfahren nach §§ 249ff FamFG vorzutragen.
16
b) Das Korrekturverfahren nach § 240 FamFG ist trotz seiner Selbständigkeit aufgrund der zeitlich und materiell-rechtlich nicht beschränkten Prüfung eher mit einem Beschwerdeverfahren (§§ 58ff FamFG) als mit dem Abänderungsverfahren gemäß § 238 FamFG vergleichbar. Hat in einem Rechtsmittelverfahren ein Rechtsmittel jedoch nur auf Grund neuen Vorbringens, das der Rechtsmittelführer auch in der ersten Instanz hätte geltend machen können, Aussicht auf Erfolg, ist die Rechtsverfolgung anerkanntermaßen mutwillig, weil dieses bei sorgfältiger Prozessführung hätte vermieden werden können (OLG Brandenburg, Beschluss v. 04.02.2019, Az. 13 UF 159/18; OLG Köln, Beschluss v. 17.08.2018, Az. 10 UF 35/18; Zöller-Schultzky, a.a.O, § 114 Rn. 54; MüKo/ZPO-Wache, 6. Aufl.; § 114 Rn. 71). Allein aus dem Umstand, dass der Beschwerdeführer bzw. vorliegend die Antragstellerin gesetzlich gewährte verfahrensrechtliche Befugnisse wahrnimmt, folgt daher nicht, dass insoweit eine Mutwilligkeit der Rechtsverfolgung ausgeschlossen ist (so aber OLG Stuttgart, a.a.O.). Die Mutwilligkeit bezieht sich allein auf die kostenrechtliche Vorwerfbarkeit der Rechtsverfolgung, schließt diese jedoch nicht aus.
17
Hierfür spricht auch der in § 243 Satz 2 Nr. 2 FamFG enthaltene Grundsatz, dass die Verletzung einer vorprozessualen Auskunftspflicht entsprechend dem Veranlasserprinzip die Kostenpflicht des Unterhaltsschuldners begründen kann. Vorliegend bestand bereits vor Einleitung des Verfahrens nach §§ 249ff FamFG die Auskunftspflicht der Antragstellerin. Spätestens im Verfahren selbst hätte sie zur Vermeidung eines nachfolgenden Beschwerde- oder Abänderungsverfahrens indes unter der ihr möglichen und zumutbaren Vorlage von Belegen Angaben zu ihrer Leistungsfähigkeit machen müssen.
18
4. Über die Kosten des Beschwerdeverfahrens ist nicht zu entscheiden (§§ 76 Abs. 1 FamFG, 127 Abs. 4 ZPO).
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5. Die Rechtsbeschwerde ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen, da die Frage der Versagung von Verfahrenskostenhilfe wegen Mutwilligkeit bei erstmals im Abänderungsverfahren nach § 240 FamFG vorgebrachten Einwendungen in Rechtsprechung und Literatur umstritten ist (§§ 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 ZPO).