Titel:
Mitarbeiterbeteiligungsprogramm - Verfall von ausübbaren virtuellen Optionen nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
Normenkette:
BGB § 307 Abs. 1 S. 2, Abs. 2 Nr. 1
Leitsätze:
1. Bei der Gewährung von virtuellen Optionsrechten als freiwillige Leistung des Arbeitgebers handelt es sich nicht um einen bereits verdienten finanziellen Vorteil, sondern lediglich um eine Gewinnchance. Daher ist eine Verfallsregelung aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zulässig, die lediglich eine längere „Spekulationsfrist“ (hier: mehr als 24 Monate) abschneidet. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für bestimmte Sonderleistungen können hinsichtlich der Zulässigkeit von Verfallklauseln nicht uneingeschränkt auf Aktienoptionen bzw. virtuelle Optionen übertragen werden, da diese einen deutlich höheren spekulativen Charakter aufweisen. (Rn. 33 – 34) (redaktioneller Leitsatz)
3. Stichtagsregelungen als sog. „Typisierung in der Zeit” sind zur Abgrenzung des begünstigten Personenkreises zulässig, sofern sich die Wahl des Zeitpunkts am zu regelnden Sachverhalt orientieret und die Interessenlage der Betroffenen angemessen erfasst. Die mit einer Verfallsklausel verbundene Zielsetzung durch die Gewährung von virtuellen Optionsrechten, auf Wunsch der dann noch beschäftigten Bestandsmitarbeiter diese dafür zu belohnen, dass sie über die gesamte Wachstumsphase des Unternehmens diesem treu geblieben sind, ist mit dem durch Optionen verbundenen Zweck – Bindung der Mitarbeiter – vereinbar und daher interessengerecht. (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Mitarbeiterbeteiligungsprogramm, Beendigung des Arbeitsverhältnisses, Sonderleistungen, spekulativer Charakter, Verfall von virtuellen Optionen, Ausübungsereignis, Gleichbehandlungsgrundsatz, Unangemessene Benachteiligung
Rechtsmittelinstanzen:
ArbG München, Berichtigungsbeschluss vom 08.03.2023 – 20 Ca 7325/22
LArbG München, Urteil vom 07.02.2024 – 5 Sa 98/23
Fundstelle:
BeckRS 2023, 47564
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Der Streitwert wird auf € 39.166,10 festgesetzt.
4. Die Berufung wird nicht zugelassen, soweit sie nicht kraft Gesetztes statthaft ist.
Tatbestand
1
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf virtuelle Optionen.
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Der Kläger war vom 01.04.2018 bis 31.08.2020 bei der Beklagten auf der Basis des Arbeitsvertrags vom 14.02.2018 (Anlage K 1, Bl. 7 ff. d.A.) angestellt, zuletzt als Senior Customer Success Manager – Strategic Accounts. Das Arbeitsverhältnis endete durch Eigenkündigung des Klägers vom 29.05.2020.
3
Am 24.08.2019 erhielt der Kläger ein Zuteilungsschreiben der Beklagten über 23 virtuelle Optionsrechte (sogenannter „Allowance Letter“, Anlage K 3, Bl. 19 f. d.A.). Abs. 2 des Allowance Letters führt aus, dass die virtuellen Optionen ausschließlich als Anreiz für die Zukunft und nicht für in der Vergangenheit erbrachte Leistungen gewährt werden und der Kläger für die virtuellen Optionen keine Gegenleistung erbringen muss. Abs. 6 des Allowance Letters verweist auf die dem Schreiben beigefügten ESOPs, d.h. die Employee Stock Option Provisions, die den rechtlichen Rahmen für die Optionsrechte bilden, sofern im Allowance Letter nicht etwas Abweichendes vereinbart wurde. Als Anreiz für die Zukunft waren die Optionen nicht sofort mit Zuteilung unverfallbar, sondern sollten über einen gewissen Zeitraum nach und nach unverfallbar werden (sog. „vesten“).
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Ziffer 4.5 der ESOPs, die zum Zeitpunkt des Arbeitsverhältnisses des Klägers galten (im Folgenden: ESOP Oktober 2016), regelte, dass bereits unverfallbare virtuelle Optionen nach Maßgabe einer Tabelle verfallen, wenn das Anstellungs- oder Dienstverhältnis des Berechtigten mit einer Gesellschaft des C.-Konzerns vor einem Ausübungsereignis endet.
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Auf die Tabelle auf Seite 3 des Schriftsatzes vom 18.11.2022 (Bl. 48 d.A.) wird verwiesen. Aus dieser Tabelle ergibt sich, dass die Optionsrechte je Quartal nach dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis um 12,5% verfallen, sodass sie nach zwei Jahren vollständig verfallen sind.
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Während des Lauf des Arbeitsverhältnisses der Parteien und auch innerhalb von zwei Jahren nach dessen Beendigung trat ein Ausübungsereignis nicht ein.
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Zum Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers am 31.08.2020 waren 31,25% der Optionsrechte des Klägers unverfallbar, d.h. 7,1875 Stück virtuelle Optionen waren am 31.08.2020 unverfallbar. Nach dem Ausscheiden des Klägers gab es bei der Beklagten einen sogenannten Stock Split im Verhältnis von 1:20. Das bedeutet, für jede Aktie vor dem Split gab es nun 20 Aktien nach dem Split.
8
Im Jahr 2022 änderte die Beklagte für alle Bestandsmitarbeiter die ESOPs und verzichtete auf die Klausel zum automatischen Fall der Optionsrechte für alle zukünftigen Austritte ab dem 01.03.2022.
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Mit Schreiben vom 02.06.2022 (Anlage K 5, Bl. 23 f. d.A.) machte der Kläger seine Ansprüche auf die virtuellen Optionen geltend. Die Beklagte lehnte den Anspruch des Klägers ab.
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Mit seiner am 20.08.2022 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage begehrt der Kläger die Feststellung, dass die ihm zugeteilten und gevesteten virtuellen Optionen im Umfang von 143,75 Stück nicht aufgrund seiner Eigenkündigung verfallen seien. Eine Leistungsklage sei aktuell noch nicht möglich, da die tatsächliche Höhe einer etwaigen Zahlung davon abhänge, dass ein sogenanntes Ausübungsereignis eintrete. Dem Grunde nach sei sein Anspruch allerdings feststellbar, da die Beklagte das Bestehen der virtuellen Optionen des Klägers ablehnte.
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Seinen Anspruch leitet der Kläger aus § 611a Abs. 2 BGB i.V.m. dem Allowance Letter vom 24.08.2019 ab. Die virtuellen Optionen seien ein essenzieller Bestandteil des Vergütungspakets der Arbeitnehmer und könnten nicht einfach wieder „entfernt“ werden. Ein solch nachträglicher Verfall sei zudem eine unsachgemäße Kündigungserschwerung und benachteilige den Kläger unangemessen. Bei den gewährten Optionen handele sich um einen Gehaltsbestandteil, da bereits in der Ausschreibung für die Stelle des Klägers die Beklagte mit einem attraktiven Vergütungsmodell mit „Anteils-Paketen“ geworben habe. Auch sei die Anreizfunktion des Allowance Letters erfüllt, da der Kläger die im Zuteilungsschreiben erwähnte „Zukunft“ bei der Beklagten tatsächlich verbracht habe, nämlich weitere 15 Monate. Damit habe der Kläger seine Gegenleistung erbracht. Der Entzug von bereits erarbeitetem Entgelt durch eine Verfallklausel widerspreche dem Grundgedanken des § 611a BGB. Der Kläger sieht keinen Grund dafür, hinsichtlich eines Verfalls zwischen anderen Sonderzahlungen und Optionsrechten zu unterscheiden.
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Auch habe die Beklagte keinen Grund vorgetragen, warum die Verfallklausel in dem konkreten Fall wirksam sein solle. Zudem unterscheide die Verfallklausel nicht danach, aus welchem Grund das Arbeitsverhältnis beendet wurde. Damit seien auch solche Konstellation eingeschlossen, in denen das vertragswidrige Verhalten der Beklagten eine Kündigung des Arbeitnehmers veranlasst.
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Zudem habe die Beklagte eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung geschaffen, indem von diesem nachträglichen Verfall diejenigen Mitarbeiter ausgenommen seien, die am oder nach dem 01.03.2022 ihr Arbeitsverhältnis gekündigt hätten.
Es wird festgestellt, dass die dem Kläger mit dem Allowance Letter vom 24.08.2019 zugeteilten und bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses gevesteten 143,75 Stück Virtuelle Optionen an der C. nicht aufgrund der Eigenkündigung des Klägers vom 29.05.2020 verfallen sind.
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Die Beklagte beantragt,
*berichtigt gem. Beschluss v. 08.03.23 in die Klage abzuweisen. „31.08.2020“
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Die Beklagte ist der Auffassung, die virtuellen Optionsrechte seien aufgrund der Eigenkündigung des Klägers zum 01.08.2020* zwischenzeitlich verfallen. Die Beklagte beruft sich auf die Verfallregelungen in Ziffer 4.5 der damals geltenden ESOPs. Die Gewährung der Optionsrechte erfolge zum einen allein zur Belohnung der Betriebstreue und habe deshalb keinen Entgeltcharakter. Der Kläger habe für die Optionsrechte auch keine Gegenleistung erbringen müssen bzw. habe eine solche auch nicht erbracht. Zum anderen sei aufgrund des hochspekulativen Charakters von Optionsrechten die Verfallklausel wirksam. Es handele sich lediglich um eine Erwerbschance, so dass bei einem Verfall dieser Chance keine Abweichung von § 611a BGB vorliege, da gerade nicht erdienter Lohn entzogen werde.
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Die Verfallklausel verfolge den Zweck, eine Bindungswirkung zu erzielen und für die Arbeitnehmer über den reinen Vesting-Zeitraum hinaus bis zum Eintritt eines Ausübungsereignisses einen Anreiz zu schaffen, dem Unternehmen treu zu bleiben. Es sei auch zu beachten, dass die virtuellen Optionsrechte vorliegend nicht sofort bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses verfallen, sondern erst linear über einen Zeitraum von zwei Jahren. Auch aus dem Arbeitsvertrag ergebe sich kein Anspruch auf die Gewährung von unverfallbaren Optionsrechten. Der Arbeitsvertrag regele abschließend die von der Beklagten geschuldete Arbeitsvergütung. Die Zuteilung von virtuellen Optionsrechten sei dort nicht erwähnt. Bei den virtuellen Optionen handele es sich um eine freiwillige Leistung der Beklagten, auf die der Kläger keinen vertraglichen Anspruch habe. Aus der Stellenausschreibung ließen sich keine unmittelbaren Ansprüche herleiten.
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Auch liegt nach Auffassung der Beklagten keine Ungleichbehandlung vor. Die Änderung der ESOPs im Jahr 2022 habe keine Auswirkungen auf die Rechtsposition des Klägers. Es handele sich um eine Stichtagsentscheidung, die sich für alle zum 01.03.2022 Beschäftigten gleichermaßen positiv auswirke. Der Kläger habe sich nicht in einer vergleichbaren Position befunden, da er zum Stichtag 01.03.2022 kein Bestandsmitarbeiter mehr war.
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Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze vom 22.08.2022, vom 07.10.2022, vom 18.11.2022, vom 21.12.2022 und vom 10.01.2023 – jeweils nebst Anlagen – sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 14.10.2022 und vom 18.01.2022 Bezug genommen, §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 495, 313 Abs. 2 ZPO.
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
21
Die Rechtswegzuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen ergibt sich aus § 2 Abs. 1 Nr. 3 a ArbGG.
22
Die örtliche Zuständigkeit des Arbeitsgerichts München folgt aus §§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 17 ZPO, da die Beklagte ihren Sitz im Bereich des Arbeitsgerichts München hat.
23
Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche besondere Feststellungsinteresse besteht. Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn die Klagepartei ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Die Feststellungsklage kann sich auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken (sog. Elementenfeststellungsklage, BAG vom 06.07.2011 − 4 AZR 424/09, NZA 2012, 281, beck-online).
24
Das erforderliche Feststellungsinteresse ist allerdings nur dann gegeben, wenn durch die Entscheidung über den Feststellungsantrag der Streit insgesamt beseitigt wird und das Rechtsverhältnis der Parteien abschließend geklärt werden kann (BAG vom 14.12.2005 – 4 AZR 522/04, NJOZ 2006, 2534, beck-online). Die Rechtskraft der Entscheidung muss weitere gerichtliche Auseinandersetzungen über die zwischen den Parteien strittigen Fragen um denselben Fragenkomplex ausschließen (BAG vom 29.11.2001 – 4 AZR 757/00, AP ZPO 1977 § 256 Nr. 69, beck-online). Weiter ist erforderlich, dass die Feststellung deshalb nötig erscheint, weil es über das Bestehen oder Nichtbestehen des Rechtsverhältnisses einen Streit zwischen den Parteien gibt, der sich in irgendeiner Form auf Leistungsverpflichtungen der Parteien auswirkt (BAG vom 06.07.2011 − 4 AZR 424/09, a.a.O.)
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In Anwendung dieser Grundsätze ist vorliegend das erforderliche Feststellungsinteresse gegeben. Ob dem Kläger noch virtuelle Optionen zustehen oder ob diese bereits verfallen sind, ist zwischen den Parteien streitig. Ein Feststellungsurteil ist dazu geeignet, diesen Streit abschließend zu klären. Der Streit wirkt sich auch noch auf Leistungsverpflichtungen der Parteien aus.
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Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen auch im Übrigen nicht.
27
Die Klage ist unbegründet. Die virtuellen Optionen sind aufgrund der Eigenkündigung des Klägers verfallen. Die Kammer schließt sich damit der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts im Urteil vom 28.05.2008 (10 AZR 351/07, NZA 2008, 1066, beck-online) an.
28
1. Dem Anspruch des Klägers steht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Eigenkündigung des Klägers vom 29.05.2020 zum 31.08.2020 entgegen. Ziffer 4.5 der ESOPs Oktober 2016 beinhalten einen linearen Verfall bereits unverfallbar gewordener virtueller Optionen über 24 Monate, wenn das Arbeitsverhältnis – wie vorliegend – vor einem Ausübungsereignis endet. Nachdem bereits mehr als 24 Monate nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.08.2020 vergangen sind, liegen die Voraussetzungen dieser Verfallklausel auch vor.
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2. Entgegen der Auffassung des Klägers ist diese Klausel nicht unwirksam. Eine unangemessene Benachteiligung im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB liegt nicht vor.
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a. Bei den Regelungen der ESOPs Oktober 2016 handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen im Sinne von § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die ESOPs wurden dem Kläger gemeinsam mit dem Allowance Letter übermittelt. Es handelt sich um für eine Vielzahl von Vereinbarungen vorformulierte und einseitig gestellte Bedingungen, die für alle Teilnehmer des Programms einheitlich gestaltet waren.
31
b. Eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB ist nicht gegeben. Der Wortlaut der Ziffer 4.5 der ESOPs Oktober 2016 ist eindeutig: Unabhängig davon, welches Ereignis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat, verfallen die virtuellen Ansprüche linear über einen Zeitraum von 24 Monaten.
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c. Nach § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel dann anzunehmen, wenn eine Bestimmung in Allgemeinen Geschäftsbedingungen mit wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist. Dabei ist die Frage, ob eine gegen Treu und Glauben verstoßende unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners vorliegt, durch eine Abwägung der berechtigen Interessen der Vertragsparteien zu beantworten. Angelegt wird dabei ein genereller, typisierender Maßstab (BAG vom 25.04.2007 – 5 AZR 627/06, BeckRS 2007, 45458, beck-online).
33
Die Regelung in Ziffer 4.5 der ESOPs Oktober 2016 benachteiligt die Arbeitnehmer nicht unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB, denn sie ist bei der gebotenen typisierenden Abwägung interessengerecht. Die von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätze für bestimmte Sonderleistungen können hinsichtlich der Zulässigkeit von Verfallklauseln nicht uneingeschränkt auf Aktienoptionen bzw. virtuelle Optionen übertragen werden (BAG vom 28.05.2008 – 10 AZR 351/07, a.a.O.).
34
Optionen weisen im Gegensatz zu anderen Sonderleistungen einen deutlich höheren spekulativen Charakter auf. Denn bei Optionen kann der bezugsberechtigte Arbeitnehmer auch bei guten eigenen Leistungen und einem guten unternehmerischen Ergebnis nicht verlässlich mit der Werthaltigkeit der Optionen rechnen. Vor diesem Hintergrund kann ein schutzwürdiges Interesse des Arbeitnehmers auf den Fortbestand und die Werthaltigkeit seiner Optionsrechte nur sehr eingeschränkt entstehen (BAG vom 28.05.2008 – 10 AZR 351/07, a.a.O.). Daher ist dem Arbeitnehmer eine Koppelung des weiteren Bestands der Optionen an das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses eher zuzumuten als bei anderen Sonderleistungen, denn eine Erwerbschance muss nicht gleich arbeitsrechtlich geschützt werden wie gesicherte Vergütungsbestandteile.
35
Anders als bei der Höhe nach feststehenden Sonderzahlungen ist aufgrund der Ungewissheit der Realisierung und des dann bestehenden Wertes eine von einem Wert abhängige Bindungsdauer bei Optionen kein zulässiges Kriterium für eine solche Bindungsdauer.
36
Aufgrund des spekulativen Charakters der Optionen ergibt sich eine unangemessene Benachteiligung der Regelung in Ziffer 4.5 der ESOPs Oktober 2016 auch nicht daraus, dass die Regelung nicht danach unterscheidet, wer den Beendigungstatbestand gesetzt bzw. verursacht hat. Im Fall des Ausscheidens vor einem Ausübungsereignis hat sich die in der Option liegende Gewinnchance nicht realisiert. Dem Arbeitnehmer wird dadurch keine bereits erdiente Vergütung, sondern lediglich eine Gewinnchance entzogen.
37
Weiter ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass nach Ausscheiden des Arbeitnehmers die Anreizwirkung, insbesondere für eine langfristige Bindung an und einen Einsatz für das Unternehmen, nicht mehr gegeben ist. Die während des Arbeitsverhältnisses nicht erfolgte Realisierung eines Gewinns muss nicht nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses nachgeholt werden (BAG vom 28.05.2008 – 10 AZR 351/07, a.a.O.). Mit dem Ausscheiden des Arbeitnehmers entfällt auch das Interesse des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer weiterhin an der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens partizipieren zu lassen. Dem Zweck der Optionsgewährung ist vorliegend ein hohes Gewicht beizumessen, da die Optionsgewährung selbst nicht auf einer vertraglichen Verpflichtung beruht, sondern auf einer freiwilligen unternehmerischen Entscheidung. In diesem Fall ist es auch angemessen, die in der Option verkörperte Chance an Bedingungen zu knüpfen, die sich mit der Zielrichtung des Optionsprogramms begründen lassen (vgl. Staake, NJOZ 2010, 2494, beck-online).
38
Zudem kann aus der Regelung des § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG abgeleitet werden, dass auch der Gesetzgeber gewährleisten wollte, dass Aktienoptionsprogramme auf eine langfristige Anreizwirkung ausgelegt werden. Zwar geht es in § 193 Abs. 2 Nr. 4 AktG um die Wartezeit für die Ausübung der gewährten Optionsrechte. Allerdings ist dennoch auf Verfallklauseln wie der vorliegenden der Gedanke der Regelung übertragbar: Die Anreize für langfristiges Handeln sollen gesteigert werden. Demzufolge wurde die Mindestwartezeit durch das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung (VorstAG) in 2009 auch von zwei auf vier Jahre erhöht (MüKoAktG/Fuchs, 5. Aufl. 2021, AktG § 193 Rn. 32a, beck-online). Daraus kann auch für Verfallklauseln der gesetzliche Gedanke fruchtbar gemacht werden, dass eine zeitliche Bindung zulässig ist und gerade kein Abweichen von einer gesetzlichen Regelung darstellt.
39
Schließlich ist zu beachten, dass die Regelung in Ziffer 4.5 der ESOPs Oktober 2016 keinen sofortigen Verfall der virtuellen Optionen vorsah wie in dem Fall, der der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28.05.2008 zugrunde lag, sondern einen linearen Verfall über 24 Monate.
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3. Ein Anspruch des Klägers folgt auch nicht aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz. Der Gleichbehandlungsgrundsatz im Arbeitsrecht gebietet dem Arbeitgeber, seine Arbeitnehmer oder Gruppen von Arbeitnehmern, die sich in vergleichbarer Lage befinden, bei Anwendung einer selbst gesetzten Regel gleich zu behandeln (BAG vom 03.09.2014 – 5 AZR 6/13, NZA 2015, 222, beck-online).
41
Diese Voraussetzungen sind hier gewahrt. Bereits die Tatsache, dass ein Arbeitgeber eine bisherige Regelung generell aufhebt, ist ein sachliches Differenzierungsmerkmal: Stichtagsregelungen als sog. „Typisierung in der Zeit” sind ungeachtet der damit verbundenen Härten zur Abgrenzung des begünstigten Personenkreises zulässig, sofern sich die Wahl des Zeitpunkts am zu regelnden Sachverhalt orientiert und die Interessenlage der Betroffenen angemessen erfasst (BAG vom 28.07.2004 – 10 AZR 19/0, NJW 2004, 3652, beck-online). Auch diese Voraussetzungen sind gegeben. Die Beklagte trägt vor, die Änderung der ESOPs im Jahr 2022 sei auf Wunsch der dann noch beschäftigten Bestandsmitarbeiter erfolgt, um diese dafür zu belohnen, dass sie über die gesamte Wachstumsphase des Unternehmens diesem treu geblieben sind. Diese Zielsetzung ist gerade mit dem durch Optionen verbundenen Zweck – Bindung der Mitarbeiter – vereinbar und daher interessengerecht.
42
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, § 91 Abs. 1 ZPO.
43
Der im Urteilstenor festzusetzende Rechtsmittelstreitwert (vgl. § 61 Abs. 1 ArbGG) ergibt sich aus §§ 3 Halbs. 1, 5 ZPO. Da es sich um einen Feststellungsantrag handelt, wurde auf den vom Kläger mitgeteilten Wert der Optionen ein Abschlag von 20% vorgenommen.
44
Die Berufung wurde gemäß § 64 Abs. 2 lit. a) ArbGG nicht zugelassen, da die Zulassungsgründe nach § 64 Abs. 3 ArbGG nicht gegeben sind. Die Statthaftigkeit der Berufung nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes bzw. in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses gemäß § 64 Abs. 2 lit. b), c) ArbGG bleibt hiervon unberührt. Es wird auf die folgende Rechtsmittelbelehrungverwiesen.