Titel:
Sachverständigenfeststellung, Sachverständigengutachten, Hypothetische Einwilligung, Elektronisches Dokument, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Facharzt-Standard, Befunderhebungsfehler, Aufklärungsbedürftigkeit, Elektronischer Rechtsverkehr, Schmerzensgeldansprüche, Unterlassung, Behandlungsunterlagen, Ausführung, Streitwert, Stationäre Behandlung, Einwilligung des Patienten, Klageschrift, Beanstandung, Kostenentscheidung, Risikoaufklärung
Schlagworte:
Behandlungsfehler, Beweislast, Sachverständigengutachten, Aufklärungspflicht, hypothetische Einwilligung, Schmerzensgeldanspruch, Indikation
Fundstelle:
BeckRS 2023, 47416
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 72.238,81 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Zahlung von Schmerzensgeld sowie Schadensersatz im Zusammenhang mit einer medizinischen Behandlung in Anspruch.
2
Die im Jahr 1980 geborene Klägerin wurde am 07.06.2018 in der 40. Schwangerschaftswoche zur Geburtseinleitung stationär bei der Beklagten aufgenommen. Noch am selben Tag erhielt die Klägerin um 10:00, 14:00 sowie 18:00 Uhr das wehenfördernde Mittel Misoprostol. Um 20:00 Uhr setzten bei der Klägerin die Wehen ein. Aufgrund stärker werdenden Wehen äußerte die Klägerin den Wunsch nach einer Periduralanästhesie. Der Klägerin wurde daraufhin mitgeteilt, dass dies gerade nicht möglich sei, da sich die diensthabende Anästhesistin in einer Reanimationssituation befinde. Alternativ wurde bei der Klägerin eine intravenöse analgetische Therapie sowie eine relative Tokolyse angesetzt. Um 00:00 Uhr wurde die Periduralanästhesie angelegt. In der Eröffungs- und während der Austreibungsperiode erfolgte eine kontinuierliche Überwachung mittels CTG mit angelegtem Gurt. Um ca. 01:00 Uhr wurde die Fruchtblase der Klägerin geöffnet. Die Klägerin wurde hierüber nicht aufgeklärt. Um 02:15 Uhr wurde bei vollständig eröffnetem Muttermund mit Köpfchen in Beckenmitte eine Wehenunterstützung mit Oxytocin (Wehentropf) begonnen. Dem Wehentropf widersprach die Klägerin. Die Klägerin hat am 08.06.2018 um 03:39 Uhr einen Jungen entbunden. Zur Geburt der Plazenta wurde ein Wehentropf gegen den ausdrücklichen Wunsch der Klägerin angelegt. Die Geburt der Plazenta – ob diese vollständig war, ist zwischen den Parteien streitig – erfolgte ca. eine halbe Stunde nach Geburt des Kindes. Die Klägerin wurde am 10.06.2018 ohne Abschlussuntersuchung aus der stationären Behandlung der Beklagten entlassen.
3
Die Klägerin rief am 18.06.2018 bei der Beklagten an und teilte mit, dass sie einen Abgang eines Blutkoagels von ca. 200 g gehabt habe. Der Klägerin wurde mitgeteilt, dass in diesem Zusammenhang eine ambulante Vorstellung im Hause der Beklagten nicht notwendig sei.
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Am 22.06.2018 stellte sich die Klägerin notfallmäßig aufgrund anhaltender Schmerzen bei der Beklagten vor. Aufgrund der klinischen Untersuchung ergab sich insbesondere eine Rückbildungsstörung des Uterus sowie auf Grundlage der sonographischen Untersuchung der Verdacht auf intrakavitäre Plazentareste sowie einen diskreten Lochialstau. Die Labordiagnose ergab eine Erhöhung der Leukozytenzahl und des CRP-Wertes. Es erfolgte die stationäre Aufnahme, eine antibiotische Therapie, welcher die Klägerin jedenfalls zunächst widersprach, sowie eine 24 Stunden-Infusion mit Oxytocin. Es wurde die Indikation für eine Nachkürettage bei fallenden Entzündungswerten gestellt. Am 25.06.2018 erfolgte die Nachkürettage. Zur Atonieprophylaxe erfolgte die Gabe von Oxytocin. Die postoperative Blutung sistierte zunächst. Etwa eine Stunde nach der Operation verstärkte sich die vaginale Blutung, woraufhin zunächst mit einer uteruskontraktionsfördernden Therapie reagiert wurde. Bei erneuter Kontrolle um 16:30 Uhr zeigte sich erneut eine blutige Vorlage, zudem gingen bei Druck auf den Fundus ca. 500 ml Blut und Koagel ab, weshalb bei therapieresistenter Uterusatonie zum Ausschluss verbliebener Plazentareste die Indikation für eine operative Revision gestellt und um 17:15 Uhr durchgeführt wurde. Die Klägerin wurde am 28.06.2018 aus dem Hause der Beklagten entlassen.
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Die Klägerin behauptet, dass ihr trotz enormer Schmerzen während der Wehen behandlungsfehlerhaft keine Schmerzmittel gegeben worden seien, Die Gabe von Misoprostol sei nicht korrekt gewesen. Die Anlage der Periduralanästhesie sei zu spät erfolgt. Den Wunsch nach einer Periduralanästhesie habe die Klägerin bereits um 20:50 Uhr geäußert. Die Klägerin sei über das Öffnen der Fruchtblase nicht aufgeklärt worden und sei hiermit nicht einverstanden gewesen. Der CTG-Gurt sei zu eng gewesen, weshalb die Klägerin starke Schmerzen erlitten habe. Die Anlage des Wehentropfes sei behandlungsfehlerhaft gegen den Willen der Klägerin erfolgt. Im Rahmen der Geburt seien Plazentareste behandlungsfehlerhaft übersehen worden. Nach der Geburt sei sie nur von Krankenschwestern abgetastet worden, obwohl dies von einem Arzt hätte erfolgen müssen. Wäre die Klägerin durch einen Arzt untersucht worden, wären die Plazentareste aufgefallen und hätten entfernt werden können. Zudem sei behandlungsfehlerhaft der HCG-Wert der Klägerin nicht bestimmt worden, der Hinweise auf das Zurückbleiben von Plazentaresten gegeben hätte. Die Geburt der Plazenta sei behandlungsfehlerhaft gegen den ausdrücklichen Willen der Klägerin mittels Wehentropf eingeleitet worden. In diesem Zusammenhang sei die Dosierung zu niedrig gewesen. Aufgrund des Hb-Wertes von 8,5 g/dl hätten weitere Befunde erhoben werden müssen. Es habe am Entlasstag (11.06.2018) behandlungsfehlerhaft keine Abschlussuntersuchung der Bauchdecke oder des Uterus stattgefunden. Hierbei sei eine Ultraschalluntersuchung behandlungsfehlerhaft unterlassen worden.
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Die Klägerin sei trotz ihrer telefonischen Schilderungen zum Abgang des Blutkoagels am 18.06.2018 nicht sofort zur Untersuchung in das Haus der Beklagten einbestellt worden.
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Am 22.06.2018 seien weitere Untersuchungen behandlungsfehlerhaft unterlassen worden, obwohl sich während der Sonographie ein Plazentarest oder Koagel von 1 cm × 1 cm gezeigt habe. Wären diese Untersuchungen vorgenommen worden, hätte es eines operativen Eingriffs in Form einer Ausschabung nicht bedurft. Die im Zusammenhang mit dem festgestellten Koagel angesetzte Antibiotikatherapie sei überdosiert gewesen und gegen den Willen der Klägerin erfolgt. Diese Antibiotikatherapie sei für das Kind schädlich gewesen, da die Klägerin noch gestillt habe. Es seien verspätet erst am 25.06.2018 weitere schmerzlindernde Maßnahmen ergriffen worden. Die Klägerin sei nicht ordnungsgemäß darüber aufgeklärt worden, dass es bei einer Ausschabung zu inneren Verletzungen oder Unfruchtbarkeit oder Verwachsungen der Gebärmutter kommen könne. Bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung hätte die Klägerin einer Ausschabung nicht zugestimmt. Zudem sei die erste Ausschabung am 25.06.2018 nicht indiziert gewesen und behandlungsfehlerhaft durchgeführt worden. Zudem bestünden Zweifel über die fachliche Qualifikation des Operateurs, da dieser Assistenzarzt sei. Darüber hinaus habe der Säugling behandlungsfehlerhaft alle Narkosen, Opiate, Antibiotika, weitere Medikamente sowie Hormone „mitgetrunken“. Die Zeitspanne zwischen den beiden Ausschabungen sei zu lange gewesen. Eine Blutung nach der ersten Operation sei von den Krankenschwestern nicht kontrolliert worden.
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Aufgrund des behandlungsfehlerhaften Vorgehens seien insbesondere weitere ambulante sowie stationäre Behandlungen notwendig gewesen. Ferner habe die Klägerin in diesem Zusammenhang über eine normale Geburt hinausgehende Schmerzen erlitten und leide heute an einer Blaseninkontinenz. Die Klägerin leide aufgrund der behandlungsfehlerhaften Vorgehens zudem am Asherman-Syndrom. Die Ausschabungen sowie die Bluttransfusionen wären durch ein medizinisch korrektes Vorgehen vermeidbar gewesen.
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Die Klägerin beantragt:
- 1.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld zu bezahlen, welches in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 60.000,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 07.12.2020.
- 2.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.238,81 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 07.12.2020 zu bezahlen.
- 3.
-
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren zukünftigen materiellen und im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht vorhert sehbaren immateriellen Schäden zu ersetzen, welche diese aus der fehlerhaften und/oder rechtswidrigen Behandlung in der Zeit vom 07.06.2018 bis 29.06.2018 im Klinikum der Beklagten entstanden sind und noch entstehen werden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
- 4.
-
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtlich entstandene, anrechenbare Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.115,76 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu bezahlen.
10
Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
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Die Beklagte wendet ein, dass die Klägerin trotz der Komplikationen im Hause der Beklagten dem Facharztstandard entsprechend behandelt worden sei. So sei die Klägerin am 07.06.2018 hinreichend über die Geburtseinleitung und der hiermit verbundenen Risiken und Komplikationsmöglichkeiten aufgeklärt worden. Gleiches gelte hinsichtlich der notwendig gewordenen Nachkürretagen. Die Anlage einer Periduralanästhesie habe aufgrund eines Notfalls nicht früher erfolgen können. Die Geburt der Plazenta sei makroskopisch vollständig erfolgt. Die postpartale Gabe von Oxytocin sei medizinisch nicht zu beanstanden. Die durchgeführte Antibiose stelle insbesondere beim Stillen keine Kontraindikation dar. Es sei nicht per se behandlungsfehlerhaft, wenn kleine Plazentareste postpartal zurückblieben. Hierfür hätten zunächst auch keine klinischen Anzeichen bestanden. Die Revisionsoperation sei 45 Minuten nach Indikationsstellung, mithin zeitgerecht erfolgt. Der Klägerin sei am 29.06.2018 zur symptomatischen Therapie die stationäre Aufnahme angeboten worden, diese habe die Klägerin jedoch abgelehnt. Selbst beim Vorliegen von Aufklärungsmängel hätte die Klägerin aufgrund der jeweiligen Indikation und des Leidensdrucks in die medizinischen Maßnahmen eingewilligt.
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Mit Beschluss vom 02.11.2021 hat die Kammer ein schriftliches Sachverständigengutachten des … erholt, welches dieser am 07.03.2022 (Bl. 108 ff. d.A.) erstattet und mit Gutachten vom 14.07.2022 (Bl. 176 ff. d.A.) schriftlich ergänzt hat. Die Kammer hat im mündlichen Termin vom 20.07.2023 den Sachverständigen angehört, den Zeugen …, uneidlich vernommen sowie die Klägerin informatorisch angehört. Auf das Sitzungsprotokoll vom 20.07.2023 wird verwiesen.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf das schriftsätzliche Vorbringen der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
14
Die Klage ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg und ist daher vollumfänglich als unbegründet abzuweisen.
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Die zulässige Klage ist unbegründet.
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Der Klägerin stehen gegen die Beklagte weder Ansprüche aufgrund einer Pflichtverletzung aus dem Behandlungsvertrag gemäß §§ 630 a Abs. 2, 630 e, 280 Abs. 1., 249 ff. BGB noch deliktische Ansprüche aus §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 BGB i.V.m. § 229 StGB, § 831 BGB zu.
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Die Klägerin wurde im Hause der Beklagten nicht fehlerhaft behandelt.
18
I. Ein Behandlungsfehler liegt vor, wenn die konkrete ärztliche Behandlung nicht dem anerkannten und gesicherten Stand der ärztlichen Wissenschaft entspricht, wenn also nach den Erkenntnissen der ärztlichen Wissenschaft unter den jeweiligen Umständen die objektiv erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen wurde (OLG Hamm NJW 2000, 1801 m.w.N.). Dabei kommt es auf die im jeweiligen Fachkreis des Arztes zu fordernde Sorgfalt, an (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 8, Auflage 2022, Rn. 2 zu B. I. 1.). Die Beweislast für eine Pflichtverletzung trägt dabei grundsätzlich die Klagepartei (BGH NJW 1987, 705).
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Dieser Beweis ist der Klagepartei nicht gelungen.
20
II. Die Kammer legt ihrer Entscheidung die nachvollziehbaren schlüssigen und überzeugenden Ausführungen der von der Kammer benannten Sachverständigen … (im Folgenden Sachverständige) zugrunde, denen sie sich – jeweils nach einer eigenen kritischen Würdigung – in vollem Umfang anschließt. Hinsichtlich dessen herausgehobener Sachkunde bei stehen keinerlei Zweifel. Der Sachverständige ist der Kammer aus einer Vielzahl von Verfahren bekannt. Dem Sachverständigen standen für die Erstellung seines Gutachtens sämtliche relevanten Behandlungsunterlagen zur Verfügung.
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III. Der Sachverständige hat für die Kammer widerspruchsfrei und überzeugend dargelegt, dass in den streitgegenständlichen Behandlungszeiträumen aus medizinischer Sicht – mit Ausnahme des Unterlassens einer Abschlussuntersuchung – kein Verstoß gegen medizinische Erkenntnisse oder Behandlungsfehler ersichtlich sind.
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Die Klägerin wurde insoweit entsprechend dem Facharztstandard behandelt.
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1. Die stationäre Behandlung der Klägerin im Zeitraum, vom 07.06.2018 bis 10.06.2018 ist aus medizinischer Sicht nicht zu beanstanden bzw. können aus der unterlassenen Abschlussuntersuchung keine anspruchsbegründenden Umstände hergeleitet werden.
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a) Soweit die Klägerin rügt [Bl. 12, lit b) der Klageschrift], sie habe bis zur Anlage der Periduralanästesie behandlungsfehlerhaft keine Schmerzmittel erhalten, ist der Vortrag der schon unschlüssig, da widersprüchlich. So trägt die Klägerin in der Sachverhaltsdarstellung (S. 4, 3. Absatz der Klageschrift) dem entgegenstehend ausdrücklich vor; Schmerzmittel zur Überbrückung erhalten zu haben.
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Entgegen dem behaupteten Vorwurf der Klägerin, dass sie bei Wehentätigkeit keine Schmerzmittel erhalten habe, hat der Sachverständige der Kammer darüber hinaus überzeugend dargelegt, dass von den Angestellten der Beklagten ein systemisch wirksames Schmerzmittel verabreicht und die Wehenfrequenz sowie die Wehenstärke durch Gabe eines wehenhemmenden Medikaments gemindert worden sei. Dies folgt aus den unangegriffenen Behandlungsunterlagen der Beklagten. Dort ist dokumentiert, dass die Klägerin um 21:45 Uhr eine Infusion mit dem Schmerzmittel Meptid erhalten hat sowie um 22:10 Uhr eine relative Tokolyse gestartet wurde. Die wehenhemmende Wirkung der Medikamente sei nach den Ausführungen des Sachverständigen auch dem Tokogramm zu entnehmen.
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In diesem Zusammenhang, so merkt die Kammer an, ist es auch widersprüchlich, dass die Klägerin zum einen die unterlassene Schmerzmittelgabe rügt und an anderer Stelle die Gabe von Medikamenten aufgrund der Schwangerschaft als kontraindiziert und somit als behandlungsfehlerhaft moniert.
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b) Die Anlage der Periduralanästhesie erfolgte in Anbetracht der Notfallsituation im Hause der Beklagten zeitgerecht. Die Kammer ist bereits aufgrund der vorgelegten Behandlungsdokumentation davon überzeugt, dass im Hause der Beklagten eine Notfallsituation vorlag, welche die diensthabende Anästhesistin gebunden und so eine frühere Anlage der Periduralanästhesie verhindert hat. Um 21:45 Uhr wurde dokumentiert, dass die Anästhesistin wegen eines Notalls nicht kommen könne. Um 22:04 Uhr ist dokumentiert, dass sich die Anästhesistin bei einer Reanimation befinde. Ebenso wird um 22:17 Uhr der Notfall in den Behandlungsunterlagen dokumentiert. Einwände gegen die Authentizität der Behandlungsunterlagen erhebt die Klagepartei nicht.
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Darüber hinaus ist es dem klinischen Alltag geschuldet, dass der Patient grundsätzlich eine Wartezeit zwischen Behandlungswunsch und tatsächlicher Behandlung hinzunehmen hat. Allein die auf dem subjektiven Schmerzempfinden begründete Dringlichkeit einer letztlich elektiven Behandlung führt nicht ohne Weiteres zu einem sofortigen Behandlungsanspruch des jeweiligen Patienten, insbesondere nicht etwa zur Notwendigkeit einer notfallmäßigen Einbestellung eines weiteren Anästhesisten. Dem Wunsch der Klägerin nach einer Periduralanästhesie wurde nach Beendigung des Notfalleinsatzes der Anästhesistin nachgekommen und die Zeit bis dorthin schon ausweislich des Vortrags in der Klageschrift, aber auch der sachverständigen Feststellungen mit Schmerzmitteln und Wehenhemmer überbrückt.
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Selbst wenn jedoch, wovon die Kammer nicht ausgeht, eine schuldhafte Verzögerung in diesem Zusammenhang vorliegen würde, so genügt der klägerische Sachvortrag nicht, um ein Schmerzensgeld zu begründen. Die pauschale Behauptung von – bei jeder natürlichen Geburt auftretenden – Schmerzen ist in diesem Kontext nicht ausreichend.
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Die von der Klägervertreterin zuletzt angesprochene Verlegung der Klägerin während der Geburt allein aufgrund des Wunsches nach einer Periduralanästhesie ist für die Kammer abwegig und nach sachverständiger Würdigung eindeutig schlechterdings nicht indiziert.
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c) Die Gabe des wehenfördernden Medikaments Misoprostol erfolgte nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen in jeder Hinsicht regelhaft. Die Gabe von 50 Mikrogramm Misoprostol als Einzeldosis sei im zeitlichen Abstand von jeweils vier Stunden ebenso wenig zu beanstanden wie die vorgeburtliche Gesamtdosierung von 150 Mikrogramm.
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d) Sowohl die vorgeburtliche als auch die nachgeburtliche Anlage des Wehentropfs ist medizinisch nicht zu beanstanden.
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Der Sachverständige hat für die Kammer überzeugend dargelegt, dass die Gabe von Oxytocin im jeweiligen Zeitpunkt in jeglicher Hinsicht leitliniengerecht war.
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Vorgeburtlich könne das Unterlassen der Oxytocingabe zu einer Verlangsamung des Geburtsfortschritts bis hin zum Geburtsstillstand führen. Dies wiederum kann zu einem erhöhten (infektiologischen) Risiko für die Mutter und das zu gebärende Kind führen. Indikation für die vorgeburtliche Gabe von Oxytocin sei das Vorliegen einer sekundären Wehenschwäche.
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Für die Gabe von Oxytocin unter der Geburt habe es nach den Ausführungen des Sachverständigen unter Heranziehung und der nachvollziehbaren Erläuterung des im Termin vom 20.07.2023 in Augenschein genommenen CTGs auch eine Indikation in Form der sekundären Wehenschwäche gegeben.
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Nachgeburtlich sei die Gabe von drei Einheiten Oxytocin im Bolus zur Förderung der Nachgeburt und Vermeidung postpartaler Hämorrhagien der medizinische Standard. Das Unterlassen der Gabe wäre sogar als behandlungsfehlerhaft anzusehen. Die Vermeidung postpartaler Hämorraghien, insbesondere von Uterusatonie nach vollständiger Plazentaretention und verzögerter Lösung stelle eine der wesentlichen Morbiditäts- und Mortalitätsursache der Mütter im Zusammenhang mit der Geburt dar. Die Verringerung dieser Komplikationsmöglichkeit durch Bolusgabe von Oxytocin sei daher ein wichtiger Beitrag, Schaden von der Gebärenden abzuwenden.
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Zudem sei die präpartale Misoprostolgabe und postpartale Oxytocinverabreichung auch in zeitlicher zueinander Hinsicht nicht zu beanstanden. Die Verabreichungen liegen nach den Ausführungen des Sachverständigen zeitlich so weit auseinander, dass als pharmakokinetischen Gründen eine berücksichtigenswerte Arzneimittelinteraktion nicht angenommen werden könne.
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e) Die Anlage des CTG-Gurtes war medizinisch geboten. Ein Unterlassen der Kardiotokographie wäre dagegegen behandlungsfehlerhaft. Überdies kann das subjektive, im vorliegenden Fall aufgrund des Sachvortrags nicht objektivierbare Unbehagen der Klägerin ohnehin keinen Schmerzensgeldanspruch begründen.
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f) Im Hinblick auf die unterlassene Bestimmung des HCG-Wertes liegt kein Befunderhebungsfehler vor. Die Bestimmung dieses Wertes ist nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen nicht hilfreich. Diese dient der Diagnostik vitaler Trophoblasttumore. Ein solcher Tumor lag bei der Klägerin unstreitig nicht vor.
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g) Das postpartale Abtasten der Klägerin „nur“ durch eine Hebamme ist regelgerecht. Diese seien aufgrund ihrer Ausbildung ausreichend qualifiziert. Eines Arztes bedurfte es hierzu nicht. Ein Hinweis auf kleine und mikroskopische Plazentareste ließe sich durch die Palpation ohnehin nicht gewinnen. Auch aus der ex-Post-Betrachtung ergeben sich keine Hinweise auf eine pathologische Entwicklung im Wochenbett, welche auf einen Befund zum Zeitpunkt der Palpation schließen lassen könnten. So seien die Konzentrationen der Leukozyten in der Schwangerschaft gegenüber dem nicht schwangeren Organismus stets erhöht, postpartal komme es auch regelhaft durch die nach Plazentalösung entstehende Wundfläche zum signifikanten Anstieg der Konzentration des C-reaktiven Proteins. Es lägen keine Hinweise auf eine pathologische Entwicklung im Wochenbett vor.
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h) Das Öffnen der Fruchtblase erfolgte regelgerecht. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen entspreche die Amniotomie dem zu fordernden medizinischen Standard.
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Das Sprengen der Fruchtblase sei zur Förderung des Geburtsfortschrittes im Zuge der späten Eröffnungs- bzw. frühen Austreibungsperiode üblich. Sie sei allerdings nicht zwingend, denn so komme es mit fortschreitender Geburt in der Regel spätestens nach vollständiger Muttermundseröffnung ohnehin zu einem Blasensprung, ebenso wie ein solcher bei Untersuchungen zur Geburt sowieso immer eintreten kann. Es stelle jedenfalls keinen Fehler dar, die Fruchtblase zu öffnen. Die Kammer schließt sich auch hier den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen an. Aus dem Öffnen der Fruchtblase sind der Klägerin auch keine Nachteile erwachsen.
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i) Die nachgeburtliche makroskopische Untersuchung der Plazenta erfolgte entsprechend dem Facharztstandard. Der Sachverständige hat für die Kammer überzeugend dargelegt, dass allein aufgrund des Verbleibs kleinerer Plazentareste nicht per se auf ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen geschlossen werden könne. So sei die Plazenta inspiziert und von der Hebamme und der zuständigen Kreißsaalärztin als vollständig beurteilt worden. Die Beurteilung der Plazenta erfolge in der Regel hinsichtlich der anatomischen Integrität der dem mütterlichen Gefäßbett zugewandten Anteile, hinsichtlich des Vorhandenseins oder Ausschlusses von Nebenplazenten uhd der Vollständigkeit der Eihäute. Eine qualifizierte Beurteilung der Vollständigkeit sei zwar ein relativ verlässliches Kriterium, jedoch werde der Verbleib kleinerer Plazentareste durch diese – dem fachlichen Standard entsprechende – Untersuchung nicht gänzlich ausgeschlossen. Dieser Grad an Sicherheit entspreche den praktischen Erfordernissen, sodass eine zusätzliche sonographische Untersuchung, etwa zum Zeitpunkt der Entlassung, auf solche Fälle beschränkt werden könne, in denen Zweifel an der Vollständigkeit der Plazenta geäußert würden. Dieser Umstand lag im hiesigen Fall nicht vor, sodass es im weiteren Verlauf bis zur Entlassung der Klägerin am 10.06.2018 weder einer sonographischen Untersuchung noch einer stumpfen Nachkürettage bedurfte.
44
Auch die später im Rahmen der Kürettage gewonnen Gewebereste ergaben allenfalls kleine Plazentareste.
45
j) Das Unterlassen der Abschlussuntersuchung stellt einen Befunderhebungsfehler dar. Dieser Fehler ist für die Klägerin jedoch folgenlos geblieben.
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aa) Eine Abschlussuntersuchung sei nach den Ausführungen des Sachverständigen medizinischer Standard. Eine solche umfasse nach den Ausführungen des Sachverständigen die Inaugenscheinnahme des Wochenflusses, des Fundusstandes und der Festigkeit der Gebärmutter, die Feststellung der Körpertemperatur, eine Untersuchuchung der laktierenden Brust und ggf. auch eine Bestimmung der Hämoglobinkonzentration. Die Durchführung einer Sonographie sei hingegen kein medizinischer Standard im Rahmen der Abschlussuntersuchung.
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bb) Allerdings kann die Klägerin aus dem behandlungsfehlerhaften Unterlassen der Abschlussuntersuchung keine Ansprüche herleiten.
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Die Beweisvermutung des § 630 h Abs. 5 S. 2 BGB greift hier nicht zugunsten der Klagepartei.
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Die Klagepartei kann sich nur dann auf die Beweisvermutung berufen, soweit der (unterlassene) Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit (> 50 %) ein Ergebnis erbracht hätte, das Anlass zu weiteren Maßnahmen gegeben hätte (vgl. BeckOK BGB/Katzenmeier, 67. Ed. 1.8.2023, BGB § 630 h Rn. 85). Einen solchen reaktionspflichtigen Befund hat Klagepartei jedoch nicht nachgewiesen. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen hätte eine Untersuchung zum Zeitpunkt der Entlassung der Klägerin einen solchen Befund nicht ergeben, auf den nicht zu reagieren, elementar fehlerhaft gewesen wäre. Hierbei seien als Anknüpfungstatsachen, der unauffällige klinische Verlauf im Wochenbett, auch unter Berücksichtigung der sich später entwickelten Gebärmutterentzündung, des Koagelabgangs sowie des Ergebnisse der feingeweblichen Untersuchung des Abradats zu nennen. In diesem Zusammenhang sei der Fundusstand des Uterus nach der Geburt keine feste Größe. Ebenso sei auch ein eher als gering einzustufender Wochenfluss für sich genommen keine Indikation zur Gabe von Wehen/Kontraktionsmittel. Eine diesbezügliche Gabe sei insbesondere bei erhöhter Körpertemperatur – die am Entlasstag am 10.06.2018 mit 36,5 Grad nicht vorlag – und vermehrter Blutung angezeigt. Ein allein etwas hoch erscheindender Fundusstand oder eine zu geringe Konsistenz des Uterus indiziere dies indes nicht. Zudem habe es im Rahmen der Abschlussuntersuchung einer sonographischen Untersuchung insbesondere aufgrund der als vollständig beurteilten Plazenta nicht bedurft. Der Leukozytenwert von 12,11 postpartum sei nicht als pathologisch und reaktionspflichtig anzusehen. Eine erhöhte Körpertemperatur habe nicht vorgelegen. Wie bereits ausgeführt, ist die Konzentration der Leukozyten postpartal regelhaft erhöht. Ein erheblicher, postpartaler Blutabgang habe nach den Unterlagen nicht vorgelegen.
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Zudem hat der Sachverständige überzeugend und widerspruchsfrei erläutert, dass allein der Abgang eines Blutkoagels von geschätzten 200 ml Volumen kein Rückschluss darauf zulasse, in welchem Zeitraum dieser Blutkoagel entstanden sei und ob er zu einem früheren Zeitpunkt bereits Symptome gezeigt hätte. Eine Entzündung habe angesichts der Körpertemperatur der Klägerin sicher noch nicht vorgelegen. Zudem hätte auch eine – hier nicht indizierte – Sonographie keinen Hinweis auf Plazentareste bei der Klägerin erbracht.
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Vor diesem Hintergrund verbleibt es bei klägerischen Beweislast für die Kausalität zwischen der unterlassenen Abschlussuntersuchung und der tatsächlichen Gesundheitsfolgen. Ein derartiger Nachweis ist der Klägerin jedoch nicht gelungen. Der postpartale klinische Verlauf bei der Klägerin steht in keinem kausalen Verhältnis mit der unterlassenen Abschlussuntersuchung durch die Beklagte. Der Sachverständige hat überzeugend dargelegt, dass durch die im Zuge der Geburt stattgehabte Behandlung ein medizinisch feststellbarer körperlicher Schaden nicht entstanden sei und dass sämtliche Maßnahmen unter der Geburt und während des Wochenbettes weder bahnend noch kausal für die später eingetretene Endometritis gewesen seien.
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k) Auch im Übrigen sei nach den Ausführungen des Sachverständigen die Behandlung im Hause der Beklagten im Behandlungszeitraum bis zum Entlasstag der Klägerin (10.06.2018), nicht zu beanstanden.
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2. Es war nicht behandlungsfehlerhaft die Klägerin aufgrund des am 22.06.2018 telefonisch geschilderten Abgangs eines Blutkoagels nicht zu einer Vorstellung im Hause der Beklagten zu veranlassen.
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Eine Vorstellung wäre nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen nur dann anzuraten gewesen, wenn neben dem Abgang des Blutkoagels noch weitere Symptome geschildert worden wären. Sollte vor bzw. nach dem Koagelabgang keine relevante Blutung bestanden haben oder noch bestehen und auch sonst keine Beschwerden vorliegen, müsse keine Vorstellung angeraten werden. Derartige Symptome hat die Klägerin gegenüber der Hebamme am 22.06.2018 unstreitig nicht geschildert, weshalb es einer Vorstellung nach alledem nicht angezeigt war.
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3. Die operativen Kürettagen am 25.06.2018 sind dem Facharztstandard entsprechend vorgenommen worden.
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a) Der Sachverständige hat für die Kammer überzeugend und widerspruchsfrei dargelegt, dass die erste Kürettage am 25.06.2018 aufgrund der klinischen Diagnose sowohl indiziert als auch lege artis durchgeführt wurde.
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Die stationäre Aufnahme sei drei Wochen nach der Geburt mit Symptomen einer Endometritis puerperalis erfolgt, wobei sich im Cavum uteri eine unklare Struktur von 2,5 × 3,5 cm gezeigt habe, die differentialdiagnostisch auch einem Plazentarest habe entsprechen können. Ein Nierenstau sei durch Sonographie ausgeschlossen worden. Angesichts deutlicher laborchemischer Entzündungszeichen, der Schmerzsymptomatik, dem Abgang von Blutkoagel zwei Tage vor Aufnahme sowie des druckschmerzhaften Uterus mit Entleerung gelblichen Sekrets aus dem Zervixkanal sei die Diagnose einer Endo(myo)metritis gestellt worden. Die primäre antibiotische Therapie sei in Abwesenheit von Blutungen bei klinischer Sicherung der Diagnose geboten gewesen, gefolgt von der Entfernung entzündlichen und sonstigen Detritus aus dem Cavum uteri. Das abgestorbene Gewebe könne durch die antibiotische Behandlung nicht erreicht werden und würde einen Nährboden für eine weitere Keimvermehrung darstellen. Die medikamentöse Dosierung sei aus der überzeugenden Sicht des Sachverständigen angesichts der Gefahr einer septischen Ausbreitung der Endo(myo)metritis nicht zu hoch gewesen. Die verabreichten Medikamente seien auch für den gestillten Säugling nicht schädlich.
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Die sodann von Oberarzt … vorgenommene Kürettage sei nicht zu beanstanden.
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Die Kürettage sei dem medizinischen Standard entsprechend mit der stumpfen Kürette und unter Ultraschallsicht vorgenommen worden. Es seien somit alle Vorsichtsmaßnahmen gegen die Verletzung des Uterus getroffen worden. Eine relevante Blutung habe am Ende des Eingriffs nicht bestanden.
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Die klägerische Behauptung, dass die Operation von … durchgeführt worden sei, findet in den Behandlungsunterlagen keinen Halt. Den von der Klagepartei nicht angegriffenen Anästhesie-Protokollen ist zu entnehmen, dass bei beiden operativen Kürettagen der leitenden Operateur der Oberarz … war und nicht …
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b) Im Nachgang zu diesem ersten Eingriff sei es sodann zu einer Uterusatonie mit verstärkter vaginaler Blutung und Abgang von Blutkoageln, welche auch nach Oxytocin und Sulprostongabe nicht sistierte, mit einem geschätzten Blutverlust von 1.000 ml gekommen. Aus welchen Gründen es zu profusen, als aton beschriebenen Nachblutungen gekommen sei, lasse sich im Nachhinein nicht mehr feststellen. Es müsse davon ausgegangen werden, dass das durch die Endo(myo)metritis veränderte Gewebe der Uteruswand extrem vulnerabel gewesen und es somit auch zu Verletzungen oberflächlicher Gefäße des Cavum uteri gekommen sei, die entzündungsbedingt nicht durch eine adäquate Uteruskontraktion verschlossen worden seien. In diesem Zusammenhang habe es aller intenisvmedizinischer Maßnahmen einschließlich der gegebenen Medikation, der Bluttransfusionen sowie der nochmaligen Kürettage bedurft.
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c) Die notfallmäßige (zweite) Kürettage am 25.06.2018 war indiziert, zeitgerecht und ist dem Facharztstandard entsprechend durchgeführt worden.
63
Nach den widerspruchsfreien und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen sei die Revisionsoperation von Oberarzt … sowie dem Chefarzt … durchgeführt worden. In der Spekulumeinstellung habe man bei Fundusdruck eine überperiodenstarke Blutung aus dem Zervixkanal mit Abgang von Blutkoageln – etwa 500 ml – gesehen. Es sei leitliniengerecht mit einer stumpfen Kürette eingegangen worden und das Cavum uteri erneut kürettiert worden. Hierbei seien reichlich Blutkoagel sowie auch wenige Plazentareste gewonnen werden. Die in diesem Kontext verabreichte Medikation sei nicht zu beanstanden.
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Zudem ist es widersprüchlich, wenn die Klägerin zum einen den Zeitablauf bis zur zweiten Kürettage als zu lange rügt und zugleich behauptet, dass eine diesbezügliche Aufklärung aufgrund des zu kurzen Zeitraums überhaupt nicht möglich gewesen sei.
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c) Auch im Übrigen ist die Behandlung der Beklagten im Zeitraum vom 22.06.2018 bis zum 28.06.2018 im Hause der Beklagten nicht zu beanstanden.
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Es seien im postpartalen Zeitraum auch keine notwendigen Befunderhebung unterlassen worden.
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So ließen die histologischen Untersuchungen des Abradates, sowohl vor der ersten als auch vor der zweiten Kürettage, nicht den Schluss zu, dass mit bildgebenden Verfahren zu einem früheren Zeitpunkt Plazentareste hätten erkannt werden können. Unter dem Mikroskop habe es sich um regressiv veränderte Zotten sowie spärliche Plazentareste gehandelt. Es sei hierbei völlig unbestimmt, ob diese Reste hinreichendes Korrelat eines positiven Befundes, etwa in der Sonographie, gewesen seien.
68
Es könne daher aus der Sicht des Sachverständigen festgestellt werden, dass auch die Behandlung der Klägerin im Rahmen der zweiten stationären Aufnahme im Hause der Beklagten lege artis erfolgt sei und die von der Klägerin geltend gemachten körperlichen Folgen nicht auf ein behandlungsfehlerhafte Vorgehen zurückzuführen seien.
69
IV. Die Klägerin kann ihre Ansprüche gegen die Beklagte auch nicht auf die behaupteten Aufklärungsmängel stützen, da sie hinreichend aufgeklärt worden ist. Einer Aufklärung hinsichtlich des Öffnens der Fruchtblase bedurfte es nicht. Darüber hinaus greift hinsichtlich der operativen Eingriffe auch der Einwand der hypothetischen Einwilligung.
70
1. Vor Durchführung einer medizinischen Maßnahme, insbesondere eines Eingriffs in den Körper oder die Gesundheit, ist der Behandelnde gemäß § 630 d Abs. 1 BGB verpflichtet, die Einwilligung des Patienten einzuholen. Die Wirksamkeit der Einwilligung setzt voraus, dass der Patient vor der Einwilligung nach Maßgabe von § 630 e Absatz 1 bis 4 BGB aufgeklärt worden ist. Nach der Rechtsprechung (vgl. etwa BGH NJW 2010, 3230, 3231, m.w.N.) muss der Patient „im Großen und Ganzen“ wissen, worin er einwilligt. Dazu muss er über die Art des Eingriffs und seine nicht ganz außerhalb der Wahrscheinlichkeit liegenden Risiken informiert werden, soweit diese sich für einen medizinischen Laien aus der Art des Eingriffs nicht ohnehin ergeben und für seine Entschließung von Bedeutung sein können. Dem Patienten muss eine allgemeine Vorstellung von der Schwere des Eingriffs und den spezifisch mit ihm verbundenen Risiken vermittelt werden, ohne diese zu beschönigen oder zu verschlimmern (vgl. BGH NJW 2000, 1784, 1785 f.; 1994, 1397, 1398). Die Notwendigkeit zur Aufklärung hängt bei einem spezifisch mit einer Therapie verbundenen Risiko nicht davon ab, wie oft das Risiko zu einer Komplikation führt. Entscheidend ist vielmehr die Bedeutung, die dieses Risiko für die Entschließung des Patienten haben kann. Bei einer möglichen besonders schweren Belastung für seine Lebensführung ist deshalb die Information über ein Risiko für die Einwilligung des Patienten auch dann von Bedeutung, wenn sich das Risiko sehr selten verwirklicht (vgl. BGH NJW 2000, 1784, 1785 f.; 1984, 1397, 1398). Jede Verletzung der Pflicht zur Risikoaufklärung macht die Einwilligung des Patienten in den Eingriff unwirksam und der Eingriff bleibt mangels Rechtfertigung rechtswidrig (vgl. Geiß/Greiner, a.a.O., C Rn. 130).
71
Hierbei ist gemäß § 630 e Abs. 1 Satz 3 BGB bei der Aufklärung auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können. Die Wahl der Therapie ist dabei primär Sache des Arztes, nicht des Patienten (MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, § 630 a Rn. 149). Der Patient ist aber ins Bild zu setzen, wenn eine echte Wahlmöglichkeit zwischen verschiedenen Behandlungsalternativen besteht, die dem Patienten gleichwertigen therapeutischen Nutzen versprechen, ihn aber unterschiedlich belasten, insbesondere weil sie mit unterschiedlichen Risiken verbunden sind. Ein Aufklärungsinteresse ist darüber hinaus anzuerkennen, wenn bei gleichen Risiken die Erfolgschancen verschieden sind oder das Nutzen/Risiko-Verhältnis der verschiedenen zur Wahl stehenden Maßnahmen wesentlich voneinander abweicht (MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 630 e Rn. 22).
72
Die Einwilligung des Patienten in den Eingriff ist mit ihren Voraussetzungen, insbesondere einer richtig und vollständig erteilten Selbstbestimmungsaufklärung, nach § 630 h Abs. 2 S. 1 BGB von der Behandlungsseite zu beweisen. Der Behandlungsseite obliegt demnach grundsätzlich der Beweis sämtlicher Tatsachen, aus denen sich eine wirksame Einwilligung ergibt. Allerdings sind an den Beweis der Behandlungsseite für die Erfüllung ihrer Aufklärungspflichten keine überzogenen Anforderungen zu stellen (vgl. Geiß/Greiner, a.a.O., C Rn. 130). Das Gericht darf seine Überzeugungsbildung über eine erfolgte Risikoaufklärung auf die Angaben des Beklagten stützen, wenn dessen Darstellung in sich schlüssig und „einiger Beweis“ für ein Aufklärungsgespräch erbracht ist (BeckOGK/U. Walter, Stand: 15.3.2020, § 630 h BGB Rn. 11).
73
Nach § 630 f Abs. 2 BGB besteht bezüglich der Aufklärung auch eine Dokumentationspflicht. § 630 h Abs. 3 BGB statuiert in diesem Zusammenhang die Vermutung, dass eine medizinisch gebotene wesentliche Maßnahme, die der Behandelnde nicht in der Patientenakte aufgezeichnet hat, nicht getroffen wurde, wobei jedoch die Dokumentation von Einwilligungen und Aufklärungen aus medizinischer Sicht nicht in diesem Sinne geboten ist (BGH NJW 2014, 1527, 1528). Die Vermutung des § 630 h Abs. 3 BGB gilt daher nicht. Dem Behandelnden ist der Nachweis der Aufklärung somit auch dann nicht verwehrt, wenn er sie nicht dokumentiert hat (BeckOK BGB/Katzenmeier, 57. Ed. 1.2.2021, § 630 f BGB Rn. 19).
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2. Gemessen an den vorgenannten Maßstäben ist es der Beklagten gelungen, den Nachweis einer richtig und vollständig erfolgten Selbstbestimmungsaufklärung zu führen.
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a) Der Zeuge … hat die Klägerin über die Abrasio/Kürettage am 22.06.2018 ordnungsgemäß aufgeklärt.
76
Hierbei hat der Zeuge für die Kammer nachvollziehbar und widerspruchsfrei erläutert, dass er den Patienten im Allgemeinen sowohl über den Ablauf der Operation als auch über die dazugehörigen Risiken aufkläre. Er zeichne – dies ergibt sich auch aus dem Aufklärungsbogen vom 22.06.2018 – dabei oft auch auf dem Aufklärungsbogen etwas ein, um es zu erklären.
77
Der Zeuge hat der Kammer überzeugend erläutert, dass er dem Patienten die Risiken wie Nachblutung, den Verbleib von Restgewebe, Wundheilungsstörungen, Infektionen sowie bei der Abrasio die besonderen Risiken wie Nachblutung, Restgewebe, Verletzung der Gebärmutter, Verwachsungen oder Verklebungen der Gebärmutter als Folge einer Infektion erkläre. Er kläre hierbei über alle im Aufklärungsbogen genannten Risiken auf und weise auch noch auf weitere hin.
78
Die Schilderungen des Zeugen sind für die Kammer vollumfänglich glaubhaft. Der Zeuge hat für die Kammer ruhig, strukturiert und besonnen den Ablauf der Aufklärung geschildert. Die Schilderungen decken sich auch mit der Aktenlage, insbesondere dem zur Aufklärung verwendeten Aufklärungsbogen. Die Kammer ist auch im notwendigen Maße davon überzeugt, dass die Klägerin über das Risiko von Verwachsungen (Asherman-Syndrom) aufgeklärt worden ist.
79
Hierbei war der Zeuge auch glaubwürdig. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass der Zeuge in einem Angestelltenverhältnis mit der Beklagten steht. Die Kammer konnte jedoch weder Ent- noch Belastungseifer erkennen.
80
b) Im Hinblick auf die zweite Kürettage musste die Klägerin nicht aufgeklärt werden.
81
Es lag nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen eine Notfallindikation vor. Die Klägerin hat nach der ersten Kürettage eine erhebliche Menge an Blut (ca. 2.500 ml) verloren, welches anderweitig nicht sistiert werden könnte. In einem solchen Fall ist eine Aufklärung nicht geboten. Darüber hinaus war die Klägerin nicht aufklärungsbedürftig, da diese – wie bereits ausgeführt – ordnungsgemäß vor der ersten Kürettage aufgeklärt worden ist. Der Klägerin waren insbesondere die Risiken einer (weiteren) Kürettage bekannt.
82
Einer nochmaligen Aufklärung der Klägerin hat es vor diesem Hintergrund nicht mehr bedurft.
83
Es kann somit dahinstehen, ob es ein Aufklärungsgespräch im Vorfeld zur zweiten Kürettage stattgefunden hat.
84
c) Die Klägerin musste vor dem Öffnen der Fruchtblase nicht aufgeklärt werden. Es bestand in diesem Zusammenhang kein aufklärungsbedürftiger Umstand.
85
Die Klägerin begab sich mit dem Geburtswunsch in die Behandlung der Beklagten. Dieser Wunsch bestand unstreitig während der gesamten pränatalen Phase fort. Die Öffnung der Fruchtblase fördert den natürlichen Geburtsfortschritt und mündet letztlich in der von der Klägerin gewünschten Geburt. Über diese (Geburts-)Folge musste nicht aufgeklärt werden. Ein für die Einwilligung in den Eingriff relevantes Risiko lag nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen nicht vor. Vor diesem Hintergrund musste keine Entscheidung der Klägerin über den Eingriff herbeigeführt werden. Ein solcher wird richtigerweise – wie vom Sachverständigen geschildert – auch in der medizinischen Praxis nicht eingeholt.
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3. Die Kammer ist der Überzeugung, dass die Klägerin selbst bei – hier unterstellter – nicht hinreichender Aufklärung über die Erfolgsaussichten aufgrund ihres Leidensdrucks die zweifache Abrasio hätte durchführen lassen, weshalb auch die rechtfertigende hypothetische Einwilligung gemäß § 630 h Abs. 2 S. 2 BGB greift.
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a) Genügt die Aufklärung nicht den an sie zu stellenden Anforderungen kann sich der Behandelnde darauf berufen, dass der Patient auch im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung in die Maßnahme eingewilligt hätte (§ 630 h Abs. 2 Satz 2 BGB). An einen dahingehenden Nachweis, der dem Behandelnden obliegt, sind strenge Anforderungen zu stellen, damit nicht auf diesem Weg der Aufklärungsanspruch des Patienten unterlaufen wird. Den Arzt trifft für seine Behauptung, der Patient hätte bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den Eingriff eingewilligt, die Beweislast aber erst dann, wenn der Patient zur Überzeugung des Tatrichters plausibel macht, dass er – wären ihm rechtzeitig die Risiken des Eingriffs verdeutlicht worden – vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte (st. Rspr., vgl. BGH VersR 1991, 547).
88
b) Die Klägerin konnte der Kammer einen echten Entscheidungskonflikt nicht plausibel machen. Ihr Leidensdruck war zum Zeitpunkt der Einwilligung in den jeweiligen operativen Eingriff nach Überzeugung der Kammer so groß, dass sie sich auch dann für die Operationen entschieden hätte, wenn über die Erfolgschancen und Risiken ordnungsgemäß aufgeklärt worden wäre.
89
Soweit die Klägerin schriftsätzlich vorträgt, dass sie bei ordnungsgemäßer Aufklärung über Verwachsungen bzw. Unfruchtbarkeit einer Ausschabung in keinem Fall zugestimmt hätte und im Rahmen der informatorischen Anhörung schildert, dass sie bei einer ordnungsgemäßen Aufklärung über die Ausschabung nochmal hätte schlafen müssen, ist dies mit Blick auf die gesundheitlichen Situation der Klägerin zum maßgeblichen (Aufklärungs-)Zeitpunkt nicht plausibel.
90
Die Klägerin stellte sich am 22.06.2018 notfallmäßig im Hause der Beklagten vor. Es lag insbesondere eine anhaltende Schmerzsymptomatik mit Symptomen einer Endometritis vor. Bei der Tastuntersuchung zeigte sich ein druckschmerzhafter Uterus mit Entleerung gelblichen Sekrets. Die Laborwerte zeigten erhöhte Entzündungszeichen. Allein die antibiotische Therapie war aufgrund des klinischen Befundes in medizinischer Hinsicht nicht ausreichend gewesen. Die Indikation für eine Kürettage lag vor. In Anbetracht dieser gesundheitsgefährdenden Gesamtsituation ist für die Kammer ein Entscheidungskonflikt nicht plausibel. Gleiches gilt auch im Hinblick auf die zweite Kürettage. Die Klägerin hatte einen erheblichen, Blutverlust von ca. 2.500 ml. Es bestand ein lebensbedrohlicher Zustand. Es ist in diesem Kontext nahezu abwegig, dass die Klägerin diesbezüglich in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre. Einen solchen behauptet selbst die Klägerin allenfalls pauschal.
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Soweit die Klägerin eine mangelnde Aufklärung im Hinblick auf eine mit der Periduralanästhesie verbundenen Geburtsverlangsamung rügt, ist dies abermals widersprüchlich und im Ergebnis von der hypothetischen Einwilligung gedeckt. So trägt die Klägerin selbst vor, mehrfach ausdrücklich aufgrund der Schmerzen nach einer Periduralanästhesie verlangt zu haben und rügt zudem im Rahmen der Klage sogar ausdrücklich die verspätete Anlage der Periduralanästhesie. Vor diesem Hintergrund ist es für das Gericht schon gar nicht plausibel, dass die Klägerin bei einer Aufklärung über den vorgenannten Umstand in einen Entscheidungskonflikt geraten wäre. Die Kammer ist davon überzeugt, dass die Klägerin dennoch weiterhin mehrfach die Anlage der Periduralanästhesie gefordert hätte.
92
V. Soweit die Gabe von Oxytocin unstreitig gegen den Willen der Klägerin gegeben wurde, begründet dies kein Schmerzensgeldanspruch der Klägerin. Gleiches gilt im Hinblick auf die antibiotische Therapie im Rahmen des zweiten stationären Aufenthalts.
93
Hierbei ist es unerheblich, ob es sich um ein behandlungsfehlerhaftes Vorgehen oder um einen Aufklärungsmangel handelt, da die Klägerin jedenfalls durch die Gabe von Oxytocin bzw. Antibiotikum keine gesundheitlichen Nachteile erlitten hat. Solche sind von der Klägerin weder vorgetragen noch ersichtlich. Überdies hat der Sachverständige sowohl bezüglich der Gabe von Oxytocin als auch das Ansetzen der antibiotischen Therapie eindeutig die Indikation bejaht und das Vorgehen der Beklagten als dem Facharztstandard entsprechend bewertet. Die Gabe von Oxytocin wirke sich pränatal günstig auf den Geburtsfortschritt aus und stellt postpartal eine zwingend vorzunehmende Prophylaxe dar. Die antibiotische Therapie war angesichts der klinischen Befunde zur Verhinderung eines septischen Verlaufs bei der Klägerin absolut notwendig.
94
Es seien nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen keine medizinisch feststellbaren körperlichen Folgen im Zusammenhang mit Behandlung durch die Beklagte feststellbar.
95
Überdies ist es der klägerische Vortrag zur Gabe von Antibiotikum im Rahmen des zweiten stationären Aufenthalts mit Blick auf die Behandlungsunterlagen widersprüchlich. Aus der von der Klägerin nicht angegriffenen Dokumentation ergibt sich aus dem Eintrag vom 23.06.2018, dass die Klägerin um 22:30 Uhr eine Antibiose gewollt hat („Pat. möchte ihre Antibiose jetzt gleich“).
96
Mangels Erfolgs in der Hauptsache war die Klage auch hinsichtlich der übrigen Anträge (Ziffer 2. bis 4.) abzuweisen.
97
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.
98
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 2 ZPO.