Titel:
Verfahrensbevollmächtigter, Verfahrenskostenhilfe, Akteneinsicht, Abschiebungshaft, Haftanordnung, Bundespolizeiinspektion, Sicherungshaft, Beiordnung, Schriftsätze, Beschleunigungsgebot, Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht, Beschwerdeverfahren, Betroffenheit, Kostenentscheidung, Beschwerdekammer, Einstweilige Anordnung, Angefochtener Beschluss, Festsetzung des Geschäftswerts, Verzögerung des Verfahrens, Zustellungszeitpunkt
Schlagworte:
Beschwerde, Haftanordnung, Vollziehbare Ausreisepflicht, Zustellung, Feststellung, Verfahrenskostenhilfe, Beiordnung
Vorinstanz:
AG Hof, Beschluss vom 23.08.2022 – 16 XIV 389/22 B
Fundstelle:
BeckRS 2023, 47358
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Betroffenen wird festgestellt, dass ihn der Beschluss des Amtsgerichts Hof vom 23.08.2022, Az. 16 XIV 389/22 B, in seinen Rechten verletzt hat.
2. Von der Erhebung von Gerichtskosten wird abgesehen. Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen sowohl in der 1. als auch in der 2. Instanz werden der Bundesrepublik Deutschland auferlegt.
3. Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
4. Dem Betroffenen wird für das Beschwerdeverfahren Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt … bewilligt.
Gründe
1
Der Betroffene ist marokkanischer Staatsangehöriger. Er reiste am 27.05.2022 unerlaubt in die Bundesrepublik Deutschland ein, ohne den für die Einreise erforderlichen Pass oder Passersatz (§§ 3 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) oder den erforderlichen Aufenthaltstitel zu besitzen (§§ 4 Abs. 1, 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG). Die Bundespolizeiinspektion P. verfügte daraufhin am 28.05.2022 die Abschiebung des Betroffenen.
2
Auf Antrag der Bundespolizeiinspektion P. hat das Amtsgericht Passau mit Beschluss vom 28.05.2022 im Wege der einstweiligen Anordnung Sicherungshaft gegen den Betroffenen bis längstens 09.07.2022 angeordnet, da die Ziellandbestimmung für das Rückübernahmeersuchen noch nicht abgeschlossen war.
3
Das Amtsgericht Hof hat sodann mit Beschluss vom 08.07.2022 die Haft gegen den Betroffenen zur Sicherung seiner Abschiebung in sein Heimatland Marokko bis längstens 23.08.2022 verlängert.
4
Aufgrund zeitlicher Verzögerungen seitens der marokkanischen Behörden hinsichtlich der Identifizierung des Betroffenen hat die Bundespolizeiinspektion P. am 18.08.2022 erneut die Verlängerung der Haft beantragt.
5
Das Amtsgericht Hof hat nach Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom 23.08.2022 die Sicherungshaft gegen den Betroffenen antragsgemäß bis längstens 03.11.2022 verlängert.
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Der Betroffene hat bereits im Rahmen seiner Anhörung Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hof vom 23.08.2022 eingelegt. Der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen hat mit Schriftsatz vom 26.08.2023 erneut Beschwerde eingelegt und beantragt festzustellen, dass der angefochtene Beschluss den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat. Außerdem hat der Verfahrensbevollmächtigte Verfahrenskostenhilfe unter seiner Beiordnung beantragt.
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Nach Akteneinsicht hat der Verfahrensbevollmächtigte die Beschwerde mit Schriftsatz vom 21.09.2022 begründet wie folgt:
„Im Verfahren gegen den Betroffenen sei gegen den Beschleunigungsgrundsatz und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen worden. Dem ersten Haftverlängerungsantrag seien keine Angaben zu erheblichen Fallzahlen bei den marokkanischen Behörden zu entnehmen gewesen. Außerdem sei unklar, was es mit den Angaben aus dem ZAIPort auf sich habe. Insoweit würde Akteneinsicht beantragt. Außerdem sei nicht klar, ob der Betroffene inzwischen durch die marokkanischen Behörden identifiziert wurde. Ebenso unklar sei, welches Verfahren zur Identifizierung durchgeführt werde. Dies sei aber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine erforderliche Angabe. Darüber hinaus seien den Akten nicht zu rechtfertigende Verzögerungen bei der Weiterleitung von Unterlagen zu entnehmen. Insgesamt ergebe sich der Eindruck eines nicht mit der gebotenen Genauigkeit geführten Verfahrens. Es sei zudem nicht ersichtlich, wann der Bescheid des BAMF vom 11.07.2022 dem Betroffenen zugestellt wurde.“
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Die Bundespolizeiinspektion P. hat sodann mit Schriftsatz vom 04.10.2022 zum Beschwerdevorbringen des Verfahrensbevollmächtigten Stellung genommen. Als haftantragstellende Behörde sei sie verpflichtet vor Stellung des Haftantrags Informationen darüber einzuholen, ob eine Passersatzpapierbeschaffung innerhalb der gesetzlich maximalen Haftfristen möglich ist. Neue zusätzliche Informationen seien dabei nicht unüblich. Darüber hinaus läge kein Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot vor. Die Verzögerung des Verfahrens durch die Botschaft sei innerhalb der Maximalgrenzen der Haft hinzunehmen.
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Im Zeitpunkt der Haftantragstellung am 18.08.2022 sei die Frist von 45 Tagen bereits abgelaufen gewesen, weshalb beim Referat 25 des Bundespolizeipräsidiums der Bearbeitungsstand angefragt wurde. Im Zuge dessen wurde auch ZAIPort genutzt, um Informationen darüber zu generieren, ob in dem jeweiligen Land eine Passersatzpapierbeschaffung möglich ist. Am 18.08.2022 wurde die Verbalnote des Betroffenen durch die Botschaft abgestempelt, am 24.08.2022 wurde die Bundespolizeiinspektion P. über die Identifizierung des Betroffenen informiert. Sodann wurde am 30.08.2022 ein Laissez-Passer beantragt, was üblicherweise 6 Wochen in Anspruch nimmt. Bereits am 22.09.2022 konnte der Laissez-Passer in der Botschaft abgeholt werden und es wurde sodann der frühestmögliche Flug für den 14.10.2022 gebucht. Akteneinsicht in das ZAIPortal könne die Bundespolizeiinspektion P. nicht gewähren, da sie zu dieser Entscheidung nicht befugt sei.
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Das biometrische Identifizierungsverfahren der marokkanischen Behörden sei während der Corona-Pandemie ausgesetzt gewesen.
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Im Übrigen sei das Verfahren auch mit der gebotenen Sorgfalt bearbeitet worden. Für die Zustellung des BAMF-Bescheids gelte laut Abschlussmeldung der 11.07.2022.
12
Das Amtsgericht Hof hat der Beschwerde mit Beschluss vom 05.10.2022 nicht abgeholfen und die Akten dem Landgericht Hof zur Entscheidung vorgelegt.
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Am 14.10.2022 wurde der Betroffene in sein Heimatland abgeschoben.
14
Mit Schriftsatz vom 19.10.2022 hat der Verfahrensbevollmächtigte erneut Stellung genommen. Es sei nicht nachvollziehbar, warum das Amtsgericht keine aktualisierte Akte der Beteiligten beiziehe. Es käme im Wesentlichen bei längeren Inhaftierungen darauf an, ob es zur Fehlern bei der Bearbeitung gekommen sei. Insbesondere könne sich die Antragstellerin nicht auf ein Portal berufen, in das sie keine Akteneinsicht gewähre.
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Im Übrigen genüge die Abschlussmeldung nicht für den Zustellnachweis des BAMF-Bescheids.
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Die Beschwerdekammer erteilte mit Verfügung vom 31.10.2022 den Hinweis, dass aus Sicht der Beschwerdekammer der Zeitpunkt der Zustellung des BAMF-Bescheides nicht entscheidungserheblich sei. Dem trat der Verfahrensbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 09.11.2022 entgegen. Der Zustellzeitpunkt sei weiter aufzuklären, es befinde sich lediglich die Abschlussmeldung in der Akte. Außerdem würde die Unterbringung des Betroffenen in der JVA Hof europarechtlichen Vorgaben entgegen stehen.
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Die Beschwerdekammer erteilte sodann einen erneuten Hinweis, dass sich der Bescheid des BAMF in der Ausländerakte und der Betroffene gerade nicht in der JVA befinde. Mit abschließender Stellungnahme vom 15.11.2022 monierte der Verfahrensbevollmächtigte das Fehlen der originalen Zustellungsunterlagen des BAMF-Bescheids. Darüber hinaus sei die gemeinsame Unterbringung Betroffener mit und ohne Asylverfahren ein Verstoß gegen das Trennungsgebot.
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Hinsichtlich weiterer inhaltlicher Einzelheiten wird auf genannte Beschlüsse, Verfügungen und Schriftsätze inhaltlich vollumfänglich Bezug genommen.
19
Der Kammer lag bei der Entscheidung eine aktualisierte Fassung der Ausländerakte des Betroffenen vor.
20
1. Die Beschwerde ist zulässig. Gemäß §§ 57 Abs. 3, 62 Abs. 3, 106 Abs. 2 AufenthG, § 58 Abs. 1 FamFG ist gegen die angeordnete Entscheidung die Beschwerde statthaft. Diese wurde auch form- und fristgerecht gemäß den §§ 63, 64 FamFG eingelegt. Der Antrag richtet sich nach entsprechender Umstellung gemäß § 62 Abs. 1 FamFG in zulässiger Weise auf Feststellung, dass der Betroffene durch die angefochtene Haftanordnung in seinen Rechten verletzt worden ist. Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung ist nach § 62 Abs. 2 Nr. 1 FamFG gegeben.
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2. Die Beschwerde ist auch begründet, weil das Amtsgericht Hof in dem angefochtenen Beschluss die Haftanordnung gegen den Betroffenen mangels Feststellung der vollziehbaren Ausreisepflicht nicht hätte verlängern dürfen.
22
Voraussetzung der Abschiebungshaft ist die Feststellung der vollziehbaren Ausreisepflicht des Betroffenen. Dafür muss dargelegt werden, woraus sich diese Verpflichtung ergibt und inwiefern die Vollstreckungsvoraussetzungen gegeben sind. Soweit erforderlich ist im Zuge dessen auch die Bekanntgabe bzw. Zustellung der maßgeblichen Bescheide darzulegen (vgl. Kaniess, Abschiebungshaft, 1. Auflage 2020, Rn. 314; BVerfG, Beschluss vom 09.02.2012, 2 BvR 1064/10).
23
Daran fehlt es im angegriffenen Bescheid. Weder der Antrag auf Verlängerung der Abschiebehaft, noch der angegriffene Beschluss des Amtsgerichts Hof verhalten sich zur Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht des Betroffenen nach Ablehnung seines Asylgesuchs durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit Bescheid vom 11.07.2022.
24
Aus den der Kammer vorliegenden Akten ergibt sich nicht, ob und wann der Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge dem Betroffenen zugestellt worden ist. Es ist lediglich aus dem Haftantrag ersichtlich, dass die Bundespolizei von der Bestandskraft des Bescheids am 19.07.2022 ausgeht. Aus der Akte der Antragstellerin (Bl. 89) ergibt sich, dass der 19.07.2022 den Ablauf der 4-Wochen-Frist darstellt. Konkrete Anhaltspunkte für eine Zustellung des Bescheids an den Betroffenen oder einen Zustellungsversuch sind auch der Akte der Antragstellerin nicht zu entnehmen. Es liegt lediglich eine Abschlussmeldung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 03.08.2022 vor, aus der sich nicht ergibt, ob das Bundesamt von einer Zustellung oder einer Zustellfiktion ausgeht und auf welcher Grundlage.
25
Dies ist aber in Anbetracht der Freiheitsentziehung durch die Haftanordnung und Art. 2 Abs. 2 GG nach Maßgabe des Bundesverfassungsgerichts (Beschluss vom 09.02.2012, 2 BvR 1064/10) zwingend erforderlich. Der Verweis auf die Abschlussmeldung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge genügt diesen Anforderungen nicht.
26
Es ist daher festzustellen, dass der angegriffene Beschluss den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat.
27
Die Kostenentscheidung folgt aus § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2, § 430 FamFG, Art. 5 EMRK.
28
Die Festsetzung des Geschäftswerts beruht auf § 36 Abs. 3 GNotKG.
29
Die Entscheidung über die Verfahrenskostenhilfe und Beiordnung folgt aus §§ 76 ff. FamFG und §§ 114 ff. ZPO.